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DURCH DIE INSTANZEN ...

Probleme


1. Sinn und Unsinn intensiver Gegenwehr vor Gericht
3. Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand
4. Berufung
5. Revision
6. Absolute Revisionsgründe
7. Weitere Gründe für Revisionen (unvollständig)
8. Gerichtsprotokolle
9. Probleme
10. Schema: Welche Rechtswege gibt es?
11. Wiederaufnahmeverfahren
12. Links

Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S. 115 ff.)
Hebt ein Strafsenat des Bundesgerichtshofes das Urteil einer Straf- oder Schwurgerichtskammer auf, entsteht meist eine absurde Situation. Der Bundesgerichtshof hat als Revisionsinstanz ja keine Tatsachenentscheidung gefällt. Auch sein Urteil fußt auf den Feststellungen des gerügten Gerichts zum Tatverlauf. Solange diese nicht gerade haarsträubend unlogisch sind, werden die obersten Richter sie " bestehen " lassen, standardmäßig erklären, sie würden von dem gerügten "Rechtsfehler" des aufgehobenen Urteils "nicht berührt" und den fraglichen Fall zur Neuverhandlung an eine andere Kammer desselben Gerichts zurückverweisen. Abermals muss dann eine Tatsacheninstanz den Fall untersuchen. Doch die Richter sind jetzt an einer wirklich freien Beweiswürdigung gehindert. Denn da die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz weiterhin gelten, dürfen sie im Grunde nichts herausfinden, was diesen Feststellungen widersprechen könnte. Das heißt: Erneute Vernehmungen von Angeklagten, Zeugen oder Sachverständigen dürfen das bisherige Bild des äußeren und inneren Tathergangs im Kern nur bestätigen - und bestenfalls in Nuancen korrigieren. Träte plötzlich ein Zeuge auf, der glaubhaft versichert, in Wahrheit sei alles ganz anders gewesen, wären die neuen Richter aus rein juristischen Gründen gezwungen, eine solche Aussage als unwahr zu betrachten. Der Grundsatz von Wahrheit und Gerechtigkeit ist damit in Teilen suspendiert. So entsteht je nach Lage der Dinge ein mehr oder weniger absurder Zwang zu taktischen Aussagen und Argumentationen. Dieses Problem steckt wiederum im System. Dass auch erfolgreiche Revisionsentscheidungen die Feststellungen eines Landgerichts zum Tatverlauf meist bestehen lassen, soll nämlich verhindern, dass durch die Hintertür der Revision faktisch doch noch eine Berufungsinstanz etabliert wird. Bisweilen sind der Justiz ihre höchst eigenen Spielregeln eben wichtiger als die Gerechtigkeit.
Ein zweiter Punkt erschwert nach erfolgreicher Revision das weitere Verfahren nicht minder: Der Fall wird zwar an eine andere Kammer, aber in der Regel an dasselbe Gericht zurückverwiesen. Die jetzt zuständigen Richter sitzen Tür an Tür mit jenen, die das aufgehobene Urteil gesprochen haben. Die Erfahrung zeigt, dass es keiner Busenfreundschaften bedarf, um das milde Lüftchen der Justizkumpanei über die Gänge wehen zu lassen. Schließlich kennt man sich und die Maßstäbe, nach denen der Kollege urteilt, oft seit vielen Jahren. Natürlich wird sich der bisher mit der Angelegenheit nicht vertraute Richter über den fraglichen Fall erst einmal im Nachbarzimmer erkundigen. Und umgekehrt: Warum sollte der von der Revision gerügte Jurist auf dem Weg zur Kantine oder bei einer gepflegten Zigarre nicht ab und an nachfragen, wie "unser Fall" denn gerade steht: Und wenn ich Ihnen einen kleinen Tipp geben darf ...
Problem Nummer drei: Vor allem bei spektakulären, von der Presse aufmerksam verfolgten Prozessen ist die Atmosphäre, wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, an einem Gerichtsort für den Angeklagten häufig vergiftet. Gleiches gilt nach so genannten konfrontativen Prozessen, in denen zahlreiche strittige Beweis- oder Befangenheitsanträge die Stimmung im Gerichtssaal verdorben haben. In solchen Situationen fällt es selbst Berufsoptimisten schwer, auf eine faire Neuverhandlung zu hoffen.


Im Original: Was vor Gericht passiert ist, definiert das Gericht!
Aus Tronje Döhmer, "Rekonstruktion der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren", in: Straßenverkehrsrecht 2/2009 (S. 47 ff.)
Es geht um die Aufrechterhaltung und Festigung der staatlichen Autorität im Bereich des Strafrechts. Die Aufhebung von Entscheidungen des örtlichen Tatgerichts soll tunlichst vermieden werden, weil damit der Staat einräumen müsste, falsch entschieden zu haben. Mit den,,Traditionen eines demokratischen Rechtsstaates" hat all dies nichts zu tun. Der Bürger soll buckeln. Der Verteidiger soll ihn dazu bringen, dies zu tun, indem er für die Akzeptatu solcher Entscheidungen sorgt. ...
Sagt der Zeuge nämlich für alle Anwesenden in der Hauptverhandlung deutlich vemehmbar "A" aus, schreibt der Tatrichter jedoch aufgrund der Aussage dieses Zeugen stehe "B" fest und stützt er darauf seine Verurteilung, so hat dies mit einem rechtstaatlichen Verfahren nichts zu tun. ...
Hervorzuheben ist, dass die betroffene Gruppe von Strafrichtem kein Unrechtsbewusstsein verspürt. Die Kenntnisse über das "revisionssichere Dichtschreiben" von Strafurteilen werden durch Ausbildung und Üben erlangt. Die Praktiken sind von Richtergeneration zu
Richtergeneration weitergegeben worden. Angewendet werden damit Techniken des Abfassens von Strafurteilen, die aus dem vorvorigen Jahrhundert stammen e. Leider werden diese Zusammenhänge nur zu oft geleugnet. Die gewollte oder ungewollte Manipulation am Faktum wird so oder so rechtsstaatlichen Anforderungen nicht gerecht. ...
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Bundesgerichtshof in keiner der dem Verfasser bekannten Entscheidungen mit diesem Problem befasst. Das Rechtstaatsprinzip und die Gebote eines fairen Verfahrens sowie der Wahrheitsfindung finden in all diesen Judikaten keine Erwähnung. Spuren eines Problembewusstseins lassen sich nicht erkennen. Leider ist das rechtshistorisch konsequent. ...
Wenn erwiesen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung "A" sagte und fülschlicherweise im Urteil steht, er habe "B " gesagt, ist der Tatrichter nicht schutzwürdig und der demokratische Rechtsstaat schreit nach einer Korrektur, die ihm der BGH beharrlich und ohne rechtfertigenden Grund verweigert. Die Schutzbedürftigkeit des Tatrichters folgt allemal nicht daraus, dass das deutsche Strafprozessrecht keine Wortprotokolle in strafrechtlichen Hauptverhandlungen, insbesondere nicht vor den Landgerichten kennt. Damit solidarisierte sich der Gesetzgeber mit einer nicht entnaziftzierten Richterschaft, die sich gerne einer effektiven Kontrolle durch Rechtsmittelgerichte und die Öffentlichkeit entzieht. Wer keine ernthafte Kontrolle fürchten muss, verselbststrindigt sich und macht dauerhaft, was er will. So haben sich die Dinge verschärft entwickelt. Das steckt hinter dem,,Gefühl", an einer anderen Hauptverhandlung teilgenofllmen zu haben. Falsche Feststellungen in Strafi.rteilen des Tatrichters sind ungesetzlich. Aus § 261 StPO ergibt sich nichts Anderes. ...
Der Sockel des Tatrichters ist zunehmend überhöht worden. Die Verktindungen gleichen den Verlautbarungen aus den Politbüros der KPDSU bzw. der KPC: "Das Ergebnis der Aussage eines Zeugen, wie überhaupt das Ergebnis der Hauptverhandlung, festzustellen und zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters; der daftir bestimmte Ort ist das Urteil. Was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage festgehalten ist, bindet das Revisionsgericht. Darüber ist kein Gegenbeweis zulässig." (BGH, Urteil vom 07.10.1966 - 1 StR 305/66) ...
Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland kennt das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht. Es ergibt sich weder aus der Strafprozessordnung noch aus dem Grundgesetz. Es beruht auf einer rechts- und verfassungswidrigen Rechtsfortbildung durch die Obergerichte. Rechtsprechung und Literatur können das Verbot nicht bergründen, weil es nicht existiert und sich damit als unbegri.indbar erweist.
Das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung verstößt gegen elementare Verfassungsgrundsätze zum Verfahrensrecht:
- Gebot eines rechtsstaatlichen Verfahrens,
- Gebot eines fairen Straßrerfahrens einschließlich der Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem,
- Gebot der Wahrheitsfindung,
- Schuldprinzip und Unschuldsvermutung.
Die unzulänglichen Protokollierungsbestimmungen der Strafprozessordnung (insbesondere § 273 SIPO) können keine Rechtsgrundlage ftir ein Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung sein. Vielmehr sprechen sie gerade gegen dieses Verbot, weil durch sie unrichtige tatrichterliche Feststellungen in Strafurteilen nicht vermieden, sondern gefiirdert werden. Dies gilt sogar für Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht, danicht einmal dort die Führung eines Wortprotokolls vorgeschrieben sein soll. ...
Mit der Notwendigkeit der Aufklärung von Straftaten haben falsche Feststellungen in strafrichterlichen Urteilen nichts zu tun. Die Aufklärung von Straftaten erfordert kein Dichtschreiben von Strafurteilen und eine damit einhergehende Manipulation am Faktum, sondern rechtmäißiges, verfassungsgemäßes, sachliches und von fairer Redlichkeit geprägtes Vorgehen.


Bundesgerichtshof sagt: Wahr ist nur, was der Richter sagt!

Aus BGH, Urteil vom 08.02.1961 - 2 StR 625/60 (zitiert nach Döhmer, s.o.)
Einer dahingehenden Überprüfung der Beweiswürdigung steht die Vorschrift des § 261 SIPO entgegen. Danach entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufüahme allein der Tatrichter. Nur was er nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung als Beweisergebnis ansieht und feststellt, ist maßgebend und damit auch für das RevGer. bindend. Aus diesem Grunde sind schriftliche Vermerke, die ein Prozeßbeteiligter über die Angaben eines Zeugen abweichend von den Feststellungen des Gerichts gefertigt hat, zu deren Widerlegung nicht geeignet.

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