Organisierung

STRAFE - RECHT AUF GEWALT

„Kriminalität ist ein gesellschaftlicher Prozess“


1. Die Kapitel des Fragend-voran-Büchleins
2. Wieso straft Mensch?
3. Von Orten der Gewalt und bösen Taten
4. Strafe – die gute Gewalt
5. Im Namen des Rechts und der Gerechtigkeit
6. Der offizielle Strafzweck
7. Das grosse Ziel
8. Was ich eigentlich sagen wollte...
9. „Es gibt eine gewisse Eigenverantwortung“
10. „Wenn nichts mehr geschützt ist, kann nichts mehr gelebt werden“
11. „Kriminalität ist ein gesellschaftlicher Prozess“
12. Eine gewaltfreie Welt ... und wie man das nicht erreicht
13. Versuch über Perspektiven
14. Impressum

Thomas Meyer-Falk ist seit 10 Jahren im Gefängnis wegen eines Bankraubes. Seine Freiheitsstrafe endet frühestens im Jahr 2013, danach ist Sicherheitsverwahrung angeordnet. Verurteilt wurde er wegen eines Bankraubs mit Geiselname, anlässlich dessen Geld für linke politische Projekte organisiert werden sollte. Über sein Leben schreibt er mir in einem Brief: „Geboren wurde ich 1971, meine Mutter war Krankenschwester und der Vater Lehrer. Politisch interessiert war ich schon früh. Zu Anfang recht systemkonform und von der Justiz begeistert. Mit 11 Jahren schon las ich erste juristische Literatur, besuchte Prozesse – es dauerte Jahre bis ich zu einer kritischen Position fand. Das Schicksal und der Umgang mit Migranten war ein zentrales Erlebnis. Mit 15/16 Jahren arbeitete ich ehrenamtlich als Hausaufgabenbetreuer bei der Arbeitswohlfahrt mit Migrantenkindern, lernte so deren Schicksale, die ihrer Eltern und den Umgang des Staates mit ihnen kennen. Nun bin ich über 10 Jahre in Haft und diese Zeit hat mich nicht überzeugt wirklich etwas falsch gemacht zu haben.“

Aus der Vollzugsanstalt heraus kämpfen Sie für eine Gesellschaft ohne Knäste – sind Sie unschuldig und Ihre Strafe ungerecht?
Was heisst „gerecht“? Das ist eine Frage der Perspektive. Lege ich die herrschende Rechtsordnung zu Grunde, so mag meine Strafe am oberen Rand angesiedelt aber nicht zwangsläufig ungerecht sein. Ich lehne diesen Staat und dessen Organe ab. Vor diesem Hintergrund sehe ich keinen Anlass, die mir zugedachte Strafe zu akzeptieren. Insofern erübrigt sich für mich eine Einordnung in ein moralisches Schema von „gerecht“ – „ungerecht“.

Was meine Schuld angeht: Ich bestreite nicht, jene Handlungen vollzogen zu haben die man mir vorwarf. Ich habe eine Bank überfallen und sehe auch die psychisch belastenden Folgen für die Geiseln in der Bank. Aber die moralischen Kategorien von „Schuldig“ vs. „unschuldig“ scheinen mir hier verfehlt. „Schuldig“ rein im Sinne „dies habe ich getan“ bin ich jedoch zweifelsohne.

Sie lehnen diesen Staat ab. Aber wenn niemand mehr da ist, der für Ordnung sorgt, dann wird das Chaos ausbrechen!
Die Vorstellung, es würde Chaos ausbrechen würde kein Staat mehr für Ordnung sorgen ist meines Erachtens unzutreffend. Eine anarchistisch orientierte Gesellschaft käme hervorragend ohne „Vater Staat“ aus. Sie würde zu Anfang gewiss chaotisch verlaufen und Menschen viel Selbstdisziplin abverlangen. Wesentlich ist freilich eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Werte, weg vom „Haben“, hin zum „Sein“.[1]

Ist eine solche gesellschaftliche Entwicklung im Hinblick z.B. auf das Scheitern der Sowjetunion realistisch? Kann man Eigentum sinnvoll vermeiden?
Natürlich. Eigentum ist vermeidbar. Wir sind zwar in diesem System von Kleinkindalter an auf Eigentum und „haben-wollen“ konditioniert worden, aber warum sollte eine Gesellschaft ohne Eigentumsbegriff nicht existieren können? Die Sowjetunion und ähnliche Systeme sind kein sinnvolles Gegenbeispiel, da es dort durchaus Eigentum gab und die Führungsschicht im Überfluss schwelgte.

Sie haben mit Ihrer Tat die Regeln der Gesellschaft verletzt. Diese Regeln dienen dem Schutz jedes Einzelnen. Wie aber soll man diese durchsetzen, ohne Verstösse zu bestrafen?
Schon die Ausgangsthese halte ich für fragwürdig, wenn nicht sogar falsch. Zwar wird in Schule und Universität gelehrt, die bestehenden Regeln dienten dem Schutze jedes Einzelnen. In unserem kapitalistischen System sind sie letztlich jedoch primär dafür geschaffen, die Macht des Kapitals zu bewahren, auszubauen und Widerstandshandlungen, die das Kapital bedrohen, zu verfolgen.

Selbstverständlich gibt es auch die sattsam bekannten Delikte wie Körperverletzung, Sexualdelikte, Raub und so weiter. Aber auch diese muss man gesellschaftlich einordnen und nach der Verantwortung, der Schuld eines menschenverachtenden politischen Systems fragen, welches diese Formen des Gegeneinanders geradezu provoziert.

Strafen gibt es gewiss seit unvorstellbaren Zeiträumen: Angefangen bei „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, bis zu den relativ modernen Formen der Freiheitsentziehung. Statt einem Dieb die Hand abzuhacken, hackt man von seiner Lebensspanne einen Teil ab und sperrt ihn ein. Viel vernünftiger und gerechter wäre es jedoch, eine Gesellschaft zu entwerfen, in der es zum Beispiel keinen Diebstahl geben kann, weil sie kein Privateigentum kennt. Strafe doktort lediglich an Symptomen herum. Man sollte also die Ursachen bekämpfen, beziehungsweise ändern.

Dem gegenüber steht eine gängige Sichtweise: Menschen, die Straftaten begangen haben und sich somit gegen die Regeln und Ordnung der Gesellschaft verhalten haben geht das Wohl ihrer Mitmenschen, der Gesellschaft, oft am Arsch vorbei. Deshalb muss man diese Leute unter Umständen auch in Sicherungsverwahrung[2] stecken können.
Wer das gegenwärtige politische System für das Bestmögliche hält würde diese Frage wohl mit „Ja“ beantworten und innerhalb dieses Systems hat diese Position auch ihre Berechtigung. Mir geht es jedoch um eine Überwindung dieses gegenwärtigen politischen Systems und in diesem Zusammenhang gehe ich u.a. davon aus, dass Kriminalität ein gesellschaftlicher Prozess Folge dieses im Kern menschenunwürdigen Systems ist. Unbestritten hat eine Demokratie positive Seiten, vorherrschend ist jedoch der Kapitalismus – und dessen Folgen mag man zum Beispiel daran erkennen, dass täglich zigtausend Kinder alleine an Hunger sterben.

Um die Menschen zu charakterisieren, von denen hier die Rede ist, gebe ich bloss zwei Beispiele von Mitgefangenen: Heiz S. ist ein 65 jähriger Gefangener, der nächstes Jahr die Sicherungsverwahrung antreten soll. Er hatte in diverse Häuser und Arztpraxen einbebrochen. Der finanzielle Schaden war nicht unbeträchtlich und er sass schon früher wegen Einbruchs in Haft. Aber muss eine (kapitalistische) Gesellschaft so etwas nicht aushalten? Die JVA[3] verweigert ihm hier in Bruchsal jegliche Vollzugslockerungen, selbst bewachte Ausführungen zur hier im Ort lebenden Freundin werden verwehrt.

Ein anderes Beispiel ist Ralf S., seit nun sieben Jahren in Sicherheitsverwahrung sitzend, ebenfalls wegen diverser Einbrüche. Er ist heute 45 und verbrachte davon bald 30 Jahre hinter Gittern – eine wohl „typische“ Vollzugskarriere. Eine wirkliche Perspektive existierte für ihn nie.

Würde man nun Eigentum abschaffen, hätte man da wirklich eine friedlichere und gewaltfreiere Welt? Würden dann nicht einfach andere Straftaten entstehen.
Straftaten sind erstmals neutrale Handlungen, die dann die Menschen als Straftaten bezeichnet und somit negativ bewertet haben. Das heisst, was eine Straftat ist oder nicht hängt von der Definition ab. Die Schweiz ist da ein schönes Beispiel im Bereich des Steuerstrafrechts. Die Schweiz leistet keine Amtshilfe in reinen Steuerhinterziehungsangelegenheiten – ein Ärgernis für Deutschland, da hier andere Normen gelten. In der BRD kann man für reine Steuerhinterziehung mit zehn Jahren Gefängnis bestraft werden, in der Schweiz nicht. Ein anderes Beispiel: In den Niederlanden kann ein Zungenkuss als Vergewaltigung bestraft werden. In Deutschland hingegen war (bis zu einer Reform vor wenigen Jahren) eine Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar. Dies zeigt auf, dass es eine Frage der Definition ist, was strafbar ist – und was nicht. Dass das bisherige Strafrecht keine gewaltfreie Gesellschaft zu erreichen vermochte ist meines Erachtens Beleg genug für das Versagen dieses Weges.

Laut Bundesstrafrichterin Sylvia Frei braucht jede Gesellschaft Regeln, die bestenfalls aus dem durchschnittlichen Rechtsverständnis der Bevölkerung hervorgehen. Eine Minderheit muss sich schlussendlich der Mehrheit fügen. Damit ist unsere Welt grundsätzlich in Ordnung. Pragmatisch, aber wahr. Oder?
Ja, deren Haltung ist pragmatisch und aus deren Sicht auch zwangsläufig richtig. Aber wahr muss sie deshalb dennoch nicht sein. Dass sich eine Minderheit gerade nicht der Mehrheit beugen muss mag der Nationalsozialismus in Deutschland illustrieren. Nur weil eine parlamentarische Mehrheit Hitler an die Macht verhalf, die dieser sodann mit rechtlichen Instrumentarien festigte, folgte daraus keine moralische Pflicht, diese Mehrheitsentscheidung zu achten.

Ist es denn menschenmöglich, eine Gesellschaft zu schaffen, in der es keine Morde, keine Schlägereien, Vergewaltigungen, keine Gewalt an Frauen, Kindern und schwächeren Menschen mehr gibt?
Ob es eine Gesellschaft ohne Morde (u.ä.) wird geben, weiss ich nicht. Ich bin kein Prophet. Aber ich denke es ist menschenmöglich, denn so wie der Mensch die Freiheit zum Guten besitzt, so kann er sich auch für das Schlechte entscheiden. Und selbst wenn es – in einer anderen als der heutigen Gesellschaftsform – delinquentes Verhalten geben sollte, könnte man damit besser und sinnvoller umgehen, als durch wegschliessen hinter Mauern.

[1] In diesem Zusammenhang erwähnt: Erich Fromm, Haben oder Sein, Stuttgart 1976.

[2] Die Sicherungsverwahrung (in der Schweiz „Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern“, Art. 42 StGB) ist eine Massnahme die dazu dient, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Eine Person wird dabei auch nachdem sie ihre urteilsgemässe Freiheitsstrafe abgesessen hat weiter in „staatlicher Verwahrung“ (Gefängnis) gehalten, „sofern seine Gefährlichkeit, die durch Gutachter festgestellt werden muss, noch fortbesteht.“ In den meisten Fällen bedeutet Sicherungsverwahrung ein Leben im Gefängnis bis zum Tod – oder bis zur körperlichen Unfähigkeit, eine (Straf-)Handlung zu begehen.

[3] Justizvollzugsanstalt

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