Anti-Zwangspsychiatrie

PLENA SIND DAS OPIUM DER BASIS
KRITIK UND ALTERNATIVEN ZUM PLENUM

Weitere Texte und Meinungen zu Plenum & Co.


1. Plenumslied
2. Kritik des Plenums
3. Alternativen zum Plenum
4. Offene Fragen, Chancen und Probleme
5. Weitere Texte und Meinungen zu Plenum & Co.


Text von Willi Schwarz in Contraste:
Da muss ich erst im Plenum fragen .......
lautet oft die erste Antwort von Einzelnen aus einer Projektgruppe, eines Hauses oder eines Kollektivbetriebes, wenn eine neue Idee, die Bitte um solidarische Unterstützung oder ähnliche Anliegen an sie herangetragen werden. Was auch sonst, denn wir handeln, diskutieren und beschließen alles und alle gemeinsam! Das ist Naturgesetz in Gemeinschaften und macht gerade den Unterschied zu den gesellschaftlichen Hierarchieketten in 'normalen' Organisationen, Betrieben oder bei Hauseigentum ringsherum aus. Zusammen und nicht alleine, denn dadurch sind wir stark!
Das Plenum, die Vollversammlung, das Gruppentreffen, der Hausrat oder welche Überschriften den Zusammenkünften auch immer gegeben werden: es sind die Orte der ultimativen Legitimation und der kollektiven Weisheit letzter Schluss. Zumindest sollen oder wollen sie es ein.
Wir als externe Berater*innen kommen oft zu abweichenden Einsichten, gerade wenn wir manifeste Problemlagen in Projekten ergründen. Die Vielseitigkeit, Unterschiedlichkeit und Eigenwilligkeit von uns Individuen wird sehr häufig zu einem konsensualen, quasi homogenen Kollektiv-Eintopf verrührt. Doch leider oftmals zu Lasten einer gut gewürzten und spannenden Geschmacksmischung. Viele Themen und Vorschläge, die individuell eingebracht oder übermittelt werden, teilen wiederholt ein kurzes Schicksal, das jedoch dauerhaft Spuren hinterlässt. Sie schaffen es manchmal gar nicht erst auf die Tagesordnung, weil der morgige Tag, der Arbeitseinsatz nächste Woche oder eine drängende Antragsfrist unbedingt sofort geklärt werden müssen. Andererseits murrt ein Teil der Gruppe: 'das hatten wir doch schon, nicht schon wieder'. Notfalls wiederholt sich auch nur der Vortrag längst bekannter, unvereinbar gegensätzlicher Positionen und Argumente, bis die Debatte abrupt endet: 'so-kommen-wir-doch-nicht-weiter!' ... auch weil dann die Plenumszeit meistens abgelaufen ist.
Die für uns erkennbaren Spuren beziehungsweise individuellen Folgen, sind eine Mischung aus Resignation, Vorsichtigkeit, innere Immigration der Gedanken, Wiederholung eingeübter Gruppenrituale, gezähmter Sprachkodex und andere Normierungen. Und das alles fördert nicht die Zivilcourage, die Hartnäckigkeit, die Wehrhaftigkeit, nicht die Emanzipation und nicht die Eigenständigkeit jeder/s einzelnen Kollektivist*in. Obwohl wir uns genau diese Ziele mit großer Schrift ins Stammbuch geschrieben haben. Natürlich nicht mit Absicht und völlig ungewollt, doch oft läuft dieser wirksame, parallele Lehrplan unerkannt hinter unserem Rücken ab. Themen werden nicht (mehr) eingebracht, weil es erfahrungsgemäß zwecklos ist: 'Damit brauche ich meinem Kollektiv gar nicht erst zu kommen!'. Viele Meinungen werden nur eingebracht, wenn vorher eine größere Konsenschance diagnostiziert wird. Oder nur dann, wenn ich mich robust genug fühle, den zu erwartenden Gegenwind auszuhalten. Oder nur, wenn es den Grundkonsens der Gruppe nicht gefährdet, wenn also keine ausufernde nach Generaldebatte kollektive Bugwellen drohen. Diese Reduzierung verhindert oft für die Projektentwicklung wichtige Debatten. Und, viel wichtiger, es übt vorauseilend konsensuales Denken und Handeln als Grundprinzip ein. Das steht nicht selten im Gegensatz zur individuellen Stärkung und zur Förderung eines wachsenden und erstrebenswerten Selbstbewusstseins.
Was machen wir mit diesem Dilemma? Ein Dilemma zwischen der Gruppe und dem Ich, was immer wieder in vielen Varianten untersucht und dargestellt wurde und wird.
Konsensfähigkeit ist nicht der Nabel der Welt und nicht das höchste aller erreichbaren kollektiven Kulturgüter. Offener Widerspruch und deutliche Unvereinbarkeit erschüttern oder zerstören nicht gleich zwangsweise jeglichen gemeinsamen Handlungsrahmen. Solidarität im Alltag wird nur durch und mit unseren individuellen Widerspenstigkeiten wahrhaft und wirksam gestärkt, auch wenn dazu gelegentlich Stürme ausgehalten, der Weg und die Reisegruppe verändert oder gewechselt werden muss. Starke Individualität und ein entwickeltes Selbstbewusstsein sind der Motor für gemeinschaftliche Prozesse und Fortschritt. Ringen wir uns den Mut ab und ermuntern uns immer wieder aufs neue die Frage zu stellen, die mal so treffend in einer Gruppe formuliert wurde: Kollektive Individualität oder individuelle Kollektivität - was macht uns auf Dauer wirklich stark?


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