Anarchie

IM NAMEN DES VOLKES: KONSTRUIERUNG EINES KOLLEKTIVSUBJEKTES

Volk als Klassenkampfbegriff


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Schlagzeile in der Jungen Welt über der Werbung für die Rosa-Luxemburg-Konferenz, 12.1.2008 (S. 16)

Das ist schon erstaunlich, wie hochgeschätzt die Fiktion eines Volkes auch in linken Kreisen ist. Offenbar wird Volk dort als Begriff für die gleichgeschaltete und dadurch als gleich gedachte Masse Mensch verwendet - eine fürchterliche Perspektive des autoritären Sozialismus, der den Menschen ihre Würde und Einzigartigkeit nimmt.

Das Volk im DDR-Staatsdenken
Aus "Volk" in: Klaus, Georg/Buhr, Manfred (1975), "Philosophisches Wörterbuch", VEB Bibliographisches Institut Leipzig (S. 1269)
Volk im politisch-soziologischen Sinne ist eine historische Kategorie. Sie umfaßt all jene Klassen und sozialen Schichten der Gesellschaft, die daran interessiert und objektiv dazu fähig sind, den gesellschaftlichen Fortschritt zu verwirklichen. Die anderen Klassen oder Schichten oder Teile von diesen, deren Interessen gegen den historischen Fortschritt gerichtet sind, gehören in diesem Sinne nicht zum Volk, sondern zur Kategorie der Volksfeinde. Zu allen Zeiten sind die Werktätigen der entscheidende Teil des Volkes. ...
Mit dem Aufbau des Sozialismus ... mit der Entwicklung der politisch-moralischen Einheit des Volkes ... wird der Begriff Volk identisch mit Bevölkerung des sozialistischen Staates. ...
Von allen werktätigen Klassen und Schichten ist gegenwärtig die Arbeiterklasse die entscheidende, wichtigste und schließlich führende Kraft des Volkes.


Aus dem Pionierlied "Unsere Heimat"
Und wir lieben die Heimat, die schöne. Und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört."


Ganz ähnlich bei Mühsam, Erich: "Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat", zitiert in: Grosche, Monika (2003): "Anarchismus und Revolution", Syndikat A in Moers (S. 19)
(Zum Staat) Er ist zentraler Ausführungsdienst einer vom Volk gelösten Klasse zur Beherrschung des entrechteten und zur beherrschten Klasse erniedrigten Volkes.


Aus "Volksmassen" in: Klaus, Georg/Buhr, Manfred (1975), "Philosophisches Wörterbuch", VEB Bibliographisches Institut Leipzig (S. 1270)
Die arbeitenden Klassen und Schichten sowie alle auf Grund ihrer objektiven historischen Stellung und Rolle fortschrittliche handelnden Klassen und Schichten. Die Volksmassen sind Schöpfer und Hauptkraft der Geschichte.

Aussage von Bakunin, zitiert in: Grosche, Monika (2003): "Anarchismus und Revolution", Syndikat A in Moers (S. 42 ff.)
... die Unwissenheit und namentlich die politischen und religiösen Vorurteile welche dank den Anstrengungen der herrschenden Klassen heute noch das natürliche Denken des Arbeiters und seines gesunden Gefühls verdunkeln. ...
Die arme Klasse, welche das eigentliche Volk bildet ...
Die Volksmassen sind zu Opfern stets bereit, bilden eine Macht und sind deshalb so brutal, wild und entschlossen, Heldentaten zu vollbringen (...), weil sie, die wenig oder garnichts besitzen, nicht vom Besitzstreben verdorben sind. ...
Die besten Männer der bürgerlichen Welt von Geburt und nicht aus Überzeugung und Ehrgeiz, können nur unter einer Bedingung nützlich sein, daß sie im Volk aufgehen, in der Sache, die nur das Volk betrifft.


Aus Elsässer, Jürgen*: "Kein Fußbreit den Aliens" in: Junge Welt, 13.1.2006 (S. 10 f.)
Wichtigstes Element des Bolivarismus ist die Definition von Demokratie als Volksherrschaft im ursprünglichen Sinne. Der gesamte Umbau von Staat und Gesellschaft erfolgte durch plebiszitäre Akte: Bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 1998 entfielen 56 Prozent der Stimmen auf Chávez, im April 1999 stimmten 88 Prozent der Wähler für die Einberufung einer Konstituante, im Dezember desselben Jahres 71 Prozent für die neue Verfassung des nun als "Bolivarische Republik Venezuela" bezeichneten Staates. In dieser Verfassung ist die bürgerliche Gewaltenteilung nicht aufgehoben, aber durch direktdemokratische Möglichkeiten erweitert: Sowohl die Abgeordneten als auch der Präsident können ab der Mitte ihrer Amtszeit per Referendum abgewählt werden.
Alle Macht dem Volke
"Der Treibstoff der Geschichtsmaschine ist das sich bewußte und organisierte – nicht anarchische – Volk", postuliert Chávez. ...
Die Linke muß den demokratischen Willen der Bevölkerung exekutieren, die aber will kurz- und mittelfristig nur den rheinischen Kapitalismus erhalten. ...


Jürgen Elsässer* in: Maurer, Ulrich/Modrow, Hans (2006), "Links oder lahm?", Edition Ost in Berlin (S. 108 ff.)
Wichtigstes Element des Bolivarismus ist die Definition von Demokratie als Volksherrschaft im ursprünglichen Sinne. ...
"Der Treibstoff der Geschichtsmaschine ist das sich bewußte und organisierte - nicht anarchische - Volk", postuliert Chavez. Daß dies auch für Europa gilt, zeigten die Volksabstimmungen im Frühsommer 2005, wo in Frankreich und den Niederlanden große Mehrheiten die neue EU-Verfassung ablehnten. So blockierte die direkte Demokratie den Vormarsch der Heuschrecken auf dem Kontinent - ihr erster großer Rückschlag in den Metropolen. ...


*Jürgen Elsässer ist inzwischen einer der wortgewaltigsten Rechtsradikalen des Landes. Den Volksbegriff musste er dazu nicht verändern.

Aus Chantal Mouffe (2018), "Für einen linken Populismus", Suhrkamp in Berlin (S. 17 und 19)
Im Laufe der nächsten Jahre, so meine Argumentatiton, wird die zentrale Achse der politischen Auseinandersetzung zwischen einem rechtsgerichteten und einem linksgerichteten Populismus verlaufen. Und deshalb ist es die Konstruktion eines "Volkes", eines kollektiven Willens, der der Mobilisierung gemeinsamer Affekte zu Verteidigung der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit entspringt, die es ermöglichen wird, die vom Rechtspopulismus propagierte fremdenfeindliche Politik zu bekämpfen. ...
Ich werde definieren, was ich unter einem "linken Populismus" verstehe, und argumentieren, dass dieser in der derzeitigen Lage die angemeissene Strategie darstellt, um die für eine demokratische Politik konstitutiven Ideale der Gleichheit und Volkssouveränität wiederherzustellen und zu vertiefen.


Aus Williams, Jessica (2006) , "50 Fakten, die die Welt verändern sollten", Goldmann Verlag München (S. 380)
Das amerikanische Volk ist der Ansicht, die Ausgaben für die Vereinten Nationen sind ihr Geld wert - nun bleibt ihm nur noch, seine Führer davon zu überzeugen.

Aus Kommentierungen von Hugo Chavez, dokumentiert in: Junge Welt, 9.8.2007 (S. 10 f.)
Wir sind auf dem Weg zum Sozialismus. Das Volk hat diesen Weg zum Sozialismus gewählt. Es will den Sozialismus ebenso wie das Vaterland ihn braucht.

Aus der Rede Mao Zedongs zum 28. Jahrestags der Gründung der KP Chinas am 30. Juni 1949 in: Ausgewählte Werke, Bd. IV, S.437–452; in: Junge Welt, 24.2.2007 (S. 15)
Im Inneren muß man die Volksmassen erwecken. Das bedeutet, die Arbeiterklasse, die Bauernschaft, das städtische Kleinbürgertum und die nationale Bourgeoisie zusammenschließen, unter Führung der Arbeiterklasse eine Einheitsfront bilden und einen von der Arbeiterklasse geführten, auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruhenden Staat der demokratischen Diktatur des Volkes gründen.


Aus "Kein Wechsel kann die Macht erschüttern" von Arnold Schölzel (Chefredakteur Junge Welt), in: uz am 18.2.2022
Zum anderen sind Freiheit und Demokratie programmatische Orientierungen aller fortschrittlichen Kräfte, insbesondere von Kommunisten und Sozialisten. Beide Begriffe sind an konkrete Gesellschaftsformationen gebunden, das heißt, sie werden von den herrschenden Eigentumsverhältnissen bestimmt. Eine sozialistische Gesellschaft verkörpert einen höheren Typ von Freiheit und Demokratie als die bürgerliche Gesellschaft. ...
Die bürgerliche Demokratie ist – wie das Recht – ein Kampfplatz der Klassen, sozialistische Demokratie die Herrschaft des Volkes unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei.


Barack Obama: "Wir werden als ein Volk stehen oder fallen"

Aus Brüchert, Oliver (2005), „Autoritäres Programm in aufklärerischer Absicht“, Westf. Dampfboot in Münster (S. 61)
In seinen "16 Thesen zur Zukunft der Intelligenz als neuer Klasse" führte Gouldner (1980) die viel zitierte Unterscheidung zwischen Intellektuellen und technischer Intelligenz ein: Ausgangspunkt war die (seinerzeit noch dynamisch fortschreitende) Vergrößerung der gebildeten Klasse und die Beobachtung, dass die Kontrolle über die Unternehmen zunehmend nicht mehr von den Kapitalisten selbst ausgeübt wird, sondern von "Managern", von Angestellter. aho, die aufgrund ihres Fachwissens besser qualifiziert sind, Entscheidungen zu treffen als die Eigentümer. Die Stärke und Eigenständigkeit der "Intelligenz" gegenüber der alten Herrschaft der Bourgeoisie, verdankt sich einer öffentlichen "Kultur des kritischen Diskurses". Gouldner geht in seiner ersten These auf die "Unzulänglichkeiten" des marxistischen Klassenmodells ein: Erstens habe es die Rolle der Bauernschaft bei den revolutionären Kämpfen des zwanzigsten Jahrhunderts vernachlässigt (in Russland, vor allem aber in China). Zweitens vernachlässige es die Rolle der Intellektuellen:"Das marxistische Szenario des Klassenkampfes war nie in der Lage, das eigene Handeln zu erklären, d.h. das Handeln derjenigen, die das Drehbuch schrieben, das Handeln von Marx und Engels selbst. Wie passten die Theoretiker dieses Klassenkampfes in die behauptete Auf spaltung der Gesellschaft in Proletariat und Kapitalistenklasse. Wenn die Frage jemand gestellt wird, begegnet man nur verlegenem Schweigen. (Niemand erwartet, dass man das Fernseh publikum fragt, welche Rolle der Kameramann spielt.)" (S. 24, Hervorhebung im Original)


Das bedrohte Volk
Aus Lafontaine, Oskar, "Privatisierung bringt keine Freiheit", in: FR, 23.9.2006 (S. 9)
Das Volk wird durch die Privatisierung öffentlichen Eigentums enteignet ...


Text von Max Brym zur sog. Unabhängigkeit des Kosovo am 18.2.2008 auf Indymedia
Der Rauschzustand muss tatsächlich verfliegen, denn das was als „Unabhängigkeit“ verkauft wird ist nichts anderes als organisierter Volksbetrug.


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