Demokratie

KNÄSTE MACHEN ALLES NUR SCHLIMMER!

Einleitung


1. Einleitung
2. Je höher die Strafe, desto mehr fördert sie Kriminalität
3. Illusion von Sicherheit
4. Knast-Zahlen
5. Zwangsarbeit
6. Engagement hinter Gittern? Perspektiven linker & antifaschistischer Politik hinter Gittern
7. Knast und Gewalt
8. Links
9. Buchvorstellungen zum Themenbereich

JVA Weiterstadt nach RAF-AnschlagAuch "Linke" rufen oft nach mehr Staat, auch wenn ihnen das manchmal nicht bewußt ist. Härtere Strafen für Vergewaltiger oder Nazis, Beschwerden über zu lasches Vorgehen von Bullen gegenüber Nazis usw. Das zeugt nicht nur von einer fehlenden Herrschaftskritik, sondern geht auch von einen weit verbreiteten Mißverständnis aus - nämlich daß Einknasten was hilft. Nirgendswo anders aber gibt es mehr Rassismus, Sexismus, Vergewaltigungen, Gewalt und Unterdrückung wie in Knästen. Gewalt erzeugt Gewaltverhältnisse. Gefängnisstrafen bedeuten nur, daß die draußen nichts mehr sehen von all dem.

Oscar Wilde, 1891, "The soul of man unter socialism", übersetzt: Der Sozialismus und die Seele des Menschen, Diogenes 2003 (S. 30 f.)
Wenn man die Geschichte erforscht, nicht in den gereinigten Ausgaben, die für Volksschüler und Gymnasiasten veranstaltet sind, sondern in den echten Quellen aus der jeweiligen Zeit, dann wird man völlig von Ekel erfüllt, nicht wegen der Taten der Verbrecher, sondern wegen der Strafen, die die Guten auferlegt haben; und eine Gemeinschaft wird unendlich mehr durch das gewohnheitsmäßige Verhängen von Strafen verroht als durch das gelegentliche Vorkommen von Verbrechen. Daraus ergibt sich von selbst, dass je mehr Strafen verhängt werden, um so mehr Verbrechen hervorgerufen werden, (und die meisten Gesetzgebungen unserer Zeit haben dies durchaus anerkannt und es sich zur Aufgabe gemacht, die Strafen, soweit sie es für angängig hielten, einzuschränken).
Je weniger Strafe, um so weniger Verbrechen. Wenn es überhaupt keine Strafe mehr gibt hört das Verbrechen entweder auf, oder, falls es noch vorkommt, wird es als eine sehr bedauerliche Form des Wahnsinns, die durch Pflege und Güte zu heilen ist, von Ärzten behandelt. ... Wenn das Privateigentum abgeschafft ist, wird es keine Notwendigkeit und keinen Bedarf für Verbrechen geben; sie werden verschwinden.


Aus einem Interview mit Christiane Ensslin, Klaus Junschke und Jörg Hauenstein, in: Junge Welt, 9.6.2007 (Beilage)
Mit der Stigmatisierung von Jugendlichen als unverbesserliche Intensivtäter oder gar Monsterkids soll von der Notwendigkeit der Gesellschaftsveränderung abgelenkt werden. Das ist ganz gut gelungen: Über zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler aller Parteien sind für die Abschiebung von straffällig gewordenen Migranten, und die Mehrheit ist für ein härteres Durchgreifen gegen die sogenannte Jugendkriminalität. Um dem etwas entgegenhalten zu können, müssen die kriminalisierten Jugendlichen aus ihrer Anonymität geholt werden. Ihre Erzählungen über ihre Entwicklung, über Schule und Freizeit verweisen auf die Herrschafts- und Machtzusammenhänge, um die es hier geht. Verkürzt gesagt: Die Reichen werden reicher und die Armen werden Knackis. ...
: Die Gefängnisse sind kein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern ein Zerrspiegel. Die Ärmsten der Armen sind darin überrepräsentiert, genauso wie die Jugendlichen ohne Schulabschluß und mit extremer Gewalterfahrung in der Kindheit. Soziologisch orientierte Kritiker der Gefängnisse sagten vor 200 Jahren, daß jede Gesellschaft die Kriminalität hat, die sie verdient. Da in unserer Gesellschaft nicht alle gleich reich und mächtig sind, muß man das schärfer fassen: Jede Gesellschaft hat die Kriminalität, die für die jeweilige Regierungsform und Machtstruktur nützlich ist. In der Kriminologie spricht man heute von "Governing through Crime", Regieren durch Kriminalität. Die allgemeine Unsicherheit durch die zunehmende soziale Polarisierung, durch Deregulierung und Privatisierung wird durch Politik und Medien in Kriminalitätsfurcht verwandelt. Der Wohlfahrtsstaat hat sich in einen strafenden Staat verwandelt. Der Staat läßt Teile der Jugendlichen verwahrlosen und bietet dann seinen Schutz vor ihnen an.


Aus James C. Scott: "Applaus dem Anarchismus" (S. 101)
Unter den schlimmsten Formen der „Institutionalisierung“ (der Begriff selbst ist diagnostisch) wie Gefängnissen, Anstalten für Geisteskranke, Waisenhäusern, Arbeitshäusern für die Armen, Konzentrationslagern und Altersheimen kommt es zu einer Persönlichkeitsstörung, die manchmal institutionelle oder Anstaltsneurose« genannt wird. Sie ist das direkte Ergebnis einer langzeitigen Institutionalisierung. Die darunter leiden sind apathisch, ergreifen keine Initiative, zeigen wenig Interesse an ihrer Umgebung, zeigen keine Initiative und Spontaneität. Weil sie kooperativ sind und keinen Ärger machen, erscheinen solche institutionellen Subjekte bei denen, die das Sagen haben, in einem vorteilhaften Licht, auch weil sie sich gut an die institutionelle Routine anpassen. In den schwerwiegendsten Fällen können sie kindisch werden, eine charakteristische Körperhaltung und Gangart zur Schau tragen (in den Konzentrationslagern der Nazis wurden solche Gefangenen, die dem Tod durch Entbehrung nahe waren, von den anderen Gefangenen „Musselmänner“ genannt) und sich reserviert und unnahbar geben. Dies sind institutionelle Effekte, hervorgerufen durch Kontaktverluste mit der Außenwelt, den Verlust von Freunden und Besitztümern und den Charakter der Macht, den das >)Personal« über sie ausübt.

Arthur Waskow, Institute für Policy Studies, 1972
Vergessen wir das Thema Reform; es ist an der Zeit, von der Abschaffung der Haftanstalten und Gefängnisse in der amerikanischen Gesellschaft zu reden. ... Man wird fragen: Abschaffung? Wo wollen Sie mit den Gefangenen hin? Mit den 'Verbrechern'? Was ist die Alternative? Erstens würden wir mit diesem Schritt, selbst wenn wir gar keine Alternative hätten, weniger Verbrechen erzeugen als es die heutigen Ausbildungsanstalten für Kriminalität tun. Zweitens besteht die einzige wirkliche Alternative im Aufbau einer Gesellschaft, die keine Gefängnisse braucht: Einer vernünftigen Umverteilung von Macht und Einkommen, um das Feuer des brennenden Neides zu löschen, das heute in Form von Eigentumsvergehen aufflammt - sowohl in den Einbruchsdelikten der Armen als auch den Betrügereien der Reichen. Und einem vernünftigen Sinn für Gemeinschaft, der diejenigen unterstützen, wieder integrieren und wahrhaft resozialisieren kann, die plötzlich von Wut oder Verzweifelung überwältigt werden, und dem es gelingt, sie nicht als Objekte - 'Verbrecher' - zu sehen, sondern als Menschen, die, wie so gut wie jeder von uns, gesetzwidrige Handlungen begangen haben.

Aus Heribert Prantl: "Reif für das Leben in Freiheit", in: SZ, 15.5.2012
Das Gefängnis ist ein gefährlicher Ort: Der Strafvollzug - so sagen das die Kriminologen - ist der Versuch, an Menschen, die man zu wenig kennt, unter Verhältnissen, die man zu wenig beherrscht, Strafen zu vollstrecken, um deren Wirkung man zu wenig weiß. ...
Die Sühne, die Sicherheit und die Abschreckung erhielten ein noch größeres Gewicht, als es im Gesetz eigentlich vorgesehen war; die Resozialisierung erhielt ein geringeres, als es hätte sein sollen. ...
Der Ziethener Kreis versucht sich an der schwierigsten Aufgabe, die es in der Rechtspolitik gibt: Er will einer skeptischen Bevölkerung erklären, dass mehr Anstrengungen bei der Resozialisierung der wirksamste Schutz seien, um sie "vor zukünftigen Straftaten Entlassener" zu schützen. Diese Erkenntnis zu vermitteln ist auch deswegen nicht einfach, weil Gefängnismauern nicht nur den Ausbruch der Gefangenen, sondern auch Einblick der Öffentlichkeit verhindern."

Der Ziethener Kreis ist eine Runde von Fachleuten aus dem Strafvollzug, hat ein 10-Punkte-Papier verabschiedet.

Aus der Studie von Rainer Danzinger u.a. (1977), "Der Weg ins Gefängnis", Beltz Verlag in Weinheim (S. 60ff)
Aber auch die Vorladung als Zeuge vor Gericht wegen eines Streites zwischen den Eltern, Besuche im Gefängnis oder in einer psychiatrischen Anstalt oder das Gerede der Nachbarn und Mitschüler ü ber derartige Vorfälle können nicht ohne Auswirkung auf das Selbstbild des Heranwachsenden bleiben. Er ist über die Auffälligkeit seiner Familie selbst auffällig geworden, wenn irgendwo etwas verschwindet, der als Sohn eines Vorbestraften als erster verdächtigt werden, als verwahrlostes Mitglied einer zerrütteten Familie wird er geradezu gedrängt, im Sinn einer "self fulfilling profecy" unangepaßte, störende oder kriminelle Handlungen zu setzen.
In den Kapiteln über frühe Verhaltensstörungen und öffentliche Erziehung konnte gezeigt werden, um wie viel häufiger der spätere Häftling Sanktionen von Lehrern, Fürsorgern und Polizeibeamten gesetzt war. Auf Grund von Daten aus dem nur Inhaftierten vorgelegten Fragebogenteils konnten wir feststellen, daß die Strafgefangenen durchschnittlich 2,7 Jahre unter Fürsorgeaufsicht gestellt werden und fast ein halbes Jahr in einem Erziehungsheim verbracht en, Solche Maßnahmen wurden über das Jugendgericht verhängt, entweder, in Folge unzureichender Obsorge oder schädigender Einwirkungen durch die Familie oder in Form einer Verurteilung des Betroffenen wegen einer strafbaren Handlung. Durchschnittlich erhieIten die Häftlinge 1,5 Jugendstrafen, die von 27% in der Jugendabteilung einer Männerstrafanstalt, von 14 % in der Bundeserziehungsanstlt Kaiserebersdorf, von 11 % in anderen Erziehungsheimen und von 4 % in der Jugendstrafanstalt Gerasdorf verbüßt wurden. …
Je häufiger es zu polizeilichen Festnahmen, Gerichtsverfahren, Verurteilungen und Freiheitsstrafen kommt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß damit der immer wieder kriminell etikettierte Unterschichtler unter verschärften Normalitätskriterien den Weg des geringeren Widerstandes in die kriminelle Karriere einschlägt.


Papst Franziskus in einer Rede am 23.10.2014 (Zitat aus der Übersetzung, ca. Mitte)
Die Folter wird nicht mehr nur als Mittel angewandt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie ein Geständnis oder die Denunziation – Praktiken, die für die Doktrin der nationalen Sicherheit kennzeichnend sind –, sondern sie stellen einen echten zusätzlichen Schmerz dar, der zu den Übeln, die die Inhaftierung mit sich bringt, noch hinzukommt. Auf diese Weise wird nicht nur in geheimen Internierungs- oder modernen Konzentrationslagern gefoltert, sondern auch in Gefängnissen, Jugendstrafanstalten, psychiatrischen Kliniken, Kommissariaten und anderen Strafanstalten.

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