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KURZNACHRICHTEN ZU REPRESSIONSTHEMEN

2017


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Dezember
Schwarzstrafen - gegen den § 265a, für Nulltarif!
In Mainz fand am 19.10.2017 ein Schwarzfahrprozess statt. Angeklagt war mit Manfred Bartl eine Person, die seit Jahren demonstrativ ohne Ticket unterwegs ist und dagegen protestiert, dass der Mobilitätsanteil im HartzIV-Satz nicht einmal für das Sozialticket reicht. Es gilt zudem nur in der Stadt und nicht im Verkehrsverbund oder wenigstens im engeren Umland, z.B. dem Rhein-Main-Gebiet. Schon das mündliche Urteil war ein Skandal. Der ohnehin autoritär agierende Richter meinte, es gäbe auch keine Straffreiheit, wenn mensch vor einer Körperverletzung diese ankündige. Das hat zwar mit dem Wortlaut der entsprechenden Paragraphen wenig zu tun, aber es zeigte sich wieder, wie richtig die Aussage ist, dass nirgendwo so viel Recht gebeugt wird wie in Robe und Uniform. Ein Bericht mit wilder Debatte fand sich auf der Facebook-Seite der regionalen Tageszeitung. Inzwischen liegt auch das schriftliche Urteil vor. Dort definierte der Richter „Erschleichung“ so: „Der Begriff der Erschleichung erfordert demgemäß die Herbeiführung eines Erfolges auf unrechtmäßigem, unlauterem oder unmoralischem Weg.“ Keines der drei Adjektive hat tatsächlich etwas mit „Erschleichen“ zu tun. Aber die letzten beiden zeigen, dass der Richter moralisch motiviert war, als er die Strafe aussprach.
Dass die Offensiv-Schwarzfahr-Kampagne dennoch Sinn macht, zeigt die ins Rollen kommende Debatte. Über mehrere Städte, die den Nulltarif praktizieren, berichtete das ZDF in einem sehenswerten Beitrag. Der grüne Justizsenator von Berlin, der CDU-Justizminister von Nordrhein-Westfalen und die Linken-Vorsitzende Katja Kipping (youtu.be/i6BfRi-z_no) forderten die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens.

Ton-Bilder-Schau zum Thema Zwangspsychiatrie ist fertig
Wer die spektakulären Vorträge "Fiese Tricks von Polizei und Justiz", "Monsanto auf Deutsch" oder "Die Mischung macht's" kennt, kann sich auf eine neue, vierte Ton-Bilder-Schau aus der Projektwerkstatt freuen. Die dreht sich wieder um Repression, diesmal aber um Zwangspsychiatrie. Sie trägt den langen Titel "Wo Pippi eingesperrt, gedemütigt, fixiert, zwangsmedikamentiert und 20 Jahre früher sterben würde". Wer Interesse hat, diese Ton-Bilder-Schau in die eigene Stadt zu holen, kann sich bei kobra@projektwerkstatt.de oder Tel. 06401-903823 melden. Beschreibung:
240.000 Menschen werden jedes Jahr in Deutschland gegen ihren Willen psychiatrisch zwangsbehandelt. Solche "Behandlungen" haben es in sich. Es sind qualvolle Unterwerfungsrituale, bei denen die eine Seite alle Macht hat und die andere keine. Das geben die Chefs deutscher Kliniken selbst zu. Der Wille des Patienten würde gar nichts zählen, schrieb der Leiter einer forensischen Psychiatrie in einem Brief an die Vorsorgebevollmächtigte eines Gefangenen - und erteilte ihr Hausverbot. Auch andere Verbrechen geben die Täter*innen in Weiß offen zu: Wenn passende Medikamente fehlen, würden halt andere genommen. Die seien dann zwar nicht zugelassen, aber das mache nichts. Disziplinarmaßnahmen würden als Therapie verschleiert. 18 bis 25 Jahre kürzer würden Menschen leben, die über lange Zeit Psychopharmaka nehmen - in der Regel: nehmen müssen. Der Staat hat mit den geschlossenen Psychiatrien Räume geschaffen, in denen die Untergebrachten Freiwild sind. 359 Euro erhalten die Kliniken dafür pro Tag und Person. Die Klinikärzt*innen sitzen selbst vor Gericht und schreiben die Gutachten, die ihnen die Betten füllen. Über Fördervereine organisieren sie ein zusätzliches, undurchsichtiges Umfeld. Die Ton-Bilder-Schau des investigativen Journalisten Jörg Bergstedt gibt einen tiefen Blick hinter die Kulissen der Zwangspsychiatrie, dargestellt vor allem an Unterlagen, die aus den Psychiatrien selbst stammen. Den Abschluss bildet die Frage, wie eine Welt ohne Zwangsbehandlungen aussehen könnte - und was das alles mit Pippi Langstrumpf zu tun hat.

taz-Redakteurin guckt Laienverteidiger*innen über die Schulter
Drei Tage war sie mit dabei, besuchte zwei Prozesse, guckte sich in der Projektwerkstatt um und besuchte ein Prozesstraining in Düren. Dann schrieb die taz-Schreiberin einen langen Artikel über ihre Erlebnisse. Zwei Seiten nahm der in der taz ein. Vieles darin war mehr Erlebnisbericht als politische Würdigung, was viele Laienverteidiger*innen schade fanden. Denn diese sehen ihre Aktivität als Verlängerung der politischen Aktion in den Gerichtssaal hinein – aber auch als effiziente Form, sich vor Rechtsfolgen zu schützen. Bemerkenswerter als der Artikel selbst waren aber die Reaktionen. Linke Organisationen formulierten schon im Artikel, Menschen lieber bevormunden als zur Selbstermächtigung bringen zu wollen. Vielfach richtig derb ging es dann in den Kommentaren auf taz- und taz-Facebook-Seite ab. Offenbar bleibt eines das Schreckgespenst aller: Selbstermächtigung und Emanzipation von autoritären Verhältnissen. Wie sagte noch Kant zur Frage der Selbstverschuldung bei der Unmündigkeit? Der Artikel findet sich im Netz unter www.taz.de/Kreativitaet-in-Strafprozessen/!5458992/

Neue Infogruben – auf Papier und im Netz
Zwar wegen der Blogstruktur etwas unübersichtlich, aber recht reichhaltig ist das Angebot an Tipps und Downloads von Ratgebern zu militanten Aktionen. In einer Rubrik (militanz.blackblogs.org/category/ueberwachung-technik/) wird über die Strategien von Behörden insbesondere bei der Verhinderung oder Verfolgung politischer Aktionen berichtet. Das nützt als Schutz vor rechtlichem Ärger.
Für die softeren Formen politischen Engagements ist das Werk „Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht“ von Stefan Winheller und anderen nützlich (2017, Nomos in Baden-Baden, 1958 S., 198 €). Nach einer Einführung in Verfassungsgrundlagen und Geschichte des Gemeinnützigkeitsrechts werden relevante Paragraphen der Abgabenordnung umfangreich interpretiert, kommentiert und einschlägige Urteile zitiert. Die Zahl der Randnummern geht oft, die der Fußnoten und Quellen regelmäßig in den dreistelligen Bereich. Nach ungefähr der Hälfte des dicken Werkes folgen andere Steuergesetze, von denen die meisten ebenfalls umfangreich kommentiert werden. Einige ergänzende Vorschriften und Texte zur Rechnungsführung runden das Buch ab. Es steht, wie viele Bücher für politische Bewegung, im Archiv der Projektwerkstatt (www.projektwerkstatt.de/kabrack).

November
Legal-Team-Auswertung zum diesjährigen Klimacamp und den Aktionstagen
Im August 2017 fanden im rheinischen Braunkohlerevier mehrere Klimacamps und Aktionsserien statt. Für alle zusammen agierte eine Rechtshilfegruppe unter dem Titel „Legal Team für Alle“. Nun liegt eine Auswertung ihrer Tätigkeiten und Erfahrungen vor, veröffentlicht unter antirrr.blogsport.de/2017/10/27/legal-team-auswertung-zum-diesjaehrigen-klimacamp-und-den-aktionstagen. Ein besonderes Kapitel widmen die Autor*innen dabei der Frage von Personalienabgabe oder –verweigerung bei der Polizei. Im Fazit formulieren sie: „Als Legalteam sind wir der Meinung, dass auch dieses Jahr die Personalienverweigerungen weitgehend erfolgreich verliefen. Um damit weiter zu machen, muss jedoch ein Umgang mit der Angst vor der Identifizierung im Allgemeinen und ein Umgang mit Personenkontrollen im Speziellen gefunden werden. Menschen dürfen nicht unter Druck gesetzt werden, die Personalien zu verweigern.“

Neue Dynamik in der Schwarzfahr-Debatte
Das ZDF sendete am 28.102017 eine 28min-Dokumentation über den Nulltarif in verschiedenen Städten (www.zdf.de/gesellschaft/plan-b/plan-b-fahren-ohne-fahrschein-100.html). Kurz zuvor hatten sich zwei Landesregierungsmitglieder, jeweils für Justiz zuständig, sich für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens ausgesprochen. Die Frage nach einem Ende des sowohl uneffizienten als auch sozial und ökologisch schädlichen Fahrkartensystems ist wieder auf der Tagesordnung. Der grüne Senator von Berlin wies unter anderem darauf hin, dass die krassen Strafen bis zu mehrmonatiger Haft nur den Verkehrsunternehmen dienen, die Kontrollpersonal einsparten, während der Staat per Strafandrohung als Ausputzer einsprang. Auf die Nachfrage, wie er dazu stehen würde, antwortete er: „Nein. Andere Wirtschaftsunternehmen unterstützen wir auch nicht dabei, wenn sie ihre sicher berechtigten Forderungen eintreiben.“ Der CDU-Minister aus Nordrhein-Westfalen stellte die hohen Kosten in den Mittelpunkt: „Wir haben also allein am Montag in NRW rund 160.000 Euro dafür ausgegeben, dass Menschen inhaftiert sind, die das Gericht überhaupt nicht inhaftieren wollte“. Wenige Tage nach diesen Äußerungen zeigte ein Strafprozess in Mainz jedoch, dass an provinziellen Amtsgerichten weiterhin mit absurden Tricks die Kapitalinteressen verteidigt werden. Ein studierter Jurist in Richterrobe verurteilte einen Schwarzfahrer trotz durch eigene Beschlüsse (Wahrunterstellungen) fixierter Beweislage, dass dieser ein auffälliges, eindeutig formuliertes Schild trug. Im mündlichen Urteil stellte er die abenteuerliche Behauptung auf, dass sonst in Zukunft auch Prügelattacken straffrei wären, wenn mensch sie vorher ankündigen würde. Der Verurteilte reichte Rechtsmittel ein in der Hoffnung, auf Landgerichtsebene auf Juristen zu stoßen, die wenigstens ein Basiswissen im Rechtsbereich aufweisen würden. Alle Infos auf www.schwarzstrafen.siehe.website.

Endlich: Landgericht Magdeburg erkennt § 34 StGB an!
Das hat es bislang selten gegeben: Wer für eine bessere Welt oder gegen konkrete Missstände kämpft, hatte die Motive vor Gericht kaum geltend machen können. Dabei bietet der rechtfertigende Notstand eine vom Gesetzeswortlaut her interessante Grundlage für Freisprüche, wenn Menschen bei der Verfolgung wichtiger Ziele Strafgesetze übertreten. Das Landgericht Magdeburg, welches vor einigen Jahren noch eine für sie bittere Revision kassierte, als es bei einer Genfeldbefreiung den Paragraph nicht berücksichtigen wollte, hat jetzt die Reißleine gezogen: „Besteht Gefahr für die Gesundheit der Tiere, so kann dies einen Notstand bedeuten, der Tierschützer zum Eindringen in einen Zuchtbetrieb berechtigen kann. Mit dieser Argumentation verwarf das Landgericht (LG) Magdeburg am Mittwoch die Berufung der Staatsanwaltschaft und sprach zwei Männer und eine Frau vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs frei (Urt. v. 11.10.2017, Az. 28 Ns 182 Js 32201/14).“ (Zitat von www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-magdeburg-28ns182js32201-14-tierschuetzer-schweinezucht-hausfriedensbruch-freispruch/). Das Urteil betraf Fotograf*innen, die heimlich Tierquälerei filmten und dafür Strafgesetze übertraten. Es lohnt sich für eine offensive, politische Verteidigung vor Gericht, dieses Urteil und die rechtlichen Hintergründe zu studieren und zu verwenden. Es unter dem Aktenzeichen auf www.landesrecht.sachsen-anhalt.de zu finden.

Bunter Psychiatrieprotest
Gegen die Zwangsmaßnahmen der Psychiatrie protestierten mehrere Gruppen während des Weltpsychiaterkongresses (WPA) am 8./9. Oktober in Berlin. Unter weitgehender Missachtung linkspolitischer Gruppen waren vor allem Psychiatriebetroffene mit Unterstützung einiger unabhängiger Aktivist*innen am Messegelände aktiv. Ihre klare Kritik vor den Eingängen führte zu manch aggressiven Reaktionen derer, die mit den Krisen anderer Menschen Geld verdienen. Neben Beleidigungen der Marke „Nazis“ oder „Ihr seid alle bekloppt“ gab es auch einige Handgreiflichkeiten, immer von Psychiater*innen ausgehend gegen den Protest. Bilder der Aktionen finden sich auf www.zwangspsychiatrie.de/bilder-der-demo-gegen-den-weltkongress-der-psychiatrie-in-berlin-oktober-2017.
Neu entstanden ist derweil eine Ton-Bilder-Schau zur Kritik an Zwangspsychiatrie, gemacht im Stil der schon länger verbreiteten Schau „Fiese Tricks von Polizei und Justiz“ (Mitschnitt unter www.youtube.com/watch?v=-N8sRA0ITPk). Wer Interesse hat, kann in der Projektwerkstatt (06401-903283) nachfragen oder unter www.vortragsangebote.siehe.website mehr erfahren.

Einblick in Geheimdienste
Irgendwo zwischen Roman und Reportage siedelt der Autor Harald Gröhler seine im Buch „Inside Intelligence“ (2015, Verlag Neuer Weg in Essen, 339 S., 18 €) erzählte Geschichte vom Aufbau des Nachrichtendienstes in Deutschland und seinen späteren Verstrickungen mit Geheimdiensten anderer Länder an. Wieweit die Abläufe und Dialoge so oder ähnlich stattgefunden haben, lässt sich nicht ermessen. Quellenangaben fehlen, aber über die Naziwurzeln des BND, die nach Kriegsende und in den kalten Krieg hinein als „Operation Gehlen“ systematisch bewährte Russenfeinde aus alten Naziapparaten rekrutierte, ist auch so genügend bekannt. „Inside Intelligence“ dürfte der Realität nahe sein – und ist so nicht nur spannend, sondern auch aufklärerisch.

Oktober
Richter setzt Sitzblockade mit SA-Kampf gleich
Einen Tiertransporter per Sitzblockade zu blockieren, sei „im Kern“ das gleiche wie der SA-Terror der 30 Jahre – das findet ein deutscher Richter. Aus dem Urteil gegen den Täter, der, wie im Urteil festgestellt, nicht anderes tat als mit seinem Körpergewicht Reibung auf der Fläche zu verursachen: „Strafverschärfend ist zu werten, dass der Angeklagte die Tat zu politischen Zwecken begangen hat und mit der Tat besonderes öffentliches Interesse erregen wollte. Denn der Angriff auf die Willensfreiheit Dritter im vermeintlichen Kleide der Freiheitsrechte zur Durchsetzung eigener politischer Ziele ist in einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung besonders verwerflich. Insoweit steht der Angeklagte nicht in der etwaigen philosophischen Tradition eines euphemistischen ‚zivilen Widerstands‘, sondern in der Unrechtstradition politischer Straßenkämpfer wie der SA, derer Methoden er sich hier im Kern bedient hat.“ Ein Artikel zum Urteil mit weiteren Auszügen findet sich in der taz: www.taz.de/!5449773, ein Bericht über den Prozess unter de.indymedia.org/node/13585.

Open source Lizenz für Saatgut
„Open Source“ verbindet mensch mit Linux, ubuntu, Mozilla, Open Office ... also Software, deren Quellcode offen zugänglich ist. Diese Computerprodukte stehen der Allgemeinheit zur Verfügung, um weiterentwickelt, weitergegeben oder sogar kommerziell vertrieben zu werden. Auflage ist aber immer, dass jedem späteren Nutzer dieselben Rechte eingeräumt werden. Der Quellcode der neuen Software bleibt öffentlich, jede Weiterentwicklung bleibt der (Nutzer-)Gemeinschaft erhalten.
Kultursaat-Züchter folgen nun dem Beispiel mit der Devise „Sorten sind Kulturgut“. AGRECOL e.V. hat die Open Source Idee in eine Lizenz auf Saatgut übertragen; das Saatgut neugezüchteter und entsprechend lizensierter Sorten soll als gesichertes Gemeingut etabliert werden. Unter dieser Lizenz stehendes biologisches Material kann weder patentiert, noch unter Sortenschutz gestellt werden.
Lizenz CC-BY-SA-NC v.3, mehr Informationen unter demystifikation.wordpress.com.

Zahlenspiele und Propaganda
Es stand in der tz am 15.9.2017 (www.tz.de/bayern/fast-50-prozent-mehr-vergewaltigungen-herrmanns-schock-zahlen-8678791.html): „In den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 sind in Bayern fast 50 Prozent mehr Vergewaltigungen angezeigt worden als im Vorjahreszeitraum. Insgesamt tauchen in der Polizeistatistik 685 Fälle auf, ein Plus von 48 Prozent. Besonders auffällig: Die Zahl der Taten, die Zuwanderern zugeordnet wurden, stieg gar um 91 Prozent auf 126, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Dienstag im Kabinett. Damit lag der Gesamtanteil der Zuwanderer an allen sexuellen Vergehen bei 18 Prozent (2016: 14 Prozent).“
Das klingt schockierend und dürfte der AfD noch ein paar Wählerstimmen gebracht haben. Denn genau hingucken tun deren Anhänger*innen selten. Das wäre hier aber ertragreich, würde es doch genau das Gegenteil des vermeintlichen Fazits ergeben. Gesetz dem Fall, die Zahlen stimmen, sind Zuwanderer für 60 der zusätzlichen Vergewaltigungen verantwortlich. Sie sind aber auch deutlich mehr geworden – eine Steigerungszahl bezogen auf die gewachsene Menschenmenge fehlt. Der Zuwachs übersteigt die Zahl 60 aber um weitere 221 Fälle, also denen ohne Hinweise auf Migrationshintergrund. Wenn das folglich Deutsche waren – was ist da los? Die Deutsche sind je nicht zahlreicher geworden, aber gewalttätiger?
Selbstverständlich sind solche Zahlenspiele immer mit Vorsicht zu genießen, propagandagetriebene Auslegung zu widerlegen, bleibt aber wichtig – ebenso wie die Position zu bestärken ist, dass jede Vergewaltigung eine zu viel ist.

Schadensersatzklage zur Feldbefreiung Gatersleben (2008) endgültig abgewiesen
Von neun Jahren machten sechs junge Menschen mit einer spektakulären Aktion auf die fahrlässige Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen in der Genbank Gatersleben aufmerksam. Anfang September ist die gegen sie erlassene Schadensersatzklage des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben endgültig abgewiesen worden. Es war einer jener Freisetzungsversuche, bei dem man sich im Nachhinein fragt, weshalb man, selbst wenn man den Einsatz gentechnischer Methoden befürwortet, derart ignorant und leichtsinnig agieren muss. Auf dem Gelände des IPK, wo seit über 100 Jahren gesammelte Weizensorten konserviert und zum Erhalt angebaut werden, fand 2008 eine Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen statt.
Es war diese Gefährdung, die mögliche, ja wahrscheinliche Kontamination von alten, für zukünftige Züchtungen aber notwendigen Sorten, die sechs junge Menschen dazu brachte, nachts mit Unkrauthacken den Gentechnik-Weizen-Versuch unschädlich zu machen.
Das gegen sie erhobene Strafverfahren wurde nach zahlreichen Verhandlungen letztendlich auf Staatskosten eingestellt. Parallel lief ein Schadensersatzverfahren, bei dem das IPK Gatersleben ursprünglich 240.000 € forderte, so viel würde es kosten, den Versuch zu wiederholen. Zur endgültigen Abweisung der Schadensersatzklage als offensichtlich unbegründet führte eine der Rechtsanwälte der Feldbefreier, Katrin Brockmann aus: „Im Lauf des Prozesses bestätigten sich nicht nur die vorher geltend gemachten Risiken für die Pflanzen der Genbank. Es wurde noch dazu deutlich, dass diese mit vielen Steuergeldern subventionierte Freisetzung ein schlecht geplanter Versuch war, dessen Durchführung zu wünschen übrig ließ und dessen Auswertung schon im ersten Jahr nicht antragsgemäß erfolgte. Letztendlich konnte das IPK Gatersleben, trotz der ihnen in den ersten Jahren zunächst sehr gewogenen Richtern, im Prozess nicht nachweisen, dass der Freisetzungsversuch durch die Feldzerstörung nicht auswertbar war.“ Erfreut zeigt sich auch Feldbefreier Christian Pratz über den Urteilsspruch, macht aber gleichzeitig auf die Bedrohungen durch die Einführung neuer Techniken der Genmanipulation aufmerksam: „Dass diesem ökologischen Erfolg auch juristische Siege folgen, zeigt, dass die Agrogentechnikindustrie sich hier nicht durchsetzen konnte. Wenn sie nun versuchen, das Gentechnikgesetz durch den Einsatz neuer gentechnischer Verfahren zu umgehen, werden sie auch zukünftig den Widerstand der Zivilgesellschaft zu spüren bekommen.“ (Quelle: Unabhängige Bauernstimme, Oktober 2017)

September
Verbot von linksunten.indymedia
Am 25.8.2017 hat das Bundesministerium die Internetplattform linksunten.indymedia.org nach dem Vereinsrecht verboten. Sie laufe „nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider“, so die Begründung. Bekannt wurde das Verbot durch 5 Hausdurchsuchungen in Freiburg und der Abschaltung der Seite. Das Verbot umfasst die Verwendung des Logos, des Twitter-Accounts und die Verwendung der Mailadresse „linksunten@indymedia.org“. Der konkrete Vorwurf lautet, dass sich die Seite gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ richte, „da die Plattformbetreiber unter Leugnung des staatlichen Gewaltmonopols die Anwendung von Gewalt sowohl gegen Personen, insbesondere Polizeibeamte, und Sachen zur Durchsetzung linksextremistischer Ziele legitimiert und propagiert haben“. (Zitate: Twitter des BMI). Zudem hätte das Betreiberteam Beiträge nicht gelöscht, die zu Gewalt an Polizisten aufgerufen hätten. Das Team soll laut Behörden aus 3 Freiburger*innen bestehen. Obwohl zu keiner Zeit eine Vereinsstruktur für Indymedia bestand, hat die Justiz eine solche um die 3 konstruiert, um das Projekt mit Hilfe des Vereinsgesetzes verbieten zu können. Mehr unter de.indymedia.org/node/13595.

Drei Monate Knast wegen Sitzblockade?!
Am 17.8. fiel das Urteil in einem Strafverfahrens wegen § 240 StGB (Nötigung) am Amtsgericht Nienburg. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, mit seinem Körper den Fahrer eines Tiertransporters daran gehindert zu haben, seine Fahrt nach Plan fortzusetzen. Der § 240 erfordert Anwendung von „Gewalt“ oder „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. Was davon wie zugetroffen haben sollte, wurde seitens der Staatsanwaltschaft - obwohl die Verteidigung darauf hinwies - in der Hauptverhandlung nicht geklärt. Der Angeklagte hatte vor, sich selbst und mit Hilfe von Laienverteidiger*innen - also nicht formell ausgebildeten Jurist*innen (siehe www.laienverteidigung.siehe.website) - vor Gericht zu verteidigen. Doch ihm wurde nicht nur der Beistand verwehrt, sondern er selbst nach einigen Anträgen, die das Gericht offenbar störten, aus seinem eigenen Verfahren entfernt. Auch gegen das Publikum ging das Gericht mit autoritären Mitteln vor. Das zeigt, wie schwer es Richter*innen gegen eine gute Selbstverteidigung haben. Regelmäßig werden sie dazu gezwungen, erhebliche Rechtsbrüche zu begehen, um zu einer Verurteilung zu kommen. Das geschah dann auch. Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu 3 Monaten Haft ohne Bewährung und ging damit über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, die 40 Tagessätze zu je 50 Euro für passend hielt. Rechtsmittel sind eingelegt.

Möglichkeiten und Grenzen der Laienverteidigung
Dass auch ganz „normale“ Menschen in Strafverfahren als Verteidiger*innen tätig sein können, oft schon in Ermittlungsverfahren als Rechtsbeistand zugelassen werden und bei Untersuchungshaft, Straf- oder Maßregelvollzug ohne Kontrolle Gefangene unterstützen können, ist inzwischen weitgehend bekannt. Die damit verbundenen Möglichkeiten werden bislang aber noch wenig genutzt und auch von interessierter Seite der Monopol-Rechtshilfegruppen und Anwaltszusammenhänge verschwiegen. Die Grenze nach oben, also zu einer dann unzulässigen professionellen oder systematischen Rechtsberatung zieht das Rechtsdienstleistungsgesetz. Im Nomos-Verlag ist dazu jetzt die zweite Auflage des Handkommentars erschienen (2017, Baden-Baden, 89 €). Der Herausgeber Michael Krenzler und die weiteren Bearbeiter*innen erläutern auf 633 Seiten umfassend Paragraph für Paragraph, verweisen auf andere Literatur und die Rechtsprechung. Die – teils dunkle – Geschichte der Reglementierung von Rechtsberatung wird leider nur in wenigen Sätzen ganz zu Beginn abgehandelt. Als historischer Hintergrund wäre da mehr drin gewesen, denn die gesamte Debatte ist immer noch von Standesdünkel und Pfründeverteidigung geprägt, bei der auch linke Anwaltsvereinigungen und deren Vorfeldorganisationen kräftig mitmischen. Dass die Nazis solches Denken für ihre Judenverfolgungen nutzen konnten, war daher wenig verwunderlich.

Zur Frage des Errichtens von Schlafzelten
Aus der Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg am 5.7.2017 zum Urteil 4 Bs 148/17: „Einschränkungen seien zum Schutz der Grünanlage möglich. Untersagt werden könnten zudem u.a. solche Zelte und Einrichtungen, die allein der Beherbergung von Personen dienen sollten, welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollten. Dies bedeute zur Überzeugung des Gerichts, dass für Teilnehmer an den politischen Veranstaltungen des Protestcamps auch Schlafzelte und versorgende Infrastruktureinrichtungen vorsorglich dem Versammlungsrecht zu unterstellen und als Teil der Versammlung zu behandeln seien. ... Die Beschränkung auf zusätzlich bis zu 300 Schlafzelte für 2-3 Personen ergebe sich daraus, dass damit für alle Teilnehmer, die nach den räumlichen Kapazitäten der Veranstaltungszelte an den Veranstaltungen im Protestcamp teilnehmen könnten, auch eine Schlafmöglichkeit bestünde. ... Die Aufstellung von bis zu 300 Schlafzelten könne nicht im Hinblick auf mögliche Gefahren für Rechtsgüter von Dritten untersagt werden. Eine auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützte Gefahrenprognose sei von der Versammlungsbehörde nicht hinreichend dargelegt worden. Insbesondere seien keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden, dass der Elbpark Entenwerder trotz seiner Entfernung zur Innenstadt ein möglicher naheliegender Ausgangspunkt für Blockaden von Protokollstrecken und sonstigen unter Sicherheitsaspekten sensiblen Punkten im Stadtgebiet sei. Die Lage des Protestcamps im Elbpark Entenwerder sei insoweit nicht mit derjenigen eines Protestcamps im Stadtpark zu vergleichen. Auch seien keine konkreten Belege dazu vorgelegt worden, dass bei früheren Versammlungen aus Protestcamps heraus Straftaten begangen worden seien.“

Dokumentation über Rechtsbrüche und Polizeigewalt beim G20 in Hamburg
Die Mediengruppe Montag (MGM), die sich aus verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen zusammensetzt, betreibt seit geraumer Zeit Gegenöffentlichkeit zu den bürgerlichen Medien. Anlässlich der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg will sie eine Dokumentation aus Text-, Foto- und Videomaterial über die polizeilichen Rechtsbrüche wie Campräumungen, Prügelorgien, Wasserwerfer- und Pfeffersprayeinsätze gegen cornerndes Partyvolk und dem Verprügeln von Journalist_innen zusammenzustellen. Eine Ankündigung der Tätigkeit ist unter de.indymedia.org/node/13245 zu finden.

Juli/August
Gefährderhaftung und unendliche Gewahrsamslänge
Die alte Schutzhaft der Nazis kommt Schritt für Schritt wieder. Nach 1945 wurde sie abgeschafft, weil 1933 genau die Möglichkeit, Menschen präventiv wegzuschließen, zur weitgehenden Auslöschung der Opposition und damit zur weiteren Machtergreifung Hitlers führte. Doch seit den 80er Jahren schleicht sie sich erneut in die politische Praxis ein. In den letzten Monaten nahm die Restaurierung des autoritären Staates nun neue Fahrt auf. Das Land Bayern verlängerte den Vorbeugegewahrsam auf eine unendliche Dauer, d.h. Menschen können nun beliebig lange festgehalten werden, ohne dass sie etwas Verbotenes getan haben. Für Nichtdeutsche wurde auf Bundesebene die Bestrafung von Gefährdern eingeführt – also auch hier gilt das Prinzip: Der Staat bestraft eine mögliche Handlung, keine reale. Der Journalist Franz-Josef Hanke hat auf seinem Blog exakt analysiert, was für Folgen die Definition von "Gefährdern" für Folgen für den Rechtsstaat hat: fjhmr.wordpress.com/2017/07/21/gefahrder-hinter-gitter-zugrundeliegender-taterunwert-ist-nazi-ideologie.

Richter in Nienburg sperrt Angeklagten ein, weil dieser Anträge stellen will
Am 27.7.2017 fand im Amtsgericht Nienburg der erste Prozesstag gegen einen Aktivisten statt, dem vorgeworfen wird, an einer Blockade der Schlachtfabrik in Wietzen-Holte beteiligt gewesen zu sein. In seiner Einlassung vor Gericht thematisierte er die Gewalt der Fleischindustrie und der Justiz, wenig später bekam er diese selbst zu spüren. Der Tag hatte bereits mit massiven Kontrollen und Schikanen am Eingang des Gerichtgebäudes, u.a. durch eine mobile Einsatzgruppe, ziviler Kriminalpolizei und anderen Uniformierten. Dann folgte das persönliche Anblaffen der Zuschauer*innen durch Richter Förtsch. Gut die Hälfte des Publikums wurde wegen Kleinigkeiten (Reden, Husten, Kopfbedeckung) aus dem Saal entfernt. Als auch die beantragten Verteidiger nicht zugelassen wurden. Wollte der Befangenheitsanträge stellen. Richter Förtsch verhinderte das durch Anordnung, den Gerichtssaal zu verlassen. Der Prozess sollte – was in Deutschland nur in extremen Ausnahmen erlaubt ist – ohne den Angeklagten laufen. Kurz danach verhängte er zusätzlich vier Tage Ordnungshaft, die der Angeklagte in der JVA Vechta auch tatsächlich verbüßen musste. Die Willkür in Robe zeigte deutlich, zu welchem Ausmaß an Rechtsbeugung sie in der Lage ist. Mehr Infos auf kampagne-gegen-tierfabriken.info.

Anforderungen an Hausdurchsuchungen
In einem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvR 2551/12) das Gericht die Maßstäbe bekräftigt, die bei der Durchsuchungsanordnung zu beachten sind:
1. Um den mit einer Durchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte räumliche Lebenssphäre des Einzelnen messbar und kontrollierbar zu gestalten, muss der Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf und die konkreten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen für die Durchsuchung abgesteckt wird. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist.
2. Der Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG erstreckt sich auch auf juristische Personen des Privatrechts, soweit deren Büro- und Geschäftsräume betroffen sind.
3. Ein Durchsuchungsbeschluss genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, wenn er keine ausreichend konkreten Angaben zum Tatzeitraum enthält. Dies ist der Fall, wenn in dem Beschluss lediglich ausgeführt ist, es beständen Anhaltspunkte für eine „über Jahre hinweg“ betriebene Beihilfe …

Erfahrungen mit Selbst- und Laienverteidigung: Widerstandsverfahren eingestellt
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wurde kürzlich vor dem AG Köln verhandelt. Diesen sollte die Angeklagte im Laufe einer Festnahme und Fast-ID (Identifizierung über Fingerabdrücke) geleistet haben. Die Angeklagte verteidigte sich mit Unterstützung eines Laienverteidigers selbst. Obwohl der Verhandlung eine Anklageschrift vorausging, es also die Entscheidung von Staatsanwaltschaft und Richterin war, es direkt zur Verhandlung kommen zu lassen, vermittelten beide in der Verhandlung von vornherein den Eindruck, wegen dieser Lappalie keinen großen Aufwand betreiben zu wollen. Die Zulassung des Laienverteidigers als Rechtsbeistand ging unkompliziert über die Bühne. Drei von vier geladenen Polizeizeug*innen waren vor Ort. Als Angeklagte und Rechtsbeistand bei der Vernehmung des ersten viele Fragen stellten und auf weitere potentielle Beweismittel zu sprechen kamen, unterbrach die Richterin für ein Rechtsgespräch zwischen Staatsanwältin, Richterin und Rechtsbeistand. Unterbreitet wurde das Angebot, das Verfahren gegen 50 Sozialstunden einzustellen. Alternativ würde ein aufgebauschtes Verfahren drohen mit Beweismitteln, die die Lage für die Angeklagte schlimmer machen würden, und weiten. Nach einer kurzen Pause erklärte die Angeklagte, dass sie sich aufgrund des bei weitem nicht geklärten Tatbestandes auf die Einstellung mit Auflagen nicht einlassen könne. Da stellten sich die Drohungen als leer heraus. die Staatsanwältin sammelte ein paar Gründe zusammen weshalb auch eine Einstellung ohne Auflagen denkbar wäre (und fügte noch hinzu dass es ja wirklich schön gewesen wäre wenn die Angeklagte wenigstens ein bisschen Reue gezeigt hätte), die Richterin schloss sich an und damit war auch die Angeklagte einverstanden. Fazit: Offensive Verteidigung lohnt (www.prozesstipps.siehe.website).

Geheimdienste – skandalöse Gegenwart, dunkle Vergangenheit
Angesichts immer neuer Skandale um Geheimdienste und ihr Eigenleben ohne Kontrolle lohnt sich ein Blick in die mindestens ebenso dunkle Vergangenheit. Harald Gröhler hat mit „Inside Intelligence“ ein Buch geschrieben, dass irgendwo zwischen Roman und Reportage angesiedelt ist. Der Aufbau des Nachrichtendienstes in Deutschland und seinen späteren Verstrickungen mit Geheimdiensten anderer Länder mutet dadurch wie ein Krimi an. Wieweit die Abläufe und Dialoge so oder ähnlich stattgefunden haben, lässt sich aus dem Buch selbst nicht ermessen, denn Quellenangaben fehlen. Aber über die Naziwurzeln des BND, der nach Kriegsende und in den kalten Krieg hinein als „Operation Gehlen“ systematisch bewährte Russenfeinde aus alten Naziapparaten rekrutierte, ist auch so genügend bekannt. „Inside Intelligence“ dürfte der Realität nahe sein – und ist so nicht nur spannend, sondern auch aufklärerisch (2015, Verlag Neuer Weg in Essen, 339 S., 18 €).

Juni
Aufruf des Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener
Zwangsbehandlungen auf der Offenen und im "normalen" Krankenhaus verhindern!

Die Bundesregierung plant die Zwangsbehandlung auszuweiten. Dafür soll die Zwangsbehandlung von der Zwangsunterbringung getrennt werden. Man nennt dies "entkoppeln".
Bisher war völlig klar: Nur wer mit richterlicher Genehmigung zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht ist (Geschlossene/Geschützte), der darf - nur in diesem Fall - zwangsbehandelt werden. Wer nicht zwangsweise untergebracht ist, der hat - bis jetzt - auch keine Zwangsbehandlung zu befürchten.
Die Gesetzesänderung im Bürgerlichen Gesetzbuch eröffnet die Möglichkeit für mehr Zwangsbehandlungen:
Wer sich freiwillig im Krankenhaus aufhält, der darf zwangsbehandelt werden! Auch wenn er das nicht möchte! Und zwar völlig ohne Unterbringung in der Psychiatrie.
An dieser Stelle kommt man auf den zufällig entdeckten Krebs zu sprechen. Dieser soll nach ärztlichem Dafürhalten sofort behandelt werden. Die Patientin will das aber nicht. In solch einer Konfliktsituation wird regelmäßig an dem Willen und der Einsichtsfähigkeit der Patientin gezweifelt!
Sehr schnell wird eine Betreuung eingerichtet, falls sie nicht schon besteht. In der Regel folgt der Betreuer und der Richter den Entmündigungswünschen der Ärzte. Die erklärte Dr. Martin Zinkler (Chefarzt psychiatr. Klinik Heidenheim) in der Anhörung des Rechtsausschusses am Mittwoch, 29.4.
Niemand käme auf die Idee einen Patienten zu entmündigen/unter Betreuung zu stellen, wenn dieser der Krebstherapie zustimmt. Dann besteht ja kein Grund ...
Die mit dem neuen Gesetz bestehenden Möglichkeiten betreffen somatische Krankenhäuser und offene psychiatrische Stationen. Die Ausweitung der Zwangsbehandlung wollen wir nicht hinnehmen!
Daher rufen wir alle Mitglieder und Freunde des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener auf, sich an ihren örtlich zuständigen Bundestagsabgeordneten im Wahlkreis zu wenden. Im September sind Bundestagswahlen!
Weise Deinen Abgeordneten auf dieses entwürdigende Gesetz hin und frage ihn oder sie, ob er/sie das wirklich möchte. Vielleicht kannst du ihm/ihr von eigenen Erfahrungen erzählen oder hast davon gehört wie es Menschen geht, die eine Zwangsbehandlung erlitten haben.
Ein Anschreiben kann handschriftlich oder per Computer oder per E-Mail verfasst werden. Wichtig ist es, um einen Gesprächstermin zu bitten und diesen Termin innerhalb von wenigen Wochen telefonisch einzufordern.
Gerne unterstützen wir in unseren Telefonzeiten auf Bundes- und Landesebene bei offenen Fragen; z.B. wer der Bundestagskandidat in deinem Wahlkreis ist. Auch können wir gerne ausführliche Informationen schicken. Diese findest Du auch hier:
Montag: 10-13 h (0234 - 68 70 5552), 14:30 h -17:00 h / 19:00 h - 21:30 h (02 12 - 53 641)
Dienstag: 10-13 h & 14-17 h (0234 - 640 51 02)
Mittwoch: 14-19 h (0221 - 964 76 875) und 11-14 h (0234 - 640 51 02)
Donnerstag: 10-13 h (0234 - 68 70 5552)
Vielen Dank für Eure Mitarbeit! Zusammen sind wir stark und haben eine Chance gegen den neuen §1906a!

Unterschriftensammlung gegen Strafen für „Containern“ gestartet
Eine sehr genaue, mit einem konkreten Gesetzesvorschlag verbundene ePetition an den Bundestag wurde leider abgelehnt. Pro Legislaturperiode wird nur eine Petition pro Thema online gestellt und leider hatte es schon eine gegeben, die ungenauer war und wenig unterstützt wurde. Damit sollen die Bemühungen aber nicht zum Ende gelangen, zumal aus verschiedenen Kreisen viel Zustimmung signalisiert wurde. Daher soll, nachdem im September ein neuer Bundestag gewählt wird und somit eine neue Legislaturperiode beginnt, die Petition erneut eingereicht werden. Schon jetzt können auf Papier Unterschriften gesammelt werden, die dann mitgezählt werden! Für die ist es nämlich egal, wann die gesammelt werden (steht ja auch nicht drauf). Sie müssen nur zum Abschluss der Online-Phase dann auch im Bundestag sein. Daher rufen die Initiator*innen aus Aachen und Gießen auf, die Unterschriftenliste in Umlauf zu bringen und kräftig auszufüllen – 50.000 Unterzeichner*innen braucht es, dann müssen sich die Bundestagsabgeordneten mit den Initiator*innen zur Beratung treffen. Die Liste sowie weitere Informationen und den Petitionstext sind unter 242.blogsport.de zu finden.

Prozesse der Aufarbeitung – ein erstes Fazit zum Ende des NSU-Verfahrens
Unter diesem Titel hat die Gruppe „*andere Zustände ermöglichen“ einen Reader in deutscher und türkischer Fassung herausgebracht. Darin kommen mehrere Beteiligte und Beobachter*innen zu Wort. Das Werk ist für 2 Euro beim SeitenHieb-Verlag (www.seitenhieb.info) zu bestellen (ISBN deutschsprachig 978-3-86747-076-6, ISBN türkischsprachig 978-3-86747-077-3). Mehr Infos ...

Gegen das Einsperren – Zeitung, Filmkanal und mehr in Vorbereitung
Eine neue Zeitung, verbunden mit weiteren Medienangeboten, soll die Kritik an Gefängnissen, Zwangspsychiatrie und weiteren stärken. Berichte von Betroffenen, fachliche Abhandlungen, Kommentierung von Urteilen und Gesetzen, Vorschläge von und Erfahrungen mit Alternativen zeigen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Formen der Freiheitsentziehung und Zwangsbehandlung auf – umrahmt von Zahlen, Zitaten, Appellen und Mitmachmöglichkeiten. Neben einer ca. 2x jährlich erscheinenden Zeitung werden Internetseiten, ein Dokufilm-Kanal und Verteilmöglichkeiten für Nachrichten, kritische Filmdokumentationen, Termine und mehr entstehen. Ziel ist es, die wenig beachteten Zonen des Einsperrens an Tageslicht zu zerren und für konkrete Veränderungen zu werben. Zur Mitarbeit sind alle Menschen innerhalb und außerhalb der Mauern aufgerufen, die aufklären und Wege zu einer Welt ohne Strafe und Zwang formulieren wollen. Die Koordinierung wird in der Projektwerkstatt in Saasen liegen. Kontakt über 06401-903283 und gegen-das-einsperren@projektwerkstatt.de.

Politische Texte aus dem Gefängnis
Andre Moussa Schmitz schreibt immer wieder Texte „aus dem Trakt B-1 Zelle 3“ in der JVA Wuppertal (Simonshöfchen 26) über die Verhältnisse im Knast und politische Forderungen zum Beispiel für bessere Einkommensverhältnisse, um haftbedingte Armut zu vermeiden. Die Texte sind unter de.indymedia.org zu finden. Andre freut sich auch über Rückmeldungen und Briefkontakt. Wegen einer Aktion gegen Atomtransporte saß in den vergangenen Wochen auch die Aktivistin Hanna Poddig im Gefängnis – Berichte.

Mai
Von uns kriegt Ihr nix!
Mahnung, Zwangsvollstreckung, Vermögensauskunft? Der Rechtsstaat lässt sich einiges einfallen, um die Menschen dazu zu bringen, auch ihr letztes Hemd noch dem Profit zu opfern. Ganze Armeen von staatlichen Angestellten sorgen für den Geldfluss in der Regel von Ärmeren zu Reichen. Doch das müsste nicht sein, denn es gibt wirksame Pfändungsgrenzen und andere Möglichkeiten, das fürs Leben Notwendige zusammen zu halten. Broschüre und Blog „Von uns kriegt Ihr nix!“ informieren darüber. Die Lektüre ist sehr zu empfehlen.

Unfassbarer Rauswurf: Gleich drei Verteidiger*innen fliegen aus Prozess
Das Landgericht Mönchengladbach schaufelt den Weg frei für Fließband-Verurteilungen von Kohlegegner*innen. Dafür sägte es auf Antrag der Staatsanwaltschaft in einem Verfahren sogar gleich drei Laienverteidiger*innen ab. Zweifel an Rechtskunde hatte das Gericht dabei nicht. Vielmehr waren dem Gericht justizkritische Äußerungen von zwei der drei ein Dorn im Auge, die diese außerhalb (!) des Gerichtssaales in ganz allgemeinen Abhandlungen über Strafverfahren in Deutschland gemacht hatten. Den Vorwurf der Beleidigung erhob das Gericht dabei auch nicht, sondern hielt eine justizkritische Einstellung mit der Tätigkeit im Prozess für unvereinbar. Einer dritten Personen konnte das Gericht solche Äußerungen nicht nachweisen, schmiss sie aber auch aus dem Prozess. Dafür reichte, dass sie mit den anderen kooperierte. Die Betroffenen wollen mit Verfassungsbeschwerden und anderen prozessualen Mitteln gegen die Beschränkung der Meinungsfreiheit und die Gesinnungsjustiz vorgehen.

Verunsicherungstexte im Umgang mit Repression
Mit „Tipps und Tricks für Antifas“ aus dem Kollektiv Schulterschluss (2017, Unrast in Münster, 76 S., 5 €) ist ein neues, hinsichtlich der dortigen Tipps zum Umgang mit Polizei und Justiz schwieriges Büchlein erschienen. Vorweg: Es enthält einerseits durchaus sinnvolle Informationen für alle, die ganz am Anfang stehen und alles von Beginn an erzählt bekommen wollen, um eine Antifa- oder Antira-Gruppe zu gründen. Dass selbst die simpelsten Dinge der Vor-Ort-Organisierung heutzutage erklärt werden müssen, ist zu befürchten – und dort kann der Reader seine guten Dienste tun. Doch ob es auf Dauer reicht, wenn sich politische Arbeit in Gruppengründung, Plena, Mailinglisten, Demobesuch und Repressionsschutz erschöpft, darf bezweifelt werden. Insofern bietet der Reader keinerlei Ausweg aus dem Alltagstrott einer Antifa-Arbeit, die durch Auftritte der anderen Seite animiert wird. Besonders traditionell und damit autoritär wirkt das Kapitel zum Repressionsschutz. Neben sinnvollen Informationen übersteigert es den Befehlston und die absurden Widersprüche, die aus Gruppen wie Roter Hilfe schon seit Jahren kommen. Ab Seite 70 findet sich nach dem Hinweis, dass bei der Polizei nur die Angaben aus dem Personalausweis gemacht werden müssen, zunächst das übliche Kommando: „Und das war's dann aber auch maximal! Keinen Ton mehr! Nichts über Eltern, Schule, Firma, Wetter ... ; einfach: gar nix!“ Wenige Zeilen später folgt das glatte Gegenteil: „Nach der Festnahme hast du das Recht, zwei Telefonate zu führen. Am besten rufst du den Ermittlungsausschuss, bzw. eine_n Anwältin_Anwalt an. Wenn dir - was häufig passiert - der Anrufverweigert wird, nerv die Polizist_innen so lange, bis sie dich telefonieren lassen, droh mit einer Anzeige.“ Wie geht das, ohne einen Ton zu sagen? Der Reader klärt das nicht auf, sondern macht einen Absatz weiter wieder die Rolle rückwärts: „Jedes Wort nach deiner Festnahme ist eine Aussage!“ Für die armen Betroffenen bringen solche Anweisungen nichts als Verunsicherung. Vor dem Kapitel ist daher ausdrücklich zu warnen – zumal in einem Reader, der sich an Menschen mit wenig Erfahrung richtet.

Direct Action Kalender für 2018 mit Schwerpunkt Knast und Justiz
Fast jedes Jahr erscheint im SeitenHieb-Verlag ein kreativer Begleiter für das politisch Aktive. Für 2018 lautet der Schwerpunkt „Direct Action vor Gericht“. Die Macher*innen des Kalenders stammen aus dem Laienverteidigungs-Netzwerk, haben also viel Erfahrung mit offensiv geführten Prozessen und kreativen Handlungsmöglichkeiten. Neben Interviews u.a. mit Anwält*innen und Rechtstexten finden sich viele Tipps zum subversiven Rechtsgebrauch, also den Möglichkeiten, Paragraphen wirkungslos zu machen. Der Kalender ist für 4 Euro ab Juli 2017 bei www.aktionsversand.siehe.website erhältlich.

Containern – Bundestagsverwaltung blockiert ePetition zur Entkriminalisierung des Lebensmittelrettens
Schon letztes Jahr wurde die Kampagne entwickelt, als in Gießen ein Strafprozess wegen des sogenannten Containerns anlief. Der fiel aber aus, weil der anzeigende Supermarkt keine Lust mehr hatte. Im April diesen Jahres sollte ein Prozess in Aachen folgen (siehe AachenContainert.blogsport.de). Parallel dazu sollte eine Petition an den Bundestag gerichtet werden mit Online-Unterschreibemöglichkeit. Hätten mehr als 50.000 unterzeichnet, wäre eine öffentliche Debatte mit Parlamentarier*innen nötig geworden. Doch offenbar will die Verwaltung solche Begegnungen Politik – Bürger*innen verhindert und verweigert, die ePetition online zu stellen. Der Petitionstext, alle Hintergründe und Protestmöglichkeiten finden sich auf 242.blogsport.de).

Schon wieder: Psychiater würde Pippi Langstrumpf behandeln
Es ist das zweite Mal, dass ein wichtiger Psychiater sich öffentlich äußert, dass querulatorische Menschen medizinisch zu behandeln seien. Vor einigen Jahren hat das schon ein leitender Arzt der forensischen Psychatrien Haina/Gießen in einem Vortrag so formuliert (Vortagsfolie liegt vor). Am 4.4.2017 legte Prof. Michael Schulte-Markwort, Leiter in mehreren Hamburger Jugendpsychiatrien bei Markus Lanz im Fernsehen nach (Mitschnitt).

Psychiatriezentrum verbietet Gedenken an NS-Opfer
Am 2. Mai wollte die Initiative Zwangbefreit eine Gedenkveranstaltung an die Opfer der „Aktion T4“, die im Nationalsozialismus hunderttausende Opfer forderte, durchführen. Geeignet schien der „T4“-Gedenkort („Weg der Besinnung“) auf dem Gelände des AWO Psychiatriezentrums in Königslutter. Doch das Klinikum lehnte ab, was die Verlegung der Veranstaltung zu Folge hatte. Allerdings wäre das wohl nicht nötig gewesen. Denn Zwangseinrichtungen müssen staatlich gelenkt sein – und der ist grundrechtsgebunden, d.h. muss Demos auf seinem Gelände zulassen, wenn dieses auch sonst öffentlich zugänglich ist.

April
"Garantiert straffrei" – ein Buch macht Karriere und Kummer
Es ist überall in den Medien, war schon nach wenigen Tagen vergriffen, denn der Titel lockt an: Tipps, wie mensch Strafen bei eigentlich strafbaren Handlungen umgehen kann – wer will das nicht wissen? Doch die Lektüre enttäuscht, und zwar grundlegend. Denn das Buch ist nicht nur bei den juristischen Tipps eher oberflächlich bis falsch und dadurch durchaus gefährlich für alle, die naiv an die Darstellungen glauben, sondern es ist in einem abstoßenden Stil geschrieben. Warum hat es dann einen solchen Erfolg? Nun: Stephan Lucas und Alexander Stevens sind schöne Männer in schicken Klamotten. Da sie zusätzlich einen Anwaltstitel aufweisen können, war der Weg frei in eine Mediengesellschaft, die auf Oberflächlichkeiten steht. Obwohl die Autoren im normalen Leben wahrscheinlich nie geldfrei um ihre Mobilität ringen müssen und im Buch auch eher den Eindruck hinterlassen, als würde sie echte Schwarzfahrer*innen als Schmarotzer anpöbeln, machten sie Anfang März 2017 Karriere als Schwarzfahrer mit der aus der Bewegung von Aktionsschwarzfahrer*innen bekannten, straflosen Variante. Darüber durften sie ein Buch schreiben, welches auf dem Buchmarkt einschlug. Darin beschreiben sie Tricks, die Strafparagraphen zu übergehen. „Garantiert nicht strafbar“ heißt es (2017, Knaur Verlag in München, 256 S., 12,99 €). Dass darin keine Quellenangaben enthalten sind, ist in solchen Sphären leider üblich. Dass die Kapitel zudem mit sexistischen und anderen diskriminierenden Sprüchen und Mackergehabe gespickt sind - geschenkt. Das ist die Welt, in der sich die Anwälte tummeln. Zwischendurch finden sich in dem Buch auch ein paar nützliche Informationen. Mensch muss aber genau hingucken, denn so viele sind es nicht – und ausreichend präzise beschreiben sind auch nur wenige von ihnen. Etliches ist sogar falsch. Da kann es sogar gefährlich sein, die Texte ernst zu nehmen. Ob sich die Garantie einklagen lässt, dürfte bezweifelbar sein, denn viele derer, die die Tipps brauchen können, haben nur wenig Geld, keinen langen Atem und kaum Kontakte in die Szene der Verurteilenden. Da prozessiert es sich nicht so leicht, wie die Anwälte es offenbar gewöhnt sind.
Am bereits erwähnten Beispiel: Das Schwarzfahren mit Kennzeichnung ist der Aufhänger im Buch. Fast die Hälfte des Textes ist gar nicht zum Thema, sondern Urlaubs- und Frauengeschichten oder Selbstdarstellung. Dazwischen gibt es auch ein paar Hinweise zum Schwarzfahren. Der einzige Tipp: ein T-Shirt mit Aufdruck, was aber - das sagt der Autor dann selbst - eben doch nicht reicht. Dann nur noch der Tipp: Eben noch mehr anheften. Genauer wird es nicht. Das gilt ähnlich für den Hausfriedensbruch. Hier wird zwar umfangreich und mit zahlreichen diskriminierenden Äußerungen gegen Obdachlose und Frauen (fast niedlich: der Versuch des Autors, eine gendergerechte Sprache zu finden, mit der Lösung: Millionärin – Millionärsgattin; das Geld bleibt also immer beim Mann) darüber aufgeklärt, dass allgemeine Verbotsschilder am Eingang meist nicht wirken, wenn ansonsten zum Betreten offen eingeladen wird, aber damit ist die Liste der „Tricks“ auch schon erschöpft. Kreativ-Aktivist*innen sind da viel weiter.
So bleibt ein unbefriedigendes Gefühl zurück, dass es eher um Buchverkauf als um Aufklärung geht. Gelungen ist es angesichts des PR-Erfolges und der Verkaufszahlen offenbar. Bücher von der Stange, schnell hingekritzelt, dominieren zur Zeit den Buchmarkt, weil das lesende Publikum mehrheitlich nach einfacher Kost lechzt – auch und gerade bei politischen Themen. Wir empfehlen daher, den eigenen Kopf mit anspruchsvolleren Informationen zu füttern. Wer legal schwarzfahren will, hat mit www.schwarzstrafen.siehe.website einen Rechtshintergrund auf anderem Niveau. Über www.direct-action.siehe.website gibt es ebenfalls viele Infos zu den rechtlichen Folgen politischen Handelns. Reichen wird das aber nicht. Eine kämpferische Linie (wie auf www.prozesstipps.siehe.website vorgeschlagen) wird es vor Gericht immer brauchen. Denn garantiert ist dort nur die Unberechenbarkeit des Urteilens. Auch da irren die beiden Anwälte aus München – falls sie, was wahrscheinlich ist, es nicht absichtlich falsch geschrieben haben. Lügen verkaufen sich besser, weil sie einfacher sind als die oft komplexe und widersprüchliche Wirklichkeit.

Deutlich mehr Trainings zu offensiven Gerichtsverfahren
Das Interesse an kreativen Formen, sich vor Gericht zu wehren und dabei das ganze Spektrum der Strafprozessordnung auch auszunutzen, hat in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. Zur Zeit bieten geschulte Laienverteidiger_Innen alle ein bis zwei Wochen eine solche Schulung an. Dabei lernen die Teilnehmer_innen die Abläufe von Gerichtsprozessen genau kennen und üben sie in Rollenspielen ein. Vorweg gibt es eine theoretische Einführung in die Rahmenbedingungen und den Ablauf von Gerichtsverfahren, in die Rechtsgrundlagen und die Möglichkeiten politischer Argumentation vor Gericht. Die schon bekannten Termine im Mai sind 12.-14. in Neuwied und 19.-21. in München. Einen Überblick über den Ablauf von Verfahren und Handlungsmöglichkeiten bietet auch der Film "Unter Paragraphen".

Neue Rechtsgrundlagen für Foltermaßnahmen in Psychiatrien
Das spektakuläre Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit dem Verbot weiterer Zwangsmaßnahmen wegen fehlender Rechtsgrundlagen hat nur einige Jahre Pause beschert. Inzwischen haben fast alle Bundesländer neue Maßregelvollzugs- und Psychiatriegesetz erlassen und damit die fehlende Basis geschaffen, wie es das Verfassungsgericht forderte. Die Lage der Patient_innen hat sich dadurch nicht verbessert, oft sogar das Gegenteil. Denn die neuen Gesetze legalisieren jetzt Zwang und Fixierungen sogar ausdrücklich als Disziplinarmaßnahmen, also zur Einschüchterung und Gefügigmachung der Untergebrachten (siehe zum Beispiel www.taz.de/!5324582/).

März
OLG ordnet Wiederholung des Schwarzfahr-Verfahrens in Gießen aus
Als im April 2016 das Landgericht Gießen über einen Schwarzfahrer mit Hinweisschild (zu dieser Art, straffrei ohne Ticket unterwegs zu sein, siehe www.schwarzstrafen.siehe.website) zu urteilen hatte, war dem Strafkammervorsitzenden deutlich anzusehen, dass er in der laufenden Auseinandersetzung um die Frage, ob offensiv sichtbar gemachtes Schwarzfahren noch eine strafbare „Erschleichung“ darstellt, die verurteilungswütigen Gerichte nicht mehr verstand. Deren Versuche, einen unrettbaren Paragraphen zu retten, seien „peinlich“, führte er im April 2016 im mündlichen Urteil aus. In der schriftlichen Fassung stand immerhin noch das Wort „absurd“. Gemeint waren die unzähligen, völlig unterschiedlichen und sich oft direkt widersprechenden Varianten, mit denen Gerichte das Schwarzfahren als heimlich erklären, obwohl die ticketlos Fahrenden Hinweisschilder an der Kleidung trugen. Zwei Gerichte schafften es sogar, eine Kombination aus Hinweisschild, Flugblattverteilung, Megafon und Transparent als „heimlich“ einzustufen. Das Landgericht Gießen urteilte daher: Freispruch. Das Absurde müsse ein Ende haben. Hat es aber nicht. Die Staatsanwaltschaft reichte Revision ein und das Oberlandesgericht tat genau das „Peinliche“, was der Gießener Richter meinte: Es ordnete die Wiederholung an, weil ein Mensch mit Schild am Körper genauso aussähe wie ein Mensch ohne solch ein Schild. Es ist nicht der erste Fall, wo die Justiz mit der Physik hadert: Nass = trocken, hell = dunkel, rot = blau. Gericht = ?
Wann der Wiederholungsprozess in Gießen steigt, ist noch unklar. Wie er ausgeht, ist unabschätzbar, denn die Lage bleibt, wie sie war: Das Fahren ohne Ticket geschah nicht heimlich, also nicht „erschlichen“, wie es das Gesetz fordert. Weitere Verfahren dieser Art laufen in München und Hildesheim.

Wenn ein Polizist blindlings jemanden niederschießt, ist der Schuld, der den Polizisten dazu provoziert hat
Es stand in der FR, 13.2.2017: „Ein partyfeiernder Wohnungsmieter fühlt sich von mutmaßlichen Krawallmachern vor seiner Wohnungstür bedroht und versucht sie zu vertreiben, indem er die Tür einen Spalt breit öffnet und mit einer Schreckschusspistole ins Treppenhaus feuert. In Wirklichkeit stehen vor der Tür aber keine Störer, sondern Polizisten. Einer von ihnen greift reflexartig zu seiner Waffe und schießt blindlings durch die Tür zurück, insgesamt fünfmal. Was er nicht ahnt: Hinter der durchlöcherten Tür steht eine Freundin des Mieters, die in der Wohnung gerade ihren 17. Geburtstag feiert. Durch die Polizeischüsse wird sie lebensgefährlich an Schulter, Leber und Galle verletzt. ... Dem 34-jährigen SEK-Polizisten, der gerade bei der Schupo hospitierte, bescheinigte die Staatsanwaltschaft schon bald nach dem tragischen Vorfall, dass er sich „subjektiv in einer Notwehrsituation“ befunden habe. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich beim Pistolenknall nur um einen Schreckschuss handelte. Deshalb werde er nicht wegen versuchten Totschlags oder fahrlässiger Körperverletzung im Amt angeklagt. Dafür erwirkte die Staatsanwaltschaft jetzt aber beim Amtsgericht einen Strafbefehl gegen den Wohnungsmieter: ein Jahr Haft auf Bewährung; außerdem soll er 120 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. .... Die Justiz macht den Mieter … für die fünf Polizeischüsse und die Verwundungen des Mädchens verantwortlich, im Sinne einer fahrlässigen Körperverletzung.“ Der Mieter hätte durch seinen Schreckschuss die scharfen Schüsse provoziert …

Aktuell laufend: Kampagne gegen die Strafbarkeit des „Containerns“
Seit Mitte März läuft eine Petition an den Deutschen Bundestag. Wird sie in dieser Zeit von 50.000 oder mehr Menschen im Internet oder auf Listen unterschrieben, muss sich ein Ausschuss des Bundestages mit unserer Forderung nach einer Veränderung des Diebstahlsparagraphen auseinandersetzen – öffentlich. Darüber hinaus sollen überall, vor allem aber in Aachen rund um einen dort am 11.4. um 10 Uhr stattfindenden Strafprozess gegen „Containerer“ Aktionen stattfinden, um Aufmerksamkeit auf die Forderungen zu lenken. Die Bündnisse „change§242“ und „AachenContainert“ rufen auf zu: Unterschreib die Petition und verbreitet sie als Mail, bei Facebook oder twitter, leg Listen in Geschäften und Treffpunkten aus! Flyer und Plakate können über die Mail-Adresse bestellt werden. Nimm an Aktionen teil oder organisier selber welche! Ideen und Anleitungen dafür findest Du auf unserer Website. Rette Lebensmittel und anderes Brauchbares aus dem Müll. Kämpfe mit, damit die Ausbeutung von vielen Menschen und ganzen Erdteilen, angetrieben aus Profitgier, ein Ende findet! Je mehr Menschen sich beteiligen und aktiv einbringen, desto größer ist die Chance, dass wir es schaffen!
Infos & Kontakt: 242.blogsport.de | AachenContainert@riseup.net

Buchtipp: Hannes Hofbauer, „Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung“
Der Buchtitel allein vermittelt nicht, was zwischen den Buchdeckeln wirklich steckt. Der Autor nimmt sich der Debatte um Völkermorde an, die in den letzten Jahren vermehrt zu Gesetzen geführt hat, die eine Leugnung solcher Vorgänge unter Strafe stellen. Auf diese Weise setzen Regierungen ihre Wahrnehmung der Geschichte nun auch per autoritärer Strafandrohung durch, zum anderen geht die bisher behauptete Singularität der Naziverbrechen im Brei vieler Massenmord-Leugnungsverbote unter. Die Beschränkung auf dieses Spezialthema, welches dann präzise einschließlich umfangreicher Schilderung der Hintergründe vermeintlicher Verbrechen ausgeführt wird, hätte im Buchtitel erwähnt werden müssen. So erwartet mensch eher eine Kritik gerichteter Justiz. Davon ist Hofbauer aber erkennbar weit entfernt - absurderweise stützt er sich bei seinen Gegenargumenten mitunter auf genau die Rechtsprechung, die er eigentlich kritisieren will. Seinen Glauben an die wahrheitsschaffenden Instanzen hat er also nicht verloren ... (2011, Promedia in Wien, 264 S., 17,90 €)

Februar
Was ist Recht?
„Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren“ sagen viele, die Ungerechtigkeiten auf der Welt kritisieren. „Recht fließe wie Wasser“ heißt eine Kampagne aus ähnlichen Ecken. Recht scheint danach etwas per se Gutes, von dessen Anwendung die bessere Welt erhofft wird. Woher nehmen die Menschen, die auf das Recht hoffen, diese Auffassung? Recht ist von Menschen gemacht. Zwar glaubten früher viele an einen göttlichen Ursprung, doch zumindest das ist längst widerlegt als geschickte Aufwertung ganz irdischer Machtregeln. Weitergehend wäre die Annahme, dass die Erfindung von Göttern insgesamt immer solchen Zielen diente – aber das wäre eine andere Frage. Manche Kreise kreieren ein Naturrecht, halten Menschenrechte für durch Geburt gegeben oder postulieren Tierrechte als von sich aus bestehend. Solche Sichtweisen sind fromme Wunschvorstellungen, eine argumentative Basis haben sie nicht. Recht ist immer von Menschen gemacht – und den meisten Einfluss auf Rechtsetzung und die (davon oft noch abweichende) Rechtsprechung haben die Menschen mit der meisten formalen, physischen oder ökonomischen Macht. Gesetzen, Verordnungen und andere Normen spiegeln die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft wider – aufgrund ihrer langen Überarbeitungszeiten oft zudem noch aus zurückliegenden Zeiten. Ziviles und Strafrecht in Deutschland sind überwiegend Normen aus Kaiser- oder Nazizeiten. Leider gibt es nur selten Positionen, die das Recht als das bezeichnen, was es ist: Spielregeln, überwiegend durch die Mächtigen geschaffen, aber vor allem der Unterdrückung entgegenstehender Interessen dienend. Zivilgesellschaftliche Gruppen und fast alle Veröffentlichungen verbreiten hingegen das Märchen vom guten Recht, das es zu schützen und anzuwenden gilt. Nur wenige Buchverlage wagen die Kritik. Anarchistische Blickwinkel auf die Funktion von Recht und Strafe finden sich im SeitenHieb-Verlag, zudem haben die marxistisch orientierten Verlag Papyrossa (2016 unter dem Titel „Recht, Rechtsstaat und Gerechtigkeit, 142 S., 12,90 €) und dietz berlin (ebenfalls 2016 als „Kritik am Recht“, 447 S., 39,90 €) Texte des inzwischen 90jährigen, ehemaligen Jura-Professors Hermann Klenner veröffentlicht. Während das umfangreichere Buch etliche Einzelaufsätze aus den Jahren 1988 bis 2015 enthält, dürfte das kleinere Taschenbuch vor allem für den Einstieg in den Ausstieg der Rechtsgläubigkeit geeignet sein. Für ein breites Publikum ist es auch deshalb geeignet, weil es gleichzeitig den mindestens ebenso populären Begriff „Gerechtigkeit“ einer kritischen Prüfung unterzieht, unter anderem mit dem Hinweis, dass in dessen Namen so manche Kriege angezettelt wurden. Ergänzt wird das Buch um einige Passagen zum Recht von Karl Marx. „Kritik am Recht“, selbstbenannt als „aktualisierende Rechtsphilosophie“ konzipiert, dürfte hingegen selbst für studierte Jurist_innen ein angemessenes Angebot zum Überdenken bisheriger Positionen sein.

Polizeirazzia in Zwangspsychiatrie
Bei der Vitosklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im nordhessischen Haina tauchte Ende Januar die Polizei vor – mit Durchsuchungsbeschluss. Hintergrund war ein laufendes Strafverfahren in Darmstadt, in dem das Gericht die Krankenakte einsehen wollte, aber nicht erhielt. Im Darmstädter Echo fand sich ein bemerkenswerter Kommentar zur diesem Bruch richterlich-psychiatrischer Seilschaften: „Das ist schon fast kein Kleinkrieg mehr: Zum zweiten Mal binnen eines Monats sieht sich das Landgericht Darmstadt genötigt, scharfe juristische Waffen gegen die psychiatrische Klinik in Haina einzusetzen. In beiden Fällen geht es um mutmaßlich psychisch kranke Straftäterinnen. Für die eine legte die Psychiatrie ein Gutachten vor, das jedoch, wie sich in der Verhandlung herausstellte, von einem Sozialarbeiter und nicht von Ärzten verfasst worden war. Die andere Frau hatte ihre Bessunger Wohnung angezündet, um sich das Leben zu nehmen, und damit auch Nachbarn in Gefahr gebracht. Sie ist seither zwangsweise in Haina untergebracht und dort sterbensunglücklich. Ihr Zustand scheint sich für Beobachter zusehends zu verschlechtern. Das Gericht will einen externen Gutachter zu dem schwierigen und traurigen Fall hören, doch die Klinik verweigert trotz mehrfacher Aufforderung die Herausgabe der Krankenakte. In beiden Fällen müssen sich die Psychiater fragen lassen, ob sie ihrer ärztlichen Verantwortung gerecht werden, im Interesse der kranken Menschen zu handeln.“ Ob der Vorgang die Arroganz und untragbaren Verhältnisse in den geschlossenen Psychiatrien verändern kann, ist offen. Es ist aber auch der Erfolg der noch kleinen antipsychiatrischen Bewegung, die in diesem Fall vor Ort und öffentlich Druck machte.

Zwangsvollstreckung droht – was nun?
Ob GEZ-Verweigerer_in, politische_r Aktivist_in oder eine Initaitive beim Aufbau alternativer Lebensorte: Dass Zwangsvollstreckungsrecht kann schnell wichtig werden, wenn Rechnungen über Gerichtskosten oder Schadenersatz nach Sabotageaktionen, Besetzungen und Blockaden hereinflattern, Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden oder Forderungen aus Land-, Haus- und Maschinenkäufen anstehen. Neben dem legendären Buch „Der Gläubiger-K.O.“ mit seinen praktischen Tipps bietet der Nomos-Kommentar „Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung“ von Johann Kindl u.a. (2015, Nomos in Baden-Baden, 3162 S., 108 €) eine umfangreiche Sammlung und Kommentierung aller wichtigen Rechtsgrundlagen. Er ist für Gläubiger_innen wie für Schuldner_innen gleichermaßen nützlich. Den Kern bilden die relevanten Paragraphen der entsprechenden Zivilgesetze, deren Kommentierungen sich teilweises über viele Seiten erstrecken. Anschließend sind zusätzliche Gesetze und Verordnungen, auch aus der EU-Ebene, zu finden – überwiegend ebenfalls umfangreich kommentiert.

Januar
Schwerpunkt „Laienverteidigung – Staatsanwaltschaften geben contra!“
Der Widerstand gegen Abbau und Verstromung hat nicht nur innerhalb von vier Jahren aus direkten Aktionen weniger Aktivist_innen eine breite Protestbewegung geschaffen, sondern sorgt dort, wo der Staat mit seinen repressiven Mitteln zugunsten von RWE & Co. eingreift, auch für ein weiteres Novum. Denn nirgends ist die Idee der Selbst- und Laienverteidigung vor Gericht so ausgeprägt wie hier. Die taz schrieb am 24.12.2016 dazu: „Knapp eineinhalb Jahre nachdem im August 2015 rund 1.000 Aktivisten der Bewegung „Ende Gelände!“ in den Braunkohletagebau Garzweiler bei Köln eingedrungen sind, beginnt am Amtsgericht Erkelenz die juristische Aufarbeitung der Proteste. Das kleine Amtsgericht in Nordrhein-Westfalen wird dabei zum Schauplatz einer ganzen Reihe von Strafprozessen. Es geht um das Durchbrechen von Polizeiketten, um verschiedene Formen der Vermummung und um das Abseilen von einer Autobahnbrücke. Das Gericht beschäftigen aber nicht nur diese strafrechtlichen Fragen, sondern auch eine besondere Form der Verteidigung: In den Strafprozessen sollen statt zugelassener Rechtsanwälte nach dem Willen der Angeklagten sogenannte Laienverteidiger zum Einsatz kommen – Aktivisten aus den eigenen Reihen, die selbst keine Anwaltszulassung besitzen und prinzipiell auch keine abgeschlossene juristische Ausbildung. Grundsätzlich können nach geltender Rechtslage im Strafprozess aber nur zugelassene Rechtsanwälte und Juraprofessoren verteidigen. Eine Lücke wollen die Aktivisten im Absatz 2 des Paragrafen 138 der Strafprozessordnung entdeckt haben. Dort heißt es: „Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts gewählt werden.“ Am Amtsgericht in Erkelenz wird die Theorie nun in der Praxis erprobt. Nach den ersten Prozesstagen zeichnet sich bereits ab, dass die von den Aktivisten angestrebte neue Form der Verteidigung auch auf Widerstand treffen wird. Gleich in mehreren Verfahren gibt es Streit um die Zulassung der Laienverteidiger.“
Genauer: Nachdem am 16.11.2016 alle drei Autobahnklettern-Angeklagten je eine_n Laienverteidiger_in genehmigt bekamen und diese sechs zusammen einen brillanten Prozess führten, zog die Staatsanwaltschaft gleich mehrere Notbremsen: Sie wechselte den Anklagevorwurf (inzwischen erneut gewechselt auf Nötigung) und beantragte den Rauswurf aller (!) Verteidiger_innen. Noch liegt keine Entscheidung des Gerichts vor – aber das dürfte spannend werden. Dürfen Menschen sich solidarisch unterstützen und selbstbestimmt agieren oder schafft sich der Staat missliebige Menschen und eine robuste Verteidigung im Gerichtssaal vom Hals – unter Beifall etlicher Anwaltsorganisationen und Rechtshilfegruppen, die ebenfalls ihre Monopolstellung nicht verlieren wollen.
Spannend am Rande: Nachdem es per Laienverteidigung bereits gelang, Zugang zu Gefangenen in Knästen zu schaffen, gibt es jetzt auch erstmals die Genehmigung zur Verteidigung eines Forensik“patienten“. Die Idee der Laienverteidigung schafft somit Löcher, wo bisher kaum ein Durchkommen war (www.laienverteidigung.siehe.website).

Endlich auch auf Youtube: „Unter Paragraphen“
Der Film wird so manche ärgern: Mit versteckten Aufnahmegeräten und Kameras haben Aktivist_innen einige Prozesse rund um den Braunkohlewiderstand mitgeschnitten. Die Auswahl war eher zufällig, d.h. es ist nicht davon auszugehen, dass hier besonders unverschämte Richter_innen aufgezeichnet wurden. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass die Mitschnitte den Alltag an Widerlichkeiten zeigen. Im Filmstudio „Streifen wagen!“ der Projektwerkstatt Saasen ist daraus ein anklagender, aber gleichzeitig als Lehrfilm geeigneter Zusammenschnitt entstanden. Denn er zeigt gleich dreierlei. Erstens wie ein Gerichtsprozess einschließlich der Vorphase laufen müsste, dann – eben mit den Originalsequenzen – wie alles tatsächlich läuft, und schließlich, wie mensch sich hätte wehren können. Die am Ende kämpferische Auseinandersetzung führte zu einem Happy-End für die Angeklagten. Der Film läuft auf youtu.be/C-nWjn6g8zM, er ist Creative commons, d.h. er kann frei weiter verbreitet und gezeigt werden.

Tipp: „Opfer im Blickpunkt – Angeklagte im Abseits?“ von Helmut Pollähne und Irmgard Rode
(2012, Lit in Münster, 186 S., 19,80 €)
Probleme und Chancen zunehmender Orientierung auf die Verletzten in Prozess, Therapie und Vollzug – so lautet der Untertitel des Buches. Darum geht es auch, aber nur unter anderem. In der Tat wird in verschiedenen Kapiteln beleuchtet, wie die Situation eines vermeintlichen Opfers in einem Strafprozess ist. Durch etliche prozessuale Maßnahmen ist diese in den vergangenen Jahrzehnte gestärkt, die Autor_innen meinen aber auch: entmündigt worden. Immer noch sei die Lage schwierig. Erst recht gilt das für Angeklagte. So müsste das Resümee des Buches eigentlich lauten, dass Strafverfahren für alle Seiten nichts Gutes bedeuten. Doch zu einem solchen Fazit fehlt den Autor_innen offenbar der Mut. Sie belassen es bei der Beschreibung.

Gefängnisaufstand in Birmingham
In dem Privatgefängnis HMP Birmingham in Großbritannien fand am Freitag, den 16. Dezember 2016 ein Gefängnisaufstand statt. Mehrere hundert Gefangene überwältigten Wärter, verschafften sich Schlüssel und steckten verschiedene Räume in Brand. Dies ist bereits der dritte Gefängnisaufstand in Großbritannien innerhalb der letzten zwei Monate. Am 7. November 2016 waren im HMP Bedford ca. 200 Gefangene an einem Aufstand beteiligt. Am 29. Oktober 2016 rebellierten Gefangene bereits im HMP Lewes in East Sussex. In einem Kommentar des Ex-Gefängnisdirektor Phil Wheatly werden vor allem die aktuellen Kürzungen der Tory-Regierung verantwortlich gemacht. Welche Rolle Privatisierung und Ökonomisierung des Strafvollzuges dabei spielen, fehle in der Debatte weitgehend, obwohl es vermehrt Berichte über katastrophale Haftbedingungen, 23-Stunden-Einschluss und gestiegene Selbstmordraten unter Gefangenen gibt. (Quelle)

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