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VERKEHRSWENDE IN GIESSEN: DIE KONKRETEN VORSCHLÄGE

Bachelorarbeit zur RegioTram


1. Fahrradstraßen, Tramlinien und eine Flaniermeile
2. Forderungen, Wünsche, Ziele ... unser Verkehrswendeplan
3. Die weitere Vision: Verkehrswende 2.0 - kein Autoverkehr mehr durch die Stadt
4. Zu Fuß: Autofreie Innenstadt und Zonen, barrierefreie und breite Wege
5. Fahrradstraßen: Innerer Anlagenring, Innenstadtdurchfahrten, Trassen in alle Stadtteile
6. Anlagenring wird zur Fahrradstraße ... und wieder zur Autostraße: Desaster statt Auftakt zu mehr
7. RegioTram: Zwei Straßenbahnlinien mit Anschluss ins Umland, weitere Strecken in Stadtteile plus Bus-Zubringer
8. Bachelorarbeit zur RegioTram
9. Klingt exotisch, bringt es aber: Seilbahnen als Ergänzung
10. Stadtteile im Nordosten: Wieseck und rund um die Philosophenhöhe
11. Pläne für konkrete Plätze oder Straßenabschnitte
12. ÖPNV und Nulltarif in und um Gießen
13. Verkehrsunternehmen, Medien, Politik und Institutionen
14. Parteien und Politiker*innen zur Verkehrswende in Gießen
15. Beiräte, NGOs, Berater*innen usw.
16. Verkehrserzeuger*innen und Pro-Auto-Lobby
17. Links
18. Das war der erste Vorschlag (2017): Plan, Text und Flyer
19. Kontaktformular für Anfragen und alle, die mitmachen wollen

Aus der Bachelorarbeit "Wirkungspotentiale der Etablierung einer Regiotram im urbanen Raum am Beispiel der Universitätsstadt Gießen - Eine qualitative Befragung" von Till Hentschel im Januar 2023
Die Linie 1, die 1980 auf ihre heutige Strecke von 15 Kilometern verlängert wurde und seitdem zwischen Lützellinden und Rödgen pendelt, ist die nachfragestärkste Linie Gießens (in der Abbildung 4 pink) (Augstein et al., 2009). Sie befördert knapp 20.000 Ein- und Aussteiger*innen pro Tag (SWG, 2019). Bei Betrachtung der Auslastungsprognose wird deutlich, dass die Fahrzeuge zwischen den Haltestellen Heyerweg und Bernhardtstraße (auf der Grünberger Straße) trotz hoher Frequentierung fast den gesamten Tag voll ausgelastet sind (Ventura Analytics, 2022). „Teilweise kommt es im Gießener Stadtbusnetz vor allem zur Hauptverkehrszeit zu Kapazitätsengpässen, auch auf dicht bedienten Abschnitten.“ (Korte, 2021, S. 57). ...
Zwischen den neu entstehenden Wohngebieten am alten US-Depot und der Innenstadt ist die Auslastung besonders hoch (Vectura Analytics, 2022). Dort, im Nordosten Gießens, wächst seit dessen Beschluss 2012 auf 123 Hektar das größte neue Gewerbe- und Wohngebiet Mittelhessens (Stadt Gießen, 2022c). Unter anderem wird dort auf 100.000 Quadratmetern ein neues Logistikzentrum für den Online-Versandhändler Zalando errichtet, das 2023 fertiggestellt werden und 1.700 Arbeitsplätze schaffen soll (Zalando, 2021). Zudem befindet sich in der Rödgener Straße die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Derzeit wohnen dort circa 2.700 Menschen. Durch die umliegend weiter anwachsenden Wohneinheiten und Gewerbebetriebe wird der Bedarf nach einer guten Anbindung an die Innenstadt und zum Bahnhof in den kommenden Jahren noch wachsen. Auf der Grünberger Straße, Höhe Curtmannstraße, wurden am 25.08.2020 insgesamt 16.196 Fahrzeuge gezählt, von denen 273 Busse waren (Stadt Gießen, 2019b). Die Straße wird insbesondere von Pendler*innen stark frequentiert. ...

ERGEBNISSE DER INTERVIEWS ...
Laut den Expert*innen sprechen aus Sicht der Bevölkerung vor allem die zunehmende Verkehrssicherheit, die Attraktivität eines schienengebundenen Verkehrsmittels und die gute Klimawirkung für die Regiotram (PBTHM, FAFD, KVG, PEK, PB, SWGÖV). Auch intersektionale und intergenerationale Gerechtigkeit, was den Zugang zum öffentlichen Leben angeht, und die Barrierefreiheit der Regiotram zählen zu den Pluspunkten (FAFD, BID, PEK, PBTHM, SWGÖV, FGR). Darüber hinaus sind die Steigerung der Aufenthaltsqualität und die gerechtere Verteilung des Verkehrsraums aus Sicht der Befragten zentrale Argumente für die Regiotram (FGI/VO, PEK, FAFD, FGR, KVG, PB, BID). ...
Bei der Oberkategorie „Klimawirkung“ äußern alle Expert*innen, dass der Bau einer Regiotram einen positiven Einfluss auf das Klima und zur Erreichung der städtischen Klimaschutzziele habe. „Also, dass sie einen Beitrag leisten wird, dürfte unbestritten sein“ (KVG, S. XXX). Außerdem würden auch Schadstoffemissionen und Ressourcen eingespart werden (PBTHM, FAFD, FGR). Vor allem aber ergäbe sich die gute Klimawirkung durch die Verlagerung im Modal Split. Also durch die Stärkung des Umweltverbundes und damit einhergehend die Einsparung von Personenkilometern im MIV. Das wird von allen Befragten mehrfach betont. ...
Die Anfertigung einer Machbarkeitsstudie ist die in der gesamten Erhebung am häufigsten erwähnte Kategorie. Insgesamt 56 mal wird sie von allen Expert*innen außer BID und PEK direkt oder indirekt angesprochen. Sie sei essentiell zur Berechnung von CO2 Einsparungen, volkswirtschaftlichen Gesamtkosten und technischer Umsetzbarkeit (KVG, MSG, FGR, SWGÖV, FAFD, PBTHM, PB). Es fällt auf, dass gerade Expert*innen mit hoher technischer Expertise und Fachwissen die Machbarkeitsstudie in ihren Aussagen stark gewichten (PBTHM, PB, KVG). Des Weiteren stellt kein einziger der Befragten die Notwendigkeit dieser Machbarkeitsstudie in Frage. Die gesamtkonzeptliche und verkehrsträgeroffene Untersuchung verschiedener Varianten sei essentiell für die weitere politische Debatte (MSG, PB, PBTHM). Außerdem sei sie in Deutschland Voraussetzung für Fördermittel und damit auch planungstechnisch der nächste logische Schritt ...
Einige der Befragten geben an, ein höherwertiges öffentliches Verkehrsmittel sei notwenig, da die Busse bereits heute ausgelastet seien (FGR, FAFD, PEK, PB). Da auch manche Haltestellen bereits an ihre Grenzen stießen, „[…] führt kapazitätstechnisch […] vermutlich nichts an einem Gedanken über einen Systemwechsel [vorbei] […]“ (PB, S.LXXIII). Acht von zehn Befragten betonen Vorteile eines schienengebundenen Systems wie Schnelligkeit, Reichweite, Forschungsstand, Kapazität, Sicherheit und Klimawirkung (FGR, KVG, MSG, SWGÖV, FAFD, PBTHM, PB, PEK). Aber auch Komfort, Eleganz und damit Attraktivität für Fahrgäste seien Attribute eines schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs, wie fünf Expert*innen angeben (KVG, FGR, FAFD, BID, PB). ...
Die fast ausnahmslose Befürwortung der Regiotram aller Befragten kann als eines der bedeutsamsten Ergebnisse dieser Untersuchung festgehalten werden. Gießens aktuelle politische Verhältnisse sind selbstverständlich als Momentaufnahme zu betrachten, scheinen allerdings der Umsetzung der Regiotram nicht im Wege zu stehen. Im Gegenteil: „Wir haben eine politische Mehrheit für die Erneuerung von Verkehrskonzepten“ (PEK, S. LXIX). ...
Die Regiotram würde dem enorm wachsenden Pendler*innenstrom in das Gewerbe- und Wohngebiet am alten Flughafen gerecht werden. Den Bau der Regiotram zu fördern und damit die finanziellen Ressourcen über den Bundesverkehrswegeplan nach Mittelhessen zu holen, würde also die Region und Gießen als Oberzentrum stärken (Kraft, 2020; VDV, 2019; PBTHM). Vor dem Hintergrund der großen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung einer guten und ökologisch vertretbaren Verkehrserschliessung Hessens scheint die Regiotram also viele Potentiale zu bieten. (HIHK, 2020; Vollmer und Wühr, 2021). ...
Die zentrale, aus dieser Untersuchung abgeleitete Handlungsempfehlung an die Politik ist die Anfertigung einer Machbarkeitsstudie, um die dargelegten Unklarheiten wie Kosten oder genaue Fahrgastpotentiale zu beseitigen. ...
Eine von vornherein ganzheitliche und transparente Planung über Parteigrenzen und Verwaltungsbehörden hinweg würde die reibungslose Umsetzung des Projektes begünstigen.

FAZIT
Die Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung bestand darin, die Potentiale und Risiken, sowie die Umsetzbarkeit einer Regiotram zu untersuchen. Konkret lautete die Fragestellung: „Inwiefern eignet sich eine Regiotram für Gießen?“. Insbesondere auf die Klimawirkung und die Finanzierung wurden hierbei Schwerpunkte gelegt. Die Ergebnisse sind umfangreich: Die zentrale Erkenntnis ist, dass die Vorteile der Regiotram zahlreicher sind als die Nachteile. Alles in allem erweist sich die Regiotram als ein bedeutender Schritt für Gießen und die Region in Richtung Verkehrswende. Es lässt sich festhalten, dass die erfassten Chancen des Projekts zahlreich sind und sich die Risiken durch eine genaue und transparente Planung minimieren lassen. Aufgrund der offensichtlichen Notwendigkeit und dem beschriebenen, dringenden Handlungsbedarf im Verkehrssektor scheint die Regiotram für Gießen ein durchaus lohnender Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität zu sein. Diesen Zusammenhang quantitativ zu überprüfen, wirkt aussichtsreich. Es ergibt sich die Notwendigkeit, die Ergebnisse mithilfe eines quantitativen Forschungsdesigns und im Rahmen einer auf die Gießener Regiotram bezogenen Machbarkeitsstudie auf ihre Evidenz zu überprüfen.
Die Historie Gießens zeigt, dass ein Schienensystem grundsätzlich möglich und erfolgreich sein kann. Der Status Quo jedoch ist aus den genannten Gründen problematisch. Zu viele Menschen sehen das Auto nach wie vor als das attraktivste Verkehrsmittel an. Der bestehende ÖPNV ist für viele Menschen zu langsam, zu voll oder zu umständlich. Außerdem tritt das System an einigen Stellen bereits jetzt an seine Leistungsgrenze, das prognostizierte Bevölkerungswachstum wird es noch zusätzlich belasten. Die Aussagen der Befragten bestätigen, dass die Regiotram nach dem Karlsruher Modell eine schnelle und elegante Lösung nicht nur für Gießen, sondern auch das Umland wäre. Das hessische Beispiel aus Kassel zeigt, dass das Konzept durchaus umsetzbar und erfolgreich sein kann. Die Regiotram hat viele potentielle Vorteile wie Barrierefreiheit, Komfort, elektrischen Antrieb, geringen Platzbedarf, Schnelligkeit und soziale Gerechtigkeit, wie diese Arbeit aufzeigt. Wichtigstes Argument ist aber mit Sicherheit die Reduktion des MIVs bei gleichbleibend attraktivem, beziehungsweise verbessertem Mobilitätsangebot. Somit ließe sich mithilfe der Regiotram eine klimaneutrale, multimodale Alternative zum Auto für die vielen Pendler*innen, Studierenden, Schüler*innen und Besucher*innen schaffen, die jeden Tag nach Gießen wollen.
Die bedeutsamsten Gegenargumente sind die hohen Bau- und Betriebskosten, die mangelnde Flexibilität und die aufwändige, lang andauernde Baustelle. Aus eigenen Haushaltsmitteln wird die Stadt Gießen die hohen Kosten nicht bezahlen können. Das Projekt wird möglich, wenn der Bund im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans und auf Basis des GVFGs Fördermittel zur Verfügung stellt. Voraussetzung dafür ist, dass der volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Faktor über eins liegt, der Nutzen also die Kosten übersteigt. Auch im Rahmen des Deutschlandtaktes 2030 könnte die Regiotram interessant werden, da die Strecke Gießen - Fulda (Vogelsbergbahn) ausgebaut werden soll (o.A., 2022). Im Rahmen dieses Vorhabens wird aktuell die Zweigleisigkeit der auch durch Gießen verlaufenden Bahn geprüft. Im Grundsatz werden sich die aufwändige Baustelle und die damit einhergehende Verkehrsbelastung kaum vermeiden lassen. Lediglich durch eine gute, zügige Planung und die Einbindung der Öffentlichkeit ließe sich das Risiko für Konfliktsituationen minimieren.
Es besteht der dringende Anlass für die Forschung, die gesammelten Ergebnisse und Zusammenhänge näher zu untersuchen. Die Konsequenzen sind nicht arbiträr: So sehr die technische Entwicklung auch voranschreitet, muss die Wissenschaft und die Politik genau dort, an der Modernisierung von Verkehrskonzepten ansetzen. Nur so können Mechanismen und Vorgänge nachvollzogen werden, um schnellstmöglich zu Ergebnissen und Umsetzung gelangen zu können. Denn der Status Quo ist sicherlich nicht die Lösung, im Gegenteil. Somit wächst die Zielsetzung einer sozialgerechten Verkehrswende heran zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die auch andere Sektoren mit einbezieht. Auch wenn wohl kaum erreicht werden kann, dass zeitnah alle Menschen auf das Auto verzichten, so besteht zumindest die Hoffnung, dass durch attraktivere Angebote des ÖPNV viele Menschen darauf umsteigen.

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