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STRAFE - RECHT AUF GEWALT

Ich will nur das Beste für dich!


1. Eine gewaltfreie Welt ... und wie man das nicht erreicht
2. Von Gewalt, Kriminalität und was davor geschieht
3. Von Schuld und Verantwortung
4. Von Verbrechen und wie man sie verarbeitet
5. Von Sündenböcken und fragwürdigen Ursachen
6. Das Recht – wessen Recht?
7. Ich will nur das Beste für dich!
8. Von Rache und Gerechtigkeit
9. Die alles entscheidende Frage
10. Von Reformen und wie es sein sollte

Die Fürsorge ist meistens die Strafrechtfertigung der Menschen, die am nächsten am Akt der Bestrafung stehen. Ob in der Erziehung, in der Schule, in der Psychiatrie oder im Gefängnis – überall scheinen wir es mit Menschen zu tun zu haben, die „nicht ganz zurechnungsfähig“ sind. Sei es die fehlende Intelligenz oder Lebenserfahrung, eine körperliche oder geistige Benachteiligung oder ganz einfach Personen, die nicht mehr klar kommen in einem gefühlslosen, lebensfremden Umfeld.

Der Lehrer greift zur schlechten Note, zur Strafarbeit, zum Nachsitzen oder gar zum Ausschluss. Die Eltern verordnen Hausarrest oder Zubettgehen mit leerem Magen. Die Ärzte sperren Menschen in psychiatrische Anstalten. Die Richter in Gefängnisse. Oftmals geschieht dies nicht, weil ein sozialer Friede in Gefahr sei. Meist sind nicht einmal Drittpersonen in Gefahr. Es geschieht unter Umständen auch nicht aufgrund einer besonders üblen Tat. Sondern angeblich einzig „zum Wohle des Betroffenen“. Auch wenn der das nicht erkennen will.

Fürsorge ist nur ein Begriff dafür. Resozialisierung ein anderer. Es geht darum, den Menschen, der auf die schiefe Bahn geraten ist, wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ihm zu helfen. Und da der Betroffene bekanntlich „nicht mehr zurechnungsfähig“ ist, muss man ihn dazu zwingen, diese Hilfe anzunehmen. Ob man das denn dürfe, jemanden dazu zu zwingen, Hilfe annehmen, fragte ich Bundesstrafrichterin Sylvia Frei. Die Antwort blieb diffus: „Nein, wenn er sie nicht annimmt, lässt man ihn. Dann muss er unter Umständen ins Gefängnis.“[1] Die Frage, wem es zusteht, jemanden als unzurechnungsfähig zu bezeichnen, ergibt sich wohl.

Im Grunde genommen ist es die schwerste Entwürdigung eines Menschen. Jemanden zu entmündigen bedeutet, ihm das Recht abzusprechen, seine eigene Situation und die seines Umfeldes „richtig“ wahrzunehmen. Wenn für jemanden seine Situation unerträglich wird und er diese nicht aushält, wenn er daraufhin zu möglicherweise unüberlegten Handlungen greift, so wird er in seiner menschlichen Urteilsfähigkeit herabgestuft. Wahrscheinlich kann man eine solche Haltung nur mit dem Ziel rechtfertigen, eine herrschende Ordnung zu erhalten. Menschen, die aus dieser Ordnung herausfallen, mit ihr nicht zurecht kommen, durch Biegen und Brechen wieder in sie hineinzuzwängen. Im Namen der Mehrheit. Ansonsten im Namen der sinnlosen Gewalt. Aber bestimmt nicht im Namen des Betroffenen. Peter Zihlmann schrieb über seine ersten Erfahrungen mit Personen, die über den Fürsorgerischen Freiheitsentzug (FFE) in psychiatrische Anstalten zwangseingewiesen wurden:

Zu meiner Verwunderung stellte ich fest, dass die gleichen Zwangsmechanismen und Freiheitsentzüge gegenüber diesen Kranken wie gegenüber den Kriminellen stattfinden. Ich hatte erwartet und gehofft, dass in der Psychiatrie eine offenere und weniger menschenverachtende Atmosphäre herrschen würde. Es handelt sich ja schliesslich auch nicht um Täter, nicht um Schuldige, sondern um leidende, kranke Menschen. Weit gefehlt! Obwohl ich mich mit harmlosen Personen befasste, wurde ihnen in der Psychiatrie mit Zwang und Gewalt begegnet. Jetzt erst erfuhr ich, dass unsere Gesellschaft auf soziale Abweichung auch ungefährlicher Art, also auf jede soziale Abweichung aus welchem Grund sie auch erfolgt, ob schuldhaft oder nicht, äusserst allergisch und mit „gewaltiger Hilfe“ reagiert.[2]

[1] Siehe Interview, Seite 52

[2] Peter Zihlmann, Macht Strafe Sinn?, Schulthess 2002, S. 196

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