Projektwerkstatt

STRAFE - RECHT AUF GEWALT

Eine gewaltfreie Welt ... und wie man das nicht erreicht


1. Die Kapitel des Fragend-voran-Büchleins
2. Wieso straft Mensch?
3. Von Orten der Gewalt und bösen Taten
4. Strafe – die gute Gewalt
5. Im Namen des Rechts und der Gerechtigkeit
6. Der offizielle Strafzweck
7. Das grosse Ziel
8. Was ich eigentlich sagen wollte...
9. „Es gibt eine gewisse Eigenverantwortung“
10. „Wenn nichts mehr geschützt ist, kann nichts mehr gelebt werden“
11. „Kriminalität ist ein gesellschaftlicher Prozess“
12. Eine gewaltfreie Welt ... und wie man das nicht erreicht
13. Versuch über Perspektiven
14. Impressum

Gewalt ist schädlich, deshalb gilt es ihr entgegenzuwirken. Aber wie? Offiziell, so sagen Richter, Behörden und der Direktor der Strafanstalt aus dem ersten Kapitel, werden Menschen bestraft, damit nicht wieder geschieht, was geschehen ist. Damit der „Kriminelle“ entweder davon abgeschreckt wird, wieder kriminell zu werden, oder damit er wieder lernt, sich sozial, angemessen und gesetzestreu zu verhalten, sollte der das verlernt (oder nie gelernt) haben. Resozialisierung nennt man das. Dass dies allerdings in der heute üblichen Strafinstitution, dem Gefängnis, in den wenigsten Fällen bezweckt werden kann, fügen sie meist bereits im nächsten Satz hinzu. Und auch die Rückfallstatistiken lassen auf diese Tatsache schliessen. Letztlich steckt eine gewisse Logik hinter dieser Tatsache, liest man die Worte des Gefangenen Michael Diehl:

Man sperrt mich ein, um mich auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten.
Man nimmt mir alles, um mich zu lehren, mit Dingen verantwortungsvoll umzugehen.
Man reglementiert mich permanent, um mir zur Selbstständigkeit zu verhelfen.
Man entfremdet mich den Menschen, um mich ihnen näher zu bringen.
Man bricht mir das Rückgrat, um mir den Rücken zu stärken.
Man programmiert mich auf Anpassung, damit ich lerne, kritisch zu leben.
Man bringt mir Misstrauen entgegen, damit ich lerne, zu vertrauen.
Man bricht vor meinen Augen die Gesetze, damit ich lerne, diese zu achten.
Man sagt "zeige Deine Gefühle", damit man mit ihnen spielen kann.
Man sagt "Du bist resozialisiert", wenn ich zu allem nur noch nicke!


Aber nicht nur in Bezug auf Gefängnisse stellt sich die Frage, ob man mit Strafe überhaupt Gewalt zurückdrängen kann? Gegenwärtig gibt es in der Bevölkerung einen starken Ruf nach härteren Strafen. Wir leben in einer kalten Zeit. Täglich schreit man nach schärferen Massnahmen, längeren Strafen, mehr Überwachung und härteren Bedingungen. Selbst in der Schweiz ist die Todesstrafe heutzutage längst nicht mehr so unumstritten, wie sie es einst war. Laut einer Umfrage sind 57% der Schweizer Bevölkerung davon überzeugt, dass die Haftbedingungen zu milde seien und rund 27% sehen die Lösung bei der Wiedereinführung der Todesstrafe.[1] Strafe aus unserem Leben wegzudenken ist unmöglich geworden – läuft etwas schief, d.h. tritt Gewalt auf, so scheint die Schuld bei dem Strafsystem zu liegen, welches zu wenig hart durchgreift.

Auf der anderen Seite wissen wir aber von der Tatsache, dass Gewalt zwischen Menschen zunimmt, je autoritärer und repressiver das Umfeld ist. Äusserst interessant ist für eine solche Analyse der Ländervergleich. Als europäische Gegenpole eignen sich Russland und Dänemark. Russland hat mit 671 Gefangenen auf 100'000 Einwohner die höchste Gefangenenrate Europas. Dänemark hat hingegen lediglich 59 Gefangene auf 100'000 Einwohner und steht somit zusammen mit Norwegen und Finnland im europäischen Vergleich an der Spitze.[2] Der Grund für diesen immensen Unterschied scheint aber nicht bloss in kulturellen Eigenschaften, sondern vielmehr bei zwei Staaten und ihrem total gegensätzlichen Verhältnis zu Gewalt zu liegen. Nicolas Hayoz, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg, beschreibt die Gewaltsituation in Russland folgendermassen:

Der Krieg in Tschetschenien steht einerseits für die Fortsetzung der unter dem Kommunismus praktizierten Gewaltherrschaft und die kollektive Unfähigkeit, die Vergangenheit eines kriminellen Regimes aufzuarbeiten. Andererseits fungiert dieser Krieg mit allen seinen Verbrechen als Katalysator für eine bestehende Gewaltstruktur in der russischen Gesellschaft. [...] In Russland breitet sich die staatlich zelebrierte Gewalt, wie sie sich vor allem im Kult alles Militärischen zeigt, gewissermassen von oben herab über die Hierarchien der Armee, der Polizei, der Geheimdienste und der Verwaltungen in der Gesellschaft aus. Die persönliche Erfahrung der physischen Gewalt im Krieg und in der Armee – beides geht ineinander über – wird in der Gesellschaft wirksam, denn sie senkt die Akzeptanzschwelle für Gewalt oder erhöht gar die individuelle Bereitschaft zu gewalttätigem Handeln.[3]

Nebst Russland kennt einzig Weissrussland (mit 575 Gefangenen pro 100'000 Einwohner die Nummer zwei Europas) ein ähnlich autoritäres, repressives und straforientiertes Staatssystem. Und kaum ein Land in Europa weist eine ähnlich dominante Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft auf. Die Gefangenenstatistik ist hierzu zwar nicht unbedingt repräsentativ, da bereits für banalste Vergehen Gefängnisstrafen verordnet werden. Spätestens aber in den Zahlen über häusliche Gewalt äussert sich die unübersehbare Dominanz der Gewalt: „Menschenrechts-organisationen vermuten, dass in Russland jedes Jahr rund 14.000 Frauen und 3000 Männer bei Gewaltakten zwischen Ehe- und Lebenspartnern ums Leben kommen. Die Zahlen zur Gewalt an Kindern in Familien sind nicht weniger erschreckend. Sie zeigen das Ausmass der Normalisierung von Gewalt“[4] Die beiden Soziologen Lev Gudkov und Boris Dubin bringt der Zusammenhang zwischen Russlands autoritärem und repressiven Strafsystem und der überpräsenten Gewalt in der Gesellschaft zu folgendem Schluss: „Je härter das Regime, je mehr es sich auf Gewaltausübung stützt, desto mehr unbewältigte Probleme schafft es, die es hinter neuen, wiederum selbstverursachten Problemen verbergen muss.“[5]

Eine ganz andere Situation haben wir hingegen in Dänemark. Hier ist der Strafvollzug punkto Resozialisierung am weitesten entwickelt. Bis zu 80%[6] der Gefangenen befinden sich im offenen Vollzug (in Deutschland sind es gerade mal 20%[7]) und die Betreuung im Gefängnis ist am weitesten ausgebaut. „Dort ist der Gefangene nicht der gefährliche Ganove, sondern der gestolperte Mitbürger. Dort wird er nicht nach den Schwierigkeiten die er macht beurteilt, sondern nach denen, die er hat. Dort wird angemessen entlohnt und nicht ausgebeutet. Die Gefangenen dürfen mit ihren Frauen zusammen sein, in Zimmern, die man abschliessen kann – von innen.“[8] Dieser Umgang zahlt sich schliesslich aus in einer überaus tiefen Rückfallquote von etwa 30% (in Deutschland sind es über 70%)[9].

Bereits aus diesem kleinen Vergleich lässt sich folgern, dass Gewalt zunimmt, je repressiver das Umfeld eines Menschen ist. Und gerade eine strafende Gesellschaft zeichnet sich aus durch ihren Hang zu Repression. Ein unerwünschtes Verhalten wird unterdrückt – sobald keine Strafe mehr in Aussicht steht, gewinnt dieses Verhalten sofort wieder an Wahrscheinlichkeit.[10]

So versucht das Strafrecht lediglich Kriminalität zu unterdrücken anstelle Probleme zu erkennen und zu lösen. In einem repressiven System wird den Menschen Zwang angetan und durch Provokation und Stigmatisierung wird weitere Kriminalität erzeugt.

Zwar kann eine auferlegte Strafe therapeutische Wirkung haben, allerdings muss sie dazu vom Täter akzeptiert und angenommen werden. Ist dies nicht der Fall fordert Strafe eher zu neuen Verbrechen heraus und katapultiert Menschen aus der Gesellschaft hinaus. [...]Dass durch Repression Kriminalität produziert wird, könnte sich auch darin zeigen, dass die Staaten die ihr Strafrecht strenger gestalten, meist noch stärker mit Kriminalität zu tun bekommen. Betrachtet man Kriminalität als eine Konfliktsituation wird der ganze Prozess der Konfliktlösung durch Zwangsstrafe beeinträchtigt, was Täter und Opfer schadet.[11]



[1] Umfrage durchgeführt von Univox, GfS und IPSC, Zürich 2003

[2] Quelle: Der deutsche Strafvollzug im internationalen Vergleich, Prof. Dr. Frieder Dünkel, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, 2002 [www.thomasfeltes.de/Beijing/Strafvollzug%20BRD.pdf]

[3] Nicolas Hayoz, Wieviel Gewalt kann eine Gesellschaft ertragen?, In: Universitas Freiburgensis, Dezember 2005, S. 11ff

[4] ebenda.

[5] Lev Gudkov, Boris Dubin, Der Oligarch als Volksfeind, In: Osteuropa 7/2005 [www.eurozine.com/articles/2005-08-11-dubingudkov-de.html]

[6] Quelle: www.taz.de/pt/2006/12/07/a0291.1/text

[7] Quelle: www.knast.net

[8] Michael Diehl, Denkanstoss, 2006 [www.knast.net/article.html?id=4059]

[9] Quelle: knast.net; Die Schweiz hat eine Rückfallquote von ca. 60% [www.bfs.admin.ch]

[10] Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Strafe

[11] „Funktion und Wirkung des Strafens im bestehenden Strafjustizsystem“, Denkmal 04/2005, S. 11

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