Projektwerkstatt

GEBÜHREN FÜR DEMOS? EIN GESCHEITERTER VERSUCH IM LANDE HESSEN ...

Pressetexte dazu


1. Stadt Gießen verliert gegen Projektwerkstatts-Aktive
2. Pressetexte dazu
3. Verwaltungsgericht erklärt Gebühren für rechtswidrig
4. Kasseler Gericht und Bayrischer Verwaltungsgerichtshof finden Demo-Einschränkungen richtig!
5. Mehr Fallbeispiele

Im Original: Artikel der Jungen Welt
Niels Holger Schmidt
Gebührenpflichtige Demokratie
Grundgesetz in Hessen ausgehebelt: Anmelder von Demonstrationen sollen zahlen

Die Binsenweisheit, daß man sich eine eigene Meinung leisten können muß, bekommt in Hessen eine ganz wörtliche Bedeutung. Dort werden für Demo-Anmelder neuerdings oft Gebühren fällig. "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln", heißt es in Artikel 8 des Grundgesetzes.
Wenn es nach Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) geht, müßte bald ein Zusatz auf die Gebührensatzung des jeweiligen Bundeslandes verweisen. Nach der "Verwaltungskostenordnung für den Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern und für Sport" vom Dezember 2003 ist die Kundgebung der eigenen Meinung in Hessen potentiell gebührenpflichtig. Dieser Fall tritt ein, wenn die Behörden Auflagen machen oder die Demonstration verbieten. Kosten kann das zwischen 15 und 200 Euro. "Das sind nichts anderes als Demonstrationsgebühren", kritisiert Sharon Weingarten vom den hessischen Jungdemokraten/Junge Linke. Die CDU-Landesregierung zeige wieder ihr mangelhaftes Demokratieverständnis. Die Versammlungsfreiheit werde ad absurdum geführt, so Weingarten weiter.
Unterstützung bekommt der linke Jugendverband von Bürgerrechtlern der Humanistischen Union (HU). "Demokratie verlangt von den Bürgerinnen und Bürgern viel Einsatz. Geld kosten darf demokratisches Engagement aber nicht", meint HU-Landessprecher Franz-Josef Hanke. Juristisch ist die Verordnung durchaus zweifelhaft. "Faktisch wird hier die Ausübung eines Grundrechts gebührenpflichtig", bewertet Anwalt Wilhelm Achelpöhler die Verordnung. Der Spezialist für Verwaltungsrecht prüft derzeit das weitere juristische Vorgehen im Auftrag der Jungdemokraten. Daß die Demogebühren nicht nur auf dem Papier stehen, mußten Antifaschisten im hessischen Kirtorf feststellen, deren Protest gegen ein Nazi-Zentrum im April 2004 untersagt wurde. Für das Verbot stellten die lokalen Behörden 200 Euro in Rechnung. Dahinter wollte Innenminister Bouffiers Heimatstadt Gießen nicht zurückstehen. Hier wurden Aktive der dortigen autonomen "Projektwerkstatt" für Demo-Auflagen mit 100 Euro Gebühr belegt. In Bayern wurden bereits vor einigen Jahren gleichartige Gebühren eingeführt. Sie wurden vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München im April 2002 bestätigt.
Trotz dieses Urteils sieht Anwalt Achelpöhler keine schlechten Chancen, die hessischen Gebühren zu kippen: "Der führende Kommentar zum Versammlungsrecht von Dietel/Gintzel/Kniesel hält diese Entscheidung für fragwürdig. Diese Einschätzung teile ich. Denn immerhin gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG die Versammlungsfreiheit ausdrücklich ohne Anmeldung", betont er. Im hessischen Innenministerium kann man derartige Vorhaltungen nicht verstehen: "Gebühren werden nur fällig, wenn Auflagen gemacht werden. Wenn es Auflagen gibt, liegt das meist daran, daß der Anmelder nicht kooperieren will und auf bestimmten Dingen besteht", schiebt Michael Bußer, der Pressesprecher des Innenministeriums den schwarzen Peter "ungebührlichen" Demonstranten zu. Gleiches gelte für
Verbote. Die Gebühren würden so erhoben, wie für andere behördliche Dienstleistungen auch. Auf derartige "Dienstleistungen" würden die hessischen Jungdemokraten gern verzichten: "Wir planen, in den nächsten Wochen potentiell betroffene Gruppen an einen Tisch zu bekommen, um über ein gemeinsames Vorgehen zu beratschlagen", so Weingarten. Auch sind Demos gegen die Gebühren in Planung. Da diese wohl nicht gebührenfrei bleiben dürften, ist eine juristische Auseinandersetzung absehbar.



Artikel aus der FR, 14.9.2004


Giessener Express, 24.9.2004 (S. 6)


Im Original: Aus dem Grundrechtereport 2005 (ab S. 111)
Die Versammlungsfreiheit ist gewährleistet
Art. 8 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden.

Von Wilhelm Achelpöhler/Tjark Sauer
Hessen führt Demogebühr ein
Wenn Arbeitslose in Hessen gegen die Kürzung staatlicher Leistungen demonstrieren wollen, müssen sie damit rechnen, vorher von der Stadt zur Kasse gebeten zu werden. Denn Demonstrieren soll in Hessen künftig gebührenpflichtig sein. So sieht es die Verwaltungskostenordnung des hessischen Innenministers Volker Bouffier vor, die seit dem 1. Januar 2004 gilt. Nach Nr. 472 des Kostenverzeichnisses kostet es künftig 15E bis 20OC, wenn die Versammlungsbehörde eine Veranstaltung verbietet oder Auflagen für die Versammlung festlegt. Wer vor der Ausübung seiner Grundrechte zunächst einmal nachfragt, was denn an Kosten auf ihn zukommt, erfährt bei der Stadt Gießen, dass eine Versammlung, die über eine Hauptverkehrsstraße führe, ein Kooperationsgespräch notwendig mache und deshalb "aufgrund des Arbeitsaufwandes" eine Gebühr von 100 € erhoben werde. Da ein Arbeitsloser in Zeiten von Hartz IV künftig mit 100 € seinen Lebensunterhalt für etwa 10 Tage bestreiten muss, wird Demonstrieren künftig zum "Luxusartikel". Es sei denn, man verzichtet - zumindest in Hessen - darauf, Hauptverkehrsstraßen zu benutzen, und begnügt sich mit einer schlichten Mahnwache am Waldrand. Da ist das Demonstrieren in Hessen wohl auch künftig gratis.

Kostenpflichtige Freiheitsberaubung
Die Idee, den Bürgerinnen Lind Bürgern das Demonstrieren dadurch zu ~,erleiden, dass man sie zur Kasse bittet, ist nicht neu: Mit dem Aufkommen von Anti-AKW- und Friedensbewegung Lind damit dem massenhaften bürgerschaftlichen Protest Anfang der 1980er Jahre begannen auch die Bestrebungen, mit dem Mittel des Gebührenrechts die Durchführung von Versammlungen zu beschränken. So machte die Bezirksregierung Lüneburg im Dezember 1982 bei jedem Atomkraftgegner, den sie bei der Besetzung der Bohrstelle 1004 in Gorleben erwischen konnte, einen Betrag von jeweils 1093,42 DM geltend. Damit sollten die gesamten Polizeikosten der Räumung von den Versammlungsteilnehmern erhoben werden. Blockierer von Atomwaffenlagern wurden durch die Polizei in Baden-Württemberg zu Gebühren von 245,50 DM herangezogen, und auch heute noch erhalten Demonstrantinnen und Demonstranten, die etwa anlässlich von Castorprotesten in Gewahrsam genommen werden, eine Gebührenrechnung dafür, dass sie vom Staat ihrer Freiheit beraubt werden. All diesen Kostenerhebungen ist allerdings gemein, dass sie erst erhoben werden, wenn die Versammlung durch Verfügung aufgelöst worden ist.
In Hessen geht man inzwischen einen Schritt weiter: Hier soll auch die Durchführung einer nicht verbotenen Versammlung mit Gebühren belegt werden - wie inzwischen mehrfach geschehen. Etwa wenn die Polizei Anordnungen im Hinblick auf das Verkehrsaufkommen am Versammlungsort trifft. Hier wird bereits die Ausübung des Grundrechts mit Gebühren belegt. Mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Versammlungsfreiheit ist das in mehrfacher Hinsicht nicht vereinbar. Mit dein verfassungsrechtlichen Leitbild der Versammlung als eines Stucks "ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie" hat es wenig zu tun, wenn Versammlungsveranstalter und -veranstalterinnen damit rechnen müssen, für die Durchführung ihres Aufzugs zur Kasse gebeten zu werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sie im Vorfeld nicht wissen können, in welchem Umfang sie bei der Anmeldung ihrer Versammlung mit Gebühren zu rechnen haben. Immerhin können nach dem Wortlaut des § 15 Absatz 1 Versammlungsgesetz versammlungsrechtliche Auflagen auch schon dann erlassen werden, wenn nicht nur die öffentliche Sicherheit, sondern auch die öffentliche Ordnung gefährdet wird.

Maulkorb per Gebührenordnung
Wer das Kostenrisiko scheuen muss, wird zögern, sein Anliegen möglichst wirkungsvoll an die Öffentlichkeit zu bringen, und unter Umständen ganz darauf verzichten. Hier gilt das, was das Bundesverfassungsgericht bereits im Volkszählungsurteil ausgeführt hatte: „Dass jemand, der damit rechnen muss, dass die Teilnahme an einer Versammlung [ ... ] behördlich registriert wird und ihm dadurch Risiken entstehen können, möglicherweise auf die Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten wird. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlich demokratischen Grundwesens ist.“
Darüber hinaus ist die grundrechtswidrige Einführung der Gebührenpflichtigkeit von Versammlungen noch nicht einmal durch ein Gesetz geregelt worden. Sie beruht bloß auf einer Änderung des Kostenverzeichnisses in der Verwaltungskostenordnung durch eine Anordnung des hessischen Ministers des Innern und für Sport. Würde die Vorgehensweise Schule machen und die Wahrnehmung von Grundrechten gebührenpflichtig, dann müssten Veranstalterinnen und Veranstalter konsequenterweise bald damit rechnen, dass auch die polizeiliche Begleitung einer Versammlung gebührenpflichtig wird. Auch Absperrmaßnahmen nnd Umleitungen des Autoverkehrs könnten mit der gleichen Logik gebührenpflichtig werden. Bestrebungen zu solchen Gebührenerhebungen hatten allerdings die Verwaltungsgerichte schon Anfang der 1980er Jahre als rechtswidrig beurteilt.
Auch die Demogebühren in Hessen dürften vor den Gerichten keinen Bestand haben. Zumal das Verwaltungsgericht Gießen in einem Urteil vom 22. Juni 2004 die Erhebung der Gebühren für rechtswidrig befunden hat. Laut Begründung des Gießener Verwaltungsgerichtes widerspreche es ihrem "Verständnis der Versammlungsfreiheit [ ... ], wenn Versammlungsbehörden für von ihnen verbotene oder mit Auflagen versehene Aufzüge und Versammlungen eine Verwaltungsgebühr erheben." (Az 2 E 1017/04) Neben einigen Gerichtsverfahren, die Bouffiers Vorstoß ausgelöst hat, wird auch andernorts mit Kritik nicht gespart: Alle Oppositionsparteien im Hessischen Landtag und viele Organisationen wiesen den Vorschlag als undemokratisch zurück und forderten den hessischen Innenminister auf, die Regelung wieder zurückzunehmen.


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