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JEDEN TAG AN JEDEM ORT

Die Geschichte des A. Sis - Zum Beispiel Abschiebung


1. "Dramatisierung fehl am Platze ..."? - Zum Beispiel: Antisemitismus
2. Juden in Osthessen
3. Schändung jüdischer Einrichtungen
4. "Für Landfahrer verboten"- Zum Beispiel: Sinti/Roma in Bad Hersfeld
5. Die Geschichte des A. Sis - Zum Beispiel Abschiebung

Neben den Beispielen Antisemitismus und Antiziganismus mit ihrer langen Geschichte fällt das Beispiel Abschiebung ein wenig aus der Reihe. Obwohl das Thema Asyl etwas anderes ist, lassen sich in Bezug auf die alltägliche Fremdenfeindlichkeit Parallelen feststellen. So sind Flüchtlinge in Deutschland ebenso wie Sinti und Roma, zum Teil auch wie Juden, Opfer von Vorurteilen, ökonomischen Ängsten und häufig aggressiver Fremdenfeindlichkeit. Beispiele für die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen und das Auffangen der Vorurteile durch konservative und rechte Politiker und Kreise sind in diesem Buch zu finden, wie zum Beispiel der Beitrag über den Petersberger Kreis zeigt. Beschrieben wird an dieser Stelle die Geschichte der Abschiebung eines Kurden aus dem Kreis Hersfeld-Rotenburg, eine Geschichte, die so oder so ähnlich jeden Tag passiert. Verfaßt wurde der Text von Nadine Track.

Abdulhalim Sis wollte nicht. Damals, vor gut vier Jahren, hat er sich geweigert, als "Dorfwächter" für die türkische Regierung zu arbeiten. "Dorfwächter" sind zivile, jedoch bewaffnete Helfer der Regierung, die die Dorfbewohner im kurdischen Teil der Türkei unter Kontrolle halten und alle Kontakte zur PKK weitermelden sollen. Eigentlich verständlich für einen Kurden, der aus Idil an der syrischen Grenze stammt. Als Abdulhalim Sis von seiner drohenden Verhaftung erfuhr, versteckte er sich, bis er 1993 mit seiner Frau Nore und seinen zwei Kindern nach Deutschland flüchten konnte. Hier lebten sie in Bebra. Nach seiner Flucht wurde Abdulhalim Sis in Abwesenheit zu zwölf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Gefängnis in der Türkei ist wohlgemerkt etwas anderes als in Deutschland. Die Türkei ist laut amnesty international-Jahresbericht von 1996 ein Folterland.[17]

Als dann in Deutschland das Asylverfahren lief, erklärte das Gericht die Schriftstücke aus der Türkei, mit denen Sis seine Verfolgung und Verurteilung nachwies, für nicht echt. Es halfen auch keine Petitionen, weder die von Sis persönlich an den Hessischen Landtag, der sich nicht mit ihr beschäftigte, da er "grundsätzlich keine Petitionen gegen Gerichtsentscheidungen annehme"[18], noch die Bitten des Bad Hersfelder "Runden Tisches gegen Fremdenhaß" an das Verwaltungsgericht in Kassel oder an den hessischen Innenminister, Gerhard Böckel, die neu vorliegenden und auch die ersten Dokumente noch einmal zu prüfen. Der "Runde Tisch gegen Fremdenhaß" ist eine Zusammenarbeit von "Gruppen, Organisationen, Parteien und Personen, die sich gegen Diskriminierung, Verfolgung, Gewalt und die soziale und politische Ausgrenzung von Menschen wehren, die nicht Deutsche sind"[19] Nichtsdestotrotz wurde Sis schließlich in Abschiebehaft genommen. Daraufhin traten [20] seiner Freunde und Verwandten in den Hungerstreik, darunter auch seine hochschwangere Frau. Die Kurden hatten mit Erlaubnis des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bad Hersfeld dessen Büro in der Klausstraße symbolisch besetzt. Leider hatte diese Aktion auch keinen Erfolg, wenn mensch davon absieht, daß die Öffentlichkeit hellhörig wurde. Viele Faxe, die sich gegen die Abschiebung wandten, gingen bei verschiedenen Behörden ein.

Am 26. Februar 1997 wurde Abdulhalim Sis trotz der Proteste verschiedener Gruppen, z.B. NS-Deserteure, Opfer der NS-Justiz, PRO ASYL u.a., vom Frankfurter Flughafen aus abgeschoben. Seine Frau Nore hält sich mit ihren vier Kindern noch in Bebra auf. Die zwei Älteren sollen auch ausgewiesen werden, für die zwei in Deutschland geborenen Kinder läuft das Asylverfahren noch. Abdulhalim Sis hat sich das letzte Mal bei einer Zwischenlandung des Flugzeugs vom Balkan aus gemeldet. Seit seiner Ankunft in der Türkei haben weder seine Familie, noch seine Freunde oder die von seiner Abschiebung unterrichtete türkische Menschenrechtsorganisation IHD etwas von ihm gehört.

Eines zeigen die Beispiele, so subjektiv ausgewählt und unvollständig sie auch sind, allemal: fremdenfeindliches und ausgrenzendes Gedankengut ist, wie auch in Kapiteln diese Buches immer wieder deutlich wird, kein Einzelfall, sondern (leider) alltäglich. Erschreckend ist, daß ein junger Angehöriger des syrisch-orthodoxen Glaubens angesichts des Streits um den Bau eines Gemeindezentrums in Bebra, bei dem offene Fremdenfeindlichkeit zum Ausbruch kam, Vergleiche mit längst überwunden geglaubten Zeiten und Ansichten formulieren mußte: "Ich fühle mich ja schon fast wie im Dritten Reich ..."[21]

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