Anarchie

LAIENVERTEIDIGUNG

Ziele: Gegenseitige Hilfe und Solidarität ohne Bevormundung


1. Einleitung
2. Ziele: Gegenseitige Hilfe und Solidarität ohne Bevormundung
3. Als Laie verteidigen? Wie geht das denn?
4. Probleme
5. Unterstützung von Gefangenen
6. Kontaktformular und Adressen
7. Links und Materialien

Wer schon einmal von Strafverfolgung betroffen war oder Betroffene begleitet hat, wird vieles aus dem Horrorkabinett der Strafjustiz kennen. Da werden Strafbefehle wie vom Fließband erlassen, ohne dass irgendjemand die Sachlage wirklich prüft. Verhandlungstermine werden ohne Angeklagte festgelegt. Können sie dann nicht, erhalten sie Ordnungsstrafen, Haftbefehle oder sind, falls ein Strafbefehl vorwegging, verurteilt. Am Eingang folgen schikanöse Kontrollen, die Sitzordnung im Gerichtssaal symbolisiert Macht und verhindert sinnvolle Kommunikation. Anträge von Angeklagten werden mitunter nicht zur Kenntnis genommen, Fragen an Zeug*innen verboten. Oft wird Angeklagten die Akteneinsicht verweigert, obwohl diese vom Gesetz her vorgeschrieben ist. Mehrfach wurden Angeklagte sogar aus ihren eigenen Prozessen geworfen und ohne sie verhandelt.
Die meisten Menschen sind dieser Maschinerie von Polizei und Justiz machtlos ausgeliefert. Wer Sinn für ein schönes Leben hat, setzt sich lieber nicht mit Paragraphen und den miesen Tricks der Paragraphenreiter*innen auseinandersetzen. Doch das rächt sich, wenn die Justiz zuschlägt. Denn die Rechtsprechung ist formal die höchste Gewalt im Staat. Es ist daher notwendig, dieser nicht hilflos gegenüberzutreten.
Ein Weg ist die Selbstermächtigung. Wer sich im Strafrecht und Strafvollzugsrecht schlau macht, hat deutlich bessere Karten, Angriffe von Repressionsstellen abzuwehren. Grund ist nicht nur die dann bessere formale Verteidigung gegen die Angriffe der Staatsschergen, sondern auch dass letztere vielfach pauschal und ungenau arbeiten. Zwingen wir sie, präzise zu sein, so lassen sie aus Angst vor Arbeit oder Ärger vieles von selbst sein.
Doch mensch muss nicht allein kämpfen. Als alleiniger Angeklagte*r würde das spätestens vor Gericht nämlich viel Stress bedeuten: Zuhören, Notizen machen und gleichzeitig selbst Fragen und Anträge stellen – allein kann das ganz schnell überfordern. Doch das muss nicht sein. Vier Möglichkeiten, auch kombinierbar, stehen zur Verfügung.
  • Da ist zunächst das Publikum. Menschen können mitschreiben und in Pausen ihre Ideen der angeklagten Person mitteilen. Dazu muss diese entsprechende Unterbrechungen beantragen. Einige Gerichte verbieten Stift und Zettel im Gerichtssaal – ein deutliches Zeichen, wie die Position der*s Richter*in zu Machtmissbrauch animiert. Passende Anträge der*s Angeklagten können solches Ansinnen zu Fall oder zumindest ins Protokoll bringen.
  • Dann gibt es Anwält*innen, deren Job es ist, Angeklagte vor Gericht zu unterstützen. Da ist auch nichts gegen zu sagen – nur leider sind viele Anwält*innen selbst in einer Art Fließbandarbeit tätig, d.h. sie bearbeiten viele Fälle und können sich oft nicht intensiv in einen hineinarbeiten. Zudem sind viele mit einer ähnlichen Arroganz wie fast die gesamte Jurist*innenschar behaftet, d.h. sie gucken auf ihre*n „Mandant*in“ herab wie auf ein unmündiges Wesen. Und raten meist zum Nichtstun, während sie selbst sich als unfehlbar inszenieren (wobei einige ihren Job auch recht gut machen, was Arroganz jedoch nicht rechtfertigt).
  • Viele Gerichte lassen, das wäre die dritte Möglichkeit, einen persönlichen Beistand zu. Dabei geht es nur um das Wohlbefinden der*s Angeklagten. Der persönliche Beistand, z.B. Eltern, Vertrauensperson oder Partner*in, hat keine eigenen Rechte im Prozess, sitzt aber neben der*m Angeklagten, kann so mitschreiben und Ideen mitteilen.
  • Die vierte Möglichkeit ist die hier Spannendste. Sie bietet eine völlig neue Dimension von Solidarität. Denn es ist erlaubt, auch solche rechtskundigen Menschen als Rechtsbeistand zu wählen, die keine zugelassenen Anwält*innen sind. Zwar muss das Gericht den Beistand genehmigen, aber eine Ablehnung bedarf guter Begründung. Sonst haben Angeklagte*r und abgelehnte*r Verteidiger*in Beschwerderecht und das übergeordnete Gericht entscheidet. Rechtsgrundlage ist der § 138, Absatz 2 der Strafprozessordnung. Dort heißt es: „Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts gewählt werden.“ Erfolgt die Genehmigung, ist die gewählte Person ein*e Strafverteidiger*in wie ein*e professionelle Anwält*in auch, sitzt also auf der Anklagebank, bekommt im Regelfall die Akte sogar nicht Hause (für kopieren/scannen wichtig) und kann im Prozess voll mit agieren. Auch Zeug*innen, Nebenkläger*innen und Strafgefangene können auf solche Art beliebige Personen als Unterstützung auswählen, die dann den gleichen Schutzrahmen hat wie Anwält*innen, also z.B. unkontrollierte Besuche und Post in den Knast. Es gibt drei Hürden: Die Person muss rechtskundig sein, was nicht immer leicht nachzuweisen ist. Sie muss vertrauenswürdig sein, was auch immer das heißt. Und es sind maximal drei Wahlverteidiger*innen möglich (Pflichtverteidigung wird dabei immer zusätzlich gezählt, nimmt also keinen Platz). Die Vorteile, von guten Bekannten oder politischen Weggefährt*innen verteidigt bzw. im Gefängnis unterstützt zu werden, sind gewaltig. Darum lohnt ein genauerer Blick auf diese Variante der Solidarität. Der folgt nun.

Laienverteidigung – gelebte Solidarität im Strafverfahren und Strafvollzug
Seit vielen Jahren verteidigen sich etliche politische Aktivist*innen selbst und gegenseitig. Sie sind selbst Betroffener staatlicher Repression, weil sie ohne Einbindung in die hierarchischen Organisationen mit kreativen Aktionen gegen Militär und Gentechnik, Tierhaltung und Flughäfen, Braunkohle und Abschiebungen, gegen Knäste und Zwangspsychiatrien, für offene Grenzen, Recht auf Stadt oder andere Ziele kämpfen. Auf ihren Erfahrungen lässt sich aufbauen, denn zum einen ist die Bilanz der von ihnen „Laienverteidigung“ getauften Form praktischer Solidarität beeindruckend, zum anderen sind auch viele Grenzen, Schwierigkeiten und Formen der Gegenwehr in Robe und Uniform erkennbar. So oder so: Laienverteidigung macht Gefängnis- und Forensikmauern durchlässiger, Strafprozesse und Strafvollzugsverfahren können offensiver geführt werden, was oft Verurteilungen vermeidet.
Dabei wollen Laienverteidiger*innen keine Ersatzanwält*innen, denen eingeschüchterte oder denkfaule Angeklagte bzw. Gefangene die Arbeit rüberschieben können mit dem Vorteil, dass es nichts kostet. Vielmehr geht es um eine gleichberechtigte Kooperation und im günstigsten Fall gegenseitige Unterstützung – in jedem Fall aber um Hilfe zur Selbsthilfe. Es passt zur Idee der Selbst- und Laienverteidigung, wenn sich Menschen gegen Polizei- und Justizmaßnahmen selbst wehren, wenn sie sich – auch hinter Zäunen und Mauern – untereinander organisieren und helfen. Um Knowhow zu vermitteln, bieten viele Laienverteidiger*innen Trainings und Schulungen an. Zudem gibt es Broschüren und Internetseiten (z.B. laienverteidigung.siehe.website und prozesstipps.siehe.website). Laienverteidiger*innen können die Handlungsmöglichkeiten erweitern und selbst eigene Impulse einbringen, aber niemals sollte eine eingesperrte oder angeklagte Person dadurch in den Hintergrund gedrängt werden, wie es beim Anwält*in-Mandant*in-Verhältnis leider üblich ist und von vielen Rechtshilfegruppen propagiert wird. Emanzipation bedeutet die Ermächtigung von Menschen zum selbständigen Handeln. Laien-Verteidigung soll Emanzipation befördern. (Quelle: Der Lichtblick Nr. 3/2018, S. 14ff)

Vorrang Selbstermächtigung
Wichtiges Ziel ist, möglichst viele oder sogar alle Beteiligten zur Selbstverteidigung zu ermächtigen. Das schließt gegenseitige Hilfe nicht aus, sondern macht sie sogar einfacher, denn wer sich selbst verteidigen kann vor Polizei und Gericht, wird auch anderen leichter helfen können.
Grundlage ist daher die Vermittlung von Basiswissen zur Selbstverteidigung bei Polizei und Gericht. Es soll Ziel des LaienverteidigerInnen-Netzwerkes sein, Beratung (direkt oder in Form von Schriften, Internetseiten usw.) und Trainings anzubieten. Möglichst oft und viel.
Laien-VerteidigerInnen sind keine Ersatz-AnwältInnen, denen eingeschüchterte oder denkfaule Angeklagte die Arbeit rüberschieben können mit dem Vorteil, dass es nichts kostet. Die politischen AkteurInnen, also vor allem die angeklagte(n) Person(en), das unterstützende Publikum usw. sind die Quelle der inhaltlichen Vermittlung. EinE LaienverteidigerIn kann die Handlungsmöglichkeiten erweitern und selbst eigene Impulse einbringen, aber sollte niemals die angeklagte Person in den Hintergrund drängen, wie es beim AnwältIn-MandantIn-Verhältnis leider üblich ist und auch von Rechtshilfegruppen oft propagiert wird. Emanzipation bedeutet die Ermächtigung von Menschen zum selbständigen Handeln. Laienverteidigung soll Emanzipation befördern.


Im Original: "Mehr Kontrolle über den eigenen Prozess" ...
Interview im Schattenblick (SB) zur Rechtshilfearbeit auf dem Klimacamp 2015
SB: Legt ihr Wert darauf, diese Unterstützung soweit wie möglich in Eigenregie zu organisieren?
Maria: Wir versuchen schon, möglichst unabhängig zu arbeiten, aber wenn es notwendig ist, haben wir auch AnwältInnen, die wir ansprechen können und die Angeklagte bei Prozessen unterstützen. Es gehört zu unseren Aufgaben, diese Kontakte zu vermitteln. Wir vermitteln aber auch Kontakte zu LaienverteidigerInnen: Bei diesem Konzept geht es darum, daß sich AktivistInnen gegenseitig vor Gericht verteidigen und keine externe Anwältin dazuholen, sondern sich gemeinsam das erforderliche juristische Wissen aneignen und den Prozeß gleichberechtigt führen.
SB: Was ist aus deiner Sicht der Vorteil dieses Konzepts?
Maria: Für mich besteht der Vorteil bei einer Laienverteidigung darin, daß ich mehr Kontrolle über einen Gerichtsprozeß behalten kann und auch selber bestimme, welche Strategie ich wähle. Wenn ich einen anderen Menschen mit Laienverteidigung unterstütze, ist mir aber auch eine gewisse Eigeninitiative der Betroffenen wichtig. Laienverteidigung ist keine Dienstleistung, sondern ein gemeinsames Aneignen von Handlungsmöglichkeiten vor Gericht.
SB: Auf welche Weise tauscht ihr euch mit anderen Menschen aus, die sich in dem von dir beschriebenen Sinn engagieren?
Maria: Es gibt zum einen ein Antirepressionsnetzwerk, und zum anderen finden regelmäßig Prozeßtrainings statt, wo man professionell lernt, wie man mit Prozeßsituationen umgehen kann und an welchen Stellen man welche Handlungsmöglichkeiten hat.
SB: Bekommt ihr bei eurer Arbeit manchmal Probleme mit der Gegenseite, sei es, daß ihr unter Beobachtung steht oder behindert werdet?
Maria: RWE und Polizei versuchen hier auf verschiedene Weise, juristisch gegen die Proteste vorzugehen. Der Ermittlungsausschuß selbst hatte noch keine Probleme, aber Menschen, die an Aktionen teilnehmen, werden im nachhinein oft mit Anklagen konfrontiert. Eine Strategie, die RWE im letzten Jahr angewandt hat, waren Unterlassungserklärungen. Dabei handelt es sich um eine zivilrechtliche Möglichkeit, beispielsweise Menschen, die bei einer Zugblockade dabei waren, hinterher zu zwingen, ein Papier zu unterzeichnen, auf dem steht, daß sie sich nie wieder an Blockaden in diesem Bereich beteiligen.
SB: Auf welcher rechtlichen Grundlage setzt RWE solche Maßnahmen durch?
Maria: Auf dem Betriebsgelände hat RWE natürlich Hausrecht, weshalb ein häufig angewandter Straftatbestand Hausfriedensbruch ist. Hingegen ist der Wald im Umfeld der Tagebaue nach wie vor öffentlich zugänglich und darf auch betreten werden.


Interview mit einem Betroffenen und Laienverteidiger
Frage: Hallo Klaas, Du musstest vor einiger Zeit in ein kleines Städtchen reisen, um dich einem Verfahren wegen Teilnahme an einer politischen Aktion zu stellen. Was war da der Vorwurf?
Hausfriedensbruch. Ich soll während einer Aktion von Ende Gelände 2015 das Gelände von RWE betreten haben.
F: Du hast dann überlegt, einen anderen Aktivisten, der die Aktion auch kannte, zu bitten, dich zu verteidigen. Hast du es auch schon mal mit einer*m Anwalt*in versucht? Und warum hast Du diesmal dann keine*n genommen?
Ehrlich gesagt, hatte ich am Anfang, also als die Unterlassungsverpflichtungserklärung von RWE und der Strafbefehl vom Amtsgericht Posemuckel kamen, überhaupt keine Lust, mich damit zu beschäftigen. Ich habe das auch irgendwie für einen schlechten Witz gehalten. Dann gab's gute Gespräche im Rahmen der Anti-Repressions-Gruppe „antiRRR“ und mir wurde klar, dass wir auch unseren Kampf für das Klima und gegen RWE vors Gericht tragen können. In diesem Rahmen war die Idee der Wahlverteidigung ziemlich prioritär. Es wurde zwar auch die Möglichkeit gesehen, sich mit einer Anwältin zu verteidigen, aber ich fand's dann spannender, mich selbst einzuarbeiten und mit Hilfe von erfahrenen LaienverteigerInnen zu verteidigen.
F: Hat das geklappt mit der Laienverteidigung?
Super! Zunächst hatte ich ein Wochenende ein Prozess-Training mit anderen Betroffenen und erfahrenen LaienverteigerInnen besucht. In so einem Crash-Kurs kann mensch wahnsinnig viel lernen, über Gerichtsfakten, über schlaue Verteidigungsstrategien und auch über sich selbst....
F: Erzähl doch mal kurz, wie es dann gelaufen ist …
Na ja, im Training haben wir neben Faktenvorträgen auch viele Rollenspiele gemacht, natürlich hatten wir einen bösen Richter und eine noch bösere Staatsanwältin, die galt es zu bezwingen. Leider haben wir Anfang ziemlich vergeigt ...
In der Realität sah's dann so aus, dass "mein" Laienverteidiger nicht als solcher zugelassen wurde. Trotz offensichtlicher Unkenntnis über die juristische Möglichkeit einer solchen Art der Verteidigung, da mussten der Richter und die Staatsanwältin sich erst mal in einer Pause sachkundig machen, war ihr Wille und Motto unverkennbar: "Das haben wir noch nie so gemacht“ oder wahlweise „das haben wir schon immer so gemacht“ oder, falls das nicht überzeugt: „da könnte ja jede(r) kommen“ ...
F: Einen Tag später ist es dann aber wohl ganz anders verlaufen. Da ging das mit der Laienverteidigung durch – und du warst dann plötzlich auch so einer. Das musst du mal genauer erklären …
Wir waren eine gemeinsame Vorbereitungsgruppe und haben uns drei Tage auf einem Bauernhof in der Nähe, der natürlich auch vom Gierschlund des Baggers bedroht ist, intensiv mit den beiden Fällen beschäftigt. Wir hatten alle solide Vorkenntnisse und konnten gemeinsam noch einmal erheblich draufsatteln.
F: Ihr wart dann also zu sechst. Wie ist das denn gelaufen?
Wir drei LaienverteigerInnen sind ohne Probleme akzeptiert worden. Und dann haben wir zusammen mit den drei Angeklagten und einem großartigen Publikum die Anklage und die Zeugenaussagen der Polizisten Stück für Stück auseinander genommen. Nach fünfeinhalb Stunden musste die Staatsanwältin die Anklage zurück nehmen, aber 'weil nicht sein kann, was nicht sein darf', nämlich z.B. ein Freispruch, wurde ein völlig neuer Anklagepunkt aus dem Hut gezaubert und auf den nächsten Verhandlungstermin verschoben.
F: Das hat ja sogar in mehreren Zeitungen gestanden. Auch hier interessiert mich, wie es jetzt weitergehen wird. Oder ist das völlig unklar?
Der zweite Termin hat dann sechs Wochen später stattgefunden, diesmal mit jener Staatsanwältin, die auch schon in "meinem" Prozess gegen die Laienverteidigung operierte. Sie kündigte nun plötzlich auch hier an, einen Antrag zu stellen, diesmal auf nachträgliche Rücknahme der Zulassung. Der Prozess wurde dann erstmal erneut vertagt. Inzwischen hat das Gericht diesen Antrag verworfen – ich meine, mit einer sehr wichtigen Begründung. Ich lese mal vor: „Angesichts der im Termin vom 16.11.2016 - zwecks Antragsbegründung - vorgelegten Unterlagen sowie dem bisherigen Auftreten der drei Verteidiger kann aus Sicht des Gerichts kein Zweifel daran bestehen, dass die drei gewählten Personen - jedenfalls - in Verfahren wie dem vorliegenden als genügend sachkundig anzusehen sind. Hieran vermag dann auch der Umstand, dass die von ihnen vorgenommene Verteidigung ggf. als fordernd angesehen werden könnte, nichts zu ändern, bewegt sich doch ein solches – im Übrigen auch von Rechtsanwälten zuweilen an den Tag gelegtes - Verteidigungsverhalten doch im Rahmen des rechtlich Zulässigen." Wahrscheinlich wird die Staatsanwaltschaft dagegen weiter Beschwerde einlegen und vielleicht beim Landgericht sogenanntes Recht bekommen. Wir haben dann nur noch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde, die ich im Übrigen in "meinem", also dem ersten Prozess schon auf den Weg nach Karlsruhe gebracht habe.
F: Und zum Schluss: Woher wusstest du eigentlich, dass es auch Leuten ohne Robe und Studienabschluss möglich war, dich zu verteidigen – und wie bist du an so jemand rangekommen?
Das wurde halt so in unseren Zusammenhängen kommuniziert. Mensch muss wissen, dass Ende Gelände nicht nur coole Aktionen macht, sondern auch solidarische Zusammenhänge aufgebaut hat, so dass einzelne in prekären Situation gut aufgefangen werden können. Und neben Ende Gelände gibt es eben auch andere solidarische Strukturen, z.B. die Projektwerkstatt in Saasen, die sich schon seit Jahren Verdienste um die Laienverteidigung erworben hat.
F: Du hast es jetzt erlebt, wie es ist, Hilfe durch eine Laienverteidigung zu haben. Und hast selbst so jemand anders geholfen. Was ist dein Fazit? Würdest Du Leuten raten, sich mehr als bisher untereinander zu helfen und sich gegenseitig zu verteidigen?
Unbedingt! Und gleichzeitig habe ich Verständnis, wenn jemensch einen anderen Weg geht. Es ist für mich trotz meiner persönlich guten Erfahrung überhaupt nicht 'verwerflich', wenn jemensch sich eine Anwältin nimmt, oder z.B. auch die relativ niedrige Summe des Strafbefehls einfach bezahlt. Wir haben zum Glück kein Zentralkomitee, das die vermeintlich richtige Linie vorgibt....
F: Hast Du in Deinem Umfeld auch schon abweichende Meinungen gehört? Was sind da die Argumente?
Klar! Aber da müsste ich so weit ausholen, dass es den Rahmen dieses Interviews sprengen würde ...


Interview mit einem professionellen Strafverteidiger (Anwalt)
Frage: Hallo Tronje. Du bist Strafverteidiger. Wie lange machst du das schon – und wann sind dir diese Leute begegnet, die sich ohne Robe und Studienabschluss selbst verteidigen?
Bereits in meinem Studium legte ich den Schwerpunkt auf das Strafrecht. Meine praktische Ausbildung als Referendar erfolgte bei einem sehr renommierten Strafverteidiger der sogenannten Bremer Schule. Als Strafverteidiger in eigener Regie arbeite ich etwa seit dem Jahr 1993. Mit sogenannten LaienverteidigerInnen (LV) arbeite ich seit ca. 10 Jahren immer mal wieder zusammen.
F: Du hast das dann ja mit denen versucht. Hat das Probleme geschaffen oder haben die aktiven Angeklagten und du euch eher gut ergänzt?
Die Zusammenarbeit mit LV gestaltete sich stets harmonisch und solidarisch. Das Wirken der aktiven Angeklagten empfand ich als produktiv. Es war für die Verteidigung überwiegend förderlich.
F: Gab es auch Momente, wo du die Luft angehalten hast und dachtest: Oh je, das wäre jetzt besser, wenn die einfach nur die Klappe halten …?
Nein, eher nicht. Dennoch gab es hin und wieder Situationen, in denen es besser gewesen wäre sich nicht so äußern und auf den Gebrauch einzelner prozessualer Rechte nicht zu bestehen.
F: Kannst du da einen Vergleich ziehen von Prozessen mit aktiven und mit passiven Angeklagten?
Ein solcher Vergleich ist nicht möglich. Aktive Angeklagte nehmen ihre Rechte selber war. Passive Angeklagte vertrauen auf das Engagement und die Fähigkeiten ihrer Verteidigerin oder ihres Verteidigers.
F: Dann kam irgendwann die Idee auch, sich untereinander zu verteidigen. Sind solche Laienverteidiger*innen, wie sie sich selbst auf ihrer Internetseite nennen, im Prozess von Anwält*innen kaum zu unterscheiden?
F: LV lassen sich im Regelfall von anderen Verteidigerin bzw. Verteidigern gut unterscheiden. Erstere haben regelmäßig eine bessere Aktenkenntnis und kennen sich nicht selten besser in der Strafprozessordnung aus.
F: Oder spielen sie unterschiedliche Rollen, haben also andere Stärken und Schwächen?
Der Nachteil von LV besteht in erster Linie darin, dass ihnen die juristische Grundausbildung fehlt und nicht über eine ausreichend lange strafprozessuale Erfahrung verfügen. Damit sind Nachteile verbunden, die ich ebenfalls als junger Anwalt erdulden musste.
F: Stören sich diese Unterschiede oder würdest du sagen: Laienverteidiger*innen und Anwält*innen sind, zumindest in Verfahren um politische Aktionen, eine sinnvolle Kombination?
Die Unterschiede zu den LV stören mich keineswegs. Die Zusammenarbeit mit Ihnen ist stets sinnvoll. Dabei muss beachtet werden, das ich vom Grundsatz her jedes Strafverfahren als politisches Verfahren ansehen.
F: Fallen dir Beispiele gemeinsamer Verteidigung mit Laienverteidiger*innen ein, die das anschaulich machen?
Beispiele der gemeinsamen Verteidigung mit LV fallen mir viele ein. Diese im einzelnen aufzuzählen, ginge zu weit. Ich denke, dass es mir jeweils gelungen ist, das Engagement der LV durch meinen Beistand sinnvoll zu unterstützen und zu begleiten. Besonders dürfte dies gelten für die Vorbereitung von Revisionsverfahren bereits in der Tatsacheninstanz zum Beispiel durch die Formulierung entsprechender Beweisanträge.
F: Es gibt in vielen Städten und bei politischen Gruppen erhebliche Ablehnung gegen die Selbst- und Laienverteidigung. Mitunter werden sogar Veranstaltungen und Schulungen untersagt oder behindert. Kennst du Gründe? Und: Was hältst du von solcher Kritik?
Den Ablehnungsgründen stehe ich nicht nahe. Dahinter dürfte sich ein grundlegendes politisches Problem verbergen. Nach meiner Ansicht, sollte die LV gestärkt werden, statt diese politisch motiviert zu schwächen. Hintergrund des Problems dürfte sein, dass die linke Bewegung in Deutschland aufgrund fehlender Solidarität viel zu stark zersplittert ist. Konstruierte und wirklichkeitsfremde Grundpositionen verhindern die konstruktive Zusammenarbeit im Bereich der Politik und in dem Teilbereich engagierter Strafverteidigung. Die praktizierte Solidarität in all diesen Bereichen müsste jedoch Vorrang haben zum Nutzen der Armen und Schwachen, der Asylsuchenden sowie der prekär beschäftigten Werktätigen und der aufgrund der in diesem Lande wegen ihres politischen Widerstandes strafrechtlich Verfolgten.
F: Hast du Angst, dass dir die Laienverteidiger*innen mal den Job wegnehmen?
Ganz sicher nicht!
F: Oder ist die Kombination eher eine Hilfe, die die Verteidigung stärkt und auch dir als Anwalt hilft?
Zusammenarbeit von LV und professionellen Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern ist sinnvoll und förderlich. Ich habe es immer wieder erlebt, wie intensiv sich LV in den Bestand der Strafakten einarbeiten und dabei entlastendes Material sowie Ermittlungsfehler zutage fördern. LV sind in der Regel in der Lage, sich mit den Fällen, mit denen sie konfrontiert sind, besonders zeitintensiv zu befassen. Das ist ihr entscheidender Vorteil. Im Gegensatz zu professionellen Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern müssen sie regelmäßig nicht darauf achten, mit ihren Tätigkeiten Geld zu verdienen, um die mit ihrer Tätigkeit zusammenhängenden Kosten zu decken.
F: Was sagen Anwaltkolleg*innen dazu? Gibt es da auch Ablehnung, Bedenken?
Meiner Einschätzung nach ist den Kolleginnen und Kollegen über das Wirken der LV nahezu nichts bekannt. Nur sehr wenige von ihnen hatten jemals die Gelegenheit, mit LV zusammen zu arbeiten. Ich nehme an, dass dies viele KollegInnen zwar nicht ablehnen, aber auch nicht befürworten. Dahinter könnte sich Standesdenken, aber auch die Befürchtung verbergen, dass LV, sollte sich diese unkontrolliert ausbreiten, ihnen letztlich die Existenzgrundlage entziehen könnte. Dass solche Befürchtungen keine tatsächliche Grundlage haben, könnte durchaus in einer erweiterten Öffentlichkeit diskutiert werden. Ich gehe jedoch davon aus, dass das Thema keinen breiten Raum einnehmen wird, weil es jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt keine hinreichend gewichtige Bedeutung hat. In der Fachpresse habe ich dazu bisher nichts lesen können.


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