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KAMPFMITTEL FÜR PROZESSE: OFFENSIV GEGEN ROBENTRÄGER*INNEN, GUTACHTEN, ZEUG*INNEN

Ziele offensiver Verteidigung


Einleitung · Ziele offensiver Verteidigung · Belege und Fristen · Anträge, die oft passen · Einzeltipps zu Verfahren · Schutz vor Willkürrichtis · Rechtsschutz · Beweisaufnahme · Öffentlichkeit · Kosten · Links

Ermittlungsverfahren ... Angst. Anklage ... jetzt wird’s ernst. Oder gleich ein Strafbefehl ... verdammt, jetzt kann ich mir nichts mehr leisten. Sich wehren? Das macht doch bestimmt alles viel schlimmer ... oder?
So absurd es klingt: Genau diese Reaktionen sind der ganze Sinn des Justizsystems. Es ist überall längst bekannt, dass Bestrafung die in der Propaganda behaupteten Ziele nicht erreicht. Weder hören Verbrechen auf (ganz im Gegenteil: Strafe fördert Kriminalität) noch hat eine Bestrafung einen Sinn für TäterInnen und Opfer. Sie werden beide durch die Mühlen der Justiz gedreht, die arbeiten, um dem Staat und der von ihm geschaffenen Rechtsordnung Durchsetzungskraft zu geben. Ein wichtiges Mittel ist die Angst. Daher ist, wenn eine Strafanzeige Angst erzeugt, dieses Ziel schon erreicht.

Wer sich nicht )ganz) einschüchtern lässt, kann einen anderen Blickwinkel auf Gerichtsverfahren werfen: Sie schaffen öffentliche Inszenierungen. Hier zeigt sich die formale Macht in all ihren Facetten vom Knüppel bis zur Hirnwäsche. Hier entwickelt diese Macht eine Vielzahl von Symbolen, die bestens geeignet sind, demaskiert zu werden. Und sie bieten Gelegenheit, die sich ohne Anklage nicht erreichen lassen: Wann lassen sich schon HausbesitzerInnen, PolizeibeamtInnen, Chefs oder BehördenleiterInnen befragen (vernehmen!)? Hier ist das per Gesetz vorgesehen: Die Angeklagten befragen die, die sie angezeigt haben und die als ZeugInnen der Anklage das Verhalten des Angeklagten verwerflich finden. Das Spiel lässt sich umdrehen – Angst vor peinlichen Fragen und Enthüllungen müssen die haben, die anklagen. Mit diesen strafprozessoralen Waffen lässt sich vieles erreichen – eine Debatte um das Thema, dass hinter der Anklage steht. Oder die Debatte um Sinn von Kontrolle, Repression und Strafe. Daher soll am Anfang ein Blick auf das stehen, was Thema einer offensiven Prozessstrategie sind kann.

Ziel 1: Nicht verurteilt werden!
Das ist ein naheliegendes Ziel. Auch in hochpolitischen Auseinandersetzungen vor Gericht wird meist ein Aspekt bleiben, ob eine Verurteilung zu vermeiden ist. Dabei ist der Freispruch nur ein Weg, möglich ist ebenso, die Einstellung durchzusetzen, z.B. wenn das Verfahren zu anstrengend wird für AnklägerInnen oder RichterInnen. Oder wenn es zu peinlich wird für die andere Seite, also denen, die mit ihrem politischen Interesse hinter einer Anklage stehen.
Eine wirkungsvolle offensive Prozessführung dient jedenfalls auch der besseren Chance, ohne Verurteilung aus dem Verfahren herauszukommen. Denn jede Strafe bedeutet Einschüchterung (auch für andere) und mehr Risiko bei weiteren Aktionen aufgrund der Vorstrafe, die beim zweiten Mal zu einer höheren Bestrafung führen würde.
Offensive Prozessführung und Verhinderung einer Bestrafung schließen sich aber keinesfalls aus. Ganz im Gegenteil: Wo der Prozess für die AnklägerInnen unangenehm wird, rückt die Einstellung des Verfahrens in greifbarere Nähe.

Ziel 2: Das eigene Thema bringen
Es gibt Prozesse um den Widerstand gegen Repression, z.B. Widerstand gegen die Staatsgewalt oder justizkritische Graffities. Dann fallen das Thema der Anklage mit den bereits genannten Zielen zusammen. In den meisten Fällen wird das anders sein. Dann tritt der Gegenstand der Anklage und die dahinterstehenden Motive in den Vordergrund. Das Strafgesetzbuch schreibt zumindest vor, die möglichen Motive der TäterInnen zu prüfen. Für viele Anklagepunkte geht es sogar noch weiter: Eine Widerstandshandlung gegen die Polizei ist nur strafbar, wenn das Verhalten der Polizei rechtmäßig war – da lässt sich der Prozess schnell auf den Kopf stellen. Durchleuchtet wird, was die Polizei gemacht hat. Hausfriedensbruch bei Besetzungen, Sachbeschädigung gegen Genfelder oder Abschiebeknäste, Beleidigung als Tatsachenbehauptung gegen PolitikerInnen – immer muss der dahinterstehende Vorgang geklärt werden. Dabei sind die Angeklagten in der offensiven Position: Sie brauchen zur Sache nichts sagen, können aber ihre KontrahentInnen mit Fragen durchlöchern – denn die werden im ZeugInnenstand sitzen.*

Diktatur im Gerichtssaal: Der rechts-autoritäre Richter Dr. Frank Oehm hat 2008 in der berüchtigten Skandaljustiz von Gießen dort Angeklagten verboten, über das Thema zu sprechen und Fragen zu stellen, worum es bei dem Prozess ging. Schließlich schloss er sogar einen Angeklagten vom Prozess aus und verhandelte ohne die Angeklagten – um sie am Ende hart zu verurteilen. Anklagepunkt war Sachbeschädigung an einem Genversuchsfeld – doch darüber durfte nicht geredet werden. Das skandalöse Verhalten des Amtsgerichts-Vizepräsidenten Oehm konnte auf höchster richterlicher Ebene nicht überprüft werden, weil die Staatsanwaltschaft Gießen mit einem Verfahrenstrick (Sperrberufung) eine Revision schon nach der ersten Verfahrensstufe verhinderte.

Das bedeutet: Der Hausbesitzer, der die HausbesetzerInnen räumen ließ, kann befragt werden – und darf nicht schweigen und nicht lügen (sonst: Beugehaft oder gar ein Strafverfahren wegen Falschaussage). Die Betreiber eines Genfeldes müssen Fragen ihrer KritikerInnen beantworten ... welch eine Chance, die es an keinem anderen Ort der Welt gibt.

Ziel 3: Strafe und Repression angreifen, behindern, blockieren
Die ersten beiden Ziele sind naheliegend, doch eine Anklageerhebung lässt sich auch grundsätzlicher politisieren. Die Nummerierung der Ziele soll daher keine Rangfolge der Bedeutung darstellen, sondern eher eine Liste von Möglichkeiten, die alle oder nur teilweise verfolgt werden können. Ob zum Beispiel vor Gericht das Absurde von Strafe oder der seltsamen Möblierung von Gerichtssälen thematisiert werden soll, müssen die Beteiligten selbst entscheiden – von Einzelfall zu Einzelfall.
Anklagen und Bestrafung zu be- oder gar verhindern, überschneidet sich mit Ziel 1. Wo kein Urteil mehr gesprochen wird, weil ein Verfahren scheitert oder eingestellt wird, gibt es auch keine Strafe. Doch die Blockade von Justizarbeit kann mehr dienen: Dem Sand in ein Getriebe, das nicht den Menschen dient. Strafe stärkt vielmehr eine Ordnung, die durch Interessen geleitet wird - den Interessen derer, die gerade bestimmen, was geschehen soll.

Ziel 4: Den Unsinn des Richtens und Strafens demaskieren
Blick ins Jahr 2004: Eine Studie erschien – aus berufenem Munde. Überraschend war sie nicht vom Inhalt her, sondern dass das zu Erwartende nun auch offiziell bestätigt wurde. Berufener Mund deshalb, weil Auftraggeber das Bundesjustizministerium war und es schon glaubwürdig klang, wenn die oberste Regierungsstelle des Strafens selbst über ihre eigene Strategien sagt: Alles Unsinn - Strafe und Knast machen alles schlimmer! Das war das Fazit der vom Justizministerium veröffentlichten „Rückfallstatistik“. Das spannende Ergebnis liest sich so: „Die zu einer freiheitsentziehenden Sanktion Verurteilten weisen ein höheres Rückfallrisiko auf als die mit milderen Sanktionen Belegten.“ Also - je härter die Strafe, desto sicherer die Kriminalisierung durch selbige. Strafe erzeugt das, was sie zu verhindern vorgibt. Das deckte sich mit allen Beobachtungen zu Autorität: Je autoritärer die Erziehung, desto gewaltförmiger in der Tendenz der Umgang der so Erzogenen mit ihren Mitmenschen. Je autoritärer das persönliche Umfeld, desto gewaltförmiger der Umgang der Menschen untereinander (z.B. im Knast). Je autoritärer ein Staat, umso mehr Gewalt zwischen den Menschen in ihm - jeweils in der Tendenz. Die Forderung nach Abschaffung von Knästen, Justiz und Polizei ergibt sich schon aus diesen Überlegungen. Mehrere weitere kommen hinzu:
  • Die Existenz von Repressionsstrukturen ist selbst immer auch Ursache für den Wunsch nach Einsatz derselben zu bestimmten Zwecken. Herrschaft und Herrschaftsausübung folgen unmittelbar aus der Möglichkeit dazu. Wenn ich die Waffe in der Hand habe (oder eine Polizei durch entsprechende Gesetze zum Handeln veranlassen kann), steigt meine Neigung, mich mit meinen Mitmenschen nicht mehr zu einigen, sondern sie zu zwingen.
  • Fast alle Gewalttaten zwischen Menschen haben spezifische Gründe, die nicht wiederkehren. Wer einen anderen Menschen aus Rache, angestautem Ärger oder Neid umbringt oder verletzt, wird das nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder tun wie andere Menschen auch. Das macht die Tat nicht besser, es zeigt aber, dass Strafe der Genugtuung Dritter dient, aber nicht zu Veränderung von Verhalten führt. Ganz im Gegenteil: Die asozialisierten Verhältnisse im Knast können bewirken, was ohne den Knast nicht passieren würde - die Fortsetzung von gewaltförmigem Verhalten.
  • Viele Gewalttaten haben eine Vorphase, z.B. sexueller Missbrauch in Form von verbalen Übergriffen oder Drohungen, Schläge bis hin zum Mord in Form von massivem Streit. Wenn hier das soziale Umfeld nicht weggucken würde („Darüber redet man nicht“ über „das geht Dich nichts an“ bis zu „das beschmutzt die Ehre unserer Familie“), sondern intervenieren und die VerursacherInnen zur Rede stellt, würden die meisten Eskalationen hin zu Gewalttaten gar nicht mehr stattfinden. Strafe dagegen greift erst ein, wenn es zu spät ist.
  • Die weitaus meisten Straftaten, Häftlinge und auch Paragraphen im Strafgesetzbuch haben mit Gewalt zwischen Menschen aber gar nichts zu tun. Es sind Handlungen mit wirtschaftlichem Hintergrund oder Ungehorsam bzw. Sabotage gegen den Staat. Erstere sind bei genauerer Betrachtung fast immer Umverteilungen von Oben nach Unten, d.h. Menschen holen sich etwas, wo es mehr davon gibt - oftmals sogar, ohne dadurch andere Menschen zu schädigen. Wer jemand anders das Fahrrad klaut, schädigt die andere Person. Wer aber kein Handy hat und Karstadt, T-Punkt oder Vodafone bieten Tausende an, so ist das Wegnehmen von einem Umverteilung. Aus Profitinteressen ist das unter Strafe gestellt. Mit dem zweiten großen Block im Strafgesetzbuch schützt sich der Staat selbst - mensch darf seine Hymne und Fahne nicht verunglimpfen oder PolizistInnen nicht beleidigen. Und etliches mehr.
  • Zu alledem gibt es verbotene Dinge, die niemanden stören - nur der Staat will eine bestimmte Ordnung aufrechterhalten. Drogenkonsum, Partys auf der leeren Straße, bunte Graffitis an grauen Behördenwänden und ähnliches gehören dazu.

Wer Politik gegen Herrschaft machen will, greift in Gerichtssälen etwas sehr Symbolisches an, etwas aus dem Kern von Machtausübung. Deutschland oder der Kapitalismus ohne Nazis oder ohne Castor - das ist denkbar. Deutschland, das ewige Streben nach Verwertung und Profit oder autoritäre Gesellschaft als solches sind ohne Justiz und Polizei aber kaum. Ein Grund mehr, Repression grundsätzlich in Frage zu stellen und damit Visionen einer Gesellschaft jenseits von Staaten, Erziehung und Strafe überall ins Gespräch zu bringen. Das kann über den direkten Angriff auf Repression, Kontrolle und Strafe erfolgen (von Störung, Theater, Graffiti bis Militanz). Zudem ist jede Situation, in der Repression auftritt, eine Chance, selbige zu thematisieren, also Kontrollen, Verhaftungen oder Gerichtsprozesse in eine Aktion zu wenden. Und es kann Selbstzweck sein, das absurde System des Richtens und Strafens durch offensive Strategien zu stören, zu behindern und zu blockieren.

Im Original: Zwei Berichte: Defensiv und offensiv
Text von Hauke Thorie in: utopia, Frühjahr 2011 (S. 5)
Die Tür hinter dem Richterpult öffnet sich. Mit einem Räuspern erhebt sich die Wachmannschaft, drohend jeden anschauend, der sich nicht schnell genug für das Ende des Theaterstücks erhebt. Der Richter kommt umgehend zur Sache: „Im Namen des Volkes erkennt das Gericht folgendes für wahr: Der Angeklagte wird des Landfriedensbruches, begangen am 2.6.2007 in Rostock für schuldig befunden.“ Auf der ZuschauerInnenbank kommt es zu leisem Gepöbel. Ein strenger Blick der Staatsanwältin reicht aus, um den zögerlichen Protest verstummen zu lassen. Es dauert nicht einmal eine halbe Stunde, da ist Patrick nur aufgrund von Aussagen der Polizeizeugen verurteilt. Sie widersprachen sich zwar, aber der Richter wischte alle Zweifel einfach beiseite. Zurück bleibt bei den Betroffenen und der Soli-Gruppe ein Gefühl der Hilflosigkeit. Es ist die vierte Verurteilung noch vor der Mittagspause. Und letzte Woche waren es insgesamt acht. Nicht einmal das Veranstalten von Soli-Partys bleibt bei so vielen Verurteilungen eine Option, um die individuellen Folgen der Strafen abzuwenden. Scheinbar ist es schwer, auch nur ein kleines bisschen Sand in die Maschinerie der Urteilsfabrik Gericht zu werfen.
Aktionen und AktivistInnen gibt es relativ viele. Aber einen offensiven Umgang mit der Justiz findet man selten. Solidarität beschränkt sich oft auf Händchen halten und Geld spenden. Aus einer zentralen Verteidigungslinie des Systems ein Kampffeld zu machen, kommt scheinbar kaum jemanden in den Sinn. Zu einschüchternd sind die Säale, zu unerfahren die AktivistInnen. „Keine Aussage!“ wird zwar überall propagiert, aber erklärt wird es selten. Noch seltener wird es trainiert. Und z.B. bei Widerstandsverfahren steht man scheinbar der Phalanx aus lügenden PolizistInnen, dies unterstützenden StaatsanwältInnen und trotzdem verurteilenden RichterInnen chancenlos gegenüber.
Hinzu kommen oft die eigenen linken AnwältInnen. Zum einen sind sie kreative widerständige Angeklagte nicht gewohnt (wo sollen die in einer auf Eliten, Zentralen und Großveranstaltungen ausgerichteten politischen Bewegung auch herkommen?) und zum anderen verstehen auch viele linke AnwältInnen Herrschaftssysteme wie Demokratie und Rechtsstaat als etwas Positives, dass es für eine emanzipatorischen Bewegung lediglich zu verteidigen gilt. Außerdem stehen sie auch noch soziokulturell im anderen Lager: Sie haben auf den selben Unis wie Richter und StaatsanwältInnen studiert, sind in den selben Vereinen und beherrschen die selben gesellschaftlichen Codes, die sie gegenüber der Normalgesellschaft privilegieren. So kommt es, dass die meisten Prozesse gegen politisch aktive Menschen bereits nach nicht einmal einer Stunde im Sinne der Herrschenden erledigt sind.

Amtsgericht Bad Oldesloe, Frühjahr 2009. Vor Gericht steht ein Aktivist wegen Widerstands. Die Polizeizeugen und der Angeklagte sind alte Bekannte. Auf seiner Homepage berichtet er regelmäßig kritisch über die Einsätze der örtlichen Polizei. Wo es geht, mit Namen und Fotos der BeamtInnen. „Oh, das ist alles nur ein Missverständnis. Das hätten sie doch gleich so ausdrücken können!“ sagt der Richter, nachdem ihm die vorbereitete Beschwerde auf dem Tisch geknallt wird. Klar ist es kein Missverständnis. Der Richter wusste genau, was er tat, als er den Antrag abbügelte. Er wusste nur nicht, dass es zum Plan gehört. Beim Staatsanwalt mag es anders ausgesehen haben. Er sorgte nach einen Befangenheitsantrag gegen ihn selbst für schmunzelnde Gesichter, als er um eine Pause bat, um seinen Chef anzurufen, und dessen Meinung einzuholen. Die Vorbereitung des Angeklagten und des Publikums waren so gut, dass die Justizangestellten die Einzigen im Saal waren, die nicht wussten, dass die Strafprozessordnung keine Befangenheitsanträge gegen den Staatsanwalt vorsieht. Auch ansonsten verläuft das Theaterstück „Inszenierung von Justiz zur Legitimierung von Herrschaft“ heute etwas anders. Allein schon die Deko ist ungewöhnlich. Vom Kronenleuchter hängen Luftballons, die böse dreinblickenden Wachtmeister werden bei jeder Gelegenheit unfreiwillig mit Konfetti und Luftschlangen dekoriert. Es gibt einen Zähler für autoritäre Ausraster und Rechtsbrüche des Staatsanwalts und des Richters. Der Richter ist leicht in Führung. Und auch die durch den Saal hüpfenden Flummies machen sich super. Außerdem scheint es, als sei der Angeklagte der Ankläger. Dieser klagt in jeder Äußerung, mit jedem Antrag die Cops an, Widerstandsverfahren am laufenden Band zu erfinden, um unbequeme Menschen zu kriminalisieren. Außerdem klagt er die Gerichte an, das Spiel mitzuspielen, egal wie dummdreist die Cops lügen würden. Der aktuellen Fall ist für ihn nur ein Beispiel, um die Ungleichheit zwischen „Normalos“ und Cops vor Gericht zu thematisieren. Und alles ohne eine einzige Aussage zur Sache. Eine Woche später wird das Verfahren eingestellt. Selbst das lokale Klatschblatt titelt auf Seite 1: „Soli-Prozess endlich eingestellt“. Das scheitern der gängigen Kriminalisierungspraxis hinterlässt bleibenden Eindruck. Polizei und AktivistInnen treffen sich eine Woche später erneut bei einer Aktion in der Innenstadt. Gut hörbar ermahnt der Truppführer seine Schläger: „Vorsicht, dass ist er!“
Das Beispiel zeigt: Durch offensive Strategien vor Gericht lässt sich effektiv Sand ins Getrieben der Justiz streuen. Selbst wenn der Fall nicht eingestellt wird, bietet sich reichhaltige Möglichkeiten eine Kritik am Herrschaftsinstrument „Justiz“ in die Öffentlichkeit zu tragen. Ein Beispiel dafür ist der „Boehringer-Prozess“ in Hannover im Frühjahr 2010 gegen die BesetzerInnen einer Tierversuchslaborbaustelle, denen Hausfriedensbruch vorgeworfen wurde. Unter reger Berichterstattung in der Hannoveraner Presse dauerte es 15 Verhandlungstage, bis der Schuldspruch gelang.
Die Strafprozessordnung bietet viel mehr Möglichkeiten für Angeklagte, als die Gerichte ihnen meistens gewähren. Angeklagte ohne Anwälten haben zwar das Recht, die Akte zu sehen, Kopien davon zu machen, Zeugen zu laden und Anträge aller Art zu stellen. Nur ohne den entsprechenden Druck ignorieren viele Gerichte diese Rechte. Um trotzdem das Gelingen einer offensiven Strategie möglich zu machen, müssen verschiedenen Faktoren zusammenkommen. Das soziale und politische Umfeld der Angeklagten muss bereit sein, einen eventuell langen Prozess mitzutragen. Die Angeklagten müssen gut vorbereitet sein. Und sie sind auf ein widerständiges und ebenfalls gut vorbereites Publikum angewiesen, dass in der Lage ist, mit den Angeklagten zusammen auch bereits im Vorfeld des Prozesses Druck auf das Gericht aufzubauen. Mit guter Vorbereitung erscheint es durchaus möglich, sowohl Sand im Getriebe des Herrschaftslegitimationsapparats „Justiz“ zu sein, als auch gerade durch das Ausnutzen der sich bietenden Chancen mit widerständigen Prozessen der Justiz und der Polizei ihr Theater auch öffentlich auf die Füße fallen zu lassen.


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