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KURZNACHRICHTEN ZU REPRESSIONSTHEMEN

2019


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November 2019
Neuerungen beim wichtigsten Mittel der Strafverteidigung
Der Bundestag hat auf Antrag der Bundesregierung einige Veränderungen der Strafprozessordnung beschlossen. So soll in den § 244 der StPO eine genauere Definition des Beweisantrages eingefügt werden: "Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll." Zudem wird die Möglichkeit einer Ablehnung mit behaupteter Nicht-Ernsthaftigkeit eines Beweisantrags geschaffen: "Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen." Wenn ein Beweisantrag ohne Gerichtsbeschluss abgelehnt wird, entfällt die Möglichkeit einer Rechtsfehlerüberprüfung. Das könnte die Verteidigung in Zukunft stark schwächen und lädt zum Missbrauch ein.

Soziales Verhalten wird bestraft – im Gefängnis
Wer im Gefängnis sitzt, ist abgeschnitten von Telefon und Internet, von vielen weiteren Informationsquellen, von ausgiebigen und unüberwachten Besuchen und meist auch von Anwält*innen - schließlich kosten die Geld, die viele im Knast nicht haben. Das alles schwächt die Möglichkeiten, sich gegen die Haftanstalt und andere Repressalien zu wehren.
Besonders schlimm ist aber, dass solidarische Unterstützung von Gefangenen untereinander von Seiten der Knastleitungen hart bekämpft werden. So nützt es Inhaftierten in der Regel nicht, wenn weitere Menschen eingesperrt sind, die ihnen Tipps geben oder sie beim Schreiben von Eingaben an Gerichte oder andere Institutionen helfen könnten. Denn soziales Verhalten wird nicht gefördert, sondern wer anderen hilft, wird mit Disziplinarstrafen belegt. Dabei wird als eines der wichtigsten Ziele des Strafvollzugs stets die Resozialisierung. Tatsächlich geht es aber um anderes: „Herr ... ist nicht bereit, sich durch unterwürfiges Verhalten dem Vollzug anzupassen.“ Mit diesem Satz lehnte der psychologische Dienst der JVA Rheinbach am 26.3.2010 die Unterbringung eines Gefangenen im offenen Vollzug ab.
Die Bestrafung gegenseitiger Hilfe schädigt nicht nur die Person, der dadurch wichtige Hilfen verloren gehe. Der § 73 Strafvollzugsgesetzes lautet: „Der Gefangene wird in dem Bemühen unterstützt, seine Rechte und Pflichten wahrzunehmen.“ Ohne weitere gesetzliche Grundlage wird genau das jedoch unterbunden. Auch die hilfsbereite Person wird geschädigt. In einem Bericht "Strafaktion gegen aufmüpfigen Gefangenen?" schrieb der Nordkurier am 13.7.2019: „Laut der Gefangenengewerkschaft GG/BO wurde Andreas B. zu zwei Wochen unter Einzeleinschluss verdonnert. Er dürfe drei Monate lang nicht arbeiten und außerdem sei ihm seine Schreibmaschine entzogen worden. ... Als Grund für die Disziplinarmaßnahmen gegen Andreas B. nennt das Justizministerium …: „Dem Strafgefangenen wird vorgeworfen, ohne Erlaubnis regelmäßig und in bedeutendem Umfang andere Gefangene rechtlich beraten und deren schriftliche Geschäftsbesorgung übernommen zu haben“ ... Damit habe Andreas B. gegen … die Pflicht zum geordneten Zusammenleben in der Anstalt verstoßen und die Ordnung in der Vollzugsanstalt gestört. Begründet wird dies so: „Rechtsberatende Tätigkeiten eines Strafgefangenen können Abhängigkeitsverhältnisse und Autoritätsstrukturen entstehen lassen, die geeignet sind, den Vollzugszweck und die Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu stören.“ … Das Ministerium räumt ein: Eine Straftat habe Andreas B. nicht begangen.“

Rassismus hinter Gittern
Auf de.indymedia.org/node/46957 findet sich ein Bericht über einen arabisch sprechenden Gefangenen, welcher alltäglichem institutionellen Rassismus ausgesetzt ist. Der Autor ruft darin auf: „Wir wissen, dass der gesamte Justizapparat mit vielen Faschist*innen besetzt ist. Was wir dagegen tun können, ist sie zu benennen und gegen sie zu agieren. Wenn ihr also von faschistischen Justizschweinen wisst, schreibt uns gerne Namen und was ihr sonst noch so wisst!“

Weitere Repression wegen G20 in Hamburg
Die Repression nach dem G20-Gipfel 2017 reißt nicht ab: Aktuell wurden 29 Anklageschriften an Aktivist*innen verschickt, die an einer von der Polizei zerschlagenen Demonstration im Industriegebiet „Rondenbarg“ teilgenommen hatten – bis zu 70 weitere könnten noch dazukommen. Der geplante Massenprozess ist nicht nur das strafrechtliche Nachtreten gegen Demonstrant*innen, die bei dem Angriff der Polizei zum Teil erheblich verletzt wurden, er ist auch der Versuch, das Versammlungsrecht weiter zu stutzen und entschlossenen Widerstand als solchen zu kriminalisieren. Dazu werden auch bei der Repression gegen Linke bisher unbekannte juristische Mittel wie der Vorwurf der Bildung einer „bewaffneten Gruppe“ ins Feld geführt. Mehr auf de.indymedia.org/node/48009.

Ein Richter rechnet mit Justizsystem ab
Binnensichten sind immer besonders spannend, schließlich erfährt mensch hier nicht nur aus erster Hand, wie es hinter den Kulissen läuft, sondern auch wie die Branche tickt – denn eine solche Sicht bedeutet ja, dass die*der Autor*in ebenfalls aus dieser stammt. So ist es auch im neuen Buch „Urteil: ungerecht“ von Thorsten Schleif (2019, riva in München, 208 S.). Einerseits werden viele Fälle geschildert, die den Glauben an unabhängige und an Wahrheitsfindung orientierter Justiz erschüttert kann. Dafür lohnt das Buch auch. Andererseits sieht Schleif die Richter (stets in männlicher Schreibweise, selbst in den Abschnitten, wo er von sexistischen Übergriffen gegen Frauen berichtet) mehr als Opfer im System Justiz, nennt zum Beispiel die Gehälter (laut Besoldungstabelle zwischen ca. 5000 und 13000 €) „erbärmlich gering“ und schimpft auf die politischen Rahmenbedingungen. Das ist nicht alles falsch, aber Jammern auf hohem Niveau, während Angeklagte bei ihm nur als Objekte und ganz am Rand auftauchen, wenn er beschreibt, wie er sich von den Kriminellen nicht beeindrucken lässt. Hinzu kommt, dass kaum Quellen zu den Fallbeispielen angegeben sind. Das alles macht das Buch nur bedingt brauchbar.

Oktober 2019
Politischer Ausschluss eines Verteidigers
Bereits etliche Male wurden Verteidiger*innen nach § 138, 2 der Strafprozessordnung wegen ihrer politischen Ansichten von Prozessen ausgeschlossen, oft auch nachträglich rausgeworfen. Eher selten richtet sich derartige Zensur gegen "echte" Anwält*innen. Genau das ist im Juni dem Anwalt Tronje Döhmer widerfahren. Am 5.7.2019 teilte er per Mail mit: Der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer Marburg hat am 7.6.2019 in einem Beschluss einem psychiatrisch Zwangsuntergebrachten dem von ihm gewünschten Pflichtverteidiger verwehrt. Als Grund wird dessen kritische Einstellung zu forensischen Kliniken benannt. Aus dem Beschluss: „Rechtsanwalt Döhmer hat nicht nur fortlaufend die Klinik und ihre Mitarbeiter in Schriftsätzen und in der mündlichen Anhörung vom 08.08.2018 - in Gegenwart von Vertreterinnen der Klinik - durch die nachgerade absurde Bezeichnung der Klinik (die für forensische Kliniken vergleichsweise kurze Behandlungsdauern aufweist und aus der jährlich eine Vielzahl von Patienten nach erfolgreicher und qualifizierter Behandlung mit positiver Prognose entlassen werden können) als „Verwahranstalt" bewusst provoziert und diffamiert.“
Der ausgegrenzte Verteidiger kommentierte seinen Ausschluss mit den Worten: „Der ausgeschlossene Verteidiger empfindet diesen Beschluss als Auszeichnung seiner intensiven (Vorbereitung von mehr 96 Fragen an den Sachverständigen) und unerwünschten Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren, in dem die Strafkammer trotz der vielen Hinweise tatsächlicher Art eine Aufklärung der angesprochenen Sachverhalte strikt und wie üblich ablehnte.“

Oberlandesgericht München bestätigt Verurteilung wegen Containerns
Es ging der von den Anwälten eingebrachten Revision gegen eine Verurteilung am Amtsgericht Fürstenfeldbruck um die Frage, ob zum Verderb weggeworfene Lebensmittel noch eine*n Eigentümer*in haben oder „herrenlos“ sind und daher nach § 958 BGB angeeignet werden dürfen. Wer Lebensmittel in die Abfalltonne wirft, will die Sachen nicht mehr selbst verwerten – und auch andere können das nach kurzer Zeit nicht mehr, da die Substanz nicht erhalten bleibt. Daher müsste § 959 gelten: „Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt.“ Doch das OLG schrieb Eigentumsrechte fest, die über den gesetzlichen Wortlaut hinweg gehen und bestätigte damit, dass mensch weiterhin durch Strafgesetze gezwungen sein soll, das Vergammeln von Lebensmitteln tatenlos hinzunehmen.
Anders verlief am 26. März ein Prozess in gleicher Sache vor dem Amtsgericht Hannover. Während der Gerichtsverhandlung wurde der Strafantrag von der Marktleitung zurückgenommen. Im Zuge dessen sah die Staatsanwaltschaft von der weiteren Verfolgung ab und verneinte das öffentliche Interesse. Die Richterin verwies in ihrem Freispruch auf die lobenswerten Motive der Lebensmittelrettung und stellte sie in den Kontext globaler Klimabewegungen. Mehr auf olchiscontainern1.blogsport.de/

Schwarzfahrprozess in München: Einstellung erster Klasse
Das gleiche OLG, welches die Strafbarkeit des Containerns feststellte, hatte schon einige Monate vorher sein engstirniges Festhalten an unsinnigen Gesetzesauslegungen zum Sichern von Profit und Privateigentum gezeigt: Es hob einen Freispruch für demonstratives Fahren ohne Fahrschein auf und erweiterte unzulässig den entsprechenden Strafparagraphen 265a StGB. Die Wiederholungsveranstaltung am Landgericht München führte aber nicht zur Verurteilung. Es gelang Angeklagtem und Verteidiger wieder, die Behauptungen von Staatsanwalt und OLG zu erschüttern. Die Folge war eine Einstellung – und zwar auf Staatskosten. Für München und Umgebung wackelt die Strafbarkeit dieser Art des Fahrens und Werbens für den Nulltarif damit erheblich (genauer auf www.schwarzstrafen.siehe.website).

Räumung des Hambacherforstes im Herbst 2018 rechtlich mehr als zweifelhaft
Nach der gerichtlich erzwungenen Offenlegung von Gutachten der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zur rechtlichen Einschätzung des wochenlangen Einsatzes im besetzten Wald hat der WDR diese analysiert und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Zwei jetzt erst öffentlich gemachte Gutachten von damals belegen, was viele immer vermutet haben: Die Landesregierung wollte RWE den Weg für die Rodung im Forst frei machen, die fehlende Bausicherheit der Baumhäuser war nur ein Vorwand.“ (Quelle: blog.wdr.de/landtagsblog/die-wahrheit-ueber-raeumung-des-hambacher-forst/). Die Gutachten wurden vor der Räumung erstellt und sollten Begründungen des offenbar bereits geplanten und politisch gewollten Einsatzes liefern. Der WDR über die am 9. August 2018 erstellte Expertise zur Frage, wie ein Einsatz der Polizei zu rechtfertigen wäre: „Das Gutachten hat es in sich. Belegt es doch eindrücklich, wie händeringend die Landesregierung nach auch nur irgendeinem Rechtsgrund suchte, mit dem sich eine Räumung im Hambacher Forst durch die Polizei doch noch begründen ließe.“ Im zweiten Gutachten ging es um das Finden baurechtlicher Begründungen. Der WDR resümierte: „Vor allem das erste Gutachten vom 9.8.18 macht klar: Das Ziel war eindeutig die Räumung des Hambacher Forst. Um dem RWE gleich zu Beginn der Rodungssaison die Möglichkeit zu geben, im Hambacher Forst tabula rasa zu machen. Und dafür wurde eine Begründung gesucht.“ Die öffentliche Darstellung der Landesregierung sei aber eine völlig andere gewesen, fügte der Sender an.

Tipps zum Schutz vor Online-Überwachung
In unschöner Schnelligkeit legen Justiz und Überwachungsapparate nach bei technischen und rechtlichen Möglichkeiten für die Überwachung von Telefon und Internet. Zwar gibt es wirksame Gegenmittel, aber die hinken den Entwicklungen immer ein bisschen hinterher. Einer der ehemals besten Hacker der Welt und heutiger Tester von Sicherheitssystem, Kevin D. Mitnick, hat mit dem Buch „Die Kunst der Anonymität im Internet“ eine unterhaltsame und detailreiche Darstellung der Bedrohungen und Möglichkeiten des Schutzes verfasst (2018, mitp-Verlag in Frechen, 318 S., 24,99 €). Die Kapitel drehen sich um geknackte Passwörter, abgehörte Telefonate, Drohmails und mitlesende Chefs.

Gerichtsprozess-Training
Wer üben will, wie ein Strafverfahren mit formalen und kreativen Mitteln abgewehrt werden kann, hat am vierten Advent die Gelegenheit dazu. In der Projektwerkstatt Saasen findet ein Prozesstraining statt, bei dem neben Rechtsfragen ein kompletter Verlauf durchgespielt wird (www.prozesstipps.siehe.website).

August 2019
Neue Rechtsbroschüre für Aktionen in NRW
In Nordrhein-Westfalen hat sich die Repressionslage in den vergangen Monaten weiter zum Schlechten verändert: Mit dem neuen Polizeigesetz gelten verschärfte Regelungen, beispielsweise bis zu 7 Tage Gewahrsam bei aktivem Verweigern der Personalien oder bei der Nicht-Befolgung von Platzverweisen. Deshalb hat AntiRRR (neue Homepage antirrr.nirgendwo.info) die Broschüre für Aktionen in NRW überarbeitet, die hier zu finden ist: antirrr.nirgendwo.info/files/2019/05/rechtsbroschuere_nrw_mai_2019.pdf.

Kritik von EU: Deutsche Justiz nicht unabhängig
Der EuGH (Europäischer Gerichtshof) hat den deutschen Staatsanwaltschaften verboten, EU-Haftbefehle auszustellen und rückwirkend die schon ausgeschriebenen für ungültig erklärt. Etwa 5600 von deutschen Staatsanwaltschaften ausgestellte EU-Haftbefehle sind damit vom Tisch. Die Begründung ist eindeutig: Die deutschen Staatsanwaltschaften seien nicht unabhängig, was vom europäischen Recht allerdings vorgeschrieben ist.
Im Artikel "Entfesselt die deutsche Justiz!" schreibt die Süddeutsche Zeitung am 31.5.2019: „Die Gesetze, auf deren Grundlage Staatsanwaltschaften hierzulande arbeiten, sind steinalt; sie entsprechen seit Langem nicht mehr den EU-Standards. Stellung und innere Struktur der Staatsanwaltschaft werden im Gerichtsverfassungsgesetz definiert, nach Regeln, die das ehrwürdige Alter von 139 Jahren erreicht haben. Deswegen sind die uralten Bilder von der Staatsanwaltschaft noch immer beliebt: Sie sei die "Kavallerie der Justiz". Das stimmt auch in gewisser Weise: Eine zu Pferd kämpfende Truppe gab es noch, als die heute geltenden Arbeitsregeln für die Staatsanwaltschaft geschaffen wurden. Pferde liegen am Zügel; Staatsanwälte auch - sie sind extern und intern weisungsgebunden. Intern: an Weisungen des Behördenchefs. Extern: an Weisungen des Ministers. ... Das politische Weisungsrecht gehört zu den Geburtsfehlern der deutschen Staatsanwaltschaft. Sie verdankt ihr Leben "dem Bedürfnis der Regierung, sich jederzeit Einfluss auf die Strafrechtspflege zu sichern". So schrieb die Juristenzeitung schon zur Weimarer Zeit. Dieser Einfluss kann sich auf verschiedene Weise äußern. Erstens: Es wird nicht ermittelt, wo ermittelt werden müsste. Zweitens: Es wird ermittelt, wo nicht ermittelt werden dürfte. Drittens: Es werden notwendige Ermittlungen wieder abgewürgt.“ (Quelle: www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-prantl-deutsche-justiz-unabhaengigkeit-europaeischer-gerichtshof-1.4469352)

Rechtstipps für Minderjährige bei Aktionen
Für Menschen unter 18 Jahren (also Minderjährige auf jura-deutsch) gelten im rechtlichen Bereich einige Besonderheiten. Das führt immer mal wieder zu besonderen Schwierigkeiten. Die folgenden Hinweise dazu stammen aus dem Newsletter „Klima-Antirepression Nr. 9, Juni 2019“.
Wenn die Polizei dich kontrolliert und du Personalien angibst: Da deine Eltern oder Erziehungsberechtigten das Recht haben deinen Aufenthaltsort zu bestimmen, kann es sein, dass sie dich mitnehmen und versuchen, dich zu deinen Eltern zurück oder zum Jugendamt zu bringen (→ §35 Abs. 2 Polizeigesetz NRW) oder zumindest sie anzurufen und zu fragen, ob du dich dort aufhalten darfst. Wenn du von der Polizei bei Aktionen mitgenommen wirst, rufen die in der Regel deine Eltern an, damit sie dich abholen. Schlau ist sich vorher zu kümmern: Wenn deine Eltern das unterschreiben, kann die Erziehungsberechtigung oder auch nur das Recht dich abzuholen auch auf andere Erwachsene übertragen werden.
Wenn du Personalien verweigerst: Wenn die Polizei dir glaubt, dass du minderjährig bist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie dich in eine Jugendeinrichtung bringen. In einer solchen Einrichtung darfst du nicht eingesperrt werden.
Du kannst also von dort einfach gehen, sobald die Polizei weg ist. In der Praxis gab es sehr unterschiedliche Erfahrungen wie das mit dem „einfach weggehen“ war: Teilweise einfach, aber manchmal wurden z.B. persönliche Sachen weggeschlossen oder das Abhauen ging erst am nächsten Morgen. Wenn du als unter 14 Jahre durchgehst, bist du nicht strafmündig, das heißt, die Polizei kann auch wenn sie dir Straftaten vorwirft, dich nicht in Untersuchungshaft stecken.
Vorladung und Verhör: Unter 14-Jährige dürfen offiziell nicht verhört werden, aber auch bei jeder anderen Vernehmung von Minderjährigen haben Eltern ein Anwesenheitsrecht. Vorladungen zur Polizei kommen deshalb immer auch an deine Erziehungsberechtigten. Da gibt es dann oft zusätzliche Repression (aka Druck) durch deine Eltern, die vielleicht wollen, dass du der Polizei alles erklärst. Du hast aber auch als Minderjährige*r ein Recht die Aussage zu verweigern. Das bleibt sinnvoll, weil du damit keine Informationen an die Cops lieferst um dich zu verfolgen – auch wenn es vielleicht schwer ist, das den Eltern zu erklären.
Gerichtsverfahren: Wenn du angeklagt wirst, ist anders als bei Erwachsenen nicht das Gericht am Tatort, sondern an deinem Wohnort zuständig für dich – oft eine besondere Herausforderung bei der Solidaritätsarbeit. Außerdem finden Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Erziehungsauftrag des Gerichts führt dazu, dass neben Moralpredigten auch andere Strafen verhängt werden können, z.B. das Schreiben eines Aufsatzes, bestimmte Orte nicht mehr aufzusuchen, Sozialstunden abzuleisten, ein Anti-Gewalt-Training zu besuchen oder Ähnliches. Anwält*innen müssen über deine Eltern beauftragt werden.
Haftung: Im Zivilrecht, z.B. bei Schadensersatzforderungen von Konzernen wegen Aktionen, kann es theoretisch sein, dass deine Eltern haften, allerdings nur wenn sie die Aufsichtspflicht verletzt haben und sie in dem Moment erziehungsberechtigt waren. In der Praxis wird das unterschiedlich ausgelegt.

Sich schützen im Internet
In unschöner Regelmäßigkeit legen Justiz und Überwachungsapparate nach bei technischen und rechtlichen Möglichkeiten für die Überwachung von Telefon und Internet. Zwar gibt es wirksame Gegenmittel, aber die hinken den Entwicklungen meist ein bisschen hinterher. Einer der ehemals besten Hacker der Welt und heutiger Tester von Sicherheitssystem, Kevin D. Mitnick, hat mit dem Buch „Die Kunst der Anonymität im Internet“ eine unterhaltsame und detailreiche Darstellung der Bedrohungen und Möglichkeiten des Schutzes verfasst (2018, mitp-Verlag in Frechen, 318 S., 24,99 €). Die Kapitel drehen sich um geknackte Passwörter, abgehörte Telefonate, Drohmails und mitlesende Chefs.

Mai
Schlimme Verhältnisse in der Zwangspsychiatrie
Im März 2019 veröffentlichte das Team Wallraff nach langer Undercover-Recherche in mehreren Psychiatrien einen Fernsehbeitrag mit vielen Beispielen. Nicht alles konnte gezeigt werden, denn die Ausstrahlung wurde mit allen Mitteln bekämpft. Ausgerechnet der Staat, der eigentlich Grundrechte wahren soll, kam seinen Repressionsstätten mehrmals zur Hilfe und zerstörte bzw. entwendete bei Hausdurchsuchungen etliche Filmdateien. Leider ist die Reportage nicht frei zugänglich, da sie auf RTL ausgestrahlt wurde. Erreichbar sind ein Teilbericht über Beschlagnahmen und vorherige Einblicke (www.rtl.de/cms/team-wallraff-undercover-reporter-bei-psychiatrie-recherche-aufgeflogen-4309956.html) und ein Teilbericht über Isolationshaft und Zwang in Jugendheim (www.rtl.de/cms/team-wallraff-missstaende-in-einrichtung-fuer-psychisch-kranke-jugendliche-4309848.html).
In einer Rundmail fasste das Werner-Fuss-Zentrum die Reportage und deren Folgen zusammen: Am Montagabend haben 1,55 Millionen der 14- bis 49-Jährigen in RTL von 20.15 - 22.30 Uhr Team Wallraff undercover in Psychiatrien und Jugendhilfe gesehen. Inklusive der Über-50-Jährigen sahen die Folge insgesamt 2,74 Millionen! Leider wurde wie immer eine "bessere Psychiatrie" beschworen, ein "guter" Psychiater kommentiert, ohne dass der Schritt gemacht wurde, die Struktur der Zwangspsychiatrie aufzudecken, dass das Einsperren der Anfang allen Übels ist. "Die Recherchen mit verdeckter Kamera sorgten für Unruhe. Im Vorfeld habe es so viele juristische Androhungen gegeben wie nie zuvor. “Wir haben bis kurz vor der Sendung fast 30 juristische Eingaben erhalten”, erklärt Rechtsanwältin Eva Pipke auf Nachfrage. “Es handelt sich dabei auch um zahlreiche Abmahnungen gegenüber der für die Sendung zuständigen Produktionsfirma infoNetwork GmbH und den einzelnen Undercover-Redakteuren ...” “Aufgrund der enormen Missstände, die wir aufgedeckt haben, hatten wir uns dafür entschieden, trotz des Gegenwindes zu veröffentlichen”, erläutert Pipke. Sie betont: “Wir sind froh, denen eine Stimme verliehen zu haben, denen lange Zeit keiner zugehört hat und zwar Patienten und Mitarbeitern.” (Zitate: meedia.de/2019/03/19/team-wallraff-droht-erneut-aerger-rtl-doku-ueber-missstaende-in-psychiatrien-koennte-juristische-nachspiele-haben/)
Das Medienecho auf diese Sendung war groß. Der Stern titelte: „Eingesperrt in der Gummizelle: Undercover-Reporter zeigen untragbare Zustände in Psychiatrien“. Bild trug die Schlagzeile: Horrende Zustände in Psycho-Kliniken - „Wallraff“-Ausstrahlung sollte verhindert werden. Im RTL-Beitrag wurde Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah zum Unrecht in der Forensik interviewt. Er berichtete darin auch, wie er einen Mandanten frei bekam. Das Interview usw. ist auf youtu.be/KHr7kTgOs5I zu sehen.

Vortragsreihe von Psychiatrie Impulse Darmstadt
Über „Menschenrechte und Psychiatrie in Deutschland“ referierte Prof. Volkmar Aderhold von der Uni Greifswald am 3.12.2018 in Darmstadt. Der sehenswerte Vortrag enthält viele Zahlen und Berichte über die Verhältnisse hinter Mauern und Stacheldraht. Er ist auf youtu.be/GZxIrpj1xYg aufrufbar. Ebenfalls online verfügbar ist der in der gleichen Reihe gehaltene Vortrag vom 19.09.2018 zum Thema "Mit betreutem Wohnen in die Chronifizierung? Abhängigkeit statt Autonomie?" (youtu.be/xj3UrTArj4o).

Aktionsschwarzfahrprozesse: Unklarer denn ja
Der Freispruch für die bisher spektakulärste Aktionsschwarzfahrt (5 Leute, mit Megafon, Flyer, Schildern und Transpi – angekündigt in der Presse und begleitet von Bundespolizei) in München ist vom Oberlandesgericht aufgehoben worden. Die Verhandlung am 12.4. war ziemlich kurz. Das Urteil war - wie üblich - schon vorher geschrieben und wurde nach etwas Geplänkel vorgelesen. Es enthielt eine gravierende Umdeutung des Erschleichungsparagraphen. Danach müsse die offene Kennzeichnung bereits vor der eigentlichen Leistung, die erschlichen würde, geschehen. Der entscheidende Satz im Urteil des OLG München vom 12.4.2019 (Az. 5 OLG 15 Ss 396/18): "Für die Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten bzw. den hierdurch gesetzten Anschein kommt es allein auf sein Verhalten am Bahnsteig beim Besteigen des abfahrbereiten Zuges an." Diese Sichtweise widerspricht dem Gesetzeswortlaut und allen Fach- und Gesetzeskommentaren, die verfügbar sind. Das Gericht setzte eigene Maßstäbe und erhob sich zur gesetzesschaffenden Kraft, also zur Legislative. Das Verfahren geht weiter.
Hingegen wurde der Prozess in Gießen (siehe Rechtsticker in der Maiausgabe) auf Staatskosten eingestellt. So unterschiedlich handeln Gerichte (www.schwarzstrafen.siehe.website).

Neue Fälle von Justizwillkür
„Schreiend ungerecht“ nennt Burkhard Benecken sein Buch über „alltägliche Justizskandale in Deutschland“ (2019, riva in München, 301 S.). Er hat darin Fälle aus seiner Anwaltspraxis zusammengestellt, die haarsträubend verlaufen sind oder, wie in vielen Fällen, die Auswirkungen eines überlasteten Justizapparates zeigen. Auch Anwälte bekommen ihr Fett weg. Zwar arbeitet der Autor belegfrei, was die Qualität des Buches fraglos schmälert. Aber seine Beschreibungen ähneln dem, was auch andernorts den Alltag der Justiz ausmacht. Nur in einem, allerdings sehr wesentlichen Punkt verliert das Buch seine Brauchbarkeit. Der Autor verzichtet auf eine Analyse, wieweit die krasse Hierarchie, die zwischen Robenträger*innen und deren Opfern (von Betroffenen über Zeug*innen bis Angeklagten mit Angehörigen) herrscht, zum Auslöser von Ungerechtigkeiten und Willkür wird.

Rechtstipp des Monats: § 25 StVO schafft Platz für Gehzeuge
Eine schöne Idee für kleine Aktionen, aber auch als Teil größerer Blockaden: Ein Mensch geht mit einem Holzrahmen in Autogröße auf der Straße und zeigt damit, wie viel Platz autofahrende Menschen einnehmen. Machen das mehrere auf getrennten Straßen, entsteht ein deutlicher Effekt. Genutzt wird der § 25 Straßenverkehrsordnung, dessen Absatz 2 lautet: „Wer zu Fuß geht und Fahrzeuge oder sperrige Gegenstände mitführt, muss die Fahrbahn benutzen, wenn auf dem Gehweg oder auf dem Seitenstreifen andere zu Fuß Gehende erheblich behindert würden. Benutzen zu Fuß Gehende, die Fahrzeuge mitführen, die Fahrbahn, müssen sie am rechten Fahrbahnrand gehen; vor dem Abbiegen nach links dürfen sie sich nicht links einordnen.“ Das Gehzeug ist also völlig legal unterwegs. Zwei oder mehr im Pulk bilden eine Versammlung – das geht auch, spontan oder mit Anmeldung.

März
Kohle erSETZEN 2017 – Antirepressionsstrategie erfolgreich
Kohle erSETZEN blockierte 2017 das Braunkohlekraftwerk in Neurath. Zahlreiche Aktivist*innen bekamen hohe Bußgeldforderungen (teilweise 500 Euro). Die Bilanz nach anderthalb Jahren: Widerspruch lohnt sich. Zwei Verfahren wurden vom Amtsgericht Grevenbroich in der Höhe deutlich reduziert (auf 100 Euro), weitere Reduzierungen folgten dann im Schriftverkehr. Einige Bußgelder wurden leider komplett gezahlt und einige der Verfahren, bei denen Einspruch eingelegt wurde, sind vermutlich verjährt, weil es sechs Monate lang keinerlei Aktivität in den Verfahren gab. Das einzige Strafverfahren wegen Nötigung und Verstoß gegen das Versammlungsrecht als angebliche Versammlungsleitung wurde eingestellt.
Die Soli-Gruppe von Kohle erSETZEN empfiehlt deshalb für zukünftige Aktionen:
- Solidaritätsarbeit zahlt sich auch finanziell aus.
- Bei großen Aktionen zivilen Ungehorsams wird immer nur ein kleiner Teil der Beteiligten verfolgt - mehr würde die Behörden überlasten.
- Rauszögern und Arbeit machen ist bei Ordnungswidrigkeiten mit ihrer kurzen Verjährungsfrist eine gute Strategie.
- Den Gerichten Arbeit zu machen, schützt andere, deren Verfahren noch laufen.

Hambi-Räumung und der Umgang damit
Die Räumung im Hamacher Forst hat auch Antirepressionsstrukturen stark beschäftigt: Rund um die Uhr mit mehreren Leuten am Telefon, über einen Monat fast täglich Gefangene und ständig Schikanen und Rechtsbrüche durch die Cops. Für den Zeitraum von Ende August bis Ende September gibt es eine Zusammenfassung vom aktiven Ermittlungsausschuss mit zahlreichen besonders krassen Vorfällen: antirrr.blogsport.de/2018/10/02/rueckblick-repression-im-und-um-den-hambacher-forst-ende-august-ende-september-2018/
Viele Menschen haben krasse Polizeigewalt erlebt. Die Rechtshilfegruppe AntiRRR glaubt, dass Öffentlichkeit und Teilen der Erfahrungen dafür sinnvoll sind, möchte Erfahrungsberichte von Polizeigewalt sammeln und anonymisiert veröffentlichen. Wer etwas berichten möchte, kann (am besten verschlüsselt) eine E-mail schreiben an legalsupporthambi@riseup.net.
Es kursiert allerdings auch ein Aufruf die Erfahrungen vor Gericht zu bringen und eidesstaatliche Versicherungen zu hinterlegen, um die Cops anzeigen zu können. AntiRRR hält das für hochgradig gefährlich und politisch nicht sinnvoll, da sie Strafe den falschen Weg finden, mit Konflikten umzugehen und Polizist*innen sowieso nicht verurteilt werden. Auch bei anderen Vorfällen wurde darüber diskutiert, Menschen der Gegenseite (RWE, Polizei) anzuzeigen. AntiRRR hat deshalb ausführlich aufgeschrieben, warum sie Strafanzeigen den falschen Weg finden. Der Text „We dont talk to cops“ steht unter antirrr.blogsport.de/2019/01/16/we-dont-talk-to-cops-zu-strafanzeigen-und-aussageverweigerung/

Erste Ankettblockade eines Kohlezuges bleibt straffrei
Es war die erste Ankettblockade eines Kohlezuges. Im August 2012 kettete sich eine Gruppe von fünf Aktivisten mit Unterstützung weiterer, unbekannt gebliebener Personen, auf der damaligen Hambachbahn fest und legte so für mehrere Stunden die Transportstrecke für Braunkohle vom Tagebau in das Kraftwerk Niederaußem lahm. Das Besondere an der Aktion: Es war die erste ihrer Art, und sie hatte gleich zwei Ziele. Zum einen sollte sie Debatte um Klimawandel und Kohleausstieg befeuern, die damals noch ganz am Anfang stand. Zum anderen aber sollte sie der noch zaghaften Klimabewegung Mut machen, über symbolische Aktionen hinauszugehen. Nicht zufällig fand die Blockade kurz nach der Besetzung des Hambacherforstes statt. Beide und dann folgend viel weitere solcher direkten Aktionen hoben den Protest auf ein neues Niveau, welches sich bis heute immer weiter gesteigert und inzwischen zu einem - nicht ausreichenden - Ausstiegsszenario der vor einigen Jahren noch kohlefreundlichen Politik geführt hat.
"Der Rückzieher des Gerichts ist eine Einstellung erster Klasse", heißt es von den ehemals Angeklagten. Denn sie erfolge voll auf Staatskosten. Ankläger und Gerichte hätten erkennbar Angst gehabt vor der geplanten offensiven Strategie vor Gericht. Vorgeworfen war nämlich eine Störung von Betrieben der Daseinsvorsorge. Die Angeklagten und ihre Rechtsbeistände wollten beweisen, dass das Kraftwerk dafür nicht notwendig war und ist. Stattdessen gefährde es das Dasein. "Unser Ziel wäre ein Freispruch gewesen - weil Braunkohleverstromung nicht nur unnötig ist, sondern sogar schädlich ist." Einen solchen Erfolg wünschen die Aktivisten von 2012 nun all denen, die seitdem wegen vieler weiterer Aktionen vor Gericht gestellt würden. "Freispruch für alle und Kohleausstieg sofort - das bleibt unser Ziel und Wunsch. Wir ketten uns weiter an, wo es nötig ist! Schafft 1, 2, 3 ... viele Hambis - nicht nur beim Klimaschutz!"
Die Einstellung: www.projektwerkstatt.de/media/text/kohle_strafrecht_190213einstellung.pdf
Internetseite nach Erhebung der Anklage: www.projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=2&p=14017

Mal wieder in Gießen: Prozess um Schwarzfahren
Seit einigen Jahren schien in Gießen der vielerorts tobende K(r)ampf um die Frage gekennzeichneten, also nicht „erschlichenen“ Fahrens ohne Fahrschein entschieden. Wer mit Hinweisschild und Flyerverteilen unterwegs war, hatte nur die 60 Euro Nachlösegebühr zu zahlen und kam auch da herum, wenn das Einkommen unter den Pfändungsgrenzen lag. Nun aber ist doch wieder eine Anklage erhoben worden. Es ist ein besonderer Fall - nicht so sehr aus politischer Sicht, sondern vom Verhalten der Bahn her. Der Antrag auf Pflichtverteidigung wurde abgelehnt - die Rechtslage sei einfach (und das bei diesem Thema!). Termin: 4. Juni 2019 im Amtsgericht Gießen, Gutfleischstr. 1, Raum A 204.

Kopien von Gerichtsprotokollen und Entscheidungen sind kostenfrei
Das wissen auch Gerichte nicht immer, daher seit es hier einmal dokumentiert. Im Kostenverzeichnis Anlage 1 (zu § 3 Abs. 2) zum Gerichtskostengesetz (dort Teil 9 Nummer 9000, vormals § 136 Abs. 4 der Kostenordnung) heißt es: „Frei von der Dokumentenpauschale sind für jede Partei, jeden Beteiligten, jeden Beschuldigten und deren bevollmächtigte Vertreter jeweils 1. eine vollständige Ausfertigung oder Kopie oder ein vollständiger Ausdruck jeder gerichtlichen Entscheidung und jedes vor Gericht abgeschlossenen Vergleichs, 2. eine Ausfertigung ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe und 3. eine Kopie oder ein Ausdruck jeder Niederschrift über eine Sitzung.“

Januar
Jugendstrafrecht
Das Jugendstrafrecht ist eine Sonderform des normalen Strafrechts. Grundsätzlich werden dieselben Gesetze wie beim sonstigen Strafrecht angewendet, also vor allem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. Anders als beim Erwachsenenstrafrecht wird aber zusätzlich das Jugendgerichtsgesetz (kurz: JGG) benutzt. Dieses ergänzt die anderen Gesetze um eine Reihe von Vorschriften, setzt aber auch ein paar Paragraphen in diesen Gesetzen außer Kraft. Der Grundgedanke des JGG ist die Annahme, dass junge Menschen von der Justiz leichter beeinflusst werden können, und daher besonderen Wert auf ihre Erziehung im Sinne der vom Staat gemachten Gesetze gelegt werden soll.
Auf der neuen Unterseite von www.prozesstipps.siehe.website (www.projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=2&p=20903) werden die wichtigsten Unterschiede zum Erwachsenenstrafrecht beschrieben.

Rechtstipps des Monats: Subversiver Rechtsgebrauch im Auto- und ÖPNVerkehr
Gesetze sollen Menschen auf eine definierte Normalität fixieren. Sie spiegeln die realen Machtverhältnisse, aus denen sie hervorgehen, sind also vor allem Ausdruck der Interessen herrschender Eliten, mitunter aber auch des Aufbegehrens der Unterprivilegierten. In der hiesigen Gesellschaft, dessen Ordnung von staatlicher Herrschaft und dessen Wirtschaften von Profiten getrieben sind, dienen die Gesetze überwiegend diesen Zielen. Doch manch Formulierung lässt interessante Möglichkeiten zu, an die die Erschaffer*innen der Gesetze vermutlich nicht gedacht haben. Das genau ist subversiver Rechtsgebrauch – mit Berufung auf Gesetze deren Wirkung im Sinn verkehren oder ganz bzw. teilweise aufheben.
Bei Aktionen zum Thema Mobilität werden bislang neben dem Versammlungsrecht, welches die Straßenverkehrsordnung außer Kraft setzt (für Ort und Dauer der Demo), drei Paragraphen auf eine solche Art genutzt. Der § 27 der Straßenverkehrsordnung (StVO) dient z.B. den Critical-Mass-Aktionen, denn er erlaubt das Fahren im Verband ab 16 Personen. Die gesamte Gruppe, in der Radler*innen auch nebeneinander fahren dürfen, wird wie ein Fahrzeug gewertet, kann also als Kolonne geschlossen über Kreuzungen fahren oder gemeinsam abbiegen. Deutlichere Wirkung entfaltet der § 25 StVO: „Wer zu Fuß geht und Fahrzeuge oder sperrige Gegenstände mitführt, muss die Fahrbahn benutzen, wenn auf dem Gehweg oder auf dem Seitenstreifen andere zu Fuß Gehende erheblich behindert würden.“ Das lässt sich nutzen – für die sogenannten Gehzeuge. Ein Mensch geht mit einem Holzrahmen in Autogröße auf der Straße und zeigt damit, wie viel Platz autofahrende Menschen einnehmen. Machen das mehrere auf verschiedenen Straßen, entsteht ein deutlicher Effekt – völlig legal.
Viel diskutiert wird inzwischen der § 265a des Strafgesetzbuches zum „Schwarzfahren“. Auszug: „Wer ... die Beförderung durch ein Verkehrsmittel ... in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird … bestraft“ – also nur, wer heimlich handelt. In Gießen und München gab es für Aktionen mit Hinweisschild und Flyerverteilen bereits Freisprüche am Landgericht. Die 60 € sind trotzdem fällig (sind keine Strafe, sondern erhöhter Fahrpreis), aber nur wenn mensch über den Pfändungsgrenzen verdient (zur Zeit ca. 1170 € pro Monat). Genauer auf www.schwarzstrafen.siehe.website!

Revisionsverhandlung zum Schwarzfahr-Freispruch in München
In der Oktoberausgabe berichteten wir von der Revision, die die Staatsanwaltschaft München eingelegt hat, um einen Freispruch für offen sichtbares Schwarzfahren doch noch zu kippen. Dabei bestreiten auch die staatlichen Verfolger nicht, dass der Angeklagte demonstrativ und klar erkennbar agierte. Sie meinen aber, eine Beförderung beginne schon mit dem Betreten der Bahn und nicht erst mit der Abfahrt des Zuges. Setzt sie sich mit dieser absurden Rechtsauffassung durch, beginge jede*r eine Straftat, die*der zu einem Fahrkartenautomaten oder zwecks Lösens einer Fahrkarte z.B. im ICE in die Bahn einsteigt. Geht die Revision verloren, wäre endlich auf hoher Gerichtsebene die Variante des straffreien Schwarzfahrens bestätigt. Die Verhandlung ist für den 12.4. um 10 Uhr am OLG München (Saal A 22) angesetzt und öffentlich. Infoseite: www.schwarzstrafen.siehe.website.

Monetäre Repression
Der Stadt ist mit seinen Buß- und Strafgeldern nicht der einzige, der mensch in die Tasche greifen will. Das machen auch Privatunternehmen oder gar Anwaltskanzleien, die darauf oft spezialisiert sind. Haustürgeschäfte, Onlineformulare, Gutscheinversprechen, Inkassoforderungen … solche und andere Formen von alltäglichen Versuchen, an fremdes Geld zu kommen, können eine*n dabei schnell übertölpeln oder sogar betrügerisch um einiges Vermögen erleichtern. Da lohnt es sich, genau hinzugucken, die eigenen Rechte zu kennen und zu wissen, wie mensch sich wehren kann. Das Büchlein „Vorsicht, Abzocke!“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2014, in Düsseldorf, 144 S., 9,90 €) hilft dabei mit kurzen, übersichtlichen Kapiteln zu den wichtigsten Formen der Abzocke. Im Anhang helfen einige Musterbriefe beim praktischen Vorgehen.

Daten schützen
Überall im Netz werden kommunikative Plattformen, soziale Netzwerke und andere Seiten angeboten, bei denen die Nutzer*innen zum Mitreden, zur Selbstdarstellung, Verknüpfung mit anderen Menschen oder Download z.B. von Software Angaben zu sich selbst machen sollen. Viele tun das freiwillig, andere notgedrungen. Beide treiben damit eine riesige Datenverarbeitungsindustrie an, denn ob als platte Daten über potentielle neue Kund*innen oder strategisches Wissen zu Kauf- und Onlineverhalten sind all diese Infos viel Geld wert. Das Buch „Kämpf um Deine Daten“ von Max Schrems (2014, edition a in Wien, 223 S., 19,90 €) klärt über die Machenschaften auf. Leider stellt der Autor den Staat als hilflose Gegenmacht dar. Das ist Quatsch. Der Staat war und ist Wegbereiter des totalen Kapitalismus, auch im Internet. Konzerne erhalten von ihm ihre Macht – genauso wie Polizei, Justiz und andere, die gerne schnüffeln.
Ganz praktische Tipps gibt das Büchlein „Meine Daten gehören mir“ (2010, Verbraucherzentrale in Berlin, 204 S., 9,90 €). Übersichtlich aufgemacht und stets mit praktischen Tipps verknüpft werden die verschiedenen Lebensbereiche, vor allem in der digitalen Vernetzung, aber auch beim Ausfüllen von Formularen oder der Weitergabe von Daten im Gesundheitswesen, bei Banken und Versuchungen dargestellt. Das Buch hilft, den Überblick zu behalten und die eigenen Daten nicht versehentlich oder ohne genaues Wissen um die Folgen zu streuen.

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