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ÖKONOMIE OHNE ZWANG UND UNTERDRÜCKUNG

Klarstellung: Emanzipation ist etwas anderes als (Neo-)Liberalismus


1. Herrschaftsfrei wirtschaften
2. Eine andere Produktionswelt ist möglich!
3. Klarstellung: Emanzipation ist etwas anderes als (Neo-)Liberalismus
4. Möglichkeiten und Grenzen dezentraler Wirtschaftsformen
5. Links und Materialien

Fanatiker des Rechtsstaates kritisieren den Wunsch nach Herrschaftsfreiheit, indem sie neoliberale Ideen mit anarchistische Entwürfen oder herrschaftsfreien Utopien gleichsetzen. Das ist verständlich als Propagandastrategie der StaatsfetischistInnen und -nostalgikerInnen in Linken oder SPD, attac und vielen anderen NGOs, bei Radikal- und BasisdemokratInnen. Tatsächlich aber ist die Gleichsetzung von Liberalisierungsprogrammen z.B. der Grünen oder der F.D.P. mit herrschaftskritischen Positionen ein Armutszeugnis an Analysefähigkeit. Zudem signalisiert sie den Erfolg der Neoliberalen, die erfolgreich ihren Durchmarsch als Zurückdrängen staatlicher Bevormundung propagieren - während sie gleichzeitig einen aufgerüstet repressiven Staat herbeisehnen, der ihnen die Folgen ihres Treibens vom Leib hält.

Das Bild links zeigt eine Anzeige der Industrie, dient also der Propaganda. Die Aussage verschleiert, dass Markt und Staat gar keine Gegensätze sind, sondern einander sogar bedingen. Die Ausrichtung aller Teile von Gesellschaft auf Profit und Verwertung verlief über staatliche Rahmensetzungen, und zwar sehr autoritäre. Der brutale Markt der gegenseitigen Ausbeutung wäre gar nicht denkbar ohne die Apparate des Staates, die Menschen jegliche Alternative entziehen und sie, mitunter wortwörtlich, als Rädchen in die große Maschine prügeln. Die wirtschaftliche Globalisierung wird von den Nationalstaaten und ihren Institutionen gemacht. Die Verschärfung der Arbeitsgesetze, der Abbau des Sozialen - alles geht von den Regierungen aus. Antreiber und Profiteure sind die Konzerne, aber der Staat ist der Macher. Hinzu kommt immer mehr Kontrolle, Überwachung, Bestrafung für die, die nicht den Normen gemäß handeln. Auch da agiert der Staat. Insofern sind Staat und Markt nicht Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Herrschaftsfreiheit wäre das Gegenteil von beidem. F.D.P. & Co. wollen gar nicht weniger Staat, sondern einen modernisierten. Die selbsternannten RetterInnen der Demokratie wollen mit ihrer Forderung nach mehr Staat auch vor allem Kontrolle. Nützen wird das den Herrschenden und u.a. den Konzernen. Wer Freiheit will, muss weniger Staat und weniger Markt anstreben. Oder am besten beides abschaffen!

Aus einem Interview mit Jan Rehmann, in: Junge Welt, 3.1.2008 (faulheit&arbeit, S. 1 f.)
Marx und Engels haben den Freiheitsbegriff ja keineswegs preisgegeben, sondern offensiv mit einer herrschaftsfreien "Assoziation" verbunden, in der "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist". Das geht sogar noch weiter als die Formel "Freiheit durch Sozialismus". Nicht nur ist persönliche Freiheit nur innerhalb eines Gemeinwesens möglich, sondern ein solches Gemeinwesen muss auch selbst auf der freien Entwicklung eines jeden basieren. Baruch Spinoza (1632–1677) hat den wichtigen Begriff der "potentia agendi" geprägt, den er als kooperative Handlungsfähigkeit versteht. Mit ihm ist es möglich, die Freiheit wieder mit gesellschaftlicher Kooperation und ihrer demokratischen Gestaltung zu verbinden.

Aus Ingolfur Blühdorn: "Zeitenwende: Auf dem Weg in eine andere Moderne", in: agora 42 Nr. 4/2024 (S. 28)
Die Verwirklichung des freien Individuums: Auf der Suche nach echter Emanzipation und wahrhafter Selbstbestimmung haben progressive Bewegungen jede Vorstellung eines Allgemeinen sowie eines angeblich kategorisch Verpflichtenden unter Herrschaftsverdacht gestellt. Sie haben sich stetig neue Subjekt- und Selbstverständnisse jenseits des disziplinierten, selbstbeherrschten Vernunftsubjekts erschlossen. So haben Freiheit und Selbstbestimmung inzwischen eine ganz andere Bedeutung als einst für die Bewegungen der sozial-ökologischen Transformation. Die alten Verständnisse von Autonomie, Mündigkeit und Verantwortlichkeit erscheinen heute fundamentalistisch und unzumutbar: als Grundlage für eine Verbotspolitik und Ökodiktatur. Was heute hingegen als unsere Freiheit und unsere Selbstbestimmung firmiert, ist eine Selbstzentrierung, die sich mit Scheuklappen von ihren eigenen Voraussetzungen und Konsequenzen abschirmt.

Ist Markt immer herrschaftsförmig?
Neo- und klassische Wirtschaftsliberale vergöttern den Markt als Mechanismus der Problemlösung. Dort werde optimal geregelt, dass die richtigen Güter produziert und an die Orte des Verbrauchs verteilt werden. Dem Schulbuchwissen nach geschieht das über Angebot und Nachfrage, in den nicht nur der Volksverdummung, sondern auch der Heranbildung von Arbeitskräften dienenden Disziplinen der Wirtschaftswissenschaften werden zwar komplexere Regelsysteme benannt, aber die Grundprinzipien bleiben.
Selbst unter alternativen Wirtschaftsvorschlägen kommen solche vor, die den Markt selbst gutheißen und sogar noch stärken wollen. Höhepunkte kreieren z.B. die FreiwirtschaftlerInnen, die den eigentlich guten Markt vom vermeintlich bösen Einflussfaktor Zins befreien wollen. "Umsatz, Umsatz, Umsatz" benennt ihr theoretischer Vordenker Silvio Gesell erstaunlich offen als Ziel dieser Maßnahme und zeigt damit, dass es nur um Detailkämpfe auf dem Weg zum gleichen Ziel geht.

Im Original: Markt: Ursache oder neutraler Raum?
Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 86 f.)
Was sich aus der Bejahung des Verhandelns nicht ableiten lässt, ist ein bedingungsloses Ja zu Märkten. Aus Sicht der freien Kooperation sind Märkte ambivalent. Märkte sind ein klassischer Ort von Verhandlungen. Märkte sind aber auch ein Instrument, sich Verhandlungen zu entziehen und aus konkreten Kooperationen auszubrechen. Die Utopie der modernen Ökonomie, die "unsichtbare Hand des Marktes", zielt genau darauf ab, einen abstrakten Mechanismus zu etablieren, der konkreten Verhandlungen konkreter Akteure weitestgehend entzogen ist. Der Markt als preisbildendes Abstraktum und einziges Wirtschaftsregulativ für sämtliche Produkte und Dienstleistungen widerspricht allen wesentlichen Aspekten des Verhandelns. Unter solchen Bedingungen können wir nicht mehr alles mit allem in einen Topf werfen; wir finden keine konkreten Gegenüber mehr, mit denen wir verhandeln könnten; wir können keinen Einfluss mehr auf die Regeln der Kooperation nehmen, weil wir die Kooperation als ganze nicht mehr zu einem vertretbaren Preis ablehnen können. Andererseits können Märkte auch einen positiven Beitrag zu freier Kooperation leisten. Märkte können uns unabhängig vom einzelnen Kooperationspartner machen. Sie können es erleichtern, eine konkrete Kooperation abzulehnen, weil wir im Wortsinne zum vergleichbaren Preis auf eine andere Kooperation wechseln können – sprich, bei jemand anders kaufen oder an jemand anders verkaufen, bei einer anderen Kooperation arbeiten oder uns jemand anderen für die eigene Kooperation suchen. Auch letzteres muss nichts Schlechtes sein: Das Gewicht eines Menschen mit spezifischen Fähigkeiten und Kenntnissen, die wir selbst nicht besitzen, könnte in einer Kooperation überstark werden, wenn wir nicht die Möglichkeit hätten, uns notfalls eine andere Fachkraft zu suchen.
Das Paradox löst sich, wenn wir wiederum auch Märkte als Kooperationen betrachten. Es sind allerdings spezifische Kooperationen. Ein Markt ist eine Dachkooperation, bei der grundsätzlich drei Gruppen von Beteiligten kooperieren: Erzeuger, Verbraucher und Marktbetreiber. Letztere stellen die Infrastruktur bereit und üben eine gewisse Regelaufsicht aus, ohne die kein Markt funktioniert. Innerhalb dieser Dachkooperation findet eine Vielzahl von Einzelkooperationen statt, nämlich Kaufvorgänge. Das Spezifische an diesen über den Markt vermittelten Einzelkooperationen ist, dass die Beteiligten weitgehend darauf verzichten, die Voraussetzungen der Kooperation selbst zu gewährleisten bzw. darüber zu verhandeln; sie erwarten dies von der Dachkooperation. Dadurch kann eine Vielzahl von (Einzel-)Kooperationen in sehr kurzer Zeit stattfinden.
Für kapitalistische Kooperation sind die Voraussetzungen der Kooperation, dass die Ware bestimmten Standards genügt und tatsächlich geliefert wird, dass bezahlt wird, und dass Kompensation geleistet wird, wenn eines davon nicht erfüllt ist. Für freie Kooperation sind die Voraussetzungen andere. Es sind die bekannten: dass die überkommenen Rechte und Regeln verändert werden können (also in diesem Fall die Regel der Kauf/Verkaufsbeziehung); dass die Beteiligten die Kooperation verlassen oder ihre Kooperationsleistung einschränken können, um Einfluss auf die Regeln zu nehmen (also nicht kaufen, nicht verkaufen oder nur beschränkte Mengen kaufen bzw. verkaufen); dass dies für alle zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis möglich ist. Dies muss der Markt als Dachkooperation leisten, weil die Einzelnen es nicht können (sonst wäre es kein Markt mehr).



Kapitalismus ist nicht effizient
Das Ziel kapitalistischen Wirtschaftens ist die Steigerung von Profit und die Erhöhung wirtschaftlicher Macht durch Akkumulation von Produktionsmitteln, welche dann über den ständigen Kreislauf der Verwertung wieder Profit schafft. Ein besseres Leben, die Versorgung der Menschen mit den Gütern des Lebens und des Überlebens ist kein Zweck dieses Wirtschaftssystems, sondern geschieht nur dann, wenn dadurch der Verkauf und damit der Profit gesteigert werden kann. Ist Verkauf nicht mehr rentabel, werden die Produkte vernichtet - auch wenn das Armut oder sogar Tod zur Folge hat (siehe Vernichtung von Lebensmitteln).
Das Ringen um Profit und wirtschaftliche Macht fördert Konkurrenz und Spaltung. Das Ganze ist nicht nur unmenschlich, sondern auch nicht, wie immer behauptet wird, effizient. Denn nun geht ein großer Teil der stofflichen Ressourcen und noch mehr der körperlichen und Denkkraft in Verteilungs- und Absicherungskämpfe. Riesige Sektoren kapitalistischer Wirtschaft wie Überwachung, Buchhaltung, Werbung und Ordnungsmittel (z.B. Justiz-, Polizei- und Armeeausrüstung) würden völlig überflüssig, wenn es nicht mehr gesellschaftliches Ziel wäre, Ressourcen, Privilegien und Wissen unter hohem Aufwand ungleich zu verteilen.

Ein beeindruckendes und bedrückendes Beispiel für die Konsequenzen kapitalistischer Wirtschaftslogik ist der Mangel an Antibiotika, der in den letzten Jahren immer breiter diskutiert wurde. Während in der (Massen-)Tierhaltung - aus Profitgründen! - massenweise Antibiotika eingesetzt werden und sogar zur Etablierung der - profitversprechenden! - Gentechnik per Forschungsmethode Antibiotika-Resistenzen per DNA-Code in der Welt verteilt wurden, geht das wichtige Arzneimittel immer mehr zur Neige. Grund: Kein ausreichender Profit ist zu erwarten. So wird deutlich, dass Profitinteressen dem entgegen stehen, was Mensch und Umwelt nützt.


Der Kapitalismus ist dabei nicht allein. Alle Herrschaftssysteme haben die Tendenz zur Spaltung, weil sie das Ringen um gesellschaftliche Ressourcen und Macht in einen Konkurrenzkampf münden lassen.


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