Projektwerkstatt

JEDEN TAG AN JEDEM ORT

"Für Landfahrer verboten"- Zum Beispiel: Sinti/Roma in Bad Hersfeld


1. "Dramatisierung fehl am Platze ..."? - Zum Beispiel: Antisemitismus
2. Juden in Osthessen
3. Schändung jüdischer Einrichtungen
4. "Für Landfahrer verboten"- Zum Beispiel: Sinti/Roma in Bad Hersfeld
5. Die Geschichte des A. Sis - Zum Beispiel Abschiebung

Nicht nur gegenüber Juden, sondern auch gegen die oftmals als "Zigeuner" bezeichneten Angehörigen der Sinti und Roma herrschen in der Bevölkerung viele Vorurteile und eine große Bereitschaft zur offenen Feindschaft. Diese Haltung in der Bevölkerung wird seit den 80er Jahren als "Antiziganismus" bezeichnet. Im Nationalsozialismus waren sie ebenso wie Juden dem geplanten Völkermord ausgesetzt. So wurden auch aus Bad Hersfeld, Friedewald und Philippsthal Sinti und Roma in der NS-Zeit deportiert.[11] Obwohl etwa in Europa 500.000 Sinti und Roma von Nazis ermordet wurden, findet ihr Schicksal erst langsam eine Beachtung in den Geschichtsbüchern und in der öffentlichen Diskussion. Ebenso blieben ihre Bemühungen um Anerkennung und Wiedergutmachung lange Zeit unbeachtet.

Neben antiziganistischen Vorurteilen, die sich noch immer in der Bevölkerung halten, zum Beispiel, daß "Zigeuner" stehlen würden, faul wären etc., sind Sinti und Roma auch im öffentlichen Leben benachteiligt. Viele von ihnen finden keine Arbeit oder beenden aufgrund fehlender Perspektiven ihre Schulausbildung nicht, oftmals wollte und will sie niemand in der Nachbarschaft haben und sie mußten und müssen außerhalb der Stadt unter schlechten Bedingungen wohnen. Teilweise wurden Sinti und Roma nicht in Gaststätten bedient oder hatten überhaupt keinen Zutritt in Lokale.

Beispielhaft ist hierfür die Lebenssituation der Sinti und Roma in Bad Hersfeld, die nach dem Zweiten Weltkrieg teilweise als Überlebende der Konzentrationslager nach Bad Hersfeld kamen. Im Rahmen der Berichterstattung über die SS-Treffen in Bad Hersfeld 1983 fiel einem Journalisten der Wochenzeitung "DIE ZEIT" ein besonderes Phänomen in der Festspielstadt auf: An einer Restauranttür in der Hersfelder Innenstadt befand sich ein Schild mit der Aufschrift "Für Landfahrer verboten". Wie er dann in seinem Artikel über die Vorgänge in Bad Hersfeld berichtete, bestand zu dieser Zeit in Hersfeld ein "generelles Zutrittsverbot für 'Landfahrer'". Mit dem Begriff "Landfahrer" sind die in Hersfeld lebenden Sinti/Roma gemeint. Der Verband der deutschen Sinti hatte im April 1983 den damaligen Bürgermeister Hartmut Boehmer (CDU) aufgefordert, das Verbot aufzuheben, dieser lehnte damals jedoch mit der Begründung ab, er sehe keine Diskriminierung darin, wenn einer bestimmten Personengruppe der Zutritt zu Hotels oder Restaurants verweigert werde.[12] Nach dem Zweiten Weltkrieg mußten die nach Bad Hersfeld gezogenen Sinti/Roma erst einmal schauen, wo sie unterkamen und teilweise auch unter freien Himmel schlafen, später lebten sie dann in den ihnen zugewiesenen Baracken im Kistnersgrund, die zum Teil für deutsche Obdachlose errichtet worden waren. Nachdem diese anderweitig untergebracht werden konnten, rückten die Sinti nach.[13] Sie lebten dort in sehr schlechten Verhältnissen. Auch nachdem sie aus den Baracken in feste Häuser umgezogen waren, verbesserte sich nicht viel an ihrer Situation. So beschreibt ein Artikel in der Hersfelder Zeitung (HZ) unter dem Titel "Mit neun Personen in zwei feuchten Räumen" [14] die Probleme im Kistnersgrund: zu kleine und sehr feuchte Räume. Als Folge litten die Bewohner oftmals an Bronchitis und Lungenentzündungen. Umsiedlungen scheiterten an den Bedenken der jeweiligen AnwohnerInnen. So bildeten sich Bürgerinitiativen, die sich gegen Sinti/Roma in ihrer Nachbarschaft wehrten. Nachdem "Der Spiegel" sich jedoch 1979 [15] mit diesem Thema beschäftigte und die Festspielstadt um ihr Ansehen fürchten mußte, wurden im November im Hersfelder Stadtparlament Schritte eingeleitet, um auf den Haunewiesen eine Siedlung für Sinti/Roma errichten zu lassen. Zudem wurde aber gleichzeitig über eine "Fortzugsprämie" nachgedacht, die in Presse und Rundfunk als "Kopfgeld" bezeichnet wurde. So berichtete die HZ am 19. Januar 1980, daß in einer Magistratssitzung über eine Gesamtsumme von 36.000 DM beraten werden solle, die 'Zigeuner'familien ausgezahlt werden soll, wenn sie sich in Bad Hersfeld abmelden, dies bescheinigen lassen und in einer anderen Stadt, dem Vernehmen nach Nürnberg, anmelden. Das Duo "Z", zwei deutsche Sinti, besangen dann auch die Festspielstadt mit den Worten: "Bad Hersfeld ist eine schöne Stadt" und, auf die Fortzugsprämie anspielend: "Der Bürgermeister sagt, verreist doch, Ihr Lieben, per Bahnfracht will er uns abschieben. Er könnte es billiger haben, er bräuchte uns doch nur zu begraben ...". [16] 1981 siedelten die ersten Familien in die Haunesiedlung um - die 27 Häuser boten jedoch nicht allen Platz. So dauerte es noch bis 1986, bis die letzten Bewohner den Kistnersgrund verlassen konnten, wo sie 40 Jahre lang gelebt hatten.

Zum Positiven verändert hat sich aber an der Lebenssituation der Sinti und Roma und an den Vorurteilen der Bevölkerung ihnen gegenüber seitdem nicht viel.

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