Direct-Action

SELBSTVERTEIDIGUNG VOR GERICHT: RECHTE, FORMALE MÖGLICHKEITEN UND AKTIONEN

Plädoyers und Letztes Wort


1. Tipps für Angeklagte mit und ohne Rechtsbeistand/AnwältIn
2. Tipps in der Vorphase des Prozesses
3. Tipps für den Prozess selbst (Gerichtsverhandlung)
4. Beweisaufnahme
5. Plädoyers und Letztes Wort
6. Urteil
7. Aussagen und Sachverständige
8. Berufung, Revision & Co. - nach dem ist vor dem ...
9. Das Publikum
10. Angst vor Gericht(en): Einschüchterungsgründe vor Gericht und Umgang mit denen
11. Berichte und weitere Links
12. Direct-Action-Hefte zum Thema und weitere Materialien

Plädoyers
Nach der Beweiserhebung wird oft noch etwas über die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten geredet, wie viel Geld sie verdienen und vor allem, welche Vorstrafen sie haben. Danach kommen die Plädoyers. In der ersten Instanz zuerst die Staatsanwaltschaft, dann die Verteidigung (jedeR Angeklagte hat das Recht, ein Plädoyer zu machen - auch zusätzlich zu denen der VerteidigerInnen). In der Berufung ist es umgekehrt, also erst die Angeklagten und/oder Verteidigung. Nach den Plädoyers aber hat auf jeden Fall jedeR Angeklagte die Möglichkeit für ein sogenannten „letztes Wort“. Da kann gesagt werden, was will!

§ 258
(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.
(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.
(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.

§ 259
(1)Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten müssen aus den Schlußvorträgen mindestens die Anträge des Staatsanwalts und des Verteidigers durch den Dolmetscher bekanntgemacht werden.
(2) Dasselbe gilt nach Maßgabe des § 186 des Gerichtsverfassungsgesetzes für einen hör- oder sprachbehinderten Angeklagten.

Die Plädoyers sind die klassischen langen Vorträge, warum (so meist die Staatsanwaltschaft) einE TäterIn überführt sein soll, oder warum (so die Verteidigung) das genau nicht der Fall ist oder zumindest mildernde Umstände geltend zu machen sind. Allerdings gibt es keine Formvorschrift für ein Plädoyer. Es können sowohl Bewertungen der Ergebnisse aus der Beweisaufnahme wie auch politische Positionen, Angriffe gegen die hinter der Anklage stehenden Kreise u.ä. benannt werden. Eine Höchstdauer für Plädoyers existiert ebenfalls nicht. Mensch kann auch mehrere Stunden oder Tage Argumente, Zitate, Lesungen usw. aneinander bauen. Ob das schlau ist, muss für den Einzelfall geschaut werden. Auf jeden Fall: Wer eineN VerteidigerIn hat, kann trotzdem auch selbst plädieren. Eine passende Arbeitsteilung mit dem/r AnwältIn kann z.B. sein, dass letztere stark die formalen Aspekte, der/die Angeklagte mehr die politischen Punkte benennt.

Letztes Wort
Der § 258 StPO weist noch eine Besonderheit auf (siehe oben): Das letzte Wort. Es gebührt immer dem Angeklagten. Das bietet sehr interessante Möglichkeiten. Zum einen kann das zu Sagende zwischen Plädoyer und letztem Wort aufgeteilt werden. Dramaturgisch gelungen ist eine Zuspitzung – das letzte Wort kann alles enthalten, auch scharfe Zitate, vorgelesen aus Romanen oder Studien, Songs oder Redemanuskripten. Außerdem bildet der konkrete Rahmen eine hervorragende Plattform für Aktionen, Inszenierungen usw. Denn: Das letzte Wort ist das, was es wörtlich aussagt. Es ist für ein Gericht äußerst schwierig, während des letzten Wortes einzugreifen, das Publikum zu beschimpfen, Leute aus dem Saal zu werfen oder auch den Angeklagten, der gerade das letzte Wort spricht, zu unterbrechen. Denn wenn sich der Angeklagte dann hinsetzt und nichts mehr sagt, hatte er nicht das letzte Wort. Eigentlich ein Rechtsfehler – Prozess wiederholen, nachdem er so in der Revision gekippt wurde.
Leider ist das nicht immer möglich, denn die Wahrheit definiert das Gericht. Wenn es ins Protokoll schreibt, dass der Angeklagte nicht unterbrochen wurde, dann IST DAS SO. Ein Revisionsgericht überprüft grundsätzlich die Angaben von RichterInnen und des Protokolls nicht. Sie sind wahr.
Dennoch: Das letzte Wort ist ein starkes, kämpferisches Mittel. Es kann auch das Ende der offensiven Prozessführung sein, z.B. durch die Ankündigung des Angeklagten, der Urteilsverkündung „im Namen des Volkes“ aus Protest gegen diese Huldigung der Volksidee und der Absurdität, dass eine Person ihre Privatmeinung als Volksmeinung bezeichnet, nicht beiwohnen zu wollen. Nach entsprechender Begründung packt die/der Angeklagte die Sachen und geht. Das wird zugelassen oder durch WachtmeisterInnen verhindert – so oder so eine interessante Ausgangslage für theatralische Vermittlungen.

Strafe und Strafhöhe
BGH GS 2, S. 194, (200): "Schuldhaft handelt, wer sich nicht zu einem rechtmäßigen handeln hat motivieren lassen, obwohl ein durchschnittl. Mensch sich für das Recht entschieden hätte."

Vorwerfbarkeit der Tat
Entscheidendes Kriterium für die Schuld, nach der sich die Strafhöhe bemisst, ist die Vorwerfbarkeit.

Urs Kindhäuser: Strafgesetzbuch, zu § 46 Rdnr. 29
Gem. § 46 Abs. 1 S. 1 ist die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die insoweit angesprochene Schuld ist nicht identisch mit der strafbarkeitsbegründenden des dreistufigen Deliktsaufbaus. Vielmehr erfasst sie das Maß der Vorwerfbarkeit bei der Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Unrechts.

Hasso Lieber: Leitfaden für Schöffinnen und Schöffen (S. 125)
Die Schuld ist das Maß des Vorwurfs, der dem Täter für seine Tat zu machen ist.


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