Keine A49

UMWELT- UND MENSCHENFREUNDLICHE MOBILITÄT: DIE KONKRETEN VORSCHLÄGE

Grundsätze einer umweltfreundlichen und sozial gerechten Mobilität


1. Grundsätze einer umweltfreundlichen und sozial gerechten Mobilität
2. Verkehrsmittel Nr. 1: Bis zu 60 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad
3. Verkehrsmittel Nr. 2: Bahnen und Busse
4. Verkehrsmittel Nr. 3: Seilbahnen als Ergänzung
5. Fuß statt Auto - Ortszentren, sensible Zonen und barrierefreie Fußwege
6. Politik der kurzen Wege
7. Gute Anbindung bis in kleinste Gehöft/Dorf
8. Lasten- und Güterverkehr
9. Verkehrssysteme verknüpfen und intelligent steuern
10. Verkehrswende, Arbeitsplätze und Transformation der Autokonzerne

Nicht Appelle an das Umweltbewusstsein und die nervigen Moralpredigten für die Einzelnen, sondern das Angebot für eine umweltfreundliche Mobilität sind ausschlaggebend für das Verhalten derer, die sich fortbewegen wollen oder müssen. Wer Straßen, Parkplätze oder Ladesäulen baut, Autokauf bezuschusst und z.B. Dienstwagen subventioniert, muss sich nicht wundern, wenn die PKW- und LKW-Dichte steigt und steigt. Da dieser Zusammenhang bekannt ist, ist klar, dass Verkehrstote, -verletzte, eingeschränkte Lebensqualität, Lärm, Gestank, Flächenfraß und Klimawandel gewollt sind, d.h. bewusst Mensch und Umwelt dem Kapital geopfert werden.

Aus einem Referat von Frederic Vester: „Anforderungen an zukünftige Fahrzeuge: Pkw, Fahrrad, Lkw, Busse und Bahn“ (1990)
In einer 1989 erschienenen Dissertation kommt der Schweizer Verkehrsspezialist Eugen Meier zu dem klaren Schluss, dass eine Verkehrsinvestition grundsätzlich neuen Verkehr verursacht. [...] Denn das Verhalten der Menschen orientiert sich [...] am Angebot und kompensiert dann die erreichten Effekte. Anders als sonst in der Wirtschaft, wo die Nachfrage das Angebot regelt, regelt auch hier wieder das Angebot die Nachfrage. Werden mehr Wege angeboten, nimmt sie der Mensch an. Er hält sich sogar länger und öfters im Verkehr auf, sein übriges Zeitbudget schmilzt, die erhöhte Mobilität geht auf Kosten des sonstigen Handlungsspieltraums.

Die fünf Säulen der Verkehrswende
Verkehr vermeiden - für eine Politik der kurzen Wege
Wenn Menschen in Stadtteilen und Dörfern (wieder) Einkaufsmöglichkeiten, Kulturangebote, Arbeitsplätze, Arztpraxen usw. finden, fallen viele Wege weg. Das ist eine Frage der regionalen und kommunalen Planung.

Autofreie Ortszentren und sensible Zonen als Anfang ... und dann ausdehnen
Der Autoverkehr (motorisierter Individualverkehr) muss zurückgedrängt werden, zunächst aus den Innenstädten. Ortszentren und um Schulen, Kindergärten, Kliniken usw., dann aus Wohngebieten, am Ende überall. Die freiwerdenden Flächen werden dringend für andere Verkehrssysteme, Aufenthalts- und Spielflächen und Begrünung gebraucht.

Schienenverkehr stärken, Busse als Zubringer und Nulltarif
Mobilität muss für alle gleichermaßen möglich sein. Dafür bedarf es eines flächendeckenden, dichten Netzes an Bus- und Bahnlinien - und das zum Nulltarif. Ausgebaut werden sollen vor allem die fußgänger*innenfreundlichen und barrierefreien Straßen- und Seilbahnen, zumal die am meisten Menschen bewegen können. Busse mit klimafreundlichem Antrieb dienen als Zubringer von Haustür zu Bahn-/Tram-/Seilbahn-Haltestelle.

Netz von echten Fahrradstraßen
50 Prozent und mehr des Verkehrs per Fahrrad? Das ist möglich, wie Städte zeigen, die das Radfahren systematisch fördern. Fahrradstraßen sind das Rückgrat eines dichten und gut zu befahrenden Radwegenetzes.

Fußwege und autofreie Plätze schaffen und verbessern
Nicht vergessen werden dürfen die Wege zu Fuß: Genug Platz, verbunden mit angenehmen Aufenthalts- und Spielplätzen, barriere- und lärmfrei.

Aus Winfried Wolf (2019), "Mit dem Elektroauto in die Sackgasse" (S. 206)
Das Verkehrswendeprogramm, das hier entwickelt wird, ist radikal im Sinne von: es geht an die Wurzeln der bestehenden Autogesellschaft. Bei der Umsetzung der oben aufgeführten Elemente einer solchen alternativen Verkehrsorganisation und Mobilitätsstruktur, müsste sich die Zahl der Pkw und Lkw deutlich reduzieren - und zwar vor allem (und im Sinne von »Kehren vor der eigenen Tür«) in den westlichen Ländern. Die Struktur der verbliebenen Pkw dürfte sich erheblich verändern - weg vom privaten Auto und hin zu Car Sharing. Und natürlich ist in einem solchen Gesamtkonzeptvorstellbar, dass die meisten der verbliebenen Autos Elektro-Autos sind.


Und natürlich gilt: Keine Straßen mehr. Sofortiger Baustopp überall. Denn: "Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten!" Deutlich zeigte das der Fertigbau der A94 östlich von München. Kaum fertig, stiegen die Menschen von der Bahn aufs Auto um.

Das gilt auch für Umgehungsstraßen - jede neue Straße dieser Art führt zur Forderung nach Umgehungsstraßen ein paar Kilometer weiter!
Beispiel Hungen: Mehrere Jahre nach dem Bau der Hungener Umgebungsstraße ist der Verkehr auf der Zubringerstraße unerträglich geworden. Die Konsequenz: Zumindest die CDU in Hungen fordert die nächste Umgebungsstraße.Straßen sind keine Lösung, sondern das Problem.

Entscheidend wird ein Mix aus deutlich besseren Bedingungen bei Fuß, Fahrrad und ÖPNV und den Abbau der Bevorzugung des Autos. Sonst wird der Umstieg nicht gelingen.

Aus Sachs, Wolfgang (1990): "Die Liebe zum Automobil"
Wer aufs Autofahren verzichtet, für den ist nur gewiß, daß er einen Vorteil preisgibt, jedoch
ist keinesfalls sicher, ob andere seinem Beipiel folgen und damit erst der Schadensanfall ve1
mindert wird. Ja, wahrscheinlich ist sogar das Gegenteil: wenn die Zahl der Autos auf der
Straße sinkt, lohnt sich für andere das Autofahren wieder und der Verzichtler hat nichts bewirkt außer seiner Deklassierung!

Die Verkehrsmittel der Zukunft
Die Autos raus - am besten ganz. Das schafft den Platz für alles andere. Und das Geld. Und Ruhe, gefahrloses Radeln und Gehen.
Die Hauptverkehrsmittel sind Fahrräder sowie Busse&Bahnen. Busse brauchen in den Städten allerdings zu viel Platz. Außerdem schaffen sie deutlich weniger Fahrkäste pro Zeit und Platzbedarf. Günstig sind Straßenbahnen - schnell gebaut, kompatibel mit Fußgänger*innenzonen, kostengünstig auch mit dicht zusammenliegenden Haltestellen. Sie schaffen am meisten Fahrgäste dicht an die Zielorte heran. In der Variante der RegioTram nutzen sie regionale Bahnlinien, um auch die Umgebung der Städte mit einzubinden.
Interessant könnten Seilbahnen sein, die ebenfalls deutlich mehr Fahrgäste als Busse schaffen (allerdings weniger als Straßenbahnen), Seilbahnen gelten als besonders energieeffizientes strombetriebenes Verkehrsmittel mit geringen Schadstoffemissionen. Sie sind kostengünstig und vergleichsweise schnell zu errichten und erfordern aufgrund des automatischen Betriebs nur relativ wenig Personal (sagt Wikipedia. Einige Städte vor allem im globalen Süden setzen schon auf Seilbahnen, z.B. die bolivianische Hauptstadt La Paz (siehe dazu auf Wikipedia). Außerdem kollidieren sie gar nicht mit Fußgänger*innen und Radler*innen (siehe dazu unter anderem den Bericht im Stern).

Priorität: Flächen umverteilen statt neuer Asphalt!
Und: Umweltgerechte Ausgestaltung neuer Verkehrsmittel und -wege
Der Umbau von Verkehrssystemen weg vom Auto hin zu Fuß-, Rad- und öffentlichen Personenverkehr wird am Anfang neue Ressourcen verbrauchen, denn Wege müssen umverteilt, Infrastruktur verändert und dafür vieles umgebaut werden. Straßenbahnen und Busse werden neu beschafft usw. Danach verbessert sich die Umweltbilanz aber erheblich und die Lebensqualität steigt.

Erste Priorität ist die Umverteilung. Das Auto muss verdrängt werden, d.h. die Zahl schnell stark verringert und schließlich das System PKW/LKW ganz überwunden werden. Dann sind auch nicht mehr die gleichen Flächen für Straßen und Parkplätze nötig. Um neue Bodenversiegelung zu vermeiden, sollten bisherige Autostraßen und Stellflächen zu Fuß- und Fahrradbereichen werden.
  • Stopp des Baus von Straßen und möglichst kein Fahrradwegbau mehr
  • Umwidmung bisheriger Straßen in Fahrradstraßen
    • Innerörtlich als geschlossenes, dichtes Netz von Fahrradstraßen
    • Überörtlich durch Umwidmung bestehender zwischenörtlicher Verbindungsstraßen. Da fast jeder Ort über mehrere Straßenverbindungen mit dem Umlang angebunden ist, kann ein Teil entsprechend verändert werden (Fahrradstraße mit "Anlieger frei" und Unterbindung von Durchgangsverkehr). Das macht einige Autofahrten länger - aber damit auch unattraktiver, so dass ein Umstieg auf Fahrrad und ÖPNV erfolgt. Verkehrswende bedeutet, dass nicht weiter dem Auto immer und überall die besten Verbindungen angeboten werden.
  • Unnötige bisherige Flächen für Autos entsiegeln und begrünen.
  • Straßen- und Seilbahnen können neben PKWs und Güterverkehr auch Busse ersetzen. Zwischen den Schienen und drumherum kann es ergrünen oder, wenn als Fußweg genutzt, gepflastert werden. Regenwasser kann wieder versickern.

Aus "Warum die Verkehrswende scheitert", in: FAZ am 24.10.2021
Ein Dilemma muss die Verkehrsplanung allerdings überwinden. „Die Angst vor dem Verlust ist viel größer als die Freude über einen Gewinn“, sagt Jens Schade, das habe die Prospect-Theorie klar gezeigt. Nimmt man Autofahrern also eine Spur weg, droht Widerstand. Studien zeigen aber auch: Am größten ist dieser Widerstand kurz vor der Änderung, anschließend steigt die Akzeptanz. Verkehrsplaner brauchen also ein dickes Fell und einen langen Atem. Bloße Wissensvermittlung sei jedenfalls nicht ausreichend, um eine Wende einzuleiten, sagt der Verkehrspsychologe – und rät davon ab, zu zimperlich vorzugehen. „Man braucht harsche Methoden, um die Gewohnheiten zu durchbrechen“, sagt er.

Nur in wenigen Fällen müssen neue Verbindungen (vor allem für Fahrräder und zwischen einzelnen Orten oder als Lückenschluss) (aus-)gebaut werden. Dann entsteht ein Ressourcen- und Flächenverbrauch. Auch wenn der minimal ist gegenüber dem Autoverkehr - es lohnt sich, über die umweltfreundlichsten der jeweiligen Varianten nachzudenken.

  • Für den öffentlichen Personenverkehr sollen Fahrwege und Fahrzeuge möglichst umwelt- und sozialverträglich sein, also energiesparend, ohne geschlossene Beton- oder Asphaltdecken, das alles bei niedrigen Unfallgefahren.
  • Die Fahrradwege sind außerhalb der Hauptachsen als Spurbahnwege (zwei befestigte Fahrspuren, siehe Foto rechts) auszubilden, um die Flächenversiegelung gering zu halten.
  • Rund um die Wege und Verkehrsmittel bedarf es eines guten Services - angefangen von wetterfesten Unterständen bis zu Fahrradstellplätzen, Leihsysteme für besondere Fahrzeuge (z.B. Lastenräder).
  • Regionalzüge, insbesondere die RegioTrams, sollen um größere Fahrradabteile ergänzt werden, z.B. durch einen weiteren Wagen auf den kleinen Strecken mit großem Fahrradabteil.
  • Zur Frage der Krautbekämpfung auf Gleisen (Interview "Alternativen zur chemischen Keule", auf: Deutschlandfunk, 30.10.2002)

Konzepte und Ideen für eine emanzipatorische Verkehrspolitik

Thesen (verfasst in den 90er Jahren)
Eine neue kommunale Verkehrspolitik ist dringend notwendig
Die Städte und Gemeinden drohen an der täglichen Autolawine zu ersticken - längst ist der Autoverkehr in den Kommunen nicht mehr umwelt-, sozial- oder stadtverträglich. Eine Umkehr in der Verkehrspolitik gehört zu den dringendsten Aufgaben unserer Kommunen. Für Abwarten oder Scheinlösungen ist keine Zeit mehr.

Eine neue kommunale Verkehrspolitik ist möglich
Die Voraussetzungen für eine Wende in der kommunalen Verkehrspolitik sind günstig: Quer durch alle Bevölkerungs- und Interessengruppen ist die Bereitschaft groß; Vorschläge, Konzepte und Beispiele für konkrete Maßnahmen sind ausreichend vorhanden. Es könnte losgehen.

Oberstes Ziel: Verkehr vermeiden
Stadtentwicklung und Verkehrsplanung müssen künftig so aufeinander abgestimmt werden, daß verkehrserzeugende Siedlungsstrukturen und Verhaltensweisen geändert werden. Die beste Verkehrsplanung ist die, die Verkehr vermeidet.

Autoverkehr drastisch verringern
Alle Versuche, zugleich Autoverkehr und Öffentlichen Nahverkehr auszubauen, sind gescheitert: Ohne eine drastische Verringerung des Autoverkehrs auch mittels einschneidender Maßnahmen bleibt eine Verkehrssanierung der Städte Illusion. Das Instrumentarium für die Restriktionen ist vorhanden und vielfach erprobt.

Umweltverbund zum Hauptträger der urbanen Mobilität ausbauen
Nur der Umweltverbund aus Bahn, Bus, Fahrrad und Zufußgehen ist stadtverträglich. Er ist aus reichend leistungsfähig und in der Lage, binnen kurzer Zeit für alle eine hohe Mobilität auch ohne Auto zu garantieren.

Umweltverbund in die Region ausweiten
Ohne Einbeziehung des Umlandes und der Region sind die Verkehrsprobleme der Kommunen nicht zu lösen: Stadt und Region sind aufs engste miteinander verbunden. Der Umweltverbund muß auch die Region voll erschließen.

Güterverkehr in der Stadt neu organisieren
Auch der Güterverkehr ist in eine neue kommunale Verkehrspolitik zu integrieren - mit dem Ziel, den Warenverkehr stadtverträglich zu organisieren.

Offensiv für eine neue kommunale Verkehrspolitik werben
Nur in einer intensiven Zusammenarbeit mit der Bevölkerung kann es gelingen, ein neues Konzept einer stadtverträglichen Mobilität nicht als administrative Einschränkung, sondern als einen Gewinn an urbaner Lebensqualität zu verankern.

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