Anarchie

STRAFE - RECHT AUF GEWALT

Das grosse Ziel


1. Die Kapitel des Fragend-voran-Büchleins
2. Wieso straft Mensch?
3. Von Orten der Gewalt und bösen Taten
4. Strafe – die gute Gewalt
5. Im Namen des Rechts und der Gerechtigkeit
6. Der offizielle Strafzweck
7. Das grosse Ziel
8. Was ich eigentlich sagen wollte...
9. „Es gibt eine gewisse Eigenverantwortung“
10. „Wenn nichts mehr geschützt ist, kann nichts mehr gelebt werden“
11. „Kriminalität ist ein gesellschaftlicher Prozess“
12. Eine gewaltfreie Welt ... und wie man das nicht erreicht
13. Versuch über Perspektiven
14. Impressum

Diesen Straftheorien und den strafrechtfertigenden Werten und Autoritäten (Gerechtigkeit, Recht, Ordnung, Volk, Gott) liegt im Grunde genommen eine ganz banale Idee zugrunde: Man will gewaltförmiges Verhalten zwischen Menschen bekämpfen, indem man auf solches Verhalten mit Gewalt reagiert – indem man es bestraft. Aus diesem Ziel heraus entwickelt sich die Idee des Rechts und der Gerechtigkeit – die Legitimation der Bestrafung. Es kommt allerdings nicht von ungefähr, dass dieses Ziel von Rechtsvertretern und Strafbeauftragten nur sehr selten als solches erwähnt wird. Viel häufiger hört man die Argumentation, man müsse das Chaos, die Rechtlosigkeit oder Selbstjustiz verhindern. Würde man nämlich die Strafproblematik konsequent mit dem Vorsatz angehen, gewaltförmiges Verhalten zu mindern, so käme man womöglich zu einem ganz anderen Schluss.

Da die meisten Dinge auf dieser Welt nicht einfach so vom Himmel purzeln, haben sie eine Ursache. Sie werden durch irgend etwas hervorgerufen. So ist es auch mit der Gewalt. Hier ist allerdings wichtig, den Unterschied zwischen Gewalt und einem Verbrechen zu machen. Verbrechen ist lediglich eine Tat, die man als „grundsätzlich nicht toleriert“ und somit als „unrecht“ definiert hat. In unserem Rechtssystem heisst das,

ein Verbrechen geschieht dadurch, dass man eine bestimmte Handlung mit einem Strafparagraphen im Strafgesetzbuch versieht. Manchmal nimmt man sie auch wieder raus – und dann ist es kein Verbrechen mehr.[1]

Gewalt kommt hingegen unabhängig von Gesetzbüchern, Lehren und öffentlicher Meinung vor. Gewalt ist eine äusserst individuelle Angelegenheit – jeder Einzelne nimmt bestimmte Handlungen als Gewalt wahr – oder nicht. Gewalt ist alles, was als Gewalt empfunden wird. Sie geschieht in unserer Gesellschaft ebenso dort, wo sie unter Strafparagraphen steht, wie dort, wo sie gesetzlich legitimiert ist. Sie hat also eine ganz andere Ursache. Gewalt ist letztlich nichts anderes als eine menschliche Handlung zur Durchsetzung eines Interessens, welche den Interessen anderer zuwiderläuft. Man kann auch sagen, der Mensch hat innere Bedürfnisse und äussere Umstände. Und Gewalt entsteht aus einem Konflikt dieser beiden. Wenn die äusseren Umstände das Befriedigen wichtiger Bedürfnisse nicht erlauben oder Bedürfnisse entstehen, die das Umfeld in Gefahr bringen, so kann Gewalt entstehen. Dazwischen ereignen sich natürlich zahlreiche Zwischenschritte. Insbesondere bei Gewaltverhalten, welches seine Ursache in unbefriedigten sozialen Bedürfnissen hat (Vergewaltigung, Mord, Schlägereien, oft auch vorsätzliche Verkehrsdelikte usw.). Im Gegensatz zu unbefriedigten materiellen Bedürfnissen, wo Gewalt oft viel direkter zum Zug kommt (wenn ich Hunger habe und nicht anders an Nahrung komme, so stehle ich – die Tat ereignet sich unmittelbar nachdem das Bedürfnis aufgetreten ist) gibt es bei unbefriedigten sozialen Bedürfnissen oft viele Zwischenschritte, bis es zu einer Gewalthandlung kommt. (Ich werde benachteiligt, es entstehen Minderwertigkeitsgefühle, diese entwickeln sich zu Komplexen, ich muss wieder an Selbstwertgefühl kommen, mich beweisen, Macht ausüben – und erst jetzt werde ich gewalttätig. Das Bedürfnis, welches ich nicht befriedigen konnte, liegt aber unter Umständen Jahre zurück.) In jedem Fall weist aber Gewalt darauf hin, dass ein Bedürfniskonflikt vorliegt. Gewalt lässt sich somit nicht einfach als ein persönliches Problem des Täters abstempeln sondern muss als Konflikt zwischen ihm und seinem Umfeld gesehen werden.

[1] Jörg Bergstedt, Interview Seite 92

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