Anarchie

TIPPS BEI FESTNAHMEN

Beschwerdemöglichkeiten


1. Einleitung
2. Festnahme und Inhaftierung (Gewahrsam) nach Polizeirecht
3. Festnahme und Haft nach Strafrecht
4. Vorläufige Festnahme bei Verdacht einer Straftat
5. Was bei jeder Festnahme, Vorladung und Polizeikontakt gilt ...
6. Beschwerdemöglichkeiten
7. Links und Materialien

Kurzformel: Wenn ein Ermittlungsverfahren gegen dich läuft: Beschwerde vor dem entsprechenden Gericht (meist Amtsgericht). Wenn es nur eine Polizeimaßnahme war: Widerspruch und/oder Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht

Genauer: Gegen die Festnahme selbst kann Widerspruch erhoben werden. Solange die Polizei selbst handelt (also ohne Haftbefehl), ist dieser Widerspruch bei der Polizei einzureichen oder (vor allem dann, wenn mensch wieder "frei" ist) beim Verwaltungsgericht. Liegt ein richterlicher Beschluss für Gewahrsam, Untersuchungshaft (Haftbefehl) oder Hauptverhandlungshaft vor, so sind Beschwerde auf dem Instanzenweg der Strafgerichte möglich.

Widerspruch (gegenüber der Polizei)
Gegenüber der Polizei ist jederzeit formloser Widerspruch möglich. Dieser sollte angeben, gegen was Widerspruch erhoben wird und eine Begründung. Diese kann auch formaler Natur sein, z.B. dass kein Grund angegeben wurde oder gegen das Versammlungsrecht verstossen wurde (in dem z.B. Gewahrsam gegen eineN TeilnehmerIn einer Demonstration verhängt wurde, ohne die dass die Demonstration aufgelöst gewesen wäre).
Wichtig: Dieser Widerspruch führt in allen Fällen zur Fristwahrung, also auch wenn die Polizei diesen ablehnt und auf den Verwaltungsgerichtsweg verweist.

Fortsetzungsfeststellungsklage
Hat keinE RichterIn die Inhaftierung beschlossen, so ist mensch bis zum Ende des Folgetages wieder freizulassen (alles andere wäre auf jedenfalls rechtswidrig - wobei das noch nicht zwingend bedeutet, dass das ein Gericht auch feststellen wird, denn da sind ja noch politische Interessen im Spiel ...). Mensch wird also in der Regel wieder "draußen" sein, wenn es ans Beschweren geht. Dann aber ist nicht mehr die Polizei Adressat, sondern das Verwaltungsgericht. Das gilt aber eben nur, wenn noch keinE RichterIn im Spiel war. Dabei gibt es Spitzfindigkeiten: Alles Verwaltungshandeln kann vor dem Verwaltungsgericht überprüft werden, wo noch keinE RichterIn zu entschieden hat. Jede Haft besteht aus Festnahme und der Haftphase. Oft wird von RichterInnen dann über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden. Die Festnahme als solche kann dann immer noch vor dem Verwaltungsgericht angegriffen werden - nicht mehr jedoch die Freiheitsberaubung. In der Regel sind Festnahme und anschließender Freiheitsentzug aber ähnlich begründet, was diese Unterscheidung fragwürdig macht. Aber: Es gibt sie und mensch kann manchmal beides machen: Beschwerde in der nächsten Instanz und Fortsetzungsfeststellungsklage. So heißt die Beschwerde gegen Polizeiakte vor dem Verwaltungsgericht, wenn diese schon vorbei sind. Dabei muss immer das Rechtsschutzinteresse nachgewiesen werden zusätzlich zu der Begründung für die Klage, also warum die Polizeiaktion illegal gewesen sein soll. Rechtsschutzinteresse besteht, wenn ein wichtiges Rechtsgut betroffen war und/oder die KlägerIn ein Interesse an der nachträglichen Klärung vorweisen kann. Diese Klausel bietet Verwaltungsgerichten, die Polizeihandeln schützen wollen, gewisse Spielräume. So wurde in Gießen einer Person der Gang vors Verwaltungsgericht nach einer absurden Festnahme verwehrt, weil das Gericht meinte, diese Person hätte schon zuviel die Polizei kritisiert, daher dürfe die Polizei gegen sie wohl auch rechtswidrig vorgehen. Wer die Polizei kritisiert, hat selbst schuld, wenn die ausrastet ...
Für das Einreichen der Fortsetzungsfeststellungsklage hat mensch in der Regel einen Monat Zeit. Der Widerspruch bei der Polizei reicht zur Fristeinhaltung, nach Ablehnung läuft sie neu an. Die Verschlechterung der Rechtsmöglichkeiten für normale Menschen führte an den Verwaltungsgerichten dazu, dass mensch oft die möglichen Prozesskosten vorlegen muss. Das kann für ärmere Menschen den Rechtsschutz beenden. Möglich ist, einen Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stellen - das ist ein Formblatt, in welchem mensch seine Einkünfte angeben und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragen muss. Das Formular ist recht einfach auszufüllen, ein Nachweis über die Bedürfigkeit muss beigefügt werden. Mehr Infos zur Prozesskostenhilfe hier und ...
  • Download des Formulars mit Eingabefeldern
  • Infoseite zu Fortsetzungsfeststellungsklagen

Sofortige Beschwerde (gegenüber dem/r RichterIn, die Gewahrsam/Inhaftierung verkündet)
Wenn einE RichterIn Gewahrsam oder Haft verhängt, kann sofortige Beschwerde eingelegt werden (mündlich, gleich direkt noch gegenüber dem/r RichterIn, die den Scheiß beschlossen hat). Die Beschwerde muss dann sofort behandelt werden. Zum ersten macht das der/die RichterIn, die auch die Haft verhängt hat. Kommt sie zum gleichen Ergebnis (was wohl zu erwarten ist, sonst hätte sie/er es ja nicht kurz vorher anders gemacht), so geht die Beschwerde automatisch eine Instanz höher - je nach Ausgangspunkt also vom Amts- zum Landgericht oder vom Land- zum Oberlandesgericht u.ä. Eigentlich müssen auch die Beschwerdegerichte die zugrundeliegenden Tatsachen selbst nochmal überprüfen. Sie machen das aber regelmäßig nicht. Daraus entsteht ein Problem. Eine umfassende Begründung der Beschwerde ist regelmäßig nicht möglich, denn nach dem Beschluss für Gewahrsam oder Haft verschwindet mensch erstmal im Knast oder Polizeigewahrsam. Dort etwas schreiben zu können, auf Gesetzesbücher zurückgreifen zu können oder überhaupt schnell Post raussenden zu können, ist eher schwierig bis (bei Polizeigewahrsam oft) ganz unmöglich. Wer eineN AnwältIn draußen hat, hat Glück - aber oft weiß die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, worum es geht. Und ein Besuchstermin ist manchmal auch nicht so einfach und schnell zu organisieren.

Achtung: Auf keinen Fall Akteneinsicht beantragen oder sonstige Anträge stellen, die die sofortige Beschwerde herauszögern können. Oft suchen Gerichte nach Tricks, um einen Menschen länger in Haft halten zu können. Wenn politische Interessen dahinterstehen, sind sie teilweise sehr findig. Das ist zwar Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung - aber wie bringt mensch eineN RichterIn vor Gericht bzw. auf die Anklagebank (vor Gericht sind sie ja ständig, aber auf dem dafür unpassenden Platz). Daher solche Sache, die die Beschlüsse grundlegend angreifen, erst hinterher (nach Freilassung oder Klärung in allen Instanzen) in aller Ruhe angehen (siehe Beschwerde).

Beschwerde
Gegen alle richterlichen Beschlüsse ist Beschwerde zulässig, bis der Instanzenweg durch ist. Meist ist Beschwerde beim Landgericht und dann beim OLG möglich, wenn der Erstbeschluss beim Amtsgericht fiel. Die Akte wandert dann von Instanz zu Instanz mit. EinE RechtsanwältIn kann sie zur Begründung der Beschwerde aber auch bekommen. Eine Gießener RichterIn hat aber auch schon den Trick erfunden, einfach die Beschwerde schon vor Eingang der Begründung, für die Akteneinsicht beantragt war, pauschal abzulehnen.
Bei der Beschwerde geht es um die Klärung des Rechtsvorganges. Hier kommt es nicht auf die Schnelligkeit, sondern Präzision der Begründung an. Gerichten und Polizei Rechtsfehler nachzuweisen, kann für die nächsten Fälle was bringen.

Im Original: Schadenersatz bei rechtswidrigen Festnahmen
Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes (III ZR 9/03, PDF) zu Schadenersatz- und Schmerzensgeldpflicht, wenn Polizei und Gerichte sehr bewusst falsch verdächtigen, Haft beantragen bzw. beschließen usw. (der Fall betraf Untersuchungshaft und Abhörmassnahmen, wobei in der Anhörung vor Gericht die Polizei entlastendes Material gezielt wegließ und das Gericht auch nicht sorgfältig eine Beweiserhebung betraf):
Die Kläger nehmen das beklagte Land auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzungen der Staatsanwaltschaft bzw. der Kriminalpolizei im Zusammenhang mit der Erwirkung des Haftbefehls gegen den Kläger zu 1 und der Beantragung und Durchführung der Abhörmaßnahmen gegen beide Kläger in Anspruch. Der Kläger zu 1 begehrt als materiellen Ersatz die Bezahlung der ihm aufgrund einer Honorarvereinbarung berechneten Verteidigervergütungen abzüglich der von der Staatskasse erstatteten Kosten. Beide Kläger verlangen Ersatz ihrer immateriellen Schäden wegen der Abhörmaßnahmen, der Kläger zu 1 darüber hinaus wegen rechtswidriger Freiheitsentziehung (Untersuchungshaft vom 5. November bis 16. Dezember 1997). ...
Das vorgelegte Aktenmaterial muß jedenfalls so beschaffen sein, daß der Haftrichter sich ein vollständiges Bild über das Ermittlungsergebnis zu der Straftat, zum Tatverdacht gegen den Beschuldigten und über das Vorliegen eines Haftgrundes (§ 112 Abs. 1, 2 StPO) machen kann. Die im Zeitpunkt der Haftentscheidung vorliegenden und in den Akten ausgewiesenen gerichtsverwertbaren Ermittlungsergebnisse sind Beurteilungsgrundlage für den Haftrichter. Dieser hat wegen der einschneidenden Folgen eines Haftbefehls die Akten trotz aller etwa gebotenen Eile sorgfältig und genau durchzuarbeiten, ehe er sich entschließen darf, einen Haftbefehl zu erlassen (BGHZ 27, 338, 348 f). Bei der Prüfung des dringenden Tatverdachts tritt er in eine freie Beweiswürdigung (§ 261 StPO) des von der Ermittlungsbehörde zusammengetragenen Tatsachenmaterials ein und entscheidet hiernach, ob der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat (KK-Boujong aaO, § 112 Rn. 5, 7; Hilger aaO, § 112 Rn. 21). Es liegt auf der Hand, daß auch der Staatsanwalt und die ihn unterstützende Kriminalpolizei bei der Auswahl des Verfahrensstoffs im Zusammenhang mit einem Haftbefehlsantrag Belastung und Entlastung des Beschuldigten gleichermaßen zu berücksichtigen haben (vgl. Meyer-Goßner aaO, vor § 141 GVG Rn. 8), damit der Haftrichter
seine eigene verantwortliche Entscheidung treffen kann.
bb) Die mit dem Haftbefehlsantrag im Oktober 1997 nicht vorgelegte Aussage des Zeugen L. vom 19. Januar 1994 wäre nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts geeignet gewesen, die Annahme, der Brandstifter sei allein in der Familie der Kläger zu suchen, zu erschüttern. Mithin konnte der Haftrichter ohne Kenntnis dieser Aussage bei der Beurteilung des Haftantrags vom 21. Oktober 1997 den Sachverhalt - einschließlich des Zwischenberichts der Polizei vom 21. April 1994 - nicht umfassend würdigen und kein vollständiges Bild vom Tatverdacht gegen den Kläger zu 1 gewinnen. Eine derartige (einseitige) Beschränkung des für den Erlaß eines Haftbefehls maßgeblichen Prüfungsstoffs durch die Ermittlungsbehörden - mochten diese auch, wie die Revision anführt, bei der Zusammenstellung des Ermittlungsergebnisses die Aussage des Zeugen L. als "unbeachtlich" angesehen haben - hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei als pflichtwidrig eingestuft.
Nach dem objektivierten Sorgfaltsmaßstab, der im Rahmen des § 839 BGB gilt, ist insoweit auch von einem Verschulden der handelnden Ermittlungsbeamten auszugehen Die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts werden von der Revision nicht angegriffen. ...
Eine "Gefahr" liegt nach allgemeiner Ansicht vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird (BVerwGE 45, 51, 57). Da der verdeckte Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen einen erheblichen Grundrechtseingriff darstellt und dementsprechend nur aus gewichtigen Gründen verfassungsgemäß ist, ist für ihn eine - gegenüber Maßnahmen der polizeilichen Generalermächtigung - gesteigerte Gefahr erforderlich. Die Maßnahme muß zur Abwehr einer "unmittelbar bevorstehenden Gefahr" erforderlich sein. Diese zeichnet sich durch eine besondere zeitliche Nähe und ein gesteigertes Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus: Der Schaden muß in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten (Belz/Mußmann aaO, § 23 Rn. 9, § 9 Rn. 3; Wolf/Stephan, PolG BW 5. Aufl. 1999 § 23 Rn. 6; BVerwGE 45, 51, 58; VGH BW NVwZ 1987, 237, 238 zu § 9 Abs. 1 PolG BW; VGH BW NVwZ-RR 1994, 52 zu § 2 Abs. 1 Satz 1 FeuerwehrG BW). Soweit hingegen in der jeweils überschaubaren Zukunft kein Schadenseintritt zu erwarten ist, sind polizeirechtliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr weder geboten noch gerechtfertigt (vgl. Röhrig, DVBl. 2000, 1658, 1660). Eine in unbestimmter Zeit erst erwartete Gefahr, die sich - wie im Streitfall - noch "entwickeln" muß, genügt für Abhörmaßnahmen nach § 23 PolG nicht (König, Eingriffsrecht, Maßnahmen der Polizei nach der Strafprozeßordnung und dem Polizeigesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2001, S. 169 Rn. 141).

Das Berufungsgericht hat insoweit auch rechtsfehlerfrei ein Verschulden der handelnden Polizeibeamten bejaht.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach aufgrund vernünftiger Überlegungen sich eine Rechtsmeinung zu bilden. ...
Es hält einer rechtlichen Nachprüfung auch stand, daß das Berufungsgericht dem Kläger zu 1 wegen der von den Bediensteten des beklagten Landes amtspflichtwidrig erwirkten Untersuchungshaft (oben zu II) und beiden Klägern wegen der von der Polizei ebenfalls amtspflichtwidrig beantragten und durchgeführten Abhörmaßnahmen (oben zu III) dem Grunde nach immateriellen Schadensersatz (Schmerzensgeld) wegen schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzungen zugebilligt hat.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats können durch schuldhafte Amtspflichtsverletzungen verursachte Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Geldentschädigung begründen (BGHZ 78, 274, 280; Urteil vom 10. Januar 1972 - III ZR 202/66 - VersR 1972, 368, 369; Urteil vom 17. März 1994 - III ZR 15/93 - NJW 1994, 1950, 1952; Staudinger/Wurm, § 839 Rn. 246). Ein solcher Anspruch kommt allerdings nur in Betracht, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht handelt und die Beeinträchtigung des Betroffenen nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (Senatsurteile BGHZ 78, 274, 280; vom 10. Januar 1972, aaO S. 369; vom 17. März 1994, aaO S. 1952 m.w.N.). Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlaß und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (Senat, Urteil vom 17. März 1994, aaO S. 1953).



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