Campact

BOLO'BOLO (AUSZÜGE)

Die Schattenwirklichkeit


1. Der grosse Kater
2. Die drei Grundbestandteile der Maschine
3. Drei Deals in Krise
4. Der A-Deal: enttäuscht vom Konsum
5. Der B-Deal: frustriert vom Sozialismus
6. Der C-Deal: genug von der Entwicklung des Elends
7. Der Bankrott der Realpolitik
8. Die Schattenwirklichkeit
9. Substruktion
10. Dysko
11. Triko ... und: bolo'bolo - Grundrisse für ein Projekt
12. Fahrplan
13. ibu
14. bolo
15. sila
16. taku
17. kana
18. nima
19. kodu
20. yalu
21. sibi
22. pali
23. sufu
24. gano
25. bete
26. nugo
27. pili
28. kene
29. tega
30. fudo
31. sumi
32. asa
33. buni
34. mafa
35. feno
36. sadi
37. fasi
38. yaka
39. Anmerkungen
40. Sechs Jahre bolo'bolo
41. Abfahrt

Die Arbeits-Maschine hat die Welt für ihre Zwecke umgestaltet, sie hat uns selbst kolonisiert, bestimmt unsere Wünsche und raubt uns sogar mit der Realpolitik unseren Widerstand. Was bleibt uns noch? Warum sind wir nicht zufrieden? Was haben wir ihr an Eigenheiten noch entgegenzusetzen? Sind wir schon ein Teil von ihr geworden und werden wir ohne Bedauern mit ihr zusammen untergehen? Welchen Reichtum verteidigen wir gegen die Maschine und welche Reichtümer wollen wir durch ihre Demontage erwerben?

Die Entwicklung der Maschine ist die Geschichte der Zerstörung von Reichtum. Schon früh nahm sie uns die Zeit. Dann die Bewegungsfreiheit. Sie unterdrückte die Vielfalt der möglichen Geschichten und erzwang eine Weltgeschichte. Die Schrift zerstörte die mündlichen Epen, die zehntausende von Versen umfassten. (Es ist eine Lüge zu behaupten, die Schrift sei nötig wegen unseres beschränktes Gedächtnisses - wir haben es wegen ihr verloren.) Die Schamanen waren nutzlose Psychopathen. Sprachliche Vielfalt ist eine Hemmnis für die "Kommunikation". (In Wahrheit für die Befehlserteilung.) Die Maschine hat verdrängt, was wir waren, leugnet, was wir sind und will verhindern, was wir werden könnten. Ihr wichtigster Trumpf gegenüber uns ist unsere Hoffnung, die anderen Geschichten, die Schattenwirklichkeit, noch einmal realisieren zu können. Sonst hätten wir uns alle schon umgebracht.

Die einzige Chance, die wir gegen die Maschine haben, besteht darin, unsere Wünsche und Phantasien zu entdecken und auf ihnen zu beharren. Wir können sie entdecken in jenen "unausgefüllten" Augenblicken, wo die Maschine uns nicht im Griff hat, dann, wenn uns Ekel, Überdruss, Leere, befallen. Wir finden sie in dem, was die Maschine verdrängt und vernichtet hat. Wir können sie aus der Maschine selbst, im Negativ und verzerrt, herauslesen. Was die Maschine zerstört hat, hinterlässt Spuren in ihr. Es gibt eine zweite Wirklichkeit, genauso real wie die erste, die unsere Träume und Sehnsüchte enthält.

Die Maschine hat eine "Kultur" und ihr Zweck besteht gerade darin, diese zweite Wirklichkeit einzudämmen und abzutöten. Sie wird in Pakete abgefüllt und als Romane, Filme, Schallplatten, Kassetten verteilt und verkauft. Roman und Leben dürfen sich nicht vermischen. Romantiker und Realisten haben verteilte Rollen. Wir werden überschwemmt mit Utopien, Träumen, andern Welten, Abenteuern, seltsamen Zivilisationen, exotischen Riten, mit allem Denkbaren und Vorstellbaren. Jeder Versuch, selbst Wünsche zu formulieren, ist dem gegenüber lächerlich und überflüssig. Die Kultur der Maschine ist so kreativ, radikal, phantasievoll und vielfältig, wie wir es nur wünschen können. Wichtig ist die Wand, die sie vom Maschinen-Alltag trennt. Und die Vielfalt ist beliebig, anonym, gehört keinem und allen. Die Traumindustrie der Maschine läuft sich tot und betäubt uns.

Unsere Wünsche werden nicht nur verdrängt und eingesperrt, sie werden auch auf vielfache Weise zensiert: religiös, moralisch, wissenschaftlich. Ein häufiger moralischer Vorwurf ist jener des Egoismus. Reformpolitiker reden uns immer wieder ein, dass wir nicht einfach an uns denken dürfen, sondern für unsere Kinder eine bessere Welt schaffen müssten. Mit diesem Argument kann jede Art von Verzicht, Einschränkung und Unterwerfung gerechtfertigt werden. Wir sollen nicht an die Gegenwart denken, hart arbeiten, damit die Verhältnisse in 20 oder 30 Jahren besser sind. Das ist eine seltsame Logik. Sind es nicht gerade die Opfer unserer Elterngeneration, ihre harte Arbeit in den 50er und 60er Jahren, die uns das heutige Schlamassel beschert haben? Wir sind ja gerade jene Kinder, für die solche Opfer gebracht wurden. Zwei Kriege, Krise, Faschismus, Atombombe: das haben unsere Eltern "auf sich genommen". Hätten sie es doch bleiben lassen, wären sie doch egoistischer gewesen! Verzicht bringt nie eine Lösung, sondern führt nur wieder zu neuem Verzicht. Er endet in Verbitterung und zementiert den Kreislauf des Elends. Die "Kinder" werden so als Vorwand benutzt, unsere eigenen Probleme vor uns herzuschieben. Doch sicher: wenn es uns gelingt, die Maschine für uns zu demontieren, dann tun wir das auch "für" sie.

Ähnliches gilt in Bezug auf die Dritte Welt. Millionen Menschen verhungern, während wir verwöhnten Wirtschaftswunderkinder neue Wunschlisten aufstellen. Wie gerne hätten sie unsere Sorgen! Haben wir überhaupt ein Recht auf Wünsche, wo wir doch Komplizen der Ausbeutung der Dritten Welt sind? Sollten wir nicht zuerst unsere Schuld abtragen? Einige von uns sterben allerdings an Drogen, verüben Selbstmord oder werden psychisch krank. Zählt unser Elend nicht? Wie kann man messen, welches Elend grösser ist? Und vor allem: nützt unsere moralische Zerknirschung den Unterdrückten und Armen? Nein, gerade wenn wir nur handeln, weil es andern schlechter geht oder um das "Schlimmste" zu verhüten, werden wir das Schlimmste immer wieder herbeiführen. Wir werden immer nur auf den Druck der Maschine reagieren und ihren Initiativen ausgeliefert sein. Es ist nicht möglich, "zuerst" den C-Deal zu zerbrechen, weil er der "Schlimmste" ist und "nachher" die andern Deals anzugreifen. Entweder zerbrechen wir zusammen das ganze Spiel der Deals oder alle werden bestehen bleiben. Wenn wir nicht zu unserem A-Elend stehen und unsere Wünsche gegen die Maschine mobilisieren, dann stärken wir die Maschine und am meisten leiden darunter die C-Arbeiter.

Nachdem Kultur, Moral und Schuldgefühle nicht mehr genügen, um unsere Wünsche zu unterdrücken, hat die Maschine zu ihrem letzten Trick Zuflucht genommen: zur Erpressung mit der Apokalypse, dem atomaren Weltkrieg. Sie sagt uns: entweder ihr spurt oder ich begehe Selbstmord. Wenn Euch das Spiel nicht passt, sprenge ich Euch mit mir zusammen in die Luft. Die Maschine hat tatsächlich ausser ihrem Fortbestehen keinen Sinn zu verlieren. Es fällt ihr leicht, sich umzubringen. Und so funktioniert die Erpressung mit dem Atomkrieg. Welt unter gangs propheten flehen uns an, Alltagsprobleme zu vergessen, unsere Wünsche zu unterdrücken, denn die Menschheit als ganze stehe auf dem Spiel, die Art Homo Sapiens, die Natur usw. Der Friede wird ein Argument der Unterwerfung. Wir tun allerdings nichts gegen die apokalyptische Erpressung, wenn wir dagegen protestieren. Eher haben wir eine Chance, wenn wir der Maschine beweisen können, dass sich diese Erpressung nicht lohnt und dass wir nicht bereit sind, darauf einzugehen.

Was wir auch tun, die Tatsache bleibt bestehen, dass die Maschine sich und uns auslöschen kann. Die Flucht nach vorn ist tatsächlich dort angelangt, wo sie logischerweise enden musste: beim Tod. Die Maschine ist an einer Grenze angelangt und stellt uns die Frage: alles oder nichts? Eine Frage, auf die sie von uns keine Antwort bekommen wird. Das "Nichts" braucht uns durchaus nicht zu erschrecken. Wir sind mit dem Tod konfrontiert, ob es die Maschine nun gibt oder nicht. Und er wird dadurch nicht schrecklicher, dass ihn alle im gleichen Augenblick erleben, denn jeder stirbt für sich und nur ein Mal. Das "Nichts" ist heute eine Lebensweise unter anderen. Sie hat ihre eigene Philosophie (Nihilismus, Schopenhauer, Cioran, Buddhismus), ihre Mode (schwarz, karg), ihre Musik, ihre Treffpunkte, Filme usw. Wir können auch für die Apokalypse sein. Es gibt gute Argumente für Pessimisten, Zyniker, Nihilisten. Sie sind die eigentlich Grosszügigen, Freien und Glücklichen, weil sie den Lebenszwang hinter sich gelassen haben. Das Leben ist ohne den Tod nicht auszuhalten, die Welt ohne Weltuntergang ein Alptraum. Alles muss ein Ende haben und die Zeit läuft einmal aus. Doch solange wir da sind, ist das kein Grund, die Erpressung der Maschine anzunehmen.

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