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INTERVIEW ZUM FUND VON GV-VERUNREINIGUNGEN IN BIO-PRODUKTEN

"Ich frage mich, was eigentlich noch alles passieren muss"


1. Einleitung
2. Das Drama der Koexistenz: Gewollt, unmöglich, deshalb trickreich umschifft
3. Bienen und horizontaler Gentransfer: Einfach vergessen?
4. Schnell und unkaputtbar: Raps
5. Mais überall ...
6. Soja & Tierfutter
7. Baumwolle
8. Weitere Pflanzen und Organismen
9. 2006: Ein Selbstbestäuber verteilt sich weltweit - der Reis LL601
10. Honig, Bienen, Imkerei
11. Die unvermeidbare Folge: Gentechnik im Essen
12. "Ich frage mich, was eigentlich noch alles passieren muss"
13. Schlimmer: Auskreuzung ist einkalkuliert oder sogar gewollt!
14. Infoseiten zum Thema

Alexandra Fritzsch, Biogemüse-Gärtnerin, 27 Jahre, lebt und arbeitet gemeinsam mit neun anderen Menschen auf dem Lindenhof in Eilum.

Wie habt ihr denn überhaupt von der GVO-Verunreinigung im Leinsamen erfahren?
Am Freitag morgen kam der Lebensmittelkontrolleur unseres Landkreises Wolfenbüttel (bei Braunschweig) auf unseren Biohof, um in unserem
Hofladen den RAPUNZEL-Bioleinsamen mit Herkunft Kanada aus dem Verkehr zu ziehen: Er hatte im September eine Probe davon genommen und darin wurden Spuren einer gentechnischen Verunreinigung gefunden.

Und wie hat die Firma Rapunzel reagiert?
Freitag Abend um 19.00 schickte Rapunzel einen Rückruf der betroffenen Charge an seine Kunden. Und am Samstag kam ein Rapunzel-Mitarbeiter zu uns auf den Hof und holte die Gegenprobe, die wir damals im September aufgehoben haben, ab. Laut des Mitarbeiters gab es eine Krisensitzung und Rapunzel will die Leinsaat vom Fresenius Institut nochmals testen lassen. Ich habe ihn nach dem Grad der Verunreinigung gefragt, aber er meinte, diese Zahlen hätten sie noch nicht bekommen.

Ist es nicht mehr möglich, dem Biosiegel zu vertrauen?
Das mit dem Vertrauen muss jeder für sich selbst entscheiden. Das Biosiegel kann uns nicht vor Gentechnik schützen und ist auch nicht schuld, wenn Gentechnik ins Bioessen kommt. Es handelt sich hier nicht um einen neuen Bioskandal von wegen „bio ist ja gar nicht wirklich bio“, sondern um einen Gentechnikskandal, der uns die Unkontrollierbarkeit dieser Technik wieder einmal vor Augen führt.

Was rätst Du den besorgten BiokundInnen?
Ich kann die Sorgen der KonsumentInnen natürlich verstehen und führe auch oft Diskussionen mit unseren KundInnen am Markstand. Aber ganz ehrlich muss ich sagen, dass das bloße Einkaufen von Bioprodukten noch kein Genfeld verhindert hat. Wenn ich bio kaufe, dann fördere ich zwar die Nachfrage nach Bioprodukten, das wird aber nicht dazu führen, dass ehrgeizige Wissenschaftler plötzlich auf ihre Versuche mit genmanipulierten Organismen verzichten. Und kein Bauer, der GVO anbaut, verkauft sein Land an den Öko, der aufgrund der gestiegenen Nachfrage mehr Anbaufläche benötigt.
Würde die Hälfte der Leute, die in Bioläden einkaufen gehen, sich zusätzlich noch den Feldbefreiern oder -besetzern anschließen, dann wären das im Kampf gegen Gentechnik möglicherweise die effektiveren Mittel. Außerdem könnte man die Feldbefreier und -besetzer dann aufgrund ihrer großen Zahl nicht mehr so einfach mit Gefängnis bestrafen.

Parallel zu den Ereignissen am Freitag bei euch auf dem Hof, ging in Gießen ein Feldbesetzungsprozess (Gen-Gerste-Versuchsanbau) zu Ende. Einer der Angeklagten wurde zu einer 6-monatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Hast du diesen Prozess verfolgt? Wenn ja, wie empfindest du das Urteil?
Oh ja, das hab ich und es ist ja wohl klar, was ich über das Urteil denke. Ich habe eine Mitschrift der Urteilsbegründung gelesen. Richter Nink sagte darin: "Nehmen wir eine andere Gefahr, nämlich die der Freiheit mit der Entscheidungsfreiheit der Bürger. Diese Gefahr ist nach meiner Auffassung und der Kammer derzeit nicht unmittelbar bevorstehend,..."
OK, mit GVO-Leinsaat im Bioprodukt wurde diese Aussage des Richters, ungefähr zeitgleich mit ihrer Äußerung, ein paar hundert Kilometer entfernt widerlegt.
Und eine seiner anderen Aussagen bestätigt, nämlich: "Der Geist ist aus
der Flasche."

Der Angeklagte hatte sich auf §34 des Strafgesetzbuches berufen, nach dem jemand straffrei ausgehen muss, wenn er aus Gründen eines „rechtfertigenden Notstandes“ einen Rechtsbruch begeht ...
Ich frage mich, was eigentlich noch alles passieren muss, damit die Gefahr, die von Genfeldern ausgeht, auch wenn es sich „nur“ um Versuchsanbau handelt, mal als Grund für rechtfertigenden Notstand anerkannt wird!
Diese GVO-Leinsaat beispielsweise soll offiziellen Angaben zufolge noch nie kommerziell angebaut worden sein und hat schon seit 2001 in Kanada keine Sortenzulassung mehr. Da muss ich mich doch ernsthaft nach dem Wahrheitsgehalt von offiziellen Angaben fragen, muss feststellen, dass der Traum von der Koexistenz naiv ist und Versuchsanbau nicht weniger gefährlich als kommerzieller. Dass also ein Notstand bereits existiert, steht für mich außer Frage. Und andere Mittel, als auf die Felder zu gehen, bleiben uns nicht. Wer jemals versucht hat, auf bürokratischem oder dem Rechtsweg etwas gegen Gentechnik zu unternehmen, wird erfahren haben, wie sehr man dabei ausgebremst und behindert wird.

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