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MASSE ... IN FORM GEGOSSEN
WIRD AUS DEN VIELEN AUCH VIELFALT?

Soziale Organisierung als Teil des Menschseins


1. Soziale Organisierung als Teil des Menschseins
2. Eine Menge von Menschen kann sehr unterschiedlich aussehen
3. In welcher Form leben wir?
4. Biologie und Kultur des Menschen bieten mehr
5. Plädoyer für Vielfalt ohne Hierarchie
6. Links und Leseempfehlungen


Hirnstupser - politische Analyse und Nachdenktexte
Hirnstupser am 19.3.2020: Die Welle. Neue Auflage.
Ständig und überall gibt es gesellschaftliche Vorgänge, deren Einheitlichkeit bei kritischem Blick irritiert. Da wirken Medien gleichgeschaltet oder alle Parteien, die an die Regierung kommen, machen ungefähr das gleiche wie ihre Vorgänger, trotz hochtrabend anderer Ankündigungen in Wahlkämpfen. Firmen konkurrieren untereinander, aber wollen alle das Gleiche: Profit, maximale Ausbeutung von Mensch und Natur, Monopole. Diese Einheitlichkeit ist der Nährboden von sogenannten Verschwörungstheorien: Da muss doch jemensch steuern, sonst wäre das doch nicht alles immer gleich. Doch es braucht keiner solchen Strippenzieher, um soziale Prozesse anzugleichen. Es reicht, eine Masse zu sein bzw., um genauer zu sein, sich in der Masse zu organisieren und zu kommunizieren. In der Menge nämlich „versinkt das Ungleichartige ... im Gleichartigen, und die unbewussten Eigenschaften überwiegen“ schrieb Gustave Le Bon schon 1895 in seinem Klassiker „Psychologie der Massen“. Ganz ähnlich drückte es viel später Dirk Helbing von der ETH Zürich, als er das Ergebnis einer Untersuchung zusammenfasste: „Wenn alle anderen das Gleiche machen wie man selbst, glaubt man, auf dem richtigen Dampfer zu sein.“ Ähnlichkeiten mit aktuellen Zeiten sind rein zufällig …
Der Verlust eigenständigen Denkens innerhalb von Gruppen kann schon ab wenigen Beteiligten beobachtet werden, wenn sich Fanclubs, Cliquen, Vorstände oder Plena gegenüber anderen abgrenzen und zu behaupten versuchen. Kritik wird als Angriff verstanden, jede Form der Reflexion weicht der gegenseitigen Bestätigung. Niemensch will die Entsolidarisierung im eigenen Zusammenhang riskieren, und die sich aufschaukelnde Meinung im direkten sozialen Umfeld verleitet dazu, selbst solche Positionen zu nennen und überspitzter oder selbstsicherer zu formulieren als es möglich wäre, wenn mensch allein in einen Gedankenaustausch mit anderen treten würde. Was da im Kleinen schon an kritischem Denken verloren geht, erreicht im Großen noch ganz andere Dimensionen. Das endet dann – Achtung! Monströser Sprung! – bei entsprechender Aufpeitschung in Jubelstürmen für beginnende Kriege oder die millionenfache Vernichtung nicht mehr erwünschter Mitmenschen. Eine Stufe kleiner erregt das Treten gegen eine kleine Lederkugel nationalen Taumel oder lässt ein einzelner Mensch mit Drei-Wörter-Schild Millionen in den Streik treten. Qualitativ haben diese Ereignisse nichts miteinander zu tun, sehr wohl aber ist ihnen gemeinsam, dass hier etwas geschieht, was sich jeweils einer rationalen Reflexion entzogen hat. Höchstens einige wenige haben strategisch gehandelt, haben sich einzeln oder in kleinen Runden organisiert. Ansonsten war es – die Welle. Wie dieses Vorbild im Roman von Morton Rhue gibt es im Verlauf der genannten und vieler anderer Prozesse keine Personen mehr, die den Verlauf dirigieren oder gezielt stoppen können. Oft fehlen sogar klar lokalisierbare Ursprünge. Die Welle entsteht im unbeobachteten Sektor und erlebt dann eine sich selbst verstärkende Vergrößerung, getragen von sie initiierenden, aber dann auch von ihr weiter geschaffenen Denkkulturen, einem Diskurs, einer gedanklichen Stimmung. Die Welle rollt aus sich selbst. Spätestens nach einiger Zeit sind alle nur noch Getriebene – egal wie mächtig sie ansonsten wirken oder sind. Niemensch steuert mehr das Ganze. Mitunter gibt es Personen oder Institutionen, die die Aspekte der Welle für sich nutzen oder passend umzuformen suchen. Auch gibt es Fälle, in welchen Einzelne gezielt Prozesse verstärken und so aus bestehenden Stimmungen die Welle lostreten. Für den beispiellosen, mörderischen Hass auf Juden ließen sich Konstantin der Große, Luther oder Hitler nennen. Ihre Schriften und Reden hätten aber ohne die massenpsychologische Wirkung wenig Chancen gehabt. Insbesondere die Nationalsozialisten bauten ihre Propaganda darauf auf. Sie stellen Menschen regelmäßig in größere Gruppen mit einheitlicher Kleidung, einheitlicher Steh- oder Sitzordnung, Massenritualen usw., um sie dann in dieser Situation mit ihrer Ideologie zu erreichen. „Wollt ihr den totalen Krieg“ hätte als durchschaubare Ankündigung von Tod und Elend in kleinen reflektierten Gruppen keine Chance gehabt. So aber brach Jubel aus in einer Masse, die das Denkvermögen der Einzelnen auf das Niveau des biologischen Systems Schwarm herabschraubte: Jedi ist nur noch Rädchen im System, reagiert nur noch auf Impulse statt welche zu setzen.
Erich Fromm warnte schon 1941 in „Die Furcht vor der Freiheit“, „dass der moderne Mensch sich aber in einer Lage befindet, wo vieles, was „er“ denkt oder sagt, genau dasselbe ist, was auch alle anderen denken oder sagen; dass er sich nicht die Fähigkeit erworben hat, auf originelle Weise (das heißt selbständig) zu denken - was allein seinem Anspruch einen Sinn gibt, dass niemand das Recht hat, ihm die Äußerung seiner Meinung zu verbieten. Außerdem sind wir stolz darauf, dass sich der Mensch in bezug auf seine Lebensführung nicht mehr von äußeren Autoritäten sagen zu lassen braucht, was er zu tun und zu lassen hat. Wir übersehen, welch große Rolle die anonymen Autoritäten wie die öffentliche Meinung und der „gesunde Menschenverstand“ spielen, die eine solche Macht über uns haben, weil wir so durchaus bereit sind, uns den Erwartungen entsprechend zu verhalten, die die anderen an uns stellen, und weil wir eine so tiefsitzende Angst davor haben, uns von ihnen zu unterscheiden. Mit anderen Worten: Wir sind von der Zunahme unserer Freiheit von Mächten außerhalb unserer selbst begeistert und sind blind für die inneren Zwänge und Ängste, die die Bedeutung der Siege, welche die Freiheit gegen ihre traditionellen Feinde gewonnen hat, zu unterminieren drohen.“
So einiges, was aktuell passiert, lässt den Verdacht aufkommen, dass nur die Massenpsychologie erklären kann, warum und wie das vor sich geht. Es wäre sinnvoll, dass alle wieder eigenständig zu denken beginnen, denen flächendeckende Handydatenauswertungen und Ausgangssperren Hoffnung machen – und denen, die mit Schwarm immer noch Intelligenz verbinden.



Der folgende Text ist Teil der Gesamtabhandlung "Freie Menschen in Freien Vereinbarungen" ... zum Anfang.

Der Mensch ist immer Teil der Vielen. Er kann sich entscheiden, wie oft und wie eng seine Kontakte und Beziehungen sind, aber er kann sie nicht abschneiden - sowieso nicht in seiner Kindheit, aber auch später nicht, wenn er zumindest immer BetroffeneR oder NutznießerIn der gesellschaftlichen Tätigkeit ist.
Es geht also nicht um das Ob einer Organisierung, sondern um das Wie. Auf was kommt es an? Wie wollen wir unsere Beziehungen gestalten - sowohl direkt mit anderen Menschen wie auch im vielfach dem persönlichen Kontakt entzogenen gesellschaftlichen Raum.

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