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DIE UNHEIMLICHEN BEGEGNUNGEN DER NACHT ZUM 14.5.2006

Festnahme gelungen, doch die Straftat fehlt ... Polizei als ErfinderInnen


1. Einleitung
2. Vorspiele zum 14.5.2006
3. Der 14.5.2006: Unheimliche Begegung der Polizeiart
4. Der 14.5.2006 im Zeitplan
5. Das Federballspiel unter High-Tech-Überwachung
6. Festnahme gelungen, doch die Straftat fehlt ... Polizei als ErfinderInnen
7. Beihilfe zu Freiheitsberaubung und falsche Verdächtigung: Der Antrag der Polizei
8. Freiheitsberaubung in Robe: Amtsrichter Gotthardt und sein Beschluss
9. 5 Tage inhaftiert
10. Presse-Berichte
11. Erfinden, verschweigen, einsperren: 14.-18. Mai 2006
12. Sofortige Beschwerde und Beschluss des Landgericht
13. Mehr Merkwürdigkeiten
14. Beschwerde vor dem OLG und Stellungnahme der Polizei
15. OLG geißelt alle Beschlüsse als rechtswidrig
16. Das OLG zum 14.5.2006: Nazimethoden!
17. Der abschließende Beschluss und das Nachspiel
18. Sich beschweren
19. Anzeigen der Betroffenen, doch außer Vertuschung folgte nichts
20. Einzel-Aspekte beleuchtet
21. Nachwehen ... und Nachbeben
22. Infos, Links und mehr
23. Update (zum Buch "Tatort Gutfleischstraße")

Gegen 14 Uhr des nächsten Tages entließ die Polizei drei Personen. Und ganz „zufällig“ wurde die vierte Person, die weit oben auf der Abschussliste der Obrigkeit stand und steht, dem Amtsrichter Gotthardt vorgeführt. Der übernahm den Antrag des Staatsschutzes im Polizeipräsidium Mittelhessen ohne weitere Prüfung, ergänzte noch eigene Erfindungen und verhängte Unterbindungsgewahrsam bis zum Haftantritt am 18. Mai 2006 – angeblich zur Verhinderung "weiterer" Straftaten. Als Gründe für diese führte Gotthardt Sachbeschädigungen an der CDU-Geschäftsstelle im Spenerweg sowie im Altenfelsweg in der Nacht zum 14. Mai an; zudem gab es Bezüge zu den Anschlägen auf die Bouffier’sche Kanzlei. Ohne einen einzigen Beweis stellte der Richter Tatsachenbehauptung auf, die dem Betroffenen die geschilderten Straftaten anlasteten bzw. den bloßen Verdacht zur Rechtsgrundlage erklärten. Aus beiden Dokumenten sprach der Wille, eine Person „aus dem Verkehr zu ziehen“. Denn Richter Gotthardt übernahm ohne eigene Prüfung die Polizei-Behauptungen, um den Betroffenen wegsperren zu können. Damit war hier eindeutig der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt, der zugleich einen Bruch mit der Verfassung darstellt (Art. 2, 2 GG). In einer später eingereichten Anzeige gegen den Amtsrichter und involvierte Polizisten zeigte der Angeschuldigte auf, mit welchen falschen, auffällig erfundenen Verdächtigungen diese Freiheitsberaubung umgesetzt wurden:

  1. Auszug aus dem Antrag: "Herr Bergstedt ist mehrerer in den letzten 12 Tagen begangener Straftaten mit teilweise erheblichem Sachschaden verdächtig. Der Unterbindungsgewahrsam soll daher die unmittelbar bevorstehende weitere Begehung von Straftaten verhindern."
    Das war reine Spekulation: Erst wird von einem "Verdacht" geredet, ohne dass dieser begründet wird. Sodann geht es um die "bevorstehende weitere Begehung von Straftaten". Sprachlich hat sich der Verdacht damit bereits zur Gewissheit (1. Lüge) und argumentativen Voraussetzung für den nächsten, den gewollten Schritt der Gewahrsamsbegründung geformt. Interessant ist das auch, weil dann, wenn tatsächlich ein Verdacht bestünde und eine Fluchtgefahr bejaht würde, eher das Instrument der Untersuchungshaft nach Strafprozessordnung passend gewesen wäre, aber nicht ein Unterbindungsgewahrsam. Offensichtlich aber war der Polizei selbst völlig klar, dass ihr sog. Verdacht ausschließlich aus Lügen und Erfindungen bestand.
  2. Auszug aus dem Antrag: "Aufgrund hier vorliegender polizeilicher Erkenntnisse über Herrn Bergstedt im Hinblick auf Diktion der aufgesprühten Farbschmierereien sowie der Tatausführung insgesamt"
    Ebenfalls nur spekulativ: Dieser Satz taucht seit Jahren in den Akten der Polizei bei dem Versuch, bestimmte Projektwerkstatts-AktivistInnen als TäterInnen zu konstruieren. Er ist so schräg wie langweilig und dokumentiert, dass der Polizei offenbar belastbare Beweise fehlen und sie sich einfach nur herbeiwünschen, bestimmte TäterInnen benennen zu können. Absurd ist auch, dass eben seit Jahren diese Formulierungen auftauchen, d.h. aufgrund der ständigen Wiederholungen die Polizei sich so ja auch selbst einredet, dass es immer die gleichen TäterInnen. Sie verweist auf frühere Taten, bei denen die Polizei allerdings ebenso den Tatverdacht nur herbeiphantasiert hatte. Bislang gibt es keinerlei Verurteilung wegen Farbattacken, Steinwürfen gegen Fenster oder ähnlichen Delikten gegen AktivistInnen aus dem Projektwerkstattsumfeld. Solches aber war an der Kanzlei von Bouffier und Gasser geschehen.
  3. Auszug aus dem Antrag: "und eines vorhandenen Motivs - Verärgerung über den bevorstehenden Haftantritt - gilt Herr Bergstedt vorgenannter Straftaten als tatverdächtig."
    Dieser Satz zeigt, dass die dann von den Gerichten unüberprüft übernommenen falschen zeitlichen Reihenfolgen des Geschehens auf die Polizei zurückgeht. Die Polizei behauptet, die Attacken auf die Bouffier’sche Kanzlei seien aus "Verärgerung über den bevorstehenden Haftantritt" geschehen (2. Lüge). Das aber kann gar nicht sein, denn von der zeitlichen Reihenfolge her war die Ladung zum Haftantritt eine Reaktion auf die Attacken - und nicht umgekehrt.

Während der Polizeiantrag noch bemüht war, bei der Konstruktion des Verdachts wenigstens Gründe zu erfinden, blieben in Richter Gotthardts’ Beschluss nur noch unbelegte Behauptungen übrig, wobei auch der eigene Anteil des Richters unverkennbar hervor trat, Tatsachen zu erfinden. Der Straftatbestand der Rechtsbeugung war so ohne jeden Zweifel erfüllt: „Am 14.05.2006 gegen 2:37 Uhr hat der Betroffene eine Tür der CDU-Geschäftsstelle Spenerweg 8 angebohrt. Er wurde offensichtlich durch Anwohner gestört, die die Polizei informiert haben. Am Tatort wurden Latexhandschuhe und eine ähnliche Schablone mit einem Kürzel wie in der Internetseite dargestellt, gefunden. Anschliessend hat der Betroffene gegen 2:45 Uhr im Bereich Altenfelsweg Kanaldeckel mit Farbe besprüht.
Für diese Behauptung fehlen jegliche Beweise. Der Charakter einer gezielten falschen Verdächtigung konnte ab August 2006 dann noch deutlicher belegt werden, weil die Aktenvermerke der eingesetzten BeamtInnen klar aussagen, dass der Betroffene während der benannten Tatzeitpunkte beobachtet wurde, sich kontinuierlich auf Gerichtsgelände befand und Federball spielte: „Als wir in Höhe der Personen waren, bemerkten wir, dass sich unter den Dreien augenscheinlich auch der BERGSTEDT befand. Ich meldete umgehend über Funk an die Einsatzzentrale, dass sich offensichtlich der BERGSTEDT zusammen mit zwei weiteren Personen an der Gutfleischstraße befinde und in Richtung Ringallee unterwegs sei. Dies war gegen 02:47 Uhr“ (1, Bl. 23 = Vermerk PK z.A. Launhardt).
Abgesehen davon, dass der Betroffene bereits aufgrund dieser Umstände definitiv als Täter ausschied, waren auch die Versuche von Gotthard, dem Politaktivisten gewöhnliche Sprayertags unterzuschieben, von freier Phantasie getragen. So behauptete Gotthardt in seinem Beschluss: "In der Internetseite „Projektwerkstatt Saasen“, an deren Arbeit der Betroffene massgeblich beteiligt ist, sind für das Wochenende 12./14.0506 „Kreative Antirepressionstage“ angekündigt. Es befinden sich dort Kürzel wie AV bzw. AR. Am 14.05.2006 gegen 2:37 Uhr hat der Betroffene eine Tür der CDU-Geschäftsstelle Spenerweg 8 angebohrt. Er wurde offensichtlich durch Anwohner gestört, die die Polizei informiert haben. Am Tatort wurden Latexhandschuhe und eine ähnliche Schablone mit einem Kürzel wie in der Internetseite dargestellt, gefunden."
Auffällig ist, dass diese Spekulationen im polizeilichen Antrag nicht enthalten waren. Noch mehr – an keiner Stelle der umfänglichen Akten sind Vermutungen darüber sichtbar, was die Graffitis mit den festgenommen Personen zu tun haben. Und in der Anhörung zum Unterbindungsgewahrsam wurde diese dem Betroffenen gegenüber nicht einmal erwähnt – ein Beispiel dafür, dass rechtliches Gehör nicht gegeben war. Daher stellt sich die Frage, woher Gotthardt seine „Informationen“ bezogen hat; die Staatsschützer Mann, Lutz und Broers (die beiden letztgenannten waren am Anhörungsverfuhren beteiligt) kommen dafür in Frage. Unabhängige Recherchen führten zu dem Ergebnis, dass es sich offenbar um eine Schablone mit den Buchstaben „AV“ und darunter „GCE“ handelte. Das ist auch anhand den Akten beigefügten Lichtbildern zu entnehmen. Bei den Graffiti-Symbolen, die in der Nacht zum 14. Mai 2006 gesprüht wurden, handelte es sich augenscheinlich und ausnahmslos um sogenannte „Tags“ mit unpolitischem Hintergrund, die von der Polizei eindeutig nicht mit dem Betroffenen assoziiert wurden. Vielmehr erschienen sie als typische Form des in der Graffiti-Szene verbreiten Setzens von Marken, sogenannten „Tags“, die häufig aus einem kurzen Wort, Künstlernamen oder Buchstabenkombinationen bestehen.
Auch die Aussage, die gefunden Kürzel seien auf der Internetseite „Projektwerkstatt Saasen“ zu finden, erwies sich als Lüge: Solche Kürzel stehen meist für einen Namen, z.B. am Ende von Zeitungsberichten o.Ä. Auf dem gesamten Internetauftritt www.projektwerkstatt.de gab es keine einzige Seite, auf der AV oder AR als (Namens-)Kürzel verwendet wurden. Als Buchstabenkombination tauchte „AV“ auf den Seiten der Domain www.projektwerkstatt.de zwei mal auf; in beiden Fällen als Teil des Namens eines Buchverlags. Die Buchstabenkombination AR tauchte auf Seiten der Domain www.projektwerkstatt.de vier mal auf, davon je zwei mal als Teil von Adressen sowie je zwei Mal als Teil von Aktenzeichen juristischer Entscheidungen – AR meint dabei „Arbeitsregister“. Insgesamt war festzustellen: Die Angaben über Kürzel auf Seiten der „Projektwerkstatt Saasen“, erwähnt im Beschluss von Gotthardt (40 AR 52/2006), sind nachweislich falsch. Es ist abwegig, von Verwechslungen oder zufälligen Fehlern auszugehen. Die Behauptungen erscheinen vielmehr als bewusste falsche Verdächtigungen, um den betroffenen Personenkreis zu kriminalisieren. Wer alles an diesen Lügen mitgewirkt hatte bleibt unklar, weil in den Akten nichts darüber ausgesagt wurde; dort gab es nur Feststellungen darüber, dass entsprechende Symbole gesprüht wurden. Alles deutete allerdings klar auf eine Einflussnahme durch den Staatsschutz Gießen hin.



Perfekt dokumentierte Vertuschung
Neben diesen offensichtlichen, falschen Verdächtigungen entfaltete eine handschriftliche Notiz im Gotthardt vorliegenden Antrag der Polizei besonders Brisanz: Neben eine eingerahmte Passage, welche die MEK-Observation beschrieb, hatte sich der Richter „Nicht sagen“ notiert.



Der handschriftliche Vermerk bezog sich auf die Angabe einer genauen Uhrzeit und Menge an Personen, die von der Projektwerkstatt losradelten. Diese Angabe bewies die umfangreiche Observation durch die Polizei. Tatsächlich stellte sich durch Recherchen der Frankfurter Rundschau (FR, 17.5.2006) heraus, dass seit dem 9 Mai 2006 eine Spezialeinheit der hessischen Polizei die Projektwerkstatt mit hohem technischen Aufwand überwachte. Daher war der Polizei auch bekannt, dass der Betroffene die ihm vorgeworfenen Straftaten am 14.5.2006 nicht begangen hatte, denn er wurde durchgehend beobachtet. Diese Observation hatte der Aktivist in der Anhörung benannt; zudem wurden sie ja auch in den Akten dokumentiert. Daraufhin entgegnete der Richter: „Nehmen Sie sich nicht so wichtig!“. Den Antrag der Polizei gab er dem Inhaftierten nicht zur Kenntnis. Diese Bemerkung gewinnt dadurch eine neue Bedeutung, dass Gotthardt nicht nur wusste, dass sein Opfer observiert wurde, sondern sogar bewusst dieses zu vertuschen versuchte. Unklar ist lediglich, wie stark er aus eigenem Antrieb oder (nur) auf Anweisung der Polizei handelte, die hier ihre Finger spürbar im Spiel hatte. Denn von selbst hätte Richter Gotthardt nicht wissen können, dass die Passage so brisant war.
  • Extraseite zum Amtsgerichtsbeschluss, den Widersprüchen und dem weiteren Ablauf bis zum OLG-Urteil

Sofortige Beschwerden gegen den Gewahrsam und Verschleppung durch Landgericht
Gegen den Beschluss von Gotthardt legte der Betroffene noch am 14. Mai 2006 die Sofortige Beschwerde ein und versuchte, einen Befangenheitsantrag zu stellen – was der Richter ihm jedoch verwehrte. Der Betroffene wurde dann zuerst in die Gießener JVA verfrachtet, obwohl diese überhaupt nicht für Unterbindungsgewahrsam zuständig war. Einen Tag später verfrachtete ein Polizeitransporter die Person in den zentralen Polizeigewahrsam nach Frankfurt. Obwohl es zu keinen Verzögerungen seitens des Amtsgerichts kam, entschied das Landgericht erst am 18. Mai über die Beschwerde. Die gezielte Verschleppungstaktik wurde in einer später gestellten Strafanzeige gegen die verantwortlichen RichterInnen präzise geschildert:

Das Landgericht behandelte die Beschwerde nicht, obwohl von Seiten des Amtsgerichts die Akte zügig weitergegeben wurde und dort offenbar auch die Rechtsauffassung bestand, dass die Eilbeschwerde vom Landgericht behandelt werden müsse. Das Landgericht sah dieses anders und gab die Akte wieder zurück. Dabei behauptete das Landgericht, zunächst sei ein von mir gestellter Befangenheitsantrag zu bearbeiten. Das ist aus zwei Gründen falsch
  • Das Landgericht stützt sich mit der Behauptung, ich hätte eine Befangenheitsantrag gestellt, u.a. auf meine Beschwerdeschrift gegen den Unterbindungsgewahrsam. Dieses ist ungeheuerlich, denn in meinem Befangenheitsantrag ist ja gerade formuliert, dass ich den Befangenheitsantrag nicht stellen konnte. Folglich gab es diesen Antrag nicht. Das Landgericht hat ihn schlicht erfunden, um das Verfuhren zu verschleppen.
  • Selbst wenn es den Antrag gegeben hätte (was nicht der Fall ist), wäre vorrangig die Eilbeschwerde zu entscheiden gewesen. Die Rechtssprechung in der übrigen Republik (außerhalb von Gießen) ist hier eindeutig. Ein effektiver Rechtsschutz ist gerade bei einem Freiheitsentzug (der immer ein Grundrecht einschränkt) nur dann gegeben, wenn dieser sofort greift und nicht gegenüber anderen Entscheidungen, die Grundrechte nicht oder nicht in der gleichen Weise tangieren, zurückgestellt wird.
Inhaltlich bezog sich das Landgericht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, die Haftstrafe des Betroffenen bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde gegen die dem zugrunde liegenden Gerichtsurteile auszusetzen. Ausdrücklich bestärkte das Landgericht, dass ein Unterbindungsgewahrsam möglich gewesen sei und trug damit auch aktiv die Freiheitsberaubung durch das Vorgängergericht mit. Es wiederholte dabei peinlicherweise auch den „Fehler“ von Gotthardt, als Motiv für die Taten den bevorstehenden Haftantritt zu benennen. Die Verschleppung der sofortigen Beschwerde stellte eine Rechtsbeugung im Amt und Freiheitsberaubung dar, die den Betroffenen in seinen Grundrechten verletzen.
Verschleppungstaktiken verwendete das Landgericht auch im weiteren Verlauf der rechtlichen Auseinandersetzung, indem es z.B. die Ermittlungsakten zum 14. Mai 2006 gezielt hielt und die Aufdeckung der gesammelten Lügen dadurch erschwerte.


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