Antirepression

6 MONATE HAFT: JUSTIZ, POLIZEI UND UNI IM DIENSTE DER AGRO-GENTECHNIK

Es geht los: Gerichtsprozess gegen FeldbefreierInnen


1. Einleitung
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Gießen
3. Es geht los: Gerichtsprozess gegen FeldbefreierInnen
4. Die ersten Prozesse: Gegen einen Journalisten - und gegen Zuschauer*innen
5. Vor der ersten Instanz: Aktionsmonat April 2008
6. Aktionen vor und rund um die erste Instanz
7. Dann doch eine erste Instanz
8. Erste Instanz: Die erste Seite des Urteils
9. Beschreibung des Versuchsfeldes
10. Tatablauf und Schadenshöhe
11. Rettet die Straftäter in Uniform
12. Im Prozess verboten, im Urteil aber untersucht: § 34 StGB
13. Raus ... die nachträgliche Erfindung von Gründen für den Angeklagten-Rauswurf
14. Und nun?
15. Wer es ganz genau wissen will
16. Beweisanträge (in 1. Instanz verboten, in 2. Instanz eingebracht)
17. 2. Instanz, mündliches Urteil (Abschrift): Der Geist ist aus der Flasche!
18. Zweite Instanz: Der Beginn des Urteils
19. Beschreibung des Versuchsfeldes
20. Tatablauf und Schadenshöhe
21. Skandalöser Versuchsablauf festgestellt ... na und?
22. Die Polizeitaktik
23. Motive der Angeklagten
24. Zur Rechtfertigung: Handlung ungeeignet, da Feldbefreiungen auch nichts (mehr?) nützen
25. Die Konsequenz: Volle Härte des Strafgesetzbuches
26. Demo am Tag des Urteils - und mehr Proteste
27. Lohnenswert anders: Freisprüche in Frankreich
28. Grundsätzliche Rechtsverstöße und verfassungsrechtliche Fragen

FeldbefreierInnen wollen Rechtmäßigkeit der Agro-Gentechnik prüfen lassen
Die Universität Gießen gab am 6. Juni bekannt, dass sie Strafantrag eingereicht hätte. Offenbar besteht dort Interesse an harten Strafen, denn sogar von Landfriedensbruch war die Rede. Universitätspräsident Hormuth steht persönlich hinter dieser Handlung. Wenn die Uni-Leitung den Strafantrag nicht noch wieder zurückzieht, wird es zu Prozessen gegen die FeldbefreierInnen kommen. Spätestens dann wird eine weitere und intensive Debatte über die Frage von Sofortvollzug und Polizeigewalt, sozialer Notwehr und dem immer weiter wachsenden Ungleichgewicht zwischen Interessen von Menschen und Profitgier entstehen.

Pressetext vom 28.4.2007
Staatsanwaltschaft erhebt Anklage
Gießener FeldbefreierInnen soll der Prozess gemacht werden

„Wir, die UnterzeichnerInnen, kündigen an, Pfingsten 2006 den Genversuch der Uni Gießen am Alten Steinbacher Weg 44 zu beenden. Veränderte Gene sind aus der Natur nicht mehr rückholbar, die Risiken werden bereits geschaffen, während sie untersucht werden. Konkret betroffen sind alle Menschen, besonders aber LandwirtInnen, GartenbesitzerInnen und alle, die selbst mit dem Boden, Pflanzen und Tieren umgehen. Eine solche Technologie dient nicht den Menschen, sondern vor allem Konzernen, die damit Profite machen wollen. Da auch die Gesetze Eigentum und Profit über die Menschen stellen und gleichberechtigte Beteiligungsmöglichkeiten nicht vorgesehen sind, haben wir uns entschlossen, soziale Notwehr zu leisten und mit einem not-wendigen Akt zivilen Ungehorsams das Feld zu besuchen und den Versuch zu beenden. Sollte unser Handeln von denen kriminalisiert werden, die solche Genversuche schützen und durchsetzen, so werden wir das nutzen, um unsere Motive öffentlich zu benennen.“
So hieß es 2006, als verschiedene Personen ankündigten, die erstmalige Aussaat von gentechnisch veränderter Gerste in Gießen zu verhindern. Am Freitag vor Pfingsten 2006 gelang ihnen trotz umfangreicher Polizeiabsicherung der Sturm auf das von der Universität eingerichtete Feld. 20 Prozent der Gengerste wurden bei der Aktion und der anschließenden Räumung durch die Polizei zerstört. Nun erhebt die Staatsanwaltschaft Gießen Anklage gegen die Beteiligten. Die vier FeldbefreierInnen sollen in einem umfangreichen Prozess bestraft werden, zwei Personen, die in der Nähe des Versuchsfeldes ein Transparent aufgehängt hatten, erhielten bereits Strafbefehle. Zudem wurde und wird ein damals anwesender, unabhängiger Journalist strafrechtlich verfolgt.
Der Prozess gegen die Gießener FeldbefreierInnen wird voraussichtlich eine intensive Auseinandersetzung um die Frage, ob die Agro-Gentechnik rechtmäßig ist oder nicht. Schon jetzt sind als ZeugInnen neben den eingesetzten PolizeibeamtInnen die wichtigsten ForscherInnen des Gengerste-Versuchs geladen. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum die Agro-Gentechnik insgesamt rechtswidrig ist (z.B. fehlende Garantie der Koexistenz) und warum der Gießener Gengersteversuch im Speziellen weder dem Stand der Wissenschaft entspricht noch Ziele verfolgt, die den Menschen nützen können.
Der Prozess kann die Machenschaften hinter dem konkreten Versuch und hinter der Agro-Gentechnik insgesamt aufdecken. Gleichzeitig bietet er die Chance auf Klärung, ob die Zerstörung oder Verhinderung von Genversuchsfeldern überhaupt strafbar ist. Den staatlichen Behörden, der anzeigeerstattenden Universität und der mafiosen Gentechnik-Industrie geht es um Einschüchterung und das gewaltsame Ende von Ungehorsam, der über symbolische Protestnoten hinausgeht. Den Angeklagten und ihren UnterstützerInnen geht es dagegen um das Gegenteil: „Nicht der Widerstand gegen die Gentechnik ist illegal, sondern die Gentechnik selbst“ formuliert Patrick Neuhaus, einer der Feldbefreier. „Daher geht es bei dem Verfahren um viel, nämlich um die Frage, ob Gentechnik auf dem Acker rechtmäßig ist. Ist sie es nicht, so wären Feldbesetzungen und –befreiungen in der Zukunft straffrei.“ Ein Szenario, das vielen Menschen Hoffnung macht, während die GentechniklobbyistInnen einen solchen Freispruch in Gießen oder auf höheren Instanzen fürchten ...


Materialien zum Prozess

Von den FeldbefreierInnen gibt es Flugblätter auf der Suche nach AnwältInnen, Sachverständigen, JournalistInnen und Aktivistis, die Lust haben, den Prozess und/oder das Drumherum mit zu bestreiten, aber auch die Agro-Gentechnik insgesamt zu thematisieren. Ziel der FeldbefreierInnen und hoffentlich vieler weiterer Menschen ist es, im Gießener Prozess nachzuweisen, dass die Gentechnik illegal ist - und nicht der Widerstand dagegen.
Es gibt einige Mobilisierungsflugblätter sowie die Ausstellung zur Feldbefreiung 2006. Es wäre schön, wenn die weiterverbreitet werden könnten - jeweils passend an mögliche AnwältInnen, ExpertInnen zum Thema (die als Sachverständige im Prozess auftreten könnten), JournalistInnen (die vom Prozess berichten oder eine Story drumherum fertigen wollen) und AktivistInnen.

Bisherige Akteneinsicht

Die Akten zum Verfahren bringen ein paar interessante Sachen zum Vorschein. Hier ein kleiner Überblick:
  • Der Uni-Kanzler hat Strafanzeigen gegen alle gestellt, die auf der Fläche waren (alle, die den durchschnittenen Zaun überwunden haben).
  • Die Fläche wurde (und wird wahrscheinlich) videoüberwacht - und zwar vom tollen Institut selbst, also der Uni! Will heißen, dass hier die Uni Außenflächen videoüberwacht ... könnte thematisieren und bei der Gelegenheit anfragen, ob überall noch videoüberwacht wird an der Uni ...
  • Die Polizei hatte schon vor Pfingsten versucht, zumindest einen Feldlbefreier in Unterbindungsgewahrsam zu nehmen, was aber vom Gericht abgelehnt wurde.
  • Die Polizei hatte am 26.5. bei der Stadt Gießen das Verbot der Mahnwache beantragt. Begründung ist vor allem eine lange Auflistung böser Taten der Demoanmelderin (da steht, auf welchen Demos die war, z.B. gegen die Abschiebung ...).

Presseinfo zum Start des Strafprozesses (verfasst am 23.2.2008)

Ist die Gentechnik rechtswidrig?
Ein Strafprozess in Gießen könnte diese Frage auf bemerkenswerte Weise klären


Angeklagt sind vier FeldbefreierInnen
Zittern aber müssen eher die Betreiber eines gentechnischen Versuchsfeldes - und Bayer, Monsanto & Co.!


Am 2. Juni 2006 gelangten vier Personen auf das Versuchsfeld mit transgener Gerste in Gießen. Dass ihnen dieses Kunststück trotz vorheriger Ankündigung und intensiver Polizeibewachung gelang, ist eine der Besonderheiten des Konfliktes zwischen Gentechnik-BefürworterInnen und den GegnerInnen der DNA-Manipulationen auf den Feldern. Bedeutender könnte eine andere werden: Den FeldbefreierInnen, wie sie sich selbst nannten, ging es nämlich nicht nur um die Beendigung der Freisetzung manipulierter Pflanzen, sondern darum angeklagt zu werden. "Nur dann kann endlich geklärt werden, ob die Gentechnik überhaupt rechtmäßig ist", formulierten sie dieses zusätzliche Motiv.
Nun ist es soweit. Im April 2008 sollen die AktivistInnen vor Gericht gestellt werden. So bunt diese vierköpfige Gruppe aus verschiedenen Städten und von der Studentin bis zum Rentner ist, so brisant sind die Fragen, die sie stellen und klären wollen: "Können einmal ausgebrachte Gensequenzen unter Kontrolle gehalten werden? Ist die gesetzlich vorgeschriebene Koexistenz zwischen gentechnischer und gentechnikfreier Landwirtschaft gewährleistet? Stellt die Gentechnik einen Verstoß gegen naturschutz- und grundrechtliche Vorgaben dar? Wurde beim konkreten Versuch geschummelt, gelogen und nachlässig gearbeitet?"
Der Gießener Prozess kann eine bisher einmalige Verdichtung der Debatten um Risiken der Gentechnik, der mit ihrer Anwendung verbundenen Steigerungen von Abhängigkeiten und Machtverhältnissen sowie der Frage von Koexistenz und des Schutzes konventioneller und ökologischer LandwirtInnen, ImkerInnen und PflanzenzüchterInnen bewirken. Zudem spricht viel dafür, dass es noch um mehr gehen könnte - um die Glaubwürdigkeit der Gentechnikforschung in Gießen und überall. Mit Prof. Kogel tritt ein sich seriös gebender Gentechnikforscher in den Zeugenstand, zudem weitere Personen aus der Versuchsleitung. Die Angeklagten wollen zudem die Verantwortlichen der Genehmigungs- und Überwachungsbehörden hören, Sachverständige laden und Gutachten zur Frage der Rechtmäßigkeit einfordern. "Der bisherige Verlauf vieler Versuche deutet an, dass hinter der Fassade von Biosicherheitsforschung und moderater Sprache verschleierte wirtschaftliche Interessen, Täuschung der Öffentlichkeit und viel Pfusch in der Anwendungspraxis stehen", werfen die Angeklagten den Versuchsbetreibern vor - unter anderem dem Team um Prof. Karl-Heinz Kogel aus Gießen. Allein für die Universität Gießen geht es um viel, denn sie führt neben dem Gerstenversuch noch zwei Sortenprüfungen mit MON810-Mais in Rauischholzhausen und Groß-Gerau durch, zudem ist sie am umstrittenen Weizenversuch in Gatersleben beteiligt. Ob oder wo was verschwiegen, getäuscht oder gar gelogen wurde, könnte der bevorstehende Gerichtsprozess klären. Am 7. April treffen sich die KontrahentInnen das erste Mal im Amtsgericht Gießen. Weitere Termine sind für den 14. und 28. April vorgesehen.

Rundherum planen die AktivistInnen ein Programm von Veranstaltungen und Aktionen, darunter als Höhepunkt eine Demonstration gegen die Gentechnik am Montag, 7. April, ab 17 Uhr in Gießen. Vom Startpunkt am Amtsgericht soll es zum beteiligten Regierungspräsidium, zum Uni-Hauptgebäude und zum umstrittenen Gerstenfeld gehen. Öffentlich sind aber auch die Gerichtsprozesse - und zudem spannender als jede bisherige Diskussionsveranstaltung. Denn die GentechnikforscherInnen treten als ZeugInnen an. Dort werden sie von den Angeklagten und Anwälten befragt. Das Gesetz schreibt vor, dass sie die Wahrheit sagen müssen. Sonst droht ein viertel Jahr Mindest-Haftstrafe. Darum hoffen die Angeklagten und ihre UnterstützerInnen, viele Hintergründe des Gerstenversuches und der Ziele von Agrar-Genforschung aufdecken zu können.

Die erste Anklage: Gegen einen Journalisten!
Unglaublich, aber wahr. Die Polizei belaberte die Uni-Leitung, auch gegen einen unerwünschten Journalisten Strafantrag zu stellen. Den hatte die Polizei bereits am Tag der Aktion zu verscheuchen versucht - per Platzverweis & Co. Offenbar sollte außer den gleichgeschalteten Medien aus dem Hessenlande niemand etwas mitbekommen von allem. Der Journalist wehrte sich aber vor Ort gegen die Polizeistaatsmethoden und blieb. Die Polizei war sauer und jetzt kam die Quittung von den verfolgungswahnsinnigen Staatsanwälten und Richtern aus Gießen: Ein Strafbefehl.



Aus dem Strafbefehl. Der wird bereits von einem Richter (ohne Verfahren) auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhängt.


Anklagen zwei bis fünf: Erst Strafbefehle, dann Einstellung gegen Geldzahlung
Zwei am Rande der Aktion mit eigenen Aktivitäten Beteiligte erhielten "nur" Strafbefehle über Tagessätze. Sie legten Widerspruch ein. Richterin Kaufmann wagten den Prozess nicht: Einstellung gegen Geldzahlung an Robin Wood.

Dann entstand eine absurde Situation. Nach der Absage des Verhandlungstermins am 5. April 2006 begann der zuständige Richter Wendel, die Verfahren wegen Gerichtfügigkeit einzustellen. Bei zwei der vier Angeklagten (die alle genau das gleiche taten) kam es dazu auch.


Aus dem Einstellungsbeschluss

Doch dann wurde der Richter versetzt und mit Dr. Oehm ein mindestens FDP-naher Hardliner eingesetzt. Der zettelte nun das Verfahren an - und plötzlich war dieselbe Handlung, die eben noch geringfügig war, zu einem schweren Vergehen.

Anklagen sechs und sieben: Plötzlich hohe Freiheitsstrafen!

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