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REDEBEIRAG ZUM ANTIRASSISTISCHEN AKTIONSTAG IN GIESSEN AM 14.9.2002

Rassismus hat viele Gesichter ...

Siehe auch: Anti-Wahl-Seiten


Redebeitrag des Antifa-Cafes des Infoladen Giessen zur AntiRa-Demonstration am 14.September (Treffpunkt: 12 Uhr Bahnhof Giessen)
Die Gefahr des Rassismus wurde besonders nach den Anschlägen von Düsseldorfvor 2 Jahren häufig diskutiert und von den politischen Vertretern desStaates als nicht länger hinnehmbar propagiert. Das „Ansehen der Deutschenim Ausland“ schädigende Bilder von martialischen Aufmärschen uniformierterNeo-Nazis und Berichte von gewalttätigen Übergriffen gegen farbigeUS-Sportler brachten wohl das Fass zum Überlaufen. Der Antrag fürein NPD-Verbot und andere Nazistrukturen wurde schleunigst von Bundestagund -rat verabschiedet. Die bürgerlichen Parteien, Wegbereiter des Rassismusaus der Mitte der Gesellschaft, nahmen, aufgrund wirtschaftsschädigenderAuswirkungen des Bildes vom „bösen Deutschen“, den Kampf gegen rassistischen Terror im Alltag auf. Bestes Beispiel fürdie rassistische Doppelmoral sind die zahlreichen Verfassungsschutz-Spitzelin der NPD, ohne deren staatliche Förderung die Partei wohl kaum denAufschwung der letzten Jahre hätte erleben können. Das eiliggeschaffene Zuwanderungsgesetz, welches als Weiterentwicklung der faktischenAbschaffung des Asylrechtes vom Jahre 1993 zu sehen ist, dient daherin allererster Linie nicht „humanitären“, sondern volkswirtschaftlichenInteressen und untermauert die Ablehnung von Menschen ohne deutschen Pass. Abgewiesene Flüchtlinge werden weiterhin in Länder abgeschobenen,in denen ihnen Folter und Tod drohen.
Deutlich wird die rassistische Abschottungsstrategie aber auch durch denAufbau eines Grenzapparates, der bereits unzähligen Menschen zur Todesfallewurde. Von denen, die es geschafft haben, „deutschen“ Boden zu betreten,erfahren etliche sogenannte deutsche „Gastfreundschaft“, als wären sieTerroristen. Schädlinge, die nichts anderes im Sinn haben, als dem „deutschenVolk“ zu schaden. Wer nicht im Abschiebeknast sitzt, für den giltdie Residenzpflicht, also der Zwang, sich nur im zugewiesenen Landkreis aufzuhalten.Ohne anderen Ausweg, als die drohende Abschiebung in die Region ihres Traumas,werden etliche Flüchtlinge in die Illegalität gezwungen.
Ein Leben ohne soziale Mindeststandards in allen Lebensbereichen. Vom Wohnen, über medizinische Versorgung, bis zur Arbeitsituation. Neben einigenwenigen Verbesserungen der Situation von Flüchtlingen manifestiert dasneue rot-grüne Zuwanderungsgesetz vor allem die Einordnung von Zuwanderernin die kapitalistische Verwertungslogik, indem es sie in nützliche undunnützliche Arbeitskräfte selektiert. Die Menschen, welche danndas Glück hatten, als der deutschen Wirtschaft nützlich definiertzu werden, sehen sich als nächstes mit einem Arbeitsrecht konfrontiert,wonach Arbeit zuerst an Deutsche, dann an EU-Ausländerinnen und erstdann an Menschen ohne EU-Pass vergeben werden soll.
So werden gemeinsame Interessen von Deutschen und Nicht-Deutschen gegeneinanderausgespielt. Strukturell und systembedingte Mißstände kaschiertund mögliche Widerstandskraft gespalten. Mit Deutschland als starkem„Burgfried“ suchen die EU-Staaten in einer Phase wirtschaftlicher Engpässeeine „Festung Europa“ zu schaffen, welche die wirtschaftliche und militärischeMacht der bisher dominierenden USA brechen und unerwünschte Flüchtlingströmeschon vorzeitig abwehren soll.
Einher geht diese Politik mit kontinuierlichem Abbau und Beschränkungenvon sozialen und anderen Grundrechten ,z.B. dem Grundrecht auf informelleSelbstbestimmung.
Soziale Mindeststandarts und Bewegungsfreiheit sind entbehrlich geworden,seit sie nach dem Untergang der Sowjetunion nicht mehr der kapitalistischenSystemrechtfertigung dienen müssen.
Am 14.9. wollen wir zeigen, dass es auch anders geht. Rassismus ist einegesellschaftliche Tatsache, vor allem aber eine menschliche und politischeKatastrophe.
Die Ausländerbehörden und Gerichte in Giessen sind Paradebeispieledes staatlich geförderten Rassismus Da wäre z.B. der Fall der aramäischenFamilie Kurter aus Leihgestern, die seit 10 Jahren in Hessen lebt. Diesesoll nach einem Urteil des Giessener Verwaltungsgerichtes abgeschoben werden.Begründet wurde dies damit, das die Familie in der westlichen Türkei(angeblich sicher) von Zuwendungen Verwandter aus der Bundesrepublikleben könne. Kompetente Beobachter, wie z.B Amnesty Internationalund sogar das Auswärtige Amt, bezeichnen die Situation von christlichenAramäern in der Türkei als gefährdet. Die Familie ist mittlerweilein der Lage, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und würdein der Türkei nicht nur in Gefahr, sondern auch sozialer Abhängigkeitleben. Kein Familienmitglied spricht Türkisch.
Der Fall des kurdischen Flüchtlings Hüseyin Vurucu, der Mitte der90er Jahre mit Frau und Kindern nach Stadtallendorf (Lk. Marburg-Biedenkopf)kam: Er war aus der Türkei geflohen, nachdem er vom türkischenStaat verhaftet und gefoltert worden war.
Als Folge litt Hüseyin Vurucu unter schweren posttraumatischen Störungen. Die psychatrischen Gutachten kommen zu einem eindeutigen Schluss:„Eine Rückkehrin die Türkei würde höchstwahrscheinlich eine weitere drastischeVerschlechterung der psychischen Verfassung nach sich ziehen“. Trotzdem bekamer keine ständige Aufenthaltserlaubnis sondern nur eine Duldung biser wieder Reisefähig gewesen sei. An seiner Krankheit und derpermanenten Unsicherheit, jederzeit wieder in den Folterstaat Türkeiabgeschoben werden zu können, zerbrach Hüseyin Vurucu und begingam 9. Februar 2002 Selbstmord. Die Familie soll nun in die Türkei abgeschobenwerden, da der Duldungsgrund, die Krankheit des Vaters, nicht mehr besteht.
Im Frühjahr dieses Jahres kam es erstmals zu einer Verhaftung einesFlüchtlings innerhalb der Giessener Ausländerbehörde. Wares bisher häufiger ,durch MitarbeiterInnen der Behörde, zu abwertendenund sogar sexistischen Äusserungen gekommen, Anträge z.B. auf Arbeitserlaubnis wurden endlos in die Länge gezogen und Eheschliessungen von MigrantInnenmit Deutschen per se als Scheinehen betrachtet, so wurde hiermit eine neueQualität erreicht, die es den Flüchtlingen endgültig unmöglichmacht, ohne Angst der für sie zuständigen Behörde gegenüberzu treten.
Dazu passt die Aussage eines Mitarbeiters, dass die Ausländerbehördekeine Dienstleistungs-, sondern eine Gefahrenabwehrbehörde sei.
Deutlicher kann der rassistische. Behördenalltag nicht demonstriert werden:
Flüchtlinge und Migranten werden als Gefahr betrachtet und als solche behandelt.
Eine angebliche Gefahr für den Wohlstand und die Sicherheit Deutschlands? Einen Wohlstand der nur durch die Ausbeutung der ärmeren Regionen dieserWelt möglich ist und der somit die Fluchtgründe selbst produziert.

Wir rufen auf zum Widerstand:
  • gegen den staatlichen Rassismus Deutschlands
  • gegen den gesellschaftlichen Rassismus Deutschlands Solidarität mit den Flüchtlingen.

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