Antirepression

ZWANGSREGIME DER PSYCHIATRIE
EINSPERREN, FIXIEREN, ZWANGS"THERAPIE"

Freiheit ist besser


1. Einleitung und allgemeine Kritik
2. Unsere Sofortforderungen und weitere Aufrufe gegen Zwang und Willkür
3. Wahlrechtsentzug
4. Einblicke
5. Was ist Krankheit?
6. Freiheit ist besser
7. Geschichte
8. Kritik
9. Links
10. Buchvorstellungen zum Themenbereich


Psychiatrie macht alles schlimmer
Aus "Psychiatrie ist heilbar", in: FAZ am 27.8.2020
Trägt Psychiatrie mehr zur Chronifizierung der Leiden bei als zur Therapie? Wo Symptomfreiheit als unbedingtes Behandlungsziel gilt, bleiben die krank machenden sozialen Zusammenhänge oft unterbelichtet. ...
Der klinische Zugang zur menschlichen Seele hat, so gesehen, etwas von einem Dilemma, das zu keinem Pol, weder dem psychiatrischen noch dem antipsychiatrischen, einfach auflösbar ist. Erst vor solcher Folie liest man auch die kritischen Zuspitzungen mit Gewinn, die der Psychiater Stefan Weinmann formuliert, wenn er die Arbeit seiner Zunft als Wechselspiel von Täuschung (der Patienten) und Selbsttäuschung (des Fachpersonals) beschreibt. Die therapeutische Funktionalisierung seelischer Wirkungen trage inzwischen mehr zur Chronifizierung als zur Therapie bei, heißt es in Weinmanns antipsychiatrischem Manifest „Die Vermessung der Psychiatrie“, das im vergangenen Jahr im Psychiatrie Verlag erschienen ist (224 S., br., 25,– ). Die Psychiatrie sei von den Fachgesellschaften auf den Selbstschutz ihres Personals ausgerichtet worden. „Das Problem ist, dass viele Psychiater aus Angst, etwas falsch zu machen, aus Angst davor, dass Behandelte sich umbringen oder aggressiv werden, eine Psychiatrie betreiben, die stark auf Medikamentengaben und Verhaltensbeobachtungen und -modifikation beruht.“ Weinmann fordert „neue Lehrbücher psychologischer Medizin (anstatt Psychiatrie)“
.

Psychologische Beratung in (Lebens-)Krisen klappt nur in Freiheit
Das wissen die Psychiater_innen sogar selbst. Doch eingesperrt wird nicht nur weiter, sondern immer mehr:

Immer mehr Eingesperrte
Aus "Höhere Hürden auf dem Weg in die Psychiatrie", in: Münchener Merkur, 12.6.2014 (S. 2)
..., dass die Zahl der forensisch Unergebrachten stetig gestiegen sei. In 16 Jahren habe sie sich bundesweit sogar verdoppelt: Während 1996 noch 3216 Personen in der geschlossenen Psychiatrie saßen, waren es 2013 bereit 6652 (die Zahl bezieht sich aus statistischen Gründen auf die alten Bundesländer).

Aus: Rüdiger Müller-Isberner/Sabine Eucker, „Praxishandbuch Maßregelvollzug“ (Hrsg., 2012, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft in Berlin)
In Hessen, wo Daten kontinuierlich erhoben wurden, ergibt sich folgendes Bild (Müller-Isberner et al., 2006): Während die Bevölkerung von 1990 bis 2006 um 7 % zunahm, verdoppelte sich die Anzahl der Einweisungen gern. § 63 StGB. … Die mittlere Stichtagsverweildauer ist in den letzten 20 Jahren angestiegen (1986: 4,4 J.; 2006: 4,8 J.). Dies lässt sich nicht mit den seit 1998 verschärften Entlassungskriterien erklären. Die Zahl der Entlassungen hat nach der Gesetzesreform nämlich nicht abgenommen. Die Gesamtbehandlungsdauer bedingt Entlassener hat sich nach der Gesetzesreform um ein Jahr verkürzt (1990-1993: 4,5 J.; 1994-1997: 4,7 J.; 1998-2001: 3,7 J.; 2002-2005: 3,8 J.). Gleichzeitig sind der Anteil von Unterbringungen, die über 10 Jahre andauern und der Anteil von Untergebrachten, die älter als 60 Jahre sind, angestiegen. Immer mehr Patienten werden immer schneller entlassen, während gleichzeitig ein immer höherer Anteil als dauerhaft gefährlich identifiziert wird und in der Unterbringung verbleibt (Müller-Isberner et al., 2006).
Die Einweisungszahlen bei den normalbegabten Persönlichkeitsgestörten sind unverändert geblieben. Die Ent-lassungszahlen aber haben sich halbiert.
Der Anteil von Patienten fremdkultureller Herkunft hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verzehnfacht. Der Ausländeranteil in der hessischen Bevölkerung ist im gleichen Zeitraum von 9,5 % auf 12,2 % angestiegen. Die Zunahme von Patienten mit fremdkultureller Herkunft trägt trotz 5-7 Abschiebungen pro Jahr also ganz wesentlich zur Belegungszunahme mit bei. Bemerkenswert ist, dass diese Patientengruppe, die gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung im psychiatrischen Maßregelvollzug noch vor 20 Jahren um den Faktor 3,7 unter-repräsentiert war, nunmehr um den Faktor 2,3 überrepräsentiert ist. Mittlerweile hat jeder dritte, als Behandlungs-fall aufgenommene Patient einen frerndkulturellen Hintergrund. (S. 85f, Autor_innen: Müller-Isberner/Eucker)


Aus Frank Häßler/Wolfram Kinze/Norbert Nedopil (2011): „Praxishandbuch Forensischer Psychiatrie des Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalters“ (S. 587)
Skeptisch ist die Entwicklung zu sehen, dass in den alten Bundesländern am 1. Januar 1987 3.746 Personen in einem psychiatrischen Krankenkaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung untergebracht waren und am 31. März 2009 schon 9.251 Personen ...

Rechts: Abbildung aus"Maßregelvollzug" - Behandlung psychisch kranker Rechtsbrecher in Hessen (hrsg. vom Landeswohlfahrtsverband Hessen, Träger der Vitos-Klinik)

Im Original: Sie wissen es selbst ... Freiheit besser!
Aus "MünchnerUni.Magazin" 2/2002 (S. 13)
Bei der Frage nach der Art der Therapie war sich Rüdiger Müller-Isberner von der Forensisch-Psychiatrischen Klinik in Heina sicher:
„Wenn man psychisch Kranke nur ein halbes Jahr früher aus der stationären Behandlung entlässt, dann kann man sie mit dem damit eingesparten Geld dafür zwölf Jahre lang ambulant nachbetreuen,“ erklärte er in seinem Vortrag. Müller-Isberner und seine Kollegen in Hessen haben mit der ambulanten Therapie sowohl Kosten gesenkt als auch gute Erfahrungen gemacht. So seien die Rückfallraten bei diesen Patienten viel geringer als bei Kranken, die in Gruppentherapien nur stationär und nicht nachbehandelt werden. Leider sei eine ambulante Therapie in Deutschland aber nicht vorgeschrieben, bedauerten die Wissenschaftler.

Aus: Rüdiger Müller-Isberner/Sabine Eucker, „Praxishandbuch Maßregelvollzug“ (Hrsg., 2012, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft in Berlin)
Die Meta-Analysen der Straftäterbehandlung zeigen, dass erfolgreiche Programme multimodal, hochstrukturiert, behavioral oder kognitiv behavioral und intern valide sind, mit Enthusiasmus betrieben werden, eher in Freiheit als in Institutionen stattfinden und eher auf hohe, denn auf niedrige Risiken zielen. Es werden Methoden angewandt, die dem handlungsorientierten Lernstil von Straftätern gerecht werden: Modelllernen, Rollenspiele, abgestufte Erprobung, Verstärkung, konkrete Hilfestellungen, Ressourcen Bereitstellung und kognitive Umstrukturie-rung. Diese Interventionen zielen nicht auf irgendwelche Persönlichkeitsauffälligkeiten, sondern auf solche Klientenmerkmale, die nach dem empirischen Kenntnisstand kriminogene Faktoren sind. (S. 81, Autor_innen: Müller-Isberner/Eucker)

Zudem gibt es Experimente, auf geschlossene Psychiatrien zu verzichten - in Italien seit Jahrzehnten großflächig, aber auch in Deutschland ganz zaghaft.

Aus dem Gastbeitrag "Psychiatrie: Entwertung hinter verschlossenen Türen" von Prof. Karl H. Beine, in: SZ am 25.2.2015
... es gibt eine ganze Reihe von Beispielen aus ganz Deutschland, die seit Jahrzehnten belegen, dass man in der Psychiatrie auf geschlossene Stationstüren komplett verzichten kann, etwa in Memmingen, Landsberg, Herne, Heidenheim, Hamm. Bleiben die Türen offen, dann sinkt das Weglaufrisiko ebenso wie die Zahl der Zwischenfälle auf den Stationen. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass sich die gefühlte Entwertung noch einmal vergrößert, wenn hinter einem psychisch kranken Menschen die Tür zugeschlossen wird. [...]
Eine solche Art der Begegnung zwischen psychiatrisch Tätigen und Patienten ist Grundvoraussetzung für wechselseitiges Vertrauen und Achtsamkeit. Die bisherigen Erfahrungen und der neueste Kenntnisstand zeigen eindeutig, dass die Unterbringungspraxis psychisch kranker Menschen auf geschlossenen Stationen revidiert werden muss: Legen wir also den Schlüssel beiseite.


Im Original: O-Ton Martin Zinkler
Martin Zinkler, Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Heidenheim, Baden-Württemberg. Er ist Vorreiter auf dem Gebiet der zwangfreien Psychiatrie und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Recht & Psychiatrie.
Aus: "Wie soll man mit psychisch Kranken umgehen?", Interview mit Martin Zinkler in der Heidenheimer Zeitung, 4.7.2014
Zur Frage von Wahnvorstellungen

Kann man jemanden, der an einer Wahnvorstellung leidet, logisch davon überzeugen, dass diese nicht der Wahrheit entspricht?
Nein, kann man nicht – genau darin besteht die Definition einer Wahnvorstellung. Aber: Das hilft ja überhaupt nicht weiter. Es hilft auch nicht zu sagen, dass da eine psychiatrische Diagnose besteht, die diese oder jene Symptome hat. In dem Fall des Giengeners hat der Richter bei einer Verhandlung gesagt, es sei traurig, dass man dem Angeklagten nicht helfen kann. Natürlich ist das traurig, aber das Nicht-helfen-können hängt ja auch damit zusammen, dass sich hier ein Mensch so fühlt, als wären alle gegen ihn und als würde er verfolgt. Und dann klebt man ihm die Diagnose „psychisch krank“ auf. Glauben Sie, der Mensch ist dann eher gewillt, sich helfen zu lassen? Nein, er fühlt sich in seinem Wahn bestätigt.
Wie könnte man denn dann Zugang zu ihm finden?
Man muss ihn zunächst einmal ernst nehmen. Dieser Mensch ist extrem misstrauisch gegenüber seiner Umgebung, wie soll er denn jemandem trauen? Wenn ich zu ihm Zugang finden will, muss ich zunächst einmal alles unterlassen, was noch mehr Misstrauen hervorruft, und muss versuchen, zu ihm in eine Beziehung zu kommen.

Zum Begriff der Krankheit (aus: Heidenheimer Zeitung, 4.7.2014)
Der Fall Gustl Mollath zeigt ja ein anderes Extrem, nämlich, dass einem auch ein Wahn attestiert werden kann, wenn man gar keinen hat. Können Sie sich vorstellen, dass Ihnen das passiert? Jemand spricht über eine unglaubliche Wahrheit und der Psychiater hält es für eine Wahnvorstellung?
Ja, klar, das kann jedem Psychiater passieren, dass er eine Fehldiagnose stellt. Darum kann man gar nicht vorsichtig genug mit Diagnosen sein. Erstens, weil sie falsch sein können, zweitens, weil psychiatrische Diagnosen nur gesellschaftliche Konstrukte sind. Man hat ja kein Röntgenbild oder keinen Blutwert, mit dem man feststellen kann: Ja, es handelt sich um Schizophrenie.
Wie kommt man dann zu dem Krankheitsbild?
Die Schizophrenie ist ein Krankheitsbegriff, der im vorletzten Jahrhundert entstanden ist. Wahrscheinlich gibt es schon seit es Menschen gibt auch Ver-Rücktheit, aber das wurde über die Jahrhunderte kulturell völlig verschieden gedeutet. Heute bezeichnet man es als Krankheit, früher deutete man es als Erleuchtung oder als religiöse Verfehlung. Und wie die Betroffenen es selber sehen, ist noch einmal ganz verschieden: Manche sehen es als existenzielle, spirituelle oder persönliche Krise, andere als Strafe Gottes, und manche finden sich auch ganz normal. Die Idee, dass es sich um eine psychische Krankheit handelt, ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Es gibt eine Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation, in der steht, welche Symptome eine paranoide Schizophrenie hat. Und wenn diese vorliegen, sprechen wir von der Krankheit. Aber man muss immer im Hinterkopf behalten, dass das nur Modelle sind für etwas, was wir überhaupt nicht verstanden haben.
Und der Patient hat selbst keine Krankheitseinsicht?
Das finde ich besonders ungünstig beschrieben, weil Krankheitseinsicht ja impliziert, dass die Krankheit auch tatsächlich da ist. Man müsste eigentlich sagen, dass der betroffene Mensch nicht das weithin akzeptierte bio-soziale Krankheitsmodell teilt. Das wäre korrekt. Insofern würde ich den Begriff „Krankheitseinsicht“ überhaupt nicht verwenden, obwohl er in jedem Lehrbuch steht. Wenn man das Ziel hat, aus einer Situation, unter der jemand selbst und seine Umgebung leidet, etwas zu machen, muss man aufeinander zugehen und nicht Schilder mit Begriffen und Krankheitsbildern hochhalten.

Zu Zwangsbehandlungen
Aus: taz, 11.8.2016
Wieso gibt es in Deutschland überhaupt noch Zwangsbehandlungen?
Lange Zeit nahm man an, dass die Zwangsbehandlung die einzige Lösung sei. Zudem sind die gesetzlichen Kriterien dafür zu weit gefasst. Dabei würden viele Ärzte zu anderen Methoden wie der Deeskalation greifen, wenn sie die Möglichkeit zur Zwangsmedikation gar nicht erst hätten. Dass es nämlich auch ohne geht, zeigen Kliniken, die auf deeskalierende Maßnahmen setzen. Doch die meisten Ärzte hängen an den Medikamenten. Denn die Behandlung ist schneller und günstiger, wenn man einfach zur Tablette oder Spritze greifen darf, anstatt Gespräche zu führen.
Was bedeutet Deeskalation genau?
Das Stichwort lautet Geduld. Wir müssen den Patienten signalisieren, dass wir uns für sie interessieren und in kritischen Situationen die richtigen Fragen stellen: Was könnte Ihnen jetzt guttun? Manchmal hilft reden, manchmal schweigen, Bewegung oder Rückzug. Wir verabreichen niemandem auf Zwang Medikamente. Wir raten lediglich dazu, sie zu nehmen. So schaffen wir von Beginn an ein Vertrauensverhältnis. Auch Patienten sind selbstbestimmte Menschen.

In: "Krank oder bloß ganz anders?", auf Deutschlandfunk, 15.3.2013
www.deutschlandfunk.de/krank-oder-bloss-ganz-anders-schizophrenie-eine.media.7ba236fe1500c23781116d847b0477fa.txt
Es ist einfach so, dass die Nutzen-Risiko-Bewertung von Neuroleptika heute anders ausfällt, als vor 10 Jahren, wir sind da auch von der Pharmaindustrie jahrelang nicht ausreichend informiert worden, wir Psychiater waren viel zu leichtgläubig, was Wirkungen und Nebenwirkungen betrifft.

Im Interview mit Mirko Olostiak-Brahms, am 29.11.2012 auf vielfalter.podspot.de
Gerade wenns dann zu unterschiedlichen Auffassungen kommt, also der Patient sagt: "Ich bin gar nicht krank, was habe ich hier zu suchen? Ich will hier raus!" Und der Arzt sagt: "Ich stell aber bei Ihnen die und die Symptome der Erkrankung fest". Genau an dem Punkt geht es eben unseres Erachtens hier nicht darum, dass der eine dann dem anderen etwas aufzwängt, sondern dass man diese gegensätzlichen Positionen erstmal austauscht, auch versucht, jeweils Verständnis für die Position des anderen zu entwickeln und dann diesen Widerspruch solange aushält, bis man gemeinsam irgendeine Art von Lösung erarbeitet. Aber ergebnisoffen. Das heißt, das Ergebnis ist dann nicht irgendwie, dass der Arzt bei Gericht beantragt: Ja, jetzt brauchen wir die Zwangsbehandlung - und dann wird festgehalten oder festgebunden und gespritzt, sondern die Diskussion wird solange geführt und die Widersprüche werden solange ausgehalten, bis es irgendeine Art von Einigung gibt. Und das war für uns die Erfahrung: Das geht.


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