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LIBERTÄR ODER LIBERAL? WENN DIE MARKTWIRTSCHAFT ZUM ANARCHISTISCHEN IDEAL WIRD ...

Kritik


1. Einleitung
2. Markt oder Staat - die falsche Frage
3. Einzelfragen
4. Die Schnittstellen zu Marktwirtschaft und Bürgerlichkeit
5. Parecon - krude Wirtschaftstheorie aus anarchistischen Kreisen
6. Alternativökonomie
7. Kritik
8. Links und Materialien

Doch - wie immer - gibt es keine Einheitlichkeit. AnarchistInnen sind eine bunte Mischung, wenn auch die generelle Theorielosigkeit fast die gesamte Breite erfasst und so wesentliche Schwächen verursacht. Dazu gehören die geringe Interventionsfähigkeit in gesellschaftliche Debatten und die kurze Verweildauer der meisten AktivistInnen, für die Anarchie nur eine diffuse Empörungsphase vor dem Wiedereintauchen in die Bürgerlichkeit darstellt, meist auf einem modernisierten Niveau gegenüber der Generation ihrer Eltern, LehrerInnen oder anderen Abgrenzungsvorbilder.
Selbstkritik, z.B. an macht- und marktorientierten Konzepten sogenannter Anarch@s, ist selten, aber kommt vor - z.B. die Kritik an Ähnlichkeit von Anarchie und Kapitalismus (dieses Buch ist ja selbst ein Beleg dafür).

Im Original: Kritik an Ähnlichkeit von Anarchie und Kapitalismus
Aus dem kritischen Kommentar "Mit der Marktwirtschaft in die Zukunft?" in: "Utopie - ein Vorschlag" der Utopie-AG/Gewaltfreies Aktionsbündnis Hamburg (1995, S. 44 f.)
Auf diese Art und Weise wird das Menschenbild des Kapitalismus in die Utopie hinein verlängert. Arbeiten ist eine zentrale Sache im Leben. In unserer heutigen Gesellschaft läuft die Identitätsbildung zu einem großen Teil über die ausgeübte Arbeit ab. Auch in der Utopie wird Arbeit als wesentliches identitätsstiftendes Moment erhalten bleiben. ...
Ein Großteil unserer heutigen gesellschaftlichen Probleme rührt von der Fixierung auf die individuelle Leistungsfähigkeit am Arbeitsmarkt und welche Konsummöglichkeiten die Menschen haben, wenn sie ihre Arbeitskraft verkaufen. Eine Utopie sollte die heutige bürgerliche Ideologie, wonach Leistung und möglichst viel Konsum einen Großteil des Lebensglücks/Lebenssinns ausmachen, gründlich überwinden.

Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (S. 85, mehr Auszüge)
Das Konkurrenzprinzip hat nicht nur die Kapitalisten in den Kampf gegeneinander um die Märkte gehetzt, sondern alle Ebenen der Gesellschaft durchdrungen. Käufer und Verkäufer werden gegeneinander ausgespielt, Bedürfnis gegen Habgier und Individuum gegen Individuum gesetzt, bis in die elementarsten Bereiche menschlicher Begegnungen hinein. Selbst Arbeiter begegnen einander auf dem freien Markt sozusagen mit einem Knurren, und jeder sucht aus Überlebenswillen den anderen zu übervorteilen. Kein Moralisieren und kein Predigen kann die Tatsache ändern, daß Rivalität bereits auf den allerelementarsten Ebenen der Gesellschaft ein bourgeoises Lebensgesetz ist das im wahrsten Sinne des Wortes über "Leben" entscheidet. Akkumulation - um den Konkurrenten zu fällen, aufzukaufen oder auf andere Weise in Verlegenheit zu bringen - ist eine Existenzbedingung innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Eine Perspektive jenseits von Markt und Staat wird von libertären KommunistInnen und ihnen nahestehenden Strömungen formuliert. Vor ihrem marxistischen Hintergrund wehren sie sich gegen eine Individualisierung von Eigentum. Zwar fehlt ihnen eine Idee für eine Aufhebung des im Kapitalismus so zentralen Eigentums. Doch ihr Versuch, die Vergesellschaftung zumindest der Produktionsmittel mit anarchistischen Freiheitsidealen zu verbinden, böte immerhin die Chance, eine weitergehende Perspektive zu entwickeln. Denn Begriffe wie "Gemeinbesitz" oder "Vergesellschaftung" bedürfen einer näheren Klärung, in deren Folge sich Widersprüche und Komplikationen zeigen würden, die Ansporn zum Vorantreiben anarchistischer Theorien schaffen.

Im Original: AnarchistInnen als SozialistInnen
Aus einem Grundlagentext über Anarchie, verfasst in der Anarchistischen Föderation Französischer Sprache (FAF), herausgegeben von der I-AFD – IFA (Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland - angeschlossen an die Internationale der Anarchistischen Föderationen):
Die Freiheit und die Gleichheit sind die beiden Schlüsselbegriffe, um die sich alle libertären Entwürfe drehen.
  • Als Sozialisten sind sie für den Gemeinbesitz an Produktions- und Distributionsmitteln.
  • Als Libertäre glauben sie, dass der Einzelne nur frei sein kann in einer Gesellschaft wirklich freier Menschen, und dass die Freiheit eines jeden von der Freiheit der anderen nicht eingeschränkt, sondern bestätigt wird.
Aus Cantzen, Rolf (1995): "Weniger Staat - mehr Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau
Im Hinblick auf das Postulat "Weniger Staat - Mehr Gesellschaft" ist bei aller Kritik am Etatismus "mehr Gesellschaft" nicht mit "mehr Markt" gleichzusetzen, da damit die verschiedenen Formen ökonomisch bedingter Herrschaft und die dadurch mitverursachten sozialen Mißstände unangetastet blieben; zudem steht der kapitalistische Markt mit seinen konkurrenzhaften unsolidarischen Verkehrsformen einer Neustrukturierung der Gesellschaft durch den Aufbau von dezentralen und kooperativen Ordnungsstrukturen im Wege. Der angestrebte, auf dezentraler Selbstorganisation und Selbstverwaltung basierende "Gesellschaftssozialismus" ist nicht über eine Ausweitung des Marktes und über eine Verstaatlichung zu erreichen, ebensowenig allein über einen "Austritt aus dem Kapitalismus" und die Neuorganisation einer Alternativökonomie. ... (S. 131)
Eine Vergesellschaftung durch Dezentralisierung, Entbürokratisierung und Demokratisierung bleibt notwendig. Reprivatisierung ist für eine libertäre Perspektive auszuschließen, da dies zwar "weniger Staat", aber nicht "mehr Gesellschaft" und schon gar nicht weniger Herrschaft bedeutet. ...
(S. 167)

Zum Text über Anarchie und Marxismus, dem fünften im Kapitel "Theorien, Lücken und blinde Flecken"

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