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TATORT GUTFLEISCHSTRASSE: DIE NAMEN DER TÄTERINNEN IN ROBE UND UNIFORM

Leseproben


1. Inhaltverzeichnis und Entwicklungen nach Erscheinen
2. Inhaltsübersicht mit Download (PDF)
3. Who is who der Fälscher, Prügler und Straftäter
4. Leseproben
5. Links und Infos zum Thema

Das Vorwort
Muss es überhaupt vorweggeschickt werden? Besser ist es vielleicht, daher die klare Aussage: Uniformierte, RobenträgerInnen
und andere Angehörige der Führungsetagen und willigen VollstreckerInnen in Polizei und Justiz Gießens haben weder eine andere Kultur noch andere Gene als Menschen andernorts. Deshalb wird es in Gießen auch nicht schlimmer sein als in den vielen
Polizeistationen und Gerichten dieses Landes. Anders ist nur: In Gießen wurde alles seit Jahren sehr genau dokumentiert. Mit List,
Tücke und immer mehr Sachverstand haben politische AkteurInnen geforscht, was hinter den Kulissen abgeht. Dieses Buch ist
ein Ergebnis der Bemühungen - präsentiert, um auf unterhaltsame und spannende Art das Unglaubliche möglichst breit bekannt
zu machen: Es gibt keine unabhängigen Gerichte, Staatsanwaltschaften oder neutrale PolizeibeamtInnen. Sie sind alle Teil der gesellschaftlichen Eliten und ihrer Durchsetzungsorgane. Dass überhaupt etwas anderes angenommen wird, ist unverständlich.
Warum sollten Polizei und Gerichte denn nicht die Lieder derer singen, deren Brot sie essen?

Probelesen!!!
Die beiden Kapitel zu den aktuellsten Vorgängen:
  • Spektakulärer Polizeiüberfall, Hausdurchsuchung und Inhaftierungen im Auftrag und gegen KritikerInnen des hessischen Innenministers - mit ausgedachten Straftaten und Vertuschung der gleichzeitigen, die Unschuld klar beweisenden Observation: Kapitel 14 als PDF
  • Gerichtsprozess voller Manipulationen, inszenierter Zeugenauftritte mit Falschaussagen und jede Menge Falschbeschuldigungen im Herbst 2006: Kapitel 15 als PDF

Im Original: Leseprobe aus Kap. 1: Tatortbesichtigung
Gutfleischstraße
Ich gehe an der Fassade des Landgerichts entlang nach links. Direkt vor dessen Gemäuer führt ein Fußweg in die Gutfleischstraße, parallel zum einige Meter entfernten BürgerInnensteig an der Ostanlage. Ein bisschen Gras, einige Büsche und Bäume trennen die Wege. „Wenn Sie von hier in die Innenstadt wollen, können Sie die FußgängerInnenunterführung direkt vor dem Landgericht benutzen.“ Aber da will ich noch nicht hin, ich biege in die Gutfleischstraße ein, was mein High-Tech-Berater sofort registriert: „Beachten Sie bitte beim Unterschreiten des Verbindungsganges zwischen beiden Gerichten auf der rechten Seite den hohen und stabilen Metallzaun. Er verhindert wirksam, dass Menschen herauskommen können, die hinter dem Zaun leben müssen. Hinter dem Zaun liegt die Welt des Bösen, die Metallstreben symbolisieren und schaffen eine Manifestation der Trennung und Ordnung. Auf der anderen Seite und für Sie ohne Umweg über die Fabriken des Urteilens unerreichbar liegt das unbekannte Terrain von Reglementierung, Überwachung, Bestrafung und Langeweile, das bei den normierten Beschäftigten in der Gutfleischstraße ,Strafvollzug' heißt.“ Wie ich sehe, ist der Zaun nur eine erste Barriere, die Teile des Landgerichts zu Teilen des Käfigs machen. Eine große Schiebetüreinfahrt verhilft denen zur Flucht aus dem Käfig, die sich hier nicht wegen Straf- und Polizei-, sondern wegen Arbeitszwang aufhalten, aber dazu legitimiert sind, nach Ableistung ihres VollstreckerInnendaseins die Käfige wieder zu verlassen. Es sind diejenigen, die andere dort hineinweisen - und ihre HelferInnen.
Der Zaun stößt unmittelbar an die Mauer, die zwischen dem bereits abgeschirmten Hinterhof des Landgerichts und dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Gießen verläuft. Die Mauerkrone wird von Stacheldrahtrollen verziert. Wenn ich klettern könnte, würde ich in den Innenbereich des Gefängnisses schauen - durch die Drahtrollen hindurch. Davor warnt mich aber meine Stimme: „Wie kleine Rasierklingen sind alle paar Zentimeter spitze Blechstücke an den Drähten befestigt. Das Übersteigen eines solchen Drahtwalles wäre mit tiefen Schnittverletzungen verbunden. Dass sich die Widerhaken beim Übersteigen in der Kleidung oder im Körper festkrallen, macht es nicht besser. Jedes Detail solcher zivilisatorischen Meisterleistungen zeigt: Hier steckt geistige und materielle Potenz drin. Sie wurde verwendet, um das Leben von Menschen zu zerstören. Produktivkraft, d.h. die Fähigkeit von Menschen, schöpferisch tätig zu sein, verhilft nicht zum besseren Leben, sondern wendet sich gegen Menschen. Die Drahtrollen mit den Schneideklingen stammen vom Militär - der Legende nach wird dort ja vieles erfunden, was später auch im Alltag nützlich sein kann ...
Vom Knast, der hinter dem Landgericht liegt, ist nicht viel zu sehen außer der Mauer. Eine kleine Tür verbindet das Innere der ummauerten Parallelgesellschaft mit dem Hinterhof des Landgerichts. Der Wahn, Menschen zu isolieren und zu kontrollieren, treibt hier seine Blüten. Die Gefangenen müssen selbst auf dem Weg zu ihrer Aburteilung - für viele das letzte Mal, dass sie dem „Draußen“ begegnen können - bewacht und abgeschottet werden. Diese Logik liegt einem Gefängnis und damit auch den Strafgerichten immer zugrunde. Es gibt ,Drinnen' und ,Draußen'. Zur Durchsetzung der Allgemeingültigkeit einer menschlich geschaffenen Rechtsordnung schieben deren WächterInnen andere Menschen wie Setzfiguren zwischen den Welten hin und her.
Die Vorderfront des Knastes verläuft entlang der Gutfleischstraße. Es ist nur ein kleines Gefängnis, wird mir ins Ohr geflüstert. „Die Gesamtbelegungsfähigkeit des geschlossenen Vollzuges der Justizvollzugsanstalt Gießen ist auf 142 Haftplätze festgelegt. Die 72 Einzelhaftplätze sind vornehmlich den Untersuchungsgefangenen vorbehalten.7 Zwei große Tore unterbrechen die Front zur Straße, von denen das linke in der Mauer des Gefängnishofes steckt und fast immer geschlossen ist, während das andere als Ein- und Ausfahrt dient. Daneben sitzt in der schmucklosen, leicht aus der gemauerten Einheitsfront herausragend, meist ein Mensch in der Pförtnerloge - eingesperrt wie alle hier, aber nach Dienstplan befugt, irgendwann seinen Bau wieder zu verlassen und in das begrenzt urbane Leben der Stadt Gießen einzutauchen.“ Den Punkt mit der meisten Symbolik entdeckte ich eher zufällig. Er ist nur wenige Quadratzentimeter groß, aber dafür mehrsprachig. Ein unauffälliges Schild hängt am Metallzaun, wo dieser auf die Mauer trifft. Es untersagt jegliche Kontaktaufnahme mit den Gefangenen auf der anderen Seite. Hier ist totale Isolation gewollt, die Trennung zwischen Innen und Außen wird mit allen Mitteln verteidigt. Wer die Norm missachtet, erhält das Allheilmittel der geordneten Gesellschaft: Strafe. 500 Euro.
Ich schlendere an der stacheldrahtbewehrten Mauer entlang. Der Abstand zwischen Gutfleischstraße und Mauer wird größer, schließlich passt sogar noch ein Wohnhaus für Menschen dazwischen. Wer mag inmitten dieser Atmosphäre von Ruhe und Ordnung leben wollen? Mein Satellitentext klärt mich nicht auf. Stattdessen geht es schon um das nächste Gebäude: „Neben dem geschlossenen gibt es noch den sogenannten offenen Vollzug, in Gießen mit 83 Knastplätzen.8 Wer hier drin lebt, darf zu einem externen Arbeitsplatz und für einige weitere Stunden jeden Tag den Knast verlassen. Er muss aber arbeiten und Miete zahlen für seine Zelle. Wie - Sie sind überrascht? Dann haben Sie es verstanden. Einige der Häftlinge im offenen Vollzug arbeiten auch auf gefängnisinternen Stellen: Putzen, Gärtnern und Hilfsdienste auf den Justizflächen.“ Das „Wolfgang-Mittermaier-Haus“, wie der weiß geklinkerte Bau am Ende der Gutfleischstraße genannt wurde, strahlt kalte Funktionalität aus. Kameras und Kontrollbereich im Eingang sind unauffälliger platziert als die Mauern und Stacheldrahtrollen am ,richtigen' Knast. „Viele Gefangene erleben ein Hin und Her zwischen den beiden Gefängnissen, denn der ,Abschuss' ist die Höchststrafe nicht normgerechten Verhaltens im offenen Vollzug: Wer von seinem Aufenthalt außerhalb des Knastes mit Alkoholfahne oder Drogenspuren im Urin wiederkehrt, wer sich der Disziplin im Haus nicht unterwirft oder der ,Arbeitstherapie'9 verweigert, wird anstandslos wieder in die geschlossene Abteilung geschoben.“ Wieder was gelernt über das Leben in den Urteils- und Isolationsfabriken.
Die Gutfleischstraße endet einige Meter hinter dem offenen Vollzug. Nach rechts erstrecken sich nur noch die dem Wohnen dienenden Reihenhäuser entlang der Ringallee, auf die die Gutfleischstraße hier stößt. Hinter der Ringallee: Ein Freibad und dann der Wieseckpark. Moment mal: Wieseckpark? Das war doch was. Natürlich: Das Bizarre-Festival 1991. Ich war nicht dabei, aber was habe ich gelacht, als ich damals davon hörte. Aus der Ferne las sich das so: Da kam eine etwas skurile Musikveranstaltung in das Waldstadion nach Gießen. Vorher hatte es auf der Loreley stattgefunden, gestartet war es 1987 in Berlin.10 Für die technokratischen Führer der Stadt war das alles fremd. So etwas hört doch niemand, plusterte sich der damalige SPD-Oberbürgermeister Mutz auf und ordnete an, dass Vorbereitungen unnötig seien. Es kam wie es kommen musste: 28.000 Karten wurden verkauft, die Massen aber strömten in eine verpennte Stadt. Zelte auf Verkehrsinseln, Lagerfeuer aus Gartenzäunen, mit rot-weißem Bauband abgetrennte Zonen zum Pinkeln und Kacken waren der Höhepunkt. Den Wieseckpark hatte es schwer erwischt - hier lag der Schwerpunkt der Improvisation. Kurzerhand beschlagnahmte die Polizei landwirtschaftliche Flächen und stellte sie den BesucherInnen zur Verfügung. Zwei Tage später war alles vorbei, und Gießen schwer lädiert.11 Ich schüttele mich noch heute vor Lachen angesichts dieser Provinzialität. Irgendwie symptomatisch!
Ich drehe aber um. Ohne Festival ist der Wieseckpark ... na ja, schon o.k., aber eben langweilig wie die Stadt. Auf der anderen Straßenseite, die ich beim Rückweg benutze, liegt ein wenig genutztes Firmengelände. Hier wird gebaggert und gebaut, ein neues High-Tech-Zentrum soll entstehen. Das wird Gießen nicht lebendiger, sondern nur funktionaler machen, denke ich und gehe weiter. Eine Einfahrt gegenüber der Knastmauer führt zu den Gerichtsgebäuden auf dieser Seite: Amtsgericht, Staatsanwaltschaft und Verwaltungsgericht, untergraben von der Tiefgarage, deren Einfahrt am Ende des beschriebenen Weges liegt.

Zwischen den Gerichten
Ich biege nach rechts in den kleinen Weg ab und betrete das leicht parkähnliche Gelände des Justizkomplexes. Beete, Parkplätze und Fußwege bestimmen das Bild, wenn auch nirgends das Gefühl von Weite entsteht. Der Gedanke drängt sich unwillkürlich auf, dass Offenheit an diesem Ort auch irgendwie unpassend wäre. Nachts ist das Gelände gleichermaßen zugänglich wie am Tage, Laternen weisen dann den Weg entlang der Fußwege, während drinnen in einigen Räumen noch blasse, kalte Leuchten das Dunkel vertreiben. Die ersten Meter verlaufen zwischen der Nordwand des alten Amtsgerichts und dem Zaun, der das Gelände zu einem kleinen Garten und später zum Firmengelände an der Ringallee trennt. Dem alten Amtsgericht ist eine Erweiterung hinzugefügt worden. Die beiden heißen in bürokratischer Tradition nun Gebäude A und Gebäude B. Das erstere enthält die altehrwürdigen Prozesssäle, in denen allein die Sitzordnung ausdrückt, welches Denken hier vorherrscht. Die Richtenden sitzen oben, die Gerichteten unten. Das Publikum, kraft Gesetz bei Verfahren zugelassen, wird zwar im Eingangsspruch eines jeden Urteils als ,Volk' vereinnahmt, in dessen ,Namen' Recht erzeugt wird, aber es sitzt auch nur unten und hat zuzuhören.
Gerichte sind Fabriken. Sie produzieren Urteile. Wie in den meisten Produktionsprozessen herrschaftsförmiger Gesellschaften entstehen massenweise beteiligte und unbeteiligte Opfer der Fabrikarbeit, während nur wenige profitieren. Die ProfiteurInnen hier finden sich in den Reihen derer, die die Zügel in der Hand halten, die im Gerichtssaal wortwörtlich ,oben' sitzen. Noch mehr nützt die Fabrik denjenigen, die ihnen Lohn und Aufträge geben - in Form von Geld, Gesetzen und den gesetzten Interessen, die es im Gerichtssaal zu befolgen und durchzusetzen gilt. Es ist ihre Ordnung, die durchgesetzt wird. Wer den Blick in die Gerichtssäle meidet, kann auch das Strafgesetzbuch aufschlagen. Das, was in der Propaganda der Regierenden dem Wohl aller dienen soll, dient vor allem den Wenigen, die Reichtum oder die Macht im Staate innehaben - oder beides. 27,5 Prozent der Paragraphen im StGB, die Delikte beschreiben, widmen sich dem Schutz von Staat und öffentlicher Ordnung. 17,7 Prozent ahnden nicht normgerechtes Verhalten, bei denen aber niemandem ein Schaden entstanden sein muss, und 20,9 Prozent schützen des Eigentum. So dienen zwei Drittel aller Paragraphen vorn vornherein nicht allen, sondern nur wenigen. Der Rest wird von Fall zu Fall entschieden - und auch hier klaffen riesige Unterschiede: Wer einen Menschen ermordet, bekommt lebenslänglich. Wer viele Menschen ermordet, bekommt einen Orden. Wer ein Handy aus dem Laden klaut (selbst wenn genau das geklaute Gerät einen Tag später zwecks Preisstabilisierung vernichtet würde), wird hinter den Mauern der Gerichte abgeurteilt. Wer Land und Rohstoffe klaut, dabei vielleicht auch noch Menschen vertreibt, mordet oder in Kriege jagt, darf ungestört Profit machen.12 Strafe ahndet nicht bestimmtes Verhalten, sondern ahndet unerwünschte Motive. Es dient der Durchsetzung einer bestimmten Ordnung mit Interessen und Traditionen.
Dazu wäre noch viel zu sagen.13 Der Blick auf die Architektur von Gerichten und Knästen, von außen und in ihrem Inneren, spiegelt die ideologischen Hintergründe von Strafe und Strafjustiz. Die spürbarsten Opfer der Urteilsfabrik sind die VerliererInnen der sogenannten ,Verhandlungen', in denen vor allem eines nicht geschieht: Das Verhandeln, denn Kommunikation ist hier in starre Formen gepresst. Die Unterlegenen in Zivilprozessen, Entmündigten vorm Vormundschaftsgericht, Verurteilten im Strafprozess und Eingewiesenen in geschlossene Anstalten verlassen die Fabrik im günstigsten Fall als Geschädigte, oft aber als entmenschlichte, sozial isolierte und eingepferchte Wesen, denen bis auf kleine Reste jegliche Persönlichkeit genommen wird. Neben diesen formal erfassten Opfern der Produktionsstätte ,im Namen des Volkes' klaffen riesige Dunkelziffern an Menschen, denen Urteile und Beschlüsse das Leben erschweren oder versauen: Kinder, PartnerInnen und Bekannte der VerliererInnen. Selbst die als Opfer stigmatisierten Personen haben von der Verurteilung der vermeintlichen TäterInnen wenig. Denn in Gerichten findet kein Ausgleich, keine das Denken verändernde Kommunikation statt. Die blanke, von der auflagen- und einschaltquotengeilen Presse und von legitimationssuchenden InnenministerInnen aufgeputschte Verurteilungsstimmung verschafft niemandem Befriedigung, sondern bedient einfache Rachegelüste. Keinem Menschen geht es danach besser. Ganz im Gegenteil: Statt irgendeine Genugtuung zu erfahren, werden auch die Opfer vor Gericht als ZeugInnen zermalmt. Sie müssen ihre Leidensgeschichte erneut erleben und werden als blankes Objekt in den Mühlen der Fabrik verarbeitet.
Ich merke, dass ich gedankenverloren stehengeblieben bin auf meinem kurzen Weg entlang der Amtsgerichtsmauer, die ungefähr mittig von einer kleinen Seitentür unterbrochen wird. Die Stimme reißt mich wieder aus den Gedanken heraus: „In wenigen Metern können Sie nach links in den Innenhof zwischen den beiden Gebäudeteilen des Amtsgerichts gelangen. An den Altbau ist ein weiteres Gebäude angeschlossen worden. Die Verbindung verläuft über einen Gang in Höhe des zweiten Stockwerks. Darunter können Menschen und ihre Autos von der Zufahrt in den Innenhof gelangen - links alte Wand, rechts neue. Achten Sie auch auf die Feinheiten: In der gläsernen Ecke der rechten Wand steht im ersten Stock Tag und Nacht ein bunter Aktenordner, aufgeklappt auf einem kleinen Tisch. Kein Mensch sucht je in diesem Aktenordner nach Papieren, Zetteln oder irgendwas, was den Namen Akte verdient. Von innen - die Akte steht im Schulungsraum des Gerichts - kommt auch kein Mensch an das gute Stück heran, ohne Schränke wegzuschieben. Stattdessen lugt aus dem üblichen Greifloch im Rücken der Akte eine Kamera nach draußen und filmt das Geschehen. Die SprecherInnen ,im Namen des Volkes' haben nämlich Angst, dass jemand von denen, für die sie zu reden glauben, ihr Treiben nicht toll findet. Die Kamera ist eine fixe Idee des Dezember 2003, als sie nach mehreren justizkritischen Farbattacken auf die Gebäude erstmals aufgestellt wurde - damals noch illegal.14“ Das ist so eine der vielen Sonderbarkeiten dieses Ortes der Rechtsproduktion, an dem Recht so oft gebrochen wird, aber der Ruf nach RichterInnen dann so seltsam deplatziert wirkt, wenn die schon da sind ... Ich wundere mich angesichts der Doppelzüngigkeit und Brutalität von Urteilsfabriken immer nur, warum RichterInnen nach wie vor ein hohes Ansehen genießen. Gibt es etwas Widerlicheres als Tag für Tag wie am Fließband menschliches Leben zu versauen?
Die Kamera finde ich. Sie filmt den Hinterausgang des alten Amtsgerichtsgebäudes. Davor stehen Autos herum, über den Parkplatz führt mein Weg zum Neubau. Nach vorne ist der Innenhof zur Ostanlage offen, die Gebäude des Gerichts umklammern wie ein U ein Mehrfamilienhaus, was hier wie ein Fremdkörper der Privatheit inmitten des Sozialmordens per Fließband stehen geblieben ist. Der davor liegende Parkplatz ist eine Sackgasse, von der Ostanlage können Autos nicht auf das Gerichtsgelände fahren. Für FußgängerInnen aber ist alles zu allen Seiten offen. Der Innenhof bietet wenig interessante Blickwinkel, der hessische Löwe prangt von Schildern und zeigt, wer hier die Hosen anhat. Ich gehe daher zurück und folge weiter dem Zufahrtsweg, jetzt entlang der Wand des Amtsgerichtsgebäudes B auf die Tiefgarage des Geländes zu. Hier stellen die FabrikarbeiterInnen des sozialen Isolierungsbetriebes ihre Autos ab - sofern sie solche auf dem Weg zur Arbeit benutzen. Einige Verkehrsschilder rund um die Rampe ins Unterirdische regeln den Verkehr - seit dem 2. November 2006 amtlich anerkannt die einzigen Gegenstände von öffentlichem Nutzen auf diesem Grundstück.
  • Das gesamte Kapitel als PDF

Ergänzungen
Weitere politisch Verfolgte aus Gießen:

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