WIE KANN ES WEITERGEHEN? KONKRETE VORSCHLÄGE FÜR DIE PRAKTISCHE ANARCHIE
Anarchie für Betriebe: Produktion und Verteilung
1. Einleitung
2. Anarchie für alle: Herrschaftsfreies Leben und Überleben im Alltag
3. Anarchie für Gruppen: Organisierung ohne Hierarchien
4. Anarchie für Betriebe: Produktion und Verteilung
5. Anarchie in Aktion: Intervention ins Hier & Jetzt
6. Anarchie für Träume und TräumerInnen: Theorieentwicklung und Utopiedebatte
7. Was Hoffnung macht: Blicke über die Grenzen
Betrachten wir einen weiteren wichtigen Bereich des gesellschaftlichen Leben. Wo kommen die Brötchen her? So könnte salopp die Frage lauten, mit der die Debatte um die materielle Reproduktion gestellt wird, oft auch mit den Begriffen Ökonomie oder Wirtschaft begrifflich gefasst. Doch das wäre zu ungenau. Denn aus emanzipatorischer Sicht, die ja den Menschen und dem, was ihm nützt, in den Mittelpunkt stellt, sind die heute zentralen Sektoren im Wirtschaftsleben überflüssig, während andere unterdrückt werden, die eigentlich wichtig wären. Denn ökonomische Tätigkeit im Kapitalismus dient der Erzielung und Steigerung von Profit, dem Aufbau wirtschaftlicher Macht und der Akkumulation von Produktionsmitteln. Alles, was Erschaffen wird, dient nur dazu, in Wert gesetzt zu werden, um daraus neue Möglichkeiten zu ziehen, wieder Werte zu schaffen oder Produktionsmittel zu akkumulieren. Die Bedürfnisse oder Ideen der Menschen spielen dabei nur insofern eine Rolle, als deren Befriedigung ein Weg sind, Profite zu erzielen. Würden Firmen mit dem Verkauf von Nahrungsmitteln keinen Gewinn erzielen können, gäbe es unter den herrschenden Bedingungen gar keinen Antrieb, das Verhungern der Massen zu verhindern. In diesem Sinne ist das herrschende Wirtschaftssystem unmenschlich. Wie aber sähe eines aus, dass den Menschen dient?
Umfangreiche Vorschläge dazu sind in verschiedenen Debatten rund um freie Produktionsformen (Oekonux, Keimformen, NutzerInnengemeinschaften, freie Software usw.) gemacht worden. Eine Übersicht bot der Reader "Herrschaftsfrei wirtschaften", der neben anderen Texten auf der Utopie-CD zu finden ist (Downloadliste online). Gesonderte Abhandlungen finden sich in der Textsammlung "Freie Menschen in freien Vereinbarungen" und als Kapitel im Buch "Autonomie&Kooperation". Insofern bedarf es hier nur einiger sehr konkreter Vorschläge für Betriebe und wirtschaftliche Tätigkeiten, die anarchistischen Ideen folgen sollen.
Maschinen und erst recht Böden sind hingegen nicht beliebig vermehrbar. Es kann daher zu Konkurrenzen führen, wenn verschiedene Menschen Nutzungsansprüche erheben und nicht genügend Produktionsmittel vorhanden sind, dass alle jederzeit darauf zugreifen können.
Sinn, darüber zu diskutieren, wie der Zugriff zu gestalten ist, besteht nur dann, wenn überhaupt die Menschen über die Produktionsmittel verfügen. Es ist also Grundvoraussetzung, dass Böden, Produktionsmaschinen usw. dem Eigentum privater Firmen ebenso entrissen werden wie dem Staat, der nur in abstrusesten Ideen eine Sache der Menschen ist, tatsächlich aber über diesen schwebt und sie mit Mittel der Macht in sich einverleibt. Was nötig ist, ist also keine Verstaatlichung, sondern eine "Vergesellschaftung" von Produktionsmitteln in dem Sinne, dass es die Menschen sind, die dann in freier Vereinbarung den Umgang mit ihnen regeln.
Zur Zeit liegen die Produktionsmittel fest in der Hand der jeweiligen EigentümerInnen oder menschenunabhängiger Kapitalgesellschaften. Es ist auch weitgehend alles verteilt. Eine anarchistische Produktionsweise würde daher zum Nischendasein bestimmt - es sei denn, die AkteurInnen eignen sich das nötige Wissen und von der bestehenden materiellen Ausstattung, den Produktionsmitteln, Böden und Gebäuden einen ausreichenden Anteil an, der eine andere Produktionsweise auch in größerem Umfang zulässt.
Die eigentliche Alternative zu beiden herrschaftsförmigen Modellen ist die Verlagerung ökonomischer Aktivität in BürgerInnengesellschaften. Damit sind Produktions- oder Versorgungseinrichtungen gemeint, die den Menschen selbst gehören bzw. von diesen gesteuert werden. Darum sollte gerungen werden - durchaus auch auf politisch-parlamentarischer Ebene. Lange Zeit sind die vormals staatlich oder kommunal organisierte Daseinsvorsorge (z.B. Energie- und Wasserversorgung), aber auch Bildung und Wissenschaft immer mehr in die Hand privatwirtschaftlicher Firmen übergeben worden. Die Folgen waren und sind eine immer stärkere Orientierung dieser Sektoren auf Profite. Der aufgrund schlechter Erfahrungen einsetzende Weg zurück ist nicht nur teuer, sondern bietet auch keine emanzipatorische Perspektive. Denn Staat und Gemeinden sind keine freien Zusammenschlüsse der Menschen, sondern abstrakte Machtinstitutionen mit Eigeninteresse. Was nötig ist, sind Elektrizitäts- und Wasserwerke sowie Gewinnungsanlagen in BürgerInnenhand, selbstorganisierte Schulen, von Staat und Wirtschaft unabhängige Wissenschaft usw. Die Elektrizitätswerke Schönau sind ein brauchbares Beispiel, welche Kräfte und Möglichkeiten das freisetzen kann - obwohl sich die InitiatorInnen dort sicherlich nicht als AnarchistInnen bezeichnen würden, sondern eher als christlich orientierte Wertkonservative. Aber ihnen war der Weg versperrt, mit Konzernen oder dem Staat zu paktieren, denn die kungelten alle mit dem Großkonzern, der unter anderem seinen Atomstrom gewinnbringend verkaufen wollte. So konnten die EWS-GründerInnen nur auf die Macht der Menschen bauen. Sie gewannen und es entstand eine der interessantesten Firmen dieses Landes. Dass sie kaum NachahmerInnen fand, zeigt einerseits das Desinteresse an Umweltverbänden, -parteien und -gruppen an der Machtfrage, andererseits aber auch die Schläfrigkeit anarchistischer Strömungen im deutschsprachigen Raum, solche oder ähnliche Modelle nicht hinauszutragen in eine Welt, die unter der Kontrolle von Markt und Staat steht, aber vielen so nicht gefällt. Es wird Zeit, die Alternative deutlich aufzuzeigen und Experimente zu starten, damit nicht nach dem Scheitern neoliberaler Phantasien nur einfach ein gestärkter Staat zurückkommt. Davon hätten die Menschen nämlich wenig bis nichts.
Leider tun sie das nur in einigen, sehr seltenen Ausnahmen, die eher exotisch wirken zwischen den ganzen selbstverwalteten GbR, GmbHs und Genossenschaften, die alle gnadenlos für den Markt arbeiten. Sie versuchen, über Werbung Nachfrage zu erzeugen, suchen nach den Marktsegmenten mit dem höchsten Profit für ihre Tätigkeit und verlieren die Bedürfnisse der meisten oder aller Menschen völlig aus den Augen. Diese Hinwendung an die Marktlogiken hat ihre Folgen. Sachzwänge entstehen, die Effizienz der Arbeit muss bis zu einer Konkurrenzfähigkeit im Markt gesteigert und deshalb oft auf Schuldenbasis investiert werden. Arbeitszeiten und Output müssen rentabel sein.
Es braucht also auch hier etwas Neues, nämlich die Abkoppelung der Produktion vom Markt, in dem Werbung, Erzeugung von Bedürfnissen oder anderen Quellen der Nachfrage, Konkurrenz und vieles mehr wüten. Produktion und Versorgung sollen ein gutes Leben und die Selbstentfaltung der Menschen ermöglichen. "Wirtschaft soll dem Menschen dienen" heißt es ja auch pathetisch in Programmen von Parteien, Kirchen und Organisationen. Das aber geht nur, wenn die Menschen auch die Bestimmenden werden. Produktion muss an Wünsche und Bedürfnisse der Menschen gekoppelt werden. Das gelingt weder dem Markt noch in Form abstrakter Fünfjahrespläne, wie es die realsozialistischen Regierungen mal unter dem Banner vermeintlicher Bedürfnisfeststellung der Menschen versucht haben. Sondern es müssen die Menschen selbst sein, für die und durch die produziert wird. Es ist daher auf Dauer nicht befriedigend, wenn Firmen nur in Selbstverwaltung der dort Arbeitenden stehen, sondern sie müssen Kommunikation und Kooperation derer, die in ihnen produzieren, und denen, deren Bedürfnisse dadurch gedeckt werden, darstellen. Hinzukommen noch die Betroffenen z.B. in der Nachbarschaft von Produktionsstätten.
Interessante Beispiele einer Produktion ohne Markt bilden landwirtschaftliche Höfe, die für einen bestimmten Kreis zu versorgender Menschen die notwendigen Lebensmittel produzieren. Angesichts fortentwickelter Kommunikationsmöglichkeiten muss das nicht bedeuten, nur noch auf ein regional beschränktes Angebot zurückgreifen zu können. Aber es stellt die Produktion, ergänzt um einen regionalen und überregionalen Austausch von Produkten, auf die Bedürfnisse der Menschen ein. Der freie Markt als Kampfzone um Preise, Verteilung und Monopole fällt weg.
Die Macht zur gesteuerten Verteilung muss also raus aus den wirtschaftlichen Prozessen. Produktions- und Versorgungsmöglichkeiten gehören in die Hand der Menschen, die mit ihnen arbeiten, aber sie nicht besitzen und daher nicht anderen entziehen können. Die Produkte sind nicht Eigentum der Produzierenden, sondern ein gesellschaftlicher Reichtum, der allen offen steht. Die Akkumulation von Produktionsmitteln führt nicht zu besseren Chancen auf Profite, weil das Ergebnis (mehr Produkte) keine Rendite verspricht. Gleichzeitig ist die Akkumulation auch nicht zur Versorgungssicherheit nötig, weil niemand abgetrennt werden kann vom Zugang zu den Gütern. Es ist ausschließlich Sache der freien Vereinbarung, was wie und für wen produziert wird, was aus Gründen der Effizienz immer ein bisschen auf Vorrat hergestellt und dann wie gelagert und nutzbar gemacht wird.
Es gibt sehr wenig Experimente dieser Art. Sie würden auch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, weil sie Produkte aus eigener Herstellung zwar bedürfnisorientiert und, näher an der Utopie, nicht gegen einen festen Preis als Ware abgegeben würden. Sie setzen aber meist viele Betriebsmittel (z.B. Energie) voraus, die als Ware bezogen, also eingekauft werden müssen. Das wird Übergangsmodelle notwendig machen. Allerdings können die Projekte starke Außenwirkung entfalten, wie es Umsonstläden oft schon tun, die von der Verteilung her schon nach dem Prinzip des gleichen Zugangs zum vorhandenen Reichtum funktionieren. Ließe sich diese Idee auch ausdehnen auf Lebensmittelläden, Energieversorgung usw.?
Letzteres kann im Detail aufgebrochen werden, wenn klassisch periphere Tätigkeiten wie Land- und Gartenbau mitsamt der Nahrungsmittelveredlung, Energiegewinnung und anderes in die Metropolen integriert wird, während umgekehrt Kulturstätten, Bildungsorte usw. in periphere Räume gestreut werden. Hier können alternative Projekte und Betriebe zum einen ein kleines Stück der nötigen Veränderung selbst sein und zum anderen diese zum Teil nicht so offensichtlichen Herrschaftsverhältnisse offenlegen und kritisieren.
Umfangreiche Vorschläge dazu sind in verschiedenen Debatten rund um freie Produktionsformen (Oekonux, Keimformen, NutzerInnengemeinschaften, freie Software usw.) gemacht worden. Eine Übersicht bot der Reader "Herrschaftsfrei wirtschaften", der neben anderen Texten auf der Utopie-CD zu finden ist (Downloadliste online). Gesonderte Abhandlungen finden sich in der Textsammlung "Freie Menschen in freien Vereinbarungen" und als Kapitel im Buch "Autonomie&Kooperation". Insofern bedarf es hier nur einiger sehr konkreter Vorschläge für Betriebe und wirtschaftliche Tätigkeiten, die anarchistischen Ideen folgen sollen.
Selbstverwaltung: Produktionsmittel in freien Vereinbarungen
Ein wichtiger Gesichtspunkt sind die Produktionsmittel, also alles, was zum Herstellen materieller Güter nötig ist: Boden, Maschinen, Gebäude. Von der Systematik her sind auch Pläne, technisches Wissen und Software zur Steuerung von Produktionsabläufen hier einzusortieren, wenngleich sie einfacher zu vervielfältigen sind und daher keiner besonderen Regelung der Verfügbarkeit bedürfen, wenn auf ihnen keine Beschränkungen wie Patente liegen.Maschinen und erst recht Böden sind hingegen nicht beliebig vermehrbar. Es kann daher zu Konkurrenzen führen, wenn verschiedene Menschen Nutzungsansprüche erheben und nicht genügend Produktionsmittel vorhanden sind, dass alle jederzeit darauf zugreifen können.
Sinn, darüber zu diskutieren, wie der Zugriff zu gestalten ist, besteht nur dann, wenn überhaupt die Menschen über die Produktionsmittel verfügen. Es ist also Grundvoraussetzung, dass Böden, Produktionsmaschinen usw. dem Eigentum privater Firmen ebenso entrissen werden wie dem Staat, der nur in abstrusesten Ideen eine Sache der Menschen ist, tatsächlich aber über diesen schwebt und sie mit Mittel der Macht in sich einverleibt. Was nötig ist, ist also keine Verstaatlichung, sondern eine "Vergesellschaftung" von Produktionsmitteln in dem Sinne, dass es die Menschen sind, die dann in freier Vereinbarung den Umgang mit ihnen regeln.
Zur Zeit liegen die Produktionsmittel fest in der Hand der jeweiligen EigentümerInnen oder menschenunabhängiger Kapitalgesellschaften. Es ist auch weitgehend alles verteilt. Eine anarchistische Produktionsweise würde daher zum Nischendasein bestimmt - es sei denn, die AkteurInnen eignen sich das nötige Wissen und von der bestehenden materiellen Ausstattung, den Produktionsmitteln, Böden und Gebäuden einen ausreichenden Anteil an, der eine andere Produktionsweise auch in größerem Umfang zulässt.
Im Original: Aneignung der Handlungsspielräume
Aus Meretz, Stefan: "Den Kampfhund bändigen", in: Freitag, 18.6.2004 (S. 5)
Aneignung kann zweierlei bedeuten. Zunächst einfach "Wegnahme": angefangen vom Mundraub, über Unbezahlt-Zugang-verschaffen und die Raubkopie bis zum Haus-besetzen. Die Grenzen von der Subversion zum bloß individuellen Unter-den-Nagel-reissen sind fließend. ...
So verzichten Tauschringe auf die Geldform, tauchen jedoch einfache Arbeitszeit-Äquivalente ohne Ansehen der Qualifikation - geringe Reichweite. Umsonstländen hingegen brechen mit dem Tausch als Vermittlungsform von Herstellen und Verbrauchen - größere Reichweite.
Freie Software als drittes Beispiel schöpft in neuer Weise Neues und verteilt die Güter auf neue Art. Das Alltagsmittel Computer wird vom Konsumgut zum Produktionsmittel. In kollektiver Selbstorganisation werden nützliche Produkte geschaffen - für mich und gleichzeitig für alle. Selbstentfaltung, Vergegenständlichung der individuellen produktiven Kraft, was mir entspricht, ist der Antrieb.
Ein Schritt in die Praxis: Produktion und Versorgung in die Hand der Menschen
In der politischen Debatte dreht sich ein langwieriger Streit um die Frage, wieviel Einfluss der Staat auf die Wirtschaft haben soll. Seit Jahrzehnten stehen sich die vermeintlich sozialistischen Regierungen mit ihrer Neigung, Firmen zu verstaatlichen und möglichst viel des Wirtschaftslebens (meist nicht nur das) zu verregeln, den kapitalistischen Staaten mit ihren vermeintlich freien Märkten gegenüber. Interessant ist, dass die Unterschiede für das praktische Leben der Menschen gar nicht besonders intensiv sind. Wie rücksichtslos ein Regime gegen die eigene Bevölkerung vorgeht oder wie erfolgreich es andere Länder ausbeuten und dadurch den eigenen Lebensstandard heben kann, hängt weniger vom Anteil verstaatlichter Betriebe ab als von der grundlegenden politischen Ausrichtung und der Wirtschaftsmacht des entsprechendes Staates. Für die einzelnen Menschen, ob nun ArbeiterInnen, Erwerbslose, reproduktiv tätige Haushaltskraft im Hintergrund (in patriarchalen Verhältnisse also ein Großteil der Frauen) oder Auszubildende, besteht der Unterschied nur im abstrakten Wissen, an wen der Mehrwert geht - an meist skrupellose FirmenchefInnen oder ebensolche Staatsregierungen.Die eigentliche Alternative zu beiden herrschaftsförmigen Modellen ist die Verlagerung ökonomischer Aktivität in BürgerInnengesellschaften. Damit sind Produktions- oder Versorgungseinrichtungen gemeint, die den Menschen selbst gehören bzw. von diesen gesteuert werden. Darum sollte gerungen werden - durchaus auch auf politisch-parlamentarischer Ebene. Lange Zeit sind die vormals staatlich oder kommunal organisierte Daseinsvorsorge (z.B. Energie- und Wasserversorgung), aber auch Bildung und Wissenschaft immer mehr in die Hand privatwirtschaftlicher Firmen übergeben worden. Die Folgen waren und sind eine immer stärkere Orientierung dieser Sektoren auf Profite. Der aufgrund schlechter Erfahrungen einsetzende Weg zurück ist nicht nur teuer, sondern bietet auch keine emanzipatorische Perspektive. Denn Staat und Gemeinden sind keine freien Zusammenschlüsse der Menschen, sondern abstrakte Machtinstitutionen mit Eigeninteresse. Was nötig ist, sind Elektrizitäts- und Wasserwerke sowie Gewinnungsanlagen in BürgerInnenhand, selbstorganisierte Schulen, von Staat und Wirtschaft unabhängige Wissenschaft usw. Die Elektrizitätswerke Schönau sind ein brauchbares Beispiel, welche Kräfte und Möglichkeiten das freisetzen kann - obwohl sich die InitiatorInnen dort sicherlich nicht als AnarchistInnen bezeichnen würden, sondern eher als christlich orientierte Wertkonservative. Aber ihnen war der Weg versperrt, mit Konzernen oder dem Staat zu paktieren, denn die kungelten alle mit dem Großkonzern, der unter anderem seinen Atomstrom gewinnbringend verkaufen wollte. So konnten die EWS-GründerInnen nur auf die Macht der Menschen bauen. Sie gewannen und es entstand eine der interessantesten Firmen dieses Landes. Dass sie kaum NachahmerInnen fand, zeigt einerseits das Desinteresse an Umweltverbänden, -parteien und -gruppen an der Machtfrage, andererseits aber auch die Schläfrigkeit anarchistischer Strömungen im deutschsprachigen Raum, solche oder ähnliche Modelle nicht hinauszutragen in eine Welt, die unter der Kontrolle von Markt und Staat steht, aber vielen so nicht gefällt. Es wird Zeit, die Alternative deutlich aufzuzeigen und Experimente zu starten, damit nicht nach dem Scheitern neoliberaler Phantasien nur einfach ein gestärkter Staat zurückkommt. Davon hätten die Menschen nämlich wenig bis nichts.
Schmeißt den Markt aus den Köpfen und Produktionsplänen!
All das - ob nun alternative Betriebe oder Produktion und Versorgung in BürgerInnenhand - nützt allein aber oft wenig, wie die bisherigen Experimente gezeigt haben. Es gibt etliche selbstverwaltete Betriebe, innerhalb derer mehrere Menschen zumindest formal gleichberechtigt sind und sich den Zugriff auf die Produktionsmittel teilen. Das ist zwar noch keine anarchistische Perspektive in dem Sinne, dass alle Interessierten, Beteiligten und Betroffenen sich gleichberechtigt einmischen können, aber es ist immerhin die Ankoppelung des Besitzes an konkrete Menschen. Doch arbeiten die nun für die Bedürfnisse der Menschen?Leider tun sie das nur in einigen, sehr seltenen Ausnahmen, die eher exotisch wirken zwischen den ganzen selbstverwalteten GbR, GmbHs und Genossenschaften, die alle gnadenlos für den Markt arbeiten. Sie versuchen, über Werbung Nachfrage zu erzeugen, suchen nach den Marktsegmenten mit dem höchsten Profit für ihre Tätigkeit und verlieren die Bedürfnisse der meisten oder aller Menschen völlig aus den Augen. Diese Hinwendung an die Marktlogiken hat ihre Folgen. Sachzwänge entstehen, die Effizienz der Arbeit muss bis zu einer Konkurrenzfähigkeit im Markt gesteigert und deshalb oft auf Schuldenbasis investiert werden. Arbeitszeiten und Output müssen rentabel sein.
Es braucht also auch hier etwas Neues, nämlich die Abkoppelung der Produktion vom Markt, in dem Werbung, Erzeugung von Bedürfnissen oder anderen Quellen der Nachfrage, Konkurrenz und vieles mehr wüten. Produktion und Versorgung sollen ein gutes Leben und die Selbstentfaltung der Menschen ermöglichen. "Wirtschaft soll dem Menschen dienen" heißt es ja auch pathetisch in Programmen von Parteien, Kirchen und Organisationen. Das aber geht nur, wenn die Menschen auch die Bestimmenden werden. Produktion muss an Wünsche und Bedürfnisse der Menschen gekoppelt werden. Das gelingt weder dem Markt noch in Form abstrakter Fünfjahrespläne, wie es die realsozialistischen Regierungen mal unter dem Banner vermeintlicher Bedürfnisfeststellung der Menschen versucht haben. Sondern es müssen die Menschen selbst sein, für die und durch die produziert wird. Es ist daher auf Dauer nicht befriedigend, wenn Firmen nur in Selbstverwaltung der dort Arbeitenden stehen, sondern sie müssen Kommunikation und Kooperation derer, die in ihnen produzieren, und denen, deren Bedürfnisse dadurch gedeckt werden, darstellen. Hinzukommen noch die Betroffenen z.B. in der Nachbarschaft von Produktionsstätten.
Interessante Beispiele einer Produktion ohne Markt bilden landwirtschaftliche Höfe, die für einen bestimmten Kreis zu versorgender Menschen die notwendigen Lebensmittel produzieren. Angesichts fortentwickelter Kommunikationsmöglichkeiten muss das nicht bedeuten, nur noch auf ein regional beschränktes Angebot zurückgreifen zu können. Aber es stellt die Produktion, ergänzt um einen regionalen und überregionalen Austausch von Produkten, auf die Bedürfnisse der Menschen ein. Der freie Markt als Kampfzone um Preise, Verteilung und Monopole fällt weg.
Gleicher Zugang statt gerechte Verteilung
Ebenso radikal gilt es die Mechanismen der Verteilung in Frage zu stellen. Der Ruf nach gerechterer Verteilung des Reichtums greift nämlich zu kurz oder geht an den entscheidenden Punkten schlicht ganz vorbei. Denn das Bild fehlender Gerechtigkeit geht vom Irrtum aus, dass Hunger, Armut usw. dadurch entstehen, dass die Reichen und Überernährten nichts abgeben. Das ist falsch. Armut und Hunger entstehen, weil die Besitzenden über mehr Machtpotentiale verfügen (von Geld bis zu Armeen) und daher ständig den Armen noch etwas wegnehmen können, obwohl ohnehin schon alles sehr ungleich verteilt ist. Die Verteilung ist also das Problem. Dort, wo das Potential zur zentral gesteuerten Verteilung besteht, kommt es zur künstlichen Erzeugung von Mangel. Dieser ist wirtschaftlich lukrativ, denn er sichert Absatzmärkte, hohe Preise, wirtschaftliche Macht und damit hohe Profite.Die Macht zur gesteuerten Verteilung muss also raus aus den wirtschaftlichen Prozessen. Produktions- und Versorgungsmöglichkeiten gehören in die Hand der Menschen, die mit ihnen arbeiten, aber sie nicht besitzen und daher nicht anderen entziehen können. Die Produkte sind nicht Eigentum der Produzierenden, sondern ein gesellschaftlicher Reichtum, der allen offen steht. Die Akkumulation von Produktionsmitteln führt nicht zu besseren Chancen auf Profite, weil das Ergebnis (mehr Produkte) keine Rendite verspricht. Gleichzeitig ist die Akkumulation auch nicht zur Versorgungssicherheit nötig, weil niemand abgetrennt werden kann vom Zugang zu den Gütern. Es ist ausschließlich Sache der freien Vereinbarung, was wie und für wen produziert wird, was aus Gründen der Effizienz immer ein bisschen auf Vorrat hergestellt und dann wie gelagert und nutzbar gemacht wird.
Es gibt sehr wenig Experimente dieser Art. Sie würden auch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, weil sie Produkte aus eigener Herstellung zwar bedürfnisorientiert und, näher an der Utopie, nicht gegen einen festen Preis als Ware abgegeben würden. Sie setzen aber meist viele Betriebsmittel (z.B. Energie) voraus, die als Ware bezogen, also eingekauft werden müssen. Das wird Übergangsmodelle notwendig machen. Allerdings können die Projekte starke Außenwirkung entfalten, wie es Umsonstläden oft schon tun, die von der Verteilung her schon nach dem Prinzip des gleichen Zugangs zum vorhandenen Reichtum funktionieren. Ließe sich diese Idee auch ausdehnen auf Lebensmittelläden, Energieversorgung usw.?
Ökonomische Hierarchien überwinden
Jedes wirtschaftliche Projekt kann und sollte nicht nur Hierarchien und Ungleichberechtigungen im Binnenverhältnis überwinden sowie durch die direkte Verknüpfung von Nachfrage und Angebot die eisigen Gesetze des Marktes ausschalten, sondern auch dazu beitragen, übergreifende wirtschaftliche Herrschaftsverhältnisse anzunagen oder zu durchbrechen. Hierzu gehören die Abkoppelung der meisten Menschen vom Zugang zu Produktionsmitteln, der Zwang zur Verwandlung aller Güter und Fähigkeiten in Waren, die über den Preis zu neuem Wert werden und der Anhäufung von Profiten dienen, und die Zuordnung bestimmter Rollen und Verteilungen zwischen Metropole und Peripherie.Letzteres kann im Detail aufgebrochen werden, wenn klassisch periphere Tätigkeiten wie Land- und Gartenbau mitsamt der Nahrungsmittelveredlung, Energiegewinnung und anderes in die Metropolen integriert wird, während umgekehrt Kulturstätten, Bildungsorte usw. in periphere Räume gestreut werden. Hier können alternative Projekte und Betriebe zum einen ein kleines Stück der nötigen Veränderung selbst sein und zum anderen diese zum Teil nicht so offensichtlichen Herrschaftsverhältnisse offenlegen und kritisieren.