Antirepression

LAIENVERTEIDIGUNG: VON DEN ANFÄNGEN BIS HEUTE

Beispiel Dannenberg: Laienverteidigung rausgeworfen!


1. Die Idee, die Anfänge und die Mühen der Ebenen
2. Berichte von Prozessen und vom Streit um den § 138, 2 StPO
3. Beispiel Dannenberg: Laienverteidigung rausgeworfen!

Es begann im Bezirk der Staatsanwaltschaft Lüneburg. Die hatte als erstes die Nase voll der wachsenen Verteidigungsfähigkeit von Angeklagten. Schließlich soll das Gerichtsfließband rollen und das Aburteilen im Akkord genug Zeit lassen für die Kaffeepausen (oder beim Dannenberger Richter Stärk wohl eher die Saufpausen). Außerdem sind Gerichte dazu da, Menschen zu normieren und in zum Mitschwimmen als toter Fisch im Strom zu bringen. Da stört es, wenn die Angeklagten sich selbst immer besser verteidigen können - und dann auch noch Hilfe erhalten per Rechtsbeistand aus dem Umfeld.

Ein Prozess in Dannenberg wurde zum Auslöser des Versuchs von Staatsanwalt Thomas Vogel, das Laienverteidigerwesen zu ersticken. Da seinen Manövern eine Rechtsgrundlage fehlte, bastelte er sich eigene - und die hörigen RichterInnen in Dannenberg und Lüneburg folgten ihm bzw. den KollegInnen bei ihren Anträgen, bereits bestellte VerteidigerInnen wieder aus dem Prozess zu werfen. Was bei RAF-Prozessen noch für Aufsehen sorgte, wurde hier zum Alltag einer Unterwerfungsstrategie des autoritären Staates.

Überblick über die Abläufe in Dannenberg:
  • Der Beginn des Prozesses im August 2010
  • 13.9.2010: Die Angeklagte beantragt einen Verteidiger - und bekommt ihn auch
  • 16.9.2010: Der Verteidiger, selbst Aktivist, erhält wegen einer Verurteilung nach einer Genfeldbefreiung die Ladung zum Haftantritt in der JVA Gießen. Am 23.9.2010 tritt er die Haft an. Die Angeklagte beantragt einen Tag später, dass ihr Verteidiger schriftlich geladen wird, damit er für die Verteidigertätigkeit den Knast verlassen darf.
  • 27.9.2010: Die Staatsanwaltschaft stimmt der Ladung des Inhaftierten zu (Bd. I, Bl. 200 f. der Gerichtsakte): „Auch wenn der gewählte Verteidiger im letzten Hauptverhandlungstermin bereits mündlich auf den Fortsetzungstermin vom 04.10.2010 geladen wurde, hätte ich unter den gegebenen besonderen Umständen keine Bedenken, ihn unter seinem derzeitigen Aufenthaltsort evt. Unter Beifügung einer Ausfertigung seines Zulassungsbeschlusses ausnahmsweise noch einmal schriftlich zu den bereits anberaumten Fortsetzungsterminen zu laden“.
  • 4.10.2010: Die Angeklagte kann aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Prozess erscheinen. Das ärztliche Attest wird nicht anerkannt, stattdessen die Angeklagte verhaftet und einer Amtsärztin zwangsvorgeführt - mit stundenlangem Warten in Polizeigewahrsam. Doch die Amtsärztin bestätigt nur das schon vorliegende Attest. Die Staatsanwaltschaft – was zeigt, wie ihre Anklage von Hass getragen ist – zweifelte selbst dieses erzwungene amtsärztliche Attest weiterhin an und quittierte die Entscheidung mit beleidigenden Äußerungen gegenüber der Angeklagten in einem Vermerk der Gerichtsakte (siehe Bd. II, Bl. 21). Durch den Ausfall des Verhandlungstermins wurde die dreiwöchige Unterbrechungszeit überschritten, so dass der Prozess neu angesetzt werden musste.
  • 6.10.2010: Das Gericht schickt die Ladung zu den neuen Verhandlungsterminen an den Verteidiger, und zwar an die Adresse „JVA, offener Vollzug“ (siehe Abbildung).
  • 22.11.2010: Erster Verhandlungstag im zweiten Versuch. Aus Sicht der Angeklagten war das Erscheinen des Verteidigers zum ersten Verhandlungstag nicht nötig, weil dort nur um bereits bekannte Formalien gehen würde. Das zeigte sich als richtige Annahme.
  • 29.11.2010: An diesem Tag war die erste ZeugInnenvernehmung wahrscheinlich. Neben der Angeklagten erschien daher auch ihr Verteidiger, der auf Grundlage der an den Knast geschickten Ladung Urlaub nahm. Offenbar hatten Gericht und Staatsanwaltschaft nicht damit gerechnet - es entstand der Verdacht, dass die damit zufrieden waren, einen inhaftierten Verteidiger zu haben, da das dessen Teilnahme verhindern würde. Nun mussten sie erkennen, dass dem nicht so war. Staatsanwalt Vogel hatte gegen das Duo aus Angeklagter und Verteidiger kaum noch Chancen, mit seinen konstruierten Tatvorwürfen durchzukommen. Im Verlaufe des Verhandlungstages verweigerte das Gericht dem Verteidiger zum zweiten Mal die Übersendung der Akten an seine Wohnung, obwohl dieses nach § 147, Absatz 4 der Strafprozessordnung so vorgesehen war.
  • 3.12.2010: Staatsanwalt Vogel nimmt Kontakt zur Gießener Staatsanwaltschaft auf, um Munition gegen den Verteidiger zu sammeln. Er formuliert einen Antrag zum Rauswurf des Verteidigers mit frei ausgedachten Vorwürfen.
  • 6.12.2010: Richter Stärk trägt den Antrag zum Rauswurf des Verteidigers im Verfahren vor. Der Verteidiger war wieder anwesend und gab genauso wie die Angeklagte eine Erklärung zum Antrag ab (Bericht zum Prozesstag). Darin stellte der Verteidiger Strafanzeige und Strafantrag gegen den Staatsanwalt wegen dessen Behauptung, der Verteidiger hätte sich seine Zulassung erschlichen.
    Aus dem Protokoll der Gerichtsverhandlung:
  • 13.12.2010: Richter Stärk, nach Einschätzung aller Anwesenden stark betrunken, verkündet den Beschluss zum Rauswurf des Verteidigers. Dabei übernimmt er die Darstellung der Abläufe gleich als wörtliches Zitat aus dem Antrag der Staatsanwaltschaft, behauptet also auch, der Verteidiger hätte sich sein Verteidigermandat erschlichen. Beeindruckend ist seine Begründung, warum der Rauswurf so spät erfolge: "nach Kenntnis vom Strafantritt konnte davon ausgegangen werden, dass Jörg Bergstedt nicht mehr zu den Folgeterminen erscheinen werde". Das Gericht akzeptierte einen inhaftierten Verteidiger also, wenn er durch die Inhaftierung behindert würde, fand aber den Rauswurf begründet, wenn er als Verteidiger arbeiten konnte - offensichtlicher lässt sich kaum verdeutlichen, dass es dem Gericht gerade dazu ging, die Angeklagte verteidigerlos zu halten (Bericht zum Rauswurf und das Drumherum ).
    Nach dem Rauswurf des Verteidigers lehnte das Gericht einen Pflichtverteidiger ab, obwohl der nach einem Verteidigerrauswurf vorgeschrieben ist (§ 140, Satz 8). Danach wolte die Angeklagte mit einem anderen Laienverteidiger, der nicht inhaftiert war, weitermachen - doch jetzt waren Staatsanwaltschaft und Gericht auf ihrem Kurs: Kein Verteidiger mehr. Ab desem Moment war die Angeklagte gezwungen, sich allein zu verteidigen!
  • Wenige Tage später geht der Rauswurfbeschluss beim ehemaligen Verteidiger ein. Dieser erhebt Beschwerde, in der er den aus den Akten des Verfahrens belegbaren Ablauf und die Lügen von Staatsanwaltschaft und Gericht nachweist. Außerdem stellt er Strafanzeige gegen den Richter, der den Vorwurf der Erschleichung des Verteidigermandats vom Staatsanwalt abgeschrieben und übernommen hatte.
  • 20.12.2010: Das Ermittlungsverfahren gegen Staatsanwalt Vogel wird eingestellt. Einer der zentralen Gründe macht deutlich, um was es geht: Die Beleidigung sei durch höherwertiges Interesse, nämlich den Rauswurf eines unangenehmen Verteidigers, gedeckt: „Nach den konkreten Umständen war die Ehrverletzung auch das erforderliche und angemessene Mittel zur Wahrnehmung des höherwertigen Interesses, nämlich der Begründung des Antrages auf Zurücknahme der Genehmigung der Wahlverteidigung durch Ihre Person.“
  • 30.12.2010: Der Ex-Verteidiger legt Widerspruch gegen die Einstellung ein.
  • Dann, ebenfalls am 30.12.2010, schrieb die Staatsanwaltschaft ihre Stellungnahme zur Beschwerde über den Rauswurf - und bemerkenswerterweise korrigierte sie ihre Ablaufbeschreibung und erfand neue Gründe. So einfach funktioniert Rechtsverdrehung bei feststehendem Ziel. Am 6.1.2011 erwiderte der Betroffene nochmals und stellte klar, dass die Staatsanwaltschaft sich nun auch selbst der Lüge überführt hätte, aber einfach mit neuen Erfindungen weitermachen würde. Doch das Ergebnis ist niederschmetternd. Das Landgericht Lüneburg gibt sich gar keine Mühe, kopiert auch nur den Text der Staatsanwaltschaft in den eigenen Beschluss und schreibt drunter: Das sehen wir auch so. Rechtsprechung light.
  • Also blieb den beiden Betroffenen nichts übrig: Verfassungsbeschwerde des Verteidiger am 26.1.2011 (mit Anlage 1: Zeitablauf; Zeichen beim BVerfG: 2 BvR 233/11) und Verfassungsbeschwerde der Angeklagten am 7.2.2011.

Im Berufungsprozess beantragte die Angeklagte noch vor dem ersten Verhandlungstermin den Verteidiger wieder. Das Gericht lehnte ab. Angeklagte und der abgelehnte Verteidiger legten Widerspruch ein - aber auch das Oberlandesgericht wollte nichts davon wissen. So folgte eine Verfassungsbeschwerde. Aber das Verfassungsgericht nahm die nicht einmal an.

Direkt nach dem Rauswurfantrag in Dannenberg flog eine Laienverteidigerin auch aus einem anderen Prozess am Amtsgericht Lüneburg. Sie war auch schon zugelassen und wurde nachträglich wieder entfernt.
Und: Nach dem Rauswurf in Dannenberg beantragte die Angeklagte einen neuen Verteidiger - doch jetzt wurde der gleich abgelehnt. Der war zwar gar nicht inhaftiert, aber der Richter (erkennbar stark betrunken!) und der Staatsanwalt haben die StPO jetzt verlassen und ziehen einfach ihr Ding durch. Die nun sich erzwungenerweise allein verteidigende Angeklagte verfasste eine Beschwerde zur zweiten Verteidigerverweigerung. Diese wurde vom Landgericht abgelehnt. Der Landgerichtsbeschluss vom 29.12.2010 zeigt, was hier gespielt wird: Hauptsache raus - die Gründe werden jedesmal neu gebaut. Jetzt war es der Gesundheitszustand der Verteidigerin, die diese hindern würde - eine Feststellung, die dieselbe Staatsanwaltschaft in einem Verfahren, als umgekehrt gerade passte, selbst bezweifelte. Ebenso stellt das Landgericht fest, dass der Rauswurfbeschluss rechtswidrig ergangen ist. Und fügt dann in bester Rechtsbeugertradition hinzu: "Jedoch kann die Beschwerdeführerin hieraus Rechte letztlich nicht herleiten."

Und gleich danach: Mehr Ablehnungen
Nachträgliche Rauswürfe sind inzwischen ziemlich häufig geworden. Ebenso hat es Ablehnungen gegeben, d.h. ein Rechtsbeistand wird gar nicht erst zugelassen. Oft werden dabei Begründungen angegeben, die in den Kommentaren zur Strafprozessordnung explizit als nicht zulässig bezeichnet werden, z.B. dass sich eine angeklagte Person gut selbst verteidigen könne. Solche Rechtsfehler aber stören Richter*innen aber bekanntlich selten ... wer den Inhalt der Gesetze mit Recht definiert, braucht sich um die Gesetze nicht zu kümmern. Auch die Umdefinition eines Paragraphen in sein komplettes Gegenteil ist (dann) geltendes Recht - siehe die Rechtsprechung zum Schwarzfahren, welches nach dem Gesetzeswortlaut nur dann strafbar ist, wenn es heimlich erfolgt. Die Gerichte aber machen daraus etwas ganz anderes ... Seite zu laufenden Prozessen und zu vergangenen Verfahren dazu.

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