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KONSENS

Die Methode des Konsens


1. Einleitung
2. Die Methode des Konsens
3. Der Konsens als Waffe - Beispiele politischer Konkurrenzkämpfe
4. Beispiele
5. Links

Im Konsens (lateinisch Gemeinsinn) ist eine Entscheidung dann ergangen, wenn alle an ihr Beteiligten diese tragen. In kleinen Gruppen werden Entscheidungen oft durch einfaches miteinander Reden im Konsens getroffen, zur Findung eines Konsens in großen Gruppen gibt es Konsensabstimmungsverfahren. Dabei gibt es kein komplett einheitliches Vorgehen, aber deutliche Ähnlichkeiten.
So ist typisch, die Abstimmung über einen zur Abstimmung stehender und günstigstenfalls ausdiskutierter Vorschlag sogenannten "Konsensstufen" abzufragen. Jede Person kann ihre Stimme in eine dieser Stufen geben. Üblich sind vier. Die erste lautet "ich stimme vorbehaltlos zu", die zweite "ich stimme mit Vorbehalten zu". Als drittes gibt es eine Nein-Stimme ohne Sperrwirkung, also: "Ich stimme nicht zu, kann den Vorschlag aber akzeptieren und werde wahrscheinlich nichts zu dessen Umsetzung beitragen" (z.B. bei einer Aktion nicht mitmachen). Die vierte Stufe ist dann das, was den Konsens zu etwas Besonderem macht: das Veto.
Unklarheiten herrschen mitunter, wann ein Vorschlag als angenommen gilt. Einige achten nur auf das Veto. Andere kombinieren ausbleibendes Veto mit einer Mehrheit an Befürwortung, d.h. ein Vorschlag ist dann angenommen, wenn die Summe der Stimmen zu Stufe eins und zwei die Stimmen der Stufe drei überwiegt - und kein Veto eingelegt wurde. Wird ein Konsensvorschlag abgelehnt, so gilt weiter, was bisher galt. Das schafft eine Menge Probleme und Möglichkeiten der verdeckten Steuerung. Denn:
  • Alternativabstimmungen sind im Konsensverfahren nicht möglich. Das ist besonders bei Fragestellungen schwierig ist, bei denen bisher nichts gilt, eine alte Regelung Sinn oder Gültigkeit verloren hat oder (weitgehende) Einigkeit besteht, dass eine neue Entscheidung her soll.
    Außerdem wird oft nur zu einem Vorschlag abgestimmt. Welcher das ist, lässt sich in der Regel mit geringem Aufwand unauffällig arrangieren. Tatsächlich könnten oft mehrere Vorschläge einen Konsens erreichen. Durch die Abstimmung setzt sich aber nur der erstgenannte Vorschlag durch.
  • Ein Konsens beendet eine Debatte und blockiert zumindest mental die Weiterentwicklung in der Sache. Denn die Aufhebung eines Konsens ist nur im Konsens möglich. Die gleichen Menschen, die zuvor etwas beschlossen bzw. sich zumindest nicht energisch gegen etwas gewehrt haben, müssten jetzt, wieder im Konsens, d.h. alle, die Sache aufheben. Außerdem lässt die Erinnerung an die Zähigkeit von Konsensprozessen den einmal geschlossenen Konsens als unverrückbar erscheinen. Konsens bremst somit Entwicklung, Selbstentfaltung und bedeutet immer ein kleines Ende der Geschichte. Das ist sogar gewollt. Laut seinen VerfechterInnen "ist er im guten Sinne konservativ: Konsens verhindert abrupte Übergänge und dass Altes nicht von heute auf morgen über Bord geworfen wird. Dadurch werden organische, gesündere Übergänge gefördert".
  • Angesichts der Stärke des Vetos kommt der Fragestellung eine besondere Bedeutung zu. Ständig erkennbar wird das bei der Ausgrenzung unerwünschter Personen oder Themen. Ein Veto bedeutet das Ende des nicht Gewollten, wenn die Frage lautet: "Darf XV teilnehmen?" oder "Kann das und das stattfinden?" Würde die Frage andersherum gestellt, nämlich z.B. "Wollen wir XY ausschließen?", hätte das eine Veto gar keine Bedeutung mehr, würde zu einer banalen Ja-Stimme, während plötzlich das andersherum argumentierende Veto den Ausschlag gibt. Angesichts dieser entscheidenden Bedeutung des Stellens der Frage ist wenig überraschend, dass die jeweiligen Eliten oder dominanten Personen in Gruppen und Treffen hierauf ihr Hauptaugenmerk legen und die Formulierung der Fragestellung sowie die Wahl des ersten abzustimmenden Vorschlags (falls es mehrere gibt) keiner offenen Diskussion überlassen.
    Ein Sonderfall ist das Gegenveto - eine mit der Vetologik eigentlich nicht zu vereinbarende Methode, die Wirkung eines Vetos wieder in Frage zu stellen. Dabei wird, kommt es zu einem Veto, ein abstraktes Veto gegen das Nichtzustandekommen eines Beschlusses (bzw. gegen das Weitermachen ohne Beschluss) eingelegt. Auf solche Ideen kommen auch hier vor allem die Bewegungseliten selbst, die mit dem Prinzip Konsens ihre Machtspiele betreiben. Ein abenteuerliches Beispiel bot die Frage bei Xtausendmalquer, ob ein einschleimender Flyer an die Polizei verteilt werden sollte oder nicht (siehe unten).
  • Neben dem Veto lassen sich Abstimmungen auch auf andere Weise leicht manipulieren, etwa durch taktisches Redeverhalten, Antrag auf Schluss der Redeliste, nachdem sich fünf Personen der gleichen Meinung gemeldet haben usw. Das alles geschieht bei Mehrheit wie bei Konsens. Aber genau deshalb ist das Konsensverfahren ja keine wirkliche Alternative, wenn es um emanzipatorische Fortschritte geht.

Wie bei Mehrheitsentscheidungen blenden Konsensverfahren regelmäßig die Frage aus, ob überhaupt eine Entscheidung (aller) sinnvoll ist. Solches wäre nur dann der Fall, wenn alle von einer Entscheidung betroffen und an ihr interessiert sind, es also nicht möglich ist, dass verschiedene Gruppen einfach neben- oder nach freier Vereinbarung miteinander Verschiedenes tun, ohne dass andere sich in ihren Handlungen eingeschränkt fühlen. Fallen Entscheidungen darüber hinaus, hat Konsens mit Entscheidungsfindung von unten nicht zu tun, sondern ist im Gegenteil ein repressives Instrument, alle oder einen mehr oder weniger sinnvoll abgegrenzten Kreis zur Beschlussfassung über bestimmte Fragen zu bringen. Das beinhaltet Intoleranz gegenüber Minderheiten oder unterlegenden Teilen.Auf sie wird Druck ausgeübt, sich zumindest hinsichtlich des Abstimmungsbedürfnisses der Mehrheit oder Eliten anzuschließen, um einen Konsens zu erzielen, der dann auch ihre Gruppenidentität darstellt. Werden Konsensverfahren so angewendet, sind sie oft sogar problematischer als Mehrheitsentscheidungen, in denen die Minderheit bzw. unterlegene Gruppe als solche bestehen bleiben kann und sich wenigstens weiter als Opposition begreifen kann.
Um einen fairen Konsens erzielen zu können, müsste folglich zunächst ein Konsens darüber bestehen, ob überhaupt ein gemeinsamer Beschluss (dann durch Konsens) angestrebt werden soll. Das kann nur in freier Vereinbarung geschehen. Der übliche Zwang zu Versammlungen, Gremien oder Plena prägt bereits vorab in Richtung Zentralisierung und weg von einer Welt, in der viele Welten Platzen haben. Dadurch werden die Möglichkeiten einer Entscheidungsfindung von untenstark eingegrenzt - schon bevor es überhaupt in die Abstimmung geht. Das ist nicht durch die Verherrlichung bestimmter Verfahren zu heilen.

Im Original: Konservative Wirkung des Konsens ist gut
Aus "Gewaltfrei aktiv" Nr. 23 (Mai 2004, S. 2)
Die große Beachtung von Minderheiten und das Veto-Recht haben dem Konsensgedanken mitunter auch den Vorwurf eingehandelt, dass er "konservativ" sei. Tatsächlich ist er im guten Sinne konservativ: Konsens verhindert abrupte Übergänge und dass Altes nicht von heute auf morgen über Bord geworfen wird. Dadurch werden organische, gesündere Übergänge gefördert. ...
Alles wird gut ... informelle Hierachien verschwinden wie von Zauberhand (oder wollen nicht mehr wahrgenommen werden):
Keiner kann über die Köpfe der anderen hinweg entscheiden. ...
Und obwohl Konsens eine Form kollektiver Entscheidung ist, wird behauptet, dass das gerade Unterschiedlichkeit fördert:
Das Konsensverfahren schwört Organisationen und Grupenmitglieder nicht auf Uniformität ein, sondern gibt Raum für Vielfalt. JedeR kann sein, wie sie bzw. er ist, und sich auch so darstellen. Dass das Ganze nicht auseinanderfällt, dafür sorgt das Einvernehmen bei Entscheidungen, die dann auch von allen mitgetragen werden.

Zum Abstimmungsverfahren
Konsensverfahren werden auf vielen Aktionsvorbereitungen, Kongressen oder Camps gewohnheitsmäßig angewendet.. Das geht einher mit einer seltsamen Aufladung des Plenums als Ort der Konsensrituale. Dort wird entschieden, auch wenn keine Abstimmung aller nötig wäre. Darin unterscheidet sich Konsens kaum von einer Mehrheitsabstimmungen. Bei Beiden ist gleichermaßen entscheidend, ob eine Mehrheit dafür stimmt oder nicht (es sei denn, bei Konsens ist nicht einmal das nötig; das schafft dann aber nicht mehr Vielfalt, sondern macht die Minderheit auch formal zur dominanten Gruppe). Das Einlegen eines Vetos, beim Konsensverfahren immer als wichtiger Pluspunkt für das Verfahren behauptet, ist in der Praxis ziemlich schwierig, weil hier der/die Einzelne meist unter erheblichem Druck steht, sich der Mehrheit zu beugen statt eine Entscheidung zu blockieren. Begünstigt wird das durch den großen Unterschied zwischen Stufe drei und Veto. Während Stufe drei einer Akzeptanz der Mehrheitsmeinung gleichkommt und die Minderheit wirkungslos macht, wirkt das Veto durchschlagend. Es ist wegen der herausgehobenen Position, in die sich die Veto-Person begibt, wenig überraschend, dass es eher die Platzhirsche und Leitwölfe sind, die - neben ihrer informellen Macht - auch das Veto am schnellsten einsetzen, wenn es aus ihrer Sicht nötig ist.
Neben den weiteren, oben genannten Problemen wirkt Konsens - wie alle Abstimmungsverfahren - als Schlag gegen Vielfalt und Organisierung von unten, wenn es mit zentraler Entscheidungsfindung verbunden ist. Das wäre dann anders, wenn Konsens in einer organisierten Vielfalt Anwendung findet, d.h. jeweils nur die Menschen verbindet, die sich gerade beteiligen wollen - und die anderen auch nicht ungefragt dem Beschluss unterwirft. Die Existenz eines "Plenums" mit der Anmaßung, für etwas Gesamtes zu sprechen und zu entscheiden, ist in Kombination mit Konsens eine besonders stark hegemoniale Struktur.

Die Probleme, die mit der Idee des Konsens zusammenhängen, können nicht beseitigt, aber immerhin gemindert werden.
  • Vor jeder Abstimmung im Konsens muss geklärt werden (im Konsens), ob eine Abstimmung aller überhaupt erwünscht ist oder nicht, d.h. lieber z.B. zwei Gruppen unterschiedliche Aktionen machen. Zudem sollte vorher und separat das Abstimmungsverfahren geklärt werden.
  • Manipulationsmöglichkeiten bei Konsensverfahren müssen transparent gemacht werden. Das trifft besonders auf die Formulierung der Frage und auf den Trick des Gegenvetos zu. Zu Letzterem wäre vorteilhaft, wenn vorher überprüft wird, ob alle Anwesenden ein mögliches Veto überhaupt hinnehmen würden - sonst wäre es nichts als platte Propaganda der Gleichberechtigung.
    Zur Fragestellung gibt es Verfahren, aus denen die Abstimmungsvorschläge entstehen. Gut geeignet ist die Blitzlichtrunde, weil hier Vorschläge und Kompromisse offen von allen geäußert werden können. Anderenfalls ist es wichtig, dass Vorschläge und Kompromisse in kleineren Gruppen erarbeitet werden, die allen zugänglich sind, um zu vermeiden, dass nur Vorschläge von Leuten gemacht werden können, die sich trauen im Plenum zu reden. Konsensverfahren sind in größeren Gruppen umständlich, aber da wo ein Konsens unbedingt nötig ist (z.B. in konkreten Aktionsgruppen) eine naheliegende Entscheidungsfindungsmethode.
  • Die abschreckende Wirkung der Folgen, ein Veto einzulegen, müssen gemildert werden. Hier könnte eine fünfte Stufe zwischen Akzeptanz und Veto eingeführt werden, die als "Passt mir noch nicht! Nochmal beraten!" gewertet wird und zur Folge hätte, dass zumindest einmal zwischen denen die etwas wollen und denen, die das ablehnen, ein neuer Kompromiss gesucht wird.
  • Um den konservativen Zug des Konsensverfahrens aufzubrechen, empfiehlt sich eine Vorklärung, ob der Status Quo noch auf Zustimmung nach Konsenslogik trifft. Gilt das nicht, darf der Status Quo nicht per Vetorecht gestärkt werden können, sondern es müssen Alternativen diskutiert werden. Statt dogmatisch auf Konsensverfahren zu bestehen oder diese wie ein Naturgesetz als gegeben anzusehen, sollten sich alle Beteiligten auch mit anderen Abstimmungsverfahren wie Mehrheit oder Losen auseinandersetzen, um aus verschiedenen Möglichkeiten frei wählen zu können. Eine Einigung, dass im Falle bestehenbleibender Meinungsunterschiede nicht der Status Quo überlebt, sondern das Los entscheidet, kann Machtspiele begrenzen.

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