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RECHTSLEXIKON

Versammlungsgesetz


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Versammlungsgesetz


© 1997 bis heute * Rechtsanwaltskanzlei Tronje Döhmer, Bleichstr. 34, 35390 Gießen
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Stand: 22. Oktober 2012


Mindestens zwei Personen können eine durch Art. 8 GG geschützte Versammlung bilden!


Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366)

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§ 1 VersammlG
§ 2 VersammlG
§ 3 VersammlG
§ 4 VersammlG
§ 5 VersammlG
§ 6 VersammlG
§ 7 VersammlG
§ 8 VersammlG
§ 9 VersammlG
§ 10 VersammlG
§ 11 VersammlG
§ 12 VersammlG
§ 12a VersammlG
§ 13 VersammlG
§ 14 VersammlG
§ 15 VersammlG
§ 16 VersammlG
§ 17 VersammlG
§ 17a VersammlG
§ 18 VersammlG
§ 19 VersammlG
§ 19a VersammlG
§ 20 VersammlG
§ 21 VersammlG
§ 22 VersammlG
§ 23 VersammlG
§ 24 VersammlG
§ 25 VersammlG
§ 26 VersammlG
§ 27 VersammlG
§ 28 VersammlG
§ 29 VersammlG
§ 29a VersammlG
§ 30 VersammlG
§ 31 VersammlG
§ 32 VersammlG
§ 33 VersammlG

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Art. 8 GG Versammlungsfreiheit

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Leitsätze/Entscheidungen:

Gewahrsamsorgien beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten (EGMR, Urteil vom 01.12.2011 - 8080/08, 8577/08 - juris):

... VERFAHREN

1. Der Rechtssache lagen zwei Individualbeschwerden (Nrn. 8080/08 und 8577/08) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die zwei deutsche Staatsangehörige, S. ( der erste Beschwerdeführer") und G. ( der zweite Beschwerdeführer"), am 8. bzw. 11. Februar 2008 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ( die Konvention") beim Gerichtshof eingereicht hatten. Der Kammerpräsident gab dem Antrag des zweiten Beschwerdeführers vom 7. Juli 2010, seine Identität nicht offen zu legen, am 23. August 2010 statt (Artikel 47 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).

2. Der erste Beschwerdeführer wurde vor dem Gerichtshof zunächst von Frau U., Rechtsanwältin in Hamburg, und anschließend von Frau L., Rechtsanwältin in Berlin, vertreten. Der zweite Beschwerdeführer wurde vor dem Gerichtshof auch von Frau L. vertreten. Die deutsche Regierung ( die Regierung") wurde durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, Frau Ministerialdirigentin A. Wittling-Vogel vom Bundesministerium der Justiz, und den ständigen Vertreter ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn Ministerialrat H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

3. Die Beschwerdeführer brachten insbesondere vor, ihre Präventivhaft während eines G8-Gipfels, durch die sie daran gehindert worden seien, an Demonstrationen teilzunehmen, habe gegen Artikel 5 Abs. 1 sowie Artikel 10 und 11 der Konvention verstoßen.

4. Am 30. November 2009 entschied der Präsident der Fünften Sektion, die Regierung von der Beschwerde in Kenntnis zu setzen. Es wurde auch beschlossen, über die Zulässigkeit und die Begründetheit der Beschwerden gleichzeitig zu entscheiden (Artikel 29 Abs. 1).

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

5. Die Beschwerdeführer wurden beide 19.. geboren und sind in B. bzw. X. wohnhaft.

A. Hintergrund der Rechtssache

1. Die Einschätzung der Sicherheitslage durch die Behörden und die Sicherheitsmaßnahmen während des G8-Gipfels

6. Vom 6. bis 8. Juni 2007 fand in Heiligendamm in der Nähe von Rostock ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten statt.

7. Nach Auffassung der Polizei bestand während des Gipfels die Gefahr terroristischer Anschläge, insbesondere durch islamistische Gruppen. Darüber hinaus ging die Polizei unter Berücksichtigung der bei früheren G8-Gipfeln gewonnenen Erfahrungen von einer Gefahr objektbezogener Anschläge durch militante Linksextreme aus. Diese hätten geplant, gegen den Gipfel zu protestieren, ihn zu blockieren und zu sabotieren.

8. Die Polizei nahm an, dass etwa 25.000 Personen, von denen 2.500 gewaltbereit seien, an einer internationalen Demonstration am 2. Juni 2007 in Rostock teilnehmen würden, und dass während des Gipfels etwa 15.000 Demonstranten anwesend sein würden, von denen 1.500 gewaltbereit seien.

9. Am 2. Juni 2007 kam es im Stadtzentrum von Rostock zu schweren Ausschreitungen, an denen gut organisierte gewalttätige Demonstranten, die einem sogenannten schwarzen Block" zuzurechnen waren, beteiligt waren; diese griffen die Polizei mit Steinen und Baseballschlägern an. 400 Polizisten wurden verletzt.

10. Nach einer Presseveröffentlichung des Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern vom 28. Juni 2007 waren 17.000 Polizisten im Einsatz, um den störungsfreien Ablauf des G8-Gipfels sicherzustellen und die Gipfelteilnehmer vor Anschlägen durch Terroristen oder gewaltbereite Globalisierungsgegner zu schützen. Während des Gipfels seien 1.112 Freiheitsentziehungen in Gefangenensammelstellen erfasst worden. In 628 Fällen sei bei Gericht die Bestätigung des Gewahrsams beantragt worden; in 113 Fällen sei diese Bestätigung erfolgt.

2. Die Festnahme der Beschwerdeführer

11. Im Juni 2007 fuhren die Beschwerdeführer nach Rostock, um an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm teilzunehmen.

12. Am 3. Juni 2007 gegen 22.15 Uhr wurde die Identität der Beschwerdeführer auf einem Parkplatz vor der Justizvollzugsanstalt Waldeck von der Polizei überprüft; dort standen sie mit sieben anderen Personen neben einem Transporter. Auf dem Parkplatz befanden sich keine weiteren Personen. Die Polizei brachte vor, dass der erste Beschwerdeführer Widerstand gegen die Identitätsfeststellung geleistet habe. Er habe einem Polizeibeamten, der versucht habe, die Identität des zweiten Beschwerdeführers festzustellen, auf die Arme geschlagen. Er habe auch einem anderen Polizeibeamten gegen das Schienbein getreten, um die eigene Identitätsfeststellung zu verhindern. Die Beschwerdeführer brachten vor, der zweite Beschwerdeführer sei von der Polizei geschlagen worden, obwohl er seinen Personalausweis vorzeigebereit in der Hand gehalten habe. Die Polizei durchsuchte das Fahrzeug und fand eingerollte Transparente mit den Aufschriften freedom for all prisoners" sowie free all now". Die Beschwerdeführer wurden festgenommen. Die Transparente wurden anscheinend beschlagnahmt.

B. Das in Rede stehende Verfahren

1. Das Verfahren vor dem Amtsgericht

13. Mit zwei gesonderten Beschlüssen, die am 4. Juni 2007 um 4.20 bzw. 4.00 Uhr ergingen, ordnete das Amtsgericht Rostock nach persönlicher Vernehmung der beiden Beschwerdeführer deren amtlichen Gewahrsam bis längstens 9. Juni 2007, 12.00 Uhr, an.

14. Gestützt auf §§ 55 Abs. 1 Nr. 2a und 56 Abs. 5 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern - SOG M-V - (siehe Rdnrn. 37-38) befand das Amtsgericht, dass die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer rechtmäßig gewesen sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Da die Beschwerdeführer vor der Justizvollzugsanstalt Waldeck in einem Transporter aufgegriffen worden seien, in dem Gegenstände entdeckt worden seien, mit denen zur Gefangenbefreiung aufgerufen worden sei, sei anzunehmen gewesen, dass sie eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen würden.

15. Das Amtsgericht befand ferner, dass die Fortdauer der Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer unerlässlich und verhältnismäßig sei. In der Anhörung hätten die beiden Beschwerdeführer den Eindruck vermittelt, dass sie beabsichtigten hätten, die Straftat fortzusetzen. Da sie keine Angaben zur Sache gemacht hätten, hätten sie ihr Verhalten auch nicht rechtfertigen können.

2. Das Verfahren vor dem Landgericht

16. Am 4. Juni 2007 wies das Landgericht Rostock die sofortigen Beschwerden des ersten und zweiten Beschwerdeführers mit zwei gesonderten Beschlüssen zurück.

17. Das Landgericht bestätigte die Feststellung des Amtsgerichts, die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer sei nach § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V rechtmäßig gewesen. Indem die Beschwerdeführer im unmittelbaren Umfeld der JVA Waldeck nachweislich Transparente mit einer imperativen Aufschrift ( free" - befreien") mit sich geführt hätten, hätten sie zur Gefangenenbefreiung, die eine Straftat darstelle, auffordern wollen. Darüber hinaus habe der erste Beschwerdeführer dem Akteninhalt zufolge gegen Vollstreckungsbeamte Widerstand geleistet. Dem zweiten Beschwerdeführer sei seinerseits 2002 im Zusammenhang mit einem Castor1-Transport" ein gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr zur Last gelegt worden. Das Landgericht schloss sich überdies der Begründung des Amtsgerichts an, wonach die Fortdauer der Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer unerlässlich und angemessen sei.

3. Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht

18. Am 7. Juni 2007 wies das Oberlandesgericht Rostock die von den Beschwerdeführern anschließend erhobenen sofortigen weiteren Beschwerden zurück. In ihren Beschwerden hatten die anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer vorgebracht, dass die Transparente sich an die Polizei und die Behörden gerichtet hätten, die dadurch aufgefordert werden sollten, die zahlreichen Festnahmen und Ingewahrsamnahmen von Demonstranten zu beenden. Die Transparente hätten nicht darauf abgezielt, andere dazu aufzufordern, Gefängnisse zu stürmen und Gefangene gewaltsam zu befreien. Eine solche Auslegung müsse als lebensfremd angesehen werden, denn gewalttätige Gefangenenbefreiungen aus Gefängnissen habe es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nicht gegeben.

19. Das Oberlandesgericht bestätigte die Feststellung der Vorinstanzen, dass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V gegeben seien. Die Festnahme und Fortdauer der Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer sei zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unerlässlich gewesen. Das Transparent free all now" könne zusammen mit dem Transparent freedom for all prisoners" so gedeutet werden, dass zur Gefangenenbefreiung, die nach § 120 StGB (siehe Rdnr. 41) einen Straftatbestand erfülle, aufgerufen werde. Für die Polizei habe der begründete Verdacht bestanden, dass die Beschwerdeführer sich nach Rostock begeben und die Transparente bei den dort stattfindenden, teilweise gewalttätigen Demonstrationen zeigen würden. Damit hätte eine gewaltbereite Menge dazu bewogen werden können, in Gewahrsam genommene Personen zu befreien.

20. In Bezug auf den zweiten Beschwerdeführer seien die Voraussetzungen des §§ 55 Abs. 1 Nr. 2c SOG M-V (siehe Rdnr. 37) ebenfalls erfüllt gewesen. Der zweite Beschwerdeführer sei 2002 unter vergleichbaren Umständen wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr im Zusammenhang mit dem Transport von Castor-Behältern festgenommen worden. Ob er anschließend verurteilt worden sei, sei unerheblich.

21. Die Beschwerdeführer seien den Schlussfolgerungen der Gerichte nicht entgegengetreten und hätten sich nicht zur Sache eingelassen. Die Polizei habe die am 2. und 3. Juni 2007 in Rostock bestehende allgemeine Gefahrenlage berücksichtigen müssen. An diesen Tagen sei es in der Innenstadt zu äußerst gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei gekommen. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer sich durch Angriffe gegen Polizeibeamte selbst gewaltbereit gezeigt.

22. Das Oberlandesgericht war ferner der Auffassung, dass das Grundrecht der Beschwerdeführer auf freie Meinungsäußerung keine andere Schlussfolgerung rechtfertige. Es räumte ein, dass die Losungen auf den Transparenten mehrdeutig seien. Jedoch habe die Polizei in der in und um Rostock bestehenden angespannten Situation missverständliche Meinungskundgebungen, die zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hätten führen können, unterbinden dürfen.

23. Darüber hinaus sei die Dauer der Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer verhältnismäßig gewesen. Aus einem Bericht der Rostocker Polizei vom 6. Juni 2007 gehe hervor, dass sechs- bis zehntausend Globalisierungsgegner mit zum Teil hoher Gewaltbereitschaft sich in Richtung Heiligendamm bewegt und zur Stürmung des Dammes" aufgerufen hätten. Es habe nicht ausgeschlossen werden können, dass sich die Beschwerdeführer mit den Transparenten an diesen Demonstrationen beteiligen und damit andere Teilnehmer zur Gefangenenbefreiung aufstacheln würden.

4. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

24. Am 6. Juni 2007 erhoben die beiden Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht und beantragten den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel ihrer sofortigen Freilassung.

25. Die Beschwerdeführer rügten, dass ihre Ingewahrsamnahme insbesondere ihr Recht auf Freiheit und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt habe. Der zweite Beschwerdeführer machte ferner geltend, dass seine Ingewahrsamnahme gegen sein Recht auf Versammlungsfreiheit verstoßen habe. Die beiden Beschwerdeführer trugen vor, dass die Wertung, die Transparentaufschriften riefen andere Demonstranten auf, die Gefängnisse zu stürmen und die Gefangenen zu befreien, lebensfremd sei. Die Transparente hätten sich an die Polizei, die bereits viele Globalisierungsgegner festgenommen gehabt habe, an die Teilnehmer des G8-Gipfels und an die Allgemeinheit gerichtet und nicht zu gewalttätigen Handlungen aufgefordert. Die Beschwerdeführer hoben überdies hervor, dass sie nicht vorbestraft seien. Der zweite Beschwerdeführer trug insbesondere vor, dass das gegen ihn wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei.

26. Diese Beschwerden wurden anfangs unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1195/07 bzw. 2 BvR 1196/07 geführt. Am 8. Juni 2007 teilte der Bericht erstattende Richter des Bundesverfassungsgerichts den Bevollmächtigten der Beschwerdeführer telefonisch mit, dass das Bundesverfassungsgericht keine Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer einstweiligen Anordnung treffen werde.

27. Die Beschwerdeführer wurden am 9. Juni 2007 um 12.00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.

28. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer vom 6. Juni 2007 wurden nach ihrer Freilassung als erledigt betrachtet.

29. Obwohl sie mittlerweile freigelassen worden waren, beantragten die Beschwerdeführer am 6. Juli 2007 beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung, dass ihre Ingewahrsamnahme verfassungswidrig gewesen sei. Daraufhin wurden ihre Verfassungsbeschwerden neu registriert (2 BvR 1521/07 bzw. 2 BvR 1520/07).

30. Am 6. August 2007 lehnte es das Bundesverfassungsgericht mit zwei gesonderten Beschlüssen ohne Begründung ab, die Verfassungsbeschwerden des ersten und zweiten Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen (Az.: 2 BvR 1521/07 bzw. 2 BvR 1520/07).

31. Die Entscheidung wurde der Bevollmächtigten des ersten Beschwerdeführers am 14. August 2007 und der Bevollmächtigten des zweiten Beschwerdeführers am 13. August 2007 zugestellt.

C. Weitere Entwicklungen

32. Das gegen den ersten Beschwerdeführer wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bei der Feststellung seiner Personalien am 3. Juni 2007 eingeleitete Strafverfahren wurde gegen Zahlung eines Betrags von 200 Euro eingestellt. Das wegen derselben Straftat gegen den zweiten Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.

33. Die Beschwerdeführer brachten vor, einer der an ihrer Ingewahrsamnahme beteiligten Polizeibeamten sei später in einer anderen Angelegenheit der Körperverletzung im Amt schuldig befunden worden. Das Verfahren sei in der Berufungsinstanz noch anhängig. Die Regierung hat zu diesem Punkt nicht Stellung genommen.

34. Ein Strafverfahren wegen Aufforderung zur Gefangenenbefreiung wurde gegen die Beschwerdeführer nicht eingeleitet.

35. Am 20. Dezember 2007 verwarf das Oberlandesgericht Rostock die Anhörungsrügen der Beschwerdeführer.

36. Am 1. bzw. 3. Mai 2008 beschloss das BVG, die erneuten Verfassungsbeschwerden des ersten (2 BvR 538/08) und des zweiten Beschwerdeführers (2 BvR 164/08) nicht zur Entscheidung anzunehmen. In ihren Beschwerden hatten sich die Beschwerdeführer insbesondere auf ihr Recht auf Freiheit, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit berufen.

II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT

A. Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern ( das SOG M-V")

37. § 55 Absatz 1 SOG M-V, soweit maßgeblich, lautet:

Eine Person kann nur in Gewahrsam genommen werden, wenn dies
1. ... ;
2. unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern; die Annahme, dass eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann sich insbesondere darauf stützen, dass
a) sie die Begehung der Tat ankündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung sich führt;
...
c) sie bereits in der Vergangenheit aus vergleichbarem Anlass bei der Begehung von Straftaten [ ] angetroffen worden ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist [ ]"

38. Nach § 56 Abs. 5 SOG M-V hat die Polizei, wenn sie eine Person in Gewahrsam nimmt, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen. In der richterlichen Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer des Gewahrsams zu bestimmen; sie darf in den Fällen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 zehn Tage nicht überschreiten. Für die Entscheidung ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person in Gewahrsam genommen worden ist.

39. Nach § 52 SOG M-V können die Behörden zur Abwehr einer konkreten Gefahr eine Person von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten (Platzverweisung). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass diese Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr bis zu einer Dauer von zehn Wochen untersagt werden, diesen Bereich zu betreten.

40. Nach § 61 Abs. 1 SOG M-V kann eine Sache nur sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Nr. 1) oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie zur Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verwendet werden soll (Nr. 4).

B. Das Strafgesetzbuch (StGB)

41. Nach § 120 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder dabei fördert. Nach § 120 Abs. 3 ist der Versuch strafbar.

C. Die Strafprozessordnung

42. §§ 112 ff. StPO behandeln die Untersuchungshaft. Nach § 112 Abs. 1 StPO darf die Untersuchungshaft gegen einen Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. VERBINDUNG DER BESCHWERDEN

43. Da sich die beiden in Rede stehenden Individualbeschwerden auf zwei Verfahren beziehen, die denselben Gegenstand hatten, nämlich die Präventivhaft der Beschwerdeführer während des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm, beschließt der Gerichtshof, die Individualbeschwerden zu verbinden (Artikel 42 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).

II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABSATZ 1 DER KONVENTION

44. Die Beschwerdeführer rügten, dass ihre Präventivhaft während des G8-Gipfels Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt habe, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:

Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;

b) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung wegen Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;

c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern; ..."

45. Die Regierung bestritt dieses Vorbringen.

A. Zulässigkeit

46. Die Regierung war der Auffassung, dass die Beschwerdeführer die innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht dem Erfordernis aus Artikel 35 Abs. 1 der Konvention entsprechend erschöpft hätten. Sie hätten vor Erhebung der Individualbeschwerden keine Klage auf Entschädigung für ihre angeblich unrechtmäßige Freiheitsentziehung nach Artikel 5 Abs. 5 der Konvention erhoben. Die Regierung räumte ein, dass die Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer Ingewahrsamnahme von allen verfügbaren Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hätten. Ihr primäres Ziel - die Freilassung aus dem Gewahrsam - hätte sich nach ihrer Entlassung am 9. Juni 2007 erledigt. Danach hätten sie nur noch eine Ersatzleistung durch den Staat erlangen können.

47. Die Beschwerdeführer bestritten diese Auffassung. Sie hätten sowohl in dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit ihrer Ingewahrsamnahme vor den Rostocker Gerichten als auch gegenüber dem Bundesverfassungsgericht vorgebracht, dass ihre Ingewahrsamnahme gegen ihre Grundrechte verstoßen habe. Ein zivilgerichtliches Entschädigungsverfahren wäre nicht umfassend genug gewesen und es wäre auch kein wirksames Rechtsmittel gewesen, um eine zügige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit ihrer Ingewahrsamnahme zu erwirken und im Falle der Unrechtmäßigkeit dieser Freiheitsentziehung ihre Freilassung durchzusetzen. Darüber hinaus hätte eine Entschädigungsforderung keine Erfolgsaussichten gehabt, nachdem die Ingewahrsamnahme von den Rostocker Gerichten in dem in Rede stehenden Verfahren für rechtmäßig erachtet worden sei. Es sei kein einziger Fall bekannt, in dem die Zivilgerichte in einem Entschädigungsverfahren einer früheren Entscheidung der Gerichte über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung einer Person nicht gefolgt wären. Unter diesen Umständen seien die Beschwerdeführer nicht verpflichtet gewesen, zusätzlich zu dem Verfahren, mit dem sie die Rechtmäßigkeit ihrer Ingewahrsamnahme angefochten hätten, von einem weiteren Rechtsbehelf Gebrauch zu machen.

48. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Regel der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs nach Artikel 35 Abs. 1 der Konvention die Beschwerdeführer verpflichtet, zunächst von den ihnen nach ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung normalerweise zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen, die solcher Art sind, dass den behaupteten Verletzungen abgeholfen werden kann (siehe u. a. Akdivar u . a. ./. Türkei, 16. September 1996, Rdnr. 66, Urteils- und Entscheidungssammlung 1996-IV; und Aksoy ./. Türkei, 18. Dezember 1996, Rdnr. 62, Sammlung 1996-VI).

49. Nach der ständigen Rechtsprechung der Konventionsorgane ist eine Entschädigungsklage in einem Fall, in dem es um die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung geht, kein Rechtsbehelf, der erschöpft werden müsste, denn das Recht auf gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung und das Recht auf Erhalt einer Entschädigung für eine mit Artikel 5 nicht vereinbare Freiheitsentziehung sind zwei getrennte Rechte (siehe u. a. W?och v. Poland, Individualbeschwerde Nr. 27785/95, Rdnr. 90, ECHR 2000-XI; Belchev ./. Bulgarien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 39270/98, 6. Februar 2003; und Khadisov und Tsechoyev ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 21519/02, Rdnr. 151, 5. Februar 2009, mit weiteren Verweisen). In Artikel 5 Abs. 1 der Konvention geht es um das erstgenannte, und in Artikel 5 Abs. 5 um das letztgenannte Recht (Khadisov und Tsechoyev, a.a.O. Rndr. 151).

50. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführer vor dem Gerichtshof gerügt haben, dass ihre Präventivhaft während des G8-Gipfels Artikel 5 Abs. 1 verletzt habe, und dass sie die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Ingewahrsamnahme zuvor vor allen zuständigen innerstaatlichen Gerichten gerügt hatten. Nach seiner Rechtsprechung haben sie im Hinblick auf ihre Rüge nach Artikel 5 Abs. 1 den innerstaatlichen Rechtsweg daher erschöpft. Die Einrede der Regierung wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs ist daher zurückzuweisen.

51. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass diese Beschwerde nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Die Stellungnahmen der Parteien

a) Die Beschwerdeführer

52. Die Beschwerdeführer brachten vor, dass ihre Freiheitsentziehung im Zeitraum vom 3. bis 9. Juni 2007 gegen Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verstoßen habe. Sie sei nach keinem der Buchstaben dieser Bestimmung gerechtfertigt gewesen.

53. Die Beschwerdeführer brachten insbesondere vor, dass ihre Freiheitsentziehung nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt gewesen sei, weil dieser eine rein präventive Freiheitsentziehung nicht zulasse. Ihre Freiheitsentziehung sei nicht im Zusammenhang mit einem Strafverfahren erfolgt, wie dies gemäß der Auslegung dieser Bestimmung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderlich sei (sie bezogen sich u. a. auf Jec(ius ./. Litauen, Individualbeschwerde Nr. 34578/97, Rdnr. 50, ECHR 2000-IX). Dies werde dadurch belegt, dass ihre Freiheitsentziehung sich nicht auf § 112 StPO gestützt habe, der die Untersuchungshaft betreffe (siehe Rdnr. 42). Vielmehr hätten die Gerichte ihre Freiheitsentziehung auf §§ 55 und 56 SOG M-V gestützt; diese regelten die Präventivhaft, die nicht mit einem Strafverfahren in Verbindung stehe.

54. Darüber hinaus brachten die Beschwerdeführer vor, ihre Freiheitsentziehung habe nicht darauf abgezielt, sie unverzüglich einem Richter vorzuführen und wegen potentieller künftiger Straftaten vor Gericht zu stellen, wie dies nach Artikel 5 Abs. 3 i. V. m. Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c erforderlich sei. Auch habe nicht gemäß der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c begründeter Anlass zu der Annahme bestanden, dass die Freiheitsentziehung notwendig sei, um sie an der Begehung einer Straftat zu hindern. Ihre potentiellen Straftaten seien nicht, wie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderlich, mit einem angemessenen Maß an Spezifität insbesondere hinsichtlich des Ortes und der Zeit ihrer Begehung und ihrer Opfer beschrieben worden (sie beriefen sich u. a. auf M. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnr. 102, 17. Dezember 2009).

55. Die Beschwerdeführer brachten ferner vor, dass ihre Freiheitsentziehung auch nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b gerechtfertigt gewesen sei. Es habe keine gerichtliche Anordnung gegeben, die die Beschwerdeführer nicht erfüllt hätten. Sie hätten auch keiner Verpflichtung unterlegen, die sie nicht erfüllt hätten. Selbst wenn sie die in dem Lieferwagen beschlagnahmten Transparente gezeigt hätten, hätten sie keine Straftat begangen.

56. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer erfüllte ihre Freiheitsentziehung mangels Verurteilung" auch nicht die Anforderungen von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a.

57. Darüber hinaus sei ihre Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig" gewesen, wie nach Artikel 5 Abs. 1 erforderlich. § 55 Abs. 1 SOG M-V, auf den ihre Freiheitsentziehung gestützt worden sei, sei nicht so konkret gewesen, dass sie hätten vorhersehen können, dass sie wegen ihres Verhaltens mit einer Freiheitsentziehung zu rechnen hätten. Darüber hinaus sei die Bestimmung nicht korrekt angewandt worden. Es habe nichts darauf hingedeutet, dass die Beschwerdeführer im Begriff gewesen seien, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort eine bestimmte Straftat zu begehen. Selbst wenn man, obwohl die Beschwerdeführer selbst von den Polizisten geschlagen worden seien, annehme, dass der erste Beschwerde einem Polizeibeamten auf den Arm geschlagen und ihm ans Schienbein getreten habe, rechtfertige dies nicht die Schlussfolgerung, dass beide Beschwerdeführer dabei gewesen seien, eine weitere, ganz andere Straftat, nämlich die gewaltsame Befreiung von Gefangenen, zu begehen. Aber selbst wenn die Beschwerdeführer die Transparente gezeigt hätten, wäre dies in jedem Fall nicht unrechtmäßig gewesen. Die Aufschriften hätten nicht dazu aufgefordert, Gewalttaten zu begehen oder jemandem zu schaden. In diesem Zusammenhang betonten die Beschwerdeführer, ihre Rechtsanwältinnen hätten die verschiedenen möglichen Bedeutungen der Losungen auf den Transparenten sowohl in der Anhörung vor dem Landgericht als auch in der Begründung ihrer sofortigen weiteren Beschwerde erläutert.

58. Darüber hinaus sei die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer auch nicht unerlässlich gewesen, um eine unmittelbar bevorstehende gewaltsame Gefangenenbefreiung oder einen Aufruf zur Gefangenenbefreiung zu verhindern. Es habe nichts darauf hingedeutet, dass die Beschwerdeführer, die keine Werkzeuge bei sich gehabt hätten, die zur Befreiung von Gefangenen hätten dienen können, im Begriff gewesen seien, die Justizvollzugsanstalt Waldeck, eine Hochsicherungseinrichtung, anzugreifen. Auf dem Parkplatz habe es keine Menschenmenge gegeben, die man hätte dazu anstiften können, gewaltsam Gefangene dieser Justizvollzugsanstalt zu befreien. Die Annahme, die Beschwerdeführer könnten die Transparente bei einer nicht näher bestimmten Demonstration verwenden, an der eventuell gewaltbereite Personen teilnähmen, reiche für die nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V erforderliche Schlussfolgerung, die Begehung einer Straftat stehe unmittelbar bevor, nicht aus. Die Beschwerdeführer brachten weiter vor, dass entgegen dem Vorbringen der Regierung keines der innerstaatlichen Gerichte die Ansicht geäußert habe, die Beschwerdeführer selbst hätten beabsichtigt, gewaltsam Gefangene zu befreien. Die Gerichte hätten nur vorgebracht, es gebe Grund zu der Annahme, die Beschwerdeführer hätten beabsichtigt, andere dazu anzustiften.

59. Die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei auch willkürlich gewesen, denn sie sei zur Erreichung des verfolgten Ziels nicht notwendig gewesen. Die Polizei hätte den Beschwerdeführern einfach nach § 52 SOG M-V verbieten können, das Gebiet zu betreten, in dem die G8-Demonstrationen stattgefunden hätten (siehe Rdnr. 39). Alternativ hätten sie auch nach § 61 SOG M-V die Transparente beschlagnahmen können (siehe Rdnr. 40). Den Beschwerdeführern wäre dann bewusst gewesen, dass die Polizei die Losungen für unrechtmäßig halte. In Anbetracht der abschreckenden Wirkung einer solchen polizeilichen Maßnahme hätte entgegen dem Vorbringen der Regierung nicht davon ausgegangen werden dürfen, dass die Beschwerdeführer ähnliche Transparente neu hergestellt und benutzt hätten. Da es während der gesamten Woche des G8-Gipfels zu keinen weiteren gewalttätigen Demonstrationen gekommen sei, sei die sechstägige Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer unverhältnismäßig gewesen. Sie wiesen in diesem Zusammenhang weiter darauf hin, dass die sieben Weißrussen, die sich ebenfalls in dem Transporter befunden hätten, als die Beschwerdeführer festgenommen worden seien, und denen die Transparente ebenfalls hätten gehören können, nicht in Gewahrsam genommen worden seien.

b) Die Regierung

60. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer mit Artikel 5 Abs. 1 der Konvention vereinbar gewesen sei. Sie sei nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c als Freiheitsentziehung wegen begründeten Anlasses zu der Annahme, dass es notwendig sei, die Beschwerdeführer an der Begehung einer Straftat zu hindern, gerechtfertigt gewesen.

61. Die Regierung widersprach dem Vorbringen der Beschwerdeführer, die Präventivhaft sei nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c der Konvention nur im Zusammenhang mit einem Strafverfahren zulässig, ihre Freiheitsentziehung sei jedoch außerhalb eines Strafverfahrens erfolgt und die bis dahin begangenen Handlungen zur Vorbereitung der gewaltsamen Gefangenenbefreiung oder des Aufrufs dazu seien straffrei gewesen. Die Regierung brachte vor, dass die Präventivhaft nach dem Wortlaut der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt sei, wenn sie notwendig sei, um eine Personen an der Begehung einer konkreten und spezifischen Straftat zu hindern, die, wenn sie begangen würde, zu einem Strafverfahren führen würde. Es sei nicht erforderlich, dass die betreffende Person bereits eine Straftat begangen habe; andernfalls wäre es überflüssig, neben der ersten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c noch eine zweite Alternative aufzuführen. Artikel 5 Abs. 3 der Konvention sei im Lichte von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c dahingehend auszulegen, dass eine unverzügliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung erforderlich sei: Ein Strafverfahren sei nicht notwendig, da der Person keine Straftat zur Last gelegt werde.

62. Die Regierung brachte weiter vor, dass eine solche Präventivhaft in Deutschland erforderlich sei, da Vorbereitungshandlungen entgegen dem in anderen Vertragsstaaten der Konvention anwendbaren Strafrecht in Deutschland in der Regel nicht strafbar seien. Dies diene dazu, potentielle Straftäter von ihren Plänen, eine Straftat zu begehen, abzubringen. Ohne die Möglichkeit, Personen präventiv in Gewahrsam zu nehmen, könnte der Staat daher seine positive Verpflichtung, seine Bürger vor bevorstehenden Straftaten zu schützen - zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Transport von Castorbehältern oder bei Hooligans, die Vorbereitungen für eine geplante Schlägerei treffen - nicht erfüllen.

63. Unter Bezugnahme auf die Rechtssache Guzzardi ./. Italien (6. November 1980, Rdnr. 102, Band A Nr. 39) brachte die Regierung vor, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt gewesen sei. Bestimmte Tatsachen hätten die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass es notwendig gewesen sei, sie daran zu hindern, in der unmittelbaren Zukunft eine Straftat zu begehen. Die Beschwerdeführer seien einen Tag nach gewalttätigen Ausschreitungen in der Innenstadt von Rostock gemeinsam mit sieben anderen Personen auf einem Parkplatz vor der Justizvollzugsanstalt Waldeck bei einem Transporter stehend angetroffen worden. Der erste Beschwerdeführer habe bei der Identitätsfeststellung durch Polizeibeamte gewaltsam Widerstand geleistet. Die Polizei habe Transparente mit der Aufschrift freedom for all prisoners" und free all now" in dem Transporter gefunden. Unter diesen Umständen hätten die Polizeibeamten davon ausgehen dürfen, dass die Beschwerdeführer im Begriff seien, sich den in Rostock stattfindenden Demonstrationen anzuschließen und die Transparente den Demonstrationsteilnehmern, von denen einige gewalttätig gewesen seien, zu zeigen. Dies wäre einem Aufruf zur nach § 120 StGB strafbaren Gefangenenbefreiung gleichgekommen.

64. Die Regierung brachte vor, es könne als naheliegend angesehen werden, den Wortlaut des Transparents mit der Aufschrift free all now" eher als an andere Demonstranten gerichteter Aufruf zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung zu verstehen als im Sinne eines Appells an die staatlichen Stellen, ihre Freilassung anzuordnen. Der erste Beschwerdeführer habe gewaltsam Widerstand gegen die Identitätsfeststellung geleistet und gegen den zweiten Beschwerdeführer sei bereits wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr im Zusammenhang mit dem Transport von Castor-Behältern ermittelt worden. Daher sei anzunehmen gewesen, dass die Beschwerdeführer beabsichtigt hätten, den Gipfel mit gewaltsamen Mitteln zu stören und andere in Rostock anwesende gewalttätige Demonstranten dazu anzustiften, Personen, die in den in der Innenstadt errichteten Gefangenensammelstellen festgehalten oder während einer Demonstration festgenommen worden seien, gewaltsam zu befreien. Die Beschwerdeführer hätten in dem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten auch nicht dargelegt, dass die Aufschriften auf ihren Transparenten eine andere Bedeutung gehabt hätten.

65. Die Regierung brachte ferner vor, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b gerechtfertigt gewesen sei. Sie sei notwendig gewesen, um die Erfüllung einer gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung sicherzustellen. Im Hinblick auf die Umstände der Rechtssache sei es sicher, dass die Beschwerdeführer einer Meldeauflage, die sie verpflichtet hätte, sich in bestimmten zeitlichen Abständen bei einem Polizeirevier an ihrem Wohnort zu melden, oder einem Platzverweis, der es ihnen untersagt hätte, ein bestimmtes Gebiet zu betreten, nicht nachgekommen wären. Die Beschwerdeführer seien mehrere Hundert Kilometer gefahren, um zum Ort des G8-Gipfels zu kommen, und hätten bei der Identitätsfeststellung Widerstand geleistet. Somit hätten sie belegt, dass sie polizeiliche Aufforderungen nicht befolgen würden. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Ausnahmesituation sei es nicht erforderlich gewesen, zu warten, bis die Beschwerdeführer tatsächlich gegen eine solche Anordnung verstoßen hätten. Angesichts der Masse der anwesenden Demonstranten hätten die Beschwerdeführer dann nicht mehr von der Begehung von Straftaten abgehalten werden können. Daher konnten die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtung zur Befolgung einer solchen Anordnung und das Verhindern von konkreten Straftaten nur durch ihre sofortige Ingewahrsamnahme sichergestellt werden.

66. Nach dem Vorbringen der Regierung war die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nach der Anordnung des Gewahrsams durch das Amtsgericht auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a gerechtfertigt. Die Regierung brachte vor, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff Verurteilung" entgegen der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur strafrechtliche Verurteilungen, sondern auch richterliche Entscheidungen umfasse, mit denen Präventivhaft angeordnet werde.

67. Die Regierung brachte weiter vor, die Freiheitsentziehung sei rechtmäßig gewesen und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise erfolgt. Sie habe sich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V gestützt. Die Freiheitsentziehung des zweiten Beschwerdeführers, der 2002 wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr festgenommen worden sei, habe sich zusätzlich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2c SOG M-V gestützt.

68. Nach Auffassung der Regierung war der Gewahrsam der Beschwerdeführer auch verhältnismäßig und nicht willkürlich. Es hätten keine milderen Mittel zur Verfügung gestanden, um sie während der gesamten Dauer des G8-Gipfels an der Gefangenenbefreiung bzw. der Anstiftung dazu zu hindern. Wie bereits dargelegt worden sei (siehe Rdnr. 65), wäre eine Meldeauflage, die sie verpflichtet hätte, sich in regelmäßigen Abständen bei einem Polizeirevier außerhalb des G8-Bereichs zu melden, nicht ausreichend gewesen, um sie an der Begehung einer Straftat zu hindern. Aus denselben zuvor dargelegten Gründen wäre ein Platzverweis, mit dem es ihnen verboten worden wäre, ein bestimmtes Gebiet - das des G8-Gipfels - zu betreten, zur Abwehr der Straftat nicht geeignet gewesen. Dasselbe gelte für die Beschlagnahme der Transparente, die die Beschwerdeführer neu hätten herstellen können.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze

69. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass eine erschöpfende Liste zulässiger Gründe für die Freiheitsentziehung in Artikel 5 Abs. 1 Buchstaben a bis f enthalten ist und eine Freiheitsentziehung nur rechtmäßig sein kann, wenn sie von einem dieser Gründe erfasst wird (siehe u. a. Guzzardi ./. Italien, 6. November 1980, Rdnr. 96, Serie A Band 39; Witold Litwa ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 26629/95, Rdnr. 49, ECHR 2000-III; und Saadi ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 13229/03, Rdnr. 43, ECHR 2008- ).

70. Nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c kann die Freiheitsentziehung einer Person gerechtfertigt sein, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat zu hindern". Dieser Grund für die Freiheitsentziehung bietet den Vertragsstaaten lediglich ein Mittel zur Verhütung einer, insbesondere hinsichtlich des Ortes und der Zeit ihrer Begehung und ihres Opfers bzw. ihrer Opfer (siehe M. ./. Germany, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnrn. 89 und 102, 17. Dezember 2009), konkreten und spezifischen Straftat (siehe Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 102; Ciulla ./. Italien, 22. Februar 1989, Rdnr. 40, Serie A Band 148; und Shimovolos ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 30194/09, Rdnr. 54, 21. June 2011 (noch nicht endgültig)). Dies ergibt sich sowohl aus dem Gebrauch des Singulars ( einer Straftat") als auch aus dem Ziel von Artikel 5, nämlich sicherzustellen, dass niemandem willkürlich die Freiheit entzogen wird (siehe Guzzardi, a.a.O.; und M. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 89).

71. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs muss eine Freiheitsentziehung, mit der eine Person an der Begehung einer Straftat gehindert werden soll, zusätzlich zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde" erfolgen; diese Anforderung bezieht sich auf jede Kategorie der Freiheitsentziehung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c (siehe Lawless ./. Irland (Nr. 3), 1. Juli 1961, S. 51-53, Rdnr. 14, Serie A Band 3, und, sinngemäß, Jec(ius ./. Litauen, Individualbeschwerde Nr. 34578/97, Rdnrn. 50-51, ECHR 2000-IX, und Engel u. a. ./. die Niederlande, 8. Juni 1976, Rdnr. 69, Serie A Band 22).

72. Daher ist die Freiheitsentziehung nach Buchstabe c nur in Verbindung mit einem Strafverfahren zulässig (siehe Jec(ius, a.a.O., Rdnr. 50). Die Untersuchungshaft fällt unter diese Bestimmung (siehe Ciualla, a.a.O., Rdnrn. 38-40). Dies ergibt sich aus Wortlaut, der zusammen mit Buchstabe a sowie mit Absatz 3 zu betrachten ist und mit diesen zusammen ein Ganzes bildet (siehe u.a. Ciualla, a.a.O., Rdnr. 38; und E. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 77909/01, Rdnr. 35, 24. März 2005). Nach Artikel 5 Abs. 32 muss jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentzug betroffen ist, unverzüglich einem Richter vorgeführt werden - unter allen in Absatz 1 Buchstabe c erfassten Umständen - und hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist (siehe auch Lawless, a.a.O., S. 51-53; Rdnr. 14).

73. Darüber hinaus ist die Freiheitsentziehung nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b zulässig zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung". Diese Bestimmung erfasst die Fälle, in denen es gesetzlich zulässig ist, einer Person die Freiheit zu entziehen, um sie dazu zu zwingen, eine ihr bereits obliegende tatsächliche und konkrete Verpflichtung zu erfüllen, der sie bisher noch nicht nachgekommen ist (Engel und andere, a.a.O., Rdnr. 69; Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 101; Ciulla, a.a.O., Rdnr. 36; und E., a.a.O., Rdnr. 37). Festnahme und Freiheitsentzug müssen erfolgen, um die Erfüllung der Verpflichtung zu erzwingen, und dürfen keinen Strafcharakter aufweisen (siehe Gatt ./. Malta, Individualbeschwerde Nr. 28221/08, Rdnr. 46, ECHR 2010- ). Sobald die entsprechende Verpflichtung erfüllt wurde, entfällt die Grundlage für die Freiheitsentziehung nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b (Vasileva ./. Dänemark, Individualbeschwerde Nr. 52792/99, Rdnr. 36, 25. September 2003; und E., a.a.O., Rdnr. 37). Diese Bestimmung rechtfertigt beispielsweise nicht die administrative Freiheitsentziehung, mit der eine Person gezwungen werden soll, ihre allgemeine Verpflichtung zur Befolgung der Gesetze zu erfüllen (Engel u. a., a.a.O, Rdnr. 69). Schließlich muss zwischen der Bedeutung, die der Sicherstellung der sofortigen Erfüllung der fraglichen Verpflichtung in einer demokratischen Gesellschaft zukommt, und der Bedeutung des Rechts auf Freiheit ein Ausgleich herbeigeführt werden (Vasileva, a.a.O, Rdnr. 37; und E., a.a.O., Rdnr.37).

74. Im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a ist der Begriff Verurteilung" (englisch: conviction") unter Berücksichtigung des französischen Textes ( condamnation") so zu verstehen, dass er sowohl eine Schuldfeststellung bezeichnet, nachdem das Vorliegen einer Straftat in der gesetzlich vorgesehenen Weise festgestellt wurde (s. Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 100), als auch die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme (siehe Van Droogenbroeck ./. Belgien, 24. Juni 1982, Rdnr. 35, Serie A Band 50; und M. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 87).

b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache

75. Der Gerichtshof hat zunächst darüber zu entscheiden, ob die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer nach § 55 Abs.1 Nr. 2 SOG M-V, mit der diese an der Begehung einer Straftat gehindert werden sollten, von einem der in Artikel 5 Abs. 1 Buchstaben a bis f aufgeführten Gründe für die Freiheitsentziehung erfasst wird.

76. Der Gerichtshof weist auf das Vorbringen der Regierung hin, die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei zunächst nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt gewesen. Darüber hinaus stellt er fest, dass die Beschwerdeführer dadurch, dass sie im Besitz zusammengerollter Transparente mit den Aufschriften freedom for all prisoners" und free all now" waren, noch keine Straftat begangen hatten und ihnen danach niemals eine Straftat des Aufrufs zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung zur Last gelegt wurde. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Ihre Freiheitsentziehung ist daher nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c - Freiheitsentziehung wegen begründeten Anlasses zu der Annahme, dass es notwendig sei, die Beschwerdeführer an der Begehung einer Straftat zu hindern - zu prüfen.

77. Bei der Entscheidung darüber, ob die Straftat, an deren Begehung die Behörden die Beschwerdeführer zu hindern versuchten, als hinreichend konkret und spezifisch angesehen werden kann, wie dies nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs insbesondere hinsichtlich des Ortes und der Zeit ihrer Begehung sowie ihres Opfers bzw. ihrer Opfer erforderlich ist (siehe Rdnr. 70), stellt der Gerichthof fest, dass die innerstaatlichen Gerichte hinsichtlich der spezifischen Straftat, die zu begehen die Beschwerdeführer im Begriff waren, anscheinend unterschiedlicher Auffassung waren. Das Amtsgericht Rostock und die Landgerichte waren anscheinend der Ansicht, dass die Beschwerdeführer mit Hilfe der beschlagnahmten Transparente beabsichtigt hatten, andere dazu anstiften, Gefangene der Justizvollzugsanstalt Waldeck gewaltsam zu befreien (siehe Rdnrn. 14 und 17). Dies wurde daraus geschlossen, dass sich die Beschwerdeführer auf dem Parkplatz vor dieser Justizvollzugsanstalt aufhielten, wo sich jedoch außer den sieben Insassen des Transporters sonst niemand aufhielt (siehe Rdnr. 12). Im Gegensatz dazu war das Oberlandesgericht Rostock der Auffassung, die Beschwerdeführer hätten nach Rostock fahren, die Transparente bei den dort stattfindenden teilweise gewalttätigen Demonstrationen zeigen und somit die in Rostock anwesende Menge zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung anstiften wollen (siehe Rdnr. 19).

78. Zusätzlich kommt der Gerichtshof bei der Entscheidung darüber, ob die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer wegen begründete[n] Anlasses zu der Annahme, dass es notwendig" sei, sie daran zu hindern, andere zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung anzustiften, nicht umhin, festzustellen, dass den Beschwerdeführern fünfeinhalb Tage lang, also für einen beträchtlichen Zeitraum, zu präventiven Zwecken die Freiheit entzogen war. Darüber hinaus konnten, wie das Oberlandesgericht ebenfalls eingeräumt hat (siehe Rdnr. 22), die Aufschriften auf den Transparenten unterschiedlich interpretiert werden. Die Beschwerdeführer, die in dem Verfahren anwaltlich vertreten waren, hatten erläutert, dass die Losungen sich an die Polizei und die Behörden gerichtet hätten, die dadurch aufgefordert werden sollten, die zahlreichen Ingewahrsamnahmen von Demonstranten zu beenden, und nicht dazu dienen sollten, andere zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung aufzufordern. Es ist auch unstreitig, dass die Beschwerdeführer selbst keine Werkzeuge mit sich führten, die zu einer gewaltsamen Gefangenenbefreiung hätten dienen können. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof nicht überzeugt, dass ihre fortdauernde Freiheitsentziehung wegen begründeten Anlasses zu der Annahme, es sei notwendig, die Beschwerdeführer an der Begehung einer hinreichend konkreten und spezifischen Straftat zu hindern, als notwendig angesehen werden kann. Der Gerichtshof ist auch deswegen nicht davon überzeugt, dass es notwendig war, den Beschwerdeführern die Freiheit zu entziehen, da es in jedem Fall ausgereicht hätte, die fraglichen Transparente zu beschlagnahmen, um die Beschwerdeführer auf mögliche negative Folgen hinzuweisen und sie daran zu hindern, andere - fahrlässig - zur Gefangenenbefreiung anzustiften.

79. Der Gerichtshof nimmt darüber hinaus auf seine ständige Rechtsprechung Bezug, nach der die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nur dann nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c zu rechtfertigen wäre, wenn sie den Zweck verfolgt hätte, sie im Verlauf ihrer Untersuchungshaft der zuständigen Gerichtsbehörde vorzuführen, und darauf ausgerichtet gewesen wäre, sie einem Strafverfahren zuzuführen (siehe Rdnrn. 71 - 72). In Anbetracht seiner bereits getroffenen Feststellung, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache begründeterweise nicht als notwendig angesehen werden konnte, hält der Gerichtshof es jedoch nicht für erforderlich, auf die detaillierten Vorbringen der Parteien zu diesem Punkt, insbesondere die Argumente der Regierung, mit denen für eine Überprüfung der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs plädiert wird, einzugehen.

80. Demnach war die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt.

81. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die Regierung vorgebracht hat, die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b zur Erzwingung einer gesetzlichen Verpflichtung" gerechtfertigt gewesen. Die Beschwerdeführer wären weder eine Meldeauflage, die sie verpflichtet hätte, sich in bestimmten zeitlichen Abständen bei einem Polizeirevier an ihrem jeweiligen Wohnort, noch einem Platzverweis, der ihnen verboten hätte, das Gebiet zu betreten, an dem die Demonstrationen anlässlich des G8-Gipfel stattgefunden hätten, nachgekommen. Es sei daher gerechtfertigt gewesen, durch ihre Ingewahrsamnahme sicherzustellen, dass sie eine derartige Anordnung einhielten. Diesbezüglich kommt der Gerichtshof nicht umhin, festzustellen, dass die Polizei den Beschwerdeführern tatsächlich weder die Anordnung erteilte, sich in regelmäßigen Abständen bei einem Polizeirevier an ihrem Wohnort zu melden, noch ihnen verbot, das Gebiet zu betreten, in dem die G8-Demonstrationen stattfanden. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b der gesetzlichen Verpflichtung" unterlegen hätten, sich bei einem Polizeirevier zu melden oder das Gebiet der G8-Demonstrationen nicht zu betreten, und diese Verpflichtung nicht erfüllt hätten.

82. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Regierung weiter vorbrachte, den Beschwerdeführer sei nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b die Freiheit entzogen worden, um sicherzustellen, dass sie ihrer Verpflichtung nachkommen würden, eine bestimmte Straftat - die Anstiftung anderer Personen zur Gefangenenbefreiung - nicht zu begehen. Diesbezüglich nimmt der Gerichtshof auf seine bereits erwähnte Rechtsprechung Bezug, die besagt, dass die gesetzliche Verpflichtung" im Sinne der genannten Bestimmung real und spezifisch und der betreffenden Person bereits auferlegt sein muss und dass diese Person die Verpflichtung zum Zeitpunkt des Freiheitsentzugs noch nicht erfüllt haben darf (siehe Rdnr. 73). Er stellt fest, dass die Beschwerdeführer nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V in Gewahrsam genommen wurden, der die Ingewahrsamnahme erlaubt, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung [ ] einer Straftat", wie beispielsweise einer Straftat nach § 120 StGB, zu verhindern" (siehe Rdnr. 37). Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Verpflichtung, in unmittelbarer Zukunft keine Straftat zu begehen, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht als hinreichend konkret und spezifisch angesehen werden kann, um unter Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b zu fallen, zumindest nicht, solange keine Anordnung spezifischer Maßnahmen erging und dieser nicht Folge geleistet wurde. Er stellt in diesem Zusammenhang erneut fest, dass eine weite Auslegung von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b Auswirkungen hätte, die mit dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar wären, der die gesamte Konvention geprägt hat (siehe Engel u. a., a.a. O., Rdnr. 69). Darüber hinaus kann nicht vorgebracht werden, dass die Beschwerdeführer ihrer Verpflichtung, keine derartige Straftat zu begehen, zu einem früheren Zeitpunkt nicht nachgekommen wären. Die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer war daher auch nicht von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b erfasst.

83. Der Gerichtshof nimmt weiter zur Kenntnis, dass die Regierung vorbrachte, die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei nach dem Beschluss des Amtsgerichts, mit dem es den Gewahrsam der Beschwerdeführer nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V anordnete, auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a gerechtfertigt gewesen. Sie brachte vor, dass diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach auch gerichtliche Entscheidungen, mit denen Präventivhaft angeordnet werde, umfasse. Der Gerichtshof nimmt jedoch auf seine ständige Rechtsprechung Bezug, nach der eine Verurteilung" unter Berücksichtigung des französischen Textes ( condamnation") so zu verstehen ist, dass sie die Feststellung einer Schuld für eine Straftat beinhaltet (siehe Rdnr. 74). Er stellt fest, dass die innerstaatlichen Gerichte die Beschwerdeführer in dem in Rede stehenden Verfahren keiner Straftat schuldig gesprochen haben. Vielmehr ordneten sie ihre Freiheitsentziehung an, um sie daran zu hindern, in der Zukunft eine Straftat zu begehen. Somit fiel ihre Freiheitsentziehung nicht unter Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a.

84. Der Gerichtshof ist der Auffassung - und dies wird von den Parteien nicht bestritten - dass die Präventivhaft der Beschwerdeführer auch nach keinem anderen der Buchstaben von Artikel 5 Abs. 1 gerechtfertigt war.

85. Der Gerichtshof nimmt weiter zur Kenntnis, dass die Regierung vorbrachte, ohne die Möglichkeit, Personen präventiv in Gewahrsam zu nehmen, könnte der Staat seine positive Verpflichtung, seine Bürger vor bevorstehenden Straftaten zu schützen, nicht erfüllen. In der vorliegen Rechtssache ist jedoch, auch wenn man die allgemeine Situation im Vorfeld und während des G8-Gipfels berücksichtigt, nicht hinreichend dargelegt worden, dass eine Gefangenenbefreiung unmittelbar bevorgestanden habe. Daher konnte die Begehung dieser Straftat einen Eingriff in das Freiheitsrecht nicht rechtfertigten, zumal weniger einschneidende Maßnahmen hätten ergriffen werden können (siehe Rdnr. 78). Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Konvention die staatlichen Behörden in jedem Fall verpflichtet, im Rahmen ihrer Befugnisse angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Straftaten vorzubeugen, von denen sie Kenntnis haben oder haben sollten. Sie erlaubt es einem Staat jedoch nicht, Einzelpersonen vor Straftaten einer Person durch Maßnahmen zu schützen, die gegen die Konventionsrechte dieser Person, insbesondere gegen das in Artikel 5 Abs. 1 garantierte Recht auf Freiheit, verstoßen, um das es im Fall der Beschwerdeführer geht (siehe J. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 30060/04, Rdnrn. 37-38, 14. April 2011 mit weiteren Verweisen).

86. Folglich ist Artikel 5 Abs.1 der Konvention verletzt worden.

III. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABS. 5 DER KONVENTION

87. Gestützt auf Artikel 5 Abs. 5 der Konvention trug der erste Beschwerdeführer ferner vor, dass eine Klage auf Entschädigung für seine rechtswidrige Freiheitsentziehung keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

88. Der Gerichtshof hat die von dem ersten Beschwerdeführer vorgebrachte Rüge geprüft. Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen stellt der Gerichtshof jedoch fest, dass die Rüge, selbst unter der Annahme, dass der innerstaatliche Rechtsweg vollständig erschöpft wurde, keine Verletzung von Artikel 5 Abs. 5 erkennen lässt.

89. Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.

IV. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 10 UND 11 DER KONVENTION

90. Die Beschwerdeführer brachten darüber hinaus vor, dass ihre Freiheitsentziehung in ihr nach Artikel 10 der Konvention garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung sowie in ihr nach Artikel 11 der Konvention gewährleistetes Recht auf Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig eingegriffen habe, weil sie sie daran gehindert habe, an den Demonstrationen während des G8-Gipfels teilzunehmen und dort ihre Meinung zu äußern.

91. Artikel 10 und Artikel 11 der Konvention, soweit maßgeblich, lauten:

Artikel 10

1. Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. ...

2. Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung."

Artikel 11

1. Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen;

2. Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer." ..."

92. Die Regierung bestritt dieses Vorbringen.

A. Zulässigkeit

93. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht offensichtlich unbegründet im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a der Konvention ist. Unter Hinweis auf seine vorherigen Feststellungen (siehe Rdnrn. 48-50), stellt er darüber hinaus fest, dass sie auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Die Stellungnahmen der Parteien

a) Die Beschwerdeführer

94. Die Beschwerdeführer brachten vor, dass ihre Ingewahrsamnahme sowohl ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Konvention als auch ihr Recht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 11 der Konvention verletzt habe. Der mit ihrer Freiheitsentziehung verbundene Eingriff in diese Rechte sei nicht gerechtfertigt gewesen. Er sei nicht gesetzlich vorgesehen" gewesen und habe aus den in Bezug auf Artikel 5 Abs. 1 dargelegten Gründen kein rechtmäßiges Ziel verfolgt (siehe Rdnr. 57). Insbesondere sei unklar gewesen, ob, wann und wo die Beschwerdeführer die Transparente freedom for prisoners" und free all now" zeigen würden. Darüber hinaus wäre die Zurschaustellung der Transparente nach dem Strafgesetzbuch auch nicht strafbar gewesen. Die Losungen hätten nicht als Anstiftung zu einer sehr ungewöhnlichen Straftat verstanden werden dürfen, sondern hätten eine andere, näherliegende Bedeutung gehabt. Da mehr als 1000 Demonstranten im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Gewahrsam genommen worden seien, aber nur 100 Ingewahrsamnahmen gerichtlich gebilligt worden seien, habe es mehr als genug Grund gegeben, die Freiheitsentziehungen zu kritisieren, die im Zusammenhang mit dem Gipfel stattgefunden hätten.

95. Die Beschwerdeführer brachten weiter vor, ihre Ingewahrsamnahme sei unverhältnismäßig und daher im Sinne von Artikel 10 Abs. 2 und Artikel 11 Abs. 2 nicht notwendig" gewesen. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung der ungewissen Begehung einer Straftat zu einer unbestimmten Zeit und an einem unbestimmten Ort habe gegenüber ihrem Interesse an der Bekundung ihres Protests gegen die zahlreichen unrechtmäßigen Freiheitsentziehungen im Verlauf des G8-Gipfels und an der Teilnahme an Protesten gegen diesen Gipfel nicht überwogen. Bei den Losungen freedom for all prisoners" und free all now" handele es sich um bekannte und übliche, von linksgerichteten Personen in Bezug auf derartige Freiheitsentziehungen verwendete Schlagwörter, die nicht als Aufruf zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung hätten interpretiert werden dürfen. Unter den gegebenen Umständen habe ihre Freiheitsentziehung eine offene Diskussion über Belange des öffentlichen Interesses verhindert.

b) Die Regierung

96. Die Regierung brachte vor, dass weder Artikel 10 noch Artikel 11 der Konvention verletzt worden sei. Der Eingriff in die Rechte der Beschwerdeführer auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sei gerechtfertigt gewesen. Er habe sich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V gestützt, eine Bestimmung, die hinreichend konkret gewesen und folglich im Hinblick auf ihre Anwendung auf die Beschwerdeführer vorhersehbar gewesen sei. Er habe rechtmäßige Ziele verfolgt, da die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer im Interesse der öffentlichen Sicherheit und zur Verhütung von Straftaten erfolgt sei.

97. Die Regierung brachte weiter vor, der Eingriff sei im Sinne von Artikel 10 Abs. 2 und Artikel 11 Abs. 2 in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" gewesen. Sie betonte, dass zur Erreichung der genannten rechtmäßigen Ziele keine weniger einschneidenden Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten. Insbesondere hätte es nicht ausgereicht, die fraglichen Transparente zu beschlagnahmen, da die Beschwerdeführer jederzeit neue, vergleichbare Transparente hätten herstellen und diese während der Demonstrationen in Rostock sofort hätten verwenden können. Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer sei auch verhältnismäßig gewesen. Am Tag zuvor habe es in Rostock gewalttätige Ausschreitungen gegeben. Die Beschwerdeführer, die sich gewaltbereit gezeigt hätten, seien auf dem Weg nach Rostock gewesen, um an den Demonstrationen teilzunehmen. Die Befürchtung, die Transparente der Beschwerdeführer hätten andere gewalttätige Demonstranten dazu anstiften können, in den Gefangenensammelstellen in Rostock festgehaltene Gefangene gewaltsam zu befreien, sei begründet gewesen. Unter diesen Umständen habe das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verhütung von Straftaten gegenüber dem Interesse der Beschwerdeführer an der Teilnahme an den Demonstrationen überwogen.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

a) Anwendbarer Konventionsartikel

98. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass der Schutz persönlicher Meinungen, der durch Artikel 10 gewährleistet wird, eines der Ziele des in Artikel 11 der Konvention verankerten Rechts auf Versammlungsfreiheit ist (siehe Ezelin ./. Frankreich, 26. April 1991, Rdnr. 37, Serie A Band 202; Djavit An ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 20652/92, Rdnr. 39, ECHR 2003-III; Women On Waves u. a. ./. Portugal, Individualbeschwerde Nr. 31276/05, Rdnr. 28, ECHR 2009-. (Auszüge); Barraco ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 31684/05, Rdnr. 27, ECHR 2009-...; und Palomo Sánchez u. a. ./. Spanien [GK], Individualbeschwerden Nrn. 28955/06, 28957/06, 28959/06 und 28964/06, Rdnr. 52, 12. September 2011).

99. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass er in Fällen, in denen die Beschwerdeführer rügten, dass sie daran gehindert worden seien, an Versammlungen teilzunehmen oder bei Versammlungen ihre Ansichten zu äußern, oder dass sie wegen eines solchen Verhaltens bestraft worden seien, bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht auf Versammlungsfreiheit mehrere Faktoren berücksichtigt hat. In Abhängigkeit von den Umständen der Rechtssache ist Artikel 11 oft als das lex specialis angesehen worden, das bei Versammlungen Vorrang gegenüber Artikel 10 hat (siehe beispielsweise Ezelin, a.a.O., Rdnr. 35, betreffend eine dem Beschwerdeführer, einem Juristen, nach der Teilnahme an einer Demonstration gegen zwei Gerichtsentscheidungen auferlegte disziplinarische Sanktion; Osmani u. a. ./. die frühere jugoslawische Republik Mazedonien" (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 50841/99, ECHR 2001-X, betreffend die Verurteilung des Beschwerdeführers, eines gewählten Amtsträgers, wegen Aufstachelung zu nationalem Hass durch eine Rede, die er bei einer von ihm organisierten Versammlung gehalten hatte; Djavit An, a.a.O., Rdnr. 39, betreffend die Weigerung der türkischen und türkisch-zypriotischen Behörden, dem Beschwerdeführer die Überquerung der Grünen Linie" zu erlauben, um im südlichen Teil Zyperns an bikommunalen Treffen teilzunehmen; Galystan ./. Armenien, Individualbeschwerde Nr. 26986/03, Rdnr. 95, 15. November 2007, betreffend eine dreitägige Freiheitsentziehung wegen der Teilnahme an einer Demonstration; und Barraco, a.a.O., Rdnr. 26, betreffend die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Teilnahme an einer verkehrsbehindernden Aktion, die im Rahmen eines gewerkschaftlichen Protesttages durchgeführt wurde).

100. In anderen Fällen ist der Gerichtshof in Anbetracht der jeweiligen besonderen Umstände und der Art und Weise der Formulierung der Rügen zu der Auffassung gelangt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung im Mittelpunkt der Rügen der jeweiligen Beschwerdeführer lag, und hat deswegen den Fall nur nach Artikel 10 geprüft (siehe z. B. Karademirci u. a. ./. Türkei, Individualbeschwerden Nrn. 37096 und 37101/97, Rdnr. 26, ECHR 2005-I, betreffend eine strafrechtliche Sanktion wegen des Verlesens einer Erklärung während einer Versammlung vor einer Schule, und Y?lmaz and K?l?ç ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 68514/01, Rdnr. 33, 17. Juli 2008, betreffend die strafrechtliche Verurteilung der Beschwerdeführer wegen der Teilnahme an Demonstrationen zur Unterstützung von Abdullah Öcalan).

101. Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die Vorbringen der Parteien vor dem Gerichtshof in dem vorliegenden Fall zugleich auf Artikel 10 und Artikel 11 bezogen. Er stellt fest, dass die Beschwerdeführer im Wesentlichen rügten, dass sie wegen ihrer Freiheitsentziehung während der gesamten Dauer des G8-Gipfels nicht in der Lage gewesen seien, ihre Ansichten zusammen mit den anderen Demonstranten zu äußern, die zusammengekommen seien, um gegen den Gipfel zu demonstrieren. Sie protestierten auch gegen das Verbot, ihre Meinung zur Verhaftung von Demonstranten, wie sie auf ihren Transparenten zum Ausdruck gekommen sei, zu äußern. Der Schwerpunkt ihrer Rügen liegt jedoch auf dem Recht auf Versammlungsfreiheit, da sie daran gehindert wurden, an den Demonstrationen teilzunehmen und ihre Ansichten zu äußern. Der Gerichtshof wird diesen Teil der Beschwerde daher nur nach Artikel 11 prüfen. Er stellt jedoch fest, dass sich die Frage der freien Meinungsäußerung in dem vorliegenden Fall nicht ganz von der Frage der Versammlungsfreiheit trennen lässt. Ungeachtet seiner autonomen Rolle und seines besonderen Anwendungsbereichs muss Artikel 11 also auch im Lichte von Artikel 10 betrachtet werden (siehe, sinngemäß, Ezelin, a.a.O. Rdnr. 37).

b) Gab es einen Eingriff in das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln?

102. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer durch die innerstaatlichen Gerichte für die gesamte Dauer des G8-Gipfels angeordneten Ingewahrsamnahme daran gehindert waren, an Demonstrationen gegen diesen Gipfel teilzunehmen.

103. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 11 der Konvention nur das Recht auf friedliche Versammlung" schützt. Dieser Begriff deckt keine Demonstration ab, bei der die Organisatoren und Teilnehmer gewalttätige Absichten haben (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden ./. Bulgarien, Individualbeschwerden Nrn. 29211/95 und 29225/95, Rdnr. 77, ECHR 2001-IX; und Galstyan, a.a.O., Rdnr. 101). Jedoch kann die Möglichkeit, dass gewalttätige Extremisten, die nicht zu den Organisatoren der Demonstration gehören, sich einer Demonstration anschließen, für sich genommen nicht zur Versagung dieses Rechts führen. Auch wenn die konkrete Gefahr besteht, dass eine öffentliche Demonstration aufgrund von Entwicklungen, die außerhalb der Kontrolle der Organisatoren dieser Demonstration liegen, zu Ausschreitungen führt, liegt eine solche Demonstration für sich genommen nicht außerhalb des Anwendungsbereichs von Artikel 11 Abs. 1; vielmehr muss jede Einschränkung, der eine solche Versammlung unterworfen wird, mit den Bestimmungen nach Absatz 2 dieser Bestimmung im Einklang stehen (siehe Christians against Racism and Fascism ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 8440/78, Kommissionsentscheidung vom 16. Juli 1980, Decisions and Reports (DR) 21, S. 148-149; und, sinngemäß, Ezelin, a.a.O., Rdnr. 41).

104. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführer zur Zeit ihrer Festnahme die Absicht hatten, an künftigen Demonstrationen gegen den G8-Gipfel teilzunehmen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Organisatoren der Demonstrationen, an denen die Beschwerdeführer teilnehmen wollten, gewalttätige Absichten hatten. Wie oben dargelegt worden ist (Rdnrn. 8 und 103), führt die Tatsache, dass die Polizei damit rechnete, dass sich auch Extremisten mit gewalttätigen Absichten den ansonsten friedlichen Demonstrationen anschließen würden, nicht dazu, dass diese Demonstration den Schutz von Artikel 11 Abs. 1 verlieren würde.

105. Hinsichtlich der Frage, mit welchen Absichten sich die Beschwerdeführer den Demonstrationen anschließen wollten, ist der Gerichtshof nicht davon überzeugt, dass aufgezeigt worden ist, dass die Beschwerdeführer mit gewalttätigen Absichten an den G8-Demonstrationen teilnehmen wollten. In diesem Zusammenhang stellt er zunächst fest, dass die innerstaatlichen Gerichte nicht der Auffassung waren, dass die Beschwerdeführer deswegen, weil sie Transparente mit den Aufschriften freedom for all prisoners" und free all now" mit sich führten, die Absicht hatten, selbst Gefangene gewaltsam zu befreien. Er stellt auch fest, dass bei den Beschwerdeführern keine Waffen gefunden wurden. Darüber hinaus nimmt er zur Kenntnis, dass das Oberlandesgericht festgestellt hat, dass eine gewaltbereite Menge durch die Transparente zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung angestiftet werden könnte, stellt aber außerdem fest, dass dasselbe Gericht einräumte, dass die Losungen auf den in Rede stehenden Transparenten unterschiedlich interpretiert werden könnten (siehe Rdrn. 19, 21 und 22). Er berücksichtigt auch die von den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführern vor den innerstaatlichen Gerichten abgegebene Erklärung. Sie hatten erläutert, dass die Losungen sich an die Polizei und die Behörden gerichtet hätten, die dadurch aufgefordert werden sollten, die zahlreichen Ingewahrsamnahmen von Demonstranten zu beenden, und nicht dazu dienen sollten, andere zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung aufzufordern (siehe Rdnrn. 18 und 25). Nach Auffassung des Gerichts ist die Aussage der Beschwerdeführer zur Bedeutung der Aufschriften auf den Transparenten, die selbst eindeutig nicht offen zu Gewalt aufriefen, glaubhaft. Daher ist der Gerichtshof auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das innerstaatliche Gericht feststellte, die Aufschriften seien mehrdeutig und könnten unterschiedlich ausgelegt werden, der Auffassung, das nicht erwiesen worden ist, dass die Beschwerdeführer andere absichtlich zu Gewalt auffordern wollten. Nach Ansicht des Gerichtshofs war eine derartige Schlussfolgerung auch nicht deshalb zulässig, weil davon ausgegangen wurde, dass einer der Beschwerdeführer bei der Feststellung seiner Personalien durch die Polizei gewaltsam Widerstand leistete und daher selbst als gewalttätig angesehen wurde - unter anderen Umständen und in einer anderen Weise als durch das Zurschaustellen von Transparenten bei einer Demonstration. Darüber hinaus stellt er in diesem Zusammenhang fest, dass nicht aufgezeigt worden ist, dass einer der Beschwerdeführer wegen gewalttätigen Verhaltens bei Demonstrationen oder in vergleichbaren Situationen vorbestraft wäre.

106. Die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer stellte daher nach Artikel 11 Abs. 1 einen Eingriff in ihr Recht dar, sich frei und friedlich zu versammeln. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

c) War der Eingriff gerechtfertigt?

107. Ein solcher Eingriff führt zu einer Verletzung von Artikel 11, es sei denn, es kann dargelegt werden, dass er gesetzlich vorgeschrieben" war, ein oder mehrere legitime Ziele nach Absatz 2 verfolgte und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war.

(i) Gesetzlich vorgeschrieben" und legitimes Ziel

108. Hinsichtlich der Entscheidung darüber, ob der Eingriff gesetzlich vorgeschrieben" war, weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass eine Vorschrift nicht als Gesetz" angesehen werden kann, wenn sie nicht so präzise formuliert ist, dass der Einzelne - erforderlichenfalls mit entsprechende Rechtsberatung - in einem Maß, das unter den jeweiligen Umständen angemessen ist, voraussehen kann, welche Folgen eine bestimmte Handlung nach sich ziehen kann (siehe Ezelin, a.a.O., Rdnr. 45). Er stellt fest, dass zwischen den Parteien strittig ist, ob die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers durch ein Gesetz - § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V - vorgeschrieben war, das so präzise war, dass seine Anwendung unter den im Falle des Beschwerdeführers gegebenen Umständen vorhersehbar war. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass er diese Frage offen lassen und die Rechtssache unter der Annahme prüfen kann, dass der Eingriff aus den nachfolgend aufgeführten Gründen gesetzlich vorgeschrieben" war.

109. Der Gerichtshof ist davon überzeugt, dass die Behörden mit der Anordnung der Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer das Ziel verfolgten, diese an der Begehung einer Straftat, nämlich der Anstiftung zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung, zu hindern. Dieses Ziel ist als solches nach Artikel 11 Abs. 2 rechtmäßig.

(ii) Notwendig in einer demokratischen Gesellschaft"

110. Hinsichtlich der Entscheidung darüber, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war, stellt der Gerichtshof erneut fest, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft ein Grundrecht ist und, ebenso wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, einer der Grundpfeiler einer solchen Gesellschaft ist. Daher sollte es nicht restriktiv ausgelegt werden (siehe Djavit An, a.a.O., Rdnr. 56; und Barraco, a.a.O., Rdnr. 41).

111. Der Ausdruck in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" impliziert, dass der Eingriff einem dringenden sozialen Bedürfnis" entspricht und insbesondere in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig ist. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Bezug auf das verfolgte Ziel sind Art und Schwere der verhängten Sanktion zu berücksichtigen (siehe Osmani u. a., a.a.O., mit weiteren Verweisen).

112. Der Gerichtshof muss darüber hinaus entscheiden, ob die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung des Eingriffs angeführten Gründe stichhaltig und ausreichend" sind. . Dabei muss sich der Gerichtshof davon überzeugen, dass die nationalen Behörden Regeln anwandten, die mit den in Artikel 11 enthaltenen Grundsätzen vereinbar sind, und dass sie ihre Entscheidung auf eine nachvollziehbare Bewertung der erheblichen Tatsachen stützten (siehe Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei u. a. ./. Türkei, 30. Januar 1998, Rdnr. 47, Reports 1998-I); und Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 87).

113. Die Vertragsstaaten genießen bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" ist, einen gewissen Ermessensspielraum; dieser geht jedoch Hand in Hand mit einer europäischen Überwachung, die sich sowohl auf die Gesetzgebung bezieht als auch auf die Entscheidungen, die sie anwenden (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 87; und Barraco, a.a.O., Rdnr. 42). Nach Artikel 10 der Konvention - in dessen Licht Artikel 11 auszulegen ist (siehe Rdnrn. 98 und 101) - gibt es wenig Raum für Einschränkungen der politischen Redefreiheit oder der Debatte über Angelegenheiten des öffentlichen Interesses (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 88, mit weiteren Verweisen). Jedoch genießen die staatlichen Behörden bei der Prüfung der Notwendigkeit eines Eingriffs in die freie Meinungsäußerung einen größeren Ermessensspielraum, wenn eine Anstiftung zur Gewalt gegen einen Einzelnen, einen Amtsträger oder eine Bevölkerungsgruppe vorliegt (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 90; und, sinngemäß, Galstyan, a.a.O., Rdnr. 115, und Osmani u. a., a.a.O.).

114. In der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführer für fast sechs Tage in Gewahrsam genommen wurden, um sie daran zu hindern, andere während der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel dazu anstiften, Gefangene gewaltsam zu befreien. Er hat bereits festgestellt (siehe Rdnrn. 75-86), dass die Präventivhaft der Beschwerdeführer von keinem der in Artikel 5 Abs. 1 aufgeführten Gründe für die Freiheitsentziehung erfasst wird und diese Bestimmung daher verletzt hat. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass man davon ausging, dass anlässlich des Gipfels eine große Zahl von Demonstranten (etwa 25.000) anreisen würden, von denen die weitaus meisten als friedlich, eine beträchtliche Zahl aber als gewaltbereit anzusehen seien. Über einen Zeitraum von mehreren Tagen sollte eine Reihe von Massendemonstrationen stattfinden, von denen einige vor der Festnahme der Beschwerdeführer in Krawalle ausgeartet waren. Der Gerichtshof erkennt an, dass die Gewährleistung der Sicherheit der Gipfelteilnehmer und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in dieser Situation eine beträchtliche Herausforderung für die innerstaatlichen Behörden darstellte und Entscheidungen oft schnell getroffen werden mussten.

115. Jedoch kann der Gerichtshof, wie er bereits dargelegt hat (siehe Rdnr. 105), es nicht als erwiesen ansehen, dass die Beschwerdeführer die Transparente mit den beanstandeten Aufschriften deshalb bei den Demonstrationen zeigen wollten, weil sie andere, gewalttätige Demonstranten dazu anstiften wollten, Personen, die während des G8-Gipfels in Haft genommen worden seien, gewaltsam zu befreien. Eine Bewertung der erheblichen Tatsachen durch die innerstaatlichen Behörden, nach der die Losungen als mehrdeutig angesehen werden konnten und die Beschwerdeführer somit andere fahrlässig zu Gewalt hätten anstacheln können, wenn sie sie bei gewissen Demonstrationen gezeigt hätten, erscheint unter Berücksichtigung ihres Ermessensspielraums dagegen nachvollziehbar (siehe, als Beispiel für einen Fall, bei dem es um die Verwendung vieldeutiger Symbole ging, Vajnai ./. Ungarn, Individualbeschwerde Nr. 33639/06, Rdnrn. 51 ff., 8. Juli 2008).

116. Der Gerichtshof stellt darüber hinaus fest, dass die Beschwerdeführer mit ihrer Teilnahme an den G8-Demonstrationen beabsichtigten, sich an einer Debatte des öffentliches Interesses - die Auswirkungen der Globalisierung auf das Leben der Menschen - zu beteiligen. Außerdem verfolgten sie mit den Losungen auf ihren Transparenten die Absicht, das Vorgehen der Polizei bei der Sicherung des Gipfels, insbesondere die zahlreichen Festnahmen von Demonstranten, zu kritisieren. Angesichts der Tatsache, dass eine beträchtliche Zahl von Demonstranten (mehr als 1000 der erwarteten 25000 Demonstranten) im Verlauf des Gipfels vorübergehend in Haft genommen wurde, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Losungen einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse darstellten. Darüber hinaus ist klar, dass die mehrtägige Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer wegen der Absicht, die beanstandeten Losungen zur Schau zu stellen, hinsichtlich dieser Meinungsäußerung eine abschreckende Wirkung hatte und die öffentliche Diskussion dieser Frage einschränkte.

117. Zusammengefasst ist festzustellen, dass der beabsichtigte Protest der Beschwerdeführer während des G8-Gipfels als Wille zur Beteiligung an einer Debatte von öffentlichem Interesse, bezüglich derer es wenig Raum für Einschränkungen gibt, zu werten ist (siehe Rdnr. 113). Darüber hinaus ist nicht aufgezeigt worden, dass die Beschwerdeführer die Absicht gehabt hätten, andere zu Gewalt anzustacheln. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die fast sechstägige Freiheitsentziehung, eine beträchtliche Sanktion, im Hinblick auf die Absicht, die Beschwerdeführer daran zu hindern, möglicherweise andere fahrlässig zu einer gewaltsamen Befreiung von während des G8-Gipfels festgenommenen Demonstranten anzustiften, keine verhältnismäßige Maßnahme darstellt. In einer solchen Situation kann zwischen dem Ziel der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der Verhinderung von Straftaten und dem Recht der Beschwerdeführer auf Versammlungsfreiheit nicht dadurch ein fairer Ausgleich geschaffen werden, dass die Beschwerdeführer sofort für mehrere Tage in Gewahrsam genommen werden.

118. Insbesondere ist der Gerichtshof nicht überzeugt, dass es keine anderen wirksamen, weniger einschneidenden Maßnahmen zur Erreichung der genannten Ziele gegeben hätte. Insbesondere ist er der Auffassung, dass es in der gegebenen Situation, hinsichtlich derer nicht dargelegt worden ist, dass den Beschwerdeführern bewusst war, dass die Polizei die Losungen auf ihren Transparenten für illegal hielten, ausgereicht hätte, die fraglichen Transparente zu beschlagnahmen. Man hätte davon ausgehen können, dass dies eine abschreckende Wirkung auf die Beschwerdeführer haben würde und sie daher davon abgehalten hätte, sofort neue, vergleichbare Transparente herzustellen. Auch wenn dadurch ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in einem gewissen Maß eingeschränkt worden wäre, hätte es sie nicht von vornherein daran gehindert, an den Demonstrationen teilzunehmen.

119. Angesichts der vorstehenden Ausführungen kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass der Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf Versammlungsfreiheit nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war. Folglich ist Artikel 11 der Konvention verletzt worden.

V. ANWENDUNG VON ARTIKEL 41 DER KONVENTION

120. Artikel 41 der Konvention lautet:

Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist."

A. Schaden

121. Die Beschwerdeführer forderten jeweils 10.000 Euro (EUR) für den infolge ihrer konventionswidrigen Freiheitsentziehung erlittenen immateriellen Schaden. Zur Stützung ihrer Auffassung, die geforderte Summe sei angemessen, beriefen sie sich auf die Zubilligung gerechter Entschädigung durch den Gerichtshof in den Rechtssachen Brega ./. Moldau (Individualbeschwerde Nr. 52100/08, Rdnr. 52, 20. April 2010) und Vasileva ./. Dänemark (Individualbeschwerde Nr. 52792/99, Rdnr. 47, 25. September 2003). Sie baten darum, alle Beträge auf das Treuhandkonto ihrer Rechtsanwältin einzuzahlen.

122. Die Regierung hielt die geforderten Beträge für unverhältnismäßig. Sie brachte vor, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den Gerichtshof eine hinreichende gerechte Entschädigung darstellen würde. Die von den Beschwerdeführern zur Stützung ihrer Auffassung angeführten Tatsachen seien mit denen in den angeführten Beschwerdeverfahren nicht vergleichbar.

123. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass ihre etwa sechstägige, gegen Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 11 der Konvention verstoßende Freiheitsentziehung bei den Beschwerdeführern Leid ausgelöst haben muss, das durch die Feststellung einer Konventionsverletzung allein nicht angemessen wieder gut gemacht würde. Daher spricht der Gerichtshof, der die Summe nach Billigkeit festsetzt, den Beschwerdeführern unter dieser Rubrik jeweils 3.000 EUR zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern zu. Im Hinblick auf die von der Rechtsanwältin der Beschwerdeführer vorgelegte Vollmacht, die sie zur Entgegennahme von Zahlungen befugt, die seitens der anderen Verfahrenspartei zu leisten sind, ordnet er an, dass diese den Beschwerdeführern zugesprochenen Summen auf das Treuhandkonto ihrer Rechtsanwältin einzuzahlen sind.

B. Kosten und Auslagen

124. Der erste Beschwerdeführer forderte außerdem 2.340,85 EUR für Kosten und Auslagen vor den innerstaatlichen Gerichten (68 EUR für Gerichtskosten und 2.272,85 EUR für Anwaltsgebühren, einschließlich der darauf anfallenden Mehrwertsteuer) sowie 1.892,50 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) für Kosten und Auslagen vor dem Gerichtshof. Der zweite Beschwerdeführer forderte 2.370,65 EUR für Kosten und Auslagen vor den innerstaatlichen Gerichten (68 EUR für Gerichtskosten und 2.302,65 EUR für Anwaltsgebühren, einschließlich der darauf anfallenden Mehrwertsteuer) sowie 2.082,50 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) für Kosten und Auslagen vor dem Gerichtshof. Sie begründeten ihre Ansprüche durch Belege.

125. Die Regierung, die generell die Auffassung vertrat, dass nach Artikel 41 der Konvention keine Entschädigung zu zahlen sei, nahm zu diesen Forderungen nicht Stellung.

126. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Beschwerdeführer nur insoweit Anspruch auf Ersatz von Kosten und Auslagen, als nachgewiesen wurde, dass diese tatsächlich und notwendigerweise entstanden und der Höhe nach angemessen sind. In der vorliegenden Rechtssache ist der Gerichtshof unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der oben genannten Kriterien überzeugt, dass das Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten und vor dem Gerichtshof zunächst auf die Verhinderung und später auf die Beseitigung der festgestellten Verletzungen von Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 11 der Konvention abzielte. Darüber hinaus stellt er fest, dass die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Kosten und Auslagen notwendigerweise entstanden und der Höhe nach angemessen waren.

127. Der Gerichtshof spricht dem ersten Beschwerdeführer daher 4.233,35 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) zur Deckung der unter allen Rubriken entstandenen Kosten, zuzüglich der ihm gegebenenfalls zu berechnenden Steuern zu. Der Gerichtshof spricht ferner dem zweiten Beschwerdeführer 4.453,15 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) zur Deckung der unter allen Rubriken entstandenen Kosten zuzüglich der ihm gegebenenfalls zu berechnenden Steuern zu. Er ordnet an, dass diese ihnen zugesprochenen Summen auf das Treuhandkonto ihrer Rechtsanwältin einzuzahlen sind.

C. Verzugszinsen

128. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten zugrunde zu legen.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Die Individualbeschwerden werden verbunden;
2. die Rüge des ersten Beschwerdeführers nach Artikel 5 Abs. 5 der Konvention wird für unzulässig und die Individualbeschwerden werden im Übrigen für zulässig erklärt;
3. Artikel 5 Absatz 1 der Konvention ist verletzt worden;
4. Artikel 11 der Konvention ist verletzt worden;
5. a) der beschwerdegegnerische Staat hat binnen drei Monaten nach dem Tag, an dem das Urteil nach Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig wird, folgende Beträge auf das Treuhandkonto der Rechtsanwältin der Beschwerdeführer einzuzahlen:
(i) für jeden Beschwerdeführer 3.000 EUR (dreitausend Euro) für den immateriellen Schaden, zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
(ii) für den ersten Beschwerdeführer 4.233,35 EUR (viertausendzweihundertdreiunddreißig Euro und fünfunddreißig Cent) einschließlich Mehrwertsteuer für Kosten und Auslagen, zuzüglich ihm gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
(iii) für den zweiten Beschwerdeführer 4.453,15 EUR (viertausendvierhundertdreiundfünfzig Euro und fünfzehn Cent) einschließlich Mehrwertsteuer für Kosten und Auslagen, zuzüglich ihm gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
b) Nach Ablauf der vorgenannten Frist von drei Monaten fallen für die obengenannten Beträge bis zur Auszahlung einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank im Verzugszeitraum zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht;
6. Im Übrigen wird die Forderung der Beschwerdeführer nach gerechter Entschädigung zurückgewiesen.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 1. Dezember 2011 nach Artikel 77 Absätze 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs. ..."

*** (BVerfG)

Verweigerter effektiver Rechtschutz durch Ablehnung des Erlasses einer einsteiligen Anordnung gegen teilweise Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 16.05.2012 - 1 BvQ 17/12 - blockupy I"):

... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der versammlungsrechtliche Verfügungen der Stadt Frankfurt am Main betrifft, mit denen den Antragstellern insbesondere verboten wurde, vom 17. Mai 2012 bis zum 19. Mai 2012 mehrere Plätze in der Frankfurter Innenstadt mit jeweils erwarteten 1.000 Teilnehmern zu Blockadezwecken zu besetzen, einen Infostand sowie eine Auftaktkundgebung am 16. Mai 2012 zu errichten beziehungsweise zu veranstalten sowie eine Veranstaltung am 18. Mai 2012 vor der Deutschen Bank durchzuführen, hat unbeachtet der Frage der Zulässigkeit des Antrags keinen Erfolg. Im Rahmen der bei der Prüfung von Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich maßgeblichen Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 (161); 88, 185 (186); 91, 252 (257 f.); 111, 147 (152 f.); stRspr) ist vorliegend ausgehend vom Vorbringen der Antragsteller und den vorläufigen Rechtsschutzentscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht erkennbar, dass die Nachteile der Antragsteller im Verhältnis zu den drohenden Nachteilen dritter Grundrechtsberechtigter so schwer wiegen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht dringend geboten wäre. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. ..." (Anm der Redaktion: Diese Rechtmittelbelehrung ist falsch!)

***

Verweigerter effektiver Rechtschutz durch Ablehnung des Erlasses einer einsteiligen Anordnung gegen teilweise Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Gießen wegen Anordnung: Tanzverbot am Karfreitag (BVerfG, Einstweilige Anordnung, 06.04.2012 - 1 BvQ 12/12):

... I. 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft eine für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Stadt Frankfurt am Main, mit der der Antragstellerin verboten wurde, am 6. April 2012, Karfreitag, 18:30 Uhr bis 21:30 Uhr eine Versammlung mit dem Veranstaltungsthema "Demonstration/Mahnwache gegen das Tanzverbot" auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main durchzuführen.

Ihre Verbotsverfügung begründete die Stadt Frankfurt am Main mit einem zu erwartenden Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Nr. 3 Hessisches Feiertagsgesetz als einfachgesetzliche Ausprägung des Sonn- und Feiertagsschutzes aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV, nachdem die Antragstellerin zu einem Tanzen gegen das Tanzverbot unter Abspielen und gemeinsamem Hören von Tanzmusik aufgerufen habe und in einem vorhergehenden Kooperationsgespräch am 3. April 2012 die Durchführung der Veranstaltung in Form einer stillen Mahnwache ohne Tanz und Musik abgelehnt habe.

Den hierauf beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Verbotsverfügung eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht im Ergebnis mit der Begründung ab, dass an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung keine Zweifel bestünden. Dieser Beschluss ist der Antragstellerin gemäß ihrem eigenen Sachvortrag am Donnerstag, den 5. April 2012 um 16:57 Uhr zugegangen.

2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die Aufhebung der Verbotsverfügung und hilfsweise die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Sie beruft sich insofern auf ihr Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Zur Frage der Eilbedürftigkeit trägt sie, ohne dies näher zu begründen, vor, dass aufgrund des Zeitablaufes eine rechtskräftige Entscheidung im Verwaltungsrechtsweg vor Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr möglich sei, so dass die Voraussetzungen des § 32 BVerfGG vorlägen.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war abzulehnen, da er bereits unzulässig ist. Er wird dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht.

Von diesem Grundsatz ist insbesondere das sich aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unmittelbar ergebende Gebot der Rechtswegerschöpfung in Verfassungsbeschwerdeverfahren umfasst, er kommt jedoch in bestimmten Fallkonstellationen auch als allgemeiner Gesichtspunkt der Subsidiarität verfassungsrechtlicher Rechtsbehelfe zur Anwendung, wenn eine angemessene vorläufige Regelung in der Fachgerichtsbarkeit noch erreichbar erscheint (vgl. BVerfGE 86, 46 (49)).

Vorliegend stand der Antragstellerin vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gegen die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch das Rechtsmittel der Beschwerde zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof zur Verfügung. Von diesem Rechtsmittel hat sie keinen Gebrauch gemacht, obwohl sie über dieses Rechtsmittel ordnungsgemäß belehrt wurde und nach dem Beschwerdevortrag keine Gründe dafür ersichtlich sind, weshalb ihr die Einlegung dieses Rechtsmittels nicht mehr möglich und zumutbar gewesen wäre.

Auch der Rechtsgedanke des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG rechtfertigt eine sofortige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht, da der Antragstellerin kein besonders schwerer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift entsteht (vgl. BVerfGE 9, 120 (121)). Denn vorliegend geht es in der Sache um die schwierige, noch ungeklärte Rechtsfrage, inwieweit die Versammlungsfreiheit an einem Feiertag aufgrund dessen religiös geprägten Charakters eingeschränkt werden kann. Die Klärung dieser Frage wäre aber ohnehin nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes möglich, sondern müsste gegebenenfalls einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auch wendet sich die Antragstellerin im Ergebnis gegen die Verfassungsmäßigkeit eines förmlichen Parlamentsgesetzes. Insoweit aber sind die Anforderungen an den besonders schweren Nachteil für die Begründung vorläufigen Rechtsschutzes besonders hoch (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. August 2009 - 1 BvQ 34/09 -, juris, Rn. 7). Danach ist vorliegend von einem besonders schweren Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht auszugehen. Auch wenn ein triftiger inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem beabsichtigen Versammlungszeitpunkt und dem Versammlungsthema besteht, kann der mit der Versammlung verfolgte Kommunikationszweck vorliegend grundsätzlich auch an einem anderen Tag erreicht werden. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. ..." (Anm der Redaktion: Diese Rechtmittelbelehrung ist falsch!)

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... I. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Nötigung gemäß § 240 StGB aufgrund der Teilnahme an einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße.

1. Am 15. März 2004 gegen 15.25 Uhr ließ sich der Beschwerdeführer zusammen mit circa 40 anderen Personen aus Protest gegen die sich abzeichnende militärische Intervention der USA im Irak auf der zu der Rhein Main Military Air Base, dem Luftwaffenstützpunkt der US-amerikanischen Streitkräfte bei Frankfurt am Main, führenden Ellis Road nieder.

2. Mit Urteil vom 30. August 2004 verurteilte das Amtsgericht - unter anderem - den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlicher Nötigung gemäß § 240, § 25 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 .

Der Beschwerdeführer und seine Mitangeklagten hätten die Fahrzeugführer, die auf der Ellis Road zu der US-Wohnsiedlung Gateway Gardens unterwegs gewesen seien, für eine nicht unerhebliche Wartezeit an der Weiterfahrt gehindert. Die Fahrzeuge hätten sich in mehreren Reihen hintereinander gestaut. Auf die nach Auflösungsverfügung hin ergangene Aufforderung der Polizei, sich zu entfernen, hätten die Demonstranten nicht reagiert, so dass sie von Polizeikräften zwangsweise hätten weggetragen werden müssen.

Damit hätten sich der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten der gemeinschaftlichen vorsätzlichen Nötigung strafbar gemacht.

Das Verhalten des Beschwerdeführers und der Mitangeklagten sei als Gewalt zu qualifizieren. Zwar hätten sie auf die Fahrzeugführer in der ersten Reihe rein psychischen Zwang ausgeübt. Jedoch seien die Fahrzeugführer ab der zweiten Reihe physisch an der Weiterfahrt gehindert worden, da ihnen die Kraftfahrzeuge der ersten Reihe den Weg versperrt hätten.

Das Verhalten der Demonstranten sei auch rechtswidrig gewesen. Zwar seien die Motive für die Sitzblockade von Friedenswillen geprägt und in der Sache nachvollziehbar gewesen, doch könnten politische Fernziele bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB nicht berücksichtigt werden. Niemand habe das Recht auf gezielte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden. Ferner sei die Verkehrsbehinderung keineswegs notwendig gewesen, um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten hätten ihre Versammlungsfreiheit auch neben der Fahrbahn ausüben können. Die gezielte Provokation zur Schaffung von Stimmungslagen oder zur Erregung von Aufmerksamkeit werde von der Rechtsordnung nicht geschützt, so dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten sozial inadäquat und verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB gehandelt hätten. Dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten aus achtenswerten Motiven gehandelt hätten, sei bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

3. Mit angegriffenem Beschluss vom 18. November 2004 verwarf das Landgericht - unter anderem - die Berufung des Beschwerdeführers nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig.

Die Demonstranten hätten durch die Sitzblockade gegenüber denjenigen Fahrzeugführern Gewalt ausgeübt, die durch vor ihnen anhaltende Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert worden seien. Dass die durch die Sitzblockaden ausgelöste Verkehrsbehinderung sich möglicherweise über einen nur kurzen Zeitraum erstreckt habe, beseitige nicht die Tatbestandsmäßigkeit der Nötigung. Auch die Anzahl der durch die Blockade an der Weiterfahrt gehinderten Fahrzeuge sei im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit unerheblich. Dass der Polizeieinsatz unter Umständen zur Verkehrsbehinderung beigetragen habe, sei ebenfalls nicht maßgeblich, weil dieser durch die Sitzblockade ausgelöst worden sei.

Ferner hätten die Demonstranten rechtswidrig im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB gehandelt. Die Ausübung der Gewalt habe sich nicht im schlichten Blockieren des Straßenverkehrs erschöpft, sondern sei Mittel zum Zweck der Erregung von Aufmerksamkeit für bestimmte politische Zwecke gewesen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erlaube Behinderungen Dritter nur als sozialadäquate Nebenwirkungen rechtmäßiger Demonstrationen. Zwangseinwirkungen, die darüber hinausgingen und allein darauf abzielten, durch gewaltsamen Eingriff in Rechte Dritter gesteigertes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, seien durch Art. 5 und Art. 8 GG nicht gedeckt. Demonstrative Blockaden seien daher in der Regel im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB verwerflich. Dies gelte im vorliegenden Fall umso mehr, als die Beeinträchtigung fremder Freiheit ein völlig ungeeignetes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes gewesen sei: Die blockierten Fahrzeugführer, auch soweit es sich dabei um US-amerikanische Staatsbürger und Soldaten der US-Streitkräfte gehandelt habe, hätten die Irakpolitik der US-amerikanischen Regierung nicht beeinflussen können. Die gesellschaftspolitischen Motive beseitigten nicht die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in Rechte Dritter, sondern seien in der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dies habe das Amtsgericht mit der Verhängung einer am denkbar untersten Rand liegenden Geldstrafe getan.

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer bei sachgerechter Auslegung allein gegen die Entscheidung des Landgerichts. Er rügt - unter anderem - eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG.

Die von dem Landgericht herangezogene sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Gewaltbegriff in § 240 Abs. 1 StGB sei mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Außerdem habe das Landgericht im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung der wertsetzenden Bedeutung des Art. 8 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. Der Schutzbereich des Art. 8 GG werde nicht schon dadurch verlassen, dass es zu Behinderungen Dritter komme, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Maßgebend sei das mit der Sitzblockade verfolgte Anliegen, für den Protest gegen den deutschen Beitrag zur US-amerikanischen Kriegsführung öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Das Landgericht habe die Erwägungen des Amtsgerichts zum örtlichen Selbstbestimmungsrecht der Demonstranten nicht korrigiert, obwohl das Betreten der Fahrbahn wesentliches Kennzeichen einer Sitzblockade sei und grundsätzlich auch Sitzblockaden von der Versammlungsfreiheit geschützt seien. Das Landgericht habe überdies den Sachbezug der Aktion verkannt. Die Aktion selbst sei zudem nicht besonders belastend gewesen. Sie sei im Voraus bekannt gegeben worden und habe nur wenige Minuten gedauert. Feststellungen zu der Dauer der Aktion, der Verantwortlichkeit der Polizeikräfte und zu den Ausweich- und Umleitungsmöglichkeiten der Fahrzeugführer fehlten.

5. Die Hessische Staatskanzlei hat in ihrer Stellungnahme die Auffassung vertreten, dass die angegriffene Entscheidung des Landgerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspreche. Der Hessische Landtag hat sich einer Stellungnahme enthalten. Der Bundesgerichtshof hat von einer Stellungnahme unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts abgesehen, da er in den letzten Jahren mit den aufgeworfenen Rechtsfragen nicht erneut befasst worden sei. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze entwickelt, insbesondere für den Einfluss des Grundrechts bei der strafrechtlichen Bewertung von Sitzblockaden anhand des Nötigungstatbestandes (vgl. BVerfGE 73, 206 (247 ff.); 104, 92 (103 ff.)). Dies gilt gleichermaßen für die Reichweite der Gewährleistung des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 206 (233 ff.); 92, 1 (11 ff.); 104, 92 (101 ff.)).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots und eine Verletzung der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG rügt.

3. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

a) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verstößt nicht gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Analogieverbot.

aa) Die Norm des § 240 StGB selbst ist hinsichtlich der hier allein einschlägigen Gewaltalternative mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar (vgl. BVerfGE 73, 206 (233 f.); 92, 1 (12); 104, 92 (101)).

bb) Auslegung und Anwendung der einschlägigen Strafvorschriften durch das Landgericht anhand der vom Bundesgerichtshof entwickelten sogenannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 182 (185 f.); 41, 231 (241)) verstoßen nicht gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG.

(1) Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist Analogie" nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen. Ausgeschlossen ist jede Auslegung einer Strafbestimmung, die den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm erweitert und damit Verhaltensweisen in die Strafbarkeit einbezieht, die die Tatbestandsmerkmale der Norm nach deren möglichem Wortsinn nicht erfüllen. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes zieht der richterlichen Auslegung eine Grenze, die unübersteigbar ist (vgl. BVerfGE 85, 69 (73); 92, 1 (12); 105, 135 (157)). Da Art. 103 Abs. 2 GG Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten verlangt, ist dieser Wortsinn aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen (vgl. BVerfGE 47, 109 (120); 64, 389 (393); 73, 206 (235 f.); 92, 1 (12)).

Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Vergangenheit mehrfach Gelegenheit, die Auslegung des in § 240 Abs. 1 StGB geregelten Gewaltbegriffs durch die Strafgerichte anhand von Art. 103 Abs. 2 GG zu überprüfen.

Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. November 1986 infolge Stimmengleichheit den sogenannten vergeistigten Gewaltbegriff" im Ergebnis noch unbeanstandet ließ (vgl. BVerfGE 73, 206 (206, 239 f.)), gelangte es nach erneuter Überprüfung in seinem Beschluss vom 10. Januar 1995 zu der Auffassung, dass eine auf jegliche physische Zwangswirkung verzichtende Auslegung des § 240 Abs. 1 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist (vgl. BVerfGE 92, 1 (14 ff.)). Für die Konstellation einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße mit Demonstranten auf der einen und einem einzigen Fahrzeugführer auf der anderen Seite stellte es fest, dass eine das Tatbestandsmerkmal der Gewalt bejahende Auslegung die Wortlautgrenze des § 240 Abs. 1 StGB überschreitet, wenn das inkriminierte Verhalten des Demonstranten lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist (vgl. BVerfGE 92, 1 (17)).

In der Folge entwickelte der Bundesgerichtshof anlässlich von Sitzblockaden auf öffentlichen Straßen mit Demonstranten auf der einen und einem ersten Fahrzeugführer sowie einer Mehrzahl von sukzessive hinzukommenden Fahrzeugführern auf der anderen Seite die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 182 (187); 41, 231 (241); nachfolgend bestätigt durch: BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 1995 - 1 StR 327/95 -, NJW 1995, S. 2862; vom 23. April 2002 - 1 StR 100/02 -, NStZ-RR 2002, S. 236). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs benutzt ein Demonstrant bei einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße den ersten aufgrund von psychischem Zwang anhaltenden Fahrzeugführer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur Errichtung eines physischen Hindernisses für die nachfolgenden Fahrzeugführer (vgl. BGHSt 41, 182 (187)). Diese vom zuerst angehaltenen Fahrzeug ausgehende physische Sperrwirkung für die nachfolgenden Fahrzeugführer sei den Demonstranten zurechenbar (vgl. BGHSt 41, 182 (185)).

In seinem Beschluss vom 24. Oktober 2001 bekräftigte das Bundesverfassungsgericht seine in dem Beschluss vom 10. Januar 1995 angenommene Rechtsauffassung zu der Wortlautgrenze des Gewaltbegriffs (vgl. BVerfGE 104, 92 (101 f.)). Dabei erkannte es eine Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB als mit Art. 103 Abs. 2 GG für vereinbar an, derzufolge das Abstellen von Fahrzeugen auf einer Bundesautobahn als Gewalt zu qualifizieren ist, weil dadurch aufgrund körperlicher Kraftentfaltung ein unüberwindliches Hindernis errichtet wird, das Zwangswirkung entfaltet. Auf die Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kam es in jenem Verfahren nicht an (vgl. BVerfGE 104, 92 (102 f.)).

(2) Gemessen an diesen zu Art. 103 Abs. 2 GG entwickelten Maßstäben, hält sich die von dem Landgericht herangezogene Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Insbesondere steht die Zweite-Reihe-Rechtsprechung nicht im Widerspruch zu den in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 aufgestellten Vorgaben. Dieser Beschluss und die nachfolgende Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs basieren auf unterschiedlichen Sachverhalten, die jeweils eine differenzierende einfachrechtliche Betrachtung erlauben und dementsprechend auch eine spezifische verfassungsrechtliche Beurteilung nach sich ziehen können. Während dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ein
- zweiseitiges Personenverhältnis (Demonstranten - Insassen eines einzigen Kraftfahrzeugs) zugrunde lag (vgl. BVerfGE 92, 1 (2, 17)), hatte der Bundesgerichtshof ein
- mehrseitiges Personenverhältnis (Demonstranten - Insassen des ersten Kraftfahrzeugs - Insassen der nachfolgenden Kraftfahrzeuge) zu beurteilen (vgl. BGHSt 41, 182 (182)). Dies macht rechtlich wie auch von den tatsächlichen Folgen her einen Unterschied.

Die Zweite-Reihe-Rechtsprechung begegnet unter dem Aspekt des Art. 103 Abs. 2 GG jedenfalls mit Rücksicht auf § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB keinen Bedenken. Danach ergibt sich die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens der Demonstranten gemäß § 240 Abs. 1 StGB im Ergebnis nicht aus deren unmittelbarer Täterschaft durch eigenhändige Gewaltanwendung, sondern aus mittelbarer Täterschaft durch die ihnen zurechenbare Gewaltanwendung des ersten Fahrzeugführers als Tatmittler gegenüber den nachfolgenden Fahrzeugführern (vgl. BGHSt 41, 182 (185, 186, 187); vgl. ebenfalls in diesem Sinne: Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 240 Rn. 21; Gropp/Sinn, in: Münchener Kommentar, StGB, 1. Aufl. 2003, § 240 Rn. 48; Hoyer, JuS 1996, S. 200 (202); Hruschka, NJW 1996, S. 160 (161); Priester, in: Festschrift für Günter Bemmann, 1997, S. 362 (383); Rössner/Putz, in: Döllling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 2008, § 240 Rn. 11). Diese Auslegung der strafbarkeitsbegründenden Tatbestandsmerkmale Gewalt durch einen anderen" sprengt nicht die Wortsinngrenze des Analogieverbots.

Die vom Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 10. Januar 1995 für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB geforderte physische Zwangswirkung liegt in dieser Konstellation vor. Dies gilt zwar nicht für das Verhältnis von den Demonstranten zu dem ersten Fahrzeugführer, wohl aber für das Verhältnis von dem ersten Fahrzeugführer zu den nachfolgenden Fahrzeugführern. Indem der erste Fahrzeugführer aus Rücksicht auf die Rechtsgüter der Demonstranten abbremst, zwingt er den nachfolgenden Fahrzeugführer zur Vermeidung eines Aufpralls und damit zur Schonung eigener Rechtsgüter anzuhalten. Das erste Fahrzeug in der Reihe bedeutet für den nachfolgenden Fahrzeugführer ein unüberwindbares physisches Hindernis im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 (vgl. BVerfGE 104, 92 (102)). Dass im Verhältnis von Demonstranten zu dem ersten Fahrzeugführer keine physische, sondern allein eine psychische Zwangswirkung vorliegt, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, da die Einflussnahme eines mittelbaren Täters auf den Tatmittler durchaus allein psychischer Natur sein darf. Für die Fahrzeugführer der zweiten und nachfolgenden Reihen begründet es keinen Unterschied, ob die das Hindernis bildende erste Reihe dort von den Fahrzeugführern selbst abgestellt wurde (so in BVerfGE 104, 92 (102 f.)) oder aufgrund von psychischer Einflussnahme Dritter entstand. Auch die der strafbarkeitsbegründenden Zurechnung zugrunde liegende Annahme, dass die Demonstranten über hinreichende Tatherrschaft beziehungsweise Willen zur Tatherrschaft verfügen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Demonstranten versetzen den ersten Fahrzeugführer mit dem Betreten der Fahrbahn, ohne dass es weiterer (Inter-)Aktion bedarf, gezielt in ein rechtliches Dilemma, das dieser aufgrund der von der Rechtsordnung auferlegten strafbewehrten Pflichten etwa nach §§ 212, 224, 226 StGB zum Schutz von Leib und Leben nicht anders als nach dem Willen der Demonstranten durch einen Eingriff in die Willensbetätigungsfreiheit der nachfolgenden Fahrzeugführer auflösen kann. Sie sind damit unmittelbar für das Strafbarkeitsdefizit des ersten Fahrzeugführers im Verhältnis zu den nachfolgenden Fahrzeugführern in Form des rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB verantwortlich. Die Figur der mittelbaren Täterschaft durch einen gerechtfertigt handelnden Tatmittler ist in Rechtsprechung (vgl. BGHSt 3, 4 (5 f.); 10, 306 (307)) und Schrifttum allgemein anerkannt (vgl. nur Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 25 Rn. 26; Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 25 Rn. 5a; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 25 Rn. 4; Randt, Mittelbare Täterschaft durch Schaffung von Rechtfertigungslagen, 1997, S. 47 ff.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 2000, S. 163 ff.). Dass die Auslegung, wonach derjenige, der eine Situation herbeiführt, die ein gerechtfertigtes Verhalten ermöglicht, auch für dieses Verhalten als mittelbarer Täter haftet (vgl. Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 21. Abschnitt Rn. 81; Kindhäuser, StGB, LPK, 4. Aufl. 2010, § 25 Rn. 27), die Grenze des Wortsinns überschreitet, ist nicht ersichtlich. Auch nach der Parallelwertung in der Laiensphäre ist es durchaus nachvollziehbar, dass ein Verhalten wie das der Demonstranten, welches dazu führt, dass sich Fahrzeuginsassen zwischen den Fahrzeugen von Vorder-, Hinter- und Nebenmann sowie unter Umständen Leitplanke, Seitenstreifen (vgl. § 18 Abs. 7 bis 9, § 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO) oder anderen parkenden Fahrzeugen eingekeilt wiederfinden, wegen des durch die physische Zwangswirkung herbeigeführten Nötigungserfolgs im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB tatbestandsmäßig sein kann. Sofern sich Bedenken gegen die Auslegung und Anwendung der Verwerflichkeitsklausel in § 240 Abs. 2 StGB durch die Fachgerichte ergeben, ist diese anhand des materiellen Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu überprüfen (vgl. BVerfGE 104, 92 (103)).

b) Dagegen ist die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 GG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

aa) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet.

(1) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 (104); BVerfGK 11, 102 (108)). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 (342 f.); 87, 399 (406)). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 (248); 87, 399 (406); 104, 92 (103 f.)). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 (345)).

Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden,
- nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (vgl. BVerfGE 73, 206 (248); 87, 399 (406); 104, 92 (106)).
- Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 (351); BVerfGK 4, 154 (158); 11, 102 (108)).
- Er endet mit der r e c h t m ä ß i g e n Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 (250)).

(2) Das Landgericht hat den Versammlungscharakter der Zusammenkunft, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat, mit verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint.

Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die Demonstranten sich nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen könnten, weil ihre Aktion der Erregung von Aufmerksamkeit gedient habe, hat es den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit verkannt. Der Umstand, dass die gemeinsame Sitzblockade der öffentlichen Meinungsbildung galt - hier: dem Protest gegen die militärische Intervention der US-amerikanischen Streitkräfte im Irak und deren Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland -, macht diese erst zu einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Versteht man die Ausführungen des Landgerichts dahin, dass es zum Ausdruck habe bringen wollen, die Demonstranten hätten mithilfe der Aktion zu einer selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener konkreter Forderungen angesetzt, erweisen sich diese Erwägungen ebenfalls verfassungsrechtlich als nicht tragfähig. Den der Entscheidung des Landgerichts zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts sowie den eigenen rechtlichen Erwägungen des Landgerichts lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf das Vorliegen einer solchen konkreten, vor Ort durchsetzbaren Forderung auf Seiten der Demonstranten deuten. Begreift man die Ausführungen des Landgerichts dahin, dass der Aktion der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG deshalb abzusprechen sei, weil die Demonstranten sich unfriedlicher Mittel im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG bedient hätten, halten sie einer verfassungsrechtlichen Prüfung ebenfalls nicht stand. Der Entscheidung des Landgerichts sowie den zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es bei der Aktion zu Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen gekommen ist und die Versammlung hierüber insgesamt einen durch Aggressionen geprägten unfriedlichen Charakter gewonnen hat. Dass die Aktion von Einsatzkräften der Polizei aufgelöst wurde, schadet nicht, da das Landgericht seine Entscheidung jedenfalls auch auf ein Verhalten des Beschwerdeführers gestützt hat, das in dem Zeitraum vor der Auflösung lag (vgl. BVerfGE 104, 92 (106)).

bb) In dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts liegt ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers.

cc) Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.

(1) Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften sind grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Allerdings haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 (349); 87, 399 (407)). Das Bundesverfassungsgericht hat zum Schutz der Versammlungsfreiheit vor übermäßigen Sanktionen für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB besondere Anforderungen aufgestellt (vgl. BVerfGE 104, 92 (109 ff.)).

Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei

- die Dauer und
- die Intensität der Aktion,
- deren vorherige Bekanntgabe,
- Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten,
- die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch
- der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.


Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92 (112)). Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob der Abwägungsvorgang der Fachgerichte Fehler enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts beruhen und auch im konkreten Fall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 104, 92 (113)).

(2) Diesen sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Landgerichts nicht gerecht. Zum einen hat es nicht sämtliche zu berücksichtigenden Gesichtspunkte in die Abwägung eingestellt, zum anderen die zugunsten des Beschwerdeführers streitenden Umstände unter Überschreitung des den Fachgerichten zukommenden Abwägungsspielraums fehlerhaft gewichtet.

Die Ausführungen des Landgerichts unterliegen bereits im Ausgangspunkt verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat bei der Abwägung den Zweck der Sitzblockade, Aufmerksamkeit zu erregen und so einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, als einen für die Verwerflichkeit der Tat sprechenden Gesichtspunkt zulasten des Beschwerdeführers gewertet, obwohl dieses sogar den sachlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet und damit eine Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit und den hierdurch betroffenen Rechtsgütern Dritter überhaupt erst erforderlich macht. Des Weiteren hat das Landgericht verkannt, dass der Kommunikationszweck nicht erst bei der Strafzumessung, sondern im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel gemäß § 240 Abs. 2 StGB, mithin bereits bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit, zu berücksichtigen ist.

Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist des Weiteren, dass das Landgericht bei der Abwägung die Dauer der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, die Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports sowie die Anzahl der von ihr betroffenen Fahrzeugführer gänzlich außer Betracht gelassen hat.

Schließlich hat das Landgericht mit verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Begründung den Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen verneint. Der Argumentation des Landgerichts, dass die unter Umständen betroffenen US-amerikanischen Staatsbürger und Soldaten die Irakpolitik der US-amerikanischen Regierung nicht beeinflussen könnten, so dass die Aktion von ihrem Kommunikationszweck her betrachtet ungeeignet gewesen sei, scheint die Annahme zugrunde zu liegen, dass ein derartiger Sachbezug nur dann besteht, wenn die Versammlung an Orten abgehalten wird, an denen sich die verantwortlichen Entscheidungsträger und Repräsentanten für die den Protest auslösenden Zustände oder Ereignisse aktuell aufhalten oder zumindest institutionell ihren Sitz haben. Eine derartige Begrenzung auf Versammlungen im näheren Umfeld von Entscheidungsträgern und Repräsentanten würde jedoch die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit mit unzumutbar hohen Hürden versehen und dem Recht der Veranstalter, grundsätzlich selbst über die ihm als symbolträchtig geeignet erscheinenden Orte zu bestimmen, nicht hinreichend Rechnung tragen. Überdies besteht vorliegend umso weniger Anlass an dem Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand der Aktion und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen zu zweifeln, als sich unter den betroffenen Fahrzeugführern nicht nur US-amerikanische Staatsbürger, sondern auch Mitglieder der US-amerikanischen Streitkräfte befanden, die, wenn nicht in die unmittelbare Durchführung, so doch jedenfalls in die Organisation der kritisierten militärischen Intervention im Irak eingebunden waren.

dd) Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei der erforderlichen erneuten Befassung unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommt. So wird bei der Entscheidung über die Annahme der Berufung des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sein, dass die von dem Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den für die Abwägung bedeutsamen Faktoren der Dauer der Aktion ( nicht unerhebliche Wartezeit", möglicherweise über einen nur kurzen Zeitraum") und der Anzahl ( in mehreren Reihen hintereinander aufgestaut") der von ihr betroffenen Fahrzeugführer nicht hinreichend aussagekräftig sind und dass tatsächliche Feststellungen zu den übrigen Faktoren der Abwägung gänzlich fehlen.

4. Im Übrigen ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt.

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. ..." (BVerfG, 1 BvR 388/05 vom 07.03.2011, Absatz-Nr. (1 - 46), www.bverfg.de/entscheidungen/rk20110307_1bvr038805.html)

***

Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. Die besondere Störanfälligkeit eines Flughafens rechtfertigt nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit weitergehende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, als sie im öffentlichen Straßenraum zulässig sind (BVerfG, 1 BvR 699/06 vom 22.02.2011, Absatz-Nr. (1 - 128), www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110222_1bvr069906.html):

... A. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, die ein Verbot der als Aktiengesellschaft organisierten, mehrheitlich in öffentlicher Hand befindlichen Betreiberin des Flughafens Frankfurt bestätigen, das der Beschwerdeführerin auf Dauer untersagt, den Flughafen ohne deren Erlaubnis für Meinungskundgaben und Demonstrationen zu nutzen.

I. 1. Der Flughafen Frankfurt wird von der Fraport Aktiengesellschaft, der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) betrieben, in deren Eigentum auch das Flughafengelände steht. Zum Zeitpunkt des den Anlass für den Zivilrechtsstreit bildenden Flughafenverbots' gegenüber der Beschwerdeführerin im Jahr 2003 besaßen das Land Hessen die Stadt Frankfurt am Main und die Bundesrepublik Deutschland zusammen circa 70 ? der Aktien, während sich der Rest in privater Hand befand. Seit dem Verkauf der Bundesanteile halten das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main, letztere über eine hundertprozentige Tochter, zusammen nunmehr rund 52 ? der Aktien. Die übrigen Anteile befinden sich in privatem Streubesitz.

2. Bei Verhängung des Meinungskundgabe- und Demonstrationsverbots befanden sich auf dem Flughafen Frankfurt sowohl auf der Luftseite', dem nur mit Bordkarte zugänglichen Bereich hinter den Sicherheitskontrollen, als auch auf der Landseite', dem ohne Bordkarte zugänglichen Bereich vor den Sicherheitskontrollen, eine Vielzahl von Läden und Serviceeinrichtungen sowie eine Reihe von Restaurants, Bars und Cafés. Dieses Konsum- und Freizeitangebot wurde von der Beklagten im Laufe der Zeit kontinuierlich ausgeweitet. So bietet der Flughafen seinen Besuchern auf der Landseite ausgedehnte Einkaufsmöglichkeiten mit Läden in den Kategorien Bücher und Zeitschriften', Schönheit und Wellness', Tabakwaren und Spirituosen', Fashion und Accessoires', Schuhe und Lederwaren', Blumen und Souvenirs', Foto und Elektronik', Uhren und Schmuck', Optiker und Apotheke'. Auch befinden sich zahlreiche Gastronomiebetriebe im Flughafen, die vom gehobenen Restaurant über Cafés und Bars bis hin zum Schnellimbiss reichen. Daneben offerieren verschiedene Dienstleister ihre Angebote wie zum Beispiel ein Friseursalon, ein Wellness-Studio, eine Bank, eine Postfiliale mit Internetzugang, zwei Textilreinigungen und eine Vielzahl von Reiseanbietern. Schließlich gibt es eine christliche Kapelle sowie Gebetsräume für Angehörige anderer Glaubensrichtungen. Die Beklagte bewirbt dies mit dem Slogan: Airport Shopping für alle!', Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Markplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!'.

3. Die Benutzung des Flughafengeländes durch Flugpassagiere und andere Kunden regelte die Beklagte durch die von dem Land Hessen genehmigte Flughafenbenutzungsordnung in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung vom 1. Januar 1998. Diese enthielt in Teil II (Benutzungsvorschriften) - unter anderem - folgende Bestimmung:

4.2 Sammlungen, Werbungen, Verteilen von Druckschriften

Sammlungen, Werbungen sowie das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Druckschriften bedürfen der Einwilligung des Flughafenunternehmers.

In der derzeit geltenden Fassung vom 1. Dezember 2008 erklärt die Flughafenbenutzungsordnung Versammlungen in den Gebäuden des Flughafens ausdrücklich für unzulässig.

4. Auf dem Gelände des Flughafens wurden in der Vergangenheit wiederholt Versammlungen durchgeführt. Für die Jahre 2000 bis 2007 gibt die Beklagte an, dass an verschiedenen Stellen, darunter auch in den Terminals 1 und 2, insgesamt fünfundvierzig Demonstrationen und Kundgebungen stattfanden. Bei den Versammlungen handelte es sich um Aktionen verschiedener Veranstalter unterschiedlicher Größe mit diversen Anliegen, teils bei der Versammlungsbehörde angemeldet, teils nicht, teils mit der Beklagten abgestimmt, teils nicht. Die kleinste Versammlung umfasste drei Personen, die größte circa 2.000 Personen. Auch die Beklagte selbst führte auf der Landseite im öffentlich zugänglichen Bereich des Flughafens wiederholt Aktionen und Werbeveranstaltungen zur Unterhaltung des Publikums durch, wie beispielsweise Public Viewing anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2010.

5. Die Beschwerdeführerin betrat gemeinsam mit fünf weiteren Aktivisten der Initiative gegen Abschiebungen' am 11. März 2003 den Terminal 1 des Flughafens, sprach an einem Abfertigungsschalter Mitarbeiter der Deutschen Lufthansa an und verteilte Flugblätter zu einer bevorstehenden Abschiebung. Mitarbeiter der Beklagten und Einsatzkräfte des Bundesgrenzschutzes beendeten die Aktion.

6. Mit Schreiben vom 12. März 2003 erteilte die Beklagte der Beschwerdeführerin ein Flughafenverbot' und wies sie darauf hin, gegen sie werde Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt, sobald sie erneut hier unberechtigt angetroffen' werde. Mit einem erläuternden Schreiben vom 7. November 2003 wies die Beklagte die Beschwerdeführerin unter Verweis auf ihre Flughafenbenutzungsordnung darauf hin, sie dulde mit uns nicht abgestimmte Demonstrationen im Terminal aus Gründen des reibungslosen Betriebsablaufes und der Sicherheit grundsätzlich nicht'.

7. Das Amtsgericht wies die auf die Aufhebung des Meinungskundgabe- und Demonstrationsverbots zielende und gegen die Fraport AG gerichtete Klage der Beschwerdeführerin ab. Die Beklagte könne sich als Eigentümerin auf ihr Hausrecht berufen. Einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliege sie nicht. Eine solche Grundrechtsbindung folge auch nicht aus dem Umstand, dass die öffentliche Hand mehrheitlich an der Beklagten beteiligt sei, da sich die Beteiligung nicht auf 100 ? belaufe. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu dem Zweck gegründet worden sei, Grundrechtsbindungen zu unterlaufen, bestünden nicht. Auch übe die Beklagte im Zusammenhang mit den Abschiebungen keine hoheitlichen Befugnisse aus. Sie unterliege wie sämtliche Privatrechtssubjekte nur einer mittelbaren Grundrechtsbindung, wonach die anzuwendenden Gesetze, aus denen sich ihre Rechte und Pflichten ergäben, unter Berücksichtigung der Grundrechte auszulegen seien. Nach Abwägung zwischen dem Eigentumsrecht der Beklagten und dem Recht der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit ergebe sich, dass die Beklagte es nicht hinnehmen müsse, dass auf ihrem Gelände Meinungskundgaben und Demonstrationen stattfänden. Meinungs- und Versammlungsfreiheit seien Abwehrrechte gegenüber dem Staat, verliehen aber keine Rechte gegenüber einem Eigentümer, der auf seinem Gelände eine Versammlung nicht dulden wolle. Im Rahmen des § 903 BGB komme es nicht darauf an, ob die konkrete Grundrechtsbetätigung den Betriebsablauf auf dem Gelände der Beklagten tatsächlich beeinträchtige. Das Flughafenverbot sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig, da es nur den Aufenthalt im Flughafen betreffe, der nach Nr. 4.2 der Flughafenbenutzungsordnung unrechtmäßig sei.

8. Das Landgericht wies die Berufung der Beschwerdeführerin unter Verweis auf die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils als unbegründet zurück. Ergänzend führte es aus: Entscheidend sei, dass die Beklagte im konkreten Fall keine öffentlichrechtlichen Aufgaben wahrgenommen habe. Die von der Beklagten als Beliehene im Bereich der Luftverkehrsverwaltung wahrgenommenen öffentlichen Aufgaben beschränkten sich auf die Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Luftverkehrs. Demgegenüber gehöre die Zurverfügungstellung der Infrastruktur bei der Abschiebung nicht zu der öffentlichen Aufgabe der Luftverkehrsverwaltung. Im Rahmen der mittelbaren Grundrechtsbindung sei die Beklagte nur verpflichtet, den Zutritt zu Reisezwecken zu gewähren. Das Verbot selbst verstoße weder gegen Gesetze noch sei es sittenwidrig oder diskriminierend.

9. Der Bundesgerichtshof wies die Revision der Beschwerdeführerin als unbegründet zurück (vgl. NJW 2006, S. 1054 ff.).

Die Befugnis der Beklagten, das Verbot auszusprechen, stütze sich auf das aus §§ 858 ff., 903, 1004 BGB folgende Hausrecht, das es seinem Inhaber ermögliche, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestatte und wem er ihn verwehre. Das schließe das Recht ein, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben und die Einhaltung dieser Zwecke mittels eines Verbots durchzusetzen.

Einschränkungen des Hausrechts ergäben sich aus dem Kontrahierungszwang für Flugpassagiere, die die öffentlichrechtlichen Voraussetzungen zur Benutzung des Luftraums erfüllten, sowie aus der Öffnung des Flughafens für Begleitpersonen von Flugpassagieren und sonstige Besucher und Kunden der auf dem Flughafengelände angesiedelten Restaurants und Geschäfte. Die Beklagte gestatte hierdurch generell und unter Verzicht auf eine Prüfung im Einzelfall allen Personen den Zutritt zum Flughafen, die sich im Rahmen des üblichen Verhaltens bewegten und den Betriebsablauf nicht störten. Daraus folge indes kein Anspruch der Beschwerdeführerin, den Flughafen auch für Aktionen wie die am 11. März 2003 zu benutzen. Mit solchem Verhalten würden die Nutzungszwecke überschritten. Die Beklagte stelle den Flughafen weder allgemein zur Verteilung von Flugblättern noch zur Durchführung von Protestaktionen und sonstigen Versammlungen zur Verfügung. Eine solche Nutzung sei auch mit der Funktion eines Flughafens unvereinbar.

Die Beklagte sei auch nicht mit Rücksicht auf die Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG verpflichtet, das Hausverbot aufzuheben. Dabei könne offenbleiben, ob eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben voraussetze oder ob eine solche Bindung unabhängig davon bestehe. Das Verbot verletze nämlich auch dann keine Rechte der Beschwerdeführerin, wenn eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten unterstellt werde.

Art. 8 Abs. 1 GG begründe kein Nutzungsrecht, das nicht schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen bestehe, sondern setze die rechtliche Verfügungsbefugnis über den Versammlungsort voraus (unter Verweis auf BVerwGE 91, 135 (138)). Die Beschwerdeführerin könne auch nichts daraus herleiten, dass es der Beklagten möglicherweise nicht völlig freistehe, über Anträge auf Nutzung des Flughafengeländes jenseits seines Nutzungszwecks nach Belieben zu entscheiden, sondern dass sie gehalten sein könnte, hierbei auch das Interesse des jeweiligen Antragstellers an der Wahrnehmung seiner Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu berücksichtigen. Eine Duldungspflicht könne auch insoweit nur in Betracht kommen, wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des Flughafens durch die Demonstration nicht oder allenfalls ganz geringfügig beeinträchtigt werde. Versammlungen, die geeignet seien, den Flughafenbetrieb zu stören, müsse die Beklagte jedenfalls auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 GG nicht hinnehmen. Solche die Abwicklung des Flugverkehrs störende Versammlungen strebe die Beschwerdeführerin indes an.

Die Beklagte sei auch nicht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet, das Verbot aufzuheben. Das Hausrecht eines Flughafenbetreibers schütze die Funktionsfähigkeit des Flughafens und gewährleiste so die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags, die dem Flugverkehr dienenden Anlagen gebrauchsfähig zu erhalten und vor Störungen zu schützen. Diene die Ausübung des Hausrechts - wie hier - der Verhinderung konkret drohender Betriebsstörungen, sei die damit verbundene Einschränkung der Meinungsfreiheit hinzunehmen. Das Verbot sei im Lichte von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG verhältnismäßig. Der Beklagten habe kein milderes Mittel als das Verbot zu Gebote gestanden, um die Beschwerdeführerin auch künftig zur Beachtung der zulässigen Nutzungszwecke anzuhalten. Außerdem beziehe sich das Verbot nur auf mit der Beklagten nicht abgestimmte Aktionen. Die Beklagte habe damit zu erkennen gegeben, wie sich auch aus Nr. 4.2 der Flughafenbenutzungsordnung ergebe, dass sie grundsätzlich bereit sei, im Einzelfall über eine Erlaubnis zu entscheiden.

10. Mit Schreiben vom 10. März 2006 informierte die Beschwerdeführerin die Beklagte, dass sie am nächsten Tag im Terminal 2 des Flughafens für einige Minuten ihre Meinung zu den derzeit stattfindenden Abschiebungen nach Afghanistan kundgeben werde, ohne den Flugbetrieb in irgendeiner Weise stören zu wollen. Außerdem teilte sie mit, dass sie beim zuständigen Ordnungsamt für den gleichen Tag eine halbstündige kleine Versammlung im Terminal 1 des Flughafens angemeldet habe. Für beide Aktionen bat die Beschwerdeführerin die Beklagte um Erlaubnis. Unter Verweis auf das ausgesprochene Verbot versagte die Beklagte die Erlaubnis für beide Aktionen. Sollte die Beschwerdeführerin trotz des Verbots die Aktionen durchführen, werde man sie sofort aus den Terminals verweisen lassen und Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellen.

II. Mit ihrer am 15. März 2006 eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin unter anderem eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG.

Die Beklagte müsse sich die Grundrechte der Beschwerdeführerin unmittelbar entgegenhalten lassen. Dies ergebe sich daraus, dass die öffentliche Hand die Mehrheit ihrer Gesellschaftsanteile halte. Der Staat könne sich seiner Grundrechtsbindung durch eine Flucht ins Privatrecht' nicht entziehen. Hinzu komme, dass die Beklagte als Betreiberin eines Verkehrsflughafens im Sinne von § 38 Abs. 2 Nr. 1 Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (im Folgenden: LuftVZO) öffentliche Infrastrukturleistungen anbiete und als Beliehene im Bereich der Luftverkehrsverwaltung öffentliche Aufgaben wahrnehme. Der von ihr betriebene Flughafen sei Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Unabhängig davon seien auch materiell private Rechtssubjekte unmittelbar an die Grundrechte gebunden, wenn sie Gefährdungslagen für grundrechtlich geschützte Autonomiebereiche herbeiführten, die den Freiheitsgefährdungen im Staat-Bürger-Verhältnis glichen.

Doch selbst wenn man nur eine mittelbare Grundrechtsbindung annehme, genügten die angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG nicht.

Das von den Zivilgerichten bestätigte Verbot verletze die Beschwerdeführerin in ihrer Versammlungsfreiheit. Stellten private Eigentümer wie hier die Beklagte der Öffentlichkeit eine Fläche als Flanier- und Konsummeile zur Verfügung, verpflichte Art. 8 Abs. 1 GG sie zur Überlassung dieser Fläche auch zu Versammlungszwecken. Aus der Öffnung eines kommunikativen Raums ergäben sich Duldungspflichten, denen sich die Beklagte aufgrund ihrer Aktionärsstruktur, der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, der Sozialadäquanz des in Streit stehenden Verhaltens der Beschwerdeführerin sowie aus dem unmittelbaren örtlichen Bezug zwischen dem Flughafen und dem Protestgegenstand nicht mit dem pauschalen Hinweis auf eine Betriebsstörung entziehen könne. Außerdem stehe das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen nicht unter dem Vorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG und könne insoweit nur im Hinblick auf kollidierende Verfassungsgüter eingeschränkt werden. Das zeitlich unbefristete, strafbewehrte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt auf dem gesamten Flughafengelände schränke die Beschwerdeführerin in ihrer Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig ein, weil mildere Maßnahmen wie Anzeigepflichten, Differenzierungen nach der Größe der Versammlung oder die Festlegung bestimmter örtlicher Verbotszonen zu Gebote stünden. Außerdem mache es Spontanversammlungen unmöglich.

Daneben sei auch die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin verletzt. Die Zivilgerichte hätten die Bedeutung des allgemein zugänglichen Raums für die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin verkannt. Die Beklagte habe mit dem Flughafen ein Areal geschaffen, das in großem Umfang Einkaufs-, Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe vorhalte. Das Verteilen von Flugblättern in diesem öffentlich zugänglichen Raum überschreite nicht den Rahmen des von der Beklagten eröffneten Allgemeinverkehrs. Die Beklagte müsse es hinnehmen, wenn Besucher ihrer Flug- und Erlebniswelt' auch kritische Kommunikationsinhalte austauschten, und könne dies ebenso wenig verbieten, wie sie etwa auf den Inhalt von Tageszeitungen Einfluss nehmen könne, die in den Zeitungsläden auf dem Flughafengelände verkauft würden. Gesteigert werde die Duldungspflicht durch den engen Zusammenhang zwischen der geäußerten Kritik und der Örtlichkeit des Flughafens. Denn vom Flughafen aus werde ein Großteil der aus Deutschland durchgeführten Abschiebungen abgewickelt, gegen die sich der Protest richte. Schließlich sei der Eingriff in die Meinungsfreiheit auch deshalb unverhältnismäßig, weil das Verbot die Meinungsfreiheit zeitlich unbefristet unter einen strafbewehrten Erlaubnisvorbehalt stelle.

III. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesverwaltungsgericht, die Hessische Staatskanzlei sowie die im Ausgangsverfahren beklagte Fraport AG Stellung genommen.

1. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, dass nach seiner Rechtsprechung (vgl. BVerwGE 113, 208 (211)) ein privatrechtliches Unternehmen, das vom Staat beherrscht werde, der unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliege. Allerdings folgten nach seiner Rechtsprechung aus dem Abwehrrecht des Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich keine Leistungsansprüche gegen den Staat und damit auch nicht gegen einen Träger einer öffentlichen Einrichtung auf Überlassung eines Grundstücks zu Demonstrationszwecken (vgl. BVerwGE 91, 135 (138 ff.)). Art. 8 Abs. 1 GG begründe kein Benutzungsrecht, das nicht schon nach allgemeinen Grundsätzen bestehe. Der Träger einer öffentlichen Einrichtung sei allerdings nicht davon entbunden, bei der aus Anlass eines Antrags auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zu treffenden Ermessensentscheidung das Gewicht des Interesses des Antragstellers an der Wahrnehmung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gebührend zu berücksichtigen.

2. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde nur im Hinblick auf die Rüge der Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG für zulässig. Im Übrigen sei sie teils mangels hinreichender Substantiierung, teils mangels Beschwerdebefugnis unzulässig. Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

a) Die Beklagte sei nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Sie falle als Gesellschaft des Privatrechts nicht unter Art. 1 Abs. 3 GG. Der Umstand, dass die Anteile an der Beklagten mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand stünden, mache sie selbst nicht zu einer Hoheitsträgerin. Die Beklagte sei vielmehr als Betreiberin eines Verkehrsflughafens Adressatin zahlreicher luftverkehrsrechtlicher Pflichten (§ 19a, § 27d Abs. 2, § 29a Luftverkehrsgesetz und § 45 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO). Eine behördenähnliche Eingliederung in den staatlichen Verwaltungsaufbau, die die Beklagte als verlängerten Arm' des Staates erscheinen lasse, sei hieraus nicht abzuleiten. Auch die im Luftverkehrsgesetz vorgesehene Möglichkeit, hoheitliche Befugnisse auf Privatpersonen zu übertragen, ändere hieran nichts. Bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen wie der Beklagten seien allein die öffentlichen Anteilseigner grundrechtsgebunden. Die Beteiligung der öffentlichen Hand dürfe nicht zur Folge haben, dass die ihrerseits grundrechtlich geschützte Beteiligung der privaten Anteilseigner wegen Grundrechten Dritter Begrenzungen über das übliche Maß hinaus erfahre. Außerdem seien öffentliche Anteilseigner nach dem Aktienrecht nicht imstande, einen bestimmenden Einfluss auf Einzelfallentscheidungen des Vorstandes auszuüben. Auch die von der Beklagten erbrachten öffentlichen Infrastrukturleistungen bewirkten eine unmittelbare Grundrechtsbindung nicht. Aus der Aufgabenwahrnehmung könne nicht geschlossen werden, dass sie auch dort an die Grundrechte gebunden sei, wo es gerade um die Verhinderung einer bestimmungswidrigen Inanspruchnahme ihrer Einrichtungen gehe.

b) Auch eine mittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten begründe nicht die Verpflichtung, privates Eigentum für die Ausübung von Grundrechten Dritter zur Verfügung zu stellen. Die Beklagte sei nur verpflichtet, jedem Nutzer diskriminierungsfrei die Teilnahme am Luftverkehr zu ermöglichen. Soweit in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung im Einzelfall aus einer Drittwirkung der Grundrechte Kontrahierungszwänge hergeleitet worden seien, könne daraus für den hier vorliegenden Fall nichts hergeleitet werden, denn dort sei es anders als hier stets um eine begehrte Nutzung im Rahmen des jeweiligen Widmungszwecks gegangen. Auch die Werbung der Beklagten führe zu keiner Ausdehnung des Widmungszwecks hin zu einem unspezifischen Allgemeinverkehr. Bei einem Großflughafen wie dem Flughafen Frankfurt entsprächen Einkaufsmöglichkeiten jedenfalls mittelbar dem Widmungszweck. Ungeachtet dessen folge aus der Einrichtung von Geschäften kein allgemeines, durch das Hausrecht unbeschränkbares Zutrittsrecht für jedermann. Vielmehr seien die Flächen zu Konsumzwecken nicht anders zu beurteilen als Flächen im Eigentum eines sonstigen Privaten, also wie Kaufhäuser oder Einkaufszentren. Sie seien nicht mit Fußgängerzonen oder öffentlichen Plätzen vergleichbar, die straßenrechtlich dem öffentlichen Verkehr gewidmet seien.

c) Selbst wenn man eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten unterstelle, seien die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte müsse Versammlungen, die - wie die Aktionen der Beschwerdeführerin - geeignet seien, den Flughafenbetrieb zu stören, nicht hinnehmen. Abgesehen davon laufe eine allgemeine Öffnung der Terminalflächen für die von der Beschwerdeführerin verfolgten Zwecke der öffentlichrechtlichen Betriebssicherungspflicht nach § 45 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO zuwider. Diese könne die Beklagte nur gewährleisten, wenn sie Personen, die nicht am Flugverkehr teilnehmen wollten, den Zugang verwehren könne. Der Flughafen stelle für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen ein attraktives Kommunikationsforum dar. Hätte die Beklagte daher die Aktionen der Beschwerdeführerin zu dulden, so wäre sie im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG auch gegenüber anderen Gruppen gehalten, derartige Aktionen hinzunehmen, was zu einer konfliktträchtigen, kaum mehr kontrollierbaren Politisierung des sicherheitssensiblen Bereichs der Terminals führen würde.

3. Die Beklagte hält die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rügen der Verletzung der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit für unbegründet.

a) Sie selbst sei nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Auf die Aktionärsstruktur könne nicht abgestellt werden, weil die Frage der Grundrechtsbindung sonst von Zufälligkeiten des Börsenhandels abhängig gemacht und der Verkauf einer geringen Beteiligung eine völlige Änderung des grundrechtlichen Status bewirken würde. Der Annahme einer umfassenden Grundrechtsbindung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens wie der Beklagten stehe das Grundrecht auf Eigentum der privaten Anteilseigner entgegen, die nicht zugleich Grundrechtsberechtigte und Grundrechtsadressaten sein könnten.

Aus der öffentlichen Aufgabe der Beklagten, die Sicherheit und Leichtigkeit des Luftverkehrs zu garantieren, könne nicht geschlossen werden, dass sie auch dort grundrechtsgebunden sei, wo es gerade nicht um den Zweck der Beförderung von Passagieren, sondern um eine darüber hinausgehende Nutzung gehe. Der öffentliche Charakter der Aufgabe führe schließlich auch nicht dazu, dass die Rechtsverhältnisse der Beklagten zu den Passagieren und Kunden des Flughafens öffentlichrechtlicher Natur seien. Ebenso wenig könne sich die Beschwerdeführerin auf die thematische Nähe des Versammlungsortes Flughafen' zu dem Protestgegenstand berufen. Für diesen rein örtlichen Bezug sei die Beklagte nicht verantwortlich. Die Beförderung zum Zweck der Abschiebung werde durch die dafür zuständigen Behörden veranlasst, die hierfür einen regulären Passagierplatz bei einer Fluggesellschaft buchten. Dabei sei die Beklagte verpflichtet, den zuständigen Behörden die Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen. Sie sei insoweit selbst Adressatin, nicht Akteurin hoheitlicher Maßnahmen. Gebunden sei die Beklagte mithin nur nach den für den gesamten Privatrechtsverkehr geltenden Grundsätzen der mittelbaren Grundrechtsbindung. Hieraus ergebe sich kein Anspruch eines Dritten auf Nutzung des in ihrem Eigentum stehenden Geländes.

b) Auch die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin sei nicht verletzt. Meinungsäußerungen in Form des Verteilens von Flugblättern im Flughafen seien nicht von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Zwar umfasse die Meinungsfreiheit grundsätzlich auch die Wahl der Mittel und des Ortes einer Äußerung. Vorausgesetzt sei aber, dass der gewählte Ort für den Grundrechtsträger grundsätzlich frei verfügbar sei. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG enthalte dagegen kein Teilhaberecht auf Zurverfügungstellung eines ansonsten nicht verfügbaren Ortes. Die grundrechtlich geschützte freie kommunikative Entfaltung gelte für den Bereich öffentlicher Straßen und Plätze, nicht aber uneingeschränkt für private oder öffentliche Einrichtungen über deren jeweilige Aufgabe und Widmung hinaus. Auch der öffentliche Eigentumsanteil und die Eröffnung des Verkehrs machten das Flughafengebäude nicht zum öffentlichen Raum, der jeder Ausübung kommunikativer Grundrechte offen zu stehen habe.

Wäre der von der Beklagten betriebene Flughafen ein Eigenbetrieb der öffentlichen Hand, so stünde er nicht im Gemein-, sondern lediglich im Anstaltsgebrauch. Das erlaubte Verhalten wäre von vornherein auf den der Widmung entsprechenden Anstaltszweck des Flughafens begrenzt. Selbst wenn man einen Flughafen als öffentliche Einrichtung im Gemeingebrauch qualifizieren wollte, wäre der zulässige Gebrauch auf den Widmungszweck begrenzt. Eine darüber hinausgehende Sondernutzung wäre in jedem Fall erlaubnispflichtig. Dies müsse erst recht für private Einrichtungen mit nur partiellen öffentlichen Aufgaben gelten. Auch auf öffentlichen Straßen sei das Verbreiten von Meinungen nicht als Gemeingebrauch, sondern als Sondernutzung zu bewerten, wenn es den Gemeingebrauch anderer beeinträchtigen könne. Hierbei komme es auf die örtlichen Verhältnisse an. Was auf Straßen noch Gemeingebrauch sei, könne unter den beengten Verhältnissen und angesichts der vielfältigen Nutzungsansprüche im Fall eines großen Flughafens schon Sondernutzung sein. Hier könnten schon kleinere Gruppen und eine an den Warteschlangen Flugblätter verteilende Person die Aufmerksamkeit für Durchsagen beeinträchtigen oder Flugpassagieren den Zugang versperren. Dem Ermessen des Trägers einer öffentlichen Einrichtung bei der Erlaubnis von Sondernutzungen entspreche bei einem privaten Träger der Erlaubnisvorbehalt für alle nicht der Widmung entsprechenden Nutzungen.

Auch das Angebot von Kauflandschaften' und Erlebniswelten' führe zu keiner Erweiterung des Widmungszwecks. Hierbei handele es sich um Einrichtungen, die lediglich den Zweck hätten, den Flugpassagieren die Zeit vor und nach dem Flug unterhaltsam zu gestalten. Faktisch sei hiermit keine entscheidende Widmungserweiterung verbunden. So stünden den rund 52 Millionen Passagieren und 6 Millionen Begleitpersonen im Jahr 2006 nur circa 4 Millionen Kunden gegenüber, die den Flughafen allein zu Einkaufs- oder Besichtigungszwecken aufgesucht hätten. Eine Erweiterung des Widmungszwecks und damit des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit ergebe sich auch nicht durch die räumliche Beziehung zwischen dem Flughafen und der kritisierten Abschiebungspraxis.

Selbst wenn das Verteilen von Flugblättern in dem Flughafengebäude grundsätzlich unter die Meinungsfreiheit falle, sei hiervon eine Anstiftung zu Straftaten, wie bei einer Aktion der Beschwerdeführerin im Juni 2004, bei der sie die Fluggäste dazu aufgefordert habe, zur Verhinderung einer Abschiebung das Handy im Flugzeug nicht abzuschalten, nicht umfasst. Der Eingriff in die Meinungsfreiheit sei insoweit jedenfalls gerechtfertigt. Der Betreiber eines Flughafens müsse bestimmte Formen von Meinungsäußerungen, insbesondere Flugblattaktionen, kontrollieren dürfen, wenn diese geeignet seien, Betriebsstörungen herbeizuführen. Ebendies sei der Sinn der Erlaubnispflicht. Gesetzliche Grundlage und allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sei das Hausrecht aus §§ 858, 903 BGB. Mindestens für die privaten Anteilseigner sei dieses Recht durch Art. 14 GG auch verfassungsrechtlich abgesichert. Dieses Hausrecht habe die Beklagte im Einklang mit Art. 5 GG ausgeübt. Selbst wenn das Eigentum durch die öffentliche Aufgabe und eine erweiterte Grundrechtsbindung im Sinne eines öffentlichen Kommunikationsraums überlagert sei, sei die durch das Verbot vorgenommene Beschränkung der Meinungsfreiheit als Zuordnung unterschiedlicher Grundrechte im Sinne einer Konfliktlösung zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt.

Das Verbot des Flugblattverteilens ohne ausdrückliche Erlaubnis sei auch verhältnismäßig. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführerin die Möglichkeit bleibe, im öffentlichen Raum im unmittelbaren Umfeld des Flughafens, wie etwa am Charterbusbahnhof vor Terminal 1, auf ihre Meinung aufmerksam zu machen. Demgegenüber würde die Öffnung des Flughafens für vielfältige Meinungskundgaben zu einer Politisierung von Verkehrseinrichtungen führen. Konflikte wären vorprogrammiert und tendenziell unkontrollierbar. Flugpassagiere könnten sich für bestimmte Meinungen vereinnahmt fühlen, ohne - wie im öffentlichen Verkehrsraum - ausweichen zu können. All dies sei mit den Sicherheitspflichten für Flughafenbetreiber nicht vereinbar.

c) Ebenso wenig sei das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Weder die öffentliche Aufgabe noch die öffentliche Zugänglichkeit verschafften der Beschwerdeführerin einen Anspruch auf die Abhaltung einer Demonstration auf einem dafür nicht zur Verfügung gestellten Gelände. Das vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützte örtliche Selbstbestimmungsrecht beziehe sich nicht auf in fremdem Eigentum stehende Grundstücke und Einrichtungen. Wie die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit allein auf den öffentlichen Straßenraum zugeschnitten. Etwas anderes gelte nur für Versammlungen in geschlossenen Räumen, um die es aber wegen der freien Zugänglichkeit der Terminals nicht gehe.

Würde man die Terminals dem öffentlichen Straßenraum gleichstellen, hätte dies schwere Folgen für die Funktionsfähigkeit des Flughafens. Nach allgemeinem Versammlungsrecht müsste zunächst jede angemeldete Versammlung und jede Spontanversammlung hingenommen werden. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung könnten einen Eingriff nicht rechtfertigen. Behinderungen Dritter müssten bis zur Grenze der Unfriedlichkeit hingenommen werden. Einzelne Straftaten würden die ganze Versammlung nicht unfriedlich werden lassen. Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und Empfindlichkeiten von Staatsgästen dürften keine Rolle spielen. Die Versammlungsfreiheit würde sich grundsätzlich auch auf die Verwendung von Megafonen und Transparenten erstrecken. Die Kosten der Reinigung müssten von dem Träger der Baulast übernommen werden. Bei einem solchen Szenario müssten die Zuständigkeiten zwischen der Beklagten, der Stadt Frankfurt am Main und der Landespolizei neu verteilt werden. Eine solche Zuständigkeitsverteilung könne allein der Gesetzgeber regeln. Jedenfalls aber sei eine drastisch erhöhte Präsenz der Landespolizei vonnöten.

Selbst wenn die Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch Demonstrationen in den Terminals umfasse, sei das hier in Rede stehende Verbot zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt. Der Flughafen sei eine besonders störungssensible Einrichtung, die nur bei hoher Disziplin aller Beteiligter funktioniere: Der Lärm der Versammlungsteilnehmer, insbesondere durch Trillerpfeifen, könne die Vernehmbarkeit und Verständlichkeit von Lautsprecherdurchsagen erschweren. Durch herumstehende Gruppen könnten Fluchtwege und Notausgänge verstellt, der Brandschutz erschwert und Rettungseinsätze behindert werden. Bei unübersichtlichen Menschenmengen könne der Raum nicht mehr auf stehengelassene Gepäckstücke kontrolliert werden. Aus der Menschenmenge heraus könnten leichter Terroranschläge verübt werden. Es bestehe kaum die Möglichkeit, Flugpassagiere von einem Terminalbereich in einen anderen umzuleiten. Außerdem sei mit Konfrontationen zwischen Versammlungsteilnehmern und Flugpassagieren zu rechnen, die befürchteten, ihren Flug zu verpassen. Der Flughafen sei insoweit mit einer städtischen Fußgängerzone nicht zu vergleichen.

Ein generelles Demonstrationsverbot im Flughafen sei auch verhältnismäßig. Mildere Mittel wie etwa die Verweisung auf den Außenbereich des Flughafens würden bereits regelmäßig ergriffen. Die Folgen des Verbots für die Beschwerdeführerin seien im Hinblick auf die räumlichen Alternativen gering. Wären Versammlungen in den Terminals des Flughafens zulässig, stünde zu befürchten, dass sich diese zu einer der Haupt-Demonstrationsarenen' der Republik entwickeln würden. Sicherheit und die ordnungsgemäße Abwicklung des Verkehrs wären nicht mehr oder nur noch unter Inkaufnahme einer unzumutbaren Aufrüstung und eines Umbaus des gesamten Terminalbereichs zu gewährleisten. So habe die Beklagte in Absprache mit der Polizei für den Fall von Demonstrationen, die unbeherrschbar zu werden drohten, entschieden, den betreffenden Terminal zu schließen und nur noch Passagiere mit Flugtickets hineinzulassen. Ein solches Vorgehen ziehe indes regelmäßig eine Flut von Beschwerden und Schadensersatzforderungen nach sich und bedeute letztlich, dass die Beklagte ihre betrieblichen Prozesse selbst blockiere.

IV. In der mündlichen Verhandlung haben sich die Beschwerdeführerin und die Beklagte als Äußerungsberechtigte sowie als sachkundige Auskunftspersonen Vertreter von Amnesty International - Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V. -, des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen - Deutsche Sektion des CEEP e.V. -, des Deutschen Gewerkschaftsbundes - Bezirk Hessen-Thüringen - sowie der Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt/Main und der Polizeidirektion Flughafen des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main geäußert.

B. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen der Zivilgerichte verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

I. Die Beklagte ist gegenüber der Beschwerdeführerin unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Entsprechend kann sie sich zur Rechtfertigung des von ihr ausgesprochenen Flughafenverbots nicht ihrerseits auf eigene Grundrechte berufen.

1. Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Verwendung von zivilrechtlichen Handlungsformen als auch für den Einsatz privatrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.

a) Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Der Begriff der staatlichen Gewalt ist dabei weit zu verstehen und erstreckt sich nicht nur auf imperative Maßnahmen. Entscheidungen, Äußerungen und Handlungen, die - auf den jeweiligen staatlichen Entscheidungsebenen - den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürger getroffen zu werden, sind von der Grundrechtsbindung erfasst. Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist danach jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen, weil es in Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags erfolgt.

Art. 1 Abs. 3 GG liegt dabei eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich rechenschaftspflichtig zu sein. Ihre Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und - insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit - prinzipiell begrenzt. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung steht nicht unter einem Nützlichkeits- oder Funktionsvorbehalt. Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden, unabhängig davon, in welcher Rechtsform er handelt. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung von Art. 1 Abs. 3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre, ist ihm verstellt.

b) Die unmittelbare Grundrechtsbindung betrifft nicht nur öffentliche Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, sondern auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden.

aa) Für öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, ist anerkannt, dass die Grundrechtsbindung nicht nur den oder die Träger des jeweiligen Unternehmens trifft, sondern das Unternehmen selbst (vgl. BVerwGE 113, 208 (211); Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 117 Rn. 49; Ehlers, Gutachten E für den 64. DJT (2002), S. E 39; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 1 Abs. 3 Rn. 69 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 25. Aufl. 2009, Rn. 187; Höfling, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 1 Rn. 104). Dies entspricht dem Charakter eines solchen Unternehmens als verselbständigter Handlungseinheit und stellt eine effektive Grundrechtsbindung unabhängig davon sicher, ob, wieweit und in welcher Form der oder die Eigentümer gesellschaftsrechtlich auf die Leitung der Geschäfte Einfluss nehmen können und wie - bei Unternehmen mit verschiedenen öffentlichen Anteilseignern - eine Koordination der Einflussrechte verschiedener öffentlicher Eigentümer zu gewährleisten wäre. Aktivitäten öffentlicher Unternehmen bleiben unabhängig von der Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Einflussrechte eine Form staatlicher Aufgabenwahrnehmung, bei der die Unternehmen selbst unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind.

bb) Nichts anderes hat für gemischtwirtschaftliche Unternehmen, an denen sowohl private wie öffentliche Anteilseigner beteiligt sind, zu gelten, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden.

(1) Auch bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen erfasst die Frage der Grundrechtsbindung das jeweilige Unternehmen insgesamt und kann nur einheitlich beantwortet werden. Sie sind gleichfalls als verselbständigte Handlungseinheiten tätig. Die Grundrechtsbindung der hinter den Unternehmen stehenden öffentlichen Eigentümer und ihre gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsbefugnisse allein sind ungeeignet, die Grundrechtsbindung solcher Unternehmen zu ersetzen und machen sie insbesondere nicht überflüssig. Schon grundsätzlich kann eine Grundrechtsbindung nicht quotenweise realisiert werden. Auch sind die Einwirkungsrechte der Anteilseigner auf die laufende Geschäftsführung gesellschaftsrechtlich vielfach beschränkt, so dass - insbesondere im Aktienrecht (vgl. etwa § 119 Abs. 2 AktG), und unter Berücksichtigung des Mitbestimmungsrechts - eine Grundrechtsbindung selbst durch die Mehrheit der Eigentümer vielfach nicht durchsetzbar ist. Überdies wäre die Geltendmachung von Grundrechten über den Umweg der Einwirkungsrechte, zumal wenn an einem Unternehmen mehrere öffentliche Anteilseigner beteiligt sind, vom Verfahren und Zeitaufwand her zu schwerfällig, um einen effektiven Grundrechtsschutz sicherzustellen.

(2) Ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen unterliegt dann der unmittelbaren Grundrechtsbindung, wenn es von den öffentlichen Anteilseignern beherrscht wird. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Insoweit kann grundsätzlich an entsprechende zivilrechtliche Wertungen angeknüpft werden (vgl. §§ 16, 17 AktG, Art. 2 Abs. 1 Buchstabe f Richtlinie 2004/109/EG). Ob in besonderen Fällen dieses Kriterium zu ergänzen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.

Das Kriterium der Beherrschung mit seiner Anknüpfung an die eigentumsrechtlichen Mehrheitsverhältnisse stellt danach nicht auf konkrete Einwirkungsbefugnisse hinsichtlich der Geschäftsführung ab, sondern auf die Gesamtverantwortung für das jeweilige Unternehmen: Anders als in Fällen, in denen die öffentliche Hand nur einen untergeordneten Anteil an einem privaten Unternehmen hält, handelt es sich dann grundsätzlich nicht um private Aktivitäten unter Beteiligung des Staates, sondern um staatliche Aktivitäten unter Beteiligung von Privaten. Für sie gelten unabhängig von ihrem Zweck oder Inhalt die allgemeinen Bindungen staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Bei der Entfaltung dieser Aktivitäten sind die öffentlich beherrschten Unternehmen unmittelbar durch die Grundrechte gebunden und können sich umgekehrt gegenüber Bürgern nicht auf eigene Grundrechte stützen.

(3) Die Rechte der privaten Anteilseigner erfahren hierdurch keine ungerechtfertigte Einbuße: Ob diese sich an einem öffentlich beherrschten Unternehmen beteiligen oder nicht, liegt in ihrer freien Entscheidung, und auch wenn sich die Mehrheitsverhältnisse erst nachträglich ändern, steht es ihnen - wie bei der Änderung von Mehrheitsverhältnissen sonst - frei, hierauf zu reagieren. Sofern sich Private indes an solchen Unternehmen beteiligen, haben sie an den Chancen und Risiken, die sich aus den Handlungsbedingungen der öffentlichen Hand ergeben, gleichermaßen teil. Ohnehin unberührt bleibt ihre Rechtsstellung als Grundrechtsträger insbesondere des Eigentumsgrundrechts unmittelbar gegenüber den öffentlichen Anteilseignern oder sonst gegenüber der öffentlichen Gewalt.

c) Mit der unmittelbaren Grundrechtsbindung und der damit fehlenden Berechtigung, sich in einem Zivilrechtsstreit gegenüber Privaten auf eigene Grundrechte zu berufen, unterliegen öffentlich beherrschte Unternehmen spezifischen Beschränkungen, denen materiell private beziehungsweise privat beherrschte Unternehmen nicht unterliegen. Die Auswirkungen dieser Grundrechtsbindung sind, da im Rahmen des Zivilrechts verbleibend, jedoch begrenzt. Insbesondere wird die öffentliche Hand hierdurch nicht grundsätzlich daran gehindert, in adäquater und weithin gleichberechtigter Weise wie Private die Handlungsinstrumente des Zivilrechts für ihre Aufgabenwahrnehmung zu nutzen und auch sonst am privaten Wirtschaftsverkehr teilzunehmen. Dies schließt umgekehrt allerdings nicht aus, dass möglicherweise Private - etwa im Wege der mittelbaren Drittwirkung - unbeschadet ihrer eigenen Grundrechte ähnlich oder auch genauso weit durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, insbesondere wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat.

aa) Viele typische Gefährdungslagen für den Grundrechtsschutz entstehen im Privatrecht von vornherein nicht, da dort dem Staat keine spezifischen Eingriffsbefugnisse zu Gebote stehen. Einseitig verbindliches Handeln ist ihm im Privatrecht nur sehr begrenzt - etwa wie vorliegend unter Rückgriff auf die zivilrechtlichen Eigentümerbefugnisse, insbesondere das Hausrecht - eröffnet. Sofern hingegen Grundrechte im Rahmen von Vertragsbeziehungen in Frage stehen, ist es möglich, dass mangels einseitiger Entscheidungsgewalt der öffentlichen Hand schon kein Eingriff in Grundrechte stattfindet oder bei einer Grundrechtsbeschränkung die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses seitens des Bürgers im konkreten Fall mit in Rechnung zu stellen ist. Auch hindert die unmittelbare Grundrechtsbindung öffentlich beherrschte Unternehmen nicht, sich erwerbswirtschaftlich am Wirtschaftsverkehr zu beteiligen. Insbesondere verbietet auch Art. 3 Abs. 1 GG Differenzierungen nicht, die an marktrelevante Kriterien wie Produktqualität, Zuverlässigkeit und Zahlungsfähigkeit anknüpfen, um ein wettbewerbliches Wirtschaften des Unternehmens zu ermöglichen.

bb) Allerdings sind die Grundrechtsbindung und die ihr entsprechende fehlende Grundrechtsberechtigung nicht ohne Bedeutung. Sie verwehren öffentlich beherrschten Unternehmen insbesondere, sich auf die Subjektivität gewillkürter Freiheit zu berufen. So kann die öffentliche Hand zwar die zivilrechtlichen Eigentümerbefugnisse - wie vorliegend das Hausrecht - nutzen, jedoch entheben diese nicht davon, insbesondere einseitig verbindliche Entscheidungen durch legitime Gemeinwohlzwecke am Maßstab der Grundrechte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen. Praktische Bedeutung erlangt die Grundrechtsbindung vor allem als Verpflichtung zu rechtsstaatlicher Neutralität bei der Gestaltung ihrer Vertragsbeziehungen. Öffentliche einschließlich der öffentlich beherrschten Unternehmen können zwar ihre Kundenbeziehungen nach der Logik des Marktes gestalten, jedoch steht es ihnen nicht frei, ihre wirtschaftliche Tätigkeit nach Belieben mit subjektiv weltanschaulichen Präferenzen oder Zielsetzungen und hierauf beruhenden Differenzierungen zu verbinden.

cc) Die unmittelbare Grundrechtsbindung öffentlich beherrschter Unternehmen unterscheidet sich somit grundsätzlich von der in der Regel nur mittelbaren Grundrechtsbindung, der auch Private und Privatunternehmen - insbesondere nach den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung und auf der Grundlage von staatlichen Schutzpflichten - unterworfen sind. Während diese auf einer prinzipiellen Rechenschaftspflicht gegenüber dem Bürger beruht, dient jene dem Ausgleich bürgerlicher Freiheitssphären untereinander und ist damit von vornherein relativ. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Wirkung der Grundrechte und damit die - sei es mittelbare, sei es unmittelbare - Inpflichtnahme Privater in jedem Fall weniger weit reicht. Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates vielmehr nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die - wie die Sicherstellung der Post- und Telekommunikationsdienstleistungen - früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren. Wieweit dieses heute in Bezug auf die Versammlungsfreiheit oder die Freiheit der Meinungsäußerung auch für materiell private Unternehmen gilt, die einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der allgemeinen Kommunikation schaffen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

2. Die Beklagte ist als Aktiengesellschaft, deren Anteile zu mehr als 50 ? von öffentlichen Anteilseignern gehalten werden, folglich unmittelbar an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden.

II. Die angegriffenen Entscheidungen der Zivilgerichte verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG.

1. Das durch die angegriffenen Entscheidungen bestätigte Verbot, im Frankfurter Flughafen ohne Erlaubnis der Beklagten Versammlungen durchzuführen, greift in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG ein.

a) aa) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 (104); 111, 147 (154 f.)). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 (344 f.)). In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 (345)).

bb) Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 (343)). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können.

(1) Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt es dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus.

(2) Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist.

Dies betrifft - unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts - zunächst den öffentlichen Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Vor allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen. In verstärktem Maß gilt dies für Fußgängerzonen und verkehrsberuhigte Bereiche; die Ermöglichung des kommunikativen Verkehrs ist ein wesentliches Anliegen, das mit solchen Einrichtungen verfolgt wird (vgl. Stahlhut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 730). Das Versammlungsrecht knüpft an diese Funktion an. Dabei beachtet es die allgemeinen straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, die es jedoch partiell überlagert, sofern dies für eine effektive Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit erforderlich ist. Öffentliche Versammlungen und Aufzüge finden hier die Bedingungen, um Forderungen einem allgemeinen Publikum zu Gehör zu bringen und Protest oder Unmut sinnbildlich auf die Straße zu tragen'.

Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind. Grundrechtlich ist auch unerheblich, ob ein solcher Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird. Ein Verbot von Versammlungen kann auch nicht als Minus zu der Nichtöffnung des Geländes und damit als bloße Versagung einer freiwilligen Leistung angesehen werden. Vielmehr besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen: Er würde sich damit in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen.

(3) Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber zum einen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine individuelle Eingangskontrolle wie an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung sicherstellt, dass nur bestimmte Personen - die Flugpassagiere, um ihre Reise anzutreten - Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht werden.

Zum anderen beantwortet sich die Frage, ob ein solcher außerhalb öffentlicher Straßen, Wege und Plätze liegender Ort als ein öffentlicher Kommunikationsraum zu beurteilen ist, nach dem Leitbild des öffentlichen Forums (vgl. zu ähnlichen Kriterien: Supreme Court of Canada, Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada, (1991) 1 S. C. R. 139; Supreme Court of the United States, International Society for Krishna Consciousness v. Lee, 505 U.S. 672 (1992)). Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht. Abzugrenzen ist dies von Stätten, die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind. Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen - außerhalb privater Nutzungsrechte - die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies indes dort, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung.

b) Hiervon ausgehend greift die Bestätigung des von der Beklagten ausgesprochenen Flughafenverbots durch die angegriffenen Entscheidungen in die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführerin ein.

Das Begehren der Beschwerdeführerin, im Frankfurter Flughafen Versammlungen durchzuführen, fällt nicht schon aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit heraus. Der Frankfurter Flughafen ist in wesentlichen Bereichen als Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs ausgestaltet. Zwar gilt dies nicht für den gesamten Flughafen. So ist eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit für die Sicherheitsbereiche, die nicht allgemein zugänglich sind, ebenso ausgeschlossen wie für solche Bereiche, die nur bestimmten Funktionen (zum Beispiel der Gepäckausgabe) dienen. Jedoch umfasst der Flughafen auch große Bereiche, die als Orte des Flanierens und des Gesprächs, als Wege zum Einkaufen und zu Gastronomiebetrieben ausgestaltet sind und hierfür einen allgemeinen Verkehr eröffnen. Unter der Rubrik Einkaufen und Erleben' wirbt die Beklagte, die sich als City in the City' versteht, im Internet: Airport Shopping für alle!', Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!'. Hier sind ersichtlich Orte als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet, deren Verkehrsflächen Versammlungen damit grundsätzlich offenstehen.

Die Beklagte untersagt der Beschwerdeführerin demgegenüber für die Zukunft zeitlich unbegrenzt - und damit ohne Ansehung der durch eine bestimmte Versammlung konkret drohenden Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs - die Durchführung von Versammlungen ohne ihre Erlaubnis für den gesamten Bereich des Flughafens. Indem die angegriffenen Entscheidungen dieses Verbot bestätigen, greifen sie in die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführerin ein.

2. Der Eingriff unterliegt im Hinblick auf die formelle Verfassungsmäßigkeit der das Grundrecht der Versammlungsfreiheit einschränkenden Ermächtigungsgrundlage keinen Bedenken. Die Beklagte kann sich für die Beschränkung von Versammlungen im Frankfurter Flughafen grundsätzlich auf die Eigentümerbefugnisse des Bürgerlichen Gesetzesbuches stützen. Sie hat deren Ausübung allerdings am Grundrecht der Versammlungsfreiheit auszurichten.

a) Die Versammlungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Vielmehr können Versammlungen unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Diesem Gesetzesvorbehalt unterfallen auch Versammlungen im Innern des Frankfurter Flughafens.

aa) Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG und unterliegen dem Gesetzesvorbehalt. Dies gilt unabhängig davon, ob die der Allgemeinheit geöffneten Orte als solche in der freien Natur oder in geschlossenen Gebäuden liegen. Maßgeblich ist, dass Versammlungen an solchen Orten ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfinden und von diesem nicht räumlich getrennt sind.

Der Begriff der Versammlung unter freiem Himmel' des Art. 8 Abs. 2 GG darf nicht in einem engen Sinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort verstanden werden. Sein Sinn erschließt sich vielmehr zutreffend erst in der Gegenüberstellung der ihm unterliegenden versammlungsrechtlichen Leitbilder: Während Versammlungen unter freiem Himmel' idealtypisch solche auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind, steht dem als Gegenbild die Versammlung in von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Räumen wie etwa in Hinterzimmern von Gaststätten gegenüber. Dort bleiben die Versammlungsteilnehmer unter sich und sind von der Allgemeinheit abgeschirmt, so dass Konflikte, die eine Regelung erforderten, weniger vorgezeichnet sind. Demgegenüber finden Versammlungen unter freiem Himmel' in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit einer unbeteiligten Öffentlichkeit statt (vgl. Arbeitskreis Versammlungsrecht, Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz , 2011, Begründung zu § 10, S. 34). Hier besteht im Aufeinandertreffen der Versammlungsteilnehmer mit Dritten ein höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotential: Emotionalisierungen der durch eine Versammlung herausgeforderten Auseinandersetzung können sich im Gegenüber zu einem allgemeinen Publikum schneller zuspitzen und eventuell Gegenreaktionen provozieren. Die Versammlung kann hier leichter Zulauf finden, sie bewegt sich als Kollektiv im öffentlichen Raum. Art. 8 Abs. 2 GG ermöglicht es dem Gesetzgeber, solche Konflikte abzufangen und auszugleichen. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass in solcher Berührung mit der Außenwelt ein besonderer, namentlich organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf besteht, um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung des Versammlungsrechts zu schaffen, anderseits kollidierende Interessen anderer hinreichend zu wahren (vgl. BVerfGE 69, 315 (348)).

bb) Hiervon ausgehend unterliegen die von der Beschwerdeführerin erstrebten Versammlungen im Frankfurter Flughafen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG. Zwar liegen die Orte, für die die Beschwerdeführerin die Versammlungsfreiheit in Anspruch nimmt, hauptsächlich im Innern des Flughafens und sind damit überdacht und seitlich begrenzt. Die beabsichtigten Versammlungen sollen jedoch nicht in eigenen, von den anderen Flughafengästen abgeschirmten Räumlichkeiten durchgeführt werden, sondern inmitten des allgemeinen Flughafenpublikums, an das sich die kollektiven Meinungskundgaben richten. Im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG gelten deshalb Versammlungen in derartigen Räumlichkeiten als Versammlungen unter freiem Himmel', die nach allgemeinen Grundsätzen gesetzlich beschränkt werden können.

b) Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches können als ein die Versammlungsfreiheit beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG herangezogen werden. Das zivilrechtliche Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004 BGB ist dementsprechend grundsätzlich geeignet, Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zu rechtfertigen. Unberührt bleiben hiervon die Versammlungsgesetze als maßgebliche Rechtsgrundlage der Befugnisse der Versammlungsbehörden für alle Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs.

aa) Der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG erlaubt es dem Gesetzgeber, Ermächtigungsgrundlagen zu schaffen, aufgrund derer die Versammlungsfreiheit beschränkt werden kann. Der Gesetzgeber kann staatlichen Behörden die Befugnis einräumen, Versammlungen unter bestimmten Bedingungen mit beschränkenden Verfügungen zu versehen oder sie erforderlichenfalls auch zu untersagen. Soweit in dieser Weise spezifische hoheitliche Entscheidungsbefugnisse geschaffen werden und entsprechende Entscheidungen einseitig durchsetzbar sind, verlangt Art. 8 Abs. 2 GG eine bewusste und ausdrücklich auf die Versammlungsfreiheit der Bürger bezogene Regelung durch den Gesetzgeber. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen in hinreichend bestimmter und normenklarer Weise zumindest in den Grundzügen vom Gesetzgeber selbst festgelegt werden. Dem entspricht, dass für entsprechende Regelungen auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gilt und die in ihm liegende Warnfunktion entfaltet.

Durch das Versammlungsgesetz des Bundes, das im Land Hessen gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG bis zur Ablösung durch ein Versammlungsgesetz des Landes fortgilt, hat der Gesetzgeber von diesem Gesetzesvorbehalt Gebrauch gemacht. Das Versammlungsgesetz ist dabei nicht auf Versammlungen im öffentlichen Straßenraum beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle öffentlichen Versammlungen, unabhängig davon, ob sie auf privatem oder öffentlichem Grund stattfinden. Es findet damit auf Versammlungen im Frankfurter Flughafen Anwendung.

bb) Dies lässt unberührt, dass die öffentliche Hand, wenn sie in den Formen des Privatrechts handelt, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zusätzlich auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 903 Satz 1, § 1004 BGB, stützen kann. Auch diese Vorschriften füllen in diesem Fall Art. 8 Abs. 2 GG aus. Dem steht nicht entgegen, dass es sich insoweit nicht um versammlungsbezogene Vorschriften handelt und damit deren Reichweite für Versammlungen durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht näher präzisiert ist. Da die öffentliche Hand hier wie jeder Private auf die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zurückgreift, ihr also keine spezifisch hoheitlichen Befugnisse eingeräumt werden und sie ihre Entscheidungen grundsätzlich auch nicht einseitig durchsetzen kann, sind die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden Anforderungen zurückgenommen. Auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG kann gegenüber solchen unspezifischen Bestimmungen eine Warnfunktion nicht erfüllen und findet keine Anwendung. Grundrechtseingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG, die sich allein auf die allgemeinen Befugnisse des Privatrechts stützen, sind damit nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Dies ist die Konsequenz dessen, dass der Staat überhaupt in den Formen des Privatrechts handeln darf.

cc) Versammlungsbeschränkende Entscheidungen, die ein öffentliches beziehungsweise öffentlich beherrschtes Unternehmen allein auf das Privatrecht stützt, vermögen die Eingriffsbefugnisse staatlicher Behörden gegenüber Versammlungen allerdings nicht zu erweitern oder gar zu begründen. Soweit die Versammlungsbehörde in Bezug auf eine Versammlung im Flughafenbereich Entscheidungen trifft oder die Vollzugspolizei zur Rechtsdurchsetzung einschreitet, haben diese zwar die Flughafenbetreiberin als Betroffene grundsätzlich einzubeziehen und gegebenenfalls deren Einschätzungen - wie sie insbesondere in der Flughafenbenutzungsordnung zum Ausdruck kommen - zu berücksichtigen, sind aber sachlich allein an die Vorgaben der für sie selbst geltenden Ermächtigungsgrundlagen - und damit vorrangig an das Versammlungsgesetz - gebunden.

3. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin jedoch in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG, weil sie ein unverhältnismäßiges Versammlungsverbot bestätigen.

Wenn die staatlichen Organe versammlungsbeschränkende Gesetze gemäß Art. 8 Abs. 2 GG auslegen und anwenden, haben sie diese stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im freiheitlich demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 (349)). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hierbei strikt zu beachten. Die angegriffenen Entscheidungen halten diesen Anforderungen nicht stand.

a) Eingriffe in die Versammlungsfreiheit bedürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eines legitimen Zwecks. Ein Verbot, sich auf dem Flughafengelände zu versammeln, kann nicht schlichtweg auf ein dem Belieben der Beklagten unterliegendes privatautonomes Bestimmungsrecht über die Nutzung ihres Privateigentums gestützt werden. Die Grundrechtsbindung der Beklagten und die ihr fehlende Befugnis, sich im Verhältnis zu anderen Privaten auf ihr Eigentumsgrundrecht zu berufen, bedingen, dass § 903 Satz 1 BGB hier nicht wie zwischen Privaten als Ausdruck einer privatautonomen, grundsätzlich im Gutdünken stehenden Entscheidungsfreiheit des Eigentümers Anwendung findet, sondern als Ermächtigungsnorm zur Verfolgung legitimer Zwecke des gemeinen Wohls in Ausfüllung der Schranken der Versammlungsfreiheit. Der Rückgriff auf § 903 Satz 1 BGB bedarf deshalb einer auf solche Aufgaben bezogenen funktionalen Einbindung und ist nur dann gerechtfertigt, wenn er zum Schutz individueller Rechtsgüter oder zur Verfolgung legitimer, hinreichend gewichtiger öffentlicher Zwecke des gemeinen Wohls dient.

Bei Versammlungen, die im Bereich eines Flughafens durchgeführt werden, gehören hierzu vor allem die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs. Ein Flughafen ist ein Verkehrsknotenpunkt für Güter- und Personenströme, er ist in ein komplexes System globaler Netzwerke eingebunden und baut auf die einwandfreie Funktionstüchtigkeit sensibler technischer Vorrichtungen und den reibungslosen Ablauf logistischer Prozesse, die im Falle der Störung oder gar des Versagens zum Verlust von unter Umständen elementaren Rechtsgütern führen können. Beeinträchtigungen im Betriebsablauf können daher eine unbestimmte Zahl von Menschen empfindlich treffen. Angesichts der hieraus folgenden spezifischen Gefährdungslage, die sich gegebenenfalls aus der unmittelbaren Verbindung von als Räume öffentlicher Kommunikation ausgestalteten Bereichen des Flughafens mit den der Verkehrsfunktion dienenden Einrichtungen noch verstärken kann, gewinnen die Sicherheit und die Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs erhebliches Gewicht und können Einschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigen. Maßnahmen, die der Sicherheit und Leichtigkeit der Betriebsabläufe sowie dem Schutz der Fluggäste, der Besucher oder der Einrichtungen des Flughafens dienen, können folglich grundsätzlich auf das Hausrecht gestützt werden.

b) Versammlungsbeschränkungen müssen zur Erreichung dieser Zwecke nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weiterhin geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei haben die auf der Grundlage des Hausrechts ergehenden Maßnahmen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im freiheitlich demokratischen Staat Rechnung zu tragen. Es gelten grundsätzlich die für die Schranken der Versammlungsfreiheit auch sonst geltenden verfassungsrechtlichen Maßgaben. Diese ermöglichen es, der besonderen Gefährdungslage eines Flughafens wirksam Rechnung zu tragen. Versammlungsbeschränkende Maßnahmen können zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des komplexen logistischen Systems eines Flughafens im Einzelfall unter weniger strengen Bedingungen erlassen werden, als dies für entsprechende Versammlungen im öffentlichen Straßenraum möglich wäre.

aa) Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG ist die Durchführung von Versammlungen grundsätzlich ohne Anmeldung oder Erlaubnis gewährleistet. Versammlungen können danach nicht unter einen generellen Erlaubnisvorbehalt gestellt werden. Jedenfalls gegenüber einem unmittelbar grundrechtsgebundenen Rechtsträger scheidet damit eine allgemeine Erlaubnispflicht von Versammlungen für die dem allgemeinen kommunikativen Verkehr eröffneten Flächen in einem Flughafen auch auf der Grundlage des Hausrechts aus. Demgegenüber unterliegt eine Anzeigepflicht - auch bei dem Flughafenbetreiber - grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal sie hier auch kurzfristig vor Ort erfolgen kann. Verhältnismäßig ist diese jedoch nur, sofern sie nicht ausnahmslos gilt, sondern Spontan- oder Eilversammlungen zulässt, und ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht nicht automatisch das Verbot der Versammlung zur Folge hat (vgl. BVerfGE 69, 315 (350 f.); 85, 69 (74 f.)).

Eine Untersagung einer Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter vorliegt. Für das Vorliegen der unmittelbaren' Gefährdung bedarf es einer konkreten Gefahrenprognose. Bloße Belästigungen Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, reichen hierfür nicht. Sie müssen in der Regel hingenommen werden. Sind unmittelbare Gefährdungen von Rechtsgütern zu befürchten, ist diesen primär durch Auflagen entgegenzuwirken. Die Untersagung einer Versammlung kommt als ultima ratio nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen anders nicht verhindert werden können (vgl. BVerfGE 69, 315 (353)).

Diese Grundsätze hindern nicht, dass dem besonderen Gefahrenpotential von Versammlungen in einem Flughafen in spezifischer Weise begegnet und die Rechte anderer Grundrechtsträger berücksichtigt werden können. Insbesondere erlaubt es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ohne Weiteres, etwa die räumliche Beengtheit der Terminals auf den jeweiligen Stufen der Abwägung in Rechnung zu stellen. Deshalb kann in einem Flughafen eine die dortigen räumlichen Verhältnisse sprengende Großdemonstration untersagt beziehungsweise auf andere Stätten verwiesen werden - ebenso wie das etwa in einer engen Fußgängerzone oder einer dicht bebauten historischen Altstadt möglich wäre; dabei kann die Teilnehmerzahl in einer den örtlichen Gegebenheiten gerecht werdenden Weise begrenzt werden. Auch liegt auf der Hand, dass in einem Flughafen bestimmte Formen, Mittel oder Geräuschpegel von Versammlungen eher Gefährdungen auslösen und damit leichter begrenzt werden können als bei entsprechenden Versammlungen auf einem Marktplatz oder einer öffentlichen Festwiese. Ebenso rechtfertigt die besondere Störanfälligkeit eines Flughafens in seiner primären Funktion als Stätte zur Abwicklung des Luftverkehrs Einschränkungen, die nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Straßenraum nicht hingenommen werden müssten. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die die Beachtung der besonderen Sicherheitsanforderungen des Flughafens sicherstellen. Außerdem können Blockadewirkungen zur Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafens in weitergehendem Umfang verhindert werden als auf öffentlichen Straßen. So können zum Beispiel unüberschaubare, über eine begrenzte Zahl hinausgehende Spontanversammlungen unterbunden werden, wenn sie mangels hinreichender Möglichkeit zu sachgerechten Vorkehrungen des Flughafenbetreibers unbeherrschbar zu werden drohen. Freilich sind demgegenüber auch in einem Flughafen Belästigungen des Publikums durch Versammlungen in gewissem Umfang grundsätzlich hinzunehmen.

bb) Inhaltlich nähern sich damit die Handlungsmöglichkeiten, die der Beklagten als unmittelbar an die Grundrechte gebundenem Rechtsträger auf der Grundlage des Hausrechts zur Verfügung stehen, der Reichweite der Befugnisse der Versammlungsbehörden. Jedenfalls können ihre zivilrechtlichen Befugnisse grundsätzlich nicht so ausgelegt werden, dass sie über die den Versammlungsbehörden verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen hinausreichen. Dies hindert die Beklagte allerdings nicht, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, die den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßgaben entsprechen, für den Flughafen näher zu konkretisieren und generalisierend auf der Grundlage ihres Hausrechts in einer Flughafenbenutzungsordnung niederzulegen. Sie kann so für die Wahrnehmung des Versammlungsrechts im Flughafen transparente Regeln schaffen, die an die räumlichen Gegebenheiten und insbesondere an die spezifischen Funktionsbedingungen wie Gefahrenlagen angepasst sind. In Betracht kommen etwa an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpfende, klarstellende Abgrenzungen zwischen multifunktionalen Verkehrsflächen und speziellen Funktionsbereichen, die Bezeichnung von Zonen, in denen Versammlungen grundsätzlich die Sicherheit des Flugbetriebs unmittelbar gefährden, oder auch ein Verbot des Mitführens von Gegenständen wie etwa Trillerpfeifen, Trommeln oder Megafonen, sofern diese erhebliche Beeinträchtigungen der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs besorgen lassen. Auch kann sie etwa eine - die Anmeldepflicht bei den Versammlungsbehörden ergänzende - Anzeigepflicht beim Flughafenbetreiber vorsehen.

Solche allein auf dem Hausrecht beruhenden Regeln bleiben freilich auf privatrechtliche Wirkungen beschränkt. Sie lassen die hoheitlichen Befugnisse der Versammlungsbehörden und der Einsatzkräfte der Vollzugspolizei vor Ort ebenso unberührt wie deren Verantwortung für die Auslegung dieser Befugnisse. Allerdings können die Behörden die Bestimmungen einer solchen Benutzungsordnung im Rahmen ihrer versammlungsrechtlichen Befugnisse als Regelvermutungen für die Erfordernisse der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafens typisierend zugrunde legen; sie müssen hierbei jedoch prüfen, ob diese den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen oder ob im Einzelfall eine Situation vorliegt, die eine Abweichung hiervon erfordert.

c) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht. Die umfassende Bestätigung des der Beschwerdeführerin erteilten Flughafenverbots durch die Zivilgerichte ist - jedenfalls angesichts der unmittelbaren Grundrechtsbindung der Beklagten - mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar.

Das von der Beklagten ausgesprochene Flughafenverbot untersagt der Beschwerdeführerin die Durchführung jeglicher Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens, sofern diese nicht vorher nach Maßgabe einer grundsätzlich freien Entscheidung von der Beklagten erlaubt werden. Es beschränkt sich folglich nicht auf die Abwehr konkret drohender Gefahren für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter, sondern versteht sich als generelles Demonstrationsverbot gegenüber der Beschwerdeführerin. Ein solches Verständnis legt auch der Bundesgerichtshof dem Flughafenverbot zugrunde. Zwar bezieht er sich zur Begründung seiner Entscheidung auch auf konkrete, früher von der Beschwerdeführerin durchgeführte Versammlungen und stellt darauf ab, dass die Beklagte als Flughafenbetreiberin vergleichbare Aktionen' (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2006 - V ZR 134/05 -, NJW 2006, S. 1054 (1056)) nicht dulden müsse. Er leitet hieraus jedoch das berechtigte Interesse der Flughafenbetreiberin her, das Verbot insgesamt und ohne weitere Begrenzungen zu erlassen. Dieses erstreckt sich generell auf jede Art von Versammlung, auf alle Bereiche des Flughafens und auf unbegrenzte Zeit. Die Beschwerdeführerin muss danach für künftige Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens um eine Erlaubnis nachsuchen. Dabei ist nicht erkennbar, unter welchen Bedingungen diese erteilt würde; vielmehr wird hierbei der Beklagten ein im Grundsatz freies Entscheidungsrecht zuerkannt. Die gerichtliche Bestätigung eines solch generellen Versammlungsverbots in dem zu weiten Teilen als öffentliches Forum ausgestalteten Flughafen genügt den Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht.

III. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin zudem in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. a) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Äußern einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung (vgl. BVerfGE 54, 129 (138 f.); 60, 234 (241); 76, 171 (192)). Hierzu gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (vgl. BVerfGE 93, 266 (289)).

Allerdings verschafft auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dem Einzelnen keinen Anspruch auf Zutritt zu ihm sonst nicht zugänglichen Orten. Die Meinungsäußerungsfreiheit ist dem Bürger nur dort gewährleistet, wo er tatsächlich Zugang findet. Anders als im Fall des Art. 8 Abs. 1 GG ist dabei die Meinungskundgabe aber nicht schon ihrem Schutzbereich nach auf öffentliche, der Kommunikation dienende Foren begrenzt. Denn im Gegensatz zur kollektiv ausgeübten Versammlungsfreiheit impliziert die Ausübung der Meinungsfreiheit als Recht des Einzelnen in der Regel keinen besonderen Raumbedarf und eröffnet auch nicht einen eigenen Verkehr, der typischerweise mit Belästigungen verbunden ist. Vielmehr haben die Meinungsäußerungsfreiheit und das aus ihr folgende Recht der Verbreitung von Meinungen keinen spezifischen Raumbezug. Als Individualrecht steht sie dem Bürger vom Grundsatz her überall dort zu, wo er sich jeweils befindet.

b) Die angegriffenen Entscheidungen bestätigen das von der Beklagten erteilte Flughafenverbot und legen dieses dahingehend aus, dass der Beschwerdeführerin ein Betreten und eine Nutzung des Flughafens nur nach Maßgabe der Flughafenbenutzungsordnung erlaubt sind, die ihrerseits das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Druckschriften von einer vorab einzuholenden Erlaubnis abhängig macht. Der Beschwerdeführerin wird damit der Zutritt zu dem - der Öffentlichkeit sonst allgemein zugänglichen - Flughafen dann verwehrt, wenn sie dort Flugblätter verteilen will. Hierin liegt seitens der - unmittelbar grundrechtsgebundenen - Beklagten ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

2. Die Meinungsfreiheit ist - wie die Versammlungsfreiheit - nicht unbeschränkt gewährleistet. Vielmehr findet sie ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Zu diesen zählen insbesondere auch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches einschließlich des aus § 903 Satz 1 und § 1004 BGB abzuleitenden Hausrechts. Grundsätzlich kann damit die Beklagte Beschränkungen der Meinungskundgabe im Bereich des Flughafens auf ihr Hausrecht stützen.

3. Gesetze, auf deren Grundlage die Meinungsfreiheit beschränkt wird, sind jedoch - wie für die Versammlungsfreiheit dargelegt - ihrerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts auszulegen. Hierbei ist der für eine freiheitlich demokratische Ordnung konstituierenden Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 7, 198 (208 f.); 101, 361 (388); stRspr). Insbesondere sind die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten.

a) aa) Eingriffe in die Freiheit der Meinungskundgabe bedürfen zunächst eines legitimen Zwecks. Es gilt Entsprechendes wie zur Versammlungsfreiheit: Auch für die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist die Beklagte angesichts ihrer unmittelbaren Grundrechtsbindung und der damit korrelierenden fehlenden Möglichkeit, sich im Verhältnis zur Beschwerdeführerin auf eigene Grundrechte zu berufen, in der Ausübung ihres Hausrechts grundsätzlich begrenzt. Sie darf dieses nicht wie private Bürger prinzipiell nach Gutdünken zur Durchsetzung ihrer Interessen verwenden. Vielmehr darf sie es nur insofern zur Unterbindung von Meinungskundgaben ausüben, als dieses öffentlichen Interessen dient.

Deshalb kann das Verbot des Verteilens von Flugblättern insbesondere auch nicht auf den Wunsch gestützt werden, eine Wohlfühlatmosphäre' in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleibt. Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf (vgl. BVerfGE 102, 347 (364)). Unerheblich sind folglich Belästigungen Dritter, die darin liegen, dass diese mit ihnen unliebsamen Themen konfrontiert werden. Erst recht ausgeschlossen sind Verbote zu dem Zweck, bestimmte Meinungsäußerungen allein deshalb zu unterbinden, weil sie von der Beklagten nicht geteilt, inhaltlich missbilligt oder wegen kritischer Aussagen gegenüber dem betreffenden Unternehmen als geschäftsschädigend beurteilt werden.

Nicht verwehrt ist es der Beklagten demgegenüber, kraft ihres Hausrechts das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Formen von Meinungsäußerungen insoweit einzuschränken, als dies zur Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flugbetriebs erforderlich ist. Wie für die Versammlungsfreiheit liegt hierin auch im Hinblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit ein gewichtiges Gemeingut, das Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann.

bb) Die Einschränkungen der Meinungskundgabe müssen zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dies schließt es jedenfalls aus, das Verteilen von Flugblättern im Flughafen generell zu verbieten oder von einer Erlaubnis abhängig zu machen. Demgegenüber sind Beschränkungen, die sich auf bestimmte Orte, Arten oder Zeitpunkte der Meinungskundgabe beziehen, zur Verhinderung von Störungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Supreme Court of Canada, Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada, (1991) 1 S. C. R. 139, S. 86 ff.; Supreme Court of the United States, International Society for Krishna Consciousness v. Lee, 505 U.S. 672 (1992), S. 699 ff.). Wie im öffentlichen Straßenrecht kann die Nutzung der Flughafenflächen zur Verbreitung von Meinungen nach Maßgabe funktionaler Gesichtspunkte begrenzt und geordnet werden. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet insoweit nicht, dass die Verbreitung von Meinungen partiell oder für bestimmte Formen untersagt oder beschränkt wird. Es kommt hierbei nicht anders als im öffentlichen Straßenraum auf die räumlichen Verhältnisse und die Beeinträchtigung der verschiedenen Nutzungszwecke, insbesondere auf die Abläufe in Bezug auf die Luftverkehrsfunktion des Flughafens, an.

Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht generell daran gehindert, zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs in bestimmten Bereichen wie beispielsweise auf der Luftseite hinter den Sicherheitskontrollen oder im Bereich von Rollbändern das Verteilen von Flugblättern erlaubnispflichtig zu machen oder gegebenenfalls auch ganz zu untersagen. Demgegenüber ist ein Verbot von Meinungskundgaben überhaupt oder auch eine umfassende Erlaubnispflicht, die das bloße Verteilen von Flugblättern einschließt, jedenfalls in den Bereichen, die als Räume öffentlicher Kommunikation ausgestaltet sind, unverhältnismäßig. Hier gelten für die unmittelbar an die Grundrechte gebundene Beklagte dieselben Grundsätze wie in Fußgängerzonen im öffentlichen Straßenraum. Das Grundgesetz gewährleistet die Möglichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung prinzipiell an allen Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs. Werden solche Räume dem allgemeinen Zugang eröffnet, muss in ihnen auch den Kommunikationsgrundrechten Rechnung getragen werden. Im Übrigen kommt es darauf an, wieweit die Meinungskundgabe die Funktionsabläufe nachhaltig zu stören geeignet ist. Untersagt werden kann das Verteilen von Flugblättern im Einzelfall im Übrigen etwa auch dann, wenn diese ihrem Inhalt nach darauf ausgerichtet sind, den Flughafenbetrieb zu behindern, und hierdurch ernsthafte Störungen konkret zu befürchten sind; in Betracht kommt dieses etwa bei Aufrufen und Appellen zu Verstößen gegen die Sicherheitsbestimmungen des Flughafens oder des Luftverkehrsrechts.

b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht. Sie bestätigen das Flughafenverbot auch mit Blick auf das in ihm enthaltene generelle und unbegrenzte Verbot gegenüber der Beschwerdeführerin, künftig ohne vorherige Erlaubnis im Frankfurter Flughafen Flugblätter zu verteilen. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit der von der Beschwerdeführerin früher durchgeführten Flugblattaktionen, die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, ist ein in dieser Art allgemeines und von konkreten Störungen des Flughafenbetriebs unabhängiges Verbot unverhältnismäßig.

IV. Ob die angegriffenen Entscheidungen darüber hinaus weitere Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzen, kann dahinstehen, weil bereits die Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen führt.

V. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen. ..."

***

... Das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 16. September 2008 - 16 U 36/08 - und das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 19. März 2008 - 2 O 230/04 - verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten. ...

I. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Abweisung eines Geldentschädigungsanspruchs wegen einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch Polizeieinsatzkräfte am Rande einer Großdemonstration.

1. a) Die Beschwerdeführer hielten sich am 13. November 2001 im Wendland auf, weil sie als Mitglieder des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V." die Demonstrationen anlässlich des für denselben Tag vorgesehenen Castortransports in das Zwischenlager Gorleben beobachten wollten. Für einen Korridor von 50 Metern beiderseits der Bahnstrecke war ein Demonstrationsverbot verhängt. Die Beschwerdeführer wurden um 7:10 Uhr von Bundespolizeibeamten angetroffen, während sie in einer Entfernung von circa 3 km von den Bahnschienen in ihrem Auto saßen. Die Polizeibeamten nahmen beide Beschwerdeführer zusammen mit circa 70 anderen Bürgern in Gewahrsam. Die Gruppe wurde zunächst auf einem Feld festgehalten. Sanitäre Anlagen waren dort nicht vorhanden. Jedenfalls die weiblichen Festgehaltenen wurden im Bedarfsfall in ein Waldstück geführt, wo sie ihre Notdurft verrichten konnten. Um 9:30 Uhr wurden die Personalien festgestellt, außerdem wurden mitgeführte Gegenstände durch die Polizei sichergestellt. Um circa 11:00 Uhr wurden die Beschwerdeführer und die anderen festgehaltenen Personen in einen Gefangenenbus verbracht; dabei musste sich der Beschwerdeführer in eine Einzelzelle begeben, während die Beschwerdeführerin zusammen mit anderen Frauen in einer 4-Personen-Zelle untergebracht wurde. Gegen 13:15 Uhr - nachdem der Castortransport den fraglichen Streckenabschnitt bereits passiert hatte - erreichte der Gefangenenbus eine als so genannte Gefangenensammelstelle eingerichtete Halle, wo die Gefangenen jeweils eine Isomatte und eine Decke erhielten und sich so ausgestattet auf dem nackten Betonfußboden aufhalten mussten. Der Beschwerdeführerin wurden ein Mobiltelefon und mehrere Stifte abgenommen. Sie wurde mehrfach durch Polizeibeamte fotografiert und mit einer Videokamera aufgenommen. Frühestens um 17:20 Uhr wurden die Beschwerdeführer entlassen.

Nach den im hier zugrunde liegenden Ausgangsverfahren streitig gebliebenen Angaben des Beschwerdeführers habe er nach Ankunft in der Gefangenensammelstelle noch bis circa 15:00 Uhr in dem Bus verweilen müssen. Während seines Aufenthalts in der Zelle habe er vergeblich versucht, durch Klopfen und Rufen auf sich aufmerksam zu machen, um die in dem Bus vorhandene Toilette benutzen zu können. Da hierauf nicht reagiert worden sei, habe er sich gezwungen gesehen, seine Notdurft in seiner Zelle zu verrichten. Zuvor, während des Aufenthalts auf dem Feld, habe ebenfalls keine Möglichkeit bestanden, eine Toilette aufzusuchen. Vielmehr hätten sich die männlichen Festgehaltenen in aller Öffentlichkeit am Zaun eines Privatgrundstücks erleichtern müssen. Ebenso wenig seien in der Gefangenensammelstelle Toiletten vorhanden gewesen. Verpflegung sei erstmals in der Sammelstelle, also nach 15:00 Uhr gereicht worden.

Die Beschwerdeführerin trägt - ebenfalls im Ausgangsverfahren streitig geblieben - vor, dass sie darum gebeten habe, mit dem Einsatzleiter zu sprechen, was ihr verweigert worden sei. Außerdem habe sie mehrfach erfolglos gefordert, einem Richter vorgeführt zu werden.

b) Die Beschwerdeführer beantragten zunächst bei dem Amtsgericht Uelzen, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festzustellen. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2004 erhoben sie außerdem die hier zugrunde liegende Amtshaftungsklage gegen das Land Niedersachsen und die Bundesrepublik Deutschland bei dem Landgericht Lüneburg. Sie begehrten unter anderem die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 2.000 (Beschwerdeführer) beziehungsweise 500 (Beschwerdeführerin) wegen der erlittenen rechtswidrigen Freiheitsentziehung. Das Landgericht setzte das Verfahren zunächst bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung aus.

c) Mit - hier nicht angegriffenen - Beschlüssen vom 4. März und vom 11. März 2007 stellte das Amtsgericht Uelzen fest, dass die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung führte das Gericht jeweils weitgehend gleichlautend aus, gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes in seiner damaligen Fassung (NGefAG a.F.) könnten Personen von der Polizei in Gewahrsam genommen werden, sofern dieses unerlässlich sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern; gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG a.F. sei zudem ein Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises zulässig. Erkenntnisse darüber, dass von den Beschwerdeführern am fraglichen Tag eine Gefahr ausgegangen sei, lägen nicht vor. Auch im Rahmen einer Gefahrenprognose habe die Polizei nicht wie geschehen vorgehen dürfen, denn insoweit wäre als milderes Mittel ein Platzverweis in Betracht gekommen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beschwerdeführer einer solchen Anordnung widersetzt hätten, hätten nicht vorgelegen. Unabhängig hiervon wäre gem. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nach der Ingewahrsamnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen gewesen, was ebenfalls unterblieben sei. Schließlich sei die Maßnahme auch deshalb unverhältnismäßig gewesen, weil die Beschwerdeführer erheblich über den Zeitpunkt hinaus, in dem der Castortransport den fraglichen Streckenabschnitt passiert habe, festgehalten worden seien.

Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus beantragt hätten festzustellen, dass auch ihre Behandlung durch die Polizei während des Gewahrsams aus den näher bezeichneten Gründen rechtswidrig gewesen sei, habe es einer Entscheidung hierüber nicht bedurft, denn ein weitergehendes Feststellungsinteresse als an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Gewahrsams als solchen sei in dem Verfahren nach § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F., in dem es nicht um Schadensersatzansprüche gehe, nicht gegeben.

d) Mit dem hier angegriffenen Urteil vom 19. März 2008 wies das Landgericht Lüneburg die Klage sodann als unbegründet ab. Selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beschwerdeführer über die Bedingungen des Gewahrsams sei die gemäß § 847 BGB a.F. (§ 253 Abs. 2 BGB n.F.) maßgebliche Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des begehrten Schmerzensgeldes bereits durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme in den Beschlüssen des Amtsgerichts Uelzen erfüllt. Die Umstände des Falles rechtfertigten - selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beschwerdeführer - auch keine darüber hinausgehende Entschädigung aus Billigkeitsgründen. Verletzungen der Menschenwürde und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts müssten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in jedem Fall die Zubilligung einer Geldentschädigung nach sich ziehen. Eine Entschädigung in Geld komme vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Rechtsbeeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden könne. Vorliegend ergebe sich aus der vom Amtsgericht rechtskräftig festgestellten Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zugleich die Rechtswidrigkeit der Art und Weise ihrer Durchführung. Darüber hinaus bedürfe es keiner Geldentschädigung. Die Behandlung der Beschwerdeführer während des Gewahrsams stelle keinen Menschenwürdeverstoß, sondern allenfalls eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Die Einschränkungen hinsichtlich der Toilettenbenutzung seien auf die bei Großereignissen wie dem Castortransport üblichen organisatorischen Unwägbarkeiten zurückzuführen und daher entschädigungslos hinzunehmen. Der Beschwerdeführer hätte während der Einkesselung in dem Waldstück von der dort bestehenden Möglichkeit, seine Notdurft im Freien zu verrichten, Gebrauch machen können. Soweit er behaupte, dass ihm während des Aufenthalts in dem Gefangenenbus trotz Klopfens und Rufens nicht geöffnet worden sei, führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn nach seinem eigenen Vortrag hätten auch andere Gefangene versucht, lautstark auf sich aufmerksam zu machen, so dass nicht auszuschließen sei, dass die Einsatzkräfte den Beschwerdeführer lediglich überhört hätten. Eine Herabwürdigung könne hierin daher nicht gesehen werden. Der weiteren Behauptung, in der Gefangenensammelstelle seien überhaupt keine Toiletten vorhanden gewesen, stehe der Vortrag der Beschwerdeführerin entgegen, wonach dunkle Toilettenhäuschen ohne Spülung zur Verfügung gestanden hätten.

e) Die Beschwerdeführer wandten sich gegen das Urteil des Landgerichts mit der Berufung. Mit Urteil vom 16. September 2008 wies das Oberlandesgericht Celle das Rechtsmittel als unbegründet zurück. In der Sache habe das Landgericht den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch zu Recht verneint. Dabei habe es nicht verkannt, dass die Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei und den Beschwerdeführern dem Grunde nach ein Ausgleich für das erlittene Unrecht zustehe, wie sich unmittelbar aus Art. 5 Abs. 5 EMRK ergebe. Allerdings müsse dieser Ausgleich nicht zwingend durch eine Geldentschädigung erfolgen. Dies sei auch unter dem Gesichtspunkt möglicher Verletzungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zwingend. Vielmehr könne unter Umständen bereits ein Urteil, welches die Rechtswidrigkeit der Schädigung feststelle, dem Geschädigten eine Genugtuung verschaffen, neben der eine Geldentschädigung nicht mehr geboten sei.

So liege es hier. Zwar hätten außer der Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch die Umstände der Unterbringung die Beschwerdeführer merklich belastet. Jedoch müsse bei der nach Billigkeit zu treffenden Entscheidung, ob und in welcher Höhe den Beschwerdeführern ein zusätzlicher Ausgleich in Geld zuzusprechen sei, auch die schwierige Lage der Sicherheitsbehörden berücksichtigt werden, die sich einer nur schwer zu bewältigenden Aufgabe zu stellen gehabt hätten. Dabei hätten sie nicht für jede Eventualität Vorsorge treffen können. So sei die Behandlung der Eingeschlossenen vorliegend nicht erwünscht gewesen, sondern Folge äußerer Zwänge und begrenzter Möglichkeiten. In ihr habe daher keine Missachtung der betroffenen Personen und ihrer Rechte gelegen. Da sich die Freiheitsentziehung hier nur über wenige Stunden hingezogen habe und keine nachhaltigen Beeinträchtigungen verursacht habe, reiche unter Berücksichtigung der Situation der Sicherheitsbehörden aus, dass die Beschwerdeführer durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme einen Ausgleich ihres immateriellen Schadens erlangt hätten.

2. Die Beschwerdeführer sehen sich durch die Abweisung des geltend gemachten Geldentschädigungsanspruchs in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 sowie Art. 1 Abs. 1, auch in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen hätten Bedeutung und Tragweite dieser Grundrechte grundlegend verkannt.

Soweit die Gerichte in der die Rechtswidrigkeit feststellenden Entscheidung des Amtsgerichts eine ausreichende Genugtuung sähen, verkennten sie, dass der Geldentschädigungsanspruch stets die Feststellung der Rechtswidrigkeit voraussetze. Daher hätte die Rechtsauffassung der angegriffenen Entscheidungen zur Konsequenz, dass eine Entschädigungsklage regelmäßig scheitern müsste. Außerdem hätten die Gerichte die durch die Beschwerdeführer erlittene Freiheitsentziehung zu Unrecht als bloß geringfügig eingestuft.

Hinsichtlich der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hätten sich die Gerichte rechtsfehlerhaft nicht mit den Fragen befasst, ob über eine Ausweiskontrolle hinausgehende Maßnahmen zur Identitätsfeststellung mit Hilfe von Foto- und Videoaufnahmen und - bei der Beschwerdeführerin - eine Leibesvisitation erforderlich waren und ob die weitergehenden Eingriffe durch Verweigerung des Toilettengangs und mehrstündiges Einsperren in engen Zellen angemessen waren. Auch der Hinweis auf die Schwierigkeiten der Polizei bei Großereignissen könne dies nicht ersetzen. Derartige Einsätze kämen immer wieder vor und könnten auch entsprechend vorbereitet werden.

Zudem sei auch das Grundrecht der Beschwerdeführer auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Diese hätten fünf Jahre lang die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung erstreiten müssen und hätten hinsichtlich der erschwerenden Umstände des Gewahrsams überhaupt keinen Rechtsschutz erhalten.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich die Polizeidirektion Lüneburg und der Präsident des Bundesgerichtshofs geäußert. Die Bundesregierung, die niedersächsische Landesregierung, die Bundespolizeidirektion Bad Bramstedt hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

II. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt insbesondere für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über einen Geldentschädigungsanspruch wegen der Verletzung immaterieller Rechtsgüter, namentlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Menschenwürde (vgl. BVerfGE 34, 269 (285 f.); BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Dezember 2005 - 1 BvR 1359/05 -, NJW 2006, S. 1580).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

a) Die Rüge der Beschwerdeführer, die Gerichte hätten zu Unrecht einen Entschädigungsanspruch in Geld wegen der rechtswidrigen Ingewahrsamnahme und deren Bedingungen verneint, betrifft in erster Linie die Auslegung und Anwendung der als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden zivilrechtlichen Vorschriften. Diese Aufgaben obliegen primär den Fachgerichten, deren Entscheidungen insoweit vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft werden können, ob ihnen eine grundsätzlich unrichtige Anschauung der betroffenen Grundrechte zugrunde liegt. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 (92 f.); 85, 248 (257 f.)).

b) Nach diesem Maßstab können die angegriffenen Entscheidungen keinen Bestand haben, denn die Erwägungen, aufgrund deren die Gerichte einen Anspruch der Beschwerdeführer auf Geldentschädigung für den erlittenen rechtswidrigen Freiheitsentzug verneint haben, werden der Bedeutung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht gerecht.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet, weil anderenfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes der Persönlichkeit zu befürchten wäre (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2000 - 1 BvR 1127/96 -, NJW 2000, S. 2187 f. und vom 4. März 2004 - 1 BvR 2098/01 -, NJW 2004, S. 2371 (2372)). Dies gilt nicht weniger, wenn wie vorliegend zusätzlich das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist, weil es bereits an einer Rechtsgrundlage für die freiheitsentziehende Maßnahme als solche fehlte. Zwar muss der hiernach gebotene Ausgleich, wie die hier angegriffenen Entscheidungen im Ausgangspunkt zutreffend erkannt haben, nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen (vgl. BVerfG, NJW 2004, S. 2371 (2372 f.); NJW 2006, S. 1580 (1581)). Daher begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass eine Geldentschädigung wegen der Verletzung immaterieller Persönlichkeitsbestandteile nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Schwere und des Fehlens einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit beansprucht werden kann (vgl. BGHZ 39, 124 (133); 161, 33 (36 f.)).

bb) Diese Bedingungen haben die Gerichte vorliegend aber in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verneint.

(1) So haben sie ihre Auffassung, dass die von den Beschwerdeführern erlittene Rechtseinbuße durch die vom Amtsgericht festgestellte Rechtswidrigkeit des Gewahrsams hinreichend ausgeglichen sei, allein auf eine Würdigung der - unstreitigen oder als wahr unterstellten - Umstände der Durchführung des Gewahrsams gestützt. Demgegenüber wird die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, die bereits in der rechtswidrigen Freiheitsentziehung selbst, unabhängig von den Bedingungen ihres Vollzuges, lag, in den angegriffenen Entscheidungen zwar erwähnt, aber nicht sachhaltig gewichtend in die gebotene Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles einbezogen. Die Tatsache, dass gegen die Beschwerdeführer der so genannte Unterbindungsgewahrsam (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 NGefAG a.F.) angeordnet wurde, ohne dass nach den Feststellungen der Gerichte die Voraussetzungen dieser Maßnahme auch nur ansatzweise erfüllt gewesen wären, gibt dem vorliegenden Fall aber gerade sein wesentliches Gepräge und unterscheidet ihn von den durch die Gerichte zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen, in denen es allein um die Bedingungen beim Vollzug einer an sich gerechtfertigten Freiheitsentziehung ging.

(2) Im Übrigen genügen auch die Erwägungen der Gerichte zur rechtlichen Würdigung der Umstände des Gewahrsamsvollzugs ihrerseits nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. So hat das Oberlandesgericht seine Rechtsauffassung maßgeblich auf die Schwierigkeiten gestützt, denen sich die Sicherheitsbehörden bei Großeinsatzlagen ausgesetzt sähen, ohne aber konkret zu erörtern, welche der vom Landgericht festgestellten zusätzlichen Rechtseinbußen hierauf tatsächlich beruht haben und inwieweit sie auch bei sorgfältiger Planung und Durchführung des Polizeieinsatzes nicht vermeidbar waren.

Zu beanstanden ist weiter, dass das Oberlandesgericht in der mindestens zehnstündigen Festsetzung der Beschwerdeführer keine nachhaltige Beeinträchtigung gesehen hat, ohne die abschreckende Wirkung zu erwägen, die einer derartigen Behandlung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten - namentlich die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Teilnahme an Demonstrationen oder deren von Art. 2 Abs. 1 GG umfasste Beobachtung - zukommen konnte und die der Rechtsbeeinträchtigung ein besonderes Gewicht verleihen kann (vgl. BVerfGE 90, 22 (25); 99, 185 (197)). Schließlich haben die angegriffenen Entscheidungen bei der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion, die sie den amtsgerichtlichen Beschlüssen zugemessen haben, auch nicht erkennbar berücksichtigt, dass diese erst mehrere Jahre nach dem Vollzug der angegriffenen Maßnahme ergangen sind und sich außerdem nicht ausdrücklich zu den zusätzlichen Beeinträchtigungen bei dem Vollzug des Gewahrsams verhalten haben.

c) Die angegriffenen Urteile beruhen auch auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei erneuter Befassung unter angemessener Berücksichtigung der erfolgten Grundrechtsbeeinträchtigungen zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden. ..." (BVerfG, 1 BvR 2853/08 vom 11.11.2009, Absatz-Nr. (1 - 27), www.bverfg.de/entscheidungen/rk20091111_1bvr285308.html)

***

... 1. Artikel 21 Nummer 1, 2, 7, 13 und 14 des Bayerischen Versammlungsgesetzes vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 421) wird einstweilen außer Kraft gesetzt.

2. Artikel 9 Absatz 2 Satz 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes ist einstweilen mit der Maßgabe anzuwenden, dass zugleich die Voraussetzungen des Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes vorliegen müssen. Eine Auswertung der Übersichtsaufzeichnungen ist nur unverzüglich nach Beendigung der Versammlung zulässig. Soweit danach die Daten nicht in Bezug auf einzelne Personen zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der aufgezeichneten Versammlung oder zur Abwehr künftiger versammlungsspezifischer Gefahren gemäß Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes benötigt werden, müssen sie innerhalb von zwei Monaten gelöscht oder irreversibel anonymisiert werden. Soweit Artikel 9 Absatz 2 und 4 des Bayerischen Versammlungsgesetzes weitergehende Nutzungen zulässt, wird die Vorschrift einstweilen außer Kraft gesetzt.

3. Artikel 9 Absatz 2 Satz 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes ist einstweilen mit der Maßgabe anzuwenden, dass Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nur zulässig sind, wenn sie wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.

4. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

5. ...

A. Die Beschwerdeführer begehren mit ihrem Eilantrag, das Bayerische Versammlungsgesetz (BayVersG) vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 421) als Ganzes, mit Ausnahme von Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 sowie - bezogen hierauf - Abs. 3 BayVersG, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einstweilen außer Kraft zu setzen.

I. Im Zuge der Föderalismusreform ging die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder über (vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034). Mit dem am 1. Oktober 2008 in Kraft getretenen Bayerischen Versammlungsgesetz hat der Freistaat Bayern von dieser Kompetenz als erstes Bundesland Gebrauch gemacht. Dessen Vorschriften lauten auszugsweise:

Art. 2 Begriffsbestimmungen, Anwendungsbereich

(1) Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.

(2) Eine Versammlung ist öffentlich, wenn die Teilnahme nicht auf einen individuell feststehenden Personenkreis beschränkt ist.

(3) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt dieses Gesetz nur für öffentliche Versammlungen.

Art. 3 Versammlungsleitung und Einladung

(1)1 Jede Versammlung muss eine natürliche Person als Leiter haben.2 Dies gilt nicht für Spontanversammlungen nach Art. 13 Abs. 4.

(2)1 Der Veranstalter leitet die Versammlung.2 Veranstaltet eine Vereinigung die Versammlung, ist Leiter die Person, die den Vorsitz der Vereinigung führt.3 Der Veranstalter kann die Leitung einer anderen Person übertragen.

(3) Die Bekanntgabe oder Einladung zu einer Versammlung muss Ort, Zeit, Thema sowie den Namen des Veranstalters enthalten.

Art. 4 Veranstalterpflichten, Leitungsrechte und -pflichten

(1) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass die Versammlung einen gewalttätigen Verlauf nehmen kann, hat der Veranstalter im Vorfeld der Versammlung geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dies zu verhindern.

(2) Der Leiter

1. bestimmt den Ablauf der Versammlung, insbesondere durch Erteilung und Entziehung des Worts,

2. hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen,

3. kann die Versammlung jederzeit schließen und

4. muss während der Versammlung ständig anwesend und für die zuständige Behörde erreichbar sein.

(3)1 Der Leiter hat geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden.2 Geeignete Maßnahmen können insbesondere Aufrufe zur Gewaltfreiheit und Distanzierungen gegenüber gewaltbereiten Anhängern sein.3 Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, ist er verpflichtet, die Versammlung für beendet zu erklären.

(4)1 Der Leiter kann sich zur Erfüllung seiner Aufgaben der Hilfe einer angemessenen Anzahl volljähriger Ordner bedienen.2 Die Ordner müssen weiße Armbinden mit der Aufschrift "Ordner" oder "Ordnerin" tragen; zusätzliche Kennzeichnungen sind nicht zulässig.3 Der Leiter darf keine Ordner einsetzen, die Waffen oder sonstige Gegenstände mit sich führen, die ihrer Art nach geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen.

(5)1 Werden Polizeibeamte in eine Versammlung entsandt, haben sie oder hat sich die polizeiliche Einsatzleitung vor Ort dem Leiter zu erkennen zu geben.2 Ihnen muss ein angemessener Platz eingeräumt werden.

Art. 7 Uniformierungsverbot, Militanzverbot

(1) Es ist verboten, in einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen, sofern damit eine einschüchternde Wirkung verbunden ist.

(2) Es ist verboten, an einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild

1. paramilitärisch geprägt wird oder

2. sonst den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt

und dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht.

Art. 9 Datenerhebung, Bild- und Tonaufzeichnungen, Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen

(1)1 Die Polizei darf bei oder im Zusammenhang mit Versammlungen personenbezogene Daten von Teilnehmern erheben und Bild- und Tonaufzeichnungen anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen.2 Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(2)1 Die Polizei darf Übersichtsaufnahmen von der Versammlung und ihrem Umfeld zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes anfertigen.2 Sofern es zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens erforderlich ist, darf die Polizei auch Übersichtsaufzeichnungen anfertigen.3 Diese dürfen auch zu Zwecken der polizeilichen Aus- und Fortbildung genutzt werden.4 Die Identifizierung einer auf den Aufnahmen oder Aufzeichnungen abgebildeten Person ist nur zulässig, soweit die Voraussetzungen nach Abs. 1 vorliegen.

(3) Für Maßnahmen nach Abs. 1 und 2 gilt Art. 30 Abs. 3 des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) entsprechend.

(4)1 Die nach Abs. 1 oder 2 erhobenen Daten und Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen sind nach Beendigung der Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu löschen oder zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden

1. zur Verfolgung von Straftaten oder

2. im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtig ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, dass von dieser Person erhebliche Gefahren für künftige Versammlungen ausgehen.

2 Nach Abs. 2 Satz 2 angefertigte Übersichtsaufzeichnungen dürfen darüber hinaus aufbewahrt werden, soweit sie zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens benötigt werden.3 Erhobene Daten sowie Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 oder in Satz 2 genannten Gründen nicht gelöscht oder vernichtet wurden, sind spätestens nach Ablauf von einem Jahr seit ihrer Entstehung zu löschen oder zu vernichten, es sei denn, sie werden inzwischen zur Verfolgung von Straftaten benötigt.4 Eine Pflicht zur Löschung oder Vernichtung besteht nicht für nach Abs. 2 Satz 2 gefertigte Übersichtsaufzeichnungen, soweit diese zu Zwecken der polizeilichen Aus- und Fortbildung verwendet werden; die Identifizierung einer auf diesen Übersichtsaufzeichnungen abgebildeten Person ist nach Ablauf von einem Jahr seit Entstehung der Aufzeichnungen abweichend von Abs. 2 Satz 4 nicht mehr zulässig.

(5) ...

Art. 10 Veranstalterrechte und -pflichten

(1) - (2) ...

(3)1 Der Veranstalter hat der zuständigen Behörde auf Anforderung Familiennamen, Vornamen, Geburtsnamen, Geburtsdatum, Geburtsort und Anschrift (persönliche Daten) des Leiters mitzuteilen.2 Die zuständige Behörde kann den Leiter als ungeeignet ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet.

(4)1 Die zuständige Behörde kann Ordner als ungeeignet ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die Friedlichkeit der Versammlung gefährden.2 Die zuständige Behörde kann die Anzahl der Ordner beschränken oder dem Veranstalter aufgeben, die Anzahl der Ordner zu erhöhen.3 Die zuständige Behörde kann im Rahmen ihrer Befugnisse nach Sätzen 1 und 2 verlangen, dass der Veranstalter ihr die Zahl der Ordner und deren persönliche Daten im Sinn des Abs. 3 Satz 1 mitteilt.

Art. 13 Anzeige- und Mitteilungspflicht

(1)1 Wer eine Versammlung unter freiem Himmel veranstalten will, hat dies der zuständigen Behörde spätestens 72 Stunden, bei überörtlichen Versammlungen im Sinn des Art. 24 Abs. 3 Satz 1 spätestens 96 Stunden vor ihrer Bekanntgabe anzuzeigen.2 Eine wirksame Anzeige kann nur schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift erfolgen; sie ist frühestens zwei Jahre vor dem beabsichtigten Versammlungsbeginn möglich.3 Entspricht die Anzeige nicht den Anforderungen nach Abs. 2, weist die zuständige Behörde den Veranstalter darauf hin und fordert ihn auf, die Anzeige unverzüglich zu ergänzen oder zu berichtigen.4 Bekanntgabe einer Versammlung ist die Mitteilung des Veranstalters von Ort, Zeit und Thema der Versammlung an einen bestimmten oder unbestimmten Personenkreis.

(2)1 In der Anzeige sind anzugeben

1. der Ort der Versammlung,

2. der Zeitpunkt des Beginns und des Endes der Versammlung,

3. das Versammlungsthema,

4. der Veranstalter und der Leiter mit ihren persönlichen Daten im Sinn des Art. 10 Abs. 3 Satz 1 und telefonischer Erreichbarkeit,

5. die erwartete Anzahl der teilnehmenden Personen,

6. der beabsichtigte Ablauf der Versammlung,

7. die zur Durchführung der Versammlung mitgeführten Gegenstände oder die verwendeten technischen Hilfsmittel und

8. die vorgesehene Anzahl von Ordnern.

2 Bei sich fortbewegenden Versammlungen ist auch der beabsichtigte Streckenverlauf mitzuteilen.3 Der Veranstalter hat Änderungen der Angaben nach den Sätzen 1 und 2 der zuständigen Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(3) Entsteht der Anlass für eine geplante Versammlung kurzfristig (Eilversammlung), ist die Versammlung spätestens mit der Bekanntgabe fernmündlich, schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde oder bei der Polizei anzuzeigen.

(4) Die Anzeigepflicht entfällt, wenn sich die Versammlung aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt (Spontanversammlung).

(5) Die zuständige Behörde kann den Leiter ablehnen, wenn er unzuverlässig ist oder ungeeignet ist, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen, oder tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch seinen Einsatz Störungen der Versammlung oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen können.

(6)1 Die zuständige Behörde kann Ordner ablehnen, wenn

1. sie ungeeignet sind, den Leiter darin zu unterstützen, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen, oder

2. tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch den Einsatz dieser Personen als Ordner Störungen der Versammlung oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen können.

2 Die zuständige Behörde kann die Anzahl der Ordner beschränken oder dem Veranstalter aufgeben, die Anzahl der Ordner zu erhöhen.3 Die zuständige Behörde kann im Rahmen ihrer Befugnisse nach Sätzen 1 und 2 verlangen, dass der Veranstalter ihr die Zahl der Ordner und deren persönliche Daten im Sinn des Art. 10 Abs. 3 Satz 1 mitteilt.

Art. 21 Bußgeldvorschriften

Mit Geldbuße bis zu dreitausend Euro kann belegt werden, wer

1. entgegen Art. 3 Abs. 3 Ort, Zeit, Thema oder den Namen des Veranstalters einer Versammlung nicht angibt,

2. entgegen Art. 4 Abs. 3 Satz 1 oder 3 keine geeigneten Maßnahmen ergreift oder die Versammlung nicht oder nicht rechtzeitig für beendet erklärt,

3. als Leiter Ordner einsetzt, die anders gekennzeichnet sind, als es nach Art. 4 Abs. 4 Satz 2 zulässig ist,

4. als Leiter entgegen Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Polizeibeamten keinen oder keinen angemessenen Platz einräumt,

5. - 6. ...

7. entgegen Art. 7 Abs. 2 an einer Versammlung teilnimmt,

8. - 9. ...

10. als Veranstalter

a) entgegen Art. 10 Abs. 3 Satz 1 persönliche Daten nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig mitteilt oder

b) Personen als Leiter der Versammlung einsetzt, die von der zuständigen Behörde nach Art. 10 Abs. 3 Satz 2 oder Art. 13 Abs. 5 abgelehnt wurden,

11. als Veranstalter

a) Ordner einsetzt, die von der zuständigen Behörde nach Art. 10 Abs. 4 Satz 1 oder nach Art. 13 Abs. 6 Satz 1 abgelehnt wurden,

b) einer vollziehbaren Anordnung nach Art. 10 Abs. 4 Satz 2 oder Art. 13 Abs. 6 Satz 2 zuwiderhandelt, oder

c) entgegen Art. 10 Abs. 4 Satz 3 oder Art. 13 Abs. 6 Satz 3 persönliche Daten nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig mitteilt,

12. ...

13. entgegen Art. 13 Abs. 1 Satz 1 eine Anzeige nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstattet,

14. entgegen Art. 13 Abs. 2 Satz 3 eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,

15. als Veranstalter oder als Leiter eine Versammlung unter freiem Himmel ohne Anzeige nach Art. 13 Abs. 3 durchführt,

16. entgegen Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 einen Gegenstand mit sich führt oder

17. ...

II.

Die Beschwerdeführer sind Landesverbände von Gewerkschaften, Parteien und anderen nichtstaatlichen Organisationen, die regelmäßig Versammlungen veranstalten. Sie rügen eine Verletzung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG sowie - bezogen auf Art. 9, Art. 10 und Art. 13 Abs. 5 und 6 BayVersG - des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Sie seien unmittelbar durch das Gesetz als Ganzes betroffen. Dieses entfalte in der Gesamtheit der belastenden Neuregelung einschüchternde Wirkung, da nicht mehr abschätzbar sei, welche Belastungen und Risiken sich mit der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit verbänden. Auch seien sie durch die Vorschriften selbst und gegenwärtig betroffen, ohne dass es darauf ankäme, ob diese sich an den Veranstalter, den Leiter oder den Teilnehmer einer Versammlung richteten. Ihre Rechte als Veranstalter hingen von der Rechtsstellung der Leiter und Teilnehmer an einer Versammlung maßgeblich ab. Der Verfassungsbeschwerde stehe auch der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen, da im fachgerichtlichen Verfahren nicht die einschüchternde Wirkung des Gesetzes als Ganzes angegriffen werden könne.

In der Sache machen die Beschwerdeführer einen versammlungsfeindlichen Charakter des Gesetzes geltend. Im Zusammenwirken der Vorschriften sei das Gesetz insgesamt gesehen nicht versammlungsfreundlich, sondern behördenfreundlich. Es führe zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckten.

Die Vorschriften seien auch im Einzelnen verfassungswidrig. Dies gelte schon für die dem bisherigen Recht entsprechende, aber in der Literatur zu Recht in Frage gestellte nahezu ausnahmslose Pflicht, für jede Versammlung einen Leiter zu bestimmen (Art. 3 Abs. 1 BayVersG), sowie erst recht für die neu geschaffenen, gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoßenden weitreichenden Vorfeldpflichten des Veranstalters gemäß Art. 4 Abs. 1 BayVersG.

Weiterhin verpflichte der nun bußgeldbewehrte Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 21 Nr. 2 BayVersG den Leiter, die Versammlung für beendet zu erklären, wenn er sich nicht durchzusetzen vermöge, auch wenn es sich unter Umständen nur um einzelne Gewalttätigkeiten handele, die im Rahmen der Versammlung drohten. Dabei lege das Gesetz keine Pflicht der anwesenden Polizei fest, ihn bei der Wiederherstellung der Ordnung zu unterstützen. Seine Möglichkeiten, mit der Polizei zu kooperieren und diese um Hilfe zu bitten, würden vielmehr erschwert, weil sich nach Art. 4 Abs. 5 BayVersG im Gegensatz zur alten Rechtslage unter Umständen nur noch die Einsatzleitung der Polizei dem Versammlungsleiter gegenüber zu erkennen geben müsse. Der Leiter wisse dann nicht mehr, wie viele Polizisten anwesend seien. Gemäß Art. 4 Abs. 5 BayVersG könnten überdies in jede Versammlung, sogar wenn sie in geschlossenen Räumen stattfinde, unbeschränkt Polizeibeamte entsendet werden, ohne dass hierbei eine Gefahrenprognose erforderlich sei.

Das Militanzverbot des nun gleichfalls bußgeldbewehrten Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG in Verbindung mit Art. 21 Nr. 7 BayVersG verstoße gegen das Prinzip der Normenklarheit. Da es weder auf den Inhalt noch auf die Form, sondern auf den Gesamteindruck eines bedrohlichen militanten Charakters der Versammlung oder Teile von ihr ankomme, könne der Bürger nicht wissen, welches Verhalten vom Gesetzgeber als illegal angesehen werde.

Art. 9 BayVersG, der offene und verdeckte Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen für alle Arten von Versammlungen erlaube, sei unverhältnismäßig. Auch die Bestimmungen zur Nutzung und Löschung der gewonnenen Daten genügten nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen und hätten abschreckende Wirkung. Für Versammlungen in geschlossenen Räumen werde bereits die bisher in § 12a des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz - VersG) geregelte polizeiliche Datenerhebung von einem beträchtlichen Teil der Literatur für verfassungswidrig gehalten, da Art. 8 GG für derartige Versammlungen keinen Gesetzesvorbehalt vorsehe.

Die Pflicht des Veranstalters, auf Anforderung die persönlichen Daten des Leiters gemäß Art. 10 Abs. 3 Satz 1 BayVersG und der Ordner nach Art. 10 Abs. 4 Satz 3 BayVersG mitzuteilen, wobei die Behörde jeweils nach Art. 10 Abs. 3 Satz 2 beziehungsweise Art. 10 Abs. 4 Satz 1 BayVersG die Möglichkeit habe, den Leiter oder die Ordner abzulehnen, entfalte gleichfalls abschreckende Wirkung. Die Anforderung sei nicht von einer auf Fakten gestützten Gefahrenprognose abhängig. Die Behörde sei an keinerlei gesetzliche Vorgaben gebunden. Auch auf die Größe der geplanten Veranstaltung komme es nicht an. Das Abfragen der persönlichen Daten des Leiters diene erkennbar dazu, diese Daten mit Erkenntnissen über die Person aus allen der Behörde zur Verfügung stehenden Quellen abzugleichen. Es drohe die Gefahr politischer Persönlichkeitsprofile.

Die in Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 sowie Art. 13 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6 Satz 3 BayVersG niedergelegten Pflichten bedeuteten insbesondere für kleine Versammlungen eine große bürokratische Hürde. Die Sanktionsbewehrung entfalte eine abschreckende Wirkung speziell für kleinere, lokale Gruppierungen der Beschwerdeführer, die sich professionellen Rechtsrat nicht leisten könnten. Die übermäßig bürokratische Ausgestaltung der Anzeigeformalitäten sei jedenfalls dann verfassungswidrig, wenn sie umstandslos für alle Arten von Versammlungen gelte, ohne dass Gefahren zu besorgen seien. Obwohl ein Zwang zur Mitteilung personenbezogener Daten festgesetzt werde, habe der Gesetzgeber den Verwendungszweck nicht bereichsspezifisch und präzise bestimmt sowie nicht sichergestellt, dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich seien. Die Datenverarbeitung stelle nicht nur einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, sondern halte interessierte Staatsbürger von der Übernahme verantwortlicher Aufgaben bei Versammlungen ab. Art. 13 Abs. 5 BayVersG sei nicht zu entnehmen, wann eine Behörde einen Bürger für unzuverlässig oder für ungeeignet halte, als Leiter einer Versammlung für Ordnung zu sorgen. Die Überprüfung des Bürgers komme damit einem Gesinnungs-TÜV gleich. Dies verkehre die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts in ihr Gegenteil, wonach der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht der Rechtfertigung bedürfe, nicht aber die Ausübung des Grundrechts. Die Beurteilung eines Bürgers als ungeeignet oder unzuverlässig stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dar, der eine zumindest teilweise Aberkennung des Grundrechts bedeute. Für eine solche Entscheidung sei aber nach dem Grundgesetz nicht die Ordnungsbehörde, sondern ausschließlich das Bundesverfassungsgericht nach Art. 18 GG zuständig. Auch die Ausdehnung der Anzeigefrist von 48 auf 72 Stunden vor der Bekanntgabe nach Art. 13 Abs. 1 BayVersG sei verfassungswidrig, weil sie nicht notwendig sei. Die amtliche Begründung nenne keine konkreten Fälle, in denen die 48-Stundenfrist bei kleineren lokalen Versammlungen nicht ausgereicht hätte. Die Ausdehnung der Anzeigefrist für überörtliche Versammlungen von 48 auf 96 Stunden vor der Bekanntgabe sei ebenfalls verfassungswidrig, weil sie nicht notwendig sei. Auch hier könne die amtliche Begründung keinen einzigen Fall in der Vergangenheit nennen, bei dem die Behörden nicht ausreichend Zeit gehabt hätten, sich vorzubereiten. Anders als bisher könne die Anzeige nunmehr allein bei Eilversammlungen fernmündlich erfolgen; auch hierin liege eine unverhältnismäßige Erschwerung der Versammlungsfreiheit.

Art. 16 BayVersG verschärfe die bisherige Vorschrift des § 17a VersG, obwohl schon gegen diese von Anfang an erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht worden seien. Denn ein zwingender Zusammenhang zwischen Vermummung oder Schutzkleidung und der Unfriedlichkeit der Versammlung bestehe nicht. Art. 16 BayVersG sei im Vergleich zu dem bisherigen § 17a VersG auch insoweit unverhältnismäßig, als er nun auch Demonstranten beim Abmarsch von einer Versammlung betreffe. Wenn eine Versammlung beendet sei, könne es nicht mehr darum gehen, die Friedlichkeit der Versammlung zu gewährleisten.

III. Zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Bayerische Staatsregierung Stellung genommen.

Der Antrag könne keinen Erfolg haben, weil die Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig sei. Als Personenverbände könnten sich die Beschwerdeführer allenfalls gegen solche Vorschriften wenden, die sie als Veranstalter beträfen. Auch insoweit aber fehle es an einer unmittelbaren Grundrechtsbetroffenheit und der Erschöpfung des Rechtswegs. Darüber hinaus sei die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nicht das Bayerische Versammlungsgesetz als Ganzes angegriffen werden könne.

Im Übrigen könne der Antrag aber auch nach Maßgabe einer Interessenabwägung keinen Erfolg haben. Das Bayerische Versammlungsgesetz beruhe auf einem eigenen rechts- und ordnungspolitischen Konzept, das sich als eine den tatsächlichen und rechtlichen Entwicklungen angepasste Konkretisierung der bisherigen Rechtslage verstehe und hierbei zum Teil strengere, zum Teil aber auch geringere Anforderungen stelle. Die Außerkraftsetzung eines solchen Gesetzes sei nur unter besonders strengen Voraussetzungen zulässig, die vorliegend nicht gegeben seien.

So schränke Art. 9 Abs. 2 BayVersG die Zulässigkeit von Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen gegenüber der bisherigen Rechtslage nach §§ 12a, 19a VersG deutlich ein. Die bayerische Polizei dürfe Übersichtsaufnahmen nur zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes in die Einsatzzentrale senden, wobei diese Bilder insoweit nicht gespeichert werden dürften. Eine Speicherung dürfe nur unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG erfolgen. Weiter dürften sowohl Individualaufzeichnungen als auch Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen nach Art. 9 Abs. 3 BayVersG in Verbindung mit Art. 30 Abs. 3 BayPAG grundsätzlich nur offen und nur unter besonderen Bedingungen verdeckt erfolgen, während §§ 12a, 19a VersG diese Einschränkung nicht vorsähen. Auch reduziere Art. 9 Abs. 4 Satz 3 BayVersG die Höchstspeicherfrist für Aufzeichnungen auf ein Jahr, während § 12a Abs. 2 Satz 2 VersG hierfür noch drei Jahre vorsehe.

Die in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVersG genannten Angaben entsprächen denjenigen, die nach der Rechtspraxis bereits gemäß § 14 VersG erforderlich gewesen seien. Sie beschränkten sich auf die Informationen, die notwendig seien, um einschätzen zu können, ob Maßnahmen zum Schutz der Versammlung selbst oder von Dritten vorbereitet oder getroffen werden müssten.

Art. 4 BayVersG sei eine Reaktion auf die Entwicklung, dass Veranstalter gewaltbereite Gruppierungen ausdrücklich zur Teilnahme einlüden und dass Versammlungsleiter im Rahmen von Versammlungen zu Gewalttätigkeiten aufriefen oder die Teilnehmer aufforderten, gewaltbereite Gruppierungen gegen den Zugriff der Polizei zu schützen. Da von einem Versammlungsveranstalter und -leiter weder tatsächlich noch rechtlich Unmögliches verlangt werden könne, erschöpften sich deren Pflichten regelmäßig in bloßen Appellen, wie aus den Regelbeispielen des Art. 4 Abs. 3 Satz 2 BayVersG ersichtlich sei. Diese Inpflichtnahme, die letztlich aus dem Friedlichkeitsgebot des Art. 8 GG folge, schränke die Versammlungsfreiheit des Veranstalters und des Leiters nicht unverhältnismäßig ein. Die Voraussetzungen für deren Inpflichtnahme nach Art. 4 Abs. 1 und 3 BayVersG seien so hoch, dass sie nur selten erfüllt sein dürften. Denn aufgrund der Schutzpflicht des Staates gegenüber Versammlungen könnten Veranstalter und Leiter zu Maßnahmen nach Art. 4 Abs. 1 und 3 BayVersG nur und erst dann verpflichtet sein, wenn auch ein - stets vorrangiges - polizeiliches Einschreiten gegen einzelne Störer die Friedlichkeit der Versammlung nicht wiederherzustellen vermöge. Hinzu komme, dass selbst in einem solchen Fall den Veranstaltern und Leitern nur das abverlangt werden dürfe, was ihnen nach den Umständen des Einzelfalls tatsächlich und rechtlich möglich sei.

Nach den bisherigen Erfahrungen der bayerischen Versammlungsbehörden habe sich die von den Beschwerdeführern befürchtete abschreckende Wirkung nicht eingestellt. Die Gesamtabwägung ergebe daher, dass das Bayerische Versammlungsgesetz für die von ihm Betroffenen keine schweren und irreparablen Nachteile zur Folge habe.

B. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist teilweise stattzugeben.

I. 1. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 (291)).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein insgesamt unzulässig.

a) Die Beschwerdeführer können sich als Personenvereinigungen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Grundrecht seinem Wesen nach auf Personenvereinigungen anwendbar ist, ist in erster Linie darauf abzustellen, ob es nur individuell oder auch korporativ betätigt werden kann (vgl. BVerfGE 42, 212 (219)). Kennzeichnend für die in Art. 8 GG gewährleistete Versammlungsfreiheit ist das kollektive Element der Grundrechtsausübung, da sie Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung ist (vgl. BVerfGE 69, 315 (342 f.)). Daher treten häufig Personenvereinigungen als Veranstalter von Versammlungen auf und sind insoweit hinsichtlich des Art. 8 Abs. 1 GG beschwerdefähig. Das gilt auch für Personenvereinigungen, die keine juristischen Personen sind, sofern sie eine festgefügte Struktur haben und auf gewisse Dauer angelegt sind (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 11. Januar 1984 - 21 B 28 A 2250 -, NJW 1984, S. 2116; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 8 Rn. 56). Bei den Beschwerdeführern ist dies der Fall.

b) Die Beschwerdeführer sind zumindest hinsichtlich eines Teils der angegriffenen Vorschriften auch beschwerdebefugt.

aa) Den Beschwerdeführern fehlt es nicht insgesamt an der unmittelbaren Grundrechtsbetroffenheit.

Grundsätzlich muss ein Beschwerdeführer, der sich gegen Rechtsvorschriften wendet, welche rechtsnotwendig oder auch nur der tatsächlichen Verwaltungspraxis nach einen besonderen Vollzugsakt voraussetzen, zunächst diesen Akt angreifen und den hiergegen eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er Verfassungsbeschwerde erheben kann (vgl. BVerfGE 1, 97 (102 f.); stRspr, zuletzt 101, 54 (74); 109, 279 (306)). Nicht verlangt werden kann das jedoch dann, wenn die angegriffenen Rechtsvorschriften den Beschwerdeführer unmittelbar betreffen, das heißt, wenn sie ohne das Dazwischentreten eines weiteren Vollzugsakts bereits in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirken und es ihm nicht möglich oder zuzumuten ist, hiergegen zunächst Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Beschwerdeführer von der Maßnahme keine Kenntnis erlangt, weil sie heimlich erfolgt (vgl. BVerfGE 30, 1 (16 f.); 67, 157 (169 f.); 100, 313 (355); 109, 279 (306 f.)), oder wenn Vorschriften eine Verpflichtung begründen, die unmittelbar als solche mit einer Geldbuße oder Strafe bewehrt ist (vgl. BVerfGE 20, 283 (290); 46, 246 (256); 81, 70 (82 f.); 97, 157 (165)).

(1) Danach unterliegen jedenfalls die Rügen bezüglich Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 und 2 (hierüber mittelbar auch Art. 2 Abs. 1, Art. 10 Abs. 3) BayVersG unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit der Grundrechtsbetroffenheit keinen Bedenken. Die Vorschriften begründen unmittelbare Rechtspflichten, die ohne das Erfordernis eines dazwischen tretenden Verwaltungsakts nach Art. 21 Nr. 1, 2, 7, 13 und 14 BayVersG bußgeldbewehrt sind. Nach § 30 OWiG können dabei auch Personenvereinigungen mit einer Geldbuße belegt werden. Dies gilt gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG jedenfalls für die Beschwerdeführer zu 1) bis 11), die als juristische Personen beziehungsweise nicht eingetragene Vereine organisiert sind. Ob das auch auf die über untypische Organisationsstrukturen verfügenden Beschwerdeführer zu 12) und 13) zutrifft oder ob diese von dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 2 OWiG nicht mehr erfasst sind und damit das Analogieverbot greift, ist nicht eindeutig, braucht hier jedoch nicht entschieden zu werden. Denn zumindest ist nicht ausgeschlossen, dass auch ihnen gegenüber in der Praxis entsprechende Sanktionen verhängt werden. Die Begründung zum Gesetzesentwurf für das Bayerische Versammlungsgesetz jedenfalls geht ganz generell davon aus, dass Personenverbände Veranstalter sein können, ohne zwischen verschiedenen Typen von Personenmehrheiten zu differenzieren (vgl. LTDrucks 15/10181, S. 13). Daher müssen auch die Beschwerdeführer zu 12) und 13) damit rechnen, sich bei Nichtbefolgung der Vorschriften unter Umständen gegen den Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit zur Wehr setzen zu müssen.

Auch die Rüge bezüglich des Art. 9 Abs. 1 bis 4 BayVersG ist nicht wegen fehlender Unmittelbarkeit der Grundrechtsbetroffenheit unzulässig. Die dort geregelten Maßnahmen können gemäß Art. 9 Abs. 3 BayVersG in Verbindung mit Art. 30 Abs. 3 Satz 2 BayPAG unter Umständen heimlich erfolgen, so dass fachgerichtlicher Rechtsschutz nicht in allen Fällen gewährleistet ist.

(2) Von vornherein unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde hingegen in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 BayVersG, da die betreffenden Pflichten nicht bußgeldbewehrt sind. Den Beschwerdeführern ist insoweit zuzumuten, zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde auch hinsichtlich Art. 4 Abs. 5 BayVersG. Die Beschwerdeführer können sich gegen die konkrete Entsendung von Polizeibeamten, die nach Art. 4 Abs. 5 BayVersG dem Versammlungsleiter gegenüber zu offenbaren ist, zur Wehr setzen. Hierbei kann auch geklärt werden, ob, wie die Beschwerdeführer meinen, die Vorschrift tatsächlich auch einen teilweise verdeckten Einsatz von Polizeibeamten erlaubt und ob sie - entgegen der herrschenden Auffassung zur entsprechenden Vorläufervorschrift des § 12 VersG (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 10 BV 07.2143 -, DÖV 2008, S. 1006 f.; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, J Rn. 385) - so verstanden werden muss, dass sie der Polizei ein anlassloses Zutrittsrecht verschafft. Für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes offen gelassen werden kann hingegen, ob - auch unter Berücksichtigung von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG - hinsichtlich Art. 10 Abs. 3 und 4, Art. 13 Abs. 5 und 6 BayVersG auf den Vorrang fachgerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen ist. Da auch diese Vorschriften zunächst einen konkretisierenden Verwaltungsakt voraussetzen, der fachgerichtlich angegriffen werden kann, fehlt es jedenfalls an einer hinreichenden Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

bb) Die Beschwerdeführer sind auch selbst grundrechtsbetroffen.

Selbst betroffen sind die Beschwerdeführer ohne weiteres, soweit sie sich gegen veranstalterbezogene Vorschriften wenden, das heißt gegen Art. 3 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 und 2 (hierüber mittelbar auch gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 3) BayVersG. Die Beschwerdeführer sind weiterhin aber auch durch die hier in Frage stehenden leiter- und teilnehmerbezogenen Vorschriften als selbst grundrechtsbetroffen anzusehen. Allerdings ist im Hinblick auf die Frage der Selbstbetroffenheit grundsätzlich zwischen den Rechten einer Vereinigung und den Rechten ihrer Mitglieder zu trennen. Die Rechte ihrer Mitglieder wachsen einer Vereinigung in der Regel nicht auch als eigene zu. Für das Versammlungsrecht sind hier indes Besonderheiten anzuerkennen. Die Rechte von Veranstalter, Leiter und Teilnehmern einer Versammlung sind in spezifischer Weise miteinander verschränkt. So ist einerseits die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit seitens der einzelnen Bürger von vornherein nur mit anderen zusammen möglich und dabei regelmäßig auf eine Koordination angewiesen. Hierbei kommt dem Veranstalter der Versammlung eine hervorgehobene Bedeutung zu, weil dieser die Versammlung initiiert, ihren Rahmen absteckt und die personellen (Leiter, Ordner, Redner) sowie sachlichen (etwa Bühne, Mikrofon) Voraussetzungen für ihre Durchführung schafft. Umgekehrt sind die Rechte des Veranstalters durch die Rechte und Pflichten des Versammlungsleiters und der Teilnehmer bestimmt. Für das Verhältnis von Veranstalter und Leiter wird dieser enge Zusammenhang schon darin deutlich, dass der Gesetzgeber für den Regelfall den Veranstalter selbst oder, sofern es sich um eine Vereinigung handelt, dessen Vorsitzenden als Versammlungsleiter bestimmt (Art. 3 Abs. 2 BayVersG). Wechselseitige Einflüsse bestehen auch zwischen den Rechten und Pflichten von Veranstalter und Teilnehmern, etwa wenn das an die Teilnehmer gerichtete Militanz- oder Vermummungsverbot (Art. 7 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 BayVersG) dazu führt und führen soll, dass hierdurch bestimmte Ausgestaltungen von Versammlungen wegen ihrer einschüchternden Wirkung verhindert werden, oder wenn Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen in Form von Übersichtsaufzeichnungen die Gesamtveranstaltung in den Blick nehmen und hierbei Teilnehmer an einer unbefangenen Mitwirkung in der vom Veranstalter vorgesehenen Weise hindern. Von daher ist den Beschwerdeführern als Veranstaltern nicht versagt, sich auch gegen die an den Leiter und die Versammlungsteilnehmer gerichteten Vorschriften zu wenden (vgl. ebenso Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. 2000, Art. 8 Rn. 10). Durch die in Frage stehenden Vorschriften des Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 bis 4 und Art. 16 BayVersG sind die Beschwerdeführer damit selbst in ihrer Versammlungsfreiheit betroffen.

cc) Die Beschwerdeführer haben auch sachlich eine mögliche Grundrechtsverletzung hinreichend substantiiert geltend gemacht. Sie legen eingehend dar, durch Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 21 Nr. 1, Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 21 Nr. 2, Art. 7 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 21 Nr. 7, Art. 13 Abs. 1 und 2 (hierüber mittelbar auch durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 3) in Verbindung mit Art. 21 Nr. 13 und 14 BayVersG sowie Art. 9 Abs. 2 bis 4 BayVersG in ihrer Versammlungsfreiheit verletzt zu sein.

Dahinstehen kann, ob sich die Beschwerdeführer hier auch auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG berufen können (vgl. BVerfGE 118, 168 (202 ff.)). Die insoweit erhobenen Rügen betreffen sämtlich die spezifischen Auswirkungen der angegriffenen Vorschriften auf die Versammlungsfreiheit. In dieser Hinsicht ergeben sich vorliegend aus Art. 2 Abs. 1 GG keine weitergehenden Anforderungen als aus Art. 8 Abs. 1 GG.

c) Hinsichtlich der übrigen Vorschriften ist die Verfassungsbeschwerde demgegenüber unzulässig. Zwar erstreckt sich der Antrag der Beschwerdeführer auf grundsätzlich das gesamte Bayerische Versammlungsgesetz, jedoch fehlt es hinsichtlich weiterer Vorschriften an einem substantiierten Vorbringen. Nicht Gegenstand des einstweiligen Anordnungsverfahrens sind weiterhin Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 sowie - hierauf bezogen - Art. 15 Abs. 3 BayVersG, die die Beschwerdeführer in ihrem Antrag ausdrücklich von ihren Angriffen ausnehmen.

3. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet. Die angegriffenen Vorschriften werfen Rechtsfragen auf, die sich aus der bisherigen Rechtsprechung nicht ohne weiteres beantworten lassen.

Das Bayerische Versammlungsgesetz versteht sich als Verwirklichung eines eigenständigen rechts- und ordnungspolitischen Konzepts, das gezielt dem Versammlungsrecht eigene Akzente verleihen will. Es knüpft zwar vielfach an bestehende Regelungen an, sucht hierbei aber mit den im vorliegenden Verfahren angegriffenen Normen bewusst, diese weiterbildend zu konkretisieren und bisher offene Streitfragen zu klären. Dabei stellt es in verschiedenen Regelungen erhöhte Anforderungen an die Veranstaltung von Versammlungen. So sind die Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten ausführlicher und formalisierter gestaltet als nach bisher geltendem Recht, die Anforderungen an die Versammlungsleitung erhöht, ein allgemeines Militanzverbot eingeführt, der Katalog für polizeiliche Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen erweitert sowie daran anknüpfend zahlreiche neue Ordnungswidrigkeitentatbestände unmittelbar für Verstöße gegen gesetzliche Ge- und Verbote in das Versammlungsrecht aufgenommen worden. All diese Regelungen betreffen unmittelbar die Ausübung des durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsrechts und werfen verfassungsrechtliche Fragen auf, die noch nicht abschließend geklärt sind. Für die Erfolgsaussichten wird es darauf ankommen, ob und gegebenenfalls mit welchen Maßgaben diese Begrenzungen, in denen die Beschwerdeführer einen grundlegenden Paradigmenwechsel hin zu einem Präventionskonzept sehen, mit der Versammlungsfreiheit vereinbar sind. Es wird hierbei auf die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Anmelde- und Erlaubnisfreiheit von Versammlungen einzugehen sein und auf die Frage, ob derartige Pflichten für alle Arten von Versammlungen, unabhängig von ihrem Gefahrenpotential und ihrer Größe, gleich zu beurteilen sind. Zu klären ist weiter, welche Bestimmtheitsanforderungen an versammlungsbezogene Pflichten zu stellen sind und welche Bedeutung hierbei deren Konkretisierung durch Verwaltungsakt beziehungsweise deren Sanktionierung durch Bußgeldvorschriften zukommt. Auch werfen die angegriffenen Vorschriften ungeklärte Fragen zu den Anforderungen an die Erhebung und Nutzung von Daten im Zusammenhang mit Versammlungen auf wie insbesondere die Anfertigung, Speicherung und Nutzung von Übersichtsaufzeichnungen, mit welchen insbesondere auch nichtstörende Versammlungsteilnehmer erfasst werden, sowie die Heimlichkeit von Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen. All diese Fragen bedürfen näherer Prüfung und sind dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

II. 1. Kann, wie hier, nicht festgestellt werden, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist und muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens folglich als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerfGE 117, 126 (135)).

Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist bei der Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 3, 41 (44); 104, 51 (55); 112, 284 (292); 117, 126 (135)). Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verzögern oder ein in Kraft getretenes Gesetz wieder außer Kraft zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, da der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist. Ein Gesetz darf deshalb nur dann vorläufig außer Kraft gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seiner Geltung nach späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, ganz besonderes Gewicht haben und in Ausmaß und Schwere deutlich die Nachteile überwiegen, die im Falle der vorläufigen Außerkraftsetzung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten (vgl. BVerfGE 104, 23 (27 f.); 112, 284 (292); 117, 126 (135)). Bei dieser Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur Folgen, die sich für die Beschwerdeführer ergeben (vgl. BVerfGE 112, 284 (292)).

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise stattzugeben. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Bußgeldvorschriften des Art. 21 Nr. 1, 2, 7, 13 und 14 BayVersG einstweilen außer Kraft zu setzen sind (a). Demgegenüber ist eine einstweilige Außerkraftsetzung der mit diesen Vorschriften korrespondierenden verwaltungsrechtlichen Pflichten gemäß Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 und 2 BayVersG nicht geboten (b). Mit einschränkenden Maßgaben zu versehen ist hingegen weiterhin die Anwendung des Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG (c), nicht aber des Art. 9 Abs. 3 BayVersG (d).

a) Von besonderem Gewicht sind die Nachteile, die sich aus einer vorläufigen Anwendung der Bußgeldvorschriften des Art. 21 Nr. 1, 2, 7, 13 und 14 BayVersG ergeben. Sie sind so erheblich, dass sie auch die strengen Voraussetzungen für eine vorläufige Außerkraftsetzung eines Gesetzes erfüllen.

Die genannten Vorschriften erheben den Verstoß gegen weitreichende versammlungsrechtliche Mitwirkungspflichten und Verbote zu einer Ordnungswidrigkeit. Erfasst sind hiervon die Anforderungen an die Bekanntgabe und Einladung zu Versammlungen nach Art. 3 Abs. 3 BayVersG und an die Anzeige von Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 13 Abs. 1 und 2 BayVersG einschließlich ihrer gesetzlichen Detaillierungen, die Pflichten des Versammlungsleiters nach Art. 4 Abs. 3 BayVersG und die Verhaltenspflichten von Teilnehmern nach Art. 7 Abs. 2 BayVersG. Durch die Sanktionierung ihrer Verletzung als Ordnungswidrigkeiten werden diese Pflichten zu einer unmittelbar aus sich heraus bewehrten Rechtspflicht. Unabhängig von der Bedeutung des jeweiligen Verstoßes für die Durchführung der konkreten Versammlung kann jeder Verstoß gegen diese Pflichten staatliche Sanktionen auslösen. Zwar setzt die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 10 OWiG grundsätzlich Vorsatz voraus. Dies lässt jedoch unberührt, dass die sanktionsbewehrten Rechtspflichten nach strafrechtlichen Grundsätzen als solche grundsätzlich von jedermann erkannt werden müssen und ein Verbotsirrtum in der Regel als vermeidbar und damit unbeachtlich gilt. Damit liegt die Verantwortung für die vollständige Kenntnis dieser Pflichten, die Erfassung ihrer Bedeutung im Einzelfall und die Ableitung der sich aus ihnen ergebenden Folgen ohne jeden Vorbehalt bei dem Bürger. Fehlentscheidungen werden ohne weitere Mahnung oder Warnung unmittelbar sanktioniert. Mit der Veranstaltung, Leitung oder Teilnahme an einer Versammlung verbindet sich so das Risiko, wegen Fehler und Fehleinschätzungen ex post mit einer Geldbuße belegt zu werden.

Die Verhängung einer Geldbuße bedeutet dabei die Verhängung einer repressiven Sanktion, verbunden mit dem staatlichen Tadel rechtswidrigen vorwerfbaren Fehlverhaltens (vgl. § 1 Abs. 1 OWiG). Zwar bleibt der mit einer Ordnungswidrigkeit erhobene Schuldvorwurf gegenüber Sanktionen, die als Strafe ausgestaltet sind, deutlich zurück (vgl. BVerfGE 27, 18 (33)). Jedoch liegt auch in der Belegung mit einer Geldbuße eine nachdrückliche Pflichtenmahnung und eine förmliche Missbilligung des Betroffenen als der Rechtsgemeinschaft verantwortlicher Person, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass die Ahndung grundsätzlich nur im Rahmen der verfahrensrechtlichen Garantien des Strafrechts und unter Beachtung der damit gewährleisteten rechtsstaatlichen Verbürgungen erlaubt ist. Dabei kann eine Geldbuße in Höhe von bis zu 3.000 gemäß Art. 21 BayVersG eine empfindliche Belastung darstellen. Überdies wird die Belegung mit einer Geldbuße für ein Verhalten bei einer früheren Versammlung in der Praxis zur Stützung verwaltungsrechtlicher Gefahrenprognosen herangezogen, so dass sich hieraus auch für die künftige Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit weitreichende Folgen ergeben können.

Die Wirkung der Bußgeldbewehrung unterscheidet sich damit grundlegend von der Statuierung allein verwaltungsrechtlicher Pflichten und Verbote. Diese werden gegenüber dem Bürger grundsätzlich auf der Grundlage eines Verwaltungsakts durchgesetzt. Was in der jeweiligen Situation für den Einzelnen verbindlich ist, wird damit zunächst einzelfallbezogen festgestellt und dem Bürger, Rechtsklarheit schaffend und mit Rechtsmitteln überprüfbar, vor Augen gehalten. Die jeweiligen Rechtspflichten werden so durch die Verwaltung für den Einzelnen konkretisiert, ohne dass ein Schuldvorwurf erhoben wird. Das Risiko der Unkenntnis oder der Fehleinschätzung von Rechtspflichten angesichts der jeweiligen Umstände wird dem Bürger damit weitgehend genommen.

Diese rechtsstaatliche Funktion des Verwaltungsakts ist gerade in Bezug auf die hier in Rede stehenden Pflichten - unbeschadet der erst im Hauptsacheverfahren zu entscheidenden Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit - von Bedeutung. Denn diese sind vom Gesetzgeber teils detailgenau ausdifferenziert, teils konkretisierungsbedürftig offen ausgestaltet und setzen damit fachliche Kenntnisse oder adäquate Situationseinschätzungen voraus. Dass sich darüber Unsicherheiten und Fehleinschätzungen hinsichtlich der im Einzelfall geltenden Anforderungen auch für Bürger ergeben können, die sich rechtstreu verhalten wollen, liegt nicht fern. So bezieht sich die Pflicht zur Angabe von Ort, Zeit, Thema sowie Namen des Veranstalters bei einer Einladung oder Bekanntgabe auf jede öffentliche Versammlung ab zwei Personen, unabhängig davon, ob sie klein oder groß ist, im Freien oder in geschlossenen Räumen stattfindet, spontan oder geplant abgehalten wird (Art. 3 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 BayVersG). Jede offene Einladung zu einem politischen Stammtisch seitens einer Studentengruppe oder zu einer öffentlichen Diskussion in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen kann hiervon betroffen sein. Auch wenn die erforderlichen Angaben für sich gesehen einfach sind, kann die Frage, was als Einladung oder Bekanntmachung zu qualifizieren ist, welche Genauigkeit erforderlich ist oder wie die Angaben bei zeitgemäßen Formen der elektronischen Kommunikation - wie SMS - zu gewährleisten sind, ernsthaft fraglich sein. Vielfach werden sich Veranstalter - bei denen keine Verwaltungsrechtskenntnisse vorausgesetzt werden können - solche Fragen überhaupt nicht stellen. Entsprechendes gilt für die Anzeigepflichten des Art. 13 Abs. 1 BayVersG und die in Bezug genommenen Anforderungen des Absatzes 2. Wann Angaben etwa zum beabsichtigten Ablauf der Versammlung vollständig sind (Abs. 2 Satz 1 Nr. 6) oder wann unverzüglich mitzuteilende Änderungen rechtzeitig übermittelt werden (Abs. 2 Satz 3), ist wertungsabhängig und konkretisierungsbedürftig. Erst recht beruhen die Pflichten des Versammlungsleiters nach Art. 4 Abs. 3 BayVersG auf unsicheren Einschätzungen. Was "geeignete Maßnahmen" sind, um "Gewalttätigkeiten" "aus der Versammlung heraus" zu "verhindern", und wann eine Versammlung mangels Durchsetzungsfähigkeit aufzulösen ist, ist von schwierigen Bewertungen in oftmals unübersichtlichen, volatilen und emotionsgeladenen Situationen abhängig. Nichts anderes gilt für die an den einzelnen Teilnehmer adressierte Pflicht, an Versammlungen nicht in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung ein bestimmtes Erscheinungsbild mit einschüchternder Wirkung erhält. Dabei wird die Konkretisierungsbedürftigkeit dieser Pflichten nicht dadurch gemindert, dass das Gesetz seiner Begründung nach vor allem auf die extremistischen Spektren abzielt (vgl. Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung, LTDrucks 15/10181, S. 1 f.). Eine Anknüpfung daran, ob Versammlungen links- oder rechtsradikales Gedankengut verbreiten, ist sowohl für die Schaffung als auch für die Auslegung von die Versammlungsfreiheit einschränkenden Vorschriften verfassungsrechtlich ausgeschlossen.

Die Anwendbarkeit von Bußgeldvorschriften, die den Verstoß gegen diese Pflichten zur Ordnungswidrigkeit erheben, wäre ein Nachteil von ganz besonderem Gewicht. Verbindet sich die Wahrnehmung des Versammlungsrechts in dieser Weise mit einem schwer kalkulierbaren Risiko persönlicher Sanktionen, drohte dies der Inanspruchnahme eines elementaren demokratischen Kommunikationsgrundrechts die Unbefangenheit zu nehmen. Damit verbundene Einschüchterungseffekte wiegen auch für die Zeit bis zur Hauptsacheentscheidung schwer.

Demgegenüber sind die Nachteile einer vorläufigen Außerkraftsetzung der fraglichen Bußgeldbestimmungen nicht von vergleichbarem Gewicht. Zwar entfällt mit ihrer Nichtanwendbarkeit für die Übergangszeit ihre abschreckende Funktion. Die versammlungsrechtlichen Pflichten selbst bleiben durch die Außerkraftsetzung allein der Bußgeldbewehrung jedoch unberührt. Ebenso wenig wie nach alter Rechtslage drohen diese deshalb in faktischer Hinsicht leerzulaufen. Falls erforderlich sind sie vielmehr weiterhin nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchsetzbar. Im Übrigen kann ihre Verletzung vor allem Bedeutung im Rahmen von Entscheidungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG, gegebenenfalls in Verbindung auch mit Art. 14 Abs. 1 und 2 BayVersG gewinnen. Die versammlungsrechtliche Grundkonzeption des Gesetzgebers zur Gewährleistung eines den Sicherheitsanforderungen genügenden Versammlungsrechts wird durch eine Außerkraftsetzung allein der Bußgeldnormen nicht berührt.

b) Eine vorläufige Außerkraftsetzung auch der den Bußgeldvorschriften zugrunde liegenden verwaltungsrechtlichen Ge- und Verbote selbst ist demgegenüber nicht geboten. Die strengen Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung unmittelbar gegen Gesetze liegen insoweit nicht vor.

Allerdings sind die Nachteile, die eine vorläufige Anwendbarkeit zur Folge hat, auch insoweit noch erheblich: So wird den Veranstaltern die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit durch die Erweiterung und Formalisierung der Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten, die nicht nach Größe und Gefahrenpotential der Versammlung unterscheiden, erheblich erschwert. Das gilt insbesondere für den Katalog des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayVersG. Den Bürger trifft danach nicht nur eine Anzeigepflicht hinsichtlich der äußeren Kerninformationen der Versammlung, sondern auch eine Pflicht zur Mitteilung ihres genauen Ablaufs und möglicherweise auch ihres Inhalts. Der Veranstalter kann damit auch inhaltlich hinsichtlich seiner Freiheitswahrnehmung detailliert erklärungspflichtig werden. Weiterhin steht er in der Pflicht, sich zum Zwecke einer behördlichen Geeignetheitsprüfung bereits frühzeitig auf den genauen Ablauf und den organisatorischen Rahmen festzulegen und hierbei zahlreiche personenbezogene Daten der Ordner und des Versammlungsleiters mitzuteilen. Auch sind an die von situationsbezogenen Einschätzungen abhängigen Pflichten nach Art. 4 Abs. 3 BayVersG, der für den Leiter nicht nur Obliegenheiten, sondern eine echte Ordnungsverantwortung begründet, und nach Art. 7 Abs. 2 BayVersG Nachteile geknüpft, die auch unabhängig von der Bußgeldbewehrung erheblich sind. Sollten sich diese Pflichten ganz oder zum Teil als verfassungswidrig erweisen, wäre deren vorläufige Anwendung ein Nachteil, der die persönliche Wahrnehmung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit erheblich behinderte und auch eine Beeinträchtigung der demokratischen Funktion des Versammlungsrechts zur Folge hätte.

Diese Nachteile haben jedoch nicht ein solches Gewicht, dass sie gegenüber den Nachteilen, die mit einer Außerkraftsetzung dieser Vorschriften verbunden wären, überwiegen. Denn mit einer Außerkraftsetzung dieser Normen wäre nicht nur ein vorläufiger Verlust an routinemäßiger Vereinfachung und Effizienzsteigerung durch frühzeitige wie vollständige Vorabinformation der Verwaltungsbehörden verbunden, sondern würden zentrale Grundlagen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der Friedlichkeit von Versammlungen betroffen. Da das Versammlungsgesetz des Bundes durch eine vorläufige Aussetzung nicht wieder aufleben würde, fehlte es dem Bayerischen Versammlungsrecht bis zur Entscheidung über die Hauptsache an zentralen Vorschriften, wie etwa schon generell an einer Anzeigepflicht. Damit wäre eine sichere Wahrnehmung des Versammlungsrechts zumindest erheblich gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht müsste wenigstens einige der angegriffenen Vorschriften durch eine gerichtliche Anordnung ersetzen. Das aber kann allenfalls in Sonderkonstellationen gerechtfertigt sein, die hier nicht gegeben sind. Durch die vorläufige Außerkraftsetzung der Bußgeldbewehrung sind die Nachteile der angegriffenen Vorschriften vielmehr so weit aufgefangen, dass in Respekt vor der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eine weitergehende einstweilige Anordnung in Bezug auf Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 und 2 BayVersG nicht geboten ist.

c) Teilweise Erfolg muss der Antrag hingegen haben, soweit er sich auf Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG erstreckt. Eine Folgenabwägung ergibt hier, dass die Nachteile einer vorläufigen Anwendbarkeit die Nachteile einer - sachlich beschränkten - vorläufigen Außerkraftsetzung überwiegen.

aa) Die Nachteile der uneingeschränkten vorläufigen Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG sind gravierend: Bei jeder Versammlung muss jeder Teilnehmer damit rechnen, dass das gesamte Geschehen an eine Leitstelle übermittelt und zugleich aufgezeichnet wird. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayVersG erlaubt zunächst Übersichtsaufnahmen (Kamera-Monitor-Übertragungen) von jeder Versammlung unabhängig von deren Größe und Gefahrenpotential, auch in geschlossenen Räumen, soweit dies nur dem Ziel der "Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes" dient. Dass aus dieser Zielsetzung irgendeine tatbestandliche Begrenzung folgt oder folgen soll, ist nicht ersichtlich. Auch die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG ist der Polizei praktisch immer erlaubt. Die gesetzliche Maßgabe, nach der die Übersichtsaufzeichnung zur "Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens" erforderlich sein muss, begrenzt diese Befugnis nicht, da eine Auswertung des Polizeieinsatzes als solche rechtlich immer zulässig und auf eine Fixierung der Aufnahmen notwendigerweise auch angewiesen ist. Der Sache nach ermächtigt Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG zu einer anlasslosen Bildaufzeichnung des gesamten Versammlungsgeschehens.

Dabei ist die Anfertigung solcher Übersichtsaufzeichnungen nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer ein Grundrechtseingriff, da auch in Übersichtsaufzeichnungen die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind (vgl. Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, 3. Aufl. 2007, S. 236; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, S. 245 f., 252; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, J Rn. 372; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001, § 12a Rn. 3, 8). Sie können, ohne dass technisch weitere Bearbeitungsschritte erforderlich sind, durch schlichte Fokussierung erkennbar gemacht werden, so dass einzelne Personen identifizierbar sind. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen besteht diesbezüglich, jedenfalls nach dem Stand der heutigen Technik, nicht.

Eine so weite Befugnis zur Erstellung von Übersichtsaufzeichnungen führt zu gewichtigen Nachteilen. Sie begründet für Teilnehmer an einer Versammlung das Bewusstsein, dass ihre Teilnahme und die Form ihrer Beiträge unabhängig von einem zu verantwortenden Anlass festgehalten werden können und die so gewonnenen Daten über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar bleiben. Dabei handelt es sich überdies um sensible Daten. In Frage stehen Aufzeichnungen, die die gesamte - möglicherweise emotionsbehaftete - Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Denn wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die kollektive öffentliche Meinungskundgabe eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 (43)).

Die Schwere des Grundrechtseingriffs einer anlasslosen Datenerhebung nimmt dabei mit der Möglichkeit der Nutzung der Daten für Folgeeingriffe in Grundrechte der Betroffenen zu (vgl. BVerfGE 120, 378 (403)). Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG hegen die sich insoweit ergebenden Nachteile nur begrenzt ein. Zwar ist eine Identifikation einzelner Personen nur zulässig, wenn die strengeren Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 BayVersG vorliegen (Art. 9 Abs. 2 Satz 4 BayVersG), so dass, soweit es um die Auswertung der Aufzeichnungen zu Zwecken des polizeitaktischen Vorgehens im direkten Zusammenhang mit der aufgenommenen Versammlung geht, die Nutzung der Daten und damit der Nachteil für den Einzelnen begrenzt gehalten wird. Die maßgebliche Belastung der Übersichtsaufzeichnungen liegt jedoch darin, dass die gesamten Versammlungsdaten gemäß Art. 9 Abs. 4 BayVersG auch über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar gehalten werden, unter Umständen sogar zeitlich unbegrenzt. Die Übersichtsaufzeichnungen werden damit zu einem Datenvorratsspeicher, auf den über die Aufarbeitung des aufgezeichneten Versammlungsgeschehens hinaus allgemein zur Verfolgung von Straftaten und zur Gefahrenabwehr bei künftigen Versammlungen zurückgegriffen werden kann. Auch nachträglich kann damit eine zunächst unauffällige Teilnahme an einer Versammlung aufgegriffen, neu interpretiert und zum Anknüpfungspunkt weiterer Maßnahmen gemacht werden, ohne dass dieses gesetzlich klar und sachhaltig begrenzt würde. Sachlich werden die Nutzungsmöglichkeiten der Daten in Art. 9 Abs. 4 Satz 1 BayVersG nur indirekt im Rahmen der Löschungspflicht bezüglich dieser Daten aufgeführt, nicht aber eigens näher geregelt. Sie erstrecken sich dabei insbesondere auf die Strafverfolgung ganz allgemein. Zeitlich erlaubt das Gesetz die Speicherung und den Rückgriff auf Übersichtsaufzeichnungen zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens und zu Zwecken der Abwehr künftiger versammlungsspezifischer Gefahren bis zu einem Jahr ab Entstehung, zu Zwecken der Strafverfolgung sogar noch darüber hinaus (Art. 9 Abs. 4 Satz 1 bis 3 BayVersG; siehe auch §§ 483 ff. StPO). Unbegrenzt gespeichert werden können Übersichtsaufzeichnungen überdies zu Zwecken der polizeilichen Aus- und Fortbildung und damit nach freiem Ermessen der Behörde. Die Identifizierung einer abgebildeten Person ist insoweit zwar auf ein Jahr beschränkt. Eine solche allein auf die Datennutzung bezogene Befristung hebt die durch die unbefristete Speicherung begründete Beeinträchtigung des Betroffenen jedoch nicht auf. Denn technisch bleiben die Daten verfügbar, und trotz der hindernisfreien Identifizierbarkeit von Einzelpersonen in Übersichtsaufzeichnungen sieht das Gesetz hiergegen eine nachvollziehbare und strukturelle Sicherung nicht vor. Angesichts der Streubreite der erhobenen Daten trägt dies dazu bei, dass sich hierdurch das Risiko des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens verfestigen kann (vgl. BVerfGE 107, 299 (328); 115, 320 (354 f.); 120, 378 (402)).

Eine solche anlasslose Datenbevorratung, die allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht anknüpft, führt zu durchgreifenden Nachteilen. Die vorläufige Hinnahme hierdurch begründeter Einschüchterungseffekte hat im Rahmen der Folgenabwägung auch bei Anlegung besonders strenger Maßstäbe höheres Gewicht als die Nachteile einer einstweiligen Außerkraftsetzung dieser Vorschriften. So sind die Nachteile eines teilweisen Verzichts auf Übersichtsaufzeichnungen für die Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens jedenfalls dann von geringerem Gewicht, wenn von einer Versammlung keine erheblichen Gefahren ausgegangen sind. Auch der vorläufige Verlust der Nutzungsmöglichkeit der Aufzeichnungen für die polizeiliche Aus- und Fortbildung, für die auch auf viele andere Mittel zurückgegriffen werden kann, wiegt die Nachteile der anlasslosen Datenbevorratung nicht auf. Dasselbe gilt aber auch für den - vom Gesetzgeber selbst nicht als Ziel, sondern nur als Anschlussnutzungseffekt vorgesehenen - Rückgriff auf die Übersichtsaufzeichnungen für die Strafverfolgung und die Abwehr künftiger versammlungsspezifischer Gefahren. Diese Aufgaben haben nicht schon allgemein ein solches Gewicht, dass deshalb über Art. 9 Abs. 1 BayVersG hinaus mit Hilfe von Übersichtsaufzeichnungen vorsorglich alle Versammlungen aufgezeichnet werden können und damit die Daten auch all derer vorrätig gehalten werden dürfen, deren Verhalten hierzu keinerlei Anlass gegeben hat. Im Übrigen lässt ein Verzicht auf anlasslose Übersichtsaufzeichnungen die allgemeinen Befugnisse der zuständigen Behörden unberührt.

bb) Angesichts der besonders strengen Anforderungen an die vorläufige Außerkraftsetzung von Gesetzen ist allerdings nicht eine vollständige Außerkraftsetzung des Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG geboten. Für eine vorläufige Regelung reicht es - in Anknüpfung an die herrschende Auffassung zu § 12a VersG (vgl. Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, 3. Aufl. 2007, S. 237; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, S. 246; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001, § 12a Rn. 3, 8; Hase, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, § 12a Rn. 21; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, J Rn. 372) - aus, die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG unter die Bedingungen des Art. 9 Abs. 1 BayVersG zu stellen. Übersichtsaufzeichnungen sind danach nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von der Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Im Ergebnis können bei Versammlungen, von denen nach diesen Maßstäben eine Gefahr ausgeht, mittels Übersichtsaufzeichnungen auch die Bilddaten von rechtstreuen Versammlungsteilnehmern erhoben werden. Dies bleibt ein gewichtiger Nachteil, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch im Respekt vor dem Gesetzgeber hinzunehmen. Durch die einstweilige Anordnung ist jedoch sicherzustellen, dass Teilnehmer nicht fürchten müssen, ihre Teilnahme werde über die konkrete Versammlung hinaus anlasslos festgehalten, und dass die Daten nicht für Zwecke genutzt werden, die mit der Versammlung in keinem Zusammenhang stehen. Es ist deshalb anzuordnen, dass eine Auswertung der Daten unverzüglich zu erfolgen hat. Soweit die Daten nach dieser Auswertung nicht in Bezug auf einzelne Personen zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der aufgezeichneten Versammlung oder zur Abwehr künftiger versammlungsspezifischer Gefahren nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BayVersG benötigt werden, müssen sie spätestens innerhalb von zwei Monaten gelöscht oder zumindest irreversibel anonymisiert werden.

Von deutlich geringerem Gewicht sind demgegenüber die Nachteile von Übersichtsaufnahmen in Echtzeitübertragung, die nicht gespeichert werden und damit nur flüchtiger Natur sind. Möglichen Einschüchterungseffekten durch die Präsenz einer Kamera, die das Geschehen an eine andere, nicht übersehbare Stelle überträgt, kommt hier nur dann Durchschlagskraft zu, wenn eine durch Übersichtsaufnahmen zentralisierte Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes den jeweiligen Umständen nach von vornherein nicht erforderlich ist wie in der Regel in geschlossenen Räumen. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayVersG ist deshalb auf Fälle zu beschränken, in denen Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.

d) Im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht außer Kraft zu setzen ist schließlich Art. 9 Abs. 3 BayVersG. Zwar erlaubt dieser, wie der Verweis auf Art. 30 Abs. 3 BayPAG zeigt, unter Umständen auch verdeckte Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen, wodurch die Einschüchterungswirkung solcher Befugnisse nochmals verstärkt wird. Denn wenn der Staat verdeckte Maßnahmen gerade dann einsetzt, wenn Bürger von ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen und sich mit eigenen Überzeugungen in die demokratische Öffentlichkeit begeben - zugleich unter der Verpflichtung, sich nicht zu vermummen -, ist dies in besonderer Weise geeignet, vom Gebrauch dieses Grundrechts abzuschrecken. Das gilt umso mehr, wenn mangels Benachrichtigungspflichten oder Einsichtsmöglichkeiten Rechtsschutz hiergegen praktisch ausgeschlossen ist. Im Hauptsacheverfahren wird diese Frage materiell verfassungsrechtlich näherer Prüfung bedürfen. Nach den besonders strengen Anforderungen an die Aussetzung eines Gesetzes ist eine vorläufige Außerkraftsetzung dieser Vorschrift jedoch nicht geboten. Der durch Art. 9 Abs. 3 BayVersG in Bezug genommene Art. 30 Abs. 3 Satz 1 BayPAG verpflichtet die Behörden, Datenerhebungen grundsätzlich offen zu gestalten. Die Möglichkeit verdeckter Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen ist damit gesetzlich als enge Ausnahme gefasst. Ihre Handhabung muss dabei der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG Rechnung tragen und auf eng begrenzte Sondersituationen beschränkt bleiben. Für den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache ist diese Rechtslage, nicht zuletzt angesichts der insoweit unklaren bisherigen Rechtspraxis unter Geltung des Bundesversammlungsgesetzes, hinzunehmen. ..." ( BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08)

***

§ 1

(1) Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

(2) Dieses Recht hat nicht,

1. wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat,
2. wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil- oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will,
3. eine Partei, die nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder
4. eine Vereinigung, die nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist.

Leitsätze/Entscheidungen:

Soll nach der Konzeption einer geplanten Veranstaltung diese einen Rahmen bieten, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden sollen, handelt es sich um eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes auch dann, wenn die Veranstaltung informative Elemente enthält (BVerwG, Urteil vom 22.08.2007 - 6 C 22/06):

... Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. März 2006 wird geändert. Es wird festgestellt, dass die von dem Kläger für die Zeit vom 8. bis zum 26. Mai 2003 angemeldete Veranstaltung zu dem Thema Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo' eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. ...

I Der Kläger meldete am 6. Mai 2003 für die Zeit vom 8. bis 26. Mai 2003 eine Veranstaltung mit dem Thema Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo' an. Die Veranstaltung sollte in Berlin stattfinden. Ihr Ziel sollte darin bestehen, Menschen zu einer Äußerung über ihre Haltung zur Militärintervention im Irak zu bewegen. Bei der Durchführung der Veranstaltung sollten unterschiedliche Hilfsmittel Verwendung finden. Es war vorgesehen, dass auf bereitliegenden Karten schriftliche Meinungsäußerungen zu dem Veranstaltungsthema abgegeben und diese Karten an einer bereitgestellten Lattenkonstruktion öffentlich angebracht wurden.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2003 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die geplante Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes angesehen werden könne. Die Veranstaltung sei dadurch geprägt, dass Außenstehenden ein einseitiges Informationsangebot unterbreitet werde. Sie gleiche deshalb einem Informationsstand, der nicht die Voraussetzungen einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes erfülle. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der nicht beschieden wurde.

Der Kläger hat am 13. Mai 2003 Klage erhoben, mit der er - im Wege des Klageantrags zu 1 - die Feststellung begehrt hat, die angemeldete Veranstaltung sei als Versammlung anzusehen gewesen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. März 2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass die angemeldete Veranstaltung keine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gewesen sei. Eine solche Versammlung setze voraus, dass die Veranstaltung auf Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform gerichtet sei. Diese Voraussetzung sei bei einem Informationsstand, der auf die einseitige Vermittlung von Informationen gerichtet sei, nicht gegeben. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehle die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmache und dazu führe, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes fühlten. Bei der streitigen Veranstaltung stehe nach ihrem Gesamtgepräge die einseitige Information von Passanten im Vordergrund. Dies ergebe sich aus einer Reihe von Indizien. So habe die Veranstaltung einen Bezug zu dem im Veranstaltungszeitraum stattfindenden Kirchentag aufgewiesen. Stände auf einem Kirchentag dienten typischerweise der Information und der gemeinsamen Aktion von interessierten Besuchern, nicht dagegen der öffentlichen Meinungskundgabe und Meinungsbildung in Gruppenform. Die anlässlich der Veranstaltung aufgestellten Fototafeln hätten eher informativen Charakter gehabt. Soweit Außenstehende dazu hätten angehalten werden sollen, ihre Meinung zu dem Veranstaltungsthema auf bereitgehaltene Karten schriftlich festzuhalten und an einer Lattenkonstruktion anzubringen, begründe dies ebenfalls nicht den Versammlungscharakter. Letztlich sei es wie bei einer Unterschriftenliste um die Sammlung individueller Meinungsäußerungen gegangen, die gemeinsam hätten präsentiert werden sollen.

Der Kläger hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wie folgt ergänzt: Das Verwaltungsgericht habe sich bei seinen Erwägungen an der Phänomenologie tradierter Versammlungen orientiert. Damit werde nicht ausreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versammlungsbegriff offen sei für neue Formen von Veranstaltungen. Die Veranstaltung sei auf Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform gerichtet gewesen. Vorbeikommende Menschen, die aufgrund der vorhandenen Hilfsmittel Interesse gezeigt hätten, hätten angesprochen und in Diskussionsrunden integriert werden sollen. Es habe sich um eine neue Form der Versammlung gehandelt, die einen festen Bestand von Personen mit hinzukommenden Menschen verbinde und sich von herkömmlichen Demonstrationen' unterscheide. Bei der hier in Rede stehenden Art der Versammlung würden die Elemente der Information, der Meinungsbildung und der Meinungsäußerung wechselseitig miteinander verklammert.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu 1 zu erkennen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil.

II Die allein gegen die Abweisung des Antrags auf Feststellung der Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts gerichtete Revision ist begründet. Das Urteil beruht insoweit auf der Verletzung von Bundesrecht ( § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache entscheiden. Der Antrag auf Feststellung, dass die von dem Kläger angemeldete Veranstaltung Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo' eine Versammlung im Sinne des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) -VersG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl. I S. 1818), war, ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Das Begehren ist als allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Dadurch, dass der Beklagte in dem Schreiben vom 7. Mai 2003 die Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung verneint hat, ist zwischen den Beteiligten eine Rechtsbeziehung entstanden, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl. Urteil vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7).

Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, weil angesichts des Vorbringens der Beteiligten ein Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch den Bescheid vom 7. Mai 2003 nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 6 C 23.06 - juris Rn. 12).

Das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Insbesondere kann der Kläger nicht auf den Antrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des wegen Zeitablaufs erledigten Verwaltungsakts vom 7. Mai 2003 verwiesen werden (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 13).

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die angemeldete Veranstaltung eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war.

Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 15). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Die rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund stehen. Dabei sind nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berücksichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die also nicht nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 15 ff.).

Die Aufstellung eines Informationsstandes als solche genießt nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 - BVerwG 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63 (69) [BVerwG 07.06.1978 - 7 C 5/78] ; BVerfG - Vorprüfungsausschuss -, Beschluss vom 22. Dezember 1976 - 1 BvR 306/76 - NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informationsstandes, mit dem den Vorübergehenden ein einseitiges Informationsangebot gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf Kommunikation vermittels einer eigens zu diesem Zweck veranlassten Gruppenbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und dazu führt, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes verstehen. Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Personenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Versammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn das Informationsangebot der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstaltung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. Urteil vom 21. April 1989 - BVerwG 7 C 50.88 - BVerwGE 82, 34 (39) [BVerwG 21.04.1989 - 7 C 50/88] ). Das Informationsangebot erweist sich dann als Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).

Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die streitige Veranstaltung entspreche mit Blick auf ihr Gesamtgepräge dem Betrieb eines Informationsstandes und stelle deshalb keine Versammlung dar, hat es den Inhalt des bundesrechtlichen Begriffs der Versammlung verkannt. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Veranstaltung, wie die von dem Kläger angemeldete, wegen ihrer informativen Elemente keine Versammlung, sondern eine Ansammlung ist. Dies steht nicht mit dem Versammlungsgesetz und der verfassungsrechtlichen Verbürgung der Versammlungsfreiheit im Einklang. Die streitige Veranstaltung erfüllte nämlich die Voraussetzungen einer Versammlung.

Der Kläger hat die Konzeption der angemeldeten Veranstaltung im Einzelnen beschrieben. Diese Darlegungen sind schlüssig und auch im Übrigen nachvollziehbar. Sie sind nicht als vorgeschoben anzusehen, um den Schutz der Versammlungsfreiheit zu erlangen. Deshalb sind sie der Beurteilung, ob die streitige Veranstaltung eine Versammlung darstellt, zugrunde zu legen.

Das Thema der Veranstaltung ( Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo') betraf eine die Öffentlichkeit berührende politische Fragestellung und zielte insoweit auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Dem Veranstaltungsthema wurde auch durch Hilfsmittel, die in der Veranstaltung Verwendung finden sollten, Ausdruck verliehen. So war beabsichtigt, Schriftbänder und -tafeln, Fotos, Transparente und Flugblätter zu verwenden. In Holzrahmen sollten Fotografien von zivilen Kriegsopfern zur Schau gestellt werden. An dem Ort der Veranstaltung sollten ständig etwa drei Personen aus dem Bereich der Initiatoren anwesend sein.

Es kann hier dahinstehen, ob bereits die anwesenden Personen aus dem Kreis der Initiatoren eine Versammlung gebildet hätten. Dafür könnte sprechen, dass angesichts des Themas der Veranstaltung und der darauf bezogenen Hilfsmittel wohl deutlich erkennbar gewesen wäre, dass die anwesenden Initiatoren nicht nur ein einseitiges Informationsangebot im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsthema unterbreiten, sondern ihrer kritischen Haltung zu Militärinterventionen Ausdruck verleihen wollten, was als kollektive Meinungsäußerung im Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung angesehen werden könnte. Der (Haupt-)Zweck der Veranstaltung bestand indes nicht darin, den Initiatoren eine Möglichkeit zu eröffnen, ihre Meinung zu äußern. Die Veranstaltung zielte vielmehr darauf, zufällig des Weges kommende Personen und solche, die gezielt den Veranstaltungsort aufsuchten, zu einer Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform im Zusammenhang mit dem Thema der Veranstaltung zu veranlassen. In diesen Prozess der Meinungsbildung und -äußerung wollten sich auch die am Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren einbringen.

Die streitige Veranstaltung war nicht als Betrieb eines Informationsstandes anzusehen. Die informativen Elemente, die die angemeldete Veranstaltung nach deren Konzeption aufgewiesen hätte, unterscheiden sich grundlegend von Informationsangeboten, wie sie bei einem auf einseitige Informationsvermittlung angelegten Informationsstand unterbreitet werden. Soweit die Hilfsmittel einen Informationsgehalt enthalten hätten, wie etwa die Fotografien von Kriegsopfern, die Flugblätter und die Zeitungen, sollte dieser nicht einseitig gegenüber Außenstehenden vermittelt werden. Die Informationen sollten vielmehr Mittel zum Zweck sein, bei den Außenstehenden den angestrebten Vorgang der Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform einzuleiten oder zu fördern. Die Informationsvermittlung sollte also Bestandteil einer Veranstaltung sein, die der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung, wie sie einer Versammlung eigen ist, dient. Anders als dies bei einem Informationsstand der Fall ist, war die streitige Veranstaltung auf die Einbeziehung Außenstehender angelegt. Die Einbeziehung sollte auch dadurch geschehen, dass die in dem angestrebten Meinungsbildungsprozess herausgebildeten Meinungen auf bereitgehaltenen Karten schriftlich niedergelegt und die so beschrifteten Karten an eine vorhandene Lattenkonstruktion angebracht werden sollten. Dadurch sollte nicht nur das Ergebnis der Meinungsbildung in Gestalt einer schriftlichen Meinungsäußerung dokumentiert werden. Es sollte auch auf den Meinungsbildungsprozess der am Ort der Veranstaltung sich befindenden Personen Einfluss genommen werden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die beschrifteten und an der Lattenkonstruktion zur Schau gestellten Karten nicht Unterschriften auf einer entsprechenden Liste gleichzusetzen. Auf einer Unterschriftenliste werden Unterschriften unter einen vorgegebenen Text geleistet. Die Meinungsäußerungen auf den an der Lattenkonstruktion angebrachten Karten sollten hingegen Ergebnis eines vor Ort stattfindenden Meinungsbildungsprozesses sein und sie sollten - anders als bei einer Unterschriftenliste - den Vorgang der Meinungsbildung am Veranstaltungsort beeinflussen. Dass die beschrifteten Karten für sich betrachtet individuelle Meinungsäußerungen darstellen, ändert nichts daran, dass sie ihre Grundlage in einem am Veranstaltungsort stattfindenden kollektiven Meinungsbildungsprozess finden und dass sie auf den dort stattfindenden kollektiven Meinungsbildungsprozess zurückwirken sollten. Sie sind deshalb als integraler Bestandteil eines komplexen Vorgangs anzusehen, bei dem Außenstehende untereinander und mit den anwesenden Initiatoren in einen Vorgang der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung eintreten sollten. Dieser Vorgang ist als Einheit zu betrachten, sodass auch die beschrifteten Karten als Teil jenes Vorgangs anzusehen sind.

Da die angemeldete Veranstaltung in der soeben dargelegten Weise auf die Einbeziehung einer möglichst großen Zahl dritter Personen in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung angelegt war, wären diese, soweit sie dem Diskussionsangebot gefolgt wären, untereinander und mit den Initiatoren durch einen gemeinsamen kommunikativen Zweck, nämlich die gemeinschaftliche Beteiligung an dem genannten Prozess, innerlich verbunden gewesen. Im Gegensatz zu dem gemeinsamen kommunikativen Zweck ist die Übereinstimmung der Meinungen für eine Versammlung nicht konstituierend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 1995 - 1 BvR 1564/92 - BVerfGE 92, 191 (203) [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR 1564/92] ; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 39). Zwar ist davon auszugehen, dass sich der am Veranstaltungsort anwesende Personenkreis dadurch verändert hätte, dass Personen den Ort verlassen hätten und andere hinzugekommen wären. Der konzeptionelle Rahmen wäre jedoch trotz dieser Fluktuation bestehen geblieben. In personeller Hinsicht wäre Kontinuität jedenfalls durch die ständig am Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren gewahrt gewesen. Die sächliche Ausgestaltung der Veranstaltung wäre von der Veränderung des Personenkreises nicht betroffen gewesen.

Aus den dargestellten Gründen hätte sich die Veranstaltung nach ihrem Gesamtgepräge aus Sicht eines sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindenden durchschnittlichen Betrachters als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und des Art. 8 Abs. 1 GG dargestellt. Dem steht nicht entgegen, dass die Veranstaltung mit Blick auf ihre Konzeption nicht den traditionellen Arten von Zusammenkünften mit Versammlungscharakter entsprochen hätte. Deshalb streitet gegen die Annahme einer Versammlung auch nicht der Umstand, dass die Veranstaltung über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen stattfinden sollte und sich auch insoweit von typischen Versammlungen unterschieden hätte. Die zeitliche und örtliche Nähe der streitigen Veranstaltung zum Kirchentag erweist sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht als ein Gesichtspunkt, der gegen das Vorliegen einer Versammlung ins Feld geführt werden kann. ..."

*** (BVerwG)

Enthält eine geplante Zusammenkunft von Personen Elemente, die sowohl auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die anderen Zwecken dienen, ist sie als Versammlung i.S. des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes zu behandeln, wenn die anderen Zwecke nicht aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters erkennbar im Vordergrund stehen (BVerwG, Urteil vom 16.05.2007 - 6 C 23/06):

... Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. November 2004 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Mai 2006 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die von dem Kläger für den 14. Juli 2001 angemeldete Fuckparade 2001 - 5 Jahre Hateparade' wie eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu behandeln war. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. ...

I Der Kläger meldete mit Schreiben vom 19. März 2001 für den 14. Juli 2001 die Veranstaltung Fuckparade 2001 - 5 Jahre Hateparade' als Gegendemonstration zur Berliner Love Parade' an. Die Veranstaltung sollte in Berlin in Gestalt eines Sternmarsches auf drei näher bezeichneten Routen zum Alexanderplatz führen. Gerechnet wurde mit etwa 10 000 Teilnehmern, die von 40 bis 50 Lautsprecherwagen begleitet werden sollten.

Mit Schreiben vom 14. Mai 2001, das mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Anmeldung nicht als Anmeldung einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes entgegengenommen und bestätigt werden könne, weil es an einem kollektiven Meinungs- und Willensbildungsprozess fehle und die Rolle der Teilnehmer auf das Zuhören und Tanzen bei musikalischen Darbietungen beschränkt sei. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21. Mai 2001 Widerspruch.

Der Kläger hat am 13. August 2001 Klage erhoben, mit der er geltend gemacht hat, die angemeldete Veranstaltung sei als Versammlung anzusehen gewesen und der Bescheid vom 14. Mai 2001 sei auch deshalb fehlerhaft, weil es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt handele, für den es an einer Ermächtigungsgrundlage fehle.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23. November 2004 festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 14. Mai 2001 rechtswidrig war. Den Antrag auf Feststellung, dass die angemeldete Veranstaltung eine Versammlung war, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen dargelegt: Die angemeldete Veranstaltung erfülle nicht die Voraussetzungen einer Versammlung. Der angefochtene Bescheid sei deshalb fehlerhaft, weil es sich um einen feststellenden und belastenden Verwaltungsakt handele, für den eine Ermächtigungsgrundlage nicht ersichtlich sei.

Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen dargelegt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung. Nach ihrem Gesamtgepräge sei die Fuckparade' nicht als Versammlung einzuordnen. Für die Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht angenommenen Regel, dass eine Veranstaltung wegen des hohen Ranges der Versammlungsfreiheit im Zweifel wie eine Versammlung zu behandeln sei, bleibe kein Raum. Die Veranstaltung hätte sich für den Außenstehenden vielmehr als Musik-, Tanz- und Unterhaltungsveranstaltung dargestellt, mit der die Teilnehmer eine ihrem Musikgeschmack entsprechende Lebensart hätten zelebrieren wollen. Die Elemente der Meinungskundgabe wären dem durchschnittlichen Betrachter verborgen geblieben. Entscheidend für die Beurteilung des Gesamtgepräges einer Veranstaltung sei, wie diese am Ort der Zusammenkunft erscheine. Fehlende oder nicht hinreichend wahrnehmbare Elemente der Meinungskundgabe könnten durch Darstellung der Versammlungsziele auf einer Internetseite oder in Presseberichten nicht ersetzt werden. Auch die Wahl der Wegstrecke und die auf den Handzetteln formulierten Forderungen hätten der Veranstaltung kein anderes Gepräge gegeben. Die ablehnenden Auffassungen etwa zu einzelnen Aspekten der Stadtentwicklung, zur Verdrängung so genannter Subkulturen aus bestimmten Stadtbezirken und die Gegenposition zur Love Parade' seien von untergeordneter, beiläufiger Bedeutung gewesen, zumal sie sehr allgemein gehalten und daher wenig aussagekräftig gewesen seien.

Der Kläger hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung ergänzt er sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wie folgt: Das Oberverwaltungsgericht habe im Zusammenhang mit der Prüfung des Gesamtgepräges der angemeldeten Veranstaltung wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen. So seien die flankierenden Maßnahmen der Anmelder im Vorfeld und während der Veranstaltung unberücksichtigt geblieben. Hierzu zähle insbesondere die Internetseite der Fuckparade', auf der zur Demonstration aufgerufen und über Hintergründe der Veranstaltung sowie über weitere Ziele gleicher Thematik im Umfeld und Vorfeld der Demonstration informiert worden sei. Zu Unrecht vernachlässigt worden seien auch die von ihm, dem Kläger, initiierte Podiumsveranstaltung mit Vertretern aus der Politik zu den Forderungen der Fuckparade 2001' und die Reaktionen der Presse auf die geplante Veranstaltung. Soweit das Oberverwaltungsgericht annehme, für die Beurteilung der Versammlungseigenschaft komme es darauf an, wie die Veranstaltung am Ort der Zusammenkunft erscheine, sei dies nicht verfassungsgemäß.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. November 2004 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Mai 2006 abzuändern und festzustellen, dass die vom Kläger für den 14. Juli 2001 angemeldete Fuckparade 2001 - 5 Jahre Hateparade' wie eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu behandeln war; hilfsweise, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil.

II Die zulässige Revision ist begründet. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen hat, beruht das Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht ( § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO in der Sache entscheiden. Der Hauptantrag, mit dem der Kläger die Feststellung begehrt, dass die von ihm angemeldete Veranstaltung Fuckparade 2001 - 5 Jahre Hateparade' eine Versammlung im Sinne des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) - VersG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl. I S. 1818), war, ist zulässig (1.) und hat in der Sache Erfolg (2.). Über den in erster Instanz erfolgreichen und auf die Berufung des Beklagten vom Oberverwaltungsgericht abgewiesenen Hilfsantrag des Klägers ist nicht mehr zu entscheiden.

1. Der Hauptantrag ist als allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Dadurch, dass der Beklagte in dem Schreiben vom 14. Mai 2001 die Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung verneint hat, ist zwischen den Beteiligten eine Rechtsbeziehung entstanden, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Gegenstand der Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl. Urteil vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7).

Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO an der begehrten Feststellung. Die Voraussetzungen des berechtigten Interesses decken sich weitgehend mit denjenigen des Fortsetzungsfeststellungsinteresses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (vgl. Urteil vom 29. April 1997 a.a.O. S. 7). Ein solches schützenswertes ideelles Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts kann sich aus der Art des Eingriffs, insbesondere in grundrechtlich geschützte Bereiche, verbunden mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ergeben (vgl. Beschluss vom 30. April 1999 - BVerwG 1 B 36.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 6 S. 13 m.w.N.). Der Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 Abs. 1 GG verbürgten besonders bedeutsamen Versammlungsfreiheit stellt einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar (vgl. Urteil vom 23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 12 S. 4). Ist angesichts des Vorbringens der Beteiligten ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht von vornherein ausgeschlossen, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen. Entsprechendes gilt für das Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO . Daran gemessen hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.

Das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Insbesondere kann der Kläger nicht auf den hilfsweise gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des wegen Zeitablaufs erledigten Verwaltungsakts vom 14. Mai 2001 verwiesen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf § 43 Abs. 2 VwGO einer einschränkenden Auslegung (vgl. Urteil vom 29. April 1997 a.a.O. S. 9 f.) Die Bestimmung steht der Feststellungsklage nicht entgegen, wenn eine Umgehung der für Verpflichtungs- und Anfechtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren nicht droht und die Feststellungsklage wirkungsvolleren Rechtsschutz bietet. Das ist hier der Fall. Der Bescheid vom 14. Mai 2001 ist vom Kläger vor seiner Erledigung fristgerecht mit dem Widerspruch angegriffen worden, und die Klage auf Feststellung der Versammlungseigenschaft erweist sich im Vergleich zu dem hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag als effektiver. Zwar käme die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 14. Mai 2001 wegen unzutreffender Verneinung der Versammlungseigenschaft in der Sache einer positiven Feststellung der Versammlungseigenschaft nahe. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist aber mit der Unsicherheit behaftet, ob die Rechtswidrigkeit der Feststellung des Fehlens der Versammlungseigenschaft überhaupt entscheidungserheblich ist. Es ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Bescheid vom 14. Juli 2001 bereits wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig ist, wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, sodass es bei diesem Ansatz auf die den Kläger in erster Linie interessierende Frage der Versammlungseigenschaft nicht ankommen würde. Hinzu kommt, dass es der Gewährung effektiven Rechtsschutzes eher entspricht, die erstrebte Feststellung des Bestehens der Versammlungseigenschaft in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen, als sie in den Gründen eines Fortsetzungsfeststellungsurteils zu verstecken'.

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die angemeldete Veranstaltung wie eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu behandeln war.

Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. Urteil vom 21. April 1989 - BVerwG 7 C 50.88 - BVerwGE 82, 34 (38) [BVerwG 21.04.1989 - 7 C 50/88] ; Laubinger/Repkewitz, VerwArch 2001, 585 (613)). Die Gleichsetzung beider Versammlungsbegriffe erweist sich als verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - NJW 2001, 2459 (2460) [BVerfG 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01] ). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen (vgl. Urteile vom 7. Juni 1978 - BVerwG 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63 (69) [BVerwG 07.06.1978 - 7 C 5/78] und vom 21. April 1989 a.a.O. S. 38 f.). Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 38). Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 (104) und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 und 341/81 - BVerfGE 69, 315 (342 f.); BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26. März 2001 - 1 BvQ 16/01 - NVwZ-RR 2001, 442 (443) [BVerfG 26.03.2001 - 1 BvQ 16/01] , vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2460 und vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 - BVerfGK 4, 154 (157)). Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und -äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken (vgl. Enders, JURA 2003, 34 (38)). Die Erörterung und Kundgebung muss in Angelegenheiten erfolgen, die zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmt und geeignet sind (vgl. Hoffmann-Riem, in: Alternativ-Kommentar zum Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 8 Rn. 15). Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das gewählte Thema der Veranstaltung, sondern auch die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O. S. 111; BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 - BVerfGK 2, 1 (6)). Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens (vgl. Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 39; BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 a.a.O. S. 334). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen allerdings unter den Versammlungsbegriff ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, einerlei, ob der dort vorherrschende Musiktyp ein Lebensgefühl von so genannten Subkulturen ausdrückt oder dem Massengeschmack entspricht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2460). Andererseits erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Von der Versammlungsfreiheit sind solche Veranstaltungen beispielsweise auch dann erfasst, wenn sie sich dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden. Geschützt durch Art. 8 GG ist in solchen Fällen die kommunikative Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, um auf die zukünftige Durchführung solcher Veranstaltungen hinzuwirken, nicht aber das Abhalten der Musik- und Tanzveranstaltungen selbst. Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird jedoch nicht allein dadurch zu einer Versammlung im Sinne von Art. 8 GG , dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2460 f.).

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2461).

Die Beurteilung, ob eine gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden vor Ort' wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.

Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln. An den vorstehenden Grundsätzen gemessen beruht das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht.

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass sich die streitige Veranstaltung nach der Gesamtheit ihres Erscheinungsbildes bei einem Außenstehenden primär als eine Musik-, Tanz- und Unterhaltungsveranstaltung dargestellt hätte, hat es nicht ausreichend dem aus Art. 8 Abs. 1 GG folgenden Gebot Rechnung getragen, alle auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten und als solche zu berücksichtigenden Elemente in die Betrachtung im Rahmen der gebotenen Gesamtschau einzubeziehen. Deshalb hat es das Berufungsgericht auch versäumt, die einschlägigen Elemente in ihrer Gesamtheit zu gewichten und einen Vergleich mit dem Gesamtgewicht der nicht die Meinungsbildung betreffenden Modalitäten der Veranstaltung vorzunehmen.

Das Oberverwaltungsgericht hat außer Acht gelassen, dass nach der Konzeption der Veranstaltung unstreitig beabsichtigt war, die in der Anmeldung aufgeführten Forderungen der Veranstaltung auf Spruchbändern wiederzugeben, die an Lastkraftwagen, von denen 40 bis 50 mitgeführt werden sollten, angebracht werden sollten und von Außenstehenden wahrgenommen worden wären. In der Anmeldung waren als Themen der Veranstaltung angegeben Keine Zensur durch Kommerz', Love Parade raus aus dem Tiergarten', Leben statt Hauptstadtwahn' und Keine Party ist illegal'. Diese Forderungen waren auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet. Zwar waren sie nicht in jeder Hinsicht aus sich heraus verständlich. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass die Forderungen u.a. auf den Handzetteln, die anlässlich der Veranstaltung hätten verteilt werden, näher begründet worden wären. Ein Exemplar dieser Handzettel befindet sich in der Akte des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, die vom Oberverwaltungsgericht ausdrücklich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist und dessen Inhalt deshalb vom Senat berücksichtigt werden kann. Auf den Handzetteln, die vom Oberverwaltungsgericht zu Recht als Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung berücksichtigt worden sind, wird u.a. dargelegt, dass sich die Veranstaltung insbesondere gegen die Verdrängung von Anhängern bestimmter Techno-Musikstile aus den angestammten Stadtgebieten, gegen die Schließung von Clubs und die Auflösung von Partys sowie gegen die kommerzialisierte Love Parade' als Pseudo-Demo' richte. Durch diese Erwägungen hätten auch die Parolen auf den Spruchbändern an den Fahrzeugen ihre Konkretisierung erfahren. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Forderungen nur deshalb erhoben wurden, um die Versammlungseigenschaft zu begründen. Ihnen kann die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden, wofür auch der Umstand spricht, dass die Fuckparade' in den Vorjahren bei im Wesentlichen gleicher Konzeption als Versammlung angesehen wurde.

Vernachlässigt hat das Oberverwaltungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - auch den Internetauftritt des Klägers, in dem bereits im Vorfeld der Veranstaltung deren Ziele und Forderungen eingehend dargestellt und begründet wurden. Ein Ausdruck dieser auch auf die öffentliche Meinungsbildung zielenden Darlegungen befindet sich in der Gerichtsakte des Verfahrens auf Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes. Die Ausführungen in dem Internetauftritt erweisen sich als Indiz dafür, dass die Veranstaltung auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung gerichtet gewesen wäre. Sie waren jedermann zugänglich, und die Veranstaltung hätte - wie aufgezeigt - Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung aufgewiesen. Entsprechendes gilt für die von dem Kläger initiierte Podiumsveranstaltung am 23. Juni 2001 u.a. mit Politikern zu dem Thema Wie wichtig sind Sub- und Clubkultur für eine lebenswerte Stadt'. Auf dem sich in der Gerichtsakte des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens befindenden Aufruf zu der Podiumsdiskussion war der Bezug zu der streitigen Veranstaltung deutlich erkennbar durch den Hinweis Fuckparade presents' hergestellt. Nach alledem hat das Oberverwaltungsgericht nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot entsprochen, alle für die Versammlungseigenschaft sprechenden tatsächlichen Umstände in die Betrachtung einzubeziehen und zu gewichten. Darin liegt eine Verletzung von Bundesverfassungsrecht.

Der Senat sieht in Ausübung des ihm von § 144 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingeräumten Ermessens im Interesse der Verfahrensbeschleunigung davon ab, die Sache an das Oberverwaltungsgericht nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen. Die Frage nach dem Gesamtgepräge der streitigen Veranstaltung kann vom Senat beantwortet werden, ohne dass eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist. Eine Gesamtschau in Anwendung der aufgezeigten Grundsätze führt zu dem Ergebnis, dass die Veranstaltung als Versammlung zu behandeln war.

Als auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Elemente der Veranstaltung sind jedenfalls zu berücksichtigen die Handzettel, die anlässlich der Veranstaltung hätten verteilt werden sollen, die Spruchbänder an den Lastkraftwagen, die Darlegungen in dem Internetauftritt des Klägers zu den Forderungen und Zielen der Veranstaltung und die genannte Podiumsdiskussion. Diese Elemente wären aussagekräftig gewesen und hätten die Absicht, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, deutlich erkennen lassen. Ein durchschnittlicher Betrachter hätte ihr Gesamtgewicht als bedeutsam eingeschätzt.

Die Veranstaltung wäre auch auf das Spielen bestimmter Musik, auf Tanz und auf Unterhaltung ausgerichtet gewesen. Es ist nicht zweifelhaft, dass diese Elemente einen breiten Raum eingenommen hätten und hinsichtlich ihres Gesamtgewichts von einem Außenstehenden ebenfalls als bedeutsam eingestuft worden wären.

Ein Vergleich der ermittelten Gesamtgewichte rechtfertigt nicht die Annahme, die auf Musik, Tanz und Unterhaltung gerichteten Elemente hätten aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters im Vordergrund gestanden. Angesichts des dargestellten Gewichts der auf jeden Fall dem Meinungsbildungsbereich zuzuordnenden Elemente ist vielmehr nicht auszuschließen, dass die Veranstaltung, hätte sie stattgefunden, ihrem Gesamtgepräge nach als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet angesehen worden wäre. Es ist möglich, dass insbesondere die Forderung nach dem Erhalt der angestammten Spielstätten bestimmter Techno-Musik und die Kritik an der Kommerzialisierung dieser Musik im Rahmen der Love Parade' als die Veranstaltung prägend wahrgenommen worden wären und die Musik-, Tanz- und Unterhaltungsanteile als Mittel zum Zweck angesehen worden wären, den inhaltlichen Forderungen Gehör zu verschaffen. In diesem Zusammenhang ist auch in Rechnung zu stellen, dass die Musik, die bei der Veranstaltung gespielt worden wäre, wesentlicher Bezugspunkt der aufgestellten Forderungen war, was einem Außenstehenden nicht verborgen geblieben wäre. Da sich nach alledem das Gesamtgepräge der Fuckparade 2001' nicht zweifelsfrei feststellen ließ, war es von Verfassungs wegen geboten, sie als Versammlung zu behandeln. ..."

*** (OVG)

Eine aus Gründen präventiv-polizeilicher Gefahrenabwehr erfolgende Einkesselung einer öffentlichen Versammlung i. S. des Art. 8 I GG, § 1 I VersG ist rechtswidrig, wenn die Versammlung nicht zuvor nach dem Versammlungsgesetz aufgelöst worden ist (OVG Münster, Beschluss vom 02.03.2001 - 5 B 273/01, NVwZ 2001, 1315).

Eine aus Gründen präventiv-polizeilicher Gefahrenabwehr erfolgende Einkesselung einer öffentlichen Versammlung i. S. des Art. 8 I GG, § 1 I VersG ist rechtswidrig, wenn die Versammlung nicht zuvor nach dem Versammlungsgesetz aufgelöst worden ist (OVG Münster, Beschluss vom 02.03.2001 - 5 B 273/01, DVBl 2001, 839).

Zur Frage, ob unverzichtbares Element für die Einstufung einer Veranstaltung als Versammlung die Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform ist. Eine Versammlung i.S. des Art. 8 GG liegt nur dann vor, wenn die Veranstaltungsteilnehmer sich zu einem gemeinsamen Zweck verbunden haben und dies auch für den Außenstehenden erkennbar zum Ausdruck bringen wollen. Wird eine angemeldete Veranstaltung nach dem Gesamteindruck von kommerziellen Zwecken beherrscht, so dass die vorhandenen caritativen Elemente und das von der Antragstellerin vorgegebene Motto nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen, so unterfällt sie nicht dem Versammlungsbegriff (OVG Berlin, Beschluss vom 30.11.2000 - 1 SN 101/00, NJW 2001, 1740).

***

Von einer Versammlung kann erst gesprochen werden, wenn mindestens drei Personen zusammengekommen sind (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.09.1998 - Ss (Z) 225/98 (106/98), NStZ-RR 1999, 119):

... Durch Bescheid der Stadt S. vom 21. 10. 1997 war dem Betr. auf seinen Antrag die Durchführung einer Mahnwache für den 23. 10. 1997 unter Auflage genehmigt worden. Am Vormittag, dem 22. 10. 1997, fand sich der Betr. zusammen mit einerweiteren Person vor der Beratungsstelle Pro Familia in S. ein. Sie gingen auf dem Gehweg des betreffenden Anwesens auf und ab, wobei sie Plakate trugen, auf denen die Ablehnung von Abtreibungen zumAusdruck gebracht und die Beratungsstelle Pro Familia als Tötungsambulanz bezeichnet wurde. Sie verteilten Handzettel ähnlichen Inhalts und sprachen Passanten an. Auf eine entsprechende Anzeige der Beratungsstelle Pro Familia erschienen ein Polizeibeamter und eine Verwaltungsinspektorin der Stadt an der Örtlichkeit. Sie wiesen den Betr. darauf hin, daß es sich um keine genehmigte Versammlung handele, erklärten sodann die Versammlung für aufgelöst und forderten den Betr. mehrfach auf, sich zu entfernen, was dieser hartnäckig verweigerte, so daß er schließlich in Gewahrsam genommenwurde. Das AG setzte gegen den Betr. wegen vorsätzlicher Verletzung der Pflicht, sich nach Auflösung einer öffentlichen Versammlung unverzüglich zu entfernen, eine Geldbuße in Höhe von 200 DM fest. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde führte zum Freispruch. ...

II. Der Betr. hat keine Ordnungswidrigkeit nach §§ 29 I Nr. 2, 15 II VersG begangen. Nach diesen Bestimmungen handelt ordnungswidrig, wer sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzugsdurch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt. Der Betr. und sein Begleiter bildeten jedoch keine Versammlung im Sinne dieser Vorschriften. Wie viele Teilnehmer zusammengekommen sein müssen, damit von einer Versammlung gesprochen werden kann, ist streitig (vgl. Wache, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 1 VersG Rdnr. 23 m.w. Nachw.). Dieheute herrschende Rechtsprechung geht davon aus, daß mindestens 3 Personen erforderlich sind (BayObLGSt 1965, 157; BayObLGSt 1979, 11; OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226; OLG Hamburg, MDR 1965, 319; OLG Köln, MDR 1980,1040; AG Tiergarten, JR 1979, 207). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.

Schon der Wortsinn spricht gegen die Annahme, bereits 2 Menschen könnten eine Versammlung bilden. Sich-Versammeln setzt begrifflich eine Zusammenkunft mehrerer voraus.Auch die historische Entwicklung der Versammlungsfreiheit, die das Zusammentreffen mehrerer Personen sichern wollte, legt dies nahe und schließlich sprechen sachliche Gründe dafür, eine Mindestteilnehmerzahl von 3 Personen zur Erfüllungdes Merkmals Versammlung zu verlangen. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes schränken das Grundrecht des Art. 8 GG ein mit dem Ziel, sowohl die Interessen anderer alsauch die Versammlung selbst zu schützen. Vor allem soll es den zuständigen Behörden ermöglicht werden, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewahrt bleiben. Solche behördlichen Maßnahmen kommen aber nur in Betracht bei Zusammenkünften einer größeren oder nicht allzu kleinen Anzahl von Personen (OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226). Eine Zusammenkunft von 2 Personen erfordert solche Sicherungsmaßnahmenin aller Regel nicht.

Da somit nach den getroffenen Feststellungen die Beschuldigung nicht erwiesen ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, war das Urteil des AG Saarbrücken aufzuheben und der Betr. freizusprechen. ..." (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.09.1998 - Ss Z 225-98 - 106-98 -).

***

Eine Versammlung i. S. des VersG liegt dann vor, wenn eine Mehrheit natürlicher Personen zusammenkommt, um gemeinsam Diskussionen zu führen oder/und eine Meinung kundzutun; entscheidend ist, daß die Veranstaltung auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform ausgerichtet ist. Bei Veranstaltungen mit unterhaltendem oder kulturellem Charakter liegt keine Versammlung i. S. des VersG vor (hier: Kameradschaftsabend). Die Öffentlichkeit einer Versammlung bestimmt sich danach, ob sie einen abgeschlossenen oder eine individuell nicht abgegrenzten Personenkreis erfaßt. Einladungen nur an einen bestimmten Personenkreis führen zur Nichtöffentlichkeit der Versammlung. Stellt der Veranstalter hingegen nicht sicher, daß nur die eingeladenen Personen Zutritt zu der Versammlung haben - man also unter sich' bleibt -, liegt eine öffentliche Versammlung vor. Ein geselliges Beisammensein von Parteitagsdelegierten und geladenen Gästen in engem Zusammenhang mit einem Parteitag ist eine Versammlung i. S. des VersG. Ob diese Versammlung öffentlich oder nichtöffentlich ist, bestimmt sich danach, ob gewährleistet ist, daß man unter sich' bleibt. Dürfen Einladungen frei kopiert und weitergeben werden , ist die Versammlung öffentlich. Die Anforderungen an die Tatsachenfeststellung und die Prognoseentscheidung der Behörde im Rahmen des § 5 Nr. 4 VersG für ein Verbot einer Versammlung in geschlossenen Räumen sind jedenfalls nicht geringer als diejenigen gemäß § 15 I VersG für ein Verbot einer Versammlung im Freien. Ein zum Einschreiten berechtigender Sachverhalt liegt demzufolge erst dann vor, wenn der Eintritt eines Schadens fast mit Gewißheit zu erwarten ist (OVG Weimar, Beschluss vom 29.08.1997 - 2 ZEO 1037/97 u.a. , NVwZ-RR 1998, 497).

Eine Versammlung i. S. des Versammlungsgesetzes ist eine Mehrheit von natürlichen Personen, die an einem gemeinsamen Ort zu einem gemeinsamen verbindenden Zweck zusammenkommen, um unter Einwirkung auf die Öffentlichkeit in einer öffentlichen Angelegenheit eine Diskussion zu führen und/oder eine kollektive Aussage zu artikulieren. Kulturelle und wissenschaftliche öffentliche Veranstaltungen erfüllen regelmäßig nicht den gesetzlichen Versammlungsbegriff. In eine öffentliche Versammlung eingebundene Darbietungen (hier: musikalische und tänzerische Darbietungen sowie Straßentheater), die dem verbindenden Zweck dienen, in einer öffentlichen Angelegenheit Stellung zu beziehen, werden vom Grundrechtsschutz des Art. 8 I GG erfaßt (VGH Mannheim, Entscheidung vom 27.05.1994 - 1 S 1397/94, NVwZ-RR 1995, 271).

Die Veranstaltung eines Straßenfestes mit Informationsständen politischer Organisationen und gelegentlichen, zeitlich nicht festgelegten politischen Ansprachen sowie musikalischen und theatralischen Darbietungen mit politischer Aussage stellt keine Versammlung dar (VGH München, Entscheidung vom 13.05.1994 - 21 CE 94.1563, NVwZ-RR 1994, 581).

Das am Düsseldorfer Rheinufer in unmittelbarer Nähe des Landtags und der Regierungsgebäude errichtete Zeltlager demonstrierender Roma fällt unter den Versammlungsbegriff des § 1 VersG (OVG Münster, Entscheidung vom 23.09.1991 - 5 B 2541/91, NVwZ-RR 1992, 360).

Gegen externe Störungen einer öffentlichen Versammlung, die bezwecken, ihre ordnungsmäßige Durchführung zu verhindern, darf die Polizei aufgrund der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG BaWü) einschreiten; dem steht die Spezialität des Versammlungsgesetzes nicht entgegen. Unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts, wenn in absehbarer Zeit mit im wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen zu rechnen ist, für welche die Entscheidung von richtungsweisender' Bedeutung ist. Wer durch sein Verhalten im Vorfeld oder Umfeld einer Versammlung erkennen läßt, daß er auf deren Verhinderung aus ist, hat als (Anscheins-)Störer kein Zutrittsrecht, sondern darf durch die Polizei von der Versammlung ferngehalten werden (VGH Mannheim, Entscheidung vom 12.02.1990 - 1 S 1646/89, NVwZ-RR 1990, 602).

Das Versammlungsgesetz enthält keine Rechtsgrundlage dafür, die Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen (LG Hamburg, Entscheidung vom 06.03.1987 - 3 O 229/86, NVwZ 1987, 833).

Politische Straßentheater sind Versammlungen, soweit bei ihnen die künstlerischen Elemente offensichtlich hinter der politischen Meinungsäußerung zurücktreten (Versammlungsrechtliche Auflage setzen genügend detaillierte Darlegung der von einem Aufzug unmittelbar für die öffentliche Sicherheit und Ordnung drohenden Gefahren an Hand von Tatsachen voraus (VGH München, Entscheidung vom 12.09.1980 - 21 CE/CS 80 A 1618, NJW 1981, 2428).

Bei der Errichtung und dem Betrieb eines Informationsstandes, an dem politische Schriften verteilt und Passanten in Gespräche verwickelt werden sollen, handelt es sich nicht um eine Versammlung, weil eine solche Veranstaltung auf Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen, nicht aber auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform abzielt. Aus der Stellung als Leiter einer öffentlichen Versammlung läßt sich nicht ohne weiteres die Verantwortlichkeit für eine durchgeführte Sammlung herleiten (OLG Koblenz, Beschluss vom 29.06.1981 - 1 Ss 298/81, NStZ 1981, 484).

*** (VG)

... I. 1. Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragsteller entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragsteller gegen Ziffer 1., 2.9 und 2.11 des angegriffenen Bescheids mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Insoweit erweist er sich aller Voraussicht nach als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

2. Bei rechtsbeschränkenden Eingriffen bei Versammlungen gelten folgende Voraussetzungen: Erstens muss jede einzelne Anordnung eine Rechtsgrundlage haben, zweitens steht die Anordnung der Behörde, falls sie nicht schon zwingend von Gesetzes wegen zu treffen ist, im Ermessen der Behörde, drittens ist diese Ermessensentscheidung - wie jede Ermessensentscheidung - fehlerfrei zu treffen, aber auch zu begründen.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 18. März 2011 betreffend die Kürzung der beantragten Wegstrecke als rechtswidrig.

Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Dem dient die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten. Lässt ein angefochtener Bescheid entgegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG nicht erkennen, welche Gesichtspunkte für die Ermessensentscheidung maßgeblich waren, ist von einem materiellen Ermessensmangel auszugehen, denn Ermessen ist nicht zu beachten', sondern im Einzelfall auszuüben (BayVGH, B.v. 26.02.2009, Az: 4 CS 08.3123). Ausnahmen vom Begründungserfordernis, die sich nur aus dem Gesetz ergeben können, sind vorliegend nicht ersichtlich. Angesichts der hohen Bedeutung der Begründung einer Ermessensentscheidung ist erforderlich, dass jede einzelne konkrete Anordnung begründet wird, eine pauschale Begründung für die Gesamtheit der Beschränkungen reicht nicht aus.

Aufgrund dessen ist es bereits sehr fraglich, ob die angeordnete Routenänderung allein durch den Hinweis auf die erhebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Personennahverkehrs als ausreichend begründet angesehen werden kann. Jedenfalls genügt sie in der Sache nicht, um die Auflage gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG zu begründen. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 BayVersG vorliegt. Wegen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit gelten strenge Anforderungen für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose. Die mit der Formulierung der erkennbaren Umstände' bezeichnete Prognosebasis setzt tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus, bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht (BVerfG, B.v. 26.01.2001, NJW 2001, 1404). Der Prognosemaßstab der unmittelbaren Gefährdung' erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnis oder Tatsachen zu der nun geplanten Veranstaltung. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 01.05.2001, NJW 2001, 2078).

Vorliegend fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Zwar zählt die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Inwieweit hier aber, wie von Art. 15 Abs. 1 BayVersG gefordert, eine unmittelbare Gefährdung vorliegt, ist nicht konkret dargelegt. Auch in ihrer Stellungnahme vom 21. März 2011 beruft sich die Antragsgegnerin lediglich pauschal auf die zu befürchtenden Beeinträchtigungen des öffentlichen Personennahverkehrs, insbesondere angesichts der beabsichtigten Zeitschiene, die mit dem Berufsverkehr kollidiert. Es wird allerdings nicht nachvollziehbar dargelegt, worin diese Beeinträchtigungen im Einzelnen bestehen sollen (z.B. welche Linien betroffen sind oder mit welchen Verspätungen zu rechnen ist). Auch aus der E-Mail der ... ergibt sich hierzu nichts, die sich ebenfalls lediglich pauschal auf massive Beeinträchtigungen beruft.

Bei der Wahl ihres Vorgehens ist von der Versammlungsbehörde zudem zu beachten, dass dem Veranstalter durch Art. 8 Abs. 1 GG die grundsätzliche Befugnis eingeräumt ist, über Ort, Zeitpunkt, Dauer und Art der Veranstaltung selbst zu entscheiden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 27.01.2006, Az: 1 BvQ 4/06, NVwZ, 2006, 586). Dieses Selbstbestimmungsrecht gilt zwar nicht uneingeschränkt. Bei der Beeinträchtigung öffentlicher Straßen und Flächen durch eine Versammlung ist allerdings auch maßgeblich auf den Widmungszweck derselben abzustellen. Bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt, kommen Einschränkungen aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Vorsaussetzungen in Betracht (vgl. VGH Kassel, B.v. 31.07.2008, Az: 6 B 1629/08). Dies gilt hier umso mehr, als hier wohl vornehmlich nicht die Sicherheit, sondern lediglich die Leichtigkeit des Straßenverkehrs beeinträchtigt wird. Verkehrsbeeinträchtigungen, die sich zwangsläufig aus der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke ergeben, sind grundsätzlich hinzunehmen. Derartige Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeiden lassen, werden Dritte grundsätzlich zu ertragen haben. Die zuständige Behörde hat im Sinne praktischer Konkordanz für einen möglichst schonenden Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu sorgen.

Soweit die Antragsgegnerin auf Erfahrungen aufgrund der Montagsspaziergänge' abstellt, so ist bereits nicht dargelegt, ob es sich hierbei um eine mit der vorliegenden vergleichbare Versammlung handelt. So ist insbesondere nicht dargelegt, welche Teilnehmerzahlen bei den Montagsspaziergängen' vorherrschen und für welche Dauer die Straßenbahnstrecke in Anspruch genommen wird.

3. Auch die Ziffer 2.9 des angegriffenen Bescheids erweist sich als voraussichtlich rechtswidrig. Unabhängig davon, dass die geforderte Ordnerzahl von sieben Ordnern bis zu einer Teilnehmerzahl von 100 Personen sowie ein weiterer Ordner pro zusätzlich angefangener 20 Teilnehmer vom Üblichen deutlich nach oben abweicht (vgl. z.B. Urteil der erkennenden Kammer vom 12.03.2009, Az: W 5 K 08.1758; BayVGH, B.v. 23.10.2008, Az: 10 ZB 07.2665) enthält der Bescheid bezüglich dieser Anordnung keinerlei Begründung. Weder ist dargelegt, warum überhaupt Ordner erforderlich sein sollen, noch warum sie in einer derart hohen Zahl notwendig sein sollen. Damit liegt in formeller Hinsicht ein Verstoß gegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG vor, wobei wohl zudem von einem Ermessensausfall auszugehen ist.

4. Gleiches gilt für die Anordnung in Ziffer 2.11 des Bescheids der Antragsgegnerin.

Darüber hinaus ist hier bereits problematisch, ob für diese Anordnung die Rechtsgrundlage des Art. 13 Abs. 6 BayVersG herangezogen werden kann. Denn danach hat der Veranstalter der zuständigen Behörde auf Anforderung die persönlichen Daten eines Ordners nur dann mitzuteilen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Zudem besteht im Hinblick auf die bundesrechtliche Lage, bei der die Nennung von Name und Anschrift grundsätzlich als zulässig angesehen wird, keine Vergleichbarkeit. Denn auf Bundesebene verlangt § 18 Abs. 2 VersG eine Genehmigung für die Ordner. Eine vergleichbare Regelung gibt es im Bayerischen Versammlungsgesetz nicht. Unabhängig davon ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fraglich, ob die Versammlungsbehörde auch das Geburtsdatum der Ordner verlangen kann. ..." (VG Würzburg Beschluss vom 21.03.2011 - W 5 S 11.219)

***

Zur Verhältnismäßigkeit der Verlegung eines Versammlungsortes im Wege einer behördlichen Auflage bei erhöhten Sicherheitsrisiken am angemeldeten Versammlungsort. Zum Rechtsbegriff der Versammlung im Versammlungsrecht; Abgrenzung zu anderweitigen Veranstaltungen (VG Weimar, Beschluss vom 26.05.2005 - 4 E 642/05, ThürVBl 2006, 17).

Eine öffentliche Versammlung i.S. des Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes setzt voraus, dass eine Mehrheit von Menschen im Rahmen des demokratischen Prozesses der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung zusammenkommt. Diese Voraussetzungen erfüllt eine zum Ferienbeginn geplante "Fete mit Musik" für die örtliche Schülerschaft auch dann nicht, wenn sie von einer Untergliederung einer politischen Partei veranstaltet wird und dabei auch ein "Infotisch" dieser Partei aufgestellt wird. Bei der Ermessensentscheidung über die erforderliche straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis für eine Veranstaltung einer Schülerfete sind primär straßenrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen (z.B. Schutz des Straßenkörpers, Aufrechterhaltung eines störungsfreien Gemeingebrauchs, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, auch des Fußgängerverkehrs). Andere Gesichtspunkte - z.B. Gefahr von Ausschreitungen - können berücksichtigt werden, soweit ein Zusammenhang mit dem Widmungszweck des Straßenraums besteht (VG Braunschweig, Urteil vom 27.07.1999 - 6 A 74/99, NZV 2000, 142).

Wer in der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung nicht gem. § 6 I VersG wirksam ausgeschlossen worden ist, darf am Zutritt zur Versammlung nicht schon deshalb gehindert werden, weil er in der Versammlung Kritik üben will, selbst wenn er dadurch die Versammlung stört (VG Karlsruhe, Entscheidung vom 07.04.1989 - 8 K 198/88, NVwZ-RR 1990, 192).

Zu den Voraussetzungen und Grenzen polizeilichen Einschreitens (Bewaffnungs- und Vermummungsverbot) beim Aufeinandertreffen zweier Versammlungen. - Zur Frage einer analogen Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes auf nichtöffentliche, aber in die Öffentlichkeit wirkende Versammlungen (VG Minden, Entscheidung vom 06.08.1987 - 2 K 807/87, NVwZ 1988, 663).

Zur Verhinderung einer Versammlung ohne Verbot oder Auflösungsverfügung (VG Hamburg, Entscheidung vom 30.10.1986 - 12 VG 2442/Sb, NVwZ 1987, 829).

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von versammlungsrechtlichen Anordnungen kommt es maßgeblich darauf an, ob es sich bei der Veranstaltung um Ausübung von Kunst handelt und (bejahendenfalls), welche Auswirkungen dieser Umstand auf die versammlungsrechtlichen Momente der Veranstaltung hat. Die öffentliche Sicherheit ist nur dann gefährdet, wenn die verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit im Einzelfall überschritten ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch Ausübung der Kunst Grundrechte anderer wie z. B. Leben, Gesundheit und Freiheit und Ehre des einzelnen gefährdet werden. Der Gesichtspunkt der Gefährdung der öffentlichen Ordnung vermag die Freiheit der Kunstausübung nicht wirksam einzuschränken, da es sich insoweit um ein gegenüber der Kunstfreiheit "unterwertiges Schutzgut" handelt. . Auch politisch engagierte Kunst, in der sich der Künstler mit aktuellen Geschehnissen auseinandersetzt, ist Kunst (VG Köln, Entscheidung vom 10.12.1981 - 6 (13) K 3721/79, NJW 1983, 1212).

§ 2

(1) Wer zu einer öffentlichen Versammlung oder zu einem Aufzug öffentlich einlädt, muß als Veranstalter in der Einladung seinen Namen angeben.

(2) Bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen hat jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern.

(3) Niemand darf bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führen, ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein. Ebenso ist es verboten, ohne behördliche Ermächtigung Waffen oder die in Satz 1 genannten Gegenstände auf dem Weg zu öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen mit sich zu führen, zu derartigen Veranstaltungen hinzuschaffen oder sie zur Verwendung bei derartigen Veranstaltungen bereitzuhalten oder zu verteilen.

Leitsätze/Entscheidungen:

Der Schutz des Art. 8 GG erstreckt sich nicht auf Personen, die nicht die Absicht haben, an einer Versammlung teilzunehmen, sondern diese verhindern wollen. Die Beurteilung eines festgestellten Verhaltens als Teilnahme - oder Verhinderungsabsicht kann vom BVerfG im Lichte des Art. 8 GG überprüft werden (BVerfG, Entscheidung vom 11.06.1991 - 1 BvR 772/90, NJW 1991, 2694):

... Die Verfassungsbeschwerde richtet sich dagegen, daß dem Beschwerdeführer der Zutritt zu einer öffentlichen Versammlung von der Polizei verwehrt worden ist.

I. 1. Am 25. November 1987 fand in einer Gaststätte in Freiburg eine öffentliche Veranstaltung der Partei der Republikaner' statt. Der Schutz der Veranstaltung sollte durch vorsorglich am Versammlungsort eingesetzte Beamte des Polizeivollzugsdienstes gewährleistet werden. Zum vorgesehenen Beginn der Veranstaltung um 19.30 Uhr befanden sich zehn Personen im Versammlungsraum. Die Teilnehmerzahl erhöhte sich bis gegen 20.00 Uhr auf 24 Personen. Vor dem Versammlungsraum hielten sich zunächst acht Personen - unter ihnen auch der Beschwerdeführer - auf. Diese Gruppe vergrößerte sich laufend und umfaßte gegen 20.00 Uhr 30 bis 40 Personen. In der Zeit zwischen 19.30 Uhr und 20.00 Uhr verteilte eine dieser Personen ein Flugblatt, in dem unter anderem gefordert wurde, den Auftritt des als 'Republikaner' getarnten Altnazis Schönhuber ... zu unterbinden'. Auch versuchten einzelne Personen mit Rufen wie Die Nazis gehören rausgeworfen! , So etwas hatten wir in der Geschichte schon einmal, das hier muß verhindert werden!', Laßt uns da rein, die Versammlung wäre gleich beendet!' und Wenn wir da reinkommen, hat sich diese Versammlung gleich erledigt!', in den Versammlungsraum zu gelangen. Dies scheiterte jedoch an den Beamten des Polizeivollzugsdienstes, die den Mitgliedern der Gruppe im Vorraum auf Ersuchen des Versammlungsleiters den Zugang zu der Versammlung verwehrten. Der Beschwerdeführer selbst wurde gegen 20.00 Uhr durch eine mündliche Polizeiverfügung an dem Zutritt zu dem Versammlungsraum gehindert. Auf Ersuchen des Versammlungsleiters forderte der Einsatzleiter schließlich die im Vorraum befindlichen Personen auf, sich zu entfernen, und drohte die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Diejenigen, die - wie der Beschwerdeführer - dieser Aufforderung nicht nachkamen, wurden sodann in den Eingangsbereich der Gaststätte zurückgedrängt. Um 20.07 Uhr war die Räumungsaktion beendet.

Mit seiner Klage beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung, daß die ihm gegenüber ergangene mündliche Polizeiverfügung rechtswidrig gewesen sei.

2. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Ein berechtigtes Interesse des Beschwerdeführers an der begehrten Feststellung bestehe weder unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation noch unter dem der Wiederholungsgefahr. Die Polizeimaßnahme habe ihn nicht diskriminiert. Eine hinreichend konkrete Möglichkeit, daß sich in Zukunft ein vergleichbarer Sachverhalt ergebe, sei nicht anzunehmen.

Die Berufung des Beschwerdeführers wurde vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zwar sei der Fortsetzungsfeststellungsantrag zulässig, denn das erforderliche Feststellungsinteresse müsse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Die polizeiliche Verfügung, die dem Beschwerdeführer den Zutritt zu der Versammlung verwehrt habe, sei rechtmäßig gewesen. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 des baden-württembergischen Polizeigesetzes). Der wegen Gefahr im Verzug zuständige Polizeivollzugsdienst habe einschreiten dürfen, weil eine Störung gedroht habe, deren Ziel es gewesen sei, die ordnungsmäßige Durchführung der öffentlichen Versammlung zu verhindern. Ein drohender Verstoß gegen die jedermann obliegende Pflicht, solche Störungen zu unterlassen ( § 2 Abs. 2 VersG ), stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Mangels einer speziellen Ermächtigung zur Abwehr externer Störungen durch Nichtteilnehmer, welche die ordnungsmäßige Durchführung einer öffentlichen Versammlung zu verhindern suchten, sei die polizeiliche Generalklausel anwendbar.

Zu Recht sei die Polizei davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer die ordnungsmäßige Durchführung der Versammlung zu verhindern gesucht habe. Aus ihrer Sicht hätten im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Einschreitens ( ex ante') bei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs alle Anzeichen darauf hingedeutet, daß der Beschwerdeführer an der Versammlung nicht habe teilnehmen, sondern sich in Störungsabsicht habe Zutritt verschaffen wollen, um die Versammlung zu verhindern. Wer jedoch durch sein Verhalten im Vorfeld einer Versammlung erkennen lasse, daß er deren Verhinderung beabsichtige, sei nicht Teilnehmer dieser Versammlung, sondern potentieller Störer. Er habe folglich kein Zutrittsrecht, sondern dürfe durch die Polizei von der Versammlung ferngehalten und des Platzes verwiesen werden. Ob etwas anderes dann gelte, wenn der potentielle Störer seinerseits Teilnehmer einer (Gegen-)Versammlung sei, bedürfe im vorliegenden Fall keiner Klärung. Eine Versammlung hätten die im Vorraum befindlichen Personen nicht gebildet, da sie, wie der Beschwerdeführer selbst vortrage, nicht zu dem Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung zusammen gekommen seien.

Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundesverwaltungsgericht. Das Beschwerdevorbringen gründe sich auf einen von dem Berufungsgericht so nicht festgestellten Sachverhalt und führe deswegen nicht zu einer rechtlichen Problematik, die im Revisionsverfahren entscheidungserheblich sein und einer Klärung zugeführt werden könnte.

II. 1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 1 GG .

Das Verwaltungsgericht habe ihm das rechtliche Gehör versagt und sein Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG verkannt, indem es ein Feststellungsinteresse verneint habe.

Der Verwaltungsgerichtshof habe die Anforderungen an die polizeiliche Gefahrenprognose lediglich am allgemeinen Polizeirecht gemessen und nicht die besonderen Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG berücksichtigt. Nach seiner Ansicht sei der Beschwerdeführer aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ausgeschlossen. Ein derartiges Verständnis führe jedoch dazu, daß schon im Bereich der Prognoseentscheidung die erhöhten Anforderungen, die der Grundrechtsschutz erfordere, nicht erfüllt würden. Vor allem habe der Verwaltungsgerichtshof aber den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG verkannt. Seine rechtliche Argumentation laufe nämlich darauf hinaus, daß bereits scharf ablehnende Meinungsäußerungen einzelner Personen sowie Aufforderungen zur behördlichen Unterbindung einer Versammlung die Verhinderungsabsicht eines Zutritt begehrenden Besuchers indizierten. Potentielle Teilnehmer dürften jedoch nur dann zurückgewiesen werden, wenn sie bewaffnet seien oder eindeutig erkennbar in unfriedlicher Absicht erschienen; unfriedliche Absicht bedeute hierbei ein Abzielen auf gewaltsame Auseinandersetzungen in der Versammlung.

Außerdem habe der Verwaltungsgerichtshof unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG wesentliches Tatsachenvorbringen des Beschwerdeführers übergangen, sich hierzu in der mündlichen Verhandlung nicht geäußert und die von dem Beschwerdeführer beantragte Beweiserhebung unterlassen. ...

B. I. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts wendet. Dafür fehlt es am Rechtsschutzinteresse. Der Beschwerdeführer ist durch diese Entscheidung nicht mehr beschwert, nachdem der Verwaltungsgerichtshof ein schutzwürdiges Interesse des Beschwerdeführers an der begehrten Feststellung aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr anerkannt und seine Klage daher als zulässig betrachtet hat. Auf den Umstand, daß das Verwaltungsgericht ein derartiges Feststellungsinteresse auch unter Rehabilitationsgesichtspunkten verneint hatte und der Verwaltungsgerichtshof darauf nicht eingegangen ist, kommt es nicht an, weil der Beschwerdeführer sein Ziel einer gerichtlichen Prüfung in der Sache erreicht hat.

2. Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. Der Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, steht allerdings der aus § 90 Abs. 2 BVerfGG folgende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Dieser fordert, daß der Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken (vgl. BVerfGE 73, 322 (325) [BVerfG 08.07.1986 - 2 BvR 152/83] ). Das bedeutet auch, daß die behauptete Grundrechtswidrigkeit im jeweils mit dieser Beeinträchtigung zusammenhängenden sachnächsten Verfahren geltend zu machen ist (vgl. BVerfGE 31, 364 (368) [BVerfG 27.07.1971 - 2 BvR 443/70] ). Danach wäre es erforderlich gewesen, die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gemäß § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO als Verfahrensmangel bereits in der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen. Das hat der Beschwerdeführer versäumt.

II. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 8 GG ist nicht verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen berühren den Schutzbereich dieses Grundrechts nicht.

1. Art. 8 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dabei beschränkt sich der Schutz dieses Grundrechts nicht allein auf die Teilnahme an einer bestehenden Versammlung, sondern umfaßt auch den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns. Dazu zählt namentlich der Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (vgl. BVerfGE 69, 315 (349)). Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen.

Der Schutz des Art. 8 GG endet jedoch dort, wo es nicht um die - wenn auch kritische - Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht. Das Recht, sich friedlich und waffenlos zu versammeln, wird vom Grundgesetz im Interesse einer gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Meinungskundgabe gewährleistet. Es soll die vom Staat unbehinderte, geplante oder spontane, Kommunikation unter Anwesenden sowie die demonstrative Mitteilung der Kommunikationsergebnisse ermöglichen. Das Grundrecht schützt jeden Deutschen, der sich daran beteiligen will. Beteiligung setzt zwar keine Unterstützung des Versammlungsziels voraus, sondern erlaubt auch Widerspruch und Protest. Wohl aber verlangt sie die Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen. Wer dagegen eine Versammlung in der Absicht aufsucht, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen. Das gilt auch, wenn er dabei seinerseits im Verein mit anderen auftritt. Der Umstand, daß mehrere Personen zusammenwirken, bringt diese nicht in den Genuß der Versammlungsfreiheit, wenn der Zweck ihres Zusammenwirkens nur in der Unterbindung einer Versammlung besteht.

Ein staatlicher Akt, durch den jemandem der Zutritt zu einer Versammlung verweigert wird, weil er nicht an ihr teilnehmen, sondern sie sprengen will, greift daher nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. Aus diesem Grund lassen sich dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch keine Maßstäbe für staatliche Handlungen entnehmen, mit denen das aus § 2 Abs. 2 VersG folgende Verbot, Versammlungen in Verhinderungsabsicht zu stören, durchgesetzt werden soll. Insoweit verbleibt es vielmehr bei dem Schutz, den die sonstigen Freiheitsrechte und das grundrechtliche Willkürverbot vermitteln.

2. Die Verwaltungsgerichte haben ohne Verfassungsverstoß angenommen, daß die Polizei hinreichenden Grund zu der Auffassung hatte, der Beschwerdeführer habe an der Versammlung nicht teilnehmen, sondern diese gemeinschaftlich mit anderen verhindern wollen.

a) Die tatsächlichen Feststellungen, auf die sich diese Annahme gründet, und ihre rechtliche Bewertung am Maßstab des Versammlungsgesetzes und des Polizeigesetzes sind grundsätzlich Sache der Gerichte und entziehen sich einer Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat aber zu überprüfen, ob bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Einfluß der Grundrechte hinreichend beachtet worden ist (vgl. BVerfGE 18, 85 (92) [BVerfG 10.06.1964 - 1 BvR 37/63] ). Im vorliegenden Fall verlangt dies eine intensivierte Kontrolle, ob die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen den daraus gezogenen Schluß, daß der Beschwerdeführer die Versammlung habe sprengen wollen, zu tragen vermögen. Da die Beurteilung eines festgestellten Verhaltens als Beteiligungs- oder Verhinderungsabsicht zugleich darüber entscheidet, ob es in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fällt oder nicht, ist der Grundrechtsschutz nur dann gewährleistet, wenn diese Zuordnung vom Bundesverfassungsgericht im Lichte des Grundrechts überprüft werden kann. Das ist für Bewertungen, die über den Schutzumfang des Art. 5 GG entscheiden, seit langem anerkannt (vgl. zuletzt BVerfGE 81, 278 (289 f.); 82, 43 (50 ff.); 82, 272 (280 f.)) und muß entsprechend auch für Art. 8 GG gelten.

b) Die erweiterte Nachprüfung ergibt jedoch nicht, daß das Verhalten des Beschwerdeführers unberechtigterweise dem Schutz des Art. 8 GG entzogen worden wäre.

Anhaltspunkte dafür, daß der Verwaltungsgerichtshof bereits den Inhalt der vor dem Versammlungsraum laut gewordenen Rufe, des dort verteilten Flugblatts und der Äußerung des Beschwerdeführers gegenüber dem Einsatzleiter der Polizei fehlerhaft ermittelt oder in den Urteilsgründen unzutreffend wiedergegeben haben könnte, sind weder hinreichend substantiiert vorgetragen worden noch sonst erkennbar. Die festgestellten Bekundungen haben sich nicht in einer bloßen, wenn auch scharfen und nachdrücklich vorgetragenen Kritik an der bereits begonnenen Veranstaltung erschöpft. In ihnen hat sich vielmehr erkennbar die über eine solche Kritik hinausgehende Absicht ausgedrückt, den weiteren Fortgang der Veranstaltung durch störende Eingriffe von außen zu unterbinden. Die in der angegriffenen Entscheidung zitierten Meinungs- und Willensbekundungen derjenigen Personen, die sich vor dem Versammlungsraum aufhielten, waren insbesondere geeignet, die Annahme auszuschließen, es könnte ihnen um eine argumentative Auseinandersetzung mit den Versammlungsteilnehmern gehen. Es ist daher weder im Blickwinkel des einfachen Rechts noch von Verfassungs wegen zu beanstanden, daß der Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt ist, die Polizei habe aus dem Verhalten des betreffenden Personenkreises auf dessen alleinige Absicht schließen können, die Veranstaltung mit dem Ziel ihrer Verhinderung zu stören.

Zwar wendet der Beschwerdeführer hiergegen ein, die von der Polizei und dem Verwaltungsgerichtshof für erheblich angesehenen Rufe seien ausnahmslos erst erfolgt, nachdem die Polizei den Zugang zum Versammlungsraum bereits versperrt gehabt habe; das polizeiliche Zutrittsverbot habe deshalb mit diesen Rufen nicht gerechtfertigt werden können. Dieser Einwand läßt jedoch die gerade gegenüber dem Beschwerdeführer ergangene mündliche Verbotsverfügung unberührt, die allein Gegenstand des Ausgangsverfahrens war. Durch diese Verfügung ist der Beschwerdeführer gegen 20.00 Uhr an dem Besuch der Veranstaltung gehindert worden. Ausweislich des Tatbestands des angegriffenen Berufungsurteils, das insoweit von dem Beschwerdeführer nicht beanstandet wird, waren die fraglichen Äußerungen zu diesem Zeitpunkt schon gefallen. Jedenfalls die den Beschwerdeführer betreffende und von ihm allein angefochtene Verbotsverfügung ist erst nach diesen Rufen ergangen.

Für die Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen ist deshalb davon auszugehen, daß das Handeln des Beschwerdeführers nicht im Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG lag. Sie können daher nicht gegen dieses Grundrecht verstoßen haben. ..."

*** (VG)

Klagegegenstand ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Begehren der Feststellung der Rechtswidrigkeit mehrerer Auflagen eines Auflagenbescheids, durch den im Wesentlichen einem Veranstalterbündnis untersagt worden ist, im Rahmen eines so genannten Blockadetrainings den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken - etwa durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - zu vermitteln, die sie befähigen sollten, durch grobe Störungen nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge des politischen Gegners zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln. Die Klage hat keinen Erfolg, weil während des Blockadetrainings mit hoher Wahrscheinlichkeit in nach § 111 StGB strafbarer Weise - unter anderem durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - dazu aufgerufen werden sollte, durch massenhafte Sitzblockaden bestimmte bereits angemeldete und nicht verbotene Demonstrationen politischer Gegner zu verhindern. Zur Berechtigung der Versammlungsbehörde, dem Veranstalter die Einsetzung von Ordnern und die Übermittlung der Personalien der Ordner, so genannter Trainer und zu erwartender Redner durch Auflage aufzugeben (VG Aachen, Urteil vom 01.06.2011 - 6 K 363/11 zu Art 8 GG, Art 5 Abs 3 GG, Art 5 Abs 1 GG, §§ 21, 2 Abs 2 VersammlG u.a.).

§ 3

(1) Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen.

(2) Jugendverbänden, die sich vorwiegend der Jugendpflege widmen, ist auf Antrag für ihre Mitglieder eine Ausnahmegenehmigung von dem Verbot des Absatzes 1 zu erteilen. Zuständig ist bei Jugendverbänden, deren erkennbare Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, der Bundesminister des Innern, sonst die oberste Landesbehörde. Die Entscheidung des Bundesministers des Innern ist im Bundesanzeiger und im Gemeinsamen Ministerialblatt, die der obersten Landesbehörden in ihren amtlichen Mitteilungsblättern bekanntzumachen.

Leitsätze/Entscheidungen:

Zum Verbot öffentlich oder in Versammlungen "gleichartige" Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. Eine verfassungskonform einschränkende Auslegung dieses Verbots auf erkennbare Umgehungen des Uniformverbots ist möglich und könnte geboten sein. Art. 5 I und Art. 8 GG schützen auch bildhafte und suggestive kollektive Meinungsbekundungen (BVerfG, Entscheidung vom 27.04.1982 - 1 BvR 1138/81, NJW 1982, 1803).

*** (BGH)

Tragen die Teilnehmer einer Geländeübung grüne Bundeswehr- oder Bundesgrenzschutzhosen, Bundeswehr-Tarnjacken und Stiefel und ist für Außenstehende erkennbar, daß die Teilnehmer durch die Gleichartigkeit ihrer Kleidung eine sie verbindende Gemeinsamkeit in der politischen Grundhaltung zum Ausdruck bringen, so greift das Uniformverbot des § 3 VersG ein (BGH, Urteil vom 29.11.1983 - 5 StR 811/83, NStZ 1984, 123).

*** (OVG, OLG)

Bereits das öffentliche Üben der Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung stellt einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG (heute: § 4 NVersG (juris: VersammlG ND)) dar, der die zuständige Behörde nach § 15 Abs. 1 VersG (heute: § 8 Abs. 1 NVersG (juris: VersammlG ND)) zum Erlass einer diese Übung untersagenden Auflage ermächtigt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.07.2011 - 11 LA 101/11):

... Der Kläger meldete für den 18. April 2009 eine öffentliche Kundgebung unter dem Motto "Antifaschistisches Straßentheater" in Hannover an. Nach den Feststellungen der Beklagten, in die Zeitungsberichte, Internetaufrufe u. a. auf der Seite "block-it-org", Flugblätter, Erfahrungen mit einer ähnlichen, bereits zuvor am 14. März 2009 durchgeführten Veranstaltung sowie das Kooperationsgespräch mit dem Kläger eingeflossen sind, sollte dabei geprobt werden, eine für den 1. Mai ebenfalls in Hannover angemeldete "rechtsextremistische" Versammlung (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 27.4.2009 - 11 ME 225/09 -, juris) zu verhindern und diese ggf. einzukreisen. Die Beklagte erließ deshalb am 16. April 2009 folgende Auflage:

Probeblockaden jedweder Art und Rollenspiele, deren Inhalt das probeweise Wegtragen von Versammlungsteilnehmern ist, die zu "Übungszwecken" eine Blockadeaktion simulieren, sowie sonstige schauspielerische Aktionen, die Blockadeaktionen darstellen, sind untersagt.' ...

Unabhängig hiervon ergeben sich jedenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit der das Urteil tragenden Annahme, das vom Kläger am 18. April 2009 vorgesehene Üben einer Blockade (= Probeblockade") der für den 1. Mai 2009 geplanten "rechtsextremistischen" Versammlung habe eine unmittelbare Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG dargestellt.

Zur öffentlichen Sicherheit gehört jedenfalls die Unversehrtheit der Rechtsordnung (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 21.4.1989 - 7 C 50/88 -, juris, Rn. 15; Senatsurt. v. 7.4.2009 - 11 LB 278/08 -, jeweils m. w. N.). Die "Rechtsordnung" i. d. S. umfasst wiederum nicht nur straf- oder bußgeldbewehrte, sondern auch sonstige, insbesondere öffentlich-rechtliche Normen. Dazu gehört auch § 2 Abs. 2 VersG. Danach hat bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. Soweit der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrages vom 21. April 2011 sinngemäß geltend macht, eine Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG liege bei einem Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG nur dann vor, wenn zugleich der Straftatbestand des § 21 VersG erfüllt werde, oder es sei gar nur eine Störung der öffentlichen Ordnung gegeben, wenn zugleich der Ordnungswidrigentatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 4 VersG verwirklicht werde, kann ihm daher nicht gefolgt werden.

Soweit er mit dem nachfolgenden Schriftsatz vom 29. Juni 2011 erstmals auch einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG durch die Probeblockade in Abrede stellt, kann dieses Vorbringen schon aus formellen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden. Denn es ist erst nach Ablauf der zweimonatigen Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfolgt und vertieft vorhergehendes, fristgerechtes Vorbringen auch nicht lediglich. Im Übrigen überzeugt der Einwand auch sachlich weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 VersG. Diese Norm richtet sich ausdrücklich an "jedermann" und nicht lediglich an Teilnehmer der zu störenden Versammlung. Eine entsprechende Eingrenzung lässt sich auch nicht aus der Wortfolge " bei einer Versammlung" entnehmen. Andernfalls hätte sich die Formulierung "aus einer Versammlung heraus" oder "in einer Versammlung" aufgedrängt, die aber gerade nicht verwandt wird. Der vom Kläger dazu zitierte Kommentar von Dietzel/Gintzel/Kniesel (VersG, 15. Aufl., § 2, Rn. 8 und 39) ist insoweit nicht eindeutig, wenn das Verbot des § 2 Abs. 2 VersG danach einerseits (nur?) für alle, die sich in der Versammlung befinden, andererseits aber (auch?) für alle Anwesenden gelten soll und bei Versammlungen unter freien Himmel neben den Teilnehmern alle Anwesenden verpflichtet seien, Störungen zu unterlassen (vgl. auch Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., H 359, wonach das Störungsverbot nach § 2 Abs. 2 VersG auch für Teilnehmer einer Gegendemonstration gelte). Dem vom Kläger vorgetragenen engen Verständnis des § 2 Abs. 2 VersG steht zudem der Sinn und Zweck der dadurch geschützten Versammlungsfreiheit entgegen. Damit ist jegliche Störung einer nicht verbotenen Versammlung mit dem Ziel der Verhinderung ihrer ordnungsgemäßen Durchführung unvereinbar. Bei dem vom Kläger vorgetragenen engen Verständnis des § 2 Abs. 2 VersG gilt also nicht der Umkehrschluss, dass von außen kommende Verhinderungsstörungen einer nicht verbotenen Versammlung zulässig sind; vielmehr wird das (dann ungeschriebene) Verbot entsprechender Störungen als selbstverständlich vorausgesetzt. Dann besteht aber erst recht kein Grund, § 2 Abs. 2 VersG eng auszulegen. Dagegen spricht schließlich auch der in Niedersachen an seine Stelle getretene § 4 NVersG. Danach ist es verboten, eine nicht verbotene Versammlung mit dem Ziel zu stören, deren ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. § 4 NVersG richtet sich somit nicht nur an Versammlungsteilnehmer, sondern auch an Nicht-Teilnehmer (vgl. nur Ullrich, NVersG, Kommentar, § 4, Rn. 2), ohne dass der Gesetzgeber insoweit eine Erweiterung des Störungsverbots nach § 2 Abs. 2 VersG beabsichtigte. Vielmehr sollten die "bestehenden Regelungen des § 2 Abs. 2 und des § 21 VersG zusammengefasst werden" (so die Begründung des Gesetzentwurfes, Nds. LT- Drs. 16/2075, S. 27, die im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht in Zweifel gezogen worden ist, Nds. LT- Drs. 16/2867 (Beschlussempfehlung) und 2913 (Bericht)).

Das Verbot des § 4 NVersG erfasst zudem bereits Störungen im Vorfeld der Versammlung, sofern diese Handlungen bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu verhindern (Nds. LT- Drs. 16/2075, S. 27). Dass für § 2 Abs. 2 VersG ein engeres Verständnis gelten soll, er sich also nicht auf Störungen im Vorfeld einer nicht verbotenen Versammlung beziehe, hat der Kläger im Zulassungsverfahren nicht vorgetragen und drängt sich auch dem Senat nicht auf; andernfalls wäre § 2 Abs. 2 VersG auf solche Störungen zumindest entsprechend anwendbar.

Nach diesem übereinstimmenden weiten Verständnis schließt das Störungsverbot nach § 2 Abs. 2 VersG (analog) und § 4 NVersG also auch Verhinderungsmaßnahmen im Vorfeld einer nicht verbotenen Versammlung ein, zu denen das gezielte Üben einer hierauf gerichteten Probeblockade gehört. Teilnehmer an einer nicht verbotenen Versammlung sollen nämlich bereits zeitlich vor Beginn der Versammlung vor Maßnahmen geschützt werden, die sie von der Teilnahme abhalten könnten. Dazu gehören nicht nur potentiell abschreckende hoheitliche Vorfeldmaßnahmen, wie etwa Durchsuchungen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 15) oder Behinderungen der Anfahrt, sondern auch gezielte Verhinderungsmaßnahmen durch Dritte unter Inanspruchnahme öffentlichen Verkehrsraums.

Das vorgenannte Verständnis des § 2 Abs. 2 VersG steht im Einklang mit der nach Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit. Denn die gezielte "selbsthilfeähnliche" Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung wird vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (der "Gegendemonstranten") gerade nicht mehr umfasst, wie der Senat wiederholt (vgl. zuletzt etwa mit Beschl. v. 7.6.2011 - 11 LA 48/10 - unter Bezugnahme auf das Senatsurt. v. 29.5.2008 - 11 LC 138/06 -, juris, Rn. 53, m. w. N.) in Übereinstimmung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991 - 1 BvR 772/90 -, BVerfGE 84, 203 ff:, v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, u. a. -, juris, Rn. 44, und v. 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 -, juris, Rn. 35) entschieden hat.

Dass es entgegen den vom Verwaltungsgericht nach § 117 Abs. 5 VwGO ausdrücklich in Bezug genommenen Feststellungen der Beklagten nicht Ziel der für den 18. April 2009 vom Kläger angemeldeten Kundgebung gewesen ist, dort gerade auch zu proben, die für den 1. Mai 2009 geplante "rechtsextremistische" Demonstration zu verhindern, oder dass sich die Probe nur auf den Fall beziehen sollte, dass die zu verhindernde Demonstration trotz Verbots durchgeführt werde, trägt der Kläger im Zulassungsverfahren nicht substantiiert vor und ist auch sonst nicht zu erkennen; die bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Aufrufe sprechen vielmehr eindeutig dagegen. Denn das am 18. April 2009 beabsichtigte sog. "Aktionstraining" sollte danach der Vorbereitung "einer großen, kollektiven Aktion des zivilen Ungehorsams" zur Verhinderung des "Nazimarsches am 1. Mai 2009" in Hannover dienen. Um rein "schauspielerische Situationen", das "Üben einer Meinungskundgabe in Blockadesituationen" oder das Üben - nach der zuvor zitierten Rechtsprechung noch von der Versammlungsfreiheit umfasster - kurzfristiger, symbolischer Blockaden sollte es sich also gerade nicht handeln. Diese Bewertung wird schließlich noch dadurch unterstrichen, dass bei Durchführung der für den 1. Mai 2009 geplanten "rechtsextremistischen" Demonstration erhebliche gewalttätige Übergriffe (auch) aus dem linksextremen Spektrum konkret zu befürchten waren, die die Beklagte nach den anderweitigen Feststellungen des Senats (vgl. Beschl. v. 27.4.2009, a. a. O., Rn. 33 f.) selbst unter Heranziehung der verfügbaren externen Polizeikräfte aus anderen Bundesländern zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend hätte beherrschen können.

Ob durch die untersagte Probeblockade zugleich der Straftatbestand des § 111 StGB verwirklicht worden wäre (vgl. VG Aachen, Urt. v. 1.6.2011 - 6 K 363/11 -, juris), kann deshalb offen bleiben.

Ist somit der Erlass der umstrittenen Auflage zur Verhinderung einer Probeblockade dem Grunde nach gemäß § 15 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 VersG rechtmäßig, so entspricht auch der Wortlaut dieser - erkennbar in Anlehnung an die Verfügung, die dem des Beschluss des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 2000 (- 1 S 414/00 -, NVwZ 2000, 1201) zu Grunde lag, erlassenen - Auflage den Anforderungen des § 37 Abs. 1 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG).

Dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG wird die Behörde gerecht, wenn der Adressat einer Verfügung erkennen kann, was von ihm gefordert wird und entsprechend sein Verhalten danach einrichten kann (vgl. zum Folgenden Senatsbeschl. v. 10.11.2010 - 11 LA 298/10 -, juris, Rn. 13; Senatsurt. v. 7.4.2009 - 11 LB 278/08 -, a. a. O., m. w. N.). Daher darf der Verwaltungsakt nicht unterschiedlichen subjektiven Bewertungen zugänglich sein. Die Konkretisierung dessen, was ge- und verboten ist, muss sich aus der Verfügung selbst ergeben und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nichtbeachtung des Verwaltungsaktes bußgeld- oder strafbewehrt ist. Hieran gemessen ist die umstrittene Auflage hinreichend bestimmt.

Denn sie war für den Kläger und (andere) potentielle Teilnehmer an der für den 18. April 2009 geplanten Kundgebung erkennbar darauf gerichtet, alle Handlungen zu verbieten, mit denen die für den 1. Mai 2009 von ihnen geplante Blockade bzw. ihr Verhalten bei deshalb zu erwartenden polizeilichen Gegenmaßnahmen probiert oder simuliert werden sollte. Eine weitergehende Konkretisierung war nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. Dass damit von der Auflage auch Tätigkeiten umfasst waren, die ggf. isoliert in anderem Zusammenhang rechtmäßig sein können, wie etwa das Einüben, sich unterzuhaken, ist nicht zu beanstanden. Denn die für das "Aktionstraining" am 18. April 2009 untersagten Tätigkeiten sollten nach den hier zu Grunde zu legenden Feststellungen der Beklagten gerade Teil eines einheitlichen Konzepts zur Verhinderung der "rechtsextremistischen" Demonstration am 1. Mai 2009 und nicht Bestandteil einer schauspielerischen Aktion oder des Übens von symbolischem Widerstand sein. Im Übrigen ist die Versammlung am 18. April 2009 nicht verboten, den (potentiellen) Teilnehmern also insbesondere nicht die grundrechtlich geschützte Möglichkeit genommen worden, ihre ablehnende Haltung gegenüber der für den 1. Mai 2009 geplanten "rechtsextremistischen" Demonstration bereits im Vorfeld öffentlich kund zu tun, dabei zur Teilnahme an rechtmäßigen Gegenmaßnahmen aufzurufen und hierauf potentielle Teilnehmer vorzubereiten. ..."

***

Das Uniformverbot gilt der Uniform als Symbol organisierter Gewalt. Uniformen und Kleidungsstücke, die Uniformen substituieren, symbolisieren die quasi-militärische Organisation einer Menge als "institutionelles Gehäuse" für Gewaltbereitschaft, Bedrohung und Einschüchterung und sind in der Regel geeignet, bei dem Beobachter suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Eindruck durch das Hinzutreten weiterer Umstände verstärkt wird (OLG Koblenz, Beschluss vom 11.01.2011 - 2 Ss 156/10).

***

Durch das in § 3 I VersG angesprochene Uniformverbot soll verhindert werden, dass durch derartige Kleidungsstücke Gewaltbereitschaft signalisiert wird. Bomberjacken und Springerstiefel sind Symbole, durch die eine Zurschaustellung von organisierter Gewaltbereitschaft und Herbeiführung von Einschüchterung erfolgt, wenn diese von Versammlungsteilnehmern auf einer Versammlung getragen werden, die durch eine rechtsextremistische Partei durchgeführt wird. Von der aus §§ 14, 15 VersG folgenden Konzentrationswirkung werden Erlaubnisverfahren nach sonstigen Regelungen nicht umfasst, durch die der Zugang zu einer in Aussicht genommenen Versammlungsfläche erst vermittelt wird (OVG Bautzen, Beschluss vom 09.11.2001 - 3 BS 257/01, NVwZ-RR 2002, 435).

Gleichartige Kleidungsstücke i. S. von § 3 VersG sind Kleidung und Bekleidungsbestandteile jeder Art, sofern sie Uniformen oder Uniformteilen gleichartig sind. Gleichartige Kleidungsstücke i. S. von § 3 VersG sind Kleidung und Bekleidungsbestandteile jeder Art, sofern sie Uniformen oder Uniformteilen gleichartig sind (BayObLG, Entscheidung vom 20.01.1987 - 4 St 209/86, NStZ 1987, 234).

*** (StA)

Das Tragen von Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di verstößt nicht gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersG (StA Osnabrück, Entscheidung vom 28.04.2006 - 730 UJs 12661/06, NStZ 2007, 183):

... Wie Ls. Die aus dünnem Plastikmaterial bestehenden Streikwesten sind keine Uniformen oder Uniformteile, weil die Streikenden Zivil- oder Arbeitskleidung tragen, die unter den Westen deutlich sichtbar bleibt.

Die Streikwesten sind auch keine gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.v. § 3 VersammlG, weil sie als dünne Plastikgebilde mit Einweg-Charakter schon keinen Bekleidungscharakter aufweisen, aber zumindest nicht Uniformen ähnlich sind.

Die Auslegung des Merkmals gleichartige Kleidungsstücke' anhand von Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt, dass hierunter nicht sämtliche gleichartigen zivilen Kleidungsstücke zu verstehen sind, sondern nur solche, die eine uniformähnliche Wirkung entfalten, also suggestiv-militante Effekte erzielen.

Das Bekenntnis zur Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft bei einem Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung ist Ausdruck der grundrechtlich verbürgten Koalitionsfreiheit und nicht Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' i.S.v. § 3 VersammlG. ...

Die StA stellte das aufgrund einer Anzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren ein. ...

Es ist bei der StA Osnabrück eine Strafanzeige eines privaten Anzeigeerstatters vom 3. 3. 2006 gegen namentlich unbekannte Streikende, die in der Zeitung abgebildet waren, eingegangen mit dem Tatvorwurf, durch das Tragen von Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersammlG verstoßen zu haben.

Gemäß § 3 I VersammlG ist es verboten, in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' zu tragen. Ein Verstoß ist nach § 28 VersammlG strafbar.

Da davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei den in der Strafanzeige bezeichneten gewerkschaftlichen Aktionen mit zahlreichen auf Zeitungsfotos abgebildeten Teilnehmern um Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes handelte, ist zur Prüfung einer Strafbarkeit nach den §§ 3, 28 VersammlG festzustellen, ob es sich bei den Plastikwesten mit aufgedrucktem Gewerkschafts-Logo, die von den Teilnehmern getragen werden, um Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke i.S.d. § 3 VersammlG handelt und ob diese als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen werden.

Bei den aus einem dünnen Plastikmaterial (ähnlich wie bei Müllsäcken) bestehenden Streikwesten handelt es sich offensichtlich nicht um Uniformen oder Uniformteile. Im Gegensatz zur Zivilkleidung handelt es sich bei einer Uniform um eine einheitliche Dienstkleidung z.B. von Soldaten, von Polizeibeamten oder früher von Eisenbahn- oder Postbeamten. Uniformen können sein einheitliche Hemden, Jacken, Hosen, Röcke, Kopfbedeckungen oder Gürtel (BayObLG v. 20. 1. 1987 - RReg. 4 St 209/86, NJW 1987, 1778 mwN). Stets muss die Kleidung nach Form, Farbe, Schnitt und sonstiger Aufmachung von der allgemein üblichen Bekleidung abweichen (KG v. 19. 3. 2001 - [3] 1 Ss 344/00 [105/00], juris). Die Streikenden tragen Zivil- oder Arbeitskleidung, über die sie die Plastikwesten gezogen haben. Die darunter getragene zivile Bekleidung bleibt weitgehend sichtbar und unterscheidet die einzelnen Personen deutlich.

Die Plastikwesten stellen auch kein Uniformteil dar. Uniformteile sind z.B. Waffenröcke, Mützen, Schulterstücke, Hemden mit aufgesetzten Brusttaschen und Schulterklappen oder Stiefel (BayObLG aaO). Uniformteile müssen unschwer von einem objektiven Betrachter wegen ihrer Gleichartigkeit als Bestandteil einer Uniform erkannt werden können, sie müssen ihrem Charakter nach Unformen oder Uniformteilen entsprechen (KG aaO). Das KG weiter: Das Verbot erfasst danach nur einen sehr engen Kreis gleichartiger Kleidungsstücke. Jede Form gleicher Kleidung darf gewählt werden, mit Ausnahme solcher, die den Eindruck von Uniformen oder Uniformteilen hervorrufen.' Die Streikwesten vermitteln optisch und vom Material her alles andere als den Eindruck eines Uniformteiles.

Es bleibt zu prüfen, ob diese Westen als gleichartige Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG anzusehen sind. Gleichartige Kleidungsstücke sind (nach dem Kommentar zu § 3 des VersammlG Dietel/Gintzel) Kleidung und Kleidungsbestandteile jeder Art, die sich durch Uniformität auszeichnen und damit ihrem Charakter nach Uniformen oder Uniformteilen entsprechen, beispielsweise die Roben von Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Geistlichen, die Bekleidung von Krankenschwestern und Nonnen, Sportbekleidung, Trachten, Kluften u.ä. Auch bestimmte Teile der Bekleidung (Krawatten, Kopfbedeckungen, u.U. auch gleichartige Masken oder Schutzhelme, eventuell auch Stiefel und Koppel) kommen in Betracht.

Die Plastikwesten können zwar bei reiner Wortauslegung das Merkmal des gleichartigen Kleidungsstücks noch erfüllen, wobei man jedoch auch die Auffassung vertreten kann, dass ein dünnes Plastikgebilde mit Einweg-Charakter kein Kleidungsstück sei, da sich niemand im Alltagsleben damit bekleiden würde und die Westen nicht einmal als Regenüberzug brauchbar sind. Danach würden die Streikwesten wegen der darauf befindlichen Aufdrucke ( Ver.di' und Streik') eher den Charakter eines vom Träger umgehängten Plakates haben, was keinen Verstoß gegen § 3 VersammlG darstellen würde.

Selbst wenn man eine Kleidungseigenschaft bejahen würde, sind die Westen keine gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG. Sie weisen nicht die gleiche Art wie eine Uniform auf. Sie zeigen keine Bezüge zu Uniformen oder zur Bekleidung historisch bekannter militanter Gruppen (vgl. dazu BVerfG v. 27. 4. 1982 - 1 BvR 1138/81, NJW 1982, 1803; KG aaO). Sie substituieren keine Uniform (KG aaO). Weiterhin ist im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Versammlungsgesetzes und den mit dem Uniformverbot verfolgten Gesetzeszweck, den freien politischen Meinungskampf vor Beeinträchtigungen in suggestiv-militanter Form durch einschüchternde militärische Uniformierung als Ausdruck politischer Gesinnung zu schützen (vgl. BT-Dr 1/4387), eine verfassungskonform eingeschränkte Auslegung des Merkmals der gleichartigen Kleidungsstücke' geboten (BVerfG NJW 1982, 1803; LG Hamburg NStZ 1983, 419).

Gleichartige Kleidungsstücke im Sinne dieser Vorschrift sind danach nicht alle zivilen Kleidungsstücke von gleichem Aussehen, sie müssen eine uniformartige Wirkung entfalten. Das Tragen speziell von Uniformen als Ausdruck politischer Gesinnung ist aber - wie historische Erfahrungen bestätigen - geeignet, nicht nur die Außenwirkungen kollektiver Äußerungen zu verstärken, sondern darüber hinaus suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen' (BVerfG NJW 1982, 1803).

Die Plastikwesten der Streikenden erfüllen diese Voraussetzungen nicht, da sie weder den Effekt einer einschüchternden Militanz (wie z.B. braune oder schwarze Hemden, insbesondere bei Stiefelträgern) haben noch kann ihnen eine Massensuggestivwirkung beigemessen werden. Hinzu kommt, dass es den Streikteilnehmern an einem militärischen Gebaren fehlte. Sie bewegten sich z.B. nicht als eine militärische Formation.

Weitere Voraussetzung für einen Verstoß gegen § 3 I VersammlG wäre außerdem, dass das gemeinsame Tragen eines einheitlichen Kleidungsstückes in der Öffentlichkeit als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung bewertet wird und dies auch von den Trägern dieser Kleidungsstücke erkannt wird.

Von politischen Veranstaltungen sind solche abzugrenzen, die nur der Förderung der Arbeit- und Wirtschaftsbedingungen dienen und den besonderen Schutz des Art. 9 III GG genießen. Zum verfassungsrechtlich geschützten Bereich der koalitionsmäßigen Betätigung einer Gewerkschaft gehört neben dem Recht auf Abschluss von Tarifverträgen u.a. das Recht, über Lohn und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in eigener Verantwortung und ohne staatliche Einflussnahme zu verhandeln (BVerfGE 44, 322, 340f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG). Ein gewerkschaftl. geführter Streik ist nur rechtmäßig, wenn es um Ziele geht, die tarifvertraglich regelbar sind, die tauglicher Inhalt eines Tarifvertrages sein können (zuletzt BAG Urt. v. 27. 6. 1989, BAGE 62, 171 = AP Nr. 119 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = DB 1989, 2229 unter Bezugnahme auf BAG Urt. v. 7. 6. 1988, BAGE 58, 343 = AP Nr. 106 zu Art. 9 GG, Arbeitskampf = DB 1988, 2102).

Im vorliegenden Fall handelte es sich eindeutig um einen Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung um längere Arbeitszeiten. Es handelt sich damit nicht um einen politischen Streik. Daher wird man bei den Streikteilnehmern das Tatbestandsmerkmal Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' i.S.d. § 3 VersammlG im vorliegenden Fall nicht annehmen können.

Der Tatbestand des § 3 VersammlG wird durch das Tragen der Plastik-Streikwesten nicht erfüllt, eine Strafbarkeit nach § 28 VersammlG ist dementsprechend nicht gegeben. ..."

***

Das öffentliche Tragen blau-gelb gefärbter Anoraks durch Abgeordnete der FDP verstößt nicht gegen das Uniformverbot des § 3 I VersG (StA Konstanz, Entscheidung vom 23.02.1984 - 11 Js 16/84, NStZ 1984, 322).

§ 4

(weggefallen)

§ 5

Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn

1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist,
2. der Veranstalter oder Leiter der Versammlung Teilnehmern Zutritt gewährt, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 mit sich führen,
3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben,
4. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.

Leitsätze/Entscheidungen:

Zur Frage, ob die Anwendung von § 5 Nr. 4 VersG auf Versammlungen, in denen eine Leugnung der Judenverfolgung zu erwarten ist, gegen Art. 5 I 1 GG verstößt (BVerfG, Entscheidung vom 13.04.1994 - 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779):

.. A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulässigkeit von Auflagen für eine Versammlung, in der die Leugnung der Judenverfolgung im Dritten Reich' zu erwarten ist.

I. 1. Die Beschwerdeführerin, ein Bezirksverband der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), lud in ihrem parteiinternen Mitteilungsblatt und in der bundesweit publizierten Deutschen Stimme' für Sonntag, den 12. Mai 1991, zu einer Veranstaltung mit dem Thema Deutschlands Zukunft im Schatten politischer Erpressung?' in München ein. Die Einladung trug die Überschrift: David Irving kommt nach München!' Es hieß darin, der bekannte revisionistische' Historiker werde erstmalig zu der Frage Stellung nehmen, ob es sich die Deutschen und ihre europäischen Nachbarn leisten könnten, die Zeitgeschichte als politisches Erpressungsinstrument' zu dulden.

2. Die Landeshauptstadt München legte der Beschwerdeführerin als Veranstalterin auf, durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, daß in der Versammlung über die Verfolgung der Juden im Dritten Reich insoweit nicht gesprochen wird, als diese Verfolgung geleugnet oder bezweifelt wird. Sie hat insbesondere zu Beginn der Veranstaltung auf die Strafbarkeit derartiger Redebeiträge ( §§ 130 , 185 , 189 , 194 StGB ) hinzuweisen, eventuelle einschlägige Redebeiträge sofort zu unterbinden und gegebenenfalls die Versammlung zu unterbrechen oder aufzulösen bzw. von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen.

Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß es auf der geplanten Versammlung zu Straftaten nach den §§ 130 , 185 , 189 und 194 StGB (sogenannte Auschwitzlüge) kommen werde. Dies ergebe sich aus dem Text der Einladung und aus der Person des Redners David Irving, der zu den führenden Köpfen des Revisionismus gehöre. Kristallisationspunkt revisionistisch-rechtsextremistischer Geschichtsbetrachter sei die Ablehnung der deutschen Nachkriegsentwicklung, die angeblich geprägt sei von antideutscher Umerziehungsagitation und kollektiver Demütigung durch die Oktroyierung eines permanenten Schuldbewußtseins. Das rechtsextreme Lager und seine Interessenvertreter - so auch David Irving - glaubten, daß das deutsche Volk von der Alleinschuld Hitlers am Zweiten Weltkrieg und von dem Vorwurf der Massenvernichtung von Juden in deutschen Vernichtungslagern rehabilitiert werden müsse. Auf diesem Hintergrund sei die Prognose gerechtfertigt, daß es auf der Versammlung zu Straftaten kommen werde.

Die Auflage finde ihre Rechtsgrundlage in § 5 Nr. 4 des Versammlungsgesetzes (VersG). Auch wenn in der Norm nur von einem Verbot die Rede sei, dürfe stattdessen als mildere Maßnahme eine Auflage angeordnet werden. Diese sei aber auch erforderlich, um Straftaten zu verhüten oder zu unterbinden.

Im Widerspruchsbescheid stellte die Regierung von Oberbayern die Erledigung des Widerspruchs fest, weil die Versammlung inzwischen stattgefunden hatte.

3. Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage abgewiesen:

Nach § 5 Nr. 4 VersG könne eine Versammlung verboten werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehe, daß dort vom Veranstalter oder seinem Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen geduldet würden, die als Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgende Vergehen stafbar seien. Anstelle eines Verbots könnten als milderes Mittel Auflagen verhängt werden, die geeignet seien, die strafbaren Handlungen zu verhindern. Die hier festgestellten Tatsachen deuteten mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß der Veranstalter oder sein Anhang die These von der sogenannten Auschwitzlüge vertreten oder dulden würden. Wer diese Ansicht öffentlich äußere und damit sowohl die Existenz von Gaskammern in Auschwitz als auch die gezielte Massenvernichtung von Juden im Dritten Reich bestreite, begehe nach der Rechtsprechung der Strafgerichte Straftaten der Beleidigung ( §§ 185 , 194 Abs. 1 Satz 2 StGB ), der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ( § 189 StGB ) und der Volksverhetzung ( § 130 StGB ).

Es treffe zwar zu, daß der Landesverband der NPD in seinem Schreiben vom 30. März 1991 David Irving gebeten habe, die Erwähnung des Wortes Auschwitz' zu vermeiden, und der Redner hierzu sein Einverständnis erklärt habe. Dies rechtfertige jedoch keine andere Beurteilung, da sowohl die Existenz von Gaskammern in Auschwitz als auch die gezielte Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich geleugnet werden könne, ohne daß das Wort Auschwitz' fiele. In dem Schreiben sei außerdem ausgeführt worden, daß der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der moralischen Abwertung Deutschlands und den politischen und materiellen Zugeständnissen der Deutschen weitgehend' losgelöst von der Frage der Authentizität bestimmter Ereignisse in der Vergangenheit betrachtet werden könne. Weitgehend' bedeute etwas anderes als vollständig' und schließe zumindest teilweise die Erörterung der Frage ein, wie sich die geschichtlichen Ereignisse aus der Sicht des Revisionismus abgespielt hätten.

Schließlich gehe aus dem Verfassungsschutzbericht Bayern für 1991 hervor, daß sich die NPD gegen die Dogmen von der deutschen Alleinkriegsschuld und von der Einzigartigkeit der NS-Verbrechen' gewandt habe. Die angeführten Umstände ließen jedenfalls in ihrer Gesamtheit den Schluß zu, daß es auf der geplanten Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu strafbaren Redebeiträgen in Gestalt der Leugnung der gezielten Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich durch den Hauptredner, einen seiner beiden Vorredner oder einen oder mehrere Diskussionsteilnehmer kommen werde. Dies sei bei dem vorgesehenen Thema Deutschlands Zukunft im Schatten politischer Erpressung?' ausgesprochen wahrscheinlich.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen:

Zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bestehe kein Anlaß, da die Verfassungsmäßigkeit des § 5 Nr. 4 VersG und des § 185 StGB nicht zweifelhaft sei. Soweit die Beschwerdeführerin es für verfassungswidrig halte, das Leugnen oder Bezweifeln der Judenverfolgung im Dritten Reich als strafbar im Sinne dieser Vorschriften anzusehen, handele es sich um die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesanwendung im Einzelfall.

Im übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. In seinen ergänzenden Ausführungen hat er dargelegt, daß die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Rahmen der Gefahrenprognose um so geringer seien, je weniger die behördliche Maßnahme in die Rechte des Betroffenen eingreife. Im vorliegenden Fall genüge eine geringe Wahrscheinlichkeit, da die Beschwerdeführerin durch die Auflage rechtlich nicht beeinträchtigt werde. Die Auflage untersage nur, was ohnehin verboten sei. Die Verpflichtung, auf die Strafbarkeit entsprechender Redebeiträge hinzuweisen und während der Veranstaltung über die Einhaltung zu wachen, stelle keine schwerwiegende Beeinträchtigung dar.

Das Gericht folge der herrschenden Meinung, daß das Leugnen oder Bezweifeln der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Diktatur eine Verletzung der Ehre der unter der nationalsozialistischen Diktatur verfolgten Juden darstelle. Da die Judenverfolgung nicht zu bestreiten sei, müsse es jeden Betroffenen zutiefst kränken und demütigen, wenn dieses Geschehen bestritten, bezweifelt und verharmlost werde. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nicht zugelassen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen, weil die Beschwerdeführerin insbesondere den Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt habe.

II. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG . Die versammlungsrechtliche Auflage habe in die freie Meinungsbildung auf der Versammlung vom 12. Mai 1991 eingegriffen.

Die angegriffenen Entscheidungen und die in ihnen vorgenommene Anwendung des § 5 Nr. 4 VersG beruhten auf der Rechtsauffassung, daß das öffentliche Äußern von Zweifeln am Wahrheitsgehalt von Behauptungen über deutsche Greueltaten gegen Juden als Beleidigung der Juden strafbar sei (BGHZ 75, 160). Dadurch sei ein rechtliches Instrumentarium zur Unterbindung einer politisch unerwünschten zeitgeschichtlichen Diskussion geschaffen worden. Diese Rechtspraxis sei verfassungswidrig; sie werde auch in der Literatur als Überdehnung des Straftatbestandes der Beleidigung angesehen.

In vollem Umfang werde die Verfassungswidrigkeit dieser Rechtspraxis bei Betrachtung des (gescheiterten) Entwurfs eines 21. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 11. April 1984 - BTDrucks. 10/1286 - deutlich. Mit diesem sei der Zweck verfolgt worden, die bestehende Strafbarkeitslücke für das Leugnen behaupteter deutscher Greueltaten' zu schließen. Bereits damals habe der Bundesrat in seiner Äußerung zum Gesetzentwurf verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Die heutige Rechtspraxis sei ohne Einschränkung so beschaffen, als wäre dieser Gesetzentwurf tatsächlich verabschiedet und beschlossen worden. Gesetz geworden sei jedoch die verfahrensrechtliche Lösung' in § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB . Damit seien die für die Einfädelung' der heutigen Rechtspraxis verantwortlichen Politiker den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten bewußt aus dem Weg gegangen. Durch die heutige Rechtsprechung zur Unterdrückung der zeitgeschichtlichen Forschung über die jüngere Geschichte Deutschlands werde Art. 5 GG ad absurdum geführt, ja dieses Grundrecht im Grunde aufgehoben und für nichtig erklärt.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sei dem Art. 5 GG unterzuordnen. Da der Bundesgerichtshof in der Auschwitzlüge' eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Juden sehe, verstoße diese Rechtsprechung gegen Art. 5 GG .

B. I. Ob die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, bedarf keiner Entscheidung, denn sie ist jedenfalls offensichtlich unbegründet (§ 24 BVerfGG).

II. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG .

1. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten.

a) An diesem Grundrecht sind die Entscheidungen vorrangig zu messen. Zwar bezieht sich die Auflage, die die Beschwerdeführerin bekämpft, auf eine Versammlung. Ihr Gegenstand sind aber bestimmte Äußerungen, die von der Beschwerdeführerin als Veranstalterin der Versammlung weder abgegeben noch geduldet werden durften. Die verfassungsrechtliche Beurteilung der Auflage hängt vor allem davon ab, ob derartige Äußerungen erlaubt sind oder nicht. Eine Äußerung, die von Verfassungs wegen nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht Anlaß für eine versammlungsbeschränkende Maßnahme nach § 5 Nr. 4 VersG sein. Für die Beantwortung dieser Frage ergeben sich die Maßstäbe aber nicht aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit ( Art. 8 GG ), sondern aus dem der Meinungsfreiheit.

b) Gegenstand des grundrechtlichen Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen. Auf sie bezieht sich die Freiheit der Äußerung und Verbreitung. Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt (vgl. BVerfGE 33, 1 (14) [BVerfG 14.03.1972 - 2 BvR 41/71] ). Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend (vgl. BVerfGE 7, 198 (210) [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51] ; 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ). Insofern lassen sie sich auch nicht als wahr oder unwahr erweisen. Sie genießen den Schutz des Grundrechts, ohne daß es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 33, 1 (14 f.) [BVerfG 14.03.1972 - 2 BvR 41/71] ). Der Schutz des Grundrechts erstreckt sich auch auf die Form der Aussage. Eine Meinungsäußerung verliert den grundrechtlichen Schutz nicht dadurch, daß sie scharf oder verletzend formuliert ist (vgl. BVerfGE 54, 129 (136 ff.) [BVerfG 13.05.1980 - 1 BvR 103/77] ; 61, 1 (7) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ). In dieser Hinsicht kann die Frage nur sein, ob und inwieweit sich nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 2 GG Grenzen der Meinungsfreiheit ergeben.

Tatsachenbehauptungen sind dagegen im strengen Sinn keine Meinungsäußerungen. Im Unterschied zu diesen steht bei ihnen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund. Insofern sind sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich. Tatsachenbehauptungen fallen deswegen aber nicht von vornherein aus dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. Da sich Meinungen in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen, sind sie durch das Grundrecht jedenfalls insoweit geschützt, als sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, welche Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit gewährleistet (vgl. BVerfGE 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ).

Infolgedessen endet der Schutz von Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die bewußt oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt wird (vgl. BVerfGE 54, 208 (219) [BVerfG 03.06.1980 - 1 BvR 797/78] ; 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden (vgl. BVerfGE 54, 208 (219 f.) [BVerfG 03.06.1980 - 1 BvR 797/78] ; 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ; 85, 1 (22) [BVerfG 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88] ).

Die Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen kann freilich schwierig sein, weil beide häufig miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In diesem Fall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo das nicht möglich ist, muß die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 61, 1 (9) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ; 85, 1 (15 f. [BVerfG 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88] )).

c) Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt sie den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und der persönlichen Ehre ergeben. Doch ist bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen, die sich beschränkend für die Meinungsfreiheit auswirken, der Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 7, 198 (208 f.) [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51] ). Das erfordert in der Regel eine im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Normen vorzunehmende fallbezogene Abwägung zwischen dem eingeschränkten Grundrecht und dem Rechtsgut, dem das grundrechtsbeschränkende Gesetz dient.

Für diese Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht einige Regeln entwickelt. Danach beansprucht die Meinungsfreiheit keineswegs stets den Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz, wie die Beschwerdeführerin meint. Vielmehr geht bei Meinungsäußerungen, die als Formalbeleidigung oder Schmähung anzusehen sind, der Persönlichkeitsschutz der Meinungsfreiheit regelmäßig vor (vgl. BVerfGE 66, 116 (151) [BVerfG 25.01.1984 - 1 BvR 272/81] ; 82, 272 (281, 283 ff. [BVerfG 26.06.1990 - 1 BvR 1165/89] )). Bei Meinungsäußerungen, die mit Tatsachenbehauptungen verbunden sind, kann die Schutzwürdigkeit vom Wahrheitsgehalt der ihnen zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen abhängen. Sind diese erwiesen unwahr, tritt die Meinungsfreiheit ebenfalls regelmäßig hinter den Persönlichkeitsschutz zurück (vgl. BVerfGE 61, 1 (8 f.) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ; 85, 1 (17) [BVerfG 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88] ). Im übrigen kommt es darauf an, welches Rechtsgut im Einzelfall den Vorzug verdient. Dabei ist aber zu beachten, daß in Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, eine Vermutung zugunsten der freien Rede spricht (vgl. BVerfGE 7, 198 (212) [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51] ). Dies ist daher bei der Abwägung zwischen den Rechtspositionen der beteiligten Personen stets mitzuberücksichtigen.

2. Gemessen daran liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG offensichtlich nicht vor. Die an die Beschwerdeführerin als Veranstalterin der Versammlung gerichtete Auflage, dafür zu sorgen, daß in der Versammlung die Verfolgung der Juden im Dritten Reich nicht geleugnet oder bezweifelt wird, ist mit diesem Grundrecht vereinbar.

a) Die von der Versammlungsbehörde aufgestellte und von den Verwaltungsgerichten bestätigte Gefahrenprognose, es werde im Verlauf der Versammlung zu derartigen Äußerungen kommen, hat die Beschwerdeführerin nicht angegriffen. Sie streitet vielmehr dafür, solche Behauptungen aufstellen zu dürfen.

b) Bei der untersagten Äußerung, daß es im Dritten Reich keine Judenverfolgung gegeben habe, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung, die nach ungezählten Augenzeugenberichten und Dokumenten, den Feststellungen der Gerichte in zahlreichen Strafverfahren und den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft erwiesen unwahr ist. Für sich genommen genießt eine Behauptung dieses Inhalts daher nicht den Schutz der Meinungsfreiheit. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen der Leugnung der Judenverfolgung im Dritten Reich und der Leugnung der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, um die es in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1994 - 1 BvR 434/871 - ging. Bei Aussagen zur Schuld und Verantwortlichkeit für historische Ereignisse handelt es sich stets um komplexe Beurteilungen, die nicht auf eine Tatsachenbehauptung reduziert werden können, während die Leugnung eines Ereignisses selbst regelmäßig den Charakter einer Tatsachenbehauptung haben wird.

c) Aber auch wenn man die Äußerung, auf die sich die Auflage bezieht, nicht für sich nimmt, sondern im Zusammenhang mit dem Thema der Versammlung betrachtet und sie insoweit als Voraussetzung für die Meinungsbildung zur Erpreßbarkeit' der deutschen Politik ansieht, halten die angegriffenen Entscheidungen einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung stand. Die untersagte Äußerung genießt dann zwar den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG . Doch ist ihre Einschränkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Die Einschränkung hat eine verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage.

Behörden und Verwaltungsgerichte haben die meinungsbeschränkende Auflage auf § 5 Nr. 4 VersG gestützt. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung in geschlossenen Räumen verboten werden, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben. Diese Regelung ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 8 Abs. 1 GG . Zwar ist das Versammlungsrecht in geschlossenen Räumen vorbehaltlos gewährleistet. Das bedeutet aber nicht, daß Meinungsäußerungen in Versammlungen über Art. 5 Abs. 1 und 2 GG hinaus geschützt sind. Meinungsäußerungen, die durch eine nach Art. 5 Abs. 2 GG zulässige Norm mit Strafe bedroht sind, bleiben auch in einer Versammlung verboten. Es ist im Lichte des Art. 8 Abs. 1 GG auch nicht grundsätzlich zu beanstanden, daß der Gesetzgeber Straftaten, die bei einer Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, schon im Vorfeld ihrer Begehung zu unterbinden sucht. Vor einer übermäßigen Beschränkung der Versammlungsfreiheit schützen die Eingrenzung der Verbotsgründe auf Verbrechen und von Amts wegen zu verfolgende Vergehen sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der bei allen Maßnahmen zu beachten ist, mit denen die Versammlungsfreiheit beschränkt wird.

Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. § 5 Nr. 4 VersG enthält keine selbständige Beschränkung der Meinungsfreiheit, sondern knüpft an die Beschränkungen an, die im Strafgesetzbuch enthalten sind. Versammlungsbeschränkende Maßnahmen nach § 5 Nr. 4 VersG dürfen also nur ergriffen werden, wenn in einer Versammlung Äußerungen drohen, die ohnehin unter Strafe gestellt sind und von Amts wegen verfolgt werden. Allerdings bewegt sich die Vorschrift nicht im Bereich nachträglicher Sanktionen durch die Gerichte, sondern im Bereich präventiver Verbote durch die Behörden. Den damit verbundenen Gefahren für die Meinungsfreiheit läßt sich aber dadurch begegnen, daß an die Gefahrenprognose strenge Anforderungen gestellt werden und die Strafbarkeit der Äußerungen nach dem Stand der Rechtsprechung nicht zweifelhaft sein darf.

An der Verfassungsmäßigkeit der Strafvorschriften, auf die hier die Auflage gestützt worden ist, bestehen keine Zweifel. Die Beleidigungstatbestände schützen die persönliche Ehre, die in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich als Rechtsgut genannt ist, das die Beschränkung der Meinungsfreiheit rechtfertigt. Bei § 130 StGB handelt es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinn des Art. 5 Abs. 2 GG , das dem Schutz der Menschlichkeit dient (vgl. BTDrucks. III/1746, S. 3) und seinen verfassungsrechtlichen Rückhalt letztlich in Art. 1 Abs. 1 GG findet.

bb) Auslegung und Anwendung von § 5 Nr. 4 VersG in Verbindung mit § 185 StGB durch die angegriffenen Entscheidungen sind ebenfalls mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar.

(1) Die Verwaltungsbehörden und -gerichte haben ihren Entscheidungen die Strafnorm in der Auslegung zugrunde gelegt, welche die ordentlichen Gerichte ihr gegeben haben. Danach bilden die in Deutschland lebenden Juden aufgrund des Schicksals, dem die jüdische Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ausgesetzt war, eine beleidigungsfähige Gruppe; die Leugnung der Judenverfolgung wird als eine dieser Gruppe zugefügte Beleidigung beurteilt. Der Bundesgerichthof hat dazu ausgeführt:

Die historische Tatsache selbst, daß Menschen nach den Abstammungskriterien der sog. Nürnberger Gesetze ausgesondert und mit dem Ziel der Ausrottung ihrer Individualität beraubt wurden, weist den in der Bundesrepublik lebenden Juden ein besonderes personales Verhältnis zu ihren Mitbürgern zu; in diesem Verhältnis ist das Geschehene auch heute gegenwärtig. Es gehört zu ihrem personalen Selbstverständnis, als zugehörig zu einer durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden, der gegenüber eine besondere moralische Verantwortung aller anderen besteht, und das Teil ihrer Würde ist. Die Achtung dieses Selbstverständnisses ist für jeden von ihnen geradezu eine der Garantien gegen eine Wiederholung solcher Diskriminierung und eine Grundbedingung für ihr Leben in der Bundesrepublik. Wer jene Vorgänge zu leugnen versucht, spricht jedem einzelnen von ihnen diese persönliche Geltung ab, auf die sie Anspruch haben. Für den Betroffenen bedeutet das die Fortsetzung der Diskriminierung der Menschengruppe, der er zugehört und mit ihr seiner eigenen Person (BGHZ 75, 160 (162 f.) [BGH 18.09.1979 - VI ZR 140/78] ).

An diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber angeknüpft und für solche Beleidigungen in § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB eine Ausnahme vom Antragserfordernis eingefügt (vgl. BTDrucks. 10/3242, S. 9).

Die Auffassung des Bundesgerichtshofs hat zwar in der strafrechtlichen Literatur Widerspruch erfahren. Sie wird zum Teil als Überdehnung des Beleidigungstatbestands angesehen (Schönke/Schröder-Lenckner, StGB, 24. Aufl., § 185 Rdnr. 3; Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., § 194 Rdnr. 1; Köhler, NJW 1985, S. 2390 Fn. 11). Indessen prüft das Bundesverfassungsgericht nicht nach, ob eine Auslegung des Strafgesetzbuchs einfachrechtlich richtig ist oder ob auch andere Auffassungen vertretbar wären. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist vielmehr allein ausschlaggebend, ob sie auf der Verkennung von Grundrechten beruht. Das ist hier nicht der Fall.

Es begegnet keinen Bedenken, daß die angegriffenen Entscheidungen im Gefolge dieser Rechtsprechung in der Leugnung der Judenverfolgung eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung erblickt haben. Der vom Bundesgerichtshof hergestellte Begründungszusammenhang zwischen der Leugnung der rassisch motivierten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich und dem Angriff auf den Achtungsanspruch und die Menschenwürde der heute lebenden Juden ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch insoweit unterscheidet sich die Leugnung der Judenverfolgung von der Leugnung der deutschen Kriegsschuld (vgl. BVerfG, Beschluß vom 11. Januar 1994 - 1 BvR 434/87 ). Die letztgenannte Auffassung beeinträchtigt, unabhängig von ihrer historischen Anfechtbarkeit, jedenfalls keine Rechtsgüter Dritter.

Der Einwand der Beschwerdeführerin, daß die Auflagen auf ein Verständnis von § 185 StGB gestützt worden sind, das dem Entwurf des § 140 StGB im 21. Strafrechtsänderungsgesetz (BTDrucks. 10/1286, S. 4) zugrunde lag, der vom Deutschen Bundestag nicht verabschiedet wurde, macht diese Auslegung ebenfalls nicht verfassungswidrig. Daß der Gesetzgeber davon Abstand genommen hat, für die Leugnung der Judenverfolgung einen speziellen Tatbestand mit höherer Strafdrohung einzuführen, erlaubt nicht den Schluß auf die Straflosigkeit der Tathandlung unter der allgemeineren Norm des § 185 StGB , zumal er - wie dargelegt - an die Rechtsprechung angeknüpft hat, die in der Leugnung des Verfolgungsschicksals eine Beleidigung sieht.

(2) Auch die Abwägung zwischen der Ehrverletzung einerseits und der Beschränkung der Meinungsfreiheit andererseits läßt keine verfassungsrechtlich erheblichen Fehler erkennen. Für diese Abwägung spielt die Schwere der jeweiligen Beeinträchtigung eine ausschlaggebende Rolle. Bei ehrverletzenden Meinungsäußerungen, die eine Tatsachenbehauptung enthalten, fällt dabei ins Gewicht, ob die Tatsachenbehauptung zutrifft oder nicht. Erwiesen unrichtige Tatsachenbehauptungen sind kein schützenswertes Gut. Verbinden sie sich untrennbar mit Meinungen, so kommt ihnen zwar der Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zugute, doch wiegt ein Eingriff von vornherein weniger schwer als im Fall nicht erwiesen unwahrer Tatsachenangaben.

So verhält es sich hier. Auch wenn man die Äußerung, die der Beschwerdeführerin auf ihrer Versammlung untersagt worden ist, im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema als Meinungsäußerung betrachtet, ändert das nichts an der erwiesenen Unrichtigkeit ihres tatsächlichen Gehalts. Der Eingriff, der sich hierauf bezieht, wiegt daher nicht besonders schwer. Angesichts des Gewichts, das der Ehrverletzung zukommt, ist es nicht zu beanstanden, daß die angegriffenen Entscheidungen dem Persönlichkeitsschutz den Vorrang vor der Meinungsfreiheit eingeräumt haben.

Daran ändert sich auch nichts, wenn man berücksichtigt, daß die Einstellung Deutschlands zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit und deren politischen Folgen, um die es bei der Versammlung ging, eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage ist. In diesem Fall spricht zwar eine Vermutung für die freie Rede. Doch greift diese weder ein, wenn es sich bei der Äußerung um Formalbeleidigungen oder Schmähungen handelt, noch wenn die kränkende Äußerung auf erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen beruht.

Auch eine mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbare Überdehnung der Anforderungen an die Wahrheitspflicht hinsichtlich des Tatsachenkerns der Äußerung ist von diesem Abwägungsergebnis nicht zu besorgen. Die Begrenzung der Sorgfaltspflicht, von der das Bundesverfassungsgericht im Interesse der freien Kommunikation sowie der Kritik- und Kontrollfunktion der Medien ausgeht, bezieht sich auf Tatsachenbehauptungen, deren Richtigkeit im Zeitpunkt der Äußerung noch ungewiß ist und sich nicht binnen kürzester Frist aufklären läßt. Sie kommt aber nicht dort zur Geltung, wo die Unwahrheit einer Aussage bereits feststeht, wie das hier der Fall ist.

(3) Da die angegriffene Auflage schon im Hinblick auf § 185 in Verbindung mit § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zu beanstanden ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob dies auch für die Beurteilung der Strafbarkeit nach §§ 130 , 189 StGB gilt. ..."

*** (OVG/OLG)

Versammlungsverbot bei G8-Gipfel in Heiligendamm war rechtswidrig (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 08.08.2012 - Quelle: www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=2407).

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... Schließlich wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer zu prüfen haben, ob dem Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO der rechtliche Hinweis zu erteilen ist, dass auch eine Verurteilung wegen unbefugten Tragens einer Uniform nach den §§ 28 , 3 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) in Betracht kommt. Danach macht sich strafbar, wer öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Umformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung trägt.

Hier kann durchaus erwogen werden, in dem auf dem Ärmel der von dem Angeklagten getragenen Jacke angebrachten Abzeichen ein Uniformteil oder jedenfalls ein Uniformen oder Uniformteilen gleichartiges Kleidungsstück im Sinne des § 3 VersG zu sehen. Die Vorschrift erfasst alle Kleidungsstücke, die wegen ihrer Gleichartigkeit unschwer als Bestandteil einer Uniform erkannt werden können und als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen werden (vgl. Erbs/Kohlhaas-Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: Juni 2000, V 55, § 3, Rdnrn. 5 u. 7 m. w. N. ). Auf Grund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen über den Charakter der Veranstaltung und in Anbetracht der vom Landgericht in Bezug genommenen Lichtbilder kann kaum zweifelhaft sein, dass der Angeklagte und andere Veranstaltungsteilnehmer das auf den Ärmeln ihrer sog. Bomberjacken angebrachte Abzeichen trugen, um dadurch einer gemeinsamen politischen Gesinnung Ausdruck zu verleihen. ..." (OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.02.2001, 1 Ss 87/00).

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Ein Versammlungsverbot kann wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig sein, wenn die Gefahr, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, auch dadurch ausgeräumt werden kann, daß dem Veranstalter lediglich verboten wird, den Redner, von dem diese Gefahr ausgeht, in der Veranstaltung auftreten zu lassen (VGH Mannheim, Beschluss vom 25.04.1998 - 1 S 1143/98).

Die Anforderungen an die Tatsachenfeststellung und die Prognoseentscheidung der Behörde im Rahmen des § 5 Nr. 4 VersG für ein Verbot einer Versammlung in geschlossenen Räumen sind jedenfalls nicht geringer als diejenigen gemäß § 15 I VersG für ein Verbot einer Versammlung im Freien. Ein zum Einschreiten berechtigender Sachverhalt liegt demzufolge erst dann vor, wenn der Eintritt eines Schadens fast mit Gewißheit zu erwarten ist (OVG Weimar, Beschluss vom 29.08.1997 - 2 ZEO 1037/97 u.a., NVwZ-RR 1998, 497).

Unfriedliche Versammlungen fallen nicht in den Schutzbereich von Art. 8 GG. Zum Begriff der unfriedlichen Versammlung (VGH München, Beschluss vom 29.05.1996 - 24 B 94.521, BayVerwBl 1997, 248).

Zum Verbot eines Bundesparteitages der NPD (OVG Münster, Entscheidung vom 10.02.1989 - 4 B 504/89, NVwZ 1989, 885).

*** (VG)

Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz kann in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse an der Feststellung begründen, dass der Grundrechtseingriff rechtswidrig war. Dass einzelne Besucher einer Veranstaltung den Hitlergruß zeigen oder andere Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwenden könnten, vermag ein Veranstaltungsverbot unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, ohne dass im Einzelfall besondere Gründen vorliegen, nicht zu rechtfertigen (VG Magdeburg, Urteil vom 30.01.2012 - 1 A 79/10):

... Der Kläger wendet sich im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen das Verbot einer Musikveranstaltung. Im Dezember 2009 informierte der Landkreis H. die Beklagte über einen am 06.02.2010 in der Gaststätte L." geplanten Liederabend. Auftreten würde die Band F." mit dem Liedermacher D. . Über Herrn D. lägen keine polizeilichen Erkenntnisse vor. Veranstalter sei der N.-Ortsbereich A-Stadt" mit dem Kläger als Verantwortlichen". Bereits am 14.11.2009 sei in der Gaststätte L." eine gleichgelagerte Veranstaltung mit F." durchgeführt worden, an der ca. 30 Personen der örtlichen rechten Szene unter Beteiligung des Landesvorsitzenden der N. teilgenommen hätten. Die Veranstaltung sei störungsfrei verlaufen. Am 03.02.2010 teilte der Landkreis H. der Beklagten mit, dass Innenministerium bitte aufgrund eines zwischenzeitlich aufgetauchten Videos vom 14.11.2011 und des Verdachtes, bei der Veranstaltung am 06.02.2010 könnten Straftaten begangen werden, den Ansatz einer Gefahrenprognose zu prüfen. Der Landkreis bat die Beklagte deshalb darum, zusammen mit der Polizei an den Veranstalter heranzutreten und zu erfragen, was bei der Veranstaltung geplant sei. Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten vom 04.02.2010 nahm die Beklagte zunächst Kontakt mit dem örtlichen Polizeirevier auf. Nach der Einschätzung des örtlichen Polizeireviers seien die bisherigen Veranstaltungen der N. in der ehemaligen Gaststätte L." störungsfrei verlaufen. Zu den Sachverhalten auf dem Video vom 14.11.2011 seien zwar Ermittlungen wegen des Verdachts auf Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aufgenommen worden. Abschließende Entscheidungen lägen hierzu aber noch nicht vor. Zu F.", Liedermacher D. lägen zwar Erkenntnisse vor. Diese böten derzeit aber noch keinen Anlass für eine Gefahrenanalyse. Weiter geht aus dem Vermerk hervor, dass die Beklagte mit dem Kläger schriftlich und telefonisch Kontakt aufgenommen habe. Der Kläger habe angegeben, bei dem am 06.02.2010 geplanten Liederabend handele es sich - wie schon bei den vorangegangenen Liederabenden um eine interne und nicht um öffentliche Veranstaltung. Hierfür spräche, dass der Liederabend in privaten Räumen stattfinde und auch nur N.-Mitglieder des Landesverbandes eingeladen seien. Das Eintrittsgeld stelle lediglich einen Unkostenbeitrag dar. Zusammenfassend könne gesagt werden, dass ein ordnungsrechtliches Vorgehen der Stadt nicht erforderlich sei. Dem Vermerk vom 04.02.2010 zufolge solle auf den Wunsch des Klägers am 05.02.2010 um 9.30 Uhr zwischen der N., der Polizei und der Beklagten ein Kooperationsgespräch stattfinden, in dem der genaue Ablauf der internen Veranstaltung abgesprochen werde. Weiterhin befindet sich in der Behördenakte ein Vermerk des PD G., wonach sich aus dem bei you tube" eingestellten Video über den am 14.11.2011 durchgeführten Liederabend ergebe, dass dort mindestens drei verschiedene Teilnehmer den Hitlergruß gezeigt hätten. Bei dem Liederabend am 06.02.2010 sollten auch alkoholische Getränke zur Verfügung gestellt werden. Weil es sich bei dem am 06.02.2010 geplanten Liederabend um eine gleichartige Veranstaltung handele, sei zu erwarten, dass bei zunehmender Alkoholisierung gleichartige Straftaten (Hitlergruß) begangen werden. Mit Bescheid vom 05.02.2010 verbot die Beklagte unter Anordnung des Sofortvollzuges die für den 06.02.2010 in der ehemaligen Gaststätte L." in der O-Straße 65 in A-Stadt geplante interne Veranstaltung - 4. Liederabend" der N.. Das Verbot erstreckte sich auf jede Form von Ersatzveranstaltungen im Land Sachsen-Anhalt. Die Beklagte begründete das Verbot im Wesentlichen damit, es sei zu erwarten, dass bei der geplanten Veranstaltung mit zunehmender Alkoholisierung der Hitlergruß gezeigt werde. Bei dem Liederabend handele es sich um eine gleichartige Veranstaltung wie bei derjenigen vom 14.11.2009, bei der mindestens drei verschiedene Personen den Hitlergruß gezeigt hätten. Am 05.02.2010 gab die Beklagte dem Kläger den Bescheid durch persönliche Übergabe um 15.55 Uhr bekannt. Am 03.03.2010 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben. Zur Begründung der Klage trägt er u. a. vor: Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich aufgrund des tiefgreifenden und fortwirkenden Eingriffs in das Grundrecht des Klägers auf Versammlungsfreiheit durch die Verbotsverfügung. Die verbotene Veranstaltung sei eine nicht öffentliche Versammlung, die unter dem Schutz der grundgesetzlich gewährten Versammlungsfreiheit stehe. Die Verfügung verletze den Kläger in seinem Grundrecht. Am 14.11.2009 hätten weder der Kläger noch die beim Liederabend anwesende Gäste den Hitlergruß gezeigt. Selbst wenn einzelne Personen den Hitlergruß gezeigt hätten, rechtfertige das nicht eine Versammlung aufzulösen oder gar zu verbieten. Der Kläger hätte als Inhaber des Hausrechts einzelne Personen, die den Hitlergruß gezeigt hätten von der weiteren Veranstaltung ausgeschlossen. Die Beklagte habe die Möglichkeit der Selbstregulierung durch den Kläger nicht erkannt. Bereits deshalb liege ein Ermessensausfall vor. Auch sei die Verbotsverfügung auf eine unzureichende Gefahrenprognose gestützt.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die Verbotsverfügung der Beklagten vom 05.02.2010 rechtswidrig war. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Klageerwiderung trägt sie im Wesentlichen vor: Für die Klage bestünde kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Die vom Kläger geplante Musikveranstaltung stelle keine Versammlung dar. Das Veranstaltungsverbot sei auf eine hinreichende Gefahrenprognose gestützt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung. ...

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO zulässig. Nach dieser Vorschrift spricht das Gericht dann, wenn sich ein Verwaltungsakt erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

Ein Feststellungsinteresse seitens des Klägers besteht bereits unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Grundrechtsbetroffenheit, auf den er sich ausdrücklich beruft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerfG, B. v. 05.12.2001 - 2 BvR 527/99 -, zitiert nach: juris, u. BVerwG, B. v. 30.04.1999 - 1 B 36/99 -, zitiert nach: juris).

Indessen begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht allerdings dann, wenn die angegriffene Maßnahme das Grundrecht schwer beeinträchtigt (1), wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht (2) oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (3) - (BVerfG, B. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, zitiert nach juris, Rdnr. 36).

Das gegenüber dem Kläger ausgesprochene Veranstaltungsverbot ist eine schwere Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Die Bedeutung des Rechts auf Durchführung einer Veranstaltung als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Veranstaltungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Veranstaltung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Veranstaltungsfreiheit. Eine weitere Gewichtung eines solchen Grundrechtseingriffs, etwa im Hinblick auf den spezifischen Anlass oder die Größe der Veranstaltung, ist dem Staat verwehrt. Ebenso bedarf in einem derartigen Fall keiner Klärung, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Auch spielt es keine Rolle, ob vergleichbare Veranstaltungen noch in Zukunft stattfinden sollen (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 37).

Darüber hinaus besteht Wiederholungsgefahr. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Veranstaltung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann der Veranstalter nicht auf die Alternative zukünftig möglichen Eilrechtsschutzes verwiesen werden - (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 41).

Auf Seiten des Klägers reicht es aus, wenn sein Wille erkennbar ist, in Zukunft Veranstaltungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Veranstaltung selbst zu bestimmen (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfGE 104, 92 (111)), darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Veranstaltungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 41).

Ferner sind Anhaltspunkte zu fordern, dass die betroffene Behörde das Verbot solcher weiterer Veranstaltungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird. Insofern darf vom Kläger, der regelmäßig keinen Zugang zum Willensbildungsprozess der Verwaltung hat, nicht mehr als die Darlegung verlangt werden, es gebe Anlass für die Annahme, dass beschränkende Verfügungen künftig auf die gleichen Gründe wie bei der im Streit befindlichen Versammlung gestützt werden (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 42).

Gemessen an den Vorgaben der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung besteht die Gefahr, dass die Beklagte erneut gegenüber dem Kläger Veranstaltungsverbote erlassen wird. Denn es ist der Wille des Klägers erkennbar, er werde auch künftig Liederabende oder ähnliche Veranstaltungen abhalten und es ist zu erwarten, dass die Beklagte derartige Veranstaltungen mit den gleichen oder zumindest ähnlichen Gründen untersagen wird. Hierfür spricht insbesondere, dass sie im gerichtlichen Verfahren ihren Bescheid vom 05.02.2010 verteidigt und an den dort genannten Gründen festhält.

Das Verbot der Musikveranstaltung gegenüber dem Kläger als Veranstalter stellt jedenfalls einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar, sodass dahinstehen kann, ob nicht auch ein Eingriff in die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG vorliegt (vgl. VG Lüneburg, U. v. 27.06.2006 - 3 A 413/05 -, zitiert nach: juris und VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - 1 A 216/09 MD -, S. 4 d. U. A. - n. V.) oder in die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, U. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 -, zitiert nach juris, Rdnr. 14 - 18; VGH Baden-Württemberg, U. v. 12.07.2010 - 1 S 349/10 -, zitiert nach juris, Rdnr. 25 - 36).

Die Klage ist auch begründet. Es ist gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO festzustellen, dass das Verbot der für den 06.02.2010 geplanten Musikveranstaltung des rechtswidrig gewesen ist.

Die Rechtmäßigkeit der streitigen Verbotsverfügung vom 05.02.2010 beurteilt sich nach § 13 SOG LSA. § 4 VersammlG LSA, wonach öffentliche Versammlungen verboten werden können, kommt als Rechtsgrundlage für das von der Beklagten gegenüber dem Kläger ausgesprochene Veranstaltungsverbot nicht in Betracht. Denn bei dem geplanten Liederabend handelt es sich um keine öffentliche Versammlung. Zu der geplanten Veranstaltung waren nur N.-Mitglieder eingeladen und der Liederabend sollte in privaten Räumen stattfinden.

Nach § 13 SOG LSA können die Sicherheitsbehörden und die Polizei die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit - hier nicht einschlägig - die folgenden Vorschriften des zweiten Teils die Befugnisse der Sicherheitsbehörden und der Polizei besonders regeln. Eine Gefahr i. S. d. § 13 SOG LSA ist stets eine konkrete Gefahr, d. h. eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird (§ 3 Nr. 3 a SOG LSA). Diese konkrete Gefahr ist zu unterscheiden von seiner abstrakten Gefahr, d. h. einer Sachlage, die (erst) im Falle ihres Eintritts eine (konkrete) Gefahr darstellt. Eine konkrete Gefahr liegt demzufolge vor, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn bei generell-abstrakter Betrachtung bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen ein Schaden im Einzelfall droht. Weiter sind Eingriffe der Sicherheitsbehörden und der Polizei nur zuzulassen, wenn zur Gefahrenprognose Tatsachen" vorliegen und diese Tatsachen einen konkreten Bezug zum jeweiligen Sachverhalt aufweisen. Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensablauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Eine konkrete Gefahr muss zudem Vorliegen im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme; es ist also beim polizeilichen Eingriff die gegenwärtige und nicht eine spätere Sicht entscheidend. Mithin kann eine polizeiliche konkrete Gefahr nicht durch später bekanntwerdende Tatsachen - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - im Anschluss an das polizeiliche Handeln begründet werden. Kommt es mithin auf den Entscheidungspunkt einer Verbotsverfügung an, reicht es nach allem nicht aus, dass eine Gefahr für den Fall des Eintritts eines noch ungewissen Ereignisses befürchtet wird (VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - a. a. O. -, S. 5 f. d. U. A. - n. V.).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die streitige Verbotsverfügung vom 06.02.2010 bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte sie nicht auf eine ausreichende Gefahrenprognose gestützt hat. Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 5 SOG LSA) ist bei einem Veranstaltungsverbot zu verlangen, dass konkrete Erkenntnisse der Behörde darüber vorliegen, dass mit der Veranstaltung Ziele verfolgt werden sollten, die eine konkrete polizeiliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten wird (vgl. VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - a. a. O. -, S. 6 . d. U. A. - n. V.). Dafür, dass die vom Kläger für den 06.02.2010 geplante Veranstaltung darauf abzielte, die Besucher zur Begehung von Straftaten nach § 86 a StGB, insbesondere durch Zeigen des Hitlergrußes zu verleiten, fehlen sowohl unter Berücksichtigung der Begründung der Verbotsverfügung als auch des Inhaltes des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs und ihrer Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren greifbare Anhaltspunkte. Dass einzelne Besucher der am 06.02.2010 geplanten Veranstaltung den Hitlergruß zeigen können, vermag das Verbot der Veranstaltung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (§ 5 Abs. 1 SOG LSA) nicht zu rechtfertigen (vgl. VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - a. a. O. -, S. 7 d. U. A. - n. V.). Denn es kommen zahlreiche weniger belastende Mittel in Betracht um einer solchen Gefahr zu begegnen, ohne dass ersichtlich ist, aus welchen Gründen sie nicht genauso effektiv wie das von der Beklagten ausgesprochene Veranstaltungsverbot wären. Beispielsweise könnte die Behörde auf eine Selbstregulierung durch den das Hausrecht ausübenden Veranstalter setzten und gegebenenfalls dieser Strategie durch den Erlass eines entsprechenden Auflagenbescheides Nachdruck verleihen. Sofern eine Selbstregulierung scheitern sollte, kann vor Ort die Veranstaltung unterbrochen werden, um einzelne die öffentliche Sicherheit störende Teilnehmer von der Veranstaltung ausgeschlossen werden. Sollte auch diese Maßnahme nicht greifen, kann die Veranstaltung auf behördliche Anordnung abgebrochen werden. Dafür dass diese gegenüber der Verbotsverfügung weniger belastenden Maßnahmen aufgrund einer besonderen Gefahrenlage zum Scheitern verurteilt gewesen wären, bestehen unter Berücksichtigung der streitigen Verfügung, des vorgelegten Verwaltungsvorganges und des Vorbringens der Beklagten im gerichtlichen Verfahren keine Anhaltspunkte.

Fehlt es aber an einer solchen Prüfung und Begründung im Einzelfall, kann eine polizeiliche konkrete Gefahr nicht angenommen werden und lässt sich damit eine Verbotsverfügung auf der Grundlage des § 13 SOG LSA nicht rechtfertigen. Hierbei kann dahinstehen, ob die vom Kläger geplante Veranstaltung unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG steht. Denn die die streitige Verbotsverfügung stellt sich zumindest als ein unverhältnismäßiger und damit rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Die Verbotsverfügung vom 06.02.2010 wäre auch dann rechtswidrig gewesen, wenn der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet gewesen wäre. Denn dann würde sie eben in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht des Klägers auf Versammlungsfreiheit eingreifen.

Selbst wenn entgegen der Auffassung des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 06.02.2010 nicht an § 13 SOG LSA, sondern an § 4 VersammlG LSA zu messen wäre, wäre sie rechtswidrig gewesen, weil sie in unverhältnismäßiger Weise in die Rechte des Klägers eingreift.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 709 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz, 52 Abs. 2 GKG. Mangels genügender Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwertes bemisst das Gericht das Interesse des Klägers an der Verfolgung seines Begehrens in der Höhe des Auffangstreitwertes. ..."

***

Zu den Voraussetzungen eines Versammlungsverbots unter Berufung auf einen polizeilichen Notstand. Zur Verfügbarkeit von Polizeikräften für besondere Lagen (Versammlungen) in Niedersachsen (VG Hannover, Urteil vom 21.12.2011 - 10 A 3507/10):

... Der Kläger wendet sich gegen ein Versammlungsverbot. Der Kläger, der beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) tätig ist, hatte am 10.02.2010 für den 14.08.2010 eine Versammlung in Bad Nenndorf angemeldet, welche sich gegen einen am selben Tag stattfindenden und von dem Anmelder A. - dem Beigeladenen - so bezeichneten Trauermarsch' unter dem Motto Gefangen, Gefoltert, Gemordet - Damals wie heute - Besatzer raus' richten sollte. Die Anmeldungen dieser beiden Versammlungen hatte der Beklagte zunächst mit Bescheiden vom 26.07.2010 (Aufzug Schultz) und 29.07.2010 (Aufzug des Klägers) unter Verfügung von Auflagen und einer jeweils verkürzten Aufzugsstrecke bestätigt. Mit Bescheiden vom 11.08.2010 verbot der Beklagte unter Aufhebung seiner Bescheide vom 26.07. und 29.07.2010 die Versammlungen des Klägers sowie des Beigeladenen. Zur Begründung führte er in dem an den Kläger gerichteten Bescheid im Wesentlichen aus, die aktuelle Lageentwicklung seit Erlass der Versammlungsbestätigung habe zu einer Neubewertung der bisherigen Gefahrenprognose geführt. Danach lägen die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes vor, denn der Polizei stünden am 14.08.2010 nicht genügend Kräfte zur Verfügung, um die Einsatzlage zu bewältigen. Eine neue Kräftebedarfseinschätzung ergebe einen zusätzlichen Bedarf von fünf Einsatzhundertschaften, welcher vom Ministerium für Inneres und Sport (nachfolgend: Innenministerium) auch nach einer Bund-Länder-Abfrage nicht gedeckt werden könne. Die Mobilisierungen im rechts- und linksextremistischen Spektrum hätten deutlich zugenommen, so dass nicht nur von einer deutlich höheren Anzahl von Teilnehmern insgesamt, sondern auch von einem erheblich größeren Anteil gewaltbereiter Teilnehmer auszugehen sei. Nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen seien bei der Durchführung der Versammlung des Klägers schwere Ausschreitungen und damit Körperverletzungen und Sachbeschädigungen zu erwarten. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 12.08.2010 Klage erhoben.

Seinen zugleich gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (10 B 3508/10) hat das Gericht mit Beschluss vom 12.08.2010 abgelehnt. Auf den entsprechenden Antrag des Beigeladenen hat es die aufschiebende Wirkung von dessen Klage gegen die Verbotsverfügung des Beklagten wiederhergestellt (10 B 3503/10). Auf die Beschwerde des Klägers hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht alsdann mit Beschluss vom 13.08.2010 die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers insoweit wiederhergestellt, als eine stationäre Versammlung des DGB in Bad Nenndorf möglich sein sollte. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht außerdem die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Gerichts in dem Verfahren des Beigeladenen zurückgewiesen.

Die stationäre Versammlung des Klägers sowie der Aufzug des Beigeladenen fanden am 14.08.2010 ohne größere Zwischenfälle statt. Ausweislich eines Berichts der Polizeidirektion Göttingen vom 17.08.2010 an das Innenministerium zur Beantwortung einer dringlichen Anfrage im Niedersächsischen Landtag waren in Bad Nenndorf an diesem Tag 1.183 Polizeikräfte aus Niedersachsen und 806 Polizeikräfte aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei im Einsatz. Die Kundgebung des Klägers fand mit etwa 900 Teilnehmern statt, der Aufzug des Beigeladenen umfasste etwa 1.000 Teilnehmer, von denen 60 bis 100 Personen von der Polizei den Autonomen Nationalisten zugeordnet wurden. Außerdem wurden etwa 300 Linksautonome in Bad Nenndorf festgestellt, welche wiederholt versuchten, die polizeilichen Sperrstellen entlang der Route des sogenannten Trauermarsches' zu durchbrechen.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner nunmehr als Fortsetzungsfeststellungsklage geführten Klage vor, sein Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Wiederholungsgefahr, bei entsprechenden Anlässen erneut mit einem Versammlungsverbot belegt zu werden. Darüber hinaus ergebe sich das Feststellungsinteresse aus der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit. Die Tatsachengrundlage, die der Beklagte seiner Verbotsverfügung zugrunde gelegt gehabt habe, sei nicht ausreichend festgestellt gewesen. Die kurzfristig geänderte Gefahrenprognose habe nicht überzeugen können, denn sie habe ausschließlich auf abstrakten Erwägungen beruht, die einer Tatsachenüberprüfung nicht standhielten. Die als neu angeführten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes seien allesamt nicht neu gewesen. So seien die vom Beklagten zitierten Aufrufe im Internet älteren Datums gewesen und hätten bereits Grundlage der ursprünglichen Gefahrenprognose sein müssen. Belege für seine Behauptungen habe der Beklagte nicht vorgelegt. Bloße Vermutungen reichten aber als Grundlage für eine Gefahrenprognose nicht aus.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Versammlungsverbot vom 11.08.2010 rechtswidrig war. Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe seiner Verbotsverfügung, die Feststellungsklage abzuweisen. Ergänzend führt er aus, die Verfügung habe sich entgegen der Einschätzung des Klägers auf die Entwicklung der Teilnehmer- und Störerprognose ab dem 05.08.2010 gestützt. ...

Mit Beschluss vom 16.11.2010 hat das Gericht den Beklagten, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium aufgefordert, sämtliche die Versammlungen in Bad Nenndorf am 14.08.2010 betreffenden Vorgänge vorzulegen. Daraufhin haben der Beklagte, die Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium zahlreiche Unterlagen übersandt. Die Abteilung 6 des Innenministeriums - der Verfassungsschutz, seit 01.12.2011 Abteilung 5 - hat allerdings nicht sämtliche bei ihr angefallenen Vorgänge vorgelegt und hinsichtlich der nicht vorgelegten Unterlagen unter dem 18.01.2011 eine Sperrerklärung abgegeben. Das Gericht hat mit Beschluss vom 04.04.2011 die Aufforderung an den Verfassungsschutz erneuert. Unter dem 29.04.2011 hat der Verfassungsschutz an seiner Sperrerklärung festgehalten. Auf Antrag des Beklagten hat das Gericht mit Beschlüssen vom 01.06.2011 die Akten des vorliegenden sowie die des parallelen Verfahrens des Beigeladenen (10 A 3502/10) dem zuständigen Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt, ob die Verweigerung der Vorlage der vom Gericht angeforderten Vorgänge rechtmäßig sei. Mit Beschlüssen vom 15.08.2011 hat der zuständige Fachsenat die Weigerung des Innenministeriums als rechtmäßig festgestellt (14 PS 1 und 2/11).

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 16.12. und 21.12.2011 Beweis erhoben über die Ermittlung der Zahl von Links- und Rechtsextremisten, die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf erwartet worden waren und die Ermittlung der Zahl der Polizeikräfte, die für den Einsatz erforderlich gewesen waren und die für den Einsatz zur Verfügung gestanden hatten, durch Vernehmung des Verfassungsschutzvizepräsidenten B. } vom Innenministerium - Abteilung 5, Verfassungsschutz -, des Polizeidirektors C. von der Polizeidirektion Göttingen, des Leitenden Polizeidirektors D. } von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, des Polizeidirektors E. } vom Innenministerium - Abteilung 2, Landespräsidium für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz - und des Regierungsdirektors F. vom Innenministerium als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschriften Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der in diesem und den Verfahren 10 A 3502/10, 10 A 3427/10 und 10 A 3410/10 vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, der Polizeidirektion Göttingen und des Innenministeriums verwiesen. Sämtlicher Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. ...

Zulässig ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Zwar ist mit dem Ablauf des 14.08.2010 - an dem der Kläger eine stationäre Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführt hatte - eine Erledigung des ursprünglich angefochtenen Versammlungsverbots eingetreten. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es aber, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung auch in Fällen gewichtiger, wenn auch in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht erlangen kann (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort insbesondere Rdnr. 27f; BVerfG, Beschluss vom 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris, dort Rdnr. 21).

Das für die Zulässigkeit insoweit erforderliche Feststellungsinteresse liegt im Falle des Klägers zunächst darin begründet, dass das Versammlungsverbot seine Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt hat.

Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden wurde, denn ein derartiger Eingriff ist die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort Rdnr. 37f). Gleiches gilt, wenn eine Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert und dabei insbesondere die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (BVerfG, wie eben).

Dementsprechend ist auch für den Kläger eine schwerwiegende Beeinträchtigung seines Grundrechts anzuerkennen, da er mit der von ihm nach dem gerichtlichen Eilrechtsschutz durchgeführten stationären Versammlung nicht in gleicher Weise wie in einem Aufzug seinem Anliegen Ausdruck verleihen konnte.

Darüber hinaus lässt sich ein Feststellungsinteresse des Klägers auch mit der Gefahr einer Wiederholung des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit begründen, da der Kläger in Zukunft weiterhin gegen die bis zum Jahr 2030 angemeldeten sogenannten Trauermärsche' demonstrieren will und dabei - aufgrund der seit Jahren steigenden Störerzahlen - unter vergleichbaren Voraussetzungen wie 2010 der Erlass eines erneuten Versammlungsverbots durch den Beklagten nicht ausgeschlossen ist.

Begründet ist die Klage, da das von dem Beklagten gegenüber dem Kläger erlassene Versammlungsverbot für den 14.08.2010 rechtswidrig war.

Als Rechtsgrundlage für den Erlass des Verbotes kam nur die zum maßgeblichen Zeitpunkt in Niedersachsen noch geltende Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersG in Betracht. Danach konnte die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet war.

Adressat von Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG war regelmäßig der Veranstalter der Versammlung oder des Aufzugs. Dies ergab sich zwar nicht aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift, wohl aber aus dem Kontext der gesetzlichen Regelung, dass der Veranstalter die Versammlung oder den Aufzug anzumelden hat (§ 14 VersG) und dem Grundsatz des Polizeirechts, dass der Verursacher einer Gefahr polizeipflichtig ist.

Der Kläger wurde jedoch von dem Beklagten nicht als Verursacher einer Gefahr angesehen, sondern - zu Recht - vielmehr als sogenannter Nichtstörer' eingeordnet. Das den Kläger betreffende Versammlungsverbot hatte der Beklagte mit dem Vorliegen eines polizeilichen Notstands begründet.

Diese seinerzeitige Annahme des polizeilichen Notstands durch den Beklagten stellt sich nach der Auswertung sämtlicher im Laufe des Hauptsacheverfahrens vorgelegter Akten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme für das Gericht jedoch als rechtswidrig dar.

Die Staatsgewalt ist durch die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit gehalten, die Ausübung des Grundrechts möglichst vor Störungen und Ausschreitungen Dritter zu schützen und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten, um die Durchführung der Versammlung zu ermöglichen. Gegen die Versammlung selbst darf in solchen Fällen nur ausnahmsweise, und zwar nur unter den besonderen Voraussetzungen des sogenannten polizeilichen Notstands eingeschritten werden (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 - mit weiteren Hinweisen zu verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, juris). Vorausgesetzt ist, dass es der Versammlungsbehörde nach durch Tatsachen gesicherten Erkenntnissen auf andere Weise nicht möglich erscheint, eine gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anders als durch die Inanspruchnahme des Nichtstörers abzuwehren (vgl. jetzt § 8 Abs. 3 NVersG). Davon kann sie nur dann ausgehen, wenn sie in der zur Verfügung stehenden Zeit die zur Gefahrenabwehr erforderlichen (Polizei-) Kräfte nicht bereitstellen kann (vgl. Dietel/Gintzel/ Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, § 15 Rdnr. 42; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 27.04.2010 - W 5 S 10.345 -, juris; VG Köln, Beschluss vom 05.05.2009 - 20 L 650/09 -, juris). Für einen polizeilichen Notstand muss mit anderen Worten eine Gefahrenprognose vorliegen, die Grundlage einer Berechnung des Bedarfs an polizeilichen Kräften ist, welche den verfügbaren Kräften gegenübergestellt einen Fehlbedarf ergibt. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen hat sich das Gericht auf der Grundlage einer ex-ante-Betrachtung eine Überzeugung zu bilden (vgl. VG Dresden, Urteil vom 19.01.2011 - 6 K 366/10 -, juris; VG Lüneburg, Urteil vom 16.03.2006 - 3 A 143/04 -, juris). Die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands liegt - weil sie ihre Verbotsverfügung darauf stützt - bei der Versammlungsbehörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris; Bay VGH, Beschluss vom 29.04.2010 - 10 CS 10.1040 -, juris; vgl. auch Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, S. 257 (263)).

Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung gegenüber dem Kläger die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Bezug auf die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf zu bewältigende Einsatzlage gegeben waren.

Ganz erhebliche Zweifel bestehen bereits in Bezug auf die Tragfähigkeit der Gefahrenprognose, die letztlich zur Annahme des polizeilichen Notstands geführt hatte.

Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Versammlungsbehörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Feststellung der Tatsachen, auf die sich die Prognose gründet, sowie die Würdigung dieser Tatsachen ist Aufgabe der Gerichte; die Darlegungs- und (materielle) Beweislast liegt bei der beklagten Behörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung).

Davon ausgehend, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Auflagenbescheide an den Beigeladenen - am 26.07.2010 - und den Kläger - am 29.07.2010 - die Gefahrenlage offenbar noch als polizeilich beherrschbar galt, kann nur der veränderte Kenntnisstand des Beklagten und der Polizei Anfang August 2010 Anlass für die Annahme des polizeilichen Notstands gewesen sein. Grundlage des Erlasses der Auflagenbescheide Ende Juli 2010 war eine für den Beklagten verfasste Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg vom 09.07.2010. Dieser Prognose zugrunde lag die Annahme sowohl der Staatsschutzstelle der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg als auch deren Lage- und Führungszentrum, dass am 14.08.2010 mit 1.000 Teilnehmern einschließlich Autonomer Nationalisten an dem sogenannten Trauermarsch', mit 1.500 Teilnehmern an dem Aufzug des Klägers und zusätzlich mit 200 Linksautonomen zu rechnen sein würde. Unter dem 09.08.2010 übermittelte die Polizeidirektion Göttingen dem Beklagten jedoch eine ergänzende Gefahrenprognose' und regte aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung das Verbot der Versammlungen des Klägers und des Beigeladenen an. Diese Anregung setzte der Beklagte mit den Verbotsverfügungen vom 11.08.2010 um.

Ob die maßgebliche Gefahrenprognose vom 09.08.2010 allerdings eine tragfähige Grundlage für die Verbotsverfügung bilden konnte, ist nach Auffassung des Gerichts in hohem Maße zweifelhaft. Die Gefahrenprognose fußte maßgeblich auf Zahlen, welche der Niedersächsische Verfassungsschutz unter dem 04./05.08.2010 der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg zur Verfügung gestellt hatte. Danach erwartete der Verfassungsschutz 250 Autonome Nationalisten und 400 bis 500 Linksautonome mit hohem Gewaltpotential. Diesen erheblichen Anstieg der Störerzahlen nachzuvollziehen, fällt dem Gericht auch nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung schwer.

Ersichtlich waren es ausschließlich Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, welche zu der nachträglichen Korrektur der prognostizierten Zahlen geführt hatten. In den von der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg vorgelegten Akten finden sich keinerlei Anhaltspunkte für eigene Erkenntnisse, die eine Änderung der Gefahrenprognose hätten stützen können. Dementsprechend hat sich auch der Zeuge G., der Leiter der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, in seiner Vernehmung dahingehend geäußert, dass die Zahlen ausschließlich vom Verfassungsschutz und nicht von der Staatsschutzstelle seiner Polizeiinspektion gemeldet worden seien.

Den schriftlichen Äußerungen des Verfassungsschutzes vom 05.08. und 06.08.2010 lassen sich jedoch kaum tatsächliche Anhaltspunkte entnehmen, die den gegenüber der Polizei angezeigten Anstieg der Störerzahlen erklären könnten. Zu der Frage der potentiellen Störer aus dem rechten Spektrum heißt es in den Äußerungen sogar, es gebe bisher kaum konkrete Erkenntnisse über die Teilnehmerabsichten von Rechtsextremisten an dem Trauermarsch' und eine Teilnehmerzahl von 250' Autonomen Nationalisten sei zwar realistisch', aber auch dazu lägen konkrete Erkenntnisse nicht vor. Bezüglich der Zahl der zu erwartenden linksautonomen Störer werden sodann zwar Erkenntnisse im Einzelnen benannt. So werden die Unterzeichner des Blockadeaufrufs auf der Internetseite www.badnenndorf.blogsport.de aufgelistet und Vorbereitungs- und Informationsveranstaltungen aufgeführt, es wird auf zwei weitere einschlägige Internetseiten verwiesen und das ins Internet eingestellte Mobilisierungsvideo Antifa Sommerhits 2010 - 1000 mal blockiert' beschrieben. Diese Ausführungen werden dann in der Bewertung zusammengefasst, dass nach der Einschätzung des Verfassungsschutzes etwa 400 bis 500 Angehörige der linksextremistischen Szene an der Demonstration - des Klägers - teilnehmen würden. Entnehmen lässt sich der Bewertung des Verfassungsschutzes jedoch auch insoweit nicht, aus welchen konkreten Erkenntnissen für ihn welche Zahlen gefolgt waren, so dass der Schluss, die Prognose eines erhöhten Störerpotentials habe zu einem erheblichen Anteil auf bloßen Vermutungen beruht, nicht fernliegt. Auch irritiert, dass der Verfassungsschutz in seinen Äußerungen von Anfang August 2010 ausschließlich Erkenntnisse anführt, die vor der von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg unter dem 09.07.2010 erstellten ersten Gefahrenprognose angefallen waren.

Wie und warum der Verfassungsschutz Anfang August 2010 zu der Einschätzung gekommen war, die Zahlen der zu erwartenden Störer seien erheblich nach oben zu korrigieren, hat schließlich auch der Zeuge H. - Leiter des Referats 53 der Abteilung 5 des Innenministeriums (Rechtsextremismus/-terrorismus, Linksextremismus/ -terrorismus) - nicht in Gänze erhellen können. Aus dessen Ausführungen hat die Kammer zwar entnommen, dass der Verfassungsschutz das Internet auswertet, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer erhält und auch über Informanten aus den Kreisen der Störer Informationen erlangt. In welchem Umfang und auf welchen Wegen die Behörde allerdings für den 14.08.2010 an Anhaltspunkte gelangt war, die sie zu ihrer Einschätzung geführt hatten, und um welche Anhaltspunkte es sich dabei gehandelt hatte, ist weitestgehend ungeklärt geblieben. Allein die Aussage, dass sich mit zunehmender zeitlicher Nähe zum Ereignis regelmäßig die Erkenntnisse über Mobilisierungsaufrufe und konkrete Teilnahmeplanungen verdichteten, dass also die Zahlen der zu erwartenden Störer konkreter würden, je näher der Anlasstag rücke, vermag einen derartigen Anstieg der Zahlen nicht erschöpfend zu begründen. Eine Antwort auf die Frage nach konkreten Anhaltspunkten ist der Zeuge unter Hinweis auf die Einschränkung seiner Aussagegenehmigung schuldig geblieben.

Weitere Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung hat das Gericht in diesem Verfahren nicht. Insbesondere ist ihm die Auswertung der vollständigen Akten des Verfassungsschutzes verwehrt. Die Weigerung des Innenministeriums, die Akten vollständig vorzulegen und die aus diesem Grunde abgegebenen Sperrerklärungen des Innenministeriums vom 18.01.2011 und 29.04.2011 sind vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht als rechtmäßig festgestellt worden und setzen vorliegend den Aufklärungsmöglichkeiten des Gerichts Grenzen (zur Amtsermittlung der Gerichte bei rechtmäßiger Verweigerung der Aktenvorlage und zu den Folgen der Unaufklärbarkeit des Vorliegens wesentlicher Merkmale eines Eingriffstatbestandes vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 -, BVerwGE 131, 171).

Einer Entscheidung der Frage, ob die Gefahrenprognose hinsichtlich der Zahl der anreisenden Störer von genügenden tatsächlichen Anhaltspunkten getragen wurde, bedarf es hier jedoch letztlich nicht, da die Beweisaufnahme zumindest ergeben hat, dass die für die Verbotsverfügung maßgebliche Annahme eines polizeilichen Notstands in anderer Hinsicht einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält.

Ausgehend von den Zahlen, welche der Verfassungsschutz Anfang August 2010 mitgeteilt hatte, war die Polizei nach einer geänderten Bedarfsberechung zu dem Ergebnis gekommen, nicht genügend Polizeibeamte zur Verfügung zu haben, um die Gefahrenlage beherrschen zu können. Nach der von der Polizeidirektion Göttingen unter dem 11.08.2010 erstellten und von Polizeivizepräsident I. gezeichneten Kräftekonzeption und Verfügbarkeit polizeilicher Einsatzkräfte' (Bl. 136 ff. des von der Polizeidirektion Göttingen, Dezernat 12 - Leitlinien und Kräfte - übersandten Aktenordners, Beiakte N) waren von 2.500 benötigten Einsatzkräften nur 2.000 verfügbar, woraus sich ein Fehlbedarf von 500 Beamten ergab.

Selbst unter Zugrundelegung der - vom Gericht angezweifelten - Gefahrenprognose vom 09.08.2010 und der hierauf fußenden Bedarfsberechnung hat die Annahme dieses Fehlbedarfs das Gericht nicht überzeugen können.

Zwar sind die Ordnungsbehörden nicht dazu verpflichtet, Polizeikräfte ohne Rücksicht auf sonstige Sicherheitsinteressen in unbegrenztem Umfang bereitzuhalten. Das Gebot, vor der Inanspruchnahme eines Nichtstörers eigene sowie gegebenenfalls externe Polizeikräfte gegen die Störer einzusetzen, steht vielmehr unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit solcher Kräfte (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris). Das Verbot einer Versammlung kann jedoch nur dann in Betracht kommen, wenn auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Polizei wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz Heranziehung externer Polizeikräfte zum Schutz hoher Rechtsgüter nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dafür nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; vgl. auch die Einschätzung des Vizepräsidenten der Polizeidirektion Göttingen in seinem Schreiben vom 13.10.2010 an das Innenministerium, dass ohne eine ausführliche Darlegung der Hinderungsgründe für eine Zuweisung der nachgeforderten fünf Einsatzhundertschaften' eine nachträgliche Bestätigung der Verbotsverfügung nahezu ausgeschlossen' ist.).

Unter Auswertung des Inhalts der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das Gericht aber nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die zur Beherrschung der prognostizierten Gefahrenlage nach der polizeilichen Bedarfsberechnung zusätzlich benötigten 500 Beamten tatsächlich nicht verfügbar waren.

Aus den vom Innenministerium vorgelegten Verwaltungsvorgängen zur Einsatzplanung lässt sich ersehen, dass von Seiten des Ministeriums an die Zentrale Polizeidirektion in Niedersachsen, an die übrigen Bundesländer, die Bundespolizei und an die Polizeidirektionen Niedersachsens herangetreten worden war, um über die der zuständigen Polizeidirektion Göttingen verfügbaren eigenen Beamten hinaus weitere Polizeikräfte anzufordern. Die Reihenfolge der Anforderungen, wie sie sich aus den Vorgängen ergibt, ist von dem Zeugen J. auch nachvollziehbar erläutert worden. Auch die Zu- und Absagen aus den übrigen Bundesländern lassen sich den Vorgängen entnehmen. Insoweit ist auch nachvollziehbar, dass Niedersachsen nicht in der Lage war, die Absagen anderer Bundesländer zu hinterfragen und nach zweimaliger Bitte um Unterstützung über die angebotenen Kräfte der anderen Länder und des Bundes hinaus nicht mit weiterer Hilfe rechnen konnte. Letzteres erscheint insbesondere deshalb plausibel, weil sich aus den Vorgängen ebenfalls ergibt, dass auch einer Bitte des Freistaates Sachsen um Unterstützung durch die übrigen Länder am 14.08.2010 nicht im vollen Umfang hatte entsprochen werden können.

Das Innenministerium hat allerdings nicht schlüssig dargelegt, wie viele Polizeikräfte aus dem niedersächsischen Polizeidienst verfügbar waren und ob alle verfügbaren Kräfte auch tatsächlich eingesetzt wurden.

Der Zeuge J., der im Innenministerium in der Abteilung 2 zuständiger Referent für die polizeiliche Einsatzplanung ist, hat dazu ausgeführt, dass es in Niedersachsen zwar insgesamt 18.000 Polizeibeamte gebe, jedoch nicht alle Beamte für besondere Lagen wie Versammlungen einsetzbar seien. Für die Bewältigung besonderer Lagen, beispielsweise bei Versammlungen, stünden Kräfte bei der Zentralen Polizeidirektion und in den territorialen Behörden, den Polizeidirektionen, zur Verfügung. Bei der Zentralen Polizeidirektion werde für besondere Lagen die Bereitschaftspolizei vorgehalten. Diese sei besonders strukturiert für derartige Einsätze, umfasse 7 Einsatzhundertschaften und 1 technische Einsatzeinheit und verfüge über insgesamt 1.119 Beamte. Darüber hinaus gebe es bei jeder der sechs territorialen Behörden Aufrufeinheiten, die bei Bedarf aus den in der Fläche eingesetzten Beamten heraus gebildet würden. Diese Beamten würden sonst für Alltagsaufgaben eingesetzt, seien aber darüber hinaus für besondere Einsätze aus- und fortgebildet und besonders ausgerüstet. Die Polizeidirektion Hannover verfüge über 4 solcher Aufrufeinheiten, die übrigen Polizeidirektionen verfügten über jeweils 3 Aufrufeinheiten. Für die Polizeidirektion Hannover seien dies insgesamt 770 Beamte, für die übrigen Polizeidirektionen jeweils 630 Beamte. Insgesamt stünden einschließlich Bereitschaftspolizei 26 Einsatzhundertschaften mit etwa 5.000 Beamten für besondere Lagen zur Verfügung.

Geplant war von Seiten des Innenministeriums jedoch für den 14.08.2010 nur der Einsatz von etwa 1.200 niedersächsischen Polizeikräften (tatsächlich im Einsatz waren am 14.08.2010 dann 1.183 niedersächsische und 806 Beamte aus anderen Bundesländern bzw. von der Bundespolizei). Zu einem Einsatz weiterer Kräfte sah sich das Innenministerium trotz der vom Verfassungsschutz Anfang August korrigierten Prognose der zu erwartenden Störerzahlen nicht in der Lage.

Zu der Frage der Verfügbarkeit weiterer der insgesamt vorhandenen 5.000 Einsatzkräfte für besondere Lagen hat der Zeuge J. ausgeführt, dass von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte zunächst etwa 20 bis 30 ? abzuziehen seien wegen Krankheit, Urlaub, Fortbildung und aus anderen Gründen. Dieser nur abstrakt referierte prozentuale Abzug von bis zu einem Drittel der gesamten Kräfte erscheint jedoch insbesondere angesichts der Tatsache, dass der 14.08.2010 außerhalb der niedersächsischen Schulferien lag, recht hoch gegriffen. Im Übrigen hätte die Verfügbarkeit von Kräften insoweit mit einer Urlaubssperre für die Bereitschaftspolizei und die Aufrufeinheiten verbessert werden können, da die Versammlungen bereits ein halbes Jahr im Voraus angemeldet worden waren.

Doch selbst unter Berücksichtigung eines Abzugs von 30 ? von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte für besondere Lagen kann nicht nachvollzogen werden, warum der Anfang August errechnete Bedarf von 500 zusätzlichen Kräften nicht hatte gedeckt werden können.

Ausgehend von der Zahl von 5.000 Einsatzkräften für besondere Lagen ergibt ein Abzug von 1.500 Beamten (30 ? pauschal) die Zahl von 3.500 Beamten. Von diesen Kräften sollten 1.200 in Bad Nenndorf eingesetzt werden, so dass - rechnerisch - noch 2.300 Beamte für die Bewältigung besonderer Lagen am Wochenende 14./15.08.2010 zur Verfügung gestanden hatten. Dafür, dass von diesen nicht 500 Kräfte noch für einen Einsatz in Bad Nenndorf hätten herangezogen werden können, ohne die Sicherheit im restlichen Niedersachsen zu gefährden, fehlt es zur Überzeugung des Gerichts an einem schlüssigen Nachweis. Darüber hinaus ergibt sich aus der Kräftelage Niedersachsen' im Vermerk des Leiters des Referats P 24 der Abteilung 2 des Innenministeriums vom 13.08.2010 (Blatt 244 des vom Innenministerium - Referat P 24.1, Einsatz und Verkehr - übersandten Aktenordners, Beiakte R), dass für die Bewältigung sonstiger Einsatzlagen an dem Wochenende 14./15.08.2010 (lediglich) ca. 1.110 Beamte verplant' waren. Mit anderen Worten: Auch unter Berücksichtigung aller bekannten Einsatzlagen in Niedersachsen und der zusätzlichen 500 Kräfte für den Einsatz in Bad Nenndorf verblieb sogar noch eine Reserve von etwa 690 Beamten. Tatsächlich scheint es daher so gewesen zu sein, dass nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen worden waren, sämtliche verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.

Um das Gericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands zu überzeugen, wäre es aber notwendig gewesen nachzuweisen, dass tatsächlich die Mobilisierung aller verfügbaren Polizeikräfte versucht worden war. Der Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit von Polizeikräften kann in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in einem freiheitlichen demokratischen Staat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (345)) einen polizeilichen Notstand nur begründen, wenn nachgewiesenermaßen zuvor alles versucht worden ist, um den Notstand zu vermeiden. Würde für die gerichtliche Kontrolle ein Weniger genügen, liefe das Versammlungsgrundrecht Gefahr, in der polizeilicher Einsatzplanung in den Hintergrund zu treten.

Diesen Nachweis der Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Mobilisierung ist das Innenministerium insbesondere auch deshalb schuldig geblieben, weil aus den vorgelegten Akten ersichtlich ist, dass auf die ergänzende Kräfteanforderung der Polizeidirektion Göttingen am 06.08.2010 per E-Mail überhaupt keine Versuche mehr unternommen worden waren, noch weitere Kräfte aus der Fläche zu mobilisieren. Vielmehr teilte die Abteilung 2 des Ministeriums der Polizeidirektion Göttingen mit Schreiben noch vom selben Tag mit, dass ergänzende Kräfte nicht bereitgestellt werden könnten.

Mit einer derartigen Einsatzplanung lässt sich jedoch der Nachweis der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands im Versammlungsrecht nicht führen. Die Einlassung des Zeugen J., die einzelnen territorialen Polizeidirektionen sowie die Zentrale Polizeidirektion entschieden grundsätzlich in eigener Verantwortung, wie viele Beamte sie für besondere Lagen zur Verfügung stellten und die dem Innenministerium obliegende Fachaufsicht lasse eine Kontrolle der einzelnen Lagen in den territorialen Polizeidirektionen nur sehr eingeschränkt zu, auch die Zentrale Polizeidirektion koordiniere ihre Einsätze in aller Regel selbst, bedeutet in der Konsequenz, dass die Entscheidungsgewalt über einen polizeilichen Notstand vom Innenministerium in die nachgeordneten Behörden verlagert wird. Wenn von Seiten des Innenministeriums nicht eine strenge Plausibilitätskontrolle der Einsätze der Bereitschaftspolizei und der Aufrufeinheiten in den einzelnen Polizeidirektionen erfolgt, nicht mehrfach Kräfte nachgefordert werden und im Ergebnis für eine Einsatzlage wie die in Bad Nenndorf an einem nach den Worten des Zeugen J. normalen Wochenende' weniger als ein Viertel der für besondere Lagen vorhandenen Kräfte für einen Einsatz vorgesehen wird, ist die gerichtliche Überzeugung, es sei tatsächlich alles zur Vermeidung eines polizeilichen Notstands unternommen worden, ausgeschlossen.

Dies geht hier zu Lasten des Beklagten, der zwar die Darlegungen der Polizei nicht hatte hinterfragen können, sich aber als Versammlungsbehörde deren Auffassung angeschlossen hatte. Er trägt in diesem Verfahren für das Vorliegen des polizeilichen Notstands die materielle Beweislast.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, besteht nicht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Sätze 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO. Gründe, die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, sind nicht ersichtlich. ..."

***

§ 6

(1) Bestimmte Personen oder Personenkreise können in der Einladung von der Teilnahme an einer Versammlung ausgeschlossen werden.

(2) Pressevertreter können nicht ausgeschlossen werden; sie haben sich dem Leiter der Versammlung gegenüber durch ihren Presseausweis ordnungsgemäß auszuweisen.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 7

(1) Jede öffentliche Versammlung muß einen Leiter haben.

(2) Leiter der Versammlung ist der Veranstalter. Wird die Versammlung von einer Vereinigung veranstaltet, so ist ihr Vorsitzender der Leiter.

(3) Der Veranstalter kann die Leitung einer anderen Person übertragen.

(4) Der Leiter übt das Hausrecht aus.

Leitsätze/Entscheidungen:

Die Versammlungsbehörde kann eine Streckenänderung eines Aufzugs vornehmen, wenn die angemeldete Route wegen einer Baustelle entweder tatsächlich nicht oder nur unter Gefahen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung begehbar wäre. Die Versammlungsbehörde hat sich bei Maßnahmen, die geeignet sind, auf die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters, über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung zu befinden, Zurückhaltung aufzuerlegen. Zur Frage, ob § 15 I VersG Rechtsgrundlage für die Untersagung der Leitung eines Aufzugs sein kann (OVG Bautzen, Beschluss vom 04.04.2002 - 3 BS 105/02):

... Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 28. März 2002 - 3 K 532/02 - wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. ...

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 28.03.2002 ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 und 4 VwGO gewährt, weil die Anordnungen (I Nrn. 1, 2, 3, 10 und 19) rechtswidrig sein dürften, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorliegen.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die in dieser Regelung angesprochenen Auflagen, die keine Nebenbestimmungen i.S.d. § 36 VwVfG sondern eigenständige Regelungen sind, dienen dazu, Versammlungen und Aufzüge zu ermöglichen, die aus rechtlichen Gründen ansonsten nicht zugelassen werden könnten. Demzufolge müssen durch eine Auflage Gründe der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung abgewährt werden. Liegen solche Gründe nicht vor, dann findet eine Auflage in § 15 Abs. 1 VersG demzufolge keine Rechtsgrundlage (siehe dazu: SächsOVG, Beschl.v. 09.11.2001, 3 BS 257/01 ). Davon ausgehend ist hier hinsichtlich der streitgegenständlichen Auflagen Folgendes festzustellen:

- Auflage I Nr. 1:

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht gegen die in dieser Auflage von der Antragsgegnerin getroffene sofort vollziehbare Begrenzung der Dauer des Aufzugs auf 16.00 Uhr dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 04.04.2002 im Parallelverfahren 3 BS 103/02 bereits entschieden hat, ist aus Gründen der Abwehr eine unmittelbaren Gefahr der öffentlichen Sicherheit wegen Verkehrsbeeinträchtigungen durch den in Rede stehenden Aufzug eine Begrenzung auf 19.30 Uhr ausreichend, woraus folgt, dass die von der Antragstellerin vorgenommene Begrenzung auf 16.00 Uhr keine Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 1 VersG hat. Auf die Gründe der genannten Entscheidung des Senats wird insoweit verwiesen.

- Auflage I Nr. 2:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit darin unter Maßgabe einer vom Verwaltungsgericht festgelegten Strecke des Aufzugs dem Antragsteller vorläufiger Rechtsschutz gewährt wurde, ist nicht begründet. Ebenso wie das Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass die von der Antragstellerin mit der Auflage I Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids festgelegte Strecke nicht aus Gründen der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gerechtfertigt werden kann.

Soweit die Antragsgegnerin hiergegen vorbringt, dass dem im Bereich Prager Straße/Höhe Philip-Rosenthal-Straße eine vom 05.04.2002 bis zum 08.04.2002 eingerichtete Baustelle wegen Fahrbahninstandsetzungsarbeiten entgegenstehe, ergibt sich nichts anderes. Zwar kann die Versammlungsbehörde eine Streckenänderung vornehmen, wenn die angemeldete Route wegen einer Baustelle entweder tatsächlich nicht oder nur unter Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung begehbar wäre. Die Versammlungsbehörde darf jedoch bei einer solchen Entscheidung nicht aus dem Blick verlieren, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dem Veranstalter als Grundrechtsträger das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung gewährleistet. Auch die Versammlungsbehörde ist zum Schutz und zur Optimierung der Wahrnehmung dieses Grundrechts durch Grundrechtsträger verpflichtet. Demgemäß hat sie sich bei Maßnahmen, die geeignet sind, auf die Ausübung dieses Selbstbestimmungsrechts einschränkend einzuwirken, Zurückhaltung aufzuerlegen.

Von einer solchen Zurückhaltung kann hier nicht ausgegangen werden. Zunächst vermag - ebenso wie das Verwaltungsgericht - auch der Senat nicht zu erkennen, aus welchen Gründen die genannte und nur wenige Tage dauernde Fahrbahnerneuerung gerade zu dem Zeitpunkt erfolgen muss, an dem der Antragsteller als Veranstalter die Wahrnehmung seines Grundrechts beabsichtigt. Des Weiteren fällt auf, dass die Einrichtung der Baustelle in den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin keine Erwähnung findet. Hinzuweisen ist etwa auf das Kooperationsgespräch vom 11.03.2002, das die Antragsgegnerin mit dem Motorradclub Ostpack geführt hat, der für den 06.04.2002 einen Motorradkorso mit 1000 Motorradfahrern in Leipzig angemeldet hat. In dem erwähnten Kooperationsgespräch hat die Antragsgegnerin als Hinderungsgrund für die Nutzung der Prager Straße nicht auf die Baustelle, sondern auf den Aufzug des Antragstellers verwiesen. Dies lässt es ernstlich zweifelhaft erscheinen, dass die Einrichtung der Baustelle noch vor dem 06.04.2002 sachlich gerechtfertigt ist.

- Auflage I Nr. 3:

Unbegründet ist die Beschwerde auch, soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug der Untersagung der Leitung des Aufzugs durch den Antragsteller gewährt hat. Denn diese Untersagung dürfte rechtswidrig sein, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG nicht vorliegen.

Zu bemerken ist hierbei zunächst, dass sich insoweit die Frage erheben könnte, ob für die Untersagung der Leitung eines Aufzugs durch eine Auflage § 15 Abs. 1 VersG überhaupt eine Rechtsgrundlage sein kann. § 19 Abs. 1 VersG , wonach der Leiter des Aufzugs für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen hat, verweist insoweit zunächst nicht auf § 7 Abs. 1 VersG , worin geregelt ist, dass jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben muss. Aus dem Sinn der Regelung in § 19 Abs. 1 VersG dürfte jedoch folgen, dass ungeachtet dieser fehlenden Verweisung auch Aufzüge einen Leiter haben müssen. Insoweit könnte sich allerdings die Frage erheben, ob dieses Leitungsrecht nicht ebenso wie das nach § 7 Abs. 1 VersG eine allein grundrechtssichernde Funktion zugunsten des Veranstalters hat und mit diesem Sinn eine nicht zwangsweise durchsetzbare Ordnungsvorschrift ist. Dies könnte zur Folge haben, dass eine Durchsetzung sowohl dahingehend, dass eine bestimmte Person als Leiter eingesetzt wird wie auch umgekehrt, dass eine Person als Leiter ausgeschlossen wird, auch durch eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht durchgesetzt werden kann. Hinzu kommt, dass der Antragsteller vorliegend nicht nur Leiter, sondern auch Veranstalter des Aufzugs ist. Wenn aber dem Leiter, der zugleich Veranstalter eines Aufzugs ist, von der Versammlungsbehörde abgesprochen wird, die Leitung der Veranstaltung zu übernehmen, weil von ihm in dieser Funktion eine unmittelbare Gefährdung ausgehe, hätte die Antragsgegnerin - ausgehend von ihrer Sichtweise - ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG verfügen müssen.

Auch wenn der Senat jedoch im Rahmen dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ungeachtet dessen davon ausgehen würde, dass gleichwohl die in Rede stehende Untersagung der Aufzugsleitung durch eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG erfolgen könnte, lägen die Voraussetzungen dieser Norm jedenfalls nicht vor, weil die darin angesprochene Gefährdungslage nicht gegeben sein dürfte.

Die Antragsgegnerin hat insbesondere auf Vorfälle vom 01.09.2001 (dem Antragsteller wird zum Vorwurf gemacht, auf einer Versammlung Ruhm und Ehre der Waffen-SS' gerufen zu haben), vom 03.11.2001 (dem Antragsteller wird vorgeworfen, ein Uniformverbot zögerlich durchgesetzt zu haben) und vom 02.02.2002 (dem Antragsteller wird vorgeworfen, entgegen einer versammlungsrechtlichen Auflage die Parole Hier marschiert der nationale Widerstand!' gerufen zu haben) abgestellt. Auf Grund dieser Erkenntnisse vermag der Senat eine konkrete Gefährdungslage noch nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat diese Vorfälle weder in den Gründen ihres Auflagenbescheides vom 18.03.2002 noch in ihrer Beschwerdebegründung so substanziiert geschildert, dass dem Senat in der Kürze der Zeit eine hinreichende Prüfung der Vorwürfe - zu der die Antragsgegnerin als Versammlungsbehörde verpflichtet gewesen wäre - möglich ist. Insbesondere ist es dem Senat - im Gegensatz zur Antragsgegnerin - nicht möglich gewesen, die Straf- und Ermittlungsakten beizuziehen. In Anbetracht der hohen Bedeutung von Art. 8 GG kann dieses Versäumnis nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.

- Auflage I Nr. 10:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig, soweit dieses die aufschiebende Wirkung gegen die sofortvollziehbare Untersagung des Auftritts der Musikgruppe Oidoxie wieder hergestellt hat, ist nicht begründet. Der Senat hat hierzu im Parallelverfahren vom 04.04.2002 - 3 BS 103/02 - ausgeführt, dass eine diese Untersagung rechtfertigende konkrete Gefährdungslage nicht vorliegt. Auf die Ausführungen dieses Beschlusses wird verwiesen.

- Auflage I Nr. 19:

Schließlich ist die Beschwerde auch nicht begründet, soweit sie sich gegen die sofort vollziehbare Anordnung über die Anzahl der zu meldenden Ordner bezieht. Der Hinweis der Antragsgegnerin, wonach mehr Ordner wegen erwarteter militanter Auseinandersetzungen notwendig seien, gründet sich im Wesentlichen auf die Aussage einer anonymen Person anlässlich eines Zeitungsinterviews und beschränkt sich damit auf einen bloßen Verdacht, der nicht geeignet ist, eine konkrete Gefährdungslage nach § 15 Abs. 1 VersG anzunehmen. ..."

§ 8

Der Leiter bestimmt den Ablauf der Versammlung. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen. Er kann die Versammlung jederzeit unterbrechen oder schließen. Er bestimmt, wann eine unterbrochene Versammlung fortgesetzt wird.

Leitsätze/Entscheidungen:

Aus der Stellung als Leiter einer öffentlichen Versammlung läßt sich nicht ohne weiteres die Verantwortlichkeit für eine durchgeführte Sammlung herleiten (OLG Koblenz, Entscheidung vom 29.06.1981 - 1 Ss 298/81, NStZ 1981, 484).

§ 9

(1) Der Leiter kann sich bei der Durchführung seiner Rechte aus § 8 der Hilfe einer angemessenen Zahl ehrenamtlicher Ordner bedienen. Diese dürfen keine Waffen oder sonstigen Gegenstände im Sinne vom § 2 Abs. 3 mit sich führen, müssen volljährig und ausschließlich durch weiße Armbinden, die nur die Bezeichnung "Ordner" tragen dürfen, kenntlich sein.

(2) Der Leiter ist verpflichtet, die Zahl der von ihm bestellten Ordner der Polizei auf Anfordern mitzuteilen. Die Polizei kann die Zahl der Ordner angemessen beschränken.

Leitsätze/Entscheidungen:

Nach der gegenwärtigen Rechtslage besteht in Hessen für das Verlangen der Versammlungsbehörde, der Versammlungsleiter möge ihr innerhalb einer bestimmten Frist personenbezogen Daten derjenigen, die als Ordner bestellt werden sollen, mitteilen, keine Ermächtigung ( VG Gießen, Beschluss vom 30.07.2009 - 10 L 1583/09.GI zu §§ 15 I , 18 II, 9 VersammlG).

***

§ 10

Alle Versammlungsteilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anweisungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen.

Leitsätze/Entscheidungen:

***

§ 11

(1) Der Leiter kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.

(2) Wer aus der Versammlung ausgeschlossen wird, hat sie sofort zu verlassen.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 12

Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben. Es muß ihnen ein angemessener Platz eingeräumt werden.

Leitsätze/Entscheidungen:

Ein Versammlungsausschluss muss bestimmt und unmissverständlich ausgesprochen werden. Er kann nicht konkludent erfolgen und nicht mit nach außen wirkenden Ordnungsverstößen von Versammlungsteilnehmern begründet werden, die inhaltlich mit dem Zweck der Versammlung übereinstimmen. Das in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit steht nicht im Gegensatz zur Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG, sondern stellt eine ergänzende Verstärkung in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung einer Veranstaltung dar. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nicht objektiv, sondern unter Zugrundelegung eines weiten Kunstbegriffs aus der Sicht der "Kunstszene" einschließlich des Künstlers selbst zu bestimmen und erfasst auch politisches Straßentheater. Der Begriff "Theateraufführung" in der Ausnahmevorschrift des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WaffG lässt im Wege verfassungskonformer Auslegung das öffentliche Führen sog. Anscheinswaffen zu, wenn sie nach den Gesamtumständen ersichtlich zweckentfremdet als Hilfsmittel einer szenischen Darstellung verwendet werden (HessVGH, Urtei vom 17.03.2011 - 8 A 1188/10 zu Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 8 GG, § 15 VersG, § 18 VersG, § 12 VersG u.a.).

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Ein allgemeines voraussetzungsloses Anwesenheitsrecht der Polizei bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen ist von § 12 S. 1 VersG nicht gedeckt (VGH München, Urteil vom 15.07.2008 - 10 BV 07.2143, DÖV 2008, 1006).

§ 12a

(1) Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(2) Die Unterlagen sind nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden

1. für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder
2. im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtigt ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, daß von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen.

Unterlagen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 aufgeführten Gründen nicht vernichtet wurden, sind in jedem Fall spätestens nach Ablauf von drei Jahren seit iher Entstehung zu vernichten, es sei denn, sie würden inzwischen zu dem in Satz 1 Nr. 1 aufgeführten Zweck benötigt.

(3) Die Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Informationen nach Maßgabe der Strafprozeßordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bleiben unberührt.

Leitsätze/Entscheidungen:

Kritische Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung über einen Soldaten sind von diesem auch dann mit der Beschwerde angreifbar, wenn sie gegenüber Dritten abgegeben und dem Soldaten nur aus Presseveröffentlichungen bekanntgeworden sind. Der Befehl, friedliche Teilnehmer einer Mahnwache außerhalb des Kasernengeländes zur Gefahrenabwehr und zur Dokumentation möglicher Straftaten zu fotografieren, ist rechtswidrig. Der militärische Vorgesetzte hat aufgrund seiner Fürsorgepflicht ehrverletzende Vergleiche mit Stasi-Methoden' auch dann zurückzuweisen, wenn der dem Vergleich zugrundeliegende Befehl des Soldaten rechtswidrig war (BVerwG, Urteil 18.11.1997, 1 WB 46/97, BVerwGE 113, 158 - 166).

*** (OVG)

Zur Videobeobachtung einer Versammlung von etwa 40 bis 70 Teilnehmern (OVG NRW, Beschluss vom 23.11.2010 - 5 A 2288/09 zu Art 8 I, 2 I, 1 I 1 GG, §§ 12a, 19a VersammlG):

... Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 in N. zum Thema: "Urantransporte stoppen" rechtswidrig war. Es ist zutreffend davon ausgegangen, das Richten einer aufnahmebereiten Kamera auf die Demonstrationsteilnehmer und das Übertragen der Bilder auf einen Monitor habe den Kläger in seinem Versammlungsgrundrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) und in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt.

Auch wenn die Bilder lediglich in Echtzeit übertragen und nicht gespeichert worden sind und dies dem Versammlungsleiter mitgeteilt worden ist, war die aufnahmebereite Kamera über die gesamte Dauer der Veranstaltung von einem ausgefahrenen Kameraarm eines unmittelbar vorausfahrenden Beweissicherungsfahrzeugs der Polizei auf die nur etwa 40 bis 70 Versammlungsteilnehmer gerichtet. Bei dieser Ausgangslage ist die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, die Videobeobachtung habe die grundrechtlich relevante Eingriffsschwelle überschritten und die innere Versammlungsfreiheit der Teilnehmer beeinträchtigt. Bürger hätten aus Sorge vor staatlicher Überwachung von der Teilnahme an der Versammlung abgeschreckt werden können. Durch die Kameraübertragung war auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner Versammlungsteilnehmer auf einem Monitor im Fahrzeuginnenraum möglich. Zudem war bei der aufnahmebereiten Kamera aus Sicht eines (verständigen) Versammlungsteilnehmers zu befürchten, die Aufnahme könne beabsichtigt oder versehentlich jederzeit ausgelöst werden.

Unter diesen Gesichtspunkten war der konkrete Einsatz der Kameraübertragung geeignet, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und Einschüchterungseffekten zu erzeugen. So unterschied sich der Einsatz signifikant sowohl von bloßen Übersichtsaufnahmen, die erkennbar der Lenkung eines Polizeieinsatzes namentlich von Großdemonstrationen dienen und hierfür erforderlich sind, als auch von einer reinen Beobachtung durch begleitende Beamte oder sonstige Dritte. Anders als solche Maßnahmen ohne Eingriffsqualität wäre der in Rede stehende Kameraeinsatz mit Blick auf den grundrechtlich geschützten staatsfreien Charakter von Versammlungen allenfalls auf der Grundlage einer auf das notwendige Maß beschränkten gesetzlichen Ermächtigung zulässig gewesen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 349; so ist wohl auch BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 f. zu verstehen; siehe ferner Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 12 a Rn. 14, und Söllner, Anmerkung zum Urteil des VG Berlin vom 5. Juli 2010 - 1 K 905.09 -, DVBl. 2010, 1248, 1249 f.

Einer gesetzlichen Ermächtigung hätte es ferner deshalb bedurft, weil die Videobeobachtung der Versammlung zugleich in das Recht der Teilnehmer auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG. i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingriff. Diesbezüglich war die Eingriffsschwelle unabhängig von einer Speicherung der Bilder überschritten, weil die die Versammlung begleitende Beobachtung eine Individualisierung von Versammlungsteilnehmern ermöglichte, von großer Streubreite war und der Beklagte mit ihr zudem eine gewisse Beeinflussung der inneren Versammlungsfreiheit beabsichtigt hatte. Hiervon waren zahlreiche Personen betroffen, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten standen.

Vgl. zu diesen Kriterien für einen Eingriff BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05, 1254/07 -, BVerfGE 120, 378, 397 ff., 402 f. sowie Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497, 501; siehe ferner BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16 f.; OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 -, OVGE 52, 122 = juris, Rn. 39 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498, 500.

Für die allein an den Grundrechten auszurichtende Bewertung der Eingriffsqualität ist es im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, welche Gründe dafür maßgeblich waren, dass der Gesetzgeber mit Geltung für Nordrhein-Westfalen (anders z. B. in Bayern nach Art. 9 BayVersG) neben den §§ 19 a, 12 a VersG keine weiteren Ermächtigungen mit niedrigeren Eingriffsvoraussetzungen geschaffen hat. Entscheidend ist nur, dass die Voraussetzungen dieser als Ermächtigungsgrundlage allein in Betracht kommenden Vorschriften nicht vorlagen. Hiernach wären Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungsteilnehmern nur zulässig gewesen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme gerechtfertigt hätten, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Diese qualifizierten Voraussetzungen waren aus den vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend genannten Gründen (S. 8, dritter Absatz bis S. 10, erster Absatz) nicht gegeben. Hierfür genügte entgegen der Auffassung des Beklagten insbesondere nicht, dass nach Erfahrungen von früheren Urantransporten Restrisiken und Störungen des Transports am 4. Juni 2008 nicht von vornherein mit Sicherheit auszuschließen waren. Auch wenn sich die Rechtmäßigkeit der Gefahrenprognose des Beklagten nach der maßgeblichen ex-ante-Sicht der eingesetzten Beamten richtet, ergibt sich daraus kein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum, der allein auf Grund der Unberechenbarkeit von Versammlungsverläufen eine andere Einschätzung rechtfertigen könnte.

Vgl. zu den ähnlichen Anforderungen an beschränkende Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671, 672.

Der in Rede stehende Kameraeinsatz stellt sich auch nicht gegenüber zulässigen Maßnahmen nach §§ 19 a, 12 a VersG als reine Vorbereitungshandlung dar. Insbesondere greift der Einwand des Beklagten nicht durch, das Aufzeichnungssystem habe lediglich in einen jederzeit arbeitsfähigen Zustand versetzt werden sollen. Zum einen sind Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf die Ermächtigung in §§ 19 a, 12 a VersG erst dann veranlasst, wenn einzelne Versammlungsteilnehmer ein Verhalten erkennen lassen, das den Eintritt erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung konkret erwarten lässt. Hierzu ist es unstrittig im gesamten Versammlungsverlauf nicht gekommen. Zum anderen hätte sich der Eingriff in Grundrechte von Versammlungsteilnehmern ohne wesentliche Einschränkung des polizeilichen Vorsorgekonzepts vermeiden lassen, indem eine im Stand-by-Modus geschaltete Kamera erkennbar von der Versammlung abgewendet worden wäre. Bereits hierdurch wären die eingesetzten Beamten innerhalb weniger Sekunden in der Lage gewesen, etwaige von ihnen wahrgenommene Gefahrenlagen im Bild einzufangen, ohne dass hierfür anlasslos durchgehend Bilder der Versammlung auf einen Monitor hätten übertragen werden müssen. Um einen Grundrechtseingriff zu vermeiden, hätte der Beklagte insbesondere nicht auf veraltete Systeme zurückgreifen oder den Kamerawagen im Bedarfsfall erst herbeiholen müssen.

Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachte grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob schon eine reine Videobeobachtung unmittelbar am Ort des Geschehens - ohne Aufzeichnung und ohne Weiterleitung an eine Zentralstelle - bei einer Versammlung unter Anwesenheit bzw. Begleitung von Polizeivollzugsbeamten einen Grundrechtseingriff begründen kann,
lässt sich bereits ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts im bejahenden Sinne beantworten. Danach ist jeweils durch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, ob eine Videobeobachtung ein Betroffensein in einer den Grundrechtsschutz auslösenden Qualität zur Folge hat. Dabei ist maßgeblich auch zu berücksichtigen, ob die Videobeobachtung in ihrer konkreten Ausgestaltung geeignet ist, einzelne Bürger von der rechtmäßigen Ausübung ihrer Grundrechte wie z. B. der Versammlungsfreiheit abzuhalten, weil sie nicht übersehen können, ob ihnen daraus Risiken entstehen können.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1, 43. ..."

*** (VG)

Es wird festgestellt, dass die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen, die anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin durch den Beklagten erfolgt ist, rechtswidrig war (VG Berlin, Urteil vom 26.04.2012 - VG 1 K 818.09):

... Der Kläger begehrt die Unterlassung von polizeilichen Maßnahmen der Bild- und Tonaufnahmen und -aufzeichnung im Zusammenhang mit Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung bzw. die Feststellung deren Rechtswidrigkeit.

Der Kläger ist Mitglied des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, der sich mit Fragen der Innen- und Rechtspolitik befasst und zu diesem Zweck u.a. jährlich in den Monaten September oder Oktober eine Versammlung mit bundesweiter Mobilisierung unter dem Motto Freiheit statt Angst' in Berlin organisiert. Die Versammlungen fanden bisher am 22. September 2007, am 11. Oktober 2008, am 12. September 2009, am 11. September 2010 und zuletzt am 10. September 2011 statt, wobei der Kläger nach seinen Angaben an allen diesen Aufzügen teilnahm.

Bei den Aufzügen 2009 und 2010 fertigte der Beklagte von einem an der Spitze der Versammlungen fahrenden Fahrzeug Übersichtsaufnahmen der Demonstrationszüge an. Im Vorfeld des Aufzugs 2009 hatte der Beklagte eine Gefahrenprognose erstellt, wonach bei der Versammlung mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu rechnen sei. So hätten an den Versammlungen in den Jahren 2007 und 2008 Personen aus der linksradikalen und linksextremistischen Szene teilgenommen, die mit Polizeikräften und anderen Versammlungsteilnehmern zusammengestoßen seien. Zudem hätte die Erkenntnis vorgelegen, dass Mitglieder des Antikapitalistischen Blocks' an der Versammlung teilnehmen wollten, die zuvor im März 2009 bei einem anderen Aufzug durch massive Gewalttätigkeiten aufgefallen seien. Nach Polizeiangaben nahmen im September 2009 am Aufzug etwa 700 Angehörige des Antifaschistischen Blocks' teil, aus deren Bereich es zu Flaschenwürfen in Richtung eingesetzter Polizeibeamter kam.

Vom Kläger gestellte Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen zur Verhinderung von polizeilichen Film- und Fotoaufnahmen bei den Aufzügen in den Jahren 2010 und 2011 blieben erfolglos (Beschlüsse der Kammer vom 8. September 2010 - VG 1 L 226.10 - und vom 7. September 2011 - VG 1 262.11 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. September 2011 - OVG 1 S 157.11 -).

Mit seiner am 24. September 2009 erhobenen Klage begehrt der Kläger vom Beklagten, es künftig zu unterlassen, im Zusammenhang mit diesen Versammlungen Bild- und Tonaufnahmen von ihm zu fertigen oder fertigen zu lassen oder entsprechende Aufnahmegeräte auf ihn zu richten oder richten zu lassen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 12a VersammlG vorliegen.

Zur Begründung seiner Klage führt er aus, er sei auf diesen Versammlungen von der Polizei wiederholt, pauschal und ohne äußeren Anlass gefilmt und fotografiert worden. Er sei dabei sowohl von auf Fahrzeugen montierten Kameras als auch von tragbaren Geräten erfasst worden. Dies zeige z.B. eine von ihm gefertigte Filmaufnahme des Aufzugs vom 12. September 2009, welche einen friedlichen Versammlungsverlauf belege, bei der er aber dennoch von einer Kamera auf einem Polizeifahrzeug gefilmt worden sei. Zudem habe er zeitweise das Transparent an der Spitze des Aufzugs getragen und sei daher der Aufnahme durch das voranfahrende Polizeifahrzeug ausgesetzt gewesen. Auch beim Aufzug vom 11. September 2010 sei er wiederholt - nach seiner Beobachtung viermal - z.T. auch verdeckt anlasslos gefilmt worden. Außerdem habe er erneut das Fronttransparent getragen. Er sei hiernach betroffen gewesen. Da der Beklagte im Übrigen im Bezug auf den Aufzug vom 12. September 2009 einräume, seine Kamerawagen an strategischen Stellen entlang der Wegstrecke des Aufzugs aufgestellt zu haben, sei es für ihn schlechterdings nicht möglich gewesen, nicht von einer Filmaufnahme betroffen zu sein.

Die anlassunabhängige Überwachung von Versammlungen durch Bild- und Tonaufnahmen greife in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ein. Wer bei der Ausübung dieses Grundrechts mit einer staatlichen Überwachung rechnen müsse, verzichte möglicherweise aufgrund der Einschüchterungswirkung auf seine Teilnahme. Zudem sei das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Ferner entstünden für die Versammlungsteilnehmer weitere Risiken (z.B. das einer ungerechtfertigten Strafverfolgung) durch die Möglichkeit einer automatischen Gesichtserkennung oder einem etwaigen missbräuchlichen oder fahrlässigen Umgang mit den Aufzeichnungen bei den Polizeibehörden. Ein solcher Grundrechtseingriff sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei § 19a VersammlG i. V. m. § 12a VersammlG nicht einschlägig, da hierfür eine gesicherte Gefahrenprognose erforderlich sei, die es in seinem Falle nicht gegeben habe. Für § 12a VersammlG sei gerade erforderlich, dass die erhebliche Gefahr von der Versammlung ausginge. Dies sei bei der Versammlung von 2009 nicht der Fall gewesen. Dem Vorbringen des Beklagten, es sei in 2009 zu Straftaten gekommen, könne nicht gefolgt werden, da eine derartige Feststellung einer strafgerichtlichen Entscheidung bedürfe. In jedem Falle habe sich der Kläger weder an Störungen beteiligt noch habe es in seiner Umgebung derartige Vorfälle gegeben. Außerdem stehe er nicht in Verbindung mit radikalen oder extremistischen Gruppen. Gleichfalls könne die Gefahrenprognose des Beklagten die Voraussetzungen nicht stützen. Geschehnisse aus der Vergangenheit könnten keine Anhaltspunkte für eine Gefahr darstellen. Der Kläger bestreitet zudem eine nennenswerte Teilnahme von Anhängern des antikapitalistischen Blocks bei der Versammlung. Es könne in diesem Zusammenhang auch nicht angehen, dass die Teilnahme einer Minderheit Eingriffe in die Grundrechte der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer bedinge. In Bezug auf den Aufzug von 2010 habe der Beklagte sogar gegenüber der Presse erklärt, dieser sei ohne Zwischenfälle verlaufen. Ein Rückgriff auf die Normen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts sei wegen der Spezialität des Versammlungsrechts nicht möglich.

Auch seien bloße Übersichtsaufnahmen nicht zulässig, da damit § 12a VersammlG umgangen werde, zumal der Aufnahmezweck für den einzelnen Versammlungsteilnehmer nicht erkennbar sei und gleichfalls eine abschreckende Wirkung eintrete. Im Übrigen seien Übersichtsaufnahmen auch unnötig, da eine Abstimmung der Polizeikräfte auch mit Polizei- oder Mobilfunk möglich sei. Eine Notwendigkeit, die Aufnahmen zur Beweissicherung zu verwenden, sei nicht gegeben, da es jedenfalls in der Person des Klägers an entsprechenden Vorfällen fehle. Auch der Verweis auf die erwartete hohe Teilnehmerzahl sei untauglich. Würde man ab einer bestimmten Teilnehmerzahl stets eine abstrakte Gefahr annehmen, würden die strengen Voraussetzungen des § 12a VersammlG fast immer vorliegen. Außerdem seien auch im Rahmen von Übersichtsaufnahmen Einzelpersonen individualisierbar, sodass hierin auch ein Grundrechtseingriff liege. Dieser entfalle im Übrigen auch nicht deshalb, weil sich der Betroffene im öffentlichen Raum bewege oder von der Maßnahme wisse. Es sei auch unerheblich, dass die gemachten Aufnahmen nicht dauerhaft gespeichert würden, sondern nur nach dem Kamera-Monitor-Prinzip übertragen worden seien. Es trete der gleiche Einschüchterungseffekt ein, zumal ein Versammlungsteilnehmer die Art der Aufnahme von außen nicht erkennen könne. Auch bei Echtzeitübertragungen ohne dauerhafte Aufzeichnung bestehe eine Missbrauchsgefahr, da diese mit Funksignalen übertragen würden, die ohne Verschlüsselung mit geringem technischen Aufwand von Unbefugten eingesehen und mitgeschnitten werden könnten. Schließlich würde aus ähnlichen Erwägungen bereits vom Richten einer ausgeschalteten Kamera auf Versammlungsteilnehmer eine einschüchternde Wirkung und damit ein Grundrechtseingriff ausgehen. Der Kläger bezweifelt, dass eine generelle Weisung des Polizeipräsidenten in der Einsatzrealität wirklich umgesetzt werde.

Nachdem der Kläger verschiedene Klageanträge angekündigt hat, beantragt er nunmehr,
1. den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger auf rechtmäßigen Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, die anlassunabhängige Überwachung durch Staat und Wirtschaft zum Thema haben, unter freiem Himmel in Berlin zu filmen, zu fotografieren, akustisch aufzuzeichnen oder eine Kamera auf diesen zu richten, solange nicht tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger oder in dessen unmittelbarem räumlichen Umfeld befindliche Personen, Tiere oder Sachen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblicher Weise gefährden,
2. hilfsweise festzustellen, dass Übersichtsaufnahmen anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin rechtswidrig gewesen sind.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, die Klage sei bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Der Kläger habe schon nicht schlüssig dargelegt, dass er von einer Übersichtsaufnahme betroffen gewesen sei oder es alsbald und beliebig sein könne. Auch habe es Bild- und Tonaufnahmen zu den vom Kläger angegebenen Orten und Zeiten nicht gegeben. Übersichtsaufnahmen habe es nur an der Spitze des Aufzugs gegeben, wovon der Kläger bereits nach seinem eigenen Vortrag gar nicht hätte betroffen sein können. Es sei auch sonst nicht festzustellen, dass er durch die Bilddokumentation tatsächlich betroffen wäre. Der Kläger habe vielmehr nicht substantiiert vorgetragen, dass er bei der Versammlung am 12. September 2009 aufgenommen worden sei. Er müsse die fraglichen, seine Grundrechte beeinträchtigenden Maßnahmen nach Art, Zusammenhang, Zeitpunkt und Ort konkret benennen. Allein die Tatsache der Teilnahme an der Versammlung rechtfertige die Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung noch nicht. Aus dem gleichen Grunde fehle dem Kläger auch im Falle einer etwaigen Umstellung auf eine Feststellungsklage dahin, dass die Maßnahmen des Beklagten beim Aufzug am 12. September 2009 rechtswidrig gewesen seien, das erforderliche Feststellungsinteresse.

Da dem Kläger durch die Anfertigung von Bildaufnahmen nicht von vornherein eine Beeinträchtigung seiner Grundrechte drohe, sei die Klage überdies auch unbegründet. Würde man dennoch von einer Grundrechtsbetroffenheit des Klägers ausgehen, so wäre dieser Eingriff in jedem Falle gerechtfertigt, denn er könne wegen der gesicherten Gefahrenprognose auf § 12a VersammlG gestützt werden. Der tatsächliche Verlauf des Aufzugs im September 2009 habe die getroffene Prognose bestätigt. Daher seien bei der Versammlung sowohl situativ, etwa im Zusammenhang mit Einzelmaßnahmen zur Aufklärung von Straftaten, als auch in Form von Überblicksaufnahmen Videoaufnahmen gefertigt worden. Der Anfertigung von Übersichtsaufnahmen komme dabei eine weniger einschneidende Wirkung zu. Zudem komme dem Einschüchterungseffekt durch die Präsenz einer Kamera nur dann durchschlagende Kraft zu, wenn eine durch die Übersichtsaufnahmen zentralisierte Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nach den Umständen nicht erforderlich sei. Umgekehrt seien Übersichtsmaßnahmen zur Durchführung des Polizeieinsatzes bei einer entsprechenden Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung erforderlich, wovon man bei einer erwarteten Teilnehmerzahl von 20.000 Personen ausgehen müsse. Die Übersichtsaufnahmen seien daher - auch im Sinne einer versammlungsfreundlichen Einsatzbewältigung - rechtmäßig. Zudem mache es objektiv keinen Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Versammlung durch eine Sehhilfe beobachte oder ob die Bilder in Echtzeit und ohne Aufzeichnung in eine Befehlsstelle übertragen würden.

Der Beklagte verweist abschließend darauf, dass nach aktueller Weisungslage des Polizeipräsidenten in Berlin, basierend auf dem Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010, derzeit durch die Polizei keine Filmaufnahmen, auch keine Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen angefertigt würden. Diese generelle Weisung werde in jeden einzelnen Einsatzbefehl bei Versammlungen aufgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakten VG 1 L 226.10 und VG 1 L 262.11 sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten, der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen. ...

Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1. unzulässig. Für die Verurteilung zur vorbeugenden Unterlassung der benannten Film- und Fotoaufnahmen fehlt es an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der für den Erfolg einer Unterlassungsklage erforderlichen Wiederholungsgefahr. Aufgrund der im Blick auf das Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010 (VG 1 K 905.09, juris) aktuell bestehenden Anordnungslage des Polizeipräsidenten in Berlin durch dessen generelle Weisung vom 3. August 2010 ist nicht davon auszugehen, dass derzeit bei Versammlungen in Berlin durch die Polizei Film- und Fotoaufnahmen gefertigt werden, sofern nicht die Voraussetzungen der §§ 19a, 12a VersammlG vorliegen. Der Polizeipräsident hat in seiner generellen Weisung klargestellt, dass Übersichtsaufnahmen, die nicht an tatsächliche Anhaltspunkte hinsichtlich einer bevorstehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gebunden sind, bei der gegebenen Rechtslage nicht mehr angefertigt werden' können und deshalb unzulässig sind. Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte dürfen zwar nach wie vor mitgeführt werden, weil ein Einsatz im Rahmen der §§ 19a, 12a VersammlG erforderlich sein könnte, allerdings sei darauf zu achten, dass dieses Mitführen/Begleiten der Versammlung so geschieht, dass nicht der Eindruck entstehen kann, es werde bereits aufgezeichnet.'

Die Kammer hat keine Veranlassung anzunehmen, diese Weisung des Polizeipräsidenten werde bei konkreten Versammlungen, so auch des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, nicht beachtet. Bei der durch eine klare Befehlsstruktur gekennzeichneten Polizeibehörde muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass eine solche generelle Weisung des Behördenleiters von allen nachgeordneten Einsatzkräften beachtet wird, noch dazu wird nach Darstellung des Beklagten diese Weisung auch zum Bestandteil der jeweils konkreten Einsatzbefehle gemacht. Dass eventuell einzelne Beamte weisungswidrig doch Film- und Fotoaufnahmen fertigen und dadurch ein disziplinarrechtlich relevantes Verhalten zeigen, rechtfertigt nicht die Annahme einer Wiederholungsgefahr, denn hierfür muss vom rechtmäßigen Handeln der Polizeibeamten, also aufgrund der Weisungslage, ausgegangen werden.

Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Klageantrags zu 2. ist die Klage zulässig und begründet.

Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig. Die Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung durch Einsatzkräfte der Polizei stellte einen Realakt dar. Da dieser sich bereits erledigt hat, kann das diesbezügliche staatliche Handeln zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Das feststellungsfähige und konkrete Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO ergibt sich aus der durchgeführten polizeilichen Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlung. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Kläger, der an den Versammlungen des Arbeitskreises teilgenommen und nach seinen Darlegungen mehrfach in den vorderen Reihen der jeweiligen Aufzüge gelaufen ist, der unstreitig erfolgten polizeilichen Beobachtung ausgesetzt war. Das berechtigte Interesse des Klägers nach § 43 Abs. 1 VwGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten polizeilichen Maßnahmen ist bereits durch die Möglichkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG begründet. Die entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis folgt ebenfalls aus der Möglichkeit eines Eingriffs in die Grundrechte des Klägers. Nach Vortrag des Klägers hat dieser auch an den Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung teilgenommen; Zweifel an der Richtigkeit dieser Darlegung sind weder ersichtlich noch konkret dargetan.

Die Klage ist mit dem Hilfsantrag auch begründet. Die Überwachung der bisherigen Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in den Jahren 2010 und früher durch den Beklagten mittels Bild- und Tonaufnahmegeräten war rechtswidrig.

In ihrem Urteil vom 5. Juli 2010 hat die Kammer zu einem vergleichbaren Sachverhalt folgendes ausgeführt:

Die Beobachtung der Versammlung am 5. September 2009 mittels eines Video-Wagens der Polizei und die Übertragung der so gewonnen Bilder in Echtzeit im sog. Kamera-Monitor-Prinzip - ohne Einverständnis der Teilnehmer - stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) dar und bedurfte somit einer Rechtsgrundlage. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist jedes staatliche Handeln, dass die Ausübung bzw. Wahrnehmung des Grundrechts zumindest erschwert. Zwar wird nach dem klassischen Eingriffsbegriff unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 300). Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, ist jedoch ein moderner Eingriffsbegriff zu Grunde zu legen. Dieser moderne Eingriffsbegriff, der sich jedenfalls für die speziellen Grundrechte durchgesetzt hat, lässt für einen Eingriff jedes staatliche Handeln genügen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 299 - 301).

Daran gemessen stellt die Beobachtung der Versammlung im Kamera-Monitor-Verfahren einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Denn wenn der einzelne Teilnehmer der Versammlung damit rechnen muss, dass seine Anwesenheit oder sein Verhalten bei einer Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte ihn dies von einer Teilnahme abschrecken oder ihn zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl 2007, 497 - 502). Durch diese Einschüchterung der Teilnehmer könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden (VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 13). Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 43 - Volkszählung; BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 369).

Es macht hier keinen Unterschied, ob die durch die Polizei gefertigten Aufnahmen auch gespeichert wurden, denn das Beobachten der Teilnehmer stellt bereits einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Das polizeiliche Handeln knüpft einzig und allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts durch die Teilnehmer an. Demnach ist die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip auch geeignet, bei den Teilnehmern ein Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen und diese - wenn auch ungewollt - in ihrem Verhalten zu beeinflussen oder von der Teilnahme an der Versammlung abzuhalten. Ob die Aufnahmen tatsächlich auch gespeichert wurden, kann der einzelne Versammlungsteilnehmer nicht wissen.

Die Tatsache, dass die Einsatzkräfte der Polizei in dem Übertragungswagen dem Kläger zu 2.) erklärten, es fände keine Aufzeichnung der Bilder statt, ändert nichts an der Beurteilung der Sachlage. Zum einen wurde dies nicht allen Versammlungsteilnehmern kundgetan. Zum anderen bleibt die einschüchternde Wirkung des für alle Teilnehmer deutlich sichtbaren und ständig vorausfahrenden Übertragungswagens erhalten. Der einzelne Versammlungsteilnehmer muss ständig damit rechnen, durch eine Vergrößerung des ihn betreffenden Bildausschnittes (Heranzoomen) individuell und besonders beobachtet zu werden. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist dies generell möglich, so dass ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufnahmen und personenbezogenen Aufnahmen nicht mehr besteht (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369; VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 16). Hinzu kommt, dass die technische Möglichkeit, die Übersichtsaufnahmen auch zu speichern, dem Grunde nach besteht und jederzeit mittels Knopfdruck erfolgen kann - auch versehentlich. Insofern verweist der Beklagte zu Unrecht darauf, dass hier kein Unterschied zu einem die Sachlage beobachtenden Polizeibeamten vor Ort vorliege. Dieser würde die Versammlungsteilnehmer - in der Regel abseits stehend - wohl kaum in derselben Weise irritieren, wie ein nur wenige Meter vor ihnen herfahrender Übertragungswagen, der fortlaufend mehrere Kameras auf sie gerichtet hat.

Das Beobachten der Versammlungsteilnehmer stellt ferner einen Eingriff in deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dieses Grundrecht umfasst die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 41 - 42 - Volkszählung). Ob sich die Klägerin zu 1.) als juristische Person auf die informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht berufen kann (Art. 19 Abs. 3 GG), kann dahingestellt bleiben, da zumindest der Kläger zu 2.) die Verletzung dieses Grundrechts erfolgreich rügen kann. Bereits die Beobachtung der Versammlungsteilnehmer im Kamera-Monitor-Verfahren, ohne eine Speicherung der Daten, stellt einen Eingriff dar, denn die Beobachtung, Auswertung und Speicherung der Daten stellt aus der Sicht der betroffenen Versammlungsteilnehmer einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 - juris Rn. 39 - Videoüberwachung einer Universitätsbibliothek). Es besteht jederzeit die Möglichkeit, ohne weiteres von der Übersichtsaufnahme in die Nahaufnahme überzugehen und somit den Einzelnen individuell zu erfassen. Durch die so aufwandslose Möglichkeit der Erhebung personenbezogener Daten liegt eine faktische Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgegenstandes vor, die einer Grundrechtsgefährdung als Eingriff gleichkommt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498 - 507 (500) - Videoüberwachung im öffentlichen Verkehrsraum; VG Sigmaringen, Beschluss vom 2. April 2004 - 3 K 1344/04 - juris Rn. 27 - Videoüberwachung eines Volksfestes; Roggan, Die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen - Oder: Immer mehr gefährliche Orte für Freiheitsrechte, NVwZ 2001, 134, 136; zur Grundrechtsgefährdung als Eingriff vgl. Sachs in: ders., GG, 5. Aufl. 2009, Vor Art. 1 RdNr. 95 m.w.N.).

Da die Beobachtung der Versammlung vom 5. September 2009 sowohl einen Eingriff in den Schutzbereichs der vorrangigen Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG als auch in den der informationellen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt, bedurfte es zu dessen Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage, aus der nachvollziehbar und klar der Umfang der Beschränkungen erkennbar ist. Eine solche Rechtsgrundlage ist nicht vorhanden.

Von der im Zuge der Föderalismusreform auf die Länder übergegangenen Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht (vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034) hat das Land Berlin bisher keinen Gebrauch gemacht. Als Rechtsgrundlage für die Videobeobachtung der Versammlung am 5. September 2009 kommt somit lediglich § 12a Abs. 1 S. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) i.V.m. § 19a VersG in Betracht. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Nach § 12a Abs. 1 S. 2 VersG dürfen die Maßnahmen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da zum Zeitpunkt des Aufzuges keine tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar waren, dass von den Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen. Eine Gefahrenprognose im Vorfeld des Aufzuges am 5. September 2009 in Berlin, welche ein polizeiliches Eingreifen erforderlich gemacht hätte, ist nicht ersichtlich. Der Beklagte selbst trägt vor, der Aufzug sei friedlich und störungsfrei verlaufen. Dass es im Voraus zu einigen Zusammenstößen mit der Polizei am Schacht Asse oder in Morsleben kam, ändert hieran nichts. Ob dies der Klägerin zu 1.) zugerechnet werden kann, mag dahingestellt bleiben. Diese Zusammenstöße mit der Polizei betrafen - wie von dem Beklagten zutreffend formuliert - Reizobjekte.' Eine derartige Gefährdungslage bestand innerhalb Berlins ohnehin nicht. Der von dem Beklagten dokumentierte und mittels Videokamera aufgezeichnete Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal, wo eine unbekannte Person selbiges bestiegen hatte, datierte vom 29. August 2009 und betraf offenbar eine andere Veranstaltung. Ein möglicher Hausfriedensbruch durch eine Einzelperson wäre überdies nicht geeignet, ein polizeiliches Einschreiten gegen die gesamte Versammlung zu rechtfertigen. Auch der Beklagte selbst sieht den Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal nicht im Zusammenhang mit dem Aufzug der Klägerin zu 1.). Darüber hinaus war die Beobachtung des Aufzuges durch die Polizei nicht auf Gefahrenabwehr gerichtet. Der Beklagte selbst trägt vor, keine Gefahrenlage erkannt zu haben, sondern lediglich Übersichtsaufnahmen zum Zwecke der Lenkung und Leitung in die Einsatzleitstelle übertragen zu haben. Daran muss er sich messen lassen.

Andere Rechtsgrundlagen für das polizeiliche Handeln sind nicht ersichtlich. Der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht des Landes Berlin zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nicht möglich (BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 - 81; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34, 38; VGH Mannheim, Urteil vom 26. Januar 1998 - 1 S 3280/96 -, DVBl 1998, 837, 839). Ein Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht wäre lediglich zum Schutz der Versammlung oder als milderes Mittel gegenüber einer tatbestandlich zulässigen Auflösung möglich. Diese Fälle liegen indes nicht vor.

Aufgrund des Eingriffscharakters des polizeilichen Handelns bedurfte dieses gemäß Art. 8 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Die durch den Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des § 12a VersG geäußerte Auffassung, die bloße Videobeobachtung einer Versammlung - ohne eine Speicherung der Aufnahmen - sei wohl kein Grundrechtseingriff, da der Einzelne aufgrund mangelnder technischer Möglichkeiten nicht individualisierbar gemacht werden könne (BT-Drs. 11/4359, S. 17), ist mittlerweile überholt (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369). Die gegenteilige Ansicht des Beklagten ist nicht zutreffend. Sein Hinweis, das polizeiliche Handeln habe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestanden, da die vorliegende Versammlung aufgrund ihrer Größe und Unübersichtlichkeit zur Lenkung und Leitung habe überwacht werden können (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 - 373), geht fehl. Denn der maßgebliche Unterschied zu dem dort entschiedenen Fall ist der, dass das betroffene Land Bayern eine eigens die Übersichtsaufnahmen einer Versammlung gestattende gesetzliche Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz des Landes Bayern geschaffen hatte. Dessen Anwendbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht sodann einstweilen auf die Fälle unübersichtlicher Großdemonstrationen beschränkt. An einer derartigen Rechtsgrundlage fehlt es jedoch im Land Berlin. Das Bundesverfassungsgericht selbst scheint die grundsätzliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ebenfalls vorauszusetzen.'

An diesen Ausführungen hält die Kammer auch im hier zur Entscheidung stehenden Verfahren fest. Es fehlt weiterhin an einer Rechtsgrundlage für die bis zum Jahr 2010 erfolgten anlassunabhängigen Beobachtungen der vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veranstalteten Versammlungen in Berlin. Nach dem im Land Berlin weiterhin geltenden Versammlungsgesetz des Bundes sind die §§ 19 a und 12 a VersammlG die einzigen Normen, aufgrund derer Bild- und Tonaufnahmen angefertigt werden dürfen. Deren Voraussetzungen lagen bei den hier streitigen Aufnahmen aber offensichtlich nicht vor. Ein gesondertes Versammlungsgesetz nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen hat das Land Berlin noch nicht erlassen. ..."

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Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dies gilt auch, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt. Das bloße Beobachten und Anfertigen von Übersichtsaufnahmen durch die Polizei, verbunden mit der technischen Möglichkeit des gezielten Heranzoomens einzelner Teilnehmer einer Versammlung, überschreitet die Schwelle zum Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Der einzelne Versammlungsteilnehmer könnte durch das Gefühl des Beobachtetseins ungewollt eingeschüchtert und zu bestimmten, aus seiner Sicht den beobachtenden Polizeibeamten gerecht werdenden Verhaltensweisen veranlasst oder sogar von der Teilnahme an der Versammlung abgehalten werden. Für den Teilnehmer ist es nicht erkennbar, ob neben der Übertragung der Bilder in Echtzeit auch eine Speicherung der Daten erfolgt. Die §§ 12a und 19a des Versammlungsgesetzes stellen keine Rechtsgrundlage für das Anfertigen von Übersichtsaufnamen zur Lenkung und Leitung während einer Versammlung dar, sofern nicht eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt. Das Anfertigen von Übersichtsaufnahmen während einer Versammlung bedarf einer gesetzlichen Grundlage (VG Berlin, Urteil vom 05.07.2010 - 1 K 905.09).

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Videobeobachtung der Teilnehmer einer Versammlung (VG Münster, Urteil vom 21.08.2009 - 1 K 1403/08 zu Art 2 II, 1 I, 8 I GG, § 12a I 1 VersammlG u.a.):

... Sie ist als Feststellungsklage gem. § 43 VwGO zulässig. Die Videobeobachtung der Teilnehmer einer Versammlung stellt einen Realakt dar, der, wenn er sich wie hier erledigt hat, Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann. Ein feststellungsfähiges konkretes Rechtsverhältnis ergibt sich daraus, dass der Kläger als Versammlungsteilnehmer von den Videoaufnahmen erfasst wurde. Das gem. § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen des Beklagten liegt in der hinreichend wahrscheinlichen Wiederholungsgefahr sowie der Grundrechtsrelevanz begründet, da das Videobeobachten von Versammlungsteilnehmern ohne deren Einwilligung einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) bedeuten kann. Auch eine Klagebefugnis in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben, weil der Kläger als Versammlungsteilnehmer durch die beanstandete Maßnahme möglicherweise in seinen Grundrechten verletzt ist.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 in N. , Thema: Urantransporte stoppen", rechtswidrig war. Das Richten einer aufnahmebereiten Kamera auf die Demonstrationsteilnehmer nebst Übertragung der Bilder auf einen Monitor verletzte den Kläger in seinen Grundrechten.

Die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 ohne Einverständnis der Betroffenen bedurfte auch als tatsächlicher Vorgang einer Rechtsgrundlage, da sie in das Versammlungsrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eingriff. Die Videobeobachtung beeinträchtigt die innere Versammlungsfreiheit. Aus Sorge vor staatlicher Überwachung bei der Ausübung des Grundrechtes aus Art. 8 Abs. 1 GG könnten Bürger von der Teilnahme an der Versammlung abgeschreckt werden oder sich in dieser nicht frei bewegen. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Wer damit rechnen muss, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seines Grundrechtes verzichten.

vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, NJW 2009, 1481; BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65,1 - zur Volkszählung.

Auch die bloße Videobeobachtung, die allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht anknüpft, ist in verfassungsrechtlich relevanter Weise geeignet, die Grundrechtsausübung zu behindern. Die faktische Beeinträchtigung überschreitet die Schwelle zur eingriffsgleichen Belastung. Versammlungsteilnehmer könnten sich durch die Kamerapräsenz und die damit verbundene Möglichkeit gezielter Beobachtung einzelner Personen veranlasst sehen, ihre Versammlungsfreiheit nicht oder nicht in vollem Umfang auszuüben. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Aufnahmen flüchtig" sind und nur eine unmittelbare, zeitgleiche Auswertung des Bildmaterials am Monitor zulassen. Für den Teilnehmer ist regelmäßig nicht erkennbar, ob eine auch auf ihn gerichtete Kamera lediglich in Echtzeit Bilder auf einen Monitor überträgt oder aber zeitgleich darüber hinaus die Speicherung auf Datenträgern erfolgt.

Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, dass dem Versammlungsleiter und auch dem Kläger, nachdem während der Versammlung Diskussionen über die eingesetzte Kamera zwischen Teilnehmern und der Polizei aufgekommen waren, durch die Polizeibeamten mitgeteilt wurde, eine Aufzeichnung erfolge nicht, solange die Versammlung einen friedlichen Verlauf nehme. Für Versammlungsteilnehmer und Außenstehende klar erkennbar war hier während des gesamten Weges ein Fahrzeug mit daran befestigter Kamera dem Demonstrationszug vorausgefahren. Diese Vorgehensweise in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten einer Videokamera mit Bildübertragung - wie etwa Weitwinkel, Zoom, Aufnahmefunktion - vermag auch im Falle der Information über den Umfang der Maßnahmen durch die Polizei eine besondere Einschüchterung zu bewirken und damit in verfassungsrechtlich relevanter Weise auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit einzuwirken. Wer weiß, dass er als Versammlungsteilnehmer am Monitor überwacht wird, wer jederzeit ohne Kenntnis des Zeitpunktes befürchten muss, dass er herangezoomt" und damit als Individuum registriert wird, wer nicht wahrnehmen kann, wann bei der aufnahmebereiten Kamera beabsichtigt oder gar versehentlich der Aufnahmeknopf betätigt wird, wird sich insbesondere gravierender beeinflusst fühlen und sich daher - das gibt der Beklagte ja gerade zur Begründung seines Kameraeinsatzes an - möglicherweise anders verhalten, als derjenige, der lediglich durch Polizeibeamte ohne Einsatz technischer Hilfsmittel wahrgenommen oder mit einem Fernglas beobachtet wird.

Darüber hinaus beeinträchtigte die Videobeobachtung der Versammlungsteilnehmer das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497; BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65,1.

Schon die Beobachtung mittels Bildübertragung (sog. Kamera-Monitor-Prinzip) ohne Speicherung der aufgenommenen Bilder greift in den Schutzbereich dieses Grundrechtes ein.

vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497 (zur Videoüberwachung eines Kunstwerkes im öffentlichen Raum); OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 -, vorhergehend VG N. , Urteil vom 19. Oktober 2007 - 1 K 367/06 (zur Videobeobachtung in einer Institutsbibliothek der Universität); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498 (zur Videoüberwachung öffentlicher Verkehrsräume Mannheims); VG Sigmaringen, Beschluss vom 2. Juli 2004 - 3 K 1344/04 -, juris (zur Videoüberwachung eines Volksfestes); siehe auch Kloepfer/Breitkreutz, Videoaufnahmen und Videoaufzeichnungen als Rechtsproblem, DVBl. 1998, 1149 (1152); Robrecht, Polizeiliche Videoüberwachung bei Versammlungen und an Kriminalitätsschwerpunkten, Neue Justiz 2000, 348ff.

War die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG und des - wohl subsidiären, jedenfalls keinen weiter reichenden Schutz vermittelnden - Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, so bedurfte dieser zu seiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. An einer solchen Rechtsgrundlage fehlte es hier.

Als Ermächtigungsnorm für die Videobeobachtung kommt einzig § 12a Abs. 1 Satz 1 VersammlG, auf den § 19a VersammlG für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge verweist, in Betracht. Nach dieser Vorschrift darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen gem. § 12a Abs. 1 Satz 2 VersammlG auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift, die als sog. Minusmaßnahme auch eine bloße Videobeobachtung ohne Speicherung des Datenmaterials erlauben würde, waren nicht gegeben. Es fehlte schon an tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme, dass von Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen. Ob § 12a Abs. 1 Satz 1 VersammlG, der grundsätzlich nur zu Bild- und Tonaufnahmen von Störern (und unvermeidbar betroffenen Dritten) ermächtigt, auch die hier erfolgte Videobeobachtung einer kompletten Versammlung erlaubt, bedarf daher ebenso keiner weiteren Erörterung wie die Frage der Verhältnismäßigkeit des Kameraeinsatzes bei der Versammlung am 4. Juni 2008.

Der Beklagte gibt als Zweck des Mitführens der Kamera an, es habe sich um eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr sowie zur anlassbezogenen Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten gehandelt. Er habe eventuelle Eingriffe in den Bahnverkehr (insbesondere im Bereich D.Straße) sowie sonstige Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten durch die Versammlungsteilnehmer verhindern bzw. sich in den Stand versetzen wollen, erforderlichenfalls solche beweissicher dokumentieren zu können.

Die Gefahr der Begehung von Ordnungswidrigkeiten begründet nicht die erforderliche erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Auch die bloße (abstrakte) Möglichkeit von Gefahren für die öffentliche Sicherheit - etwa aufgrund der gewählten Demonstrationsroute nahe des Gleisbereichs -, ein bloßer Verdacht oder entsprechende Vermutungen sowie das vom Beklagten erwähnte nie von vornherein auszuschließende Risiko", dass Versammlungen einen unvorhersehbaren und ggf. Gefahren begründenden Verlauf" nehmen, reichen im Rahmen des § 12a Abs. 1 Satz 1 VersammlG nicht aus. Dass eine Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, ist schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht hinreichend und genügt auch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Beschränkungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit.

vgl. zu § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, 2078.

Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte - etwa aus Vorbereitungstreffen, Internetaufrufen, Flugblättern oder Verhaltensweisen von Teilnehmern im unmittelbaren Vorfeld oder in der Versammlung selbst - für eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Versammlungsteilnehmer gab es vorliegend nicht.

Auf den flüchtigen Unbekannten im Schienenbereich nahe der D.Straße konnte sich der Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil diese Person ersichtlich nicht Versammlungsteilnehmer war. Zur Zeit ihrer Entdeckung lief die Auftaktkundgebung am Berliner Platz, im Übrigen wurden zurückgelassene Sprayerutensilien aufgefunden. Soweit der Beklagte auf Vorkommnisse anlässlich früherer Urantransporte verwiesen hat, begründeten diese gerade keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass von Versammlungsteilnehmern der hier streitgegenständlichen Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen, insbesondere gefährliche Eingriffe in den Schienenverkehr zu erwarten waren. Anlässlich früherer Transporte in der Region war es lediglich zu Störungen durch einzelne Aktivisten außerhalb von Demonstrationen gekommen. Versammlungen an Bahnhöfen oder nahe der Bahnstrecke, die im Übrigen nicht vom Kläger veranstaltet wurden,

vgl. zum Erfordernis der Zurechnung früherer Vorkommnisse zum Veranstalter bei § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 u.a. -, NJW 2001, 2072,

waren friedlich verlaufen, etwaigen Eingriffen in den Schienenverkehr war die Polizei vorsorglich durch Absperrungen bzw. Platzverweise begegnet. Auch in der Versammlung am 4. Juni 2008 selbst ergaben sich keine Hinweise auf Gefahren durch Versammlungsteilnehmer. Zwar gab es Wortgefechte zwischen Teilnehmern (u. a. dem Kläger) und der Polizei über den Kameraeinsatz, hinreichende Anhaltspunkte für von dem Kläger oder anderen Versammlungsteilnehmern ausgehende erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ergaben sich daraus allerdings nicht.

Andere Ermächtigungsgrundlagen für die Videobeobachtung der Versammlung sind nicht ersichtlich - selbst wenn man den Grundsatz der Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts nach der Änderung der Gesetzgebungskompetenz aus generellen Gründen oder aber aus solchen des hier zu entscheidenden Einzelfalles nicht für anwendbar hielte. Die polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlagen sind nicht einschlägig. § 15 Abs. 1 PolG NRW, der im Übrigen nur zu Datenerhebungen bei Veranstaltungen oder Ansammlungen ermächtigt, die keine Versammlungen sind, setzt voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dabei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden, woran es hier aus den dargelegten Gründen fehlte. § 15a Abs. 1 PolG NRW erlaubt die Videobeobachtung zur Verhütung von Straftaten an - hier jedenfalls nicht für die gesamte Demonstrationsroute zu bejahenden - Kriminalitätsschwerpunkten und fordert ebenfalls Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass (an diesem Ort weitere) Straftaten begangen werden. Nach § 29 b DSG NRW ist die nicht mit einer Speicherung verbundene Beobachtung öffentlich zugänglicher Bereiche mit optisch- elektronischen Einrichtungen nur dann zulässig, soweit dies der Wahrnehmung des Hausrechts dient - und zudem keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen betroffener Personen überwiegen. § 81 b StPO, der ohnehin nach § 12a Abs. 3 VersammlG unberührt bleibt, erlaubt die Aufnahme von Lichtbildern lediglich für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder des Erkennungsdienstes.

Der Beklagte kann sich schließlich auch nicht darauf berufen, einer gesetzlichen Grundlage habe es hier nicht bedurft, weil lediglich Übersichtsaufnahmen erstellt worden seien. Es ist schon zweifelhaft, ob den hier erstellten Bildern einer kleinen Versammlung von lediglich 40-70 Teilnehmern überhaupt der Charakter einer Übersichtsaufnahme im landläufigen Sinne zukommen kann. Unabhängig davon bedürfen diese jedenfalls entgegen der vom Gesetzgeber bei Schaffung des § 12a VersammlG im Jahr 1989 geäußerten und teilweise auch noch später von der Literatur befürworteten Ansicht,

vgl. BT-Drs. 11/4359, S. 17; Götz, Polizeiliche Bildaufnahmen von öffentlichen Versammlungen, NVwZ 1990, 112 (114); Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Auflage, § 12a Rn. 13 (für Übersichtsaufnahmen ohne Aufzeichnung),

einer rechtlichen Grundlage, weil nach dem heutigen Stand der Technik die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind.

vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, NJW 2009, 1481.

Auch wenn die Eingriffsqualität von bloßen Übersichtsaufnahmen in Echtzeitübertragung, die nicht gespeichert werden, gegenüber der Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen deutlich geringer ist, bedarf es auch insoweit aufgrund der möglichen Einschüchterungseffekte durch die Präsenz einer Kamera einer gesetzlichen Grundlage. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar darüber hinaus die Geltung der hierfür im bayerischen Versammlungsgesetz eigens geschaffenen Rechtsgrundlage auf Fälle beschränkt, in denen Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.

vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, NJW 2009, 1481.

Über das Fehlen einer entsprechenden Rechtsgrundlage in Nordrhein-Westfalen hinaus waren diese Voraussetzungen angesichts der geringen Teilnehmerzahl nicht gegeben. ..."

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Zur Zulässigkeit polizeilicher Maßnahmen im Vorfeld einer öffentlichen Versammlung (VG Lüneburg, Urteil vom 30.03.2004 - 3 A 116/02, NVwZ-RR 2005, 248).

§ 13

(1) Die Polizei (§ 12) kann die Versammlung nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn

1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist,
2. die Versammlung einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht,
3. der Leiter Personen, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 mit sich führen, nicht sofort ausschließt und für die Durchführung des Ausschlusses sorgt,
4. durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet.

In den Fällen der Nummern 2 bis 4 ist die Auflösung nur zulässig, wenn andere polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbrechung, nicht ausreichen.

(2) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, haben alle Teilnehmer sich sofort zu entfernen.

Leitsätze/Entscheidungen:

Polizeiliche Maßnahmen gegen die Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung können grundsätzlich nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden (VGH Mannheim, Urteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96, NVwZ 1998, 761).

*** (VG)

Für eine Klage, mit der die Rechtswidrigkeit der Auflösung eines als Geburtstagsfeier deklarierten Skinhead-Konzerts festgestellt werden soll, besteht unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Grundrechtsbetroffenheit ein Feststellungsinteresse. Für die Auflösung eines Skinhead-Konzerts mit der Begründung, durch den Auftritt der engagierten Bands werde gegen § 20 I VereinsG (Verbot, den organisatorischen Zusammenhalt eines vollziehbar verbotenen Vereins aufrechtzuerhalten oder zu unterstützen) verstoßen, reicht es nicht aus, wenn die als Veranstalter auftretende Person "dem engen politischen Umfeld" einer ehemaligen Führungsperson der verbotenen Vereinigung zugerechnet wird und die Bands in der Vergangenheit auch bei Konzerten aufgetreten sind, die von der verbotenen Vereinigung veranstaltet wurde (VG Hamburg, Entscheidung vom 11.06.2002 - 10 VG 468/01, NordÖR 2002, 471).

§ 14

(1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.

(2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll.

Leitsätze/Entscheidungen:

... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. ...

Die Kammer hat die Begründung ihrer Entscheidung gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 BVerfGG nach Bekanntgabe des Tenors des Beschlusses schriftlich abgefasst.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen ein Versammlungsverbot, die das Verwaltungsgericht nur mit der Maßgabe vorgenommen hatte, dass bestimmte Auflagen eingehalten werden.

I. 1. Der Antragsteller meldete im September 2005 für Samstag, den 3. Dezember 2005, zwei Versammlungen an. Die eine sollte in der Zeit von 12.30 Uhr bis 16.00 Uhr in Rastatt unter dem Thema Rastatt stellt sich quer - keine Freiräume für linksextreme Straftäter' stattfinden, die zweite war anschließend von 17.30 Uhr bis 21.30 Uhr in Karlsruhe unter dem Motto Daniel Wretström, Sandro Weilkes, Pim Fortyn - kein Vergessen - kein Verzeihen!' geplant. Im Internet wurde auf der Seite www.rastatt-info.org unter der Überschrift Doppelschlag im Wilden Süden' für eine Teilnahme an beiden Demonstrationen geworben.

Für die Versammlung in Karlsruhe war ein Fackelmarsch durch die Innenstadt vorgesehen, dessen Wegstrecke wie folgt skizziert war: Auftaktkundgebung Bahnhofsvorplatz, Umzug bis zum Europaplatz, dort Zwischenkundgebung, Rückweg durch die Innenstadt zum Bahnhofsvorplatz, dort Abschlusskundgebung und Auflösung'.

2. Die jeweils zuständige Behörde verbot die Versammlungen in Rastatt und Karlsruhe. Die hiergegen gerichteten Anträge des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche hatten teilweise Erfolg:

a) Bezüglich der in Rastatt geplanten Versammlung stellte das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 29. November 2005 (6 K 2678/05 ) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs mit bestimmten Maßgaben wieder her, die auf die Beschwerde der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens hin durch den Verwaltungsgerichtshof weiter ausgebaut wurden.

b) Hinsichtlich der in Karlsruhe geplanten Versammlung stellte das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 28. November 2005 (3 K 2581/05 ) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs mit der Maßgabe wieder her, dass bestimmte Auflagen einzuhalten seien. Das Gericht entschied, dass dem Interesse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug des Versammlungsverbots verschont zu bleiben, Vorrang gebührt, dass aber die Veranstaltung neben weiteren Auflagen in räumlicher Hinsicht auf den Bahnhofsvorplatz zu beschränken, in zeitlicher Hinsicht auf 14.00 Uhr vorzuverlegen und auf die Tageslichtzeit zu beschränken ist (Auflage Nr. 1), der Antragsteller als Versammlungsleiter ab 13.00 Uhr für die Polizei am Veranstaltungsort ansprechbar sein muss (Auflage Nr. 2 Abs. 2) und um 13.30 Uhr der Polizei die Ordner vorzustellen hat (Auflage Nr. 3 Abs. 5).

Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht unter anderem aus, zu Lasten des Antragstellers sei zu berücksichtigen, dass er die Versammlung nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 14 VersG angemeldet habe. Ein Veranstalter müsse bei der Anmeldung bestimmte Grundmerkmale der Versammlung (Angaben zu Zielen und Gegenstand der Veranstaltung, Ort, Zeitpunkt, Art) angeben. Die Versammlungsbehörde müsse sich anhand solcher Angaben in der versammlungsrechtlichen Anmeldung zum einen ein Bild davon machen können, was für einen möglichst störungsfreien Verlauf der Veranstaltung an Verkehrsregelung und sonstigen Maßnahmen zu veranlassen sei. Sie müsse zum anderen erkennen können, welche Vorkehrungen im Interesse Dritter sowie im Gemeinschaftsinteresse erforderlich seien und wie beides aufeinander abgestimmt werden könne. In der schriftlichen Anmeldung sei die Wegstrecke für den Demonstrationszug nur grob skizziert worden. Damit sei der Ablauf der Demonstration, zumal angesichts des angegebenen Zeitraums von vier Stunden, völlig unzureichend beschrieben gewesen. Der Antragsteller sei sich der unzureichenden Beschreibung auch bewusst gewesen, denn er habe mit der Anmeldung angekündigt, die genaue Wegstrecke baldmöglichst mitzuteilen. Dies sei jedoch unterblieben. Auch habe er nicht die ihm angebotene Möglichkeit eines Kooperationsgesprächs wahrgenommen, bei dem er die von ihm intendierte Wegstrecke hätte konkretisieren können.

Der Antragsteller plane seine Versammlung am 3. Dezember 2005, dem Samstag vor dem 2. Advent, im Innenstadtbereich von Karlsruhe. Große Teile der Innenstadt, darunter auch der vom Antragsteller für seine Kundgebung ins Auge gefasste Europaplatz, seien bereits vom Weihnachtsmarkt belegt. Es sei in der Gegend gerade in den Abendstunden mit vielen Menschen zu rechnen, die ihre Weihnachtseinkäufe erledigen und den Weihnachtsmarkt besuchen wollten. Des weiteren seien mit Blick auf die von dem Antragsteller geplante Veranstaltung bereits Gegendemonstrationen angemeldet, und es sei damit zu rechnen, dass sowohl die vom Antragsteller angemeldete Veranstaltung als auch die Gegendemonstrationen, selbst wenn sie von den Veranstaltern friedlich intendiert seien, auch gewaltbereite Störer anzögen. Im Innenstadtbereich seien angesichts der Veranstaltung des Weihnachtsmarkts und des damit verbundenen Besucherandrangs jedenfalls in der Dunkelheit polizeiliche Maßnahmen zum Schutz der Versammlungsteilnehmer und unbeteiligter Dritter erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Durch die räumliche Beschränkung auf den vom Antragsteller selbst für seine Demonstration ausgewählten Bahnhofsvorplatz und - zusätzlich - eine zeitliche Verlagerung auf die Tageszeit ab 14.00 Uhr sei es der Ordnungsbehörde grundsätzlich möglich, einen störungsfreien Verlauf der Veranstaltung zu sichern.

Auf diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe regte der Antragsteller zunächst eine Abänderung des Beschlusses nach § 80 Abs. 7 VwGO an. Er wies darauf hin, dass die Demonstration in Rastatt um 12.30 Uhr beginnen solle. Wegen der gerichtlichen Auflagen müsse er aber bereits um 13.00 Uhr in Karlsruhe sein, um die Veranstaltung dort durchführen zu können. Damit würde ihm entweder die Möglichkeit genommen, die Demonstration in Rastatt durchzuführen oder die Demonstration in Karlsruhe zu veranstalten. Eine Änderung des Beschlusses vom 28. November 2005 lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. November 2005 (3 K 2739/05 ) ab.

Mit Verfügung vom 28. November 2005 hat die Stadt Karlsruhe die im Gerichtsbeschluss vom selben Tag (3 K 2581/05) als Maßgabe aufgenommenen Auflagen im Wesentlichen wortgleich unter Anordnung des Sofortvollzugs angeordnet. Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der bereits im Beschluss genannten Auflagen lehnte das Verwaltungsgericht am 29. November 2005 ab (3 K 2743/05). Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsteller sich gegen Handlungs- und Unterlassungspflichten wende, die ihm bereits durch das Gericht auferlegt worden seien.

Die daraufhin vom Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. November 2005 erhobene Beschwerde richtete sich gegen die vom Verwaltungsgericht hinsichtlich Zeitpunkt und Ort der Versammlung tenorierten Auflagen. Zur Begründung trug er unter anderem vor: Der vom Gericht erwähnte Umstand, dass der Europlatz am 3. Dezember in den Abendstunden mit einem Weihnachtsmarkt belegt sei, dürfte zwar ein tatsächliches Hindernis für die Durchführung einer Zwischenkundgebung sein; indes sei dies kein Grund, ihm einen Umzug generell zu verwehren. Vielmehr sei die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen, gegebenenfalls einen alternativen Platz für eine Zwischenkundgebung zu benennen. Dass Gegendemonstrationen geplant seien, könne ihm wegen des Erstanmelderprivilegs ohnehin nicht zum Nachteil gereichen. Soweit das Gericht darauf abstelle, dass in der Dunkelheit polizeiliche Maßnahmen zum Schutz von Versammlungsteilehmern und unbeteiligten Dritten erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich seien, sei dieser Aspekt nicht geeignet, auch eine rein stationäre Versammlung auf die Tageslichtzeit zu beschränken.

Die Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 2. Dezember 2005 zurück. Die an diesem Tag bekannt gegebene Entscheidung enthielt keine Gründe. Erst einige Tage später - nach Ablauf des geplanten Tags der Versammlung - begründete der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung.

3. Noch am 2. Dezember 2005 hat der Antragsteller beim Bundesverfassungsgericht beantragt, unter teilweiser Aufhebung der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 28. und 29. November (3 K 2581/05 und 3 K 2743/05) sowie unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Dezember 2005 (1 S 2387/05) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Weise wieder herzustellen, dass die Stadt Karlsruhe verpflichtet werde, die für den 3. Dezember 2005 angemeldete Versammlung unter freiem Himmel mit Aufzug in der Zeit von 17.30 Uhr bis 21.30 Uhr zuzulassen und dem Aufzug eine geeignete Wegstrecke zuzuweisen, beginnend und endend am Bahnhofsvorplatz. Zur Begründung verwies der Antragsteller auf die zeitliche Kollision mit der in Rastatt geplanten Demonstration. Durch die Maßgabe, dass die Versammlung in Karlsruhe um 14.00 Uhr zu beginnen habe und nur während der Tageslichtzeit durchgeführt werden dürfe, sei es unmöglich, beide Veranstaltungen durchzuführen. Erschwerend komme hinzu, dass er, der Antragsteller, auf Grund der Auflagen bereits um 13.00 Uhr in Karlsruhe sein müsse. Überdies stelle es einen schweren Nachteil dar, dass die Versammlung auf eine rein stationäre Versammlung beschränkt bleibe, deren Wirkung geringer sei als die einer Demonstration mit Umzug.

II. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist zur Abwehr schwerer Nachteile für den Antragsteller nicht nach § 32 Abs. 1 BVerfGG geboten.

1. Der Antrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller nicht in einer im Eilverfahren ausreichenden Weise dargelegt hat, dass die Auflage, die Versammlung zur Tageslichtzeit durchzuführen, einen schweren Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG bedeutet. Nach dem Vorbringen in der Antragsschrift ist nicht erkennbar, dass das Demonstrationsanliegen nicht auch zur Tageslichtzeit verfolgt werden kann. Auch das Motto der Demonstration gibt keinen Hinweis darauf, warum das Anliegen nur in der Dunkelheit angemessen wahrgenommen werden kann.

2. Soweit eine mögliche Verfassungsbeschwerde zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre, prüft das Bundesverfassungsgericht, ob einstweiliger Rechtsschutz zur Abwehr eines schweren Nachteils dringend geboten ist. Dafür muss es die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweiligen Anordnung Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 (186) [BVerfG 20.04.1993 - 2 BvQ 14/93] ; stRspr).

a) Der Prüfung eines Antrags nach § 32 Abs. 1 BVerfGG legt das Bundesverfassungsgericht in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidung zu Grunde (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 211 (216) [BVerfG 24.01.1973 - 1 BvR 16/73] ; 36, 37 (40) [BVerfG 31.07.1973 - 2 BvF 1/73] ; siehe auch BVerfGK 3, 97 (99)). Etwas anderes gilt, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGK 3, 97 (99)). Davon ist vorliegend nicht auszugehen.

(1) Maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Überprüfung im Eilverfahren sind die vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 28. November 2005 genannten Gründe auch im Hinblick auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs. Die am 2. Dezember 2005 bekannt gegebene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs enthält keine eigene Begründung. Damit ist bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung davon auszugehen, dass der Verwaltungsgerichtshof das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen hat (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO ). Zwar fehlt der Hinweis darauf, dass das Rechtsmittelgericht die Auffassung der Vorinstanz teilt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 122 Rn 8); dies ist - sofern die Begründung der Vorinstanz nach oben genanntem Maßstab ausreichend ist - indes kein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Folgenabwägung nach § 32 BVerfGG Bedeutung erlangt.

Will das Gericht seine Entscheidung in Fällen, in denen nach § 122 Abs. 2 VwGO eine Begründung nicht obligatorisch ist, eigenständig begründen, muss dies, wenn die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes beim Bundesverfassungsgericht absehbar ist, so frühzeitig geschehen, dass der Antragsteller die Gründe in seinen Antrag einbeziehen und das Bundesverfassungsgericht sie in seiner Entscheidung berücksichtigen kann. In versammlungsrechtlichen Streitigkeiten ist effektiver Rechtsschutz häufig nur im Eilrechtsschutzverfahren zu erreichen (vgl. BVerfGE 69, 315 (341)). Die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG haben die Gerichte interpretationsleitend auch bei ihrer Entscheidung über Erfordernis und Zeitpunkt der Begründung zu berücksichtigen.

(2) Die Tatsachenfeststellungen und -würdigung des Verwaltungsgerichts sind nicht offensichtlich fehlsam.

Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die öffentliche Sicherheit bei Durchführung einer Versammlung im Zentrum der Innenstadt am Samstag vor dem 2. Advent, in dem die betroffenen Plätze und Straßen erfahrungsgemäß dicht bevölkert und jedenfalls durch die Stände des Weihnachtsmarkts besonders unübersichtlich sind, erheblich stärker gefährdet ist als bei Durchführung der Versammlung zur Tageslichtzeit in einer nicht durch den Weihnachtsmarkt belegten Örtlichkeit.

Soweit das Verwaltungsgericht auf Risiken gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern der Demonstration des Antragstellers und der angemeldeten Gegendemonstrationen verweist, ist auch dies nicht offensichtlich fehlsam. Bei der Einschätzung, unter welchen Bedingungen die Polizei zum effektiven Schutz einer Versammlung sowie der an ihr nicht beteiligten Dritten in der Lage ist, sind absehbare Gefahrenquellen einzubeziehen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht unter den angenommenen Umständen angesichts des in der Innenstadt zu erwartenden großen Personenandrangs und der durch den Weihnachtsmarkt bedingten Unübersichtlichkeit eine andernfalls nicht beherrschbare Gefahr gewalttätiger Zusammenstöße zwischen einzelnen Personen bejaht und zu sichern sucht, dass die Lage polizeilich beherrschbar bleibt. Insofern muss es darauf Rücksicht nehmen, unter welchen Voraussetzungen die verfügbaren polizeilichen Kräfte die Gefahrenabwehr effektiv durchführen können (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. März 2001, NJW 2001, S. 1411, 1412) [BVerfG 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01] .

b) Es bedeutet keinen schweren Nachteil für den Antragsteller, dass das Verwaltungsgericht dem Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die vorgesehenen Auflagen Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers gegeben hat, den Aufzug so wie beantragt oder auf einer anderen Wegstrecke durchzuführen.

(1) Insbesondere entsteht ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht daraus, dass die Veränderungen des Zeitpunkts der Demonstration zu einer zeitlichen Kollision mit der ebenfalls vom Antragsteller in Rastatt geplanten Versammlung führt. Eine Folgenabwägung ergibt nicht, dass das Anliegen des Antragstellers, diese Kollision auszuschließen, stärker zu gewichten ist als der Auftrag der Polizei zum Schutz auch anderer betroffenen Rechtsgüter, die aus Anlass der Demonstration gefährdet sind.

Art. 8 GG gewährleistet das Recht, Versammlungen zu veranstalten und durchzuführen. Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Gegenstand, Zeitpunkt und Ort der Versammlung ist beschränkt, soweit seine Ausübung zur Kollision mit Rechtsgütern anderer führt (vgl. BVerfGE 104, 92 (111 f.); BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. März 2001, NJW 2001, S. 1411, 1413 [BVerfG 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01] ; BVerfGK 2, 1 (6)). In einem solchen Fall kann praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz auch dadurch hergestellt werden, dass die Modalitäten der Versammlungsdurchführung durch Auflagen verändert werden. Der Umstand, dass der Antragsteller infolge der Auflagen nur entweder die eine oder die andere Versammlung durchführen kann, ändert nichts an der vom Verwaltungsgericht angestellten Gefahrenprognose für die in Karlsruhe geplante Veranstaltung.

Dass der Veranstalter in zeitlicher Nähe auch anderorts eine Veranstaltung zu einem anderen Thema durchführen will, ist Gegenstand seiner eigenen Entscheidung. Dem Antragsteller hätten Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, der entstandenen zeitlichen Kollision bei der Durchführung beider Veranstaltungen entgegen zu wirken. Abgesehen davon, dass der enge Zeitplan - Beginn der Veranstaltung in Rastatt um 12.30 Uhr für die Dauer von vier Stunden und Beginn der Veranstaltung in Karlsruhe um 17.30 Uhr - bereits das Risiko von Schwierigkeiten bei der Durchführung in sich barg, hätte der Antragsteller - nachdem das Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz nur für die Versammlung zur Tageslichtzeit gewährte - die Anmeldung bei der Stadt Rastatt dahingehend ändern können, dass die dortige Veranstaltung zu einem früheren Zeitpunkt stattfindet. Die Veranstaltungsmotti beider Versammlungen lassen nicht darauf schließen, dass das Abhalten der Veranstaltungen gerade an diesem Tag sowie in Rastatt erst ab 12.30 Uhr zur Erfüllung der Anliegen des Antragstellers unabdingbar ist.

(2) Auch die Auflage, nach der die Veranstaltung nur ortsfest am Bahnhofsvorplatz durchgeführt werden darf, bedeutet keinen schweren Nachteil für den Antragsteller.

Dahinstehen kann dabei, ob das Verwaltungsgericht annehmen durfte, dass der Antragsteller die Veranstaltung durch die bloße Benennung von Anfangs-, Wende- und Endpunkt der Wegstrecke nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 14 VersG angemeldet hat. Unstreitig führt die vom Antragsteller in groben Zügen angemeldete Wegstrecke über den Weihnachtsmarkt am Europaplatz und es werden bei einem Zu- und Abgang zu diesem Platz unweigerlich weitere stark von Weihnachtseinkäufern frequentierte Straßen benutzt, einerlei welche Strecke konkret gewählt wird. Offensichtlich will der Antragsteller auf diese Weise die durch die Weihnachtseinkäufe am Samstag vor dem 2. Advent geprägte Situation der Zusammenballung besonders vieler Personen und die bei einem Aufzug durch die Einkaufsgegend zu erwartenden Behinderungen der Besucher dieser Straßen und Plätze als Mittel zur Steigerung der Aufmerksamkeit für sein Demonstrationsanliegen nutzen. Dieses hat allerdings keinen thematischen Bezug zu Weihnachten oder dem zu Weihnachten üblichen Konsumverhalten. Der Antragsteller hat die für den Aufzug vorgesehene Örtlichkeit nicht aus inhaltlichen Gründen seines Demonstrationsanliegens gewählt, so dass durch einen Wechsel des Ortes insoweit kein schwerer Nachteil entstehen kann.

Seine Absicht, die Wirkung der Versammlung zu steigern, will er auf eine Weise sichern, die unweigerlich zu Beeinträchtigungen der ebenfalls grundrechtlich, insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Entfaltungsmöglichkeiten der Passanten sowie der Inhaber der Läden und Buden führt. Die Verwaltungsbehörde und die Gerichte haben auch diese Grundrechte in ihre Folgenabwägung einzubeziehen und nach Wegen zu suchen, um die Beeinträchtigung für alle Betroffenen möglichst gering zu halten. Ein geeignetes Mittel kann die Verlegung der Versammlung in örtlicher Hinsicht und unter besonderen Umständen auch ihre Begrenzung auf eine stationäre Veranstaltung sein. Ob diese besonderen Umstände hier einen Aufzug ausschlossen oder dem Antragsteller - wie er meint - eine andere Wegstrecke hätte zugewiesen werden müssen, müsste gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Einen schweren Nachteil bedeutet die vom Verwaltungsgericht vorgesehene Auflage jedenfalls nicht. Es ist vom Antragsteller nicht dargetan, dass bei Zuweisung einer anderen, nicht durch die Innenstadt führenden Wegstrecke eine so erhebliche Steigerung der Wirkungsmöglichkeiten der Versammlung hätte erreicht werden können, dass die im Interesse des Rechtsgüterschutzes anderer vorgenommene Begrenzung auf eine ortsfeste Versammlung an dem ebenfalls belebten Bahnhofsvorplatz einen schweren Nachteil darstellt.

3. Über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 29. November 2005, die der zweiten Verfügung der Ordnungsbehörde vom 28. November 2005 gilt, ist nicht zu entscheiden. Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof durch seinen - vom Antragsteller nicht vorgelegten - Beschluss vom 2. Dezember 2005 (1 S 2389/05) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder hergestellt. Die erst später erfolgte Begründung ergibt, dass damit für den Antragsteller allerdings nicht die Möglichkeit eröffnet wurde, die Versammlung ohne Auflagen durchzuführen. Vielmehr führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass es der Verwaltungsbehörde nicht gestattet gewesen sei, die gerichtlichen Auflagen - erneut - in Form eines belastenden und selbständig anfechtbaren Verwaltungsakts zu erlassen. Ob dies zutreffend ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Jedenfalls ist mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die zweite Verfügung der Ordnungsbehörde ein Rechtsschutzbedürfnis für verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutz gegen den zu Grunde liegenden Beschluss des Verwaltungsgerichts entfallen. ..." (BVerfG, Beschluss vom 02.12.2005 - 1 BvQ 35/05)

***

Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin (Holocaust-Mahnmal) durch § 15 II 2 VersG als ein Ort bestimmt worden ist, an dem ein Aufzug unter den Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 verboten oder von Auflage abhängig gemacht werden kann, darunter auch der Auflage, den Aufzug nicht am Denkmal vorbeizuführen. Die Annahme von Behörde und Gerichten, der von den "Jungen Nationaldemokraten" - einer Jugendorganisation der NPD - für den 8.5.2005 unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" geplante Aufzug entlang dem Berliner Holocaust-Mahnmal lasse besorgen, dass die Würde der jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft beeinträchtigt werde, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der aus Gründen der staatlichen Neutralität grundsätzlich zu beachtende Vorrang für den Erstanmelder einer Versammlung kann vernachlässigt werden, wenn wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszweckes, für eine andere Vorgehensweise sprechen. Der Prioritätsgrundsatz wird aber maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern. Die zeitlich nachrangig angemeldete Versammlung hat allerdings nicht schon deshalb zurückzutreten, weil die geplante Versammlung des Erstanmelders einen Anstoß zur Durchführung der später angemeldeten Versammlung gegeben hat (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2005 - 1 BvR 961/05).

Versammlung i. S. des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit durch aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden. Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob die Versammlung nach § 14 VersG hätte angemeldet werden müssen. Versammlungsrechtliche Vorschriften über die Anmeldepflicht nach § 14 VersG sind auf die Spontanversammlung nicht anwendbar, soweit der mit der Spontanveranstaltung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschrift nicht erreicht werden könnte. Gegenüber einem Versammlungsteilnehmer kommt erst nach Auflösung der Versammlung gem. § 15 II VersG oder nach versammlungsrechtlich begründetem Ausschluss aus der Versammlung ein Platzverweis nach Polizeirecht in Betracht, an den sich eine Ingewahrsamnahme anschließen kann (BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01).

Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird nicht allein dadurch insgesamt zu einer Versammlung i.S. des Art. 8 GG, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen. Es begegnet deshalb keinen verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken, die so genannte "Fuckparade" und die so genannte "Love Parade" in Berlin nicht als Versammlung einzuordnen (BVerfG, Beschluss vom 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 30/01, NJW 2001, 2459).

§ 14 VersG ist im Blick auf Art. 8 GG verfassungskonform dahin auszulegen, daß Eilversammlungen anzumelden sind, sobald die Möglichkeit dazu besteht. § 26 Nr. 2 VersG genügt auch für Eilversammlungen den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 II 2 GG; BVerfG, Entscheidung vom 23.10.1991 - 1 BvR 850/88, NJW 1992, 890).

Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufener Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Zur verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15). Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Steht nicht zu befürchten, daß eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstrebt oder zumindest billigen, bleibt für die friedliche Teilnahme der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlaß grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten. Die Verwaltungsgerichte haben schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt (BVerfG, Entscheidung vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a., NJW 1985, 2395).

*** (BVerwG)

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG schließt nicht von vornherein eine Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen nach den Vorschriften des Straßen- und Wegerechts aus (wie Urteil vom 6. September 1988 - BVerwG 1 C 71.86 -). Der Leiter einer Versammlung als solcher gehört nicht zu dem Personenkreis, der nach allgemeinen Grundsätzen zur Straßenreinigung herangezogen werden darf (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988 - 1 C 15/86):

... 2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es an einer Rechtsgrundlage zur Inanspruchnahme des Beklagten für die Kosten der Sonderstraßenreinigung. Das Berufungsgericht leitet die Kostenerstattungspflicht aus § 44 des baden-württembergischen Straßengesetzes in der damals geltenden Fassung vom 20. März 1964 (GBl. S. 127), geändert durch Gesetz vom 21. Juni 1977 (GBl. S. 227) - StrG - ab. Nach dieser Bestimmung hat, wer eine Straße über das übliche Maß hinaus verunreinigt, die Verunreinigung ohne Aufforderung unverzüglich zu beseitigen (Satz 1); werden entgegen dieser Bestimmung oder entgegen den Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung Gegenstände oder Verunreinigungen von dem hierfür Verantwortlichen nicht unverzüglich beseitigt oder ist dieser zu einer alsbaldigen Beseitigung nicht in der Lage, so kann unter anderem die Straßenbaubehörde die Gegenstände auf Kosten des Verantwortlichen beseitigen oder beseitigen lassen (Satz 2).

a) Nach der insoweit für das Revisionsgericht bindenden rechtlichen Würdigung des Landesrechts durch das Berufungsgericht (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO) setzt die Kostenerstattungspflicht nach § 44 Satz 2 StrG eine Verletzung der Reinigungspflicht nach § 44 Satz 1 StrG oder eine hier nicht festgestellte Verkehrsbeeinträchtigung i.S. des § 32 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung voraus. Ob eine derartige Reinigungspflicht dem Beklagten als Versammlungsleiter obliegt, läßt das Berufungsgericht offen.

b) Zu Unrecht leitet das Berufungsgericht eine Reinigungspflicht des Beklagten aus dem nicht angefochtenen und daher bestandskräftigen Bescheid der Klägerin vom 4. November 1977 ab, der die Auflage enthielt, daß für die Beseitigung weggeworfener Flugblätter zu sorgen sei. Die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach dieser Bescheid die Reinigungspflicht auf der Grundlage des § 44 StrG auf die Person des Beklagten konkretisiert habe, hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht beachtet nicht die - revisible - Auslegungsregel, daß es auf den Erklärungsinhalt des Verwaltungsaktes, wie der Adressat ihn bei objektiver Würdigung verstehen durfte, ankommt und daß Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen (vgl. z.B. BVerwGE 60, 223 (228 f.)).

Es mag schon zweifelhaft sein, ob, worauf der Oberbundesanwalt hinweist, die Auflage den Beklagten, das Zentrale Aktionskomitee der Baden-Württembergischen Studentenschaften als den Veranstalter oder die hinter diesem Komitee stehenden Organisationen der GEW und des VDS verpflichtete, von denen die Klägerin zunächst die Kostenerstattung verlangte, und ob sie sich über die Beseitigung weggeworfener Flugblätter hinaus auch auf die Reinigung der Straßen von sonstigem Müll erstreckte, den die Klägerin bei der Sonderreinigung ebenfalls entfernen ließ. Jedenfalls wurde im Bescheid die Beseitigungspflicht nicht auf der Grundlage des § 44 StrG festgelegt. Vielmehr wird der Bescheid bezüglich dieser Auflage ausdrücklich nur auf die bundesrechtliche Vorschrift des § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG -, nicht darüber hinaus auf Vorschriften des Landesstraßenrechts gestützt. Auch der Zusammenhang mit den übrigen im Bescheid gemachten Auflagen ergibt, daß hier dem Beklagten als Versammlungsleiter lediglich versammlungsrechtliche Auflagen erteilt werden sollten. So wurde ihm aufgegeben, für den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung entsprechend der Anmeldung über ihren zeitlichen und räumlichen Verlauf zu sorgen, die 200 vorgesehenen Ordner anzuhalten, gegen Störungen in angemessener Form einzuschreiten, den Teilnehmern den Schluß der Veranstaltung bekanntzugeben und sie dann aufzufordern, sich zu zerstreuen und die Veranstaltung (vorzeitig) für beendet zu erklären, wenn er als verantwortlicher Leiter sich nicht durchzusetzen vermöge. Nach seinem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers, konnte der Bescheid nur dahin verstanden werden, daß er allenfalls eine versammlungsrechtliche Pflicht zur Beseitigung weggeworfener Flugblätter, nicht jedoch eine straßen- oder straßenverkehrsrechtliche Pflicht zur Reinigung einer über das übliche Maß hinausreichenden Straßenverunreinigung begründete. Damit entfällt aber eine aus der Auflage der Klägerin in Verbindung mit § 44 Satz 1 StrG hergeleitete Kostenhaftung des Beklagten nach § 44 Satz 2 StrG.

3. Eine derartige Haftung ergibt sich auch nicht aus anderen Erwägungen, die das Berufungsurteil als im Ergebnis richtig darstellen und die Zurückweisung der Revision nach § 144 Abs. 4 VwGO rechtfertigen würden. Weder läßt sich eine Reinigungspflicht des Beklagten unmittelbar aus den Vorschriften des Straßen- und des Straßenverkehrsrechts herleiten noch schließt die unanfechtbare Auflage im Bescheid der Klägerin vom 4. November 1977 eine Verantwortung des Beklagten für die Kosten der Straßenreinigung ein.

a) Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, ob zu dem nach § 44 Satz 1 StrG für die Straßenreinigung verantwortlichen Personenkreis neben dem Veranstalter und dem Verteiler von Flugblättern auch der Beklagte als Versammlungsleiter gehört. Dies ermöglicht es dem Revisionsgericht, insoweit bei seiner Sachentscheidung auch nicht-revisibles Landesrecht anzuwenden (BVerwGE 19, 204 (211 f.); 57, 130 (143); 61, 15 (23)). Eine Reinigungspflicht des Beklagten nach § 44 Satz 1 StrG und im Falle einer Verkehrsbeeinträchtigung darüber hinaus nach § 32 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung besteht nicht.

Dies ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten freilich noch nicht daraus, daß dieser mit der Veranstaltung der Kundgebung von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht hat. Die Straßenreinigungs- und Kostenerstattungspflicht stellt das Recht zur Durchführung einer Versammlung als solches nicht in Frage und tangiert insoweit die Versammlungsfreiheit nicht. Sie kann auch nicht mit der Erwägung in Zweifel gezogen werden, die Sauberhaltung der Straßen sei dem hohen Rechtsgut der Demonstrationsfreiheit nicht gleichwertig; denn nach Durchführung der Versammlung ist für eine Güterabwägung zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und Belangen des Straßen- und Wegerechts kein Raum mehr. Auch die Furcht vor nicht absehbaren Kostenfolgen schließt von Verfassungs wegen nicht von vornherein eine straßenrechtliche Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht aus, wie der Senat mit Urteil vom gleichen Tage in der Sache BVerwG 1 C 71.86 für den Veranstalter einer Versammlung im einzelnen ausgeführt hat.

Indes scheitert eine Inanspruchnahme des Beklagten daran, daß er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht selbst Flugblätter verteilte oder verteilen ließ. Er gehört nicht etwa schon wegen seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter zu dem Personenkreis, der nach den Grundsätzen der polizeirechtlichen Handlungshaftung, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts insoweit maßgebend sind, als unmittelbarer Handlungsstörer oder als Zweckveranlasser zur Straßenreinigung herangezogen werden darf. Es bestehen bereits Zweifel, ob und unter welchen Voraussetzungen der Veranstalter einer Versammlung als solcher für versammlungsbedingte Straßenverunreinigungen verantwortlich ist (vgl. Urteil des Senats a.a.O.). Für den Versammlungsleiter ist eine solche Verantwortlichkeit zu verneinen. Die bloße Tätigkeit als Versammlungsleiter steht in keinem Zusammenhang mit der Straßenverunreinigung. Für eine Verantwortlichkeit durch Unterlassen fehlt es an einer ihm obliegenden öffentlich- rechtlichen Handlungspflicht zur Beseitigung der Straßenverschmutzung. Der Versammlungsleiter ist eine spezifische Einrichtung des Versammlungsrechts, dessen Funktionen zeitlich auf die Dauer der Versammlung, personell auf die Versammlungsteilnehmer und sachlich auf die Versammlungsleitung begrenzt sind. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§§ 8 Satz 2, 18 Abs. 1 VersG), wobei Ordnung im Sinne dieser Vorschrift auf den Ablauf der Versammlung bezogen ist und nicht mit dem weiterreichenden Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne des Polizeirechts gleichgesetzt werden darf (Dietel-Gintzel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 8. Aufl. 1985, § 8 VersG Rdnr. 14). Der Versammlungsleiter kann sich zur Erfüllung seiner Pflichten nach dem Versammlungsgesetz der Hilfe von genehmigten Ordnern bedienen (§§ 9 Abs. 1, 18 Abs. 1 VersG) und an die Versammlungsteilnehmer Anweisungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung richten (§§ 10, 18 Abs. 1 VersG), deren Nichtbefolgung zum Ausschluß der Versammlungsteilnehmer durch die Polizei (§ 18 Abs. 3 VersG), letztlich zur Schließung der Versammlung durch den Versammlungsleiter führen kann (§§ 8 Satz 3, 18 Abs. 1 VersG; im wesentlichen ebenso für Aufzüge § 19 VersG). Weitere Befugnisse stehen dem Leiter einer Versammlung nicht zu. Damit sind auch seine Pflichten begrenzt. Sie schließen nicht die Pflicht zur Reinigung der Straßen von weggeworfenen Flugblättern oder gar von jeglichem Müll und Abfall ein, der die Straße übermäßig verunreinigt.

b) Aus dem Bescheid der Klägerin vom 4. November 1977 läßt sich ebenfalls keine Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der Straßenreinigungskosten ableiten. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 15 Abs. 1 des VersG, wonach die zuständige Behörde bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen darf, auch die Befugnis einschließt, dem Versammlungsleiter die Beseitigung weggeworfener Flugblätter nach Durchführung der Versammlung aufzuerlegen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß eine derartige Verpflichtung des Beklagten durch den Bescheid vom 4. November 1977 begründet worden ist und infolge seiner Bestandskraft nicht mehr in Frage gestellt werden kann, folgt daraus noch nicht die hier allein in Rede stehende Kostenerstattungspflicht des Beklagten. Denn eine diesbezügliche Anordnung enthält der Bescheid nicht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin schließt die durch eine versammlungsrechtliche Auflage begründete Reinigungspflicht auch nicht die Befugnis der Behörde ein, der Auflage durch das Zwangsmittel der Ersatzvornahme und der damit verbundenen Kostenlast Nachdruck zu verleihen. Denn das Versammlungsgesetz sieht bei Nichtbefolgung versammlungsrechtlicher Auflagen abschließend eigene Sanktionen vor: Der Versammlungsleiter verwirkt nach § 25 Nr. 2 VersG eine Freiheits- oder Geldstrafe, wenn er einer ihm erteilten Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht nachkommt. Darüber hinaus kann bei Zuwiderhandeln oder Nichtbeachtung von Auflagen die zuständige Behörde - unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - die Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG auflösen. Demgegenüber ist im Versammlungsgesetz nicht vorgesehen, daß die Behörde dem Versammlungsleiter die Reinigungskosten auferlegen darf, wenn sie die dem Versammlungsleiter erteilte Auflage zur Reinigung der Straße durchsetzt, indem sie mit eigenen Kräften die Straße reinigt.

Scheidet eine Inanspruchnahme des Beklagten für die Kosten der Straßenreinigung aus, kommt es nicht mehr darauf an, ob im vorliegenden Fall eine über das übliche Maß hinausreichende Straßenverunreinigung eingetreten ist, was der Beklagte in Abrede stellt, und ob seine in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge unzureichender Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO durchgreift. ..."

***

Straßen- und wegerechtliche Vorschriften des Bundes und der Länder über die Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen werden durch das Versammlungsgesetz auch dann nicht verdrängt, wenn die Straßenverunreinigung die Folge der Veranstaltung einer Versammlung ist. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG schließt nicht von vornherein die Inanspruchnahme des Veranstalters einer Versammlung für die durch die Versammlung eingetretene Straßenverunreinigung aus; ob der Veranstalter als solcher nach allgemeinen Grundsätzen in Anspruch genommen werden kann, bleibt offen. Zu den Anforderungen an eine unverzügliche Beseitigung einer über das übliche Maß hinausreichenden Straßenverunreinigung (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988 - 1 C 71/86):

... Der Kläger meldete Anfang November 1982 beim Beklagten für Sonnabend, den 4. Dezember 1982, eine Demonstration gegen die Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes an. Die erwarteten 40 - 50 000 Teilnehmer sollten sich an zwei Sammelplätzen in Bonn zu einer Auftaktkundgebung treffen und in getrennten Demonstrationszügen zum Hofgarten ziehen, wo eine Abschlußkundgebung vorgesehen war. Der Polizeipräsident der Stadt Bonn gab dem Kläger am 29. November 1982 u. a. den Hinweis, daß "an den Aufstellplätzen und am Kundgebungsort Toilettenwagen und Müllcontainer in ausreichender Zahl bereitzustellen" seien. Dementsprechend verfuhr der Kläger. Die Demonstration fand wie vorgesehen statt. Die Teilnehmer zogen ab 14.00 Uhr auf den vorgesehenen Zugwegen, darunter der als Bundesstraße 56 ausgewiesenen Kennedy-Brücke über den Rhein zum Hofgarten, wo die Abschlußkundgebung von 16.00 bis 18.00 Uhr stattfand. Bereits während der Veranstaltung säuberte das Straßenreinigungsamt der Stadt Bonn ab 14.30 Uhr die mit weggeworfenen, nicht vom Kläger herrührenden Flugblättern, Getränkedosen und Pappabfällen förmlich übersäten Sammelplätze und Zugwege; die Reinigungsaktion wurde um 21.00 Uhr abgeschlossen. Zuvor war entsprechend einer seit der zweiten Jahreshälfte 1982 eingeführten Verwaltungspraxis bereits bei zwei Großdemonstrationen eine derartige Sonderreinigung durchgeführt worden. Mit Bescheid vom 10. Juni 1983 forderte der Beklagte den Kläger auf, ihm die durch die Straßenreinigung entstandenen Kosten in Höhe von 3 673,80 DM zu erstatten. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.

Der Kläger hat daraufhin Klage gegen den Kosten- sowie den Widerspruchsbescheid erhoben, der das Verwaltungsgericht stattgegeben hat. Auf Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht dieses Urteil mit im wesentlichen folgender Begründung bestätigt: Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid sei, soweit Teilabschnitte der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 56 gereinigt worden seien, § 7 Abs. 3 Bundesfernstraßengesetz, im übrigen der dieser Vorschrift nachgebildete § 17 des Landesstraßen- und Wegegesetzes von Nordrhein-Westfalen. Nach der Veranstaltung seien, gemessen an dem üblichen Zustand großstädtischer Straßen, die durch den Demonstrationszug berührten Straßen und Sammelplätze über das übliche Maß hinaus verschmutzt gewesen. Da diese Straßen nicht unverzüglich nach Passieren des Demonstrationszuges gereinigt worden seien, habe die Stadt Bonn ohne besondere Aufforderung die Straßen reinigen und gegen den Verunreiniger einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen dürfen. Der Kläger sei jedoch nicht Schuldner dieses Anspruchs. Mangels ausdrücklicher Regelung in den genannten Bestimmungen beurteile sich die Verantwortung für die Verunreinigung der Straßen nach den polizeirechtlichen Begriffen der unmittelbaren Verursachung sowie der Zweckveranlassung. Hier sei die Verschmutzung nicht direkt durch Handlungen des Klägers, etwa das Verteilen von Flugblättern oder die Ausgabe von Verpflegung, eingetreten, sondern sei unmittelbare Folge des selbständigen Handelns dritter Personen. Der Kläger sei auch nicht Zweckveranlasser, weil eine bewertende Beurteilung seiner Verhaltensweise unter Berücksichtigung ihres Grundrechtscharakters ergebe, daß der Veranstalter einer Demonstration für derartige Handlungsfolgen Dritter nicht die Verantwortung trage. Der Veranstalter habe zwar organisatorische Maßnahmen zu treffen, um für einen ordnungsgemäßen Verlauf der Veranstaltung zu sorgen und die Beeinträchtigung von Drittinteressen zu minimalisieren. Er habe jedoch ebensowenig wie der Versammlungsleiter die Möglichkeit, Anweisungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung zwangsweise durchzusetzen. Dieses Recht stehe nur der Polizei zu. Anders als ein Gewerbetreibender könne der Veranstalter die durch eine besondere Straßenreinigung entstehenden Kosten nicht auf die Demonstrationsteilnehmer abwälzen. Er könne auch nicht deren disziplinloses Verhalten steuern. Ein derartiges Verhalten möge zwar heutzutage häufig zu beobachten sein, sei jedoch nicht das eigentliche Ziel der Demonstration, sondern ebenso ein Exzeß der Teilnehmer wie Steinwürfe oder die Ausübung von Gewalttätigkeiten. Eine kostenmäßige Belastung des Veranstalters für derartige Exzeßhandlungen Dritter würde zu einer übermäßigen Einschränkung und Aushöhlung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit führen. Dieses stünde nur noch solchen Personen zu, die genügend finanzielle Mittel besäßen, um derartige letztlich nicht im voraus sicher zu kalkulierende Haftungskosten übernehmen zu können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er geltend macht, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gebiete nicht, den Kläger von seinen Pflichten nach dem Straßenrecht freizustellen. Mit der Anforderung der Straßenreinigungskosten werde das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch nicht ausgehöhlt. Diese Kosten hielten sich im Vergleich zu sonstigen Vorbereitungs- und Durchführungskosten einer Versammlung in einem vertretbaren Umfang. Niemand werde wegen dieser Kosten von der Durchführung einer Versammlung Abstand nehmen. Der Veranstalter könne zudem durch Hilfskräfte selbst die Straßenverunreinigung beseitigen.

In seiner Revisionserwiderung meint der Kläger, ein Verhalten, das sich auf der Grundlage und im Rahmen einer Grundrechtsausübung nach Art. 8 GG bewege, scheide als Anknüpfungspunkt polizeirechtlicher Haftung aus. Anderenfalls gelange man zu einer Gefährdungshaftung des Veranstalters für das Fremdverhalten der Teilnehmer einer erlaubten Demonstration und sogar unbeteiligter Dritter, die den Teilnehmern Speisen und Getränke verkauft hätten. Es könne ihm nicht zugemutet werden, eine erhebliche Anzahl von Reinigungskräften in Bereitschaft zu halten, ohne zu wissen, ob diese auch benötigt würden.

Der Oberbundesanwalt trägt vor, der Kläger sei nicht unmittelbarer Verursacher der Straßenverunreinigung, die vielmehr durch Demonstrationsteilnehmer und Zuschauer eingetreten sei. Als Zweckveranlasser könne der Kläger zu den Kosten herangezogen werden, wenn ihm wegen eines engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhangs die Gefahrenverursachung zuzurechnen sei. Zwar habe der Kläger die Verunreinigung nicht beabsichtigt, jedoch möglicherweise billigend in Kauf genommen oder objektiv veranlaßt. Die objektive Veranlassung sei weniger ein Kausalitäts-, sondern ein Wertungsproblem, ob unter Berücksichtigung aller Umstände Handlung und Erfolg eine natürliche Einheit bildeten. Die wertende Beurteilung habe sich an den in der gesamten Rechtsordnung manifestierten Maßstäben und nicht nur an polizeirechtlichen Gesichtspunkten auszurichten. Grundrechten komme hierbei ein besonderes Gewicht zu, im vorliegenden Fall dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Es erscheine zweifelhaft, ob durch eine angemessen begrenzte und folglich verhältnismäßige Kostentragungspflicht in die Versammlungsfreiheit eingegriffen oder diese ausgehöhlt würde, zumal der Veranstalter die Kosten durch eine Straßenreinigung mit eigenen Hilfskräften vermeiden könne. ...

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt zwar Bundesrecht, erweist sich aber im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

1. Das Berufungsurteil geht zu Recht davon aus, daß die dem Kostenbescheid zugrundeliegenden Vorschriften des Straßen- und Wegerechts nicht durch das Versammlungsgesetz in der Fassung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1790) verdrängt werden. Das Versammlungsgesetz regelt die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Versammlungen und Aufzügen und läßt unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen Beschränkungen und Eingriffe in die Versammlungsfreiheit wie Auflagen, Verbote und Auflösungen zu. Insoweit unterliegen Versammlungen und Aufzüge keinen weitergehenden Beschränkungen und Eingriffen. Diese Ausschlußwirkung des Versammlungsgesetzes bezieht sich aber nur auf gezielte Eingriffe in das Versammlungsrecht. Allgemeine Bestimmungen, z.B. bau-, feuer- oder gesundheitspolizeilicher Art werden durch das Versammlungsgesetz nicht berührt. Straßen- und wegerechtliche Vorschriften über die Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei verschmutzten Straßen betreffen nicht die Durchführung einer Versammlung, sondern die Beseitigung von deren Folgen und werden daher durch das Versammlungsgesetz ebenfalls nicht verdrängt.

Einschlägige Rechtsgrundlage ist im vorliegenden Fall, soweit der Demonstrationszug des Klägers sich über die Ortsdurchfahrt der Bundesfernstraße 56 in Bonn bewegte, § 7 Abs. 3 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Bundesfernstraßengesetzes in der Fassung vom 1. Oktober 1974 (BGBl. I S. 2413) - FStrG -. Der im übrigen anwendbare nichtrevisible § 17 des Landesstraßen- und Wegegesetzes von Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 1. August 1983 (GV NW S. 306) - StrWG - ist, wie das Berufungsgericht aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung abgeleitet hat, § 7 Abs. 3 FStrG nachgebildet und stimmt mit diesem inhaltlich überein, so daß die Rechtslage für alle vom Demonstrationszug berührten Straßen und Plätze einheitlich zu beurteilen ist.

Nach §§ 7 Abs. 3 FStrG, 17 StrWG hat jeder, der eine ( Bundesfern- )Straße über das übliche Maß hinaus verunreinigt, die Verunreinigung ohne Aufforderung unverzüglich zu beseitigen; anderenfalls kann die Straßenbaubehörde bzw. der Träger der Straßenbaulast die Verunreinigung auf seine Kosten beseitigen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren die Straßen und Sammelplätze nach Durchführung der Demonstration mit Handzetteln, Büchsen und Papierabfällen förmlich übersät. Damit war eine über das übliche Maß hinausreichende Verunreinigung der Straße eingetreten, da ein derartiger Verschmutzungsgrad nicht mehr dem üblichen Zustand einer großstädtischen Straße entsprach. Selbst wenn Art. 8 Abs. 1 GG das Recht zur Verteilung von Handzetteln und zur Verpflegung vor allem der von weitem angereisten Demonstrationsteilnehmer einschließen sollte, würde dies an dem Ergebnis einer über das übliche Maß hinausreichenden Verunreinigung der Straßen nichts ändern. Ob die Verunreinigung aus Anlaß des Gemeingebrauchs der Straße (§ 7 Abs. 3 FStrG) eingetreten ist (s. hierzu BVerwGE 56, 63 (65)), bedarf keiner abschließenden Klärung, weil der Kläger zur Erstattung der Straßenreinigungskosten jedenfalls aus anderen Gründen nicht verpflichtet ist.

2. Nach der - auf einer wertenden Beurteilung der Verhaltensweise des Klägers unter Berücksichtigung ihres Grundrechtscharakters beruhenden - Auffassung des Berufungsgerichts ist der Kläger nicht Schuldner des Kostenerstattungsanspruchs, weil er während der Veranstaltung durch eigene Organe und Verrichtungsgehilfen weder Abfälle weggeworfen noch Verpflegung oder Flugblätter verteilt habe und allein als Veranstalter einer Demonstration für Handlungsfolgen Dritter nicht die Verantwortung trage. Die Erwägungen des Berufungsgerichts hierzu sind insoweit nicht frei von Rechtsirrtum, als es allein aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG eine Freistellung des Veranstalters einer Demonstration von der Kostenlast für die Straßenreinigung ableitet. Auch wenn das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG das Recht auf Veranstaltung einer Versammlung einschließt und ihm vor allem für einzelne Bürger sowie für kleine und finanzschwache Verbände eine besondere Bedeutung zukommt (s. BVerfGE 69, 315 (342, 345 f.)), scheidet der Veranstalter einer Demonstration nicht von vornherein von Verfassungs wegen als haftender Verursacher einer durch die Demonstration eingetretenen Straßenverunreinigung aus.

Die Straßenreinigungs- und Kostenerstattungspflicht stellt das Recht zur Durchführung einer Versammlung als solches nicht in Frage und tangiert insoweit die Versammlungsfreiheit nicht. Die materielle Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht des Veranstalters nach dem Straßenrecht kann daher nicht mit der Erwägung in Zweifel gezogen werden, die Sauberhaltung der Straßen sei dem hohen Rechtsgut der Demonstrationsfreiheit nicht gleichwertig; denn nach Durchführung der Versammlung ist für eine Güterabwägung zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und Belangen des Straßen- und Wegerechts kein Raum mehr.

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG schließt eine Verantwortung des Veranstalters für die Verunreinigung der Straße auch nicht aus dem für das Berufungsgericht wesentlichen Gesichtspunkt von vornherein aus, daß sich der Veranstalter einem nicht kalkulierbaren und nicht abwälzbaren Kostenrisiko gegenübersehe, wenn ihm die Kosten für die Straßenreinigung aufgebürdet würden. Insoweit besteht zwar ein Unterschied zum einzelnen Versammlungsteilnehmer, der eine Straßenverschmutzung durch ihn selbst vermeiden oder ohne großen Aufwand beseitigen und das auf ihn zukommende Kostenrisiko, etwa eines Bußgeldbescheides, abschätzen kann. Jedoch scheidet ungeachtet des Charakters von Demonstrationen als grundsätzlich staatsfreie unreglementierte Beiträge zur politischen Meinungs- und Willensbildung sowie ungeachtet der Selbstbestimmung des Veranstalters über Art und Inhalt der Demonstration eine Verursachermitverantwortung des Veranstalters für die Auswirkungen der Demonstration (BVerfGE 69, 315 (356 f.)) auch nach den allgemeinen Vorschriften des Straßen- und Wegerechts nicht schon wegen der Unvorhersehbarkeit einer etwaigen Straßenverunreinigung und der zu ihrer Beseitigung anfallenden Kosten von Verfassungs wegen ohne weiteres aus.

Daraus folgt indes nicht, daß der Veranstalter einer Demonstration stets für eine damit zusammenhängende Verunreinigung der Straße verantwortlich ist. Diese Frage beurteilt sich danach, ob er nach allgemeinen Grundsätzen die Verunreinigung der Straße unmittelbar verursacht hat. Die Annahme einer unmittelbaren Verursachung in diesem Sinne liegt nahe, wenn der Veranstalter einer Demonstration die Demonstrationsteilnehmer mit Speisen und Getränken verpflegen und Flugblätter verteilen läßt. Zweifelhaft ist, ob und inwieweit schon das bloße Veranstalten einer Versammlung die Haftung des Veranstalters für versammlungsbedingte Straßenverunreinigungen auslöst. Diese Fragen können im vorliegenden Fall unentschieden bleiben. Nach den hier gegebenen besonderen Umständen durfte der Veranstalter aus den folgenden Gründen nicht zur Erstattung der Kosten der Straßenreinigung herangezogen werden.

3. Die Kostenerstattungspflicht nach §§ 7 Abs. 3 FStrG, 17 StrWG setzt voraus, daß der Schuldner seiner - primären - Pflicht, die Verunreinigung der Straße unverzüglich zu beseitigen, nicht nachgekommen ist. Wer diese Pflicht nicht verletzt hat, ist danach nicht zur Erstattung der Kosten der Straßenreinigung verpflichtet. Hier hat der Kläger, auch wenn er die Straßen über das übliche Maß hinaus verunreinigt haben und zur Beseitigung verpflichtet gewesen sein sollte, jedenfalls die Pflicht zur unverzüglichen Reinigung nicht verletzt.

"Unverzüglich" im Sinne der genannten straßenrechtlichen Vorschriften heißt ohne schuldhaftes Zögern (Marschall-Schroeter- Kersten, Komm. 4. Aufl. 1977 § 7 FStrG Rdn. 8.3; Kodal- Krämer, Straßenrecht, 4. Aufl. 1985, S. 504 f. Rdn. 39; ebenso zu § 17 StrWG: Walprecht-Cosson, Straßen- und Wegerecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1986 § 17 StrWG Rdn. 161; zu dem insoweit gleichlautenden Art. 16 Bay.StrWG, Sieder-Zeitler-Kreuzer-Zech, Bay. Straßen- und Wegegesetz, 3. Aufl. 1985 Rdnr. 9). Unverzüglich ist nicht gleichbedeutend mit "sofort", sondern verlangt lediglich ein nach den Umständen des Falles zu bemessendes beschleunigtes Handeln. Die Handlungspflicht kann nach den Umständen des Falles mit Rücksicht auf die Gefährdung der Straßenbenutzer durch die Verunreinigung und die Schwierigkeiten einer sachgemäßen Straßenreinigung nach Wiederaufnahme des Fahrzeugverkehrs auf den vom Demonstrationszug benutzten Wegen auch bereits während der Veranstaltung bestehen. Daher erscheint zumindest zweifelhaft, ob der Kläger gegenüber der Kostenerstattungspflicht mit Erfolg geltend machen kann, die von ihm eingesetzten Ordnungskräfte seien während der Veranstaltung für andere Zwecke als die Sauberhaltung der Zugwege benötigt worden.

Es fehlt jedoch an einem Verschulden des Klägers für die danach möglicherweise nicht rechtzeitige Erfüllung einer etwaigen Reinigungspflicht. Wenn hier die Stadt Bonn die Straßen sofort und im unmittelbaren Anschluß an die Demonstrationszüge reinigen ließ, konnte der Kläger davon ausgehen, daß das für die Straßenreinigung Erforderliche schon veranlaßt worden sei, er selbst sich darum nicht zu kümmern brauche.

Im vorliegenden Fall kommt dazu, daß der Kläger durch das dem Beklagten zuzurechnende Verhalten der Behörden annehmen durfte, zur Reinigung der Straßen nach dem Durchzug der Demonstrationsteilnehmer nicht verpflichtet zu sein. Auch wenn diese Vorstellung objektiv nicht zutreffen sollte, läge beim Kläger ein Rechtsirrtum vor, der nach den besonderen Umständen des Falles ein für die unverzügliche Erfüllung der Pflicht erforderliches Verschulden ausschließt. Für einen unverschuldeten Rechtsirrtum des Klägers spricht zunächst die Tatsache, daß der nach Anmeldung der Veranstaltung ergangene Bescheid des Polizeipräsidenten vom 29. November 1982 neben zahlreichen "Auflagen" auch den "Hinweis" enthielt, an den Aufstellplätzen und am Kundgebungsort eine ausreichende Anzahl von Müllcontainern aufzustellen. Daraufhin bestellte der Kläger beim Stadtreinigungsamt insgesamt 20 Abfallbehälter mit je 1,1 cbm Fassungsvermögen zur Aufstellung an vier verschiedenen Stellen und unterrichtete dieses Amt darüber, wo die erwarteten 40-50 000 Teilnehmer eintreffen und die Abschlußkundgebung stattfindet. Der Kläger wurde nicht darauf aufmerksam gemacht, daß er zusätzlich unübliche Verunreinigungen der Straßen und des Kundgebungsplatzes während der Veranstaltung beseitigen müsse. Eines solchen Hinweises (vgl. zur rechtzeitigen Kontaktaufnahme zwischen Behörden und Veranstaltern im Vorfeld von Versammlungen allgemein, BVerfG a.a.O. S. 355) hätte es, auch wenn nach §§ 7 Abs. 3 FStrG, 17 StrWG keine besondere Aufforderung des Pflichtigen der Reinigung vorgeschrieben ist, mit Rücksicht auf den erwähnten Bescheid bedurft, weil dieser bei dem Kläger den Eindruck erwecken konnte, daß mit der Aufstellung der Müllcontainer die Straßenreinigungspflicht erfüllt sei und er als Veranstalter in dieser Hinsicht keine weiteren Maßnahmen zu treffen brauche. In dieser Auffassung konnte der Kläger außerdem dadurch bestärkt werden, daß die Veranstalter früherer Demonstrationen in Bonn eine Straßenreinigung nicht durchgeführt hatten und die Stadt Bonn im Zeitpunkt der Demonstration des Klägers - noch - nicht allgemein oder aus Anlaß anderer Demonstrationen auf etwaige Reinigungspflichten des Veranstalters hingewiesen hatte. Daß der Kläger sich unter diesen Umständen zur Reinigung nicht verpflichtet glaubte, erscheint um so verständlicher, als er nicht etwa selbst durch Ausgabe irgendwelchen Materials zur Straßenverschmutzung beigetragen hat. Nachträglich ist der Kläger durch ein Kollegialgericht, nämlich das Berufungsgericht, in seiner Rechtsauffassung bestätigt worden. Dies ist ein weiterer Umstand, der es unmöglich macht, die Auffassung des Klägers, er sei zur Straßenreinigung nicht verpflichtet, als schuldhaft irrig zu werten (Urteil vom 9. Oktober 1984 - BVerwG 1 C 22.83 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 144 mit weiteren Nachweisen).

Es fehlt mithin an einer durch schuldhaftes Zögern versäumten Erfüllung einer etwaigen Reinigungspflicht des Klägers und damit an der rechtlichen Voraussetzung für den vom Beklagten geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch. Daher erweist sich die vorinstanzliche Entscheidung im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), und die Revision ist zurückzuweisen. ..."

*** (OVG)

Die aus §§ 14, 15 VersG folgende Konzentrationswirkung, also die Prüfung aller versammlungsimmaneten Gefahren durch die Versammlungsbehörde unter Befreiung des Anmelders von sonstigen Erlaubnis- oder Genehmigungserfordernissen, umfasst nicht solche Erlaubnisverfahren, durch die der Zugang zu einer Fläche erst ermöglicht werden soll, welche nicht dem öffentlichen Gemeingebrauch, sondern nur bestimmten, versammlungsfremden Zwecken gewidmet ist. Zum Erfordernis einer friedhofsrechtlichen Ausnahmegenehmigung für eine Versammlung auf einem Friedhofsgelände. Zur Rechtswidrigkeit bestimmter versammlungsrechtlicher Auflage (u.a. Benennung von Rednern, Untersagung der Darbietung von Musikstücken; Mitführen von Flaggen, zahlenmäßige Begrenzung von Transparenten, Untersagung einer Feldküche und des Einsatzes eines Lautsprecherwagens; OVG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 14.11.2003 - 4 B 365/03, NVwZ-RR 2004, 844).

Wegen der Erlaubnisfreiheit einer Versammlung bedarf es der Erteilung einer Erlaubnis nach anderweitigen Erlaubnisvorbehaltsregelungen nicht, wenn Erscheinungen einer Versammlung in Rede stehen, die mit dieser eine funktionale Einheit in dem Sinn bilden, dass sie als erforderlicher Bestandteil der erlaubnisfreien Versammlung gleichsam versammlungsimmanent sind (OVG Bautzen, Beschluss vom 16.07.2003 - 3 BS 216/03).

Dem Veranstalter obliegt im Rahmen der Kooperation insbesondere, gemeinsam mit der Behörde auf das Ziel einer friedlichen und die Beeinträchtigung von Drittinteressen möglichst gering haltenden Durchführung der Demonstration hinzuwirken. Dazu gehört, dass er über die bereits bei der Anmeldung mitzuteilenden versammlungsprägenden Grundmerkmale hinaus die ihm möglichen und unter Beachtung der Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zumutbaren Angaben macht, vor allem solche, die im konkrerten Fall für die von der Behörde anzustellende Gefahrenprognose und die daraus gegebenenfalls resultierenden Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von Bedeutung sind. Kommt ein Veranstalter diesen Pflichten nicht nach und hat dies zur Folge, dass die behördliche Gefahrenprognose nur auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage erstellt werden kann, so muss er ein Versammlungsverbot auch dann hinnehmen, wenn sich die Tatsachen, die auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit schließen lassen, noch nicht so verdichtet haben, dass von einer unmittelbaren Gefahr gesprochen werden kann (OVG Weimar, Beschluss vom 12.04.2002 - 3 EO 261/02, NVwZ-RR 2003, 207).

Von der aus §§ 14, 15 VersG folgenden Konzentrationswirkung werden Erlaubnisverfahren nach sonstigen Regelungen nicht umfasst, durch die der Zugang zu einer in Aussicht genommenen Versammlungsfläche erst vermittelt wird (OVG Bautzen, Beschluss vom 09.11.2001 - 3 BS 257/01, NVwZ-RR 2002, 435).

Eine Demonstration durch nur zwei Personen stellt noch keine Versammlung unter freiem Himmel im Sinne des § 14 I VersG dar. Eine Demonstration durch nur zwei Personen stellt noch keine Versammlung unter freiem Himmel i. S. des § 14 I VersG dar (OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.03.1981 - 5 Ss 74/81 I, NStZ 1981, 226).

Zur Zulässigkeit beschränkender Auflage bei Versammlungen unter freiem Himmel. Beschränkende Auflage sind unwirksam, wenn sie den Leiter einer Versammlung zu einem über den Zeitpunkt der Beendigung oder Auflösung der Veranstaltung hinausgehenden Tun verpflichten (OLG Köln, Entscheidung vom 06.12.1980 - 3 Ss 300/80, NJW 1981, 1680).

*** (AG, VG)

Eine ohne vorherige und mögliche Auflösung der Versammlung (hier: Demonstration gegen den Castor-Transport) erfolgte polizeiliche Ingewahrsamnahme der Versammlungsteilnehmer ist rechtswidrig (OLG Celle, Beschluss vom 07.03.2005 - 22 W 7/05):

... 1. Der Antragsteller war am 13.11.2001 in Hitzacker Teilnehmer eines aus etwa 150 Personen bestehenden Demonstrationszuges, der sich gegen den am selben Tage dort durchgeführten Castor-Transport richtete. Den vom LG getroffenen Feststellungen zufolge war zumindest von einigen Teilnehmern eine Blockade des durch Hitzacker verlaufenden Bahngleises geplant. Das LG hat zum weiteren Ablauf der Demonstration folgenden Sachverhalt festgestellt: Die Personengruppe bewegte sich durch Hitzacker und wurde dort durch Polizeikräfte seitlich begleitet. Vereinzelte Teilnehmer warfen sog. Krähenfüße auf die Fahrbahn, wodurch an einigen Einsatzfahrzeugen der Polizei Reifenschäden verursacht wurden. Als einzelne Mitglieder der Demonstrationsgruppe ihr Gesicht verdeckten, setzten die Einsatzkräfte ihre Helme auf. Die Personengruppe erhöhte das Tempo und begab sich in das anliegende Waldstück. Daraufhin lies der Leiter der "Festnahmeeinheit" die Gruppe in den Wald hinein verfolgen, es wurden ca. 120 Personen eingeschlossen und in Gewahrsam genommen, darunter auch der Antragsteller. Eine Auflösung des Aufzuges erfolgte nicht. Bei der Gewahrsamnahme befand sich die Personengruppe noch ca. 1 km von der Bahnstrecke entfernt. Der Antragsteller wurde gegen Mittag in die Gefangenensammelstelle in Neu Tramm verbracht und am 14.11.2001 gegen 1.00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.

Der vom Antragsteller gegen diese Freiheitsentziehung gerichtete Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme wurde vom AG Dannenberg als unbegründet zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das LG Lüneburg die Entscheidung des AG aufgehoben und festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen rechtswidrig war, weil eine Auflösung der Versammlung nicht erfolgt war. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Polizeidirektion Lüneburg (vormals Bezirksregierung Lüneburg) mit der vom LG nach § 19 Abs. 2 S. 4 NdsGefAG zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde.

2. Die weitere sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG stand. Die Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes. Das LG ist rechtlich beanstandungsfrei zu der Feststellung gelangt, dass die Freiheitsentziehung des Antragstellers rechtswidrig war. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung wird zum Vermeiden von Wiederholungen zunächst Bezug genommen.

Das LG hat bei seiner Entscheidung insb. rechtlich beanstandungsfrei darauf abgestellt, dass die durch Hitzacker ziehende Personengruppe eine durch Art. 8 GG grundsätzlich geschützte Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes war und eine ohne deren Auflösung erfolgende Freiheitsentziehung nicht in Betracht kam. Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Polizeidirektion Lüneburg erlaubt keine abweichende Beurteilung.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung verboten werden, wenn die öffentliche Sicherheit hierdurch unmittelbar gefährdet wird. Nach § 15 Abs. 2 VersG kann eine Versammlung - oder ein Aufzug - aufgelöst werden, wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot gegeben sind. Nach § 15 Abs. 3 VersG ist eine verbotene Versammlung auszulösen. Eine Auflösung in diesem Sinne ist vorliegend zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

a) Allein der Umstand, dass den getroffenen Feststellungen zufolge einzelne Teilnehmer sog. Krähenfüße oder Mülltonnen auf die Fahrbahn warfen und ihr Gesicht verdeckten, machte eine Auflösung der Versammlung hiernach ebenso wenig entbehrlich wie das Ziel zumindest einiger Teilnehmer, eine Gleisblockade durchzuführen. Gewaltsame Handlungen nur einzelner Teilnehmer einer Demonstration führen nicht dazu, dass die gesamte Versammlung sich außerhalb des Schutzbereichs aus Art. 8 GG bewegt. Das Ziel einer - fraglos rechtswidrigen (OVG Lüneburg NVwZRR 2004, 575; OLG Celle v. 29.1.2004 - 22 Ss 189/03) - Gleisblockade könnte allenfalls dazu führen, dass der Charakter der Versammlung verbotener Natur war oder wurde. Dies macht eine Auflösung aber nicht entbehrlich (BVerwG NVwZ 1988, 250). Denn nach § 15 Abs. 3 VersG ist (auch) eine verbotene Versammlung aufzulösen. Der Umstand des Verbotenseins einer Versammlung führt weder von sich heraus zu deren Beendigung, noch lässt er das Erfordernis einer Auflösung entfallen; vielmehr setzt eine Auflösung nach § 15 VersG den Tatbestand des Verbotenseins der Versammlung oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erst voraus. Eine ohne Auflösung einer Versammlung erfolgte Freiheitsentziehung aus Gründen präventivpolizeilicher Gefahrenabwehr ist rechtswidrig (OVG NW NVwZ 2001, 1315).

b) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, die Personengruppe habe sich zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme bereits selbst aufgelöst gehabt, weshalb es einer Auflösung nicht mehr bedurft habe, findet dies in den vom LG getroffenen Feststellungen, an die der Senat als Gericht der weiteren Beschwerde grundsätzlich gebunden ist, keine Stütze. Das LG ist den getroffenen Feststellungen zufolge erkennbar von nur einer Gruppe ausgegangen, die sich - nach zwischenzeitlicher Teilung - durch Hitzacker bewegte (und hierbei von Polizeikräften seitlich begleitet wurde), aus der heraus Krähenfüße auf die Fahrbahn geworfen wurden, die das Tempo erhöhte und die sich in das anliegende Waldstück begab, die von Einsatzkräften verfolgt und die dort in einer Stärke von 120 Personen eingeschlossen wurde. Eine Selbstauflösung der Gruppe zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme ist hiernach nicht erkennbar.

c) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, es habe während der gesamten Phase praktisch zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden, eine Auflösungsverfügung zu erlassen, greift auch dieser Einwand nicht durch. Weshalb der Erlass sowie eine - wie auch immer geartete - Kundgabe einer Auflösungsverfügung praktisch nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Den getroffenen Feststellungen zufolge war es den Einsatzkräften möglich, die Personengruppe einzuschließen - und sodann in Gewahrsam zu nehmen. Anhaltspunkte für die Annahme, eine Auflösung der Versammlung sei in dieser Phase nicht möglich gewesen, finden sich weder in den Gründen der angefochtenen Entscheidung, noch werden sie im Rahmen der weiteren Beschwerde vorgetragen. Der Senat verkennt nicht, dass das Geschehen am Tag eines Castor-Transports und der hiergegen gerichteten, teilweise auch massiv gewalttätigen Demonstrationen einer Vielzahl von Personen und teils gut organisierten Personengruppen von einer gewissen Hektik geprägt ist und häufig auch pragmatisches Vorgehen der Einsatzkräfte erfordert. Das kann die Bestimmungen des Art. 8 GG einschränkenden Versammlungsgesetzes aber nicht außer Kraft setzen. Ein "allgemeines Tohuwabohu und Gerenne" - das sich den vom LG getroffenen Feststellungen überdies nicht entnehmen lässt - macht eine Auflösung weder von vornherein unmöglich, noch insb. überflüssig.

Hiernach ist nicht erkennbar, weshalb nicht zumindest vor der Entscheidung, die bereits eingeschlossene, d.h. von Polizeikräften bereits umstellte und somit am Fortlaufen gehinderte Personengruppe in Gewahrsam zu nehmen, nicht auch die Möglichkeit bestanden haben soll, eine Entscheidung über die Auflösung zu treffen und die Teilnehmer hierauf hinzuweisen - mit der Folge, dass alle Teilnehmer sich nunmehr zu entfernen haben. Dies gilt umso mehr, als den getroffenen Feststellungen zufolge die Personengruppe sich zu diesem Zeitpunkt noch etwa 1 km von den Bahngleisen und dem dort angeordneten Verbotskorridor entfernt befand, weshalb eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch nicht unmittelbar bevorstand. Vor diesem Hintergrund kam auch die Annahme einer konkludenten Auflösung durch zeitgleichen Einschluss der Personengruppe (OVG Berlin NVwZRR 2003, 896; OVG NW NVwZ 2001, 1315) nicht in Betracht. Erst nach erfolgter Auflösung und für den Fall, dass trotz der Auflösung sämtliche oder einzelne Personen sich nicht - dauerhaft - entfernen, sondern weiter in Richtung des Bahnkörpers sich bewegen, wären auf Polizeirecht gestützte freiheitsentziehende Maßnahmen zulässig gewesen. ..."

*** (VG, LG)

... I. Die Antragsteller sind Anmelder der für den Zeitraum vom 12. bis 27. Mai 2012 als Versammlung angemeldeten Veranstaltung des Aktionsbündnisses 12. Mai' mit der Bezeichnung Marktplatz der Ideen (Marktplatz der Ideen, Agora, Aktionswerkstatt)'. In diesem Zeitraum soll auf dem Platz gegenüber dem Berliner Rathaus zwischen Karl-Liebknecht-Straße, Spandauer Straße, St. Marienkirche und Neptunbrunnen der im Titel enthaltene Marktplatz der Ideen' mit einer Agora' und einer Aktionswerkstatt' stattfinden. Dazu sollen 26 Kleinzelte aufgebaut werden, denen bei Bedarf ein Informationstisch zur Seite gestellt werden soll. Ferner soll ein Großraum- bzw. Versammlungszelt mit einer Grundfläche von ca. 75 m² mit Podest und ein Wohnanhänger aufgestellt werden. Es ist geplant, dass regelmäßig ca. 100 Teilnehmer vor Ort sein sollen. Darüber hinaus findet am 12. Mai 2012 ein Sternmarsch statt, der gesondert angemeldet wurde und hier nicht Gegenstand des Verfahrens ist.

Nach einer Erläuterung des Rechts- und Veranstaltungscharakters hatten die Veranstalter eine ursprüngliche Versammlungsanmeldung vom 12. April 2012 zurückgenommen und stattdessen beim Bezirksamt Mitte von Berlin eine Sondernutzungserlaubnis beantragt. Nachdem ihnen diese aufgrund des Charakters der Fläche als öffentliche Grünanlage verwehrt worden war, meldeten sie am 7. Mai 2012 die Veranstaltung erneut als Versammlung an.

Durch Bescheid vom 9. Mai 2012 stellte der Polizeipräsident in Berlin i. S. d. § 15 VersammlG fest, dass es sich bei der angemeldeten Veranstaltung nicht um eine Versammlung unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 1 GG handelt und somit der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nicht eröffnet sei. Zur Durchführung der Veranstaltung sei das Vorliegen einer ordnungsrechtlichen Erlaubnis des zuständigen Bezirksamts Mitte von Berlin erforderlich.

II. 1. Der am 10. Mai 2012 bei Gericht eingegangene Antrag, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Mai 2012 erhobenen Widersprüche vom 9. Mai 2012 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg. Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Mai 2012 getroffene Feststellung, dass es sich bei der Veranstaltung nicht um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG handelt, ist nach der hier nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Bewertung rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des Bescheids verschont zu bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO).

a) Entgegen der Auffassung der Antragsteller fehlt es nicht an einer Ermächtigungsgrundlage für den feststellenden Verwaltungsakt. § 14 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 VersammlG lässt sich durch Auslegung die Ermächtigung der Versammlungsbehörde entnehmen, durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird. Die aus § 14 Abs. 1 VersammlG abgeleitete Befugnis der Versammlungsbehörde, die Versammlungseigenschaft einer angemeldeten Veranstaltung zu prüfen, und die in § 15 Abs. 1 VersammlG geregelte Eingriffsbefugnis enthalten auch die Ermächtigung, durch feststellenden Verwaltungsakt über die Versammlungseigenschaft zu entscheiden (vgl. hierzu ausführlich: OVG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2006 - OVG 1 B 4.05 -, juris Rn. 17 ff.). Die nachgehende Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris) enthält hierzu keine gegenteiligen Ausführungen.

b) Die getroffene Feststellung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 1 Abs. 1 VersammlG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Die rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund stehen. Dabei sind nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berücksichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die also nicht nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007, a. a. O. Rn. 15 ff.).

So genießt die Aufstellung eines Informationsstandes als solche nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 - 7 C. 5.78 -, BVerwGE 56, 63 (69); BVerfG - Vorprüfungsausschuss -, Beschluss vom 22. Dezember 1976 - 1 BvR 306/76 -, NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informationsstandes, mit dem den Vorübergehenden ein einseitiges Informationsangebot gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf Kommunikation vermittels einer eigens zu diesem Zweck veranlassten Gruppenbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und dazu führt, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes verstehen. Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Personenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 a. a. O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Versammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn das Informationsangebot der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstaltung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34 (39)). Das Informationsangebot erweist sich dann als Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2461; Beschluss der Kammer vom 11. Mai 2011 - VG 1 L 148.11 -, juris Rn. 6).

Im vorliegenden Fall treten versammlungsrechtliche Elemente hinter den reinen Informationsanliegen so stark zurück, dass das Geamtgepräge nicht als Versammlung gewertet werden kann. Es ist vielmehr nur eine Ansammlung der Darstellung unterschiedlichster Gruppen und Initiativen.

Sowohl beim Marktplatz der Ideen' als auch bei der Agora' und der Aktionswerkstatt' fehlt es bereits an einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92 (104), und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 und 341/81 - BVerfGE 69, 315 (342 f.)). Wie sich bereits dem Konzept der Veranstaltung entnehmen lässt, geht es nicht um eine gemeinschaftliche Kundgebung, sondern um die Darstellung einzelner Initiativen, Vereine und Organisationen. Dass die Veranstaltung nur ein Konglomerat unterschiedlichster Anliegen darstellt, wird auch durch die angegebenen Themen der Kleinzelte deutlich. Die Themen reichen von neuen Formen der Demokratie' über Mediaspree', Solidarität mit der Demokratiebewegung verschiedenster Länder, Bedingungsloses Grundeinkommen' bis zur Anti-Atom-Bewegung. Damit hat die Veranstaltung eher das Gepräge eines reinen Protest-Camps, wie es für die sogenannte Occupy-Bewegung' kennzeichnend ist. An diese knüpft im Übrigen gerade das Aktionsbündnis 12. Mai' als Frühjahrsauftakt der Bewegung Echte Demokratie Jetzt! - Occupy' an (vgl. z. B. www.alex11.org/events/vernetzungstreffen-berliner-initiativen-organisationen-zur-bildung-des-aktionsbundnisses-12-mai-berlin/); damit soll an die Platzbesetzungen der spanischen Bewegung democracia real ya!', die am 15. Mai 2011 begannen, erinnert werden (12mai-berlin.org/presse/). Aber weder eine lose Ansammlung von Zelten, ohne dass eine konkrete Verbindung zu einem gemeinschaftlichen Versammlungsanliegen deutlich wird, noch eine Platzbesetzung kann als integraler Bestandteil einer Versammlung angesehen werden. Allein die Forderung nach echter Demokratie als gemeinsames Motto dürfte dafür angesichts der Disparität der unterschiedlichen Gruppen nicht ausreichend sein.

Dass in den Kleinzelten, bei denen es sich um 2-3-Personen-Zelte handelt, gemeinschaftliche Kommunikation stattfinden soll, ist überdies unwahrscheinlich. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Zelte, wie die Antragsteller vortragen, unverzichtbar für die Darstellung der politischen Inhalte in der Öffentlichkeit seien. Dafür dürften wohl eher die geplanten Informationstische dienen. Vielmehr scheint das Informations- und Kommunikationsanliegen hier nur vorgeschoben, um den Dauerteilnehmern eine nächtliche Unterkunft zu ermöglichen.

Auch die Aktionswerkstatt soll nach eigener Darstellung der Veranstalter nur eine Plattform' bieten, auf der die Teilnehmer die gesellschaftlichen Probleme aufzeigen' können', die sie zu ihrem Thema gemacht haben. Es geht mithin nicht um eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen, sondern um eine Einzeldarstellung vielfältigster Initiativen mit unterschiedlichsten Themenstellungen. Allein der Oberbegriff einer neuen Gesellschaft' reicht für eine gemeinschaftliche Kommunikation nicht aus.

Gleiches gilt auch für die Agora' (altgriech.: zentraler Fest-, Versammlungs- und Marktplatz einer Stadt). Diese ist nach Darstellung der Antragsteller als zentraler öffentlicher Ort der Kommunikation und des politischen Diskurses gedacht. Zwar sind hier versammlungsrechtliche Elemente noch am ehesten erkennbar, jedoch soll auch dieser Platz nur der Information und Kommunikation der unterschiedlichen Aktionsgruppen dienen, ohne dass die gemeinschaftliche Kundgabe einer Meinung erkennbar wird. Damit entspricht die Agora' eher einem Konferenzzentrum unter freiem Himmel, in dem unterschiedliche Tagungen stattfinden können.

Was der ebenfalls angemeldete Wohnwagenanhänger mit dem Anliegen der Veranstaltung zu tun hat, bleibt völlig unklar. Die Unterbringung elektrischer Geräte, so wie bei der Anmeldung angegeben, belegt eher, dass es vorliegend um einen Daueraufenthalt im öffentlichen Raum geht, ohne dass damit eine kollektive Meinungskundgabe verbunden ist.

Die angemeldete Veranstaltung dient offensichtlich nur dazu, den öffentlichen Raum zu besetzen und dort präsent zu sein, um vorübergehende Passanten mit dem Anliegen der Veranstalter bekannt und vertraut zu machen. So wurde auch beim ersten Vernetzungstreffen zur Bildung eines Aktionsbündnisses für den 12. Mai' laut Protokoll (vgl. occupyberlin.info/blog/2012/02/29/protokoll-zum-ersten-vernet-zungstreffen-zur-bildung-eines-aktionsbundnisses-fur-den-12-mai/-12315) darauf hingewiesen, dass das öffentliche Forum langfristig (min. bis Oktober) im öffentlichen Raum umgesetzt werden soll und nicht nur für den Aktionstag gedacht ist'.

Es erscheint auch zweifelhaft, ob, selbst wenn man den Versammlungscharakter der Veranstaltung bejahen würde, diese an dem angemeldeten Ort, einer öffentlichen Grünanlage, stattfinden dürfte. Das vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit umfasste Recht der freien Ortswahl berechtigt nämlich nicht dazu, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für ein Grundstück, das nach dem Willen des Trägers als öffentliche Einrichtung der Allgemeinheit nur im Rahmen einer eingeschränkten Zweckbestimmung zur Verfügung steht (BVerwG, NJW 1993, S. 609). Aus Art. 8 GG lässt sich eine generelle Verpflichtung des Trägers der Einrichtung zur Erweiterung der von ihm festgelegten öffentlichen Zweckbestimmung nicht entnehmen (BVerwG, ebd.). Soweit deshalb die Nutzung einer gewidmeten Fläche bzw. einer geschützten Grünanlage über den durch den Widmungszweck festgelegten Gemeingebrauch oder bei unter Schutz gestellten Gebieten dem gesetzlich festgelegten Schutzzweck zuwiderläuft, kommen Auflagen hinsichtlich des Versammlungsorts in Betracht (vgl. Beschluss der Kammer vom 16. September 2010 - 1 L 248.10 -, EA S. 7, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 S 179.10 -, EA S. 3; Ridder/ Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, Rn. 213). Die Versammlungsbehörde kann in diesem Fall unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzzwecks und unter Beachtung des Gewichts des Interesses an der Wahrnehmung des Versammlungsgrundrechts Auflagen im Hinblick auf unmittelbar drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlassen (vgl. Ridder u.a., ebd.; BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 7 C 34.91 -, NJW 1993, 609 (610)). ..." (VG Berlin, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L 102.12)

***

... Der - sinngemäß gestellte - Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen, hat keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwehren oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Erforderlich ist insoweit, dass dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht auf Verpflichtung des Antragsgegners hat, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen. Ein solcher Anspruch des Antragstellers ergibt sich weder aus § 15 Abs. 1 VersG, der spezifisch versammlungsrechtlichen Eingriffsgrundlage, noch unmittelbar aus seinen Grundrechten.

Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG zu Lasten seiner Rechte oder Rechtsgüter vorliegen. Nach dieser Norm kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Durch das Erfordernis einer "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt § 15 Abs. 1 VersG, dass die Prognose auf "erkennbaren Umständen" beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 77 ff.; st. Rspr.

Die vom Antragsgegner - ausgehend von der auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffenden rechtlichen Einordnung des geplanten Aufzugs als durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte öffentliche Versammlung - getroffene Prognose zu den möglichen Beeinträchtigungen des Antragstellers durch den Aufzug ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

Hiernach gibt es keine Hinweise darauf, dass von dem Aufzug unmittelbare Gefahren im vorgenannten Sinne für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen, soweit der Antragsteller betroffen ist. Auch er selbst hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sich die Teilnehmer des von dem Beigeladenen veranstalteten Aufzuges am 3. März 2012 nicht auflagen- und anmeldegemäß verhalten werden. Dem Hinweis auf allgemeine Drohungen "der rechten Szene", "niemanden mit Samthandschuhen anzufassen", lassen sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte entnehmen, dass von dem Aufzug Gefahren im vorbezeichneten Sinne ausgehen werden.

Die auf Erfahrungen aus früheren Einsätzen und umfassenden polizeilichen Planungen und Vorbereitungen beruhende Einschätzung des Antragsgegners, dass einer potentiellen Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen von Gegendemonstranten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die polizeilichen Einsatzmaßnahmen hinreichend Rechnung getragen werde, so dass Gewalttätigkeiten innerhalb des Rumphorstviertels nicht zu befürchten seien, hat der Antragsteller ebenfalls nicht durch entsprechenden glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag substantiiert in Zweifel gezogen. Die ordnungsgemäß angemeldeten Gegendemonstrationen finden am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg, Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach sowie in der Innenstadt Münsters und damit nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Antragstellers in der K. -I. -Straße statt. Über diese drei Gegenveranstaltungen hinaus sind für das Rumphorstviertel keine Gegendemonstrationen angemeldet worden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner nicht in der Lage ist, Straftaten zu begegnen, die von einzelnen Teilnehmern der ordnungsgemäß angemeldeten Gegenveranstaltungen bzw. von etwaigen sich am 3. März 2012 im Rumphorstviertel ggf. unter Verstoß gegen die Anmeldepflicht aus § 14 VersG bildenden Gegendemonstrationen ausgehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gilt dies auch für die Befürchtung des Antragstellers, es könne im Bereich der K. -I. -Straße zu einer "Kessellage", die keine Fluchtmöglichkeiten mehr erlaube, kommen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich gerade an diesem Ort Gegendemonstranten versammeln werden, um den von dem Beigeladenen angemeldeten Aufzug zu behindern, liegen nicht vor. Sollten einzelne Teilnehmer der Gegenveranstaltungen jedoch tatsächlich versuchen, die K. -I. -Straße an den Einmündungen in den A-Weg und die I-Straße zu blockieren, ist es Aufgabe der Polizei, dies bereits im Ansatz zu unterbinden.

Der Antragsteller hat auch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die seine Vermutung, es sei nicht gewährleistet, dass Kranken- und Feuerwehrwagen jederzeit sein Grundstück erreichen könnten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), erhärten. In der Bestätigung des Antragsgegners betreffend den vom Beigeladenen angemeldeten Aufzug wird letzterer darauf hingewiesen, dass Einsatzfahrzeugen der Polizei, der medizinischen Dienste und der Feuerwehr jederzeit freie Durchfahrt zu gewähren ist. Die Veranstalter der angemeldeten Gegendemonstrationen, die am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg sowie Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach stattfinden sollen, erhielten denselben Hinweis. Darüber hinaus werden in Absprache mit der Stadt Münster befristet bestehende Einbahnstraßenregelungen aufgehoben und Sperrpoller entfernt werden, um eine ungehinderte Durchfahrt von Rettungs- und medizinischen Diensten sicherzustellen. Zu diesem Zweck sind weiterhin in der K. -I. -Straße - wie auch in anderen Straßen - mobile Verkehrsschilder aufgestellt worden, die ein absolutes Halteverbot für den Zeitraum des Aufzuges anordnen. Sollten Teilnehmer der verschiedenen Demonstrationen tatsächlich eine Durchfahrt für Rettungswagen behindern, obliegt es der Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr, die Durchfahrt notfalls zwangsweise durchzusetzen. Zudem besteht für die Rettungskräfte die Möglichkeit, die K. -I. -Straße von Osten über den A-Weg zu erreichen.

Die schließlich als Belastung verbleibende Beeinträchtigung seiner Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) durch die nicht verkehrsübliche Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke hat der Antragsteller hinzunehmen mit Blick auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG, der es ausschließt, von Wohnbevölkerung freie Demonstrationsorte zuzuweisen. Solche Belästigungen, die unvermeidbar aus der Massenhaftigkeit der Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgen und sich ohne Nachteile für den Veranstalter nicht vermeiden lassen, müssen ertragen werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Grundrechtsträgern - solange sie sich gesetzeskonform verhalten - das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Schon in diesem Sinne gebührt diesem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang. Es hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter zwingend notwendig ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 61, 79; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 1418/07 -, juris, Rn. 17; st. Rspr.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit des Antragstellers stellt sich als geringfügig und vorübergehend dar, weil der Aufzug die K. -I. -Straße nur für eine relativ kurze Zeit betrifft. Darüber hinaus wird ihm nach dem Schriftsatz des Antragsgegners am 3. März 2012 als Anwohner Durchlass gewährt werden, wenn dies in der aktuellen Einsatzsituation ohne Gefahren möglich ist.

Soweit der Antragsteller Rechtspositionen der Allgemeinheit bzw. der übrigen Anwohner des Rumphorstviertels - wie etwa die Behinderung der Zufahrt zu deren Häusern - geltend macht, kann § 15 Abs. 1 VersG von vornherein keinen Anordnungsanspruch stützen.

Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antragsteller auch nicht unmittelbar aus seinen Grundrechten einen Anordnungsanspruch herzuleiten vermag.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Antragsteller aufzuerlegen, da der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt hat, sich keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (vgl. auch Nr. 1.5 Satz 2 und Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Stand Juli 2004 -). ..." (VG Münster, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 L 88/12)

***

... Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid als rechtswidrig, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt. Denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann per se kein Interesse bestehen. Es erscheint als möglich, dass der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig ist, weil es für die getroffene Feststellung an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht (anders als die Kammer, vgl. Urteil vom 23. November 2004 - 1 A 271.01 -, juris) im Wege der Auslegung von §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 VersammlG die Ermächtigung der Versammlungsbehörde bejaht durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Versammlung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Mai 2006 - 1 B 4.05 -, juris Rn. 19). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der dazu gehörenden Revisionsentscheidung es hingegen nicht von vornherein für ausgeschlossen angesehen, dass es an einer solchen Ermächtigungsgrundlage fehlen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 13). Dies kann hier jedoch dahinstehen, denn der Bescheid ist materiell-rechtlich rechtswidrig.

Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützte Feststellung geht von einer zu engen Auslegung des Versammlungsbegriffs aus. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen, auf die öffentliche Meinungsbildung gerichteten Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15), wobei der Versammlungsbegriff auf Veranstaltungen zu begrenzen ist, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 -, juris Rn. 19, und vom 7. März 2011 - 1 BvR 388/05 -, juris Rn. 32). Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Es ist deshalb entscheidend, dass die Meinungsbildung und -äußerung gerade mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind aber nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315 ff. = NJW 1985, 2395 (2396)). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen ebenso wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, fallen allerdings nicht unter den Versammlungsbegriff. Hingegen erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik oder auch Tanz verwirklichen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, a. a. O.).

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 u.a. -, a. a. O. Rn. 29).

Zur Frage, wie die Beurteilung einer solch gemischten Veranstaltung' erfolgen muss, hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23 06 -, a. a. O Rn. 17 f.) folgendes ausgeführt:

Die Beurteilung, ob eine 'gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden vor Ort' wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.

Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln.'

Auch wenn der Antragsgegner durch Gegenüberstellung der Wort- und Musikbeiträge formal versucht hat, diesen Anforderungen nachzukommen, erweist sich seine Einordnung unter Berücksichtigung des dargestellten Maßstabs dennoch als fehlerhaft. Denn die in den genannten drei Schritten vorzunehmende Gesamtschau aller tatsächlichen Umstände spricht für das Vorliegen einer Versammlung.

Bei der im ersten Schritt vorzunehmenden Erfassung aller derjenigen Modalitäten, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen, sind neben dem Thema der Veranstaltung sowohl der räumliche Bezug, die geplante inhaltliche Ausgestaltung als auch die geplante Darstellung der Veranstaltung nach außen mit der dazugehörenden Werbung zu würdigen. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner nicht hinreichend die mit der streitigen Veranstaltung beabsichtigte Einwirkung und Ausstrahlung auf die öffentliche Meinung zum Thema der Veranstaltung Für den Erhalt der Kastanienallee / Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren' mit dem durch den beim Anmeldernamen angegebenen Zusatz der Initiative STOPPT K21' klar erkennbaren Ziel, die geplanten Umbauarbeiten in der Kastanienallee durch massiven Bürgerprotest zu verhindern, berücksichtigt. Dass dieses Thema eine große öffentliche Resonanz hat, belegen bereits die im Verwaltungsvorgang enthaltenen Pressemeldungen. Auch das deutlich an Stuttgart 21 - S21' anknüpfende Kürzel K21 macht den Willen des Antragstellers deutlich, mit der Veranstaltung am 14. Mai 2011 eine ebenso große Protestwelle auslösen zu wollen wie in Stuttgart. Weiteres Indiz für den Charakter als Versammlung ist der vom Anmelder gewählte räumliche Bezug der Veranstaltung, denn diese soll genau in dem von den geplanten Umbaumaßnahmen betroffenen Abschnitt der Kastanienallee zwischen Schwedter Straße und Schönhauser Allee stattfinden. Damit wird der von den Veranstaltern gewollte Zweck, auf die öffentliche Meinung so einzuwirken, dass noch mehr Menschen das Ziel verfolgen, gerade diese Umbauarbeiten zu verhindern, hinreichend deutlich.

Auch in dem Antrag des Antragstellers an das Bezirksamt Pankow von Berlin auf Erteilung einer Genehmigung nach § 11 LImSchG Bln vom 5. April 2011 war als Art des Vorhabens angegeben Aktionstag der Initiative STOPPT K21, Mehrstündige Kundgebung mit Kulturprogramm'. Eine Kundgebung zielt aber gerade auf Darstellung und öffentliche Vermittlung des Veranstaltungsthemas und damit auch auf öffentliche Meinungsbildung. Weder die Einbindung von Musikgruppen noch die Kooperation mit Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Kultureinrichtungen lassen diesen Zweck zurücktreten oder gänzlich entfallen. Es geht dem Anmelder offensichtlich nicht um überwiegende Kulturdarbietungen, sondern um einen öffentlich wirksamen, berlinweit wahrnehmbaren Protest mit größtmöglicher Resonanz gegen den Umbau der Kastanienallee. Dies lässt sich u. a. auch der Formulierung entnehmen, die verschiedenen Musikgruppen werden für die Kastanienallee spielen' (vgl. stoppt-k21.de, Stand 11.05.2011). Auch die Aufstellung von fünfzig Informationsständen und Sammlung von Unterschriften für das Bürgerbegehren nehmen der Veranstaltung nicht ihren Charakter als Versammlung, denn beides zielt darauf ab, die Meinung der Veranstalter, also der Initiative STOPPT K21', zu verbreiten und durch Information weitere Personen von ihrer Meinung, der Umbau der Kastanienallee müsse gestoppt werden, zu überzeugen.

Für die Veranstaltung am 14. Mai 2011 sind vom Anmelder auch mehrere Reden geplant. Dass dabei Redner unterschiedlichster Initiativen zu Wort kommen sollen, bedeutet entgegen der Annahme des Antragsgegners nicht, dass diese nur zu den Themen der von ihnen vertretenen Initiativen, nicht aber zum Umbau der Kastanienallee ihre Meinung kundtun werden. Es muss mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Redner das Thema der Veranstaltung in ihren Reden aufgreifen werden. Auch der Wechsel von fünfzehnminütigen Rede- und halbstündigen Kulturbeiträgen im Zeitraum von 14.00 bis 22.00 Uhr belegt, dass die Meinungskundgabe während der gesamten Veranstaltung keine unwichtige Rolle spielt. Eine andere Bewertung wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn einer kurzen Rede nur noch Musikdarbietungen folgen sollten; dies ist aber nach dem geplanten Ablauf gerade nicht der Fall. Auch der Auftritt von Musikgruppen während einer Veranstaltung nimmt dieser nicht ihren Charakter als Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris). Das zur Veranstaltung am 14. Mai 2011 hergestellte Plakat enthält entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht nur ausschließlich Hinweise auf Musik- bzw. Kulturbeiträge, sondern verweist mit der großen Überschrift RECLAIM DEMOCRACY' und den kleineren Zusätzen Kastanienallee Aktionstag' und Stoppt die Zerstörung zw. Schönhauser Allee und Schwedter Straße' deutlich auf das Anliegen der Veranstaltung und die damit verbundene Meinungskundgabe, die Demokratie zurückfordern zu wollen und damit als Bürger bei Planungsentscheidungen intensiver mitreden und -bestimmen zu können als es bislang der Fall gewesen sein mag. Auch wenn in einigen Presseveröffentlichungen die Veranstaltung als Straßenfest' bezeichnet wurde, bestehen nach den obigen Ausführungen keine überwiegenden Anhaltspunkte, den Charakter der Veranstaltung als Versammlung allein deshalb zu verneinen.

Die im zweiten Schritt vorzunehmende Würdigung und Gewichtung der nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, hier also die Kulturbeiträge, führt zwar zu einem zeitlichen Übergewicht dieses Veranstaltungsteils, kann aber bei dem im dritten Schritt vorzunehmenden Vergleich beider Teile und ihrer Beziehung zueinander schon wegen der Verschränkung im zeitlichen Ablauf, also des regelmäßigen Wechsels von Rede- und Kulturbeiträgen, nicht als ein auch inhaltliches Überwiegen der Musikdarbietungen mit völlig untergeordneter Meinungskundgabe angesehen werden.

Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, dass sich eine ganz eindeutige Zuordnung der Veranstaltung unter dem Versammlungsbegriff aufgrund nicht immer einheitlicher Darstellung der geplanten Veranstaltung nicht vornehmen lässt. Wie oben aber bereits ausgeführt, muss in den Fällen, in denen Unsicherheiten verbleiben, allein schon wegen des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt werden.

Es kann auch nicht von einer bereits am 18. Dezember 2010 vom Antragsteller durchgeführten Veranstaltung, die damals als Versammlung bewertet wurde, nach einem Vermerk im Verwaltungsvorgang ihren Schwerpunkt aber in den Musikdarbietungen sowie dem Ausschank von Glühwein und Suppe' gehabt haben soll, auf den Charakter der jetzt gewollten Veranstaltung geschlossen werden. Denn entgegen der früheren Versammlung, auf der nach Darstellung der Polizei keine richtigen Redebeiträge' gehalten worden sein sollen, sind - wie dargelegt - nun insgesamt neun verschiedene Redebeiträge geplant.

Erst recht unerheblich für die Frage, ob die Veranstaltung als Versammlung zu werten ist, sind die von der Verkehrslenkung Berlin und den Berliner Verkehrsbetrieben geltend gemachten Bedenken bezüglich der Behinderung des öffentlichen Personennahverkehrs und dem in der Kürze der Zeit nicht organisierbaren Ersatzverkehr. Zur Vermeidung eventuell die öffentliche Ordnung gefährdender Verkehrssituationen bei Einstellung des Straßenbahnverkehrs steht es der Versammlungsbehörde frei, gegebenenfalls durch Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG die Ermöglichung des Straßenverkehrs sicherzustellen. Gleiches gilt im Übrigen für eine mögliche Gefährdung der Versammlungsteilnehmer durch die existierende Baustelle. Die Beurteilung, inwieweit für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung weitere Auflagen zu erteilen sind, ist nicht Sache des Gerichts, sondern des Antragsgegners. Sollte sich während der Veranstaltung herausstellen, dass jedwede gemeinsame Meinungsäußerung der Teilnehmer fehlt und nach den oben dargestellten Kriterien eindeutig nicht von einer Versammlung gesprochen werden kann, steht es dem Antragsgegner frei, mit ordnungsrechtlichen Mitteln einzugreifen. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 11.05.2011 - 1 L 148.11)

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Soll die geplante Veranstaltung einen Rahmen bieten, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden, handelt es sich um eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes. Liegen Gründe für eine Spontanversammlung, nach der die versammlungsrechtlichen Vorschriften über die Anmeldepflicht nach § 14 VersG entfallen, nicht vor, ist in der Anmeldepflicht keine unverhältnismäßige Einschränkung der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie i.S. des Art. 9 GG zu sehen (AG München, Urteil vom 26.01.2009 - 845 Cs 113 Js 11159/08).

§ 15

(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflage abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

(2) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn

1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und
2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden durch Landesgesetz bestimmt.

(3) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 oder 2 gegeben sind.

(4) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen.

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Anlage (zu § 15 Abs. 2)

Die Abgrenzung des Ortes nach § 15 Abs. 2 Satz 2 (Denkmal für die ermordeten Juden Europas) umfasst das Gebiet der Bundeshauptstadt Berlin, das umgrenzt wird durch die Ebertstraße, zwischen der Straße In den Ministergärten bzw. Lennestraße und der Umfahrung Platz des 18. März, einschließlich des unbefestigten Grünflächenbereichs Ebertpromenade und des Bereichs der unbefestigten Grünfläche im Bereich des J.-W.-von-Goethe-Denkmals, die Behrenstraße, zwischen Ebertstraße und Wilhelmstraße, die Cora-Berliner-Straße, die Gertrud-Kolmar-Straße, nördlich der Einmündung der Straße In den Ministergärten, die Hannah-Arendt-Straße, einschließlich der Verlängerung zur Wilhelmstraße. Die genannten Umgrenzungslinien sind einschließlich der Fahrbahnen, Gehwege und aller sonstigen zum Betreten oder Befahren bestimmten öffentlichen Flächen Bestandteil des Gebiets.

Leitsätze/Entscheidungen:

... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verbote von Versammlungen am 31. August 2012 und am 1. September 2012 in D. gerichtet ist, hat keinen Erfolg.

1. Mit Bescheid vom 27. August 2012 hat das Polizeipräsidium D. die von dem Antragsteller angemeldeten Versammlungen unter dem Motto "Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege", die jährlich wiederkehrend als "Antikriegstag" durchgeführt werden, im Wesentlichen mit der Begründung verboten, dass die Versammlungen nicht von dem Beschwerdeführer als Privatperson, sondern als Vertreter für die vom Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen mit Verfügung vom 10. August 2012 verbotene Vereinigung "Nationaler Widerstand D." angemeldet worden seien. Die Durchführung des "Antikriegstages" würde den organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen Vereinigung aufrechterhalten, zumindest aber unterstützen.

2. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen haben das Versammlungsverbot bestätigt.

3. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 (161); 111, 147 (152 f.); stRspr). Erweist sich die Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 (161); 96, 120 (128 f.); stRspr). Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.

Über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann zum derzeitigen Verfahrenszeitpunkt noch nicht abschließend entschieden werden; sie kann allerdings auch nicht als von vornherein unzulässig verworfen werden. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer beruft sich als natürliche Person auf die Versammlungsfreiheit. Mit dem Verbot eines Vereins als Organisation ist ihm diese nicht aberkannt (vgl. BVerfGE 25, 44 (57 ff.); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. November 2001 - 1 BvR 98/97 -, juris). Das Verfahren berührt die schwierige materiellrechtliche Frage, ob beziehungsweise unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die organisationsbezogene Entscheidung eines Vereinsverbots über Zurechnungen die vormaligen verantwortlichen Personen des verbotenen Vereins im Ergebnis auch darin einschränken kann, Versammlungen zu veranstalten, die an sich gesetzlich nicht zu beanstanden sind. Diese Frage kann nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung entschieden werden, sondern ist gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu beantworten.

Über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist demnach im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden.

Würde vorliegend eine einstweilige Anordnung ergehen, sich aber dann im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich Bestand haben, läge hierin ein Nachteil von gravierendem Gewicht. Denn dann wären die Versammlungen Zuwiderhandlungen gegen das Vereinsverbot und somit strafbar. Das Verbot betrifft zwei Versammlungen, die noch durch die Personen in den Strukturen der gerade verbotenen Vereinigung vorbereitet und beworben wurden und wie schon in der Vergangenheit von der verbotenen Vereinigung als deren zentrales, identitätsstiftendes Ereignis organisiert wurden. Die Verwaltungsgerichte sehen dabei in der Veranstaltung die Durchführung einer Versammlung der verbotenen Vereinigung, für die der Beschwerdeführer weiterhin tätig sei. Sie können sich dabei darauf stützen, dass Veranstaltungen in Rede stehen, die schon vor der Verbotsverfügung von dem Beschwerdeführer, der zur Leitungsebene und zu den Meinungsführern in der verbotenen Vereinigung gehörte, angemeldet wurden und nunmehr unverändert in derselben Form, von denselben Personen und in denselben Strukturen durchgeführt werden sollen. Die Internetseite der verbotenen Vereinigung "w." enthält eigens eine Rubrik "Antikriegstag", die auf die Internetseite "h." führte. Die hier verbotenen Versammlungen bilden nach den insoweit substantiiert begründeten Erwägungen der Verwaltungsgerichte offensichtlich eine Fortsetzung der Tätigkeit der inzwischen verbotenen Vereinigung. Dabei sind hier weniger das Thema der Versammlungen maßgeblich, als vielmehr ihr Format und ihre Organisationsstrukturen. Es liegt auf der Hand, dass die unveränderte Durchführung dieser der verbotenen Vereinigung zuzurechnenden Versammlungen unmittelbar nach Erlass der Verbotsverfügung ihren organisatorischen Zusammenhalt aufrechterhalten beziehungsweise festigen würde.

Demgegenüber sind die Nachteile weniger schwerwiegend, wenn keine einstweilige Anordnung erginge, sich in der Hauptsache aber herausstellen sollte, dass die Versammlungsverbote verfassungsrechtlich keinen Bestand haben können. Die Verbotsverfügung betrifft nicht Versammlungen aus aktuellem Anlass und mit einem dringenden zeitgebundenen Bezug, so dass sich mit dem Verbot das durch die Versammlungen verfolgte politische Anliegen nicht erledigt, sondern in weiteren Demonstrationen erneut aufgegriffen werden kann. Ohnehin spricht das Verbot dem Beschwerdeführer sein Versammlungsrecht zur Verbreitung seiner politischen Überzeugungen nicht mit weiterer Wirkung für die Zukunft ab, sondern erfasst ausschließlich zwei konkrete Versammlungen, die aus den genannten Gründen noch der verbotenen Vereinigung zugerechnet werden. Insbesondere folgt aus dem allein auf die vorliegenden, in spezifischer Weise noch der verbotenen Vereinigung zuzurechnenden Versammlungen bezogenen Verbot weder seinem Gegenstand nach noch in der Sache, dass der Beschwerdeführer künftig grundsätzlich gehindert wäre, zu Themen, denen die hier verbotenen Versammlungen gelten, Veranstaltungen - auch in D. - durchzuführen. Unter diesen Voraussetzungen enthält das Verbot keinen so schweren Nachteil für den Beschwerdeführer, dass das Bundesverfassungsgericht im Wege der nur zurückhaltend und unter Anlegung eines strengen Maßstabs anzuwendenden einstweiligen Anordnung zwingend einschreiten müsste. ..." (BVerfG, Beschluss vom 31.08.2012 - 1 BvR 1840/12)

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Verweigerter effektiver Rechtschutz durch Ablehnung des Erlasses einer einsteiligen Anordnung gegen teilweise Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 16.05.2012 - 1 BvQ 17/12 - blockupy I"):

... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der versammlungsrechtliche Verfügungen der Stadt Frankfurt am Main betrifft, mit denen den Antragstellern insbesondere verboten wurde, vom 17. Mai 2012 bis zum 19. Mai 2012 mehrere Plätze in der Frankfurter Innenstadt mit jeweils erwarteten 1.000 Teilnehmern zu Blockadezwecken zu besetzen, einen Infostand sowie eine Auftaktkundgebung am 16. Mai 2012 zu errichten beziehungsweise zu veranstalten sowie eine Veranstaltung am 18. Mai 2012 vor der Deutschen Bank durchzuführen, hat unbeachtet der Frage der Zulässigkeit des Antrags keinen Erfolg. Im Rahmen der bei der Prüfung von Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich maßgeblichen Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 (161); 88, 185 (186); 91, 252 (257 f.); 111, 147 (152 f.); stRspr) ist vorliegend ausgehend vom Vorbringen der Antragsteller und den vorläufigen Rechtsschutzentscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht erkennbar, dass die Nachteile der Antragsteller im Verhältnis zu den drohenden Nachteilen dritter Grundrechtsberechtigter so schwer wiegen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht dringend geboten wäre. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. ..."

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Versammlungsbehördlich angeordneter Sofortvollzug einer Auflage, mit der die zeitliche Verlegung einer Demonstration verfügt wurde (BVerfG, Beschluss vom 27.01.2012 - 1 BvQ 4/12):

... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft einen versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug einer Auflage, mit der die zeitliche Verlegung einer Demonstration vom 27. Januar 2012 auf den 28. Januar 2012 verfügt wurde.

I. 1. Die Antragstellerin meldete eine Versammlung mit dem Motto Von der Finanz- zur Eurokrise - zurück zur D-Mark heißt unsere Devise!' für den 27. Januar 2012 von 19:00 bis 21:00 Uhr im Zentrum der Stadt T. an. Die Anmeldung erfolgte nach Auskunft der zuständigen Versammlungsbehörde am 25. Januar 2012. Das Versammlungsthema nahm dabei Bezug auf einen am selben Abend in der Aula des Bischöflichen Priesterseminars stattfindenden Vortrag des Börsenexperten Prof. O. mit dem Titel Von der Finanz- zur Eurokrise'. Der 27. Januar ist, wie allgemein bekannt und Gegenstand der Presseberichterstattung ist, der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

2. Mit Bescheid vom 26. Januar 2012 verfügte die Versammlungsbehörde gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die zeitliche Verlegung des Versammlungstermins auf den 28. Januar mit der Begründung, dass die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung der öffentliche Ordnung bestünde, wenn die nach ihrem eigenen Selbstverständnis rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands am Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus einen Aufzug veranstalte. Denn hiervon ginge eine Provokationswirkung aus, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen würde. Einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung lehnten sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht jeweils mit Beschluss vom 27. Januar 2012 ab, da die angefochtene zeitliche Verlegung aus den für zutreffend erachteten Gründen der Versammlungsbehörde offensichtlich rechtmäßig sei.

3. In ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG rügt die Antragstellerin eine Verletzung in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn im Hauptsachverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 (161); 111, 147 (152 f.); stRspr). Erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, einer Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 (161); 96, 120 (128 f.); stRspr). Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.

2. Eine Verfassungsbeschwerde wäre vorliegend allerdings weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die öffentliche Ordnung nicht von vornherein als Schutzgut, das eine zeitliche Verschiebung einer Versammlung um einen Tag rechtfertigen kann, ausscheidet und dass die öffentliche Ordnung auch dann betroffen sein kann, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, S. 1409 (1410)). Diese Entscheidung ist jedoch als eine auf eine konkrete Situation bezogene Einzelfallentscheidung ergangen und erlaubt keinesfalls den pauschalen, jeglicher weiteren Begründung enthobenen Rückschluss, dass an Gedenktagen Versammlungen bereits dann nicht durchgeführt werden dürfen, wenn diese in irgendeinem Sinne als dem Gedenken entgegenlaufend zu beurteilen sind. Vielmehr ist die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfGK 7, 221 (226 ff.); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, juris, Rn. 18), wobei eine grundsätzliche Klärung dieser Fragen noch aussteht. Vorliegend dürften insofern im Besonderen die Umstände gewürdigt werden müssen, dass das Versammlungsthema keinen ausdrücklichen Bezug zum Gedenktag sondern zu einem Vortrag zu einem anderen aktuellen allgemeinpolitischen Thema aufweist und dass - soweit ersichtlich - zum Versammlungszeitpunkt am Versammlungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auch keine besondere, an das Unrecht des Nationalsozialismus erinnernde Gedenkveranstaltung stattfindet. Dass von der Art und Weise der angemeldeten Versammlung zum beabsichtigten Zeitpunkt Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen, ist vorliegend zumindest zweifelhaft. Dies abschließend zu bewerten, ist aber nicht Aufgabe des Eilrechtsschutzes vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Ergebnis kann dies erst in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden. Dabei ist im vorliegenden Verfahren, in dem allein vorläufiger Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht gesucht wird, nicht darüber zu entscheiden, ob dies bereits in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes geklärt werden kann oder erst nach Durchführung eines verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens.

3. Die damit erforderliche Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen ist, weil die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre, die Folgen überwiegen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte.

Würde die einstweilige Anordnung erlassen, so müsste die Versammlungsbehörde in Zusammenarbeit mit den allgemeinen Polizeibehörden binnen kürzester Zeit - der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ging am späten Nachmittag des 27. Januar 2012 bei der zentralen Faxstelle des Bundesverfassungsgerichts ein und konnte erst 30 Minuten vor dem beabsichtigten Versammlungsbeginn beschieden werden - die insoweit notwendigen Maßnahmen einleiten und das hierfür erforderliche Personal und die notwendige Ausrüstung bereitstellen, um den ordnungsgemäßen Verlauf der Versammlung sicherzustellen. Das Gericht kann sich unter den aufgezeigten zeitlichen Bedingungen kein hinreichend zuverlässiges Bild darüber machen, welche Gefahren bei Durchführung der Versammlung - gegebenenfalls auch durch Dritte - zu besorgen und welche Maßnahmen zu deren Verhinderung geboten und noch möglich sind. Mithin ist die Gefahr erheblicher und in der Kürze der Zeit nicht mehr zu kontrollierender Störungen der öffentlichen Sicherheit nicht auszuschließen. Dies kann der zuständigen Versammlungsbehörde vorliegend auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, da die Versammlung kurzfristig angemeldet wurde, sie selbst ohne Verzögerung über den Versammlungsverlauf entschieden hat und sie aufgrund der ebenfalls ohne Verzögerung ergangenen Gerichtsbeschlüsse, die unter Bezugnahme auf die oben zitierte Entscheidung der Kammer vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - ihre Entscheidung bestätigten, zumindest in begrenztem Umfange darauf vertrauen durfte, dass ihre Entscheidung bestehen bleiben und am fraglichen Tag die Versammlung nicht mehr stattfinden würde.

Demgegenüber wiegen die Folgen für die Antragstellerin, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, weniger schwer. Der Antragstellerin wurde grundsätzlich erlaubt, ihre Versammlung durchzuführen. Zwar ist von Art. 8 Abs. 1 GG auch die Wahl des Zeitpunktes der Versammlung umfasst (vgl. BVerfGE 69, 315 (343)). Ein Eingriff hierin wiegt jedoch nicht so schwer wie ein Versammlungsverbot. Dass die Verlegung um einen Tag vorliegend einem Verbot gleichkäme erschließt sich - entgegen dem Vortrag der Antragstellerin - nicht. Das Versammlungsthema nimmt Bezug auf eine Frage, die unabhängig von dem am beabsichtigten Versammlungstag stattfindenden Vortrag derzeit im Fokus der öffentlichen Diskussion steht. Es ist daher zu erwarten, dass der Auseinandersetzung der Antragstellerin mit dem Thema auch am Folgetag der Veranstaltung ähnliche Beachtung in der Öffentlichkeit geschenkt wird wie am Tag des Vortrags selbst, zumal der in Bezug genommene Vortrag in einem geschlossenen Raum mit begrenzter Zuhörerschaft stattfindet und derartige Vorträge ihre volle Außenwirksamkeit regelmäßig erst durch eine anschließende Presseberichterstattung entfalten. ..."

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Bei der Gefahrenprognose für ein auf die unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gem. § 15 VersG gestütztes Versammlungsverbot ist zu berücksichtigen, ob sich die von der Behörde herangezogenen Äußerungen und Aufrufe von erwarteten, latent gewaltbereiten Teilnehmern (hier: von den Autonomen Nationalisten") zur Gewaltanwendung auf die konkret geplante Versammlung beziehen, ob von diesen Teilnehmern bei nach Motto, Ort, Datum sowie Teilnehmer- und Organisationskreis ähnlichen Versammlungen Gewalt ausgegangen ist und ob die für das Gefahrenpotenzial angenommene Anzahl gewaltbereiter Teilnehmer auf einer verlässlichen Tatsachengrundlage beruht. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Annahme der Versammlungsbehörde berechtigt ist, dass die für die Organisation und Durchführung einer Versammlung verantwortliche Person nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung der Versammlung verfügt (BVerfG, Beschluss vom 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09, NJW 2010, 141 ff):

... Der mit einer Verfassungsbeschwerde verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot.

Der Veranstalter meldete für den 5. 9. 2009 eine Versammlung in Dortmund samt Aufzug unter dem Motto Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege - für freie Völker in einer freien Welt" mit einer zu erwartenden Teilnehmerzahl von circa 1000 Teilnehmern an (Fünfter Antikriegstag). Mit an den Bf. als Versammlungsleiter adressierter Verbotsverfügung vom 14. 7. 2009 verbot die Versammlungsbehörde die geplante Versammlung unter Berufung auf das Erscheinen von Demonstranten aus der Szene der Autonomen Nationalisten" wegen der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit gem. § VersammlG § 15 VersammlG § 15 Absatz I VersG und erklärte das Verbot für sofort vollziehbar. Die vom Bf. angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 12. 8. 2009 - 14 L 746/09, BeckRS 2009, BeckRS Band 2009 Nr. 37618). In seinem mit einer Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügte der Bf. eine Verletzung seines Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. GG Artikel 8 GG Artikel 8 Absatz I GG.

Die Kammer stellte die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung mit der Maßgabe wieder her, dass von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu leisten war. ...

II. 1. Nach § BVerfGG § 32 BVerfGG § 32 Absatz I BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn - wie hier - aus Anlass eines Versammlungsverbots über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu entscheiden ist und ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl i.S. des § BVerfGG § 32 BVerfGG § 32 Absatz I BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, BVerfGE Band 111 Seite 147 [ BVerfGE Band 111 Seite 153] = NJW 2004, NJW Band 2004 Seite 2814).

2. So liegt der Fall hier. Die dem BVerfG im Eilrechtsschutzverfahren allein mögliche vorläufige Prüfung lässt eine ausreichende Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Versammlungsverbot und damit einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. GG Artikel 8 GG Artikel 8 Absatz I GG nicht erkennen.

Das BVerfG legt der Prüfung des Eilantrags in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde. Etwas anderes gilt, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 110, BVerfGE Band 110 Seite 77 [ BVerfGE Band 110 Seite 87f.] = NJW 2004, NJW Band 2004 Seite 2510; BVerfGE 111, BVerfGE Band 111 Seite 147 [ BVerfGE Band 111 Seite 153] = NJW 2004, NJW Band 2004 Seite 2814; BVerfGK 3, 97 [99] = NVwZ 2004, NVwZ Band 2004 Seite 1111).

3. Ist die behördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt (§ VersammlG § 15 VersG), erfordert die von der Behörde oder den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfGE 69, BVerfGE Band 69 Seite 315 [ BVerfGE Band 69 Seite 353f.] = NJW 1985, NJW Band 1985 Seite 2395; BVerfGE 87, BVerfGE Band 87 Seite 399 [ BVerfGE Band 87 Seite 409] = NJW 1993, NJW Band 1993 Seite 581). Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. GG Artikel 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (vgl. BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 2001, NJW Band 2001 Seite 1407 [ NJW Band 2001 Seite 1408f.]). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zu Grunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NVwZ-RR 2002, NVwZ-RR Band 2002 Seite 500).

4. Die von der Versammlungsbehörde aufgezeigten Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit tragen das Versammlungsverbot nicht. Gleiches gilt für die vom VG und vom OVG ergänzend zu den Darlegungen der Versammlungsbehörde zur Begründung ihrer Entscheidungen herangezogenen Gesichtspunkte.

a) Die Versammlungsbehörde stützt ihre Gefahrenprognose auf den Umstand, dass mit dem Veranstalter sowie dem stellvertretenden Versammlungsleiter und einer weiteren Person, die während des Kooperationsgesprächs anwesend war, Mitglieder aus der Szene der Autonomen Nationalisten" für die geplante Versammlung initiativ geworden sind, und die Erwägung, dass dies überwiegend Demonstranten aus Kreisen der Autonomen Nationalisten" anlocken werde. Hierbei verweisen die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte - wenngleich unter Bezugnahme auf unterschiedliche Quellen - auf Äußerungen und Aufrufe von einzelnen Anhängern bzw. lokalen und regionalen Gruppierungen der Autonomen Nationalisten" im Internet, in denen allgemein und ohne Bezug auf die in Streit stehende Versammlung die Ziele, das Selbstverständnis und die Taktik des so genannten Schwarzen Blocks" propagiert werden. Danach behalten sich die Autonomen Nationalisten" auf Versammlungen bei hinreichender Provokation, sei es durch Gegendemonstranten oder durch Polizeikräfte, als letztes Mittel vor, aus der Anonymität der Menge heraus im Wege der Selbsthilfe Gewalt anzuwenden. Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben überdies auf die zunehmende Präsenz des Schwarzen Blocks bei rechtsradikalen Versammlungen abgestellt.

Dieser Fall der nicht auszuschließenden Mobilisierung bestimmter abstrakt gewaltbereiter Teilnehmerkreise ist indes qualitativ im Hinblick auf den Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefahr nicht mit der Konstellation zu vergleichen, dass über das Internet von bestimmten Einzelpersonen oder Gruppierungen auf die konkrete Versammlung bezogene Äußerungen und Aufrufe verbreitet werden, in der die Anwendung von Gewalt unmittelbar angedroht bzw. in Aussicht gestellt wird. Keine der von der Versammlungsbehörde und den Verwaltungsgerichten für die Gefahrenprognose herangezogenen Äußerungen und Aufrufe im Internet enthält einen Bezug zu der konkret geplanten Versammlung. Die Äußerungen und Aufrufe erschöpfen sich insoweit in allgemeinen Ausführungen zu dem unter den Autonomen Nationalisten" gängigen Gewaltvorbehalt. Aus dem Gewaltvorbehalt ist allerdings zu schließen, dass die Mitglieder der Autonomen Nationalisten" als bedingt bzw. latent gewaltbereit einzustufen sind und insoweit die Gefahr besteht, dass sie für sich die Schwelle für den Eintritt der Bedingung, der hinreichenden Provokation, entsprechend der Namensgebung nach eigenen Maßstäben losgelöst von rechtsstaatlichen Grundsätzen festlegen. Dies allein begründet aber noch nicht für jeden Fall, in dem möglicherweise eine größere Zahl Autonomer Nationalisten" an einer Versammlung teilnimmt, die Annahme, dass von direkt bevorstehenden Gewalttätigkeiten und damit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen ist, und entsprechend kann hieraus nicht auf die konkrete Absicht dieses potenziellen Teilnehmerkreises geschlossen werden, auf der geplanten Versammlung Gewalt anzuwenden. Die knapp einen Monat vor der geplanten Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführte Versammlung deutet - ungeachtet der Unterschiede zwischen beiden Veranstaltungen im Einzelnen - darauf hin, dass das Erscheinen von Autonomen Nationalisten" nicht zwangsläufig zu Ausschreitungen auf Seiten der rechtsradikalen Versammlungsteilnehmer führt, wenn die durch eine kluge Polizeitaktik geschaffenen Rahmenbedingungen stimmen.

b) Soweit die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte eine Indizwirkung für das Gefahrenpotenzial aus früheren rechtsradikalen Versammlungen ableiten, ist eine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage im Hinblick auf die Erwartung einer ein Verbot rechtfertigenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht dargetan. Nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind, liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen bei der Behörde (vgl. BVerfG, NJW 2001, NJW Band 2001 Seite 2078 [ NJW Band 2001 Seite 2079]). Als Vorgängerversammlungen sind in erster Linie diejenigen Veranstaltungen heranzuziehen, die bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante Versammlung aufweisen. Die Antikriegstags-Versammlungen in den Jahren 2005, 2006 und 2007 sind nach den Angaben in der Verbotsverfügung gänzlich ohne Vorkommnisse durchgeführt worden. Auf der Antikriegstag-Versammlung im Jahr 2008 ist es zwar augenscheinlich zu gewissen tätlichen Auseinandersetzungen gekommen, die Angaben der Versammlungsbehörde zu Umfang, Intensität und Folgen dieser Tätlichkeiten sind allerdings zu unbestimmt, um den Schluss zuzulassen, dass die Versammlung selbst die Schwelle zur Gewaltanwendung überschritten hat. Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sei (vgl. BVerfG, NJW 2000, NJW Band 2000 Seite 3051 [ NJW Band 2000 Seite 3053]). Die in der Verbotsverfügung aufgelisteten früheren 1. Mai-Demonstrationen können daher nicht ohne Weiteres als Indiz für die Gefahrenprognose herangezogen werden, da sie unter einem anderen Motto, an einem anderen, noch konfliktträchtigeren Datum, teils an einem anderem Ort und teils ohne Anmeldung stattgefunden haben. In diesem Zusammenhang hätten die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte zu Gunsten der geplanten Versammlung auch berücksichtigen müssen, dass die knapp einen Monat vor der geplanten Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführte rechtsradikale Versammlung ohne jegliche Gewaltanwendung stattgefunden hat, obwohl im Vorfeld dieser Versammlung nach der Darstellung der Polizeikräfte vor Ort mit der Teilnahme einer großen Gruppe" gewaltbereiter Autonomer Nationalisten" gerechnet wurde und auch tatsächlich mehrere Gruppen von Autonomen Nationalisten", nicht zuletzt aus Dortmund, zu der Versammlung angereist waren.

c) Soweit die Versammlungsbehörde das Gefahrenpotenzial mit der Menge der zu erwartenden Autonomen Nationalisten" begründet hat, begegnet die Gefahrenprognose auch in quantitativer Hinsicht Bedenken. Die Annahme der Versammlungsbehörde, dass sich die Demonstranten überwiegend aus den Reihen der Autonomen Nationalisten" rekrutieren werden, ist auf Grund des Verhältnisses zwischen der Zahl der auf der Versammlung zu erwartenden Teilnehmer und der Zahl der Autonomen Nationalisten" insgesamt nicht nachvollziehbar. Nach dem vom Bf. angeführten Verfassungsschutzbericht 2008 schätzt das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zahl der Autonomen Nationalisten" bundesweit auf circa 480 Personen. Da nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht damit zu rechnen ist, dass sämtliche zu diesem Kreis dazugehörigen Personen an der geplanten Versammlung teilnehmen werden, ist davon auszugehen, dass sich die Autonomen Nationalisten" bei zu erwartender Teilnehmerzahl von 1000 - die Versammlungsbehörde geht selbst von einer größeren Zahl aus - in der Minderheit befinden. Zwar hat das VG die Schätzung dahingehend korrigiert, dass lediglich mit einer erheblichen" Zahl von Demonstranten aus Kreisen der Autonomen Nationalisten" zu rechnen sei. Daraus haben jedoch weder das VG noch das OVG Konsequenzen bei der Gefahrenprognose gezogen.

d) Ferner haben die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte keine konkreten Tatsachen aufgezeigt, aus denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass die für die Organisation und Durchführung der Versammlung verantwortlichen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen. Zwar kann von diesen Personen, wenn mit dem Erscheinen einer gewaltorientierten Minderheit sicher zu rechnen ist, erwartet werden, dass sie auch in ihrem Vorfeld öffentlich deutliche Signale setzen, die auf die Gewaltfreiheit der Durchführung der Versammlung ausgerichtet sind (vgl. BVerfG, NJW 2000, NJW Band 2000 Seite 3051 [ NJW Band 2000 Seite 3053]; NJW 2001, NJW Band 2001 Seite 2078 [ NJW Band 2001 Seite 2079]). Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben indes nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich die Verantwortlichen in einem auf die konkrete Versammlung bezogenen Aufruf ausdrücklich von Gewaltanwendung distanziert und insoweit Anstrengungen unternommen haben, die auf einen gewaltfreien Verlauf der geplanten Versammlung abzielen. Zutreffend verweist der Bf. auf die am 12. 7. 2009 veröffentlichte Rubrik Was wir möchten und was nicht" auf dem Internetportal Antikriegstag 2009", in der Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung des Demonstrationsanliegens abgelehnt wird. Entgegen der Auffassung des VG kann aus dem Satz der Ablehnung von sinnloser Gewalt" gegen Polizisten und Andersdenkende" auch nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass zwischen unerwünschter sinnloser" Gewalt und gerechtfertigter sinnvoller" Gewalt differenziert wird. Der vorangehende und der nachfolgende Text des Aufrufs stehen einer solchen Auslegung entgegen.

Entgegen der Auffassung des OVG wird diese nach außen hin kommunizierte Distanzierung von Gewalt auch nicht dadurch entwertet, dass der Bf. schriftsätzlich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Verhalten von Mitgliedern der Autonomen Nationalisten" zu erklären suchte. Maßgebend ist insoweit der öffentliche, an die potenziellen Teilnehmer gerichtete Aufruf zum Gewaltverzicht. Die Distanzierungsobliegenheit hat zwar auch die Funktion, den zuständigen Behörden aufzuzeigen, ob die für die Organisation und Durchführung verantwortlichen Personen zuverlässige Ansprechpartner sind. Das allein in Form der Rechtsverteidigung geäußerte Vorbringen ist jedoch erkennbar von dem Anliegen getragen, die Bedenken der Versammlungsbehörde im Hinblick auf die Aktivierung der bedingten Gewaltbereitschaft der Autonomen Nationalisten" auf der geplanten Versammlung zu zerstreuen und zu verhindern, dass die Versammlungsbehörde allein das mögliche Erscheinen der Autonomen Nationalisten" als Anlass für ein Verbot genügen lässt. Daraus kann im konkreten Kontext nicht geschlossen werden, der Bf. werde in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter dulden oder fördern, dass die Versammlung die Schwelle der Gewaltanwendung überschreitet. Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte hätten berücksichtigen müssen, dass der Bf. unwidersprochen vorgetragen hat, seit fast zehn Jahren als Versammlungsleiter tätig zu sein und nahezu hundert Versammlungen durchgeführt zu haben, ohne dass eine Versammlung unfriedlich verlaufen sei. Das Gegenteil dieser Behauptung ist von den Verwaltungsgerichten nicht festgestellt worden. Des Weiteren hätten die Verwaltungsgerichte den Umstand einbeziehen müssen, dass der Bf. die Polizei ermutigt hat, frühzeitig und konsequent von ihren präventiven Kontrollbefugnissen im Vorfeld der geplanten Versammlung Gebrauch zu machen. Die Distanzierung wird auch nicht dadurch entwertet, dass auf einer Internetseite der Autonomen Nationalisten" ein Flugblatt des Veranstalters der geplanten Versammlung veröffentlicht wurde, in dem dieser die Anwendung von Gewalt auf Seiten der Autonomen Nationalisten" auf der 1. Mai-Versammlung im Jahr 2009 leugnet. Zudem bezieht sich das Flugblatt nicht auf die konkrete Versammlung.

e) Ein Versammlungsverbot scheidet aus, solange mildere Mittel nicht ausgeschöpft sind (vgl. BVerfGE 69, BVerfGE Band 69 Seite 315 [ BVerfGE Band 69 Seite 353] = NJW 1985, NJW Band 1985 Seite 2395). Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben im vorliegenden Fall alternative Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie beispielsweise versammlungsrechtliche Auflagen oder den frühzeitigen und verstärkten Einsatz polizeilicher Vorabkontrollen nicht hinreichend geprüft und mit tragfähiger Begründung ausgeschieden. ..."

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Das für beschränkende Verfügungen (Auflagen) gem. § 15 I VersG vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergibt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus. Soweit Beschränkungen mit dem Inhalt der die Versammlung betreffenden Meinungsäußerungen begründet werden, ist die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG zu berücksichtigen. Der Inhalt von Meinungsäußerungen (hier: "Nationaler Widerstand" und "Nationaler Widerstand Hochsauerland"), der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. § 15 I VersG bedarf aus verfassungsrechtlichen Gründen einer einschränkenden Auslegung dahingehend, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung als Grundlage beschränkender Verfügungen ausscheidet, soweit sie im Inhalt von Äußerungen gesehen wird (im Anschluss an BVerfGE 111, 147 [156 ff.] = NJW 2004, 2814). Beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung sind insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich, als sich die in § 15 I VersG vorausgesetzte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt (im Anschluss an BVerfGE 111, 147 [156 f.] = NJW 2004, 2814). Das gemeinsame laute Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische Ausdrucksform, die am Schutz der Versammlungsfreiheit teilhat. Mit der Bedeutung der Versammlungsfreiheit wäre es unvereinbar, bereits aus den versammlungstypischen Formen gemeinsamer Meinungskundgabe, wie dem lauten gemeinsamen Rufen oder Skandieren sowie der Verwendung von Transparenten oder Flugblättern, jene versammlungsspezifischen Wirkungen ableiten zu wollen, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die öffentliche Ordnung zu rechtfertigen. Von Verfassungs wegen muss daher für die Zulässigkeit der Beschränkung durch Auflagen das in § 15 I VersG formulierte Erfordernis erfüllt sein, dass die öffentliche Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren, zu der Nutzung versammlungstypischer Kundgabeformen hinzutretenden Umständen durch die Art und Weise der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist (hier verneint für das Skandieren der Parolen "Nationaler Widerstand", "Nationaler Widerstand Hochsauerland", Freie Nationalisten Sauerland/Siegerland", BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04).

Ein für die Festsetzung versammlungsrechtlicher Auflagen erlassener Kostenbescheid greift in die Versammlungsfreiheit des Betroffenen ein, denn Gebühren aus Anlass einer Versammlung können deren Durchführung erschweren und gegebenenfalls Grundrechtsberechtigte von der Ausübung ihres Grundrechts abhalten. Ein auf der Grundlage von Art. 3 I Nr. 2 BayKostenG i. V. mit Tarif-Nr. 2.II.2/3 KVz erfolgender Eingriff in die Versammlungsfreiheit durch Erlass eines Kostenbescheides ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, wenn die Gebühr für eine versammlungsrechtlich begründete Amtshandlung erhoben wird, die nicht an die Verursachung einer dem Betroffenen zuzurechnenden konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anknüpft. Liegen die Voraussetzungen einer Auflage i. S. von § 15 I VersG nicht vor, ist die in der Kostenerhebung für eine solche "Auflage" liegende Beschränkung der Versammlungsfreiheit nicht gerechtfertigt (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2007 - 1 BvR 943/02).

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Geht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht von der Versammlung selbst, sondern von einer Gegenveranstaltung aus, ist insbesondere zu prüfen, ob die Inanspruchnahme des Nichtstörers durch eine versammlungsrechtliche Verfügung gegenüber den Veranstaltern der Gegendemonstration vermieden werden kann. Keinesfalls darf der Nichtstörer einem Störer gleichgestellt und die Auswahl des Adressaten der versammlungsrechtlichen Verfügung von bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig gemacht werden. Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so ist es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen staatlichen Stellen, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung der Versammlungsfreiheit für die Grundrechtsträger hinzuwirken. Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die unter Hinweis auf einen polizeilichen Notstand verfügte Verlegung einer Versammlung in ein menschenleeres Industriegebiet am Stadtrand mit der Begründung, bei den Teilnehmern der Versammlung könne eher mit der Beachtung einer Auflagenverfügung gerechnet werden als bei den Teilnehmern einer Gegenveranstaltung. Eine solche gezielte Benachteiligung des Rechtstreuen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht hinnehmbar. Werden mehrere Versammlungen zur gleichen Zeit für denselben Ort (hier: das Stadtzentrum von Schwerin) angemeldet, so kann über Verbote und Auflagen bezüglich einer dieser Versammlungen nicht ohne Rücksicht auf die übrigen entschieden werden. Vielmehr ist eine Gesamtschau vorzunehmen mit dem Ziel, die Gewährleistungen des Art. 8 GG in möglichst großem Ausmaß zu verwirklichen. Dies gilt insbesondere, wenn als Adressat für eine versammlungsrechtliche Verfügung ein Nichtstörer herangezogen werden soll und daher die Auswahl des Adressaten der Verfügung aus verfassungsrechtlichen Gründen von dem Ziel getragen sein muss, das Recht des Veranstalters auf Selbstbestimmung auch über den Ort der Versammlung so weit wie möglich zu sichern (BVerfG, Beschluss vom 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07).

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Es bedeutet eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, wenn die Versammlung verboten wird oder infolge von versammlungsbehördlichen Verfügungen und verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahekommt, etwa indem sie ihren spezifischen Charakter so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (hier: zu dem Zaun, der den Tagungsort des G8-Gipfels Heiligendamm umgab). Es bleibt offen, ob die Einschätzung der an einer Konferenz (hier: G8-Gipfel in Heiligendamm) teilnehmenden Vertreter auswärtiger Staaten, Demonstrationen und Kundgebungen gegenüber ihren Staaten seien unfreundliche Akte', überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen könnte, auf die Versammlungsbeschränkungen gestützt werden könnten. Jedenfalls können Empfindlichkeiten ausländischer Politiker Beschränkungen der Versammlungsfreiheit dann nicht rechtfertigen, wenn auf diese Weise der in Deutschland verfassungsrechtlich geschützte Meinungsbildungsprozess und der Schutz der darauf bezogenen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beeinträchtigt werden. Der verfassungsrechtliche Schutz von Machtkritik ist nicht auf Kritik an inländischen Machtträgern begrenzt. Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, zum Schutz der Teilnehmer einer Konferenz eine circa 5 km mal 8 km große Demonstrationsverbotszone um den Konferenzort auszuweisen, ohne in das dieser Maßnahme zu Grunde liegende Sicherheitskonzept das Anliegen der Durchführbarkeit von Demonstrationen in hinreichender Nähe zum Veranstaltungsort, insbesondere solcher mit einer inhaltlichen Stoßrichtung gegen die Konferenz, einfließen zu lassen. Für die Ermittlung der Folgen, die bei Erlass oder Nichterlass einer einstweiligen Anordnung jeweils eintreten, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag durch das BVerfG maßgeblich. Ergeben sich nach Erlass der behördlichen Verfügung oder nach der letzten gerichtlichen Entscheidung neue tatsächliche Anhaltspunkte, die auf die Art und Intensität der Gefahr oder das Gewicht der den Antragstellern drohenden Nachteile bezogen sind, hat das BVerfG diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen (hier: gewalttätige Ausschreitungen bei einer Demonstration; BVerfG, Urteil vom 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07):

... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der hier allein zu behandelnde Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft für sofort vollziehbar erklärte Versammlungsverbote.

A. I. Die Antragsteller begehren Eilrechtsschutz für eine Versammlung, die am 7. Juni 2007 in Form eines Sternmarsches' von verschiedenen Ausgangspunkten aus zu einer Abschlusskundgebung am Standort des G8-Gipfels in Heiligendamm führen soll. In den Strahlen' des Marsches sollen verschiedene politische Themen und Forderungen des Protestes gegen den G8-Gipfel zum Ausdruck gebracht werden.

Der Antragsteller zu 1 hat diese Versammlung am 30. Oktober 2006 unter Benennung von ursprünglich sechs Demonstrationsrouten angemeldet. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegnerin), die Polizeidirektion Rostock - BAO Kavala -, bestätigte' die Anmeldung mit Schreiben vom 6. März 2007 und bat um nähere Konkretisierung der Streckenführung.

Am 10. Mai 2007 fand ein Kooperationsgespräch zwischen Vertretern des Sternmarschbündnisses' und der Antragsgegnerin statt. Die Antragsgegnerin erklärte, dass eine Versammlung auf den vorgesehenen Routen und mit dem Zielort Heiligendamm nicht werde stattfinden können. In einem etwa 40 Quadratkilometer umfassenden Bereich um Heiligendamm, der auf einer Karte markiert war und für dessen Eingrenzung die Errichtung einer technischen Sperranlage vorgesehen war, der einen wesentlichen Teil der geplanten Routen umfasste, müssten die Straßen freigehalten werden, so dass die Versammlung dort nicht stattfinden könne. Die Vertreter hielten an der Anmeldung fest. Sie konkretisierten die geplanten sechs Routen nach Heiligendamm. Hilfsweise meldeten sie vier Ersatzrouten an, die bis zum Sperrzaun führen sollten. Zu Blockadeaufrufen anderer Veranstalter befragt, erklärten sie, dass von ihnen selbst keine Blockaden beabsichtigt seien. Sollten einzelne Teilnehmer sich hinsetzen, werde der Demonstrationszug weiterziehen.

II. 1. a) Am 16. Mai 2007 erließ die Antragsgegnerin eine Allgemeinverfügung, mit der unter anderem in der Zeit vom 5. Juni 2007, 0.00 Uhr, bis 8. Juni 2007, 24 Uhr, alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel' in einem näher beschriebenen und auf einer Karte gekennzeichneten Gebiet um Heiligendamm untersagt wurden.

Dieses Gebiet besteht aus einer inneren und einer äußeren Verbotszone. Die innere Verbotszone (im Folgenden: Verbotszone I) umfasst den Bereich der so genannten technischen Sperranlage um Heiligendamm zuzüglich vorgelagerter 200 m. Bei der Sperre handelt es sich um einen aus Anlass des G8-Gipfels errichteten, etwa 12,5 km langen und 2,50 m hohen Sperrzaun, der mit einem Übersteigschutz und Nato-Stacheldraht oben auf versehen ist. Die äußere Verbotszone (im Folgenden: Verbotszone II) umfasst einen dem nochmals um einige Kilometer vorgelagerten Bereich.

b) Ebenfalls am 16. Mai 2007 erließ die Antragsgegnerin eine gesonderte Verbotsverfügung für den Sternmarsch', mit welcher dieser sowohl für die angemeldeten als auch für die hilfsweise benannten Strecken untersagt wurde. In der Verfügung wurde auf die Allgemeinverfügung verwiesen, soweit die angemeldeten Marschstrecken in deren Geltungsbereich fielen. Da sich jedoch die Auftaktveranstaltungen und zum Teil die Marschstrecken außerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung befänden, bedürfe es einer individuellen Gefahrenprognose. Diese führe hier zum Verbot der Versammlung. Es bleibe allen Demonstranten unbenommen, außerhalb der bezeichneten Bereiche ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Eine räumliche Verlegung der Versammlung in ein außerhalb der Verbotszone liegendes Gebiet komme nicht in Betracht, da die Vertreter des Anmelders die von der Versammlungsbehörde vorgeschlagenen, außerhalb der Verbotszone II liegenden Ersatzstrecken (Kröpelin - Bad Doberan, Retschow - Bad Doberan), abgelehnt hätten. Es würde sich in diesem Falle auch nicht mehr um einen Sternmarsch nach Heiligendamm handeln. Eine zeitliche Verschiebung werde dem Versammlungszweck nicht gerecht, da die Veranstalter gerade unter dem Thema Den Protest nach Heiligendamm tragen!' gegen den in Heiligendamm zu diesem Zeitpunkt stattfindenden G8-Gipfel die Versammlungen und Aufzüge durchführen wollten. Angesichts der örtlichen Verhältnisse und der Gefährdungssituation könne der Gefahr für die öffentliche Sicherheit nur durch ein Verbot der Versammlung begegnet werden.

2. Mit ihrem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung und die Verbotsverfügung waren die Antragsteller zu 1 und zu 2 zunächst teilweise erfolgreich.

Das Verwaltungsgericht Schwerin stellte die aufschiebende Wirkung mit Beschluss vom 25. Mai 2007 - 1 B 243/07 -, soweit es die Durchführung des Sternmarsches betraf, für die hilfsweise angemeldeten vier Routen bis zu dem Sperrzaun mit bestimmten Maßgaben wieder her; unter anderem sollten die Aufzüge danach 200 m vor dem Sperrzaun enden. Auf diesen Beschluss wird zur näheren Darstellung des Sachverhalts Bezug genommen. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG seien nach summarischer Prüfung lediglich für die Verbotszone I gegeben. Für die Verbotszone II seien die Verfügungen hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil ein Abwägungsdefizit vorliege und die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Ergebnis nicht gewahrt sei. Den in diesem Bereich lediglich bestehenden Gefahren durch Blockaden könne ausreichend durch räumliche und verhaltensbezogene Auflagen begegnet werden. Erst Recht sei die Verbotsverfügung für die außerhalb der Verbotszone II liegenden Teile des Sternmarsches unverhältnismäßig.

3. Auf die Beschwerden der Antragsteller und der Antragsgegnerin hin änderte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 31. Mai 2007 - 3 M 53/07 - den Beschluss des Verwaltungsgerichts.

Es lehnte den gegen die Allgemeinverfügung - soweit sie den konkret beabsichtigten Sternmarsch betraf - gerichteten Antrag vollständig, den gegen die Verbotsverfügung gerichteten Antrag unter anderem mit der Maßgabe ab, dass den Antragstellern gestattet werde, eine Versammlung auf zwei im Kooperationsgespräch am 10. Mai 2007 von der Versammlungsbehörde vorgeschlagenen, von den Antragstellern jedoch abgelehnten Ersatzstrecken außerhalb der Verbotszone II durchzuführen, die von Kröpelin und Retschow aus jeweils nach Bad Doberan führen.

4. Mit Schreiben vom 2. Juni 2007 meldeten die Antragsteller für den Fall, dass das Verbot aufrechterhalten bleibe, drei Ersatzveranstaltungen (zwei Kundgebungen sowie einen Aufzug) im Bereich außerhalb der Verbotszone II an. Der Aufzug soll danach von Bad Doberan aus an der Verbotszone II entlang zu einer Abschlusskundgebung im Bereich einer Straßenkreuzung vor Reddelich führen. Mit Schreiben vom 3. Juni 2007 teilte die Antragsgegnerin mit, dass in Anbetracht der gewalttätigen Ereignisse bei der Großdemonstration in Rostock am Vortage die ersatzweise vorgeschlagenen Versammlungsstrecken keine Zustimmung' fänden.

III. Die Antragsteller beantragen, im Wege einer einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die Verbotsverfügung der Polizeidirektion Rostock vom 16. Mai 2007 sowie gegen die Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Rostock vom 16. Mai 2007 teilweise wieder herzustellen und anzuordnen, dass die Versammlung Sternmarsch gegen den G8 am 07.06.2007 - Den Protest nach Heiligendamm tragen' mit von den Antragstellern des Näheren bezeichneten Maßgaben durchgeführt werden darf. Danach soll der Sternmarsch fünf Routen umfassen, von denen drei bis zu 50 m an den Sperrzaun heran und zwei bis in den hinter dem Zaun gelegenen Bereich führen sollen. Hilfsweise werden zwei Ersatzrouten, von denen eine bis in die Verbotszone II führt, die andere außerhalb verbleibt, sowie eine stationäre Kundgebung außerhalb der Verbotszone II beantragt. Daneben soll eine Gruppe von höchstens 600 Personen am Ende des Marsches auf zwei Routen bis zu dem Hotel, in welchem der Gipfel stattfindet, stellvertretend für die gesamte Demonstration den Protest nach Heiligendamm tragen' können, hilfsweise eine in das Ermessen des Gerichtes gestellte nennenswerte Teilnehmerzahl über in das Ermessen des Gerichtes gestellte Zuwegungen.

Den Antragstellern seien nach dem derzeitigen Stand auch in der weiteren Umgebung der Verbotszone II alle Ersatzveranstaltungen verboten, da das Oberverwaltungsgericht den Sternmarsch ausschließlich auf die beiden Strecken nach Bad Doberan beschränkt habe; daneben seien ihre vorsorglich angemeldeten Ersatzveranstaltungen auch durch das Schreiben der Antragsgegnerin vom 3. Juni 2007 verboten worden.

B. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ( § 32 Abs. 1 BVerfGG ) sind auf der Grundlage des gegenwärtigen Erkenntnisstandes nicht gegeben.

I. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Erfolgsaussichten eines möglichen Hauptsacheverfahrens grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Bundesverfassungsgericht legt der Prüfung des Eilantrags in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde. Etwas anderes gilt, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 110, 77 (87 f.) [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03] ; 111, 147 (153) [BVerfG 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04] ; BVerfGK 3, 97 (99)). Einstweiliger Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die Behörde oder die Gerichte ihre Gefahrenprognose auf Umstände gestützt haben, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG offensichtlich widerspricht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, S. 3053 (3054) [BVerfG 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] ; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 (1407) [BVerfG 01.09.2000 - 1 BvQ 24/00] ; stRspr).

Ist die behördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestützt ( § 15 VersG ), erfordert die von der Behörde oder den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Im Rahmen der Folgenabwägung berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 8/01 -, NJW 2001, S. 1407 (1408 f.) [BVerfG 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01] ). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinander zu setzen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, S. 3053 (3055) [BVerfG 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] sowie vom 11. April 2002 - 1 BvQ 12/02 -, NVwZ-RR 2002, S. 500). Folgen, deren Eintritt durch entsprechende hoheitliche Vorgaben ausgeschlossen werden können, sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, S. 3053 (3056) [BVerfG 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] sowie vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 (1407) [BVerfG 01.09.2000 - 1 BvQ 24/00] ). So dürfen in die Folgenabwägung keine Annahmen über Gefahren eingehen, deren Eintritt bei Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch räumliche Beschränkungen der Versammlung oder durch sonstige geeignete Auflagen begrenzt oder ausgeschaltet werden können (vgl. BVerfG, a.a.O., NJW 2000, S. 3053 (3056) [BVerfG 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] ).

Für die Ermittlung der Folgen, die bei Erlass oder Nichterlass der einstweiligen Anordnung jeweils eintreten, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag durch das Bundesverfassungsgericht maßgeblich. Ergeben sich nach Erlass der behördlichen Verfügung oder nach der letzten gerichtlichen Entscheidung neue tatsächliche Anhaltspunkte, die auf die Art und Intensität der Gefahr (vgl. zu deren Relevanz: BVerfGK 2, 1 (3, 9)) oder das Gewicht der den Antragstellern drohenden Nachteile bezogen sind, hat das Bundesverfassungsgericht diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen.

II. Nach diesen Maßstäben bestehen zwar Zweifel an der Tragfähigkeit der Argumentation der Behörde und des Oberverwaltungsgerichts (1). Aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklungen, insbesondere der gewalttätigen Auseinandersetzungen seit dem 2. Juni 2007, lässt sich jedoch nicht feststellen, dass es zur Abwehr eines den Antragstellern drohenden schweren Nachteils im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG geboten ist, dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben und damit das auf die Verbotszonen I und II bezogene, Versammlungen in der Nähe der Verbotszone II aber nicht grundsätzlich ausschließende, Versammlungsverbot außer Kraft zu setzen (2).

1. Es bedeutet eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, wenn die Versammlung verboten wird oder infolge von versammlungsbehördlichen Verfügungen und verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahe kommt, etwa indem sie ihren spezifischen Charakter so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird (vgl. BVerfGE 110, 77 (89) [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03] ; vgl. zu weit reichenden räumlichen Beschränkungen auch BVerfGE 69, 315 (321, 323, 364 ff.) - Brokdorf). Es ist zweifelhaft, ob die von der Behörde und dem Oberverwaltungsgericht für die Beschränkungen gegebene Begründung den Anforderungen genügt, nach denen von einer einstweiligen Anordnung zum Schutze der Belange der Antragsteller abgesehen werden kann.

a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes haben Grundrechte einen hohen Rang. Der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht bedarf der Rechtfertigung, nicht aber benötigt die Ausübung des Grundrechts eine Rechtfertigung. Dies verkennt im Ausgangspunkt der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, die letztlich maßgebliche Entscheidung.

Es hat - wie zuvor die Versammlungsbehörde - die Verlagerung von Demonstrationen in einen Bereich außerhalb der eigentlichen Sicht- und Hörweite der Veranstaltung, gegen die der Protest stattfindet, dahingehend gewertet, dass das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG jedenfalls nicht berührt werde, wenn der kommunikative Zweck der Versammlung nicht verfehlt oder erheblich beeinträchtigt werde. Dass eine solche Beeinträchtigung im vorliegenden Fall nicht gegeben sei, hat es nicht näher begründet, sondern dazu lediglich an späterer Stelle ausgeführt, jedenfalls sei es den Veranstaltern zumutbar, bei ihrer Planung auf den in der Allgemeinverfügung beschriebenen Verbotsbereich Rücksicht zu nehmen. Ferner beschränkt sich das Oberverwaltungsgericht auf die Feststellung, auch bei einer Versammlung außerhalb der Verbotszone werde ein ausreichender medialer Beachtungserfolg möglich.

Diese rechtliche Bewertung des Versammlungsgrundrechts und insbesondere des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Zeitpunkt und Ort der Veranstaltung und über Vorkehrungen zur Erreichung der beabsichtigten Wirkungen wird den grundrechtlichen Vorgaben nicht gerecht. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfGE 69, 315 (323, 365)), hier des G8-Gipfels. Die Versammlungsbehörde hat in der Verbotsverfügung selbst festgehalten, dass der Zaun aufgrund seiner Baukosten sowie seiner optischen Wirkung das besondere Interesse der Öffentlichkeit und insbesondere der Gipfelkritiker' auf sich ziehe. Dass ein Versammlungsveranstalter darauf bedacht ist, dieses Interesse auch zur Konzentration der öffentlichen Aufmerksamkeit auf seine Protestveranstaltung zu richten, ist von seinem Selbstbestimmungsrecht umfasst. Eine andere Frage ist, ob dieses Interesse gegebenenfalls im Zuge einer Güterabwägung zurückzutreten hat. Die verfassungsrechtliche Würdigung hat jedoch von ihm auszugehen.

b) Der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters können gewichtige Interessen entgegenstehen. Ob diese im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung die vorgesehene Beschränkung rechtfertigten, ist zweifelhaft.

aa) Im Zeitpunkt der Verfügungen vom 16. Mai 2007 und der gerichtlichen Entscheidungen am 25. Mai und 31. Mai 2007 wurde davon ausgegangen, dass die Veranstalter eine friedliche Veranstaltung planten und dass hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen gewalttätigen Verlauf auch gegen ihren Willen nicht bestanden. Die Maßnahme wurde, soweit sie für rechtmäßig gehalten wurde, daher nicht auf das unmittelbare Bevorstehen von Gefahren für die körperliche Unversehrtheit der Teilnehmer des G8-Gipfels und anderer Personen gestützt, sondern - so insbesondere vom Oberverwaltungsgericht - auf die Gewährleistung einer hinreichenden Vorsorge gegenüber gewalttätigen Übergriffen und das Vorhalten ausreichender Rettungs- und medizinischer Versorgungsmöglichkeit. Im Übrigen wurden vom Oberverwaltungsgericht als gefährdete Rechtsgüter die Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als Gastgeberstaat angeführt.

(1) Es kann offen bleiben, ob das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland ein eigenständiges Schutzgut im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG ist. Soweit die Behörde und das Oberverwaltungsgericht eine Verminderung des Ansehens dann annehmen, wenn die Bundesregierung nicht in der Lage sein sollte, ihre Verantwortung zum Schutz der Staatsgäste wahrzunehmen, bedarf es nicht des Rückgriffs auf ein solches Schutzgut. Dieser Schutz ist selbständig vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst (s. auch unten aa (3) sowie bb). Im Übrigen könnte allenfalls die in § 15 Abs. 1 VersG genannte öffentliche Ordnung als Schutzgut betroffen sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Juni 2006 - 1 BvR 1429/06 -, juris, Rn. 18). Die bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung kann ein Versammlungsverbot jedoch grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 69, 315 (353)). Dass vorliegend eine Ausnahme geboten war, lässt sich nicht erkennen.

(2) Ebenfalls kann dahinstehen, wie weit die Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 VersG darstellen können. Dass vorliegend Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten in einer Hinsicht betroffen sind, die nicht von dem Schutz der Durchführung der Veranstaltung und seiner Teilnehmer (s. unten bb) umfasst ist, ist nicht erkennbar. Auf keinen Fall kann ein Versammlungsverbot oder eine einem Versammlungsverbot in der Wirkung gleich kommende Auflage auf Erwägungen gestützt werden, wie sie sonst im Rahmen des Schutzguts der öffentlichen Ordnung zu erfolgen haben. § 15 Abs. 1 VersG ist nur dann mit Art. 8 GG vereinbar, wenn bei seiner Auslegung und Anwendung sichergestellt bleibt, dass Verbote nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdungen dieser Rechtsgüter erfolgen (vgl. BVerfGE 69, 315 (353 f.)).

(3) Keinen verfassungsrechtlichen Einwänden begegnet es, vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit die Durchführung der von der Bundesregierung einberufenen internationalen Konferenz als einer rechtmäßigen Veranstaltung des Staates umfasst zu sehen. Allerdings reicht, entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die Befürchtung nicht, eine Belastung auswärtiger Beziehungen werde schon dadurch entstehen, dass die an der Konferenz teilnehmenden Vertreter auswärtiger Staaten Demonstrationen und Kundgebungen gegenüber ihren Staaten als unfreundlichen Akt empfinden' könnten (unter Berufung auf Rojahn, in: von Münch/Kunig , Grundgesetzkommentar, 5. Aufl. 2001, Bd. 2, Rn. 28 zu Art. 32). Dies wäre keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Ob darin überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung liegen könnte, auf die Versammlungsbeschränkungen gestützt werden können, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner Entscheidung (vgl. insoweit kritisch etwa Kunig, in: von Münch/Kunig, a.a.O., Bd. 1, Rn. 33 zu Art. 8). Jedenfalls können Empfindlichkeiten ausländischer Politiker Beschränkungen der Versammlungsfreiheit dann nicht rechtfertigen, wenn auf diese Weise der in Deutschland verfassungsrechtlich geschützte Meinungsbildungsprozess und der Schutz der darauf bezogenen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beeinträchtigt werden (vgl. Benda, in: Dolzer/Vogel/Graßhof , Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 90 zu Art. 8). Denn diese Rechte sind gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und finden darin unverändert ihre Bedeutung (vgl. BVerfGE 93, 266 (291); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 - 1 BvR 287/93 -, NJW 1999, 204 (205) [BVerfG 29.07.1998 - 1 BvR 287/93] ). Der verfassungsrechtliche Schutz von Machtkritik ist nicht auf Kritik an inländischen Machtträgern begrenzt.

bb) Tragfähig für das in der Allgemeinverfügung allgemein ausgesprochene und in der weiteren Verfügung individuell auf die Antragsteller bezogene Versammlungsverbot innerhalb der Verbotszonen kann aber das Ziel sein, die Durchführung des G8-Gipfels als eine Veranstaltung des Staates zu sichern. Darüber hinaus gilt es, Leib und Leben der Teilnehmer dieser Veranstaltung sowie anderer Personen zu schützen. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit gewalttätigen Protesten gegen G8-Gipfel sowie der vielen Aufrufe zur Blockade des G8-Gipfels in Heiligendamm entspricht es insbesondere der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG , geeignete und verhältnismäßige Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Gäste und anderer betroffener Personen zu treffen.

Dass die Behörde einen entsprechenden Schutzraum in der Nähe des Ortes des G8-Gipfels geschaffen und mit dafür geeigneten Schutzvorkehrungen versehen hat, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Verfassungsrechtlich bedenklich ist es aber, diesen Schutzraum bis an die Grenze der Verbotszone II auszudehnen und ein absolutes Demonstrationsverbot in der gesamten Zone am Tage vor und während der Durchführung des Gipfels vorzusehen. Es stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken, ein solches Versammlungsverbot - wie es insbesondere das Oberverwaltungsgericht getan hat - im Wesentlichen unter Verweis auf das Sicherheitskonzept der Versammlungsbehörde zu rechtfertigen. Die Überlegungen, die diesem Sicherheitskonzept zugrunde liegen, tragen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht Rechnung.

Der sich an der Küste auf etwa 8,2 km, in nord-südlicher Richtung auf etwa 5,2 km und in ost-westlicher Richtung auf etwa 8,5 km erstreckende Bereich des Verbots umfasst eine weit vom Veranstaltungsort entfernt liegende Fläche. Bezogen auf sie ein absolutes Versammlungsverbot auszusprechen und - wie im Fall der Antragsteller - durch eine weitere Verbotsverfügung zu konkretisieren, setzt gemäß § 15 Abs. 1 VersG hinreichend schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Sicherheit voraus. Denn die Einrichtung dieser Verbotszone bedeutet, dass Versammlungen mit einem räumlichen Bezug zu dem Anlass des G8-Gipfels und unter Nutzung des Symbolgehalts der besonderen Nähe zu diesem Ort ausgeschlossen werden.

Zur Rechtfertigung der Maßnahme verweisen die Behörde und das Oberverwaltungsgericht auf das Sicherheitskonzept. Dieses gibt es ausweislich der Auskunft der Polizeidirektion nicht als ein schriftlich ausformuliertes Konzept, sondern es erschließt sich nur mittelbar zum einen aus den vorgesehenen Vorkehrungen, insbesondere der Einrichtung der Zonen I und II, des Sperrwerks und der zwei Durchlassstellen zur Zone I. Ferner erschließt es sich aus den von der Polizeidirektion in das Verfahren eingeführten Schriftsätzen sowie aus dem Protokoll des Erörterungstermins vor dem Oberverwaltungsgericht am 30. Mai 2007. Daraus wird erkennbar, dass die Verbotszone insbesondere mit Rücksicht auf die topographischen Besonderheiten, vor allem die nur unzureichend befahrbaren Wege, festgelegt worden ist. Wie das Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss dargelegt hat, sind die neben der Landesstraße L 12 in der Verbotszone II befindlichen Wege sowohl für die möglicherweise erforderlich werdende schnelle Verlegung von Polizeikräften zur Reaktion auf Versammlungsgeschehen sowie zur Vorhaltung von Rettungswegen für eine größere Zahl von Fahrzeugen, nicht zuletzt wegen der mangelnden Befahrbarkeit mit schwereren Fahrzeugen und höherer Geschwindigkeit, ungeeignet.

Ferner verweist das Oberverwaltungsgericht auf polizeitaktische Erwägungen, die ein Ausbrechen von Versammlungsteilnehmern in Richtung der technischen Sperre und ein Herandrängen der Polizeikräfte verhindern helfen sollen. Zu berücksichtigen sei auch die - wenn nach Angaben der Antragsteller auch nicht beabsichtigte - rein faktische Blockadewirkung von Versammlungsmärschen bei der beschriebenen topographischen Situation'. Für eine Veranstaltung, insbesondere einen Sternmarsch, von (ursprünglich erwarteten) 8.000 bis 11.000 Teilnehmern fehle es innerhalb der Zone II an ausreichenden Straßen, Wegen und öffentlichen Flächen, die etwa eine Abschlusskundgebung oder auch nur den geordneten An- und Abmarsch der Teilnehmer und das Wenden der Lautsprecherwagen ermöglichten, ohne dass das Sicherheitskonzept der Antragsgegnerin nachhaltig in Frage gestellt würde. Dieses müsse auch dem Verlangen von Sicherheitskräften ausländischer Staatsgäste nach mindestens zwei alternativen Rettungswegen nachkommen, wenn dieses Verlangen - wie hier - jedenfalls erkennbar nicht der Verhinderung von Demonstrationen diene, sondern begründeten Sicherheitsbelangen Rechnung trage.

An diesen das Sicherheitskonzept referierenden Aussagen des Oberverwaltungsgerichts, dem Protokoll des Erörterungstermins sowie den Verfügungen und den weiteren Schriftsätzen der Polizeidirektion Rostock in den gerichtlichen Verfahren entnommenen Überlegungen ist an keiner Stelle erkennbar, dass in das Sicherheitskonzept auch Anliegen der Durchführbarkeit von Demonstrationen, insbesondere solcher mit einer inhaltlichen Stoßrichtung gegen den G8-Gipfel, eingeflossen sind. Auch die auf Anforderung des Gerichts erfolgte Darstellung des Sicherheitskonzepts durch die Polizeidirektion Rostock geht in keinerlei Hinsicht auf die Frage der Berücksichtigung berechtigter Belange zur Durchführung von Demonstrationen ein.

Nach den vorliegenden Unterlagen ging es in dem Sicherheitskonzept ausschließlich darum, Sicherheit gegen Demonstranten und gegen die möglicherweise im Umfeld der Demonstration sich aufhaltenden potentiellen Gewalttäter zu ermöglichen. So betrachtet, war das den Schutz des G8-Gipfels dienende Sicherheitskonzept zugleich zumindest objektiv ein gegen die Durchführbarkeit von Versammlungen in der Verbotszone gerichtetes Konzept. Die auch von Vertretern der Bundesregierung, so der Bundeskanzlerin auf einer Pressekonferenz am 18. Mai 2007 in Sankt Petersburg öffentlich unterstützte Möglichkeit, in der Bundesrepublik Deutschland den friedlichen Protest gegen den G8-Gipfel in wirklich sichtbarer Form' und damit auch demonstrativ und öffentlichkeitswirksam vorzutragen, erhält in dem Sicherheitskonzept keine Verwirklichungschance. Es ist ihm auch nicht zu entnehmen, ob bei der Beschränkung der räumlichen Grenze der Zone II auf die Durchführbarkeit von Demonstrationen in hinreichender Nähe zum Veranstaltungsort Rücksicht genommen worden ist.

Insofern reicht der Verweis auf das Sicherheitskonzept als solches nicht, um das gegen die Antragsteller gerichtete weitgehende Verbot der Durchführung der beabsichtigten Versammlung als Ergebnis einer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen einerseits und dem Demonstrationsrecht andererseits zu rechtfertigen. Es bedurfte vielmehr einer die konkreten Umstände einbeziehenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung im Einzelfall. Daran aber fehlt es vorliegend.

2. Letztlich aber kann dahinstehen, ob diese Defizite zu einer offensichtlichen verfassungsrechtlichen Fehlerhaftigkeit der Entscheidungen geführt haben. Denn aufgrund der zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse über das konkrete Gefahrenpotential eines Teils der zum G8-Gipfel angereisten Personen aus dem In- und Ausland gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die bisher zugrunde gelegte Prognose erschüttert ist, die Demonstrationen würden im Wesentlichen friedlich verlaufen.

a) Wären allerdings kollektive Unfriedlichkeiten nicht zu befürchten, dann müsste für die friedlichen Teilnehmer der Schutz der Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch dann erhalten bleiben, wenn eine Minderheit Ausschreitungen beginge (vgl. BVerfGE 69, 315 (361)). Andernfalls hätten Minderheiten es in der Hand, Demonstrationen umzufunktionieren' und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen; praktisch könnten viele Großdemonstrationen verboten werden, nämlich alle, bei denen sich Erkenntnisse über unfriedliche Absichten eines Teils der Teilnehmer beibringen lassen. Ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung ist jedoch nur unter strengen Voraussetzungen statthaft, zu denen insbesondere die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel gehört, die eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten (beispielsweise durch die räumliche Beschränkung) ermöglichen (vgl. BVerfGE 69, 315 (362)).

b) Bei den Ausschreitungen in Rostock am 2. Juni 2007 wurden nach Angaben der Polizei mehrere hundert Polizeibeamte verletzt. Zudem ist es zu erheblichen Sachbeschädigungen gekommen. Auch an den Tagen danach hat in Rostock eine sehr angespannte Situation bestanden, die nur aufgrund massiven Eingreifens der Ordnungskräfte und unter Mithilfe eines Teils der friedlichen Demonstranten bewältigt werden konnte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Teil der gegenwärtig von der Behörde auf über 2.000 geschätzten im Raum Rostock anwesenden gewaltbereiten Personen sich an den von anderen als friedlich geplanten Versammlungen beteiligen und auch gegen den ausdrücklichen Willen der Veranstalter bereit sind, Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen zu begehen.

Die im Zeitpunkt des Erlasses der hier maßgebenden Verfügungen zugrunde gelegte Einschätzung der Sicherheitslage ist im Hinblick auf die gegenwärtige Situation aktualisiert worden. Die Behörde verweist darauf, dass auch am 4. Juni 2007 bei Auseinandersetzungen 50 Polizeibeamte verletzt wurden, so durch zwei nach Beendigung einer Demonstration gezündete Rauchbomben. Die Vertreter der militanten Szene seien nicht abgereist, sondern rekrutierten sich immer wieder neu, um friedliche Demonstrationen für ihre gewalttätigen Zwecke zu nutzen'. Angesichts der extrem großen Zahl dieser gewaltbereiten und sogar als militant einzustufenden Personen stehe zu befürchten, dass es auch an den Tagen des Gipfeltreffens selbst, also zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Versammlung, zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen werde. Diese würden sich nach den vorliegenden Erkenntnissen, die sich auf Ankündigungen aus der militanten Szene selbst bezögen, in die Nähe Heiligendamms verlagern. Es bestehe die Gefahr, dass der geplante Sternmarsch zu einem besonderen Anziehungspunkt für militante Störer werde. Es lägen Ankündigungen aus der militanten Störerszene vor, wonach der Zaun, also die technische Sperre, angegangen und gestürmt werden solle. Angesichts der großen Zahl von Störern, die bereit seien, mit brutaler Gewalt vorzugehen, sei dieses Szenario in die polizeilichen Einsatzvorbereitungen einzubeziehen. Ferner wird auf Aufklärungserkenntnisse verwiesen, aus denen hervorgehe, wie die Störer bei den geplanten Blockadeaktionen vorgehen wollten. Man wolle mit einem strategischen' Vorgehen erreichen, die Polizeikräfte auseinander zu ziehen und die Polizeikette zu durchbrechen; das werde in regelrechten Trainings geprobt. Bei der Beurteilung der Gefahrenlage spielten auch die von den Gipfelgegnern errichteten Camps eine besondere Rolle, in denen sich nach behördlichen Erkenntnissen Schlagwerkzeuge und andere als Waffen geeignete Gegenstände befänden; den Polizeikräften werde der Zugang zu den Camps verwehrt. Angesichts der großen Zahl der Campbewohner (bis zu 6.000 Personen in einem Camp) lasse der erforderliche Kräfteaufwand die Durchführung polizeilicher Maßnahmen nicht zu, ohne Leben und Gesundheit der eingesetzten Polizeikräfte zu gefährden. Auch bestehe die Problematik, Störer von Nichtstörern zu trennen.

c) Da dem Gericht keine Anhaltspunkte vorliegen, nach der diese aktualisierte Einschätzung der Gefahrenlage offensichtlich fehlsam ist, muss sie der Folgenabwägung zugrunde gelegt werden. Die Antragsteller haben seit Eingang ihres Antrags bei Gericht am 4. Juni 2007 um 0.29 Uhr mehrere ergänzende Schriftsätze eingereicht und auch Gelegenheit gehabt, zu der aktualisierten Gefahrenprognose Stellung zu nehmen. Die Ausführungen in ihrem letzten Schriftsatz vom 5. Juni 2007 - bei Gericht um 16.10 Uhr eingegangen -, enthalten keine Ausführungen zur Gefahreneinschätzung der Ordnungsbehörde. Dargelegt wird aber, es müsse der breiten Masse des bunten und friedlichen Protestes Raum gelassen werden, legal zu demonstrieren, um eine weitere Eskalation zu vermeiden und die unverantwortlichen Gewalttäter aus den Reihen der Demonstrierenden zu verweisen. Dies deutet zwar auf die Bereitschaft der Antragsteller hin, Gefahren möglichst zu unterbinden; dass den in der ordnungsbehördlichen Gefahrenbeurteilung aufgewiesenen Risiken gewalttätiger Auseinandersetzungen dadurch hinreichend begegnet werden könne, lässt sich den Ausführungen jedoch nicht entnehmen.

3. Die am Maßstab des § 32 Abs. 1 BVerfGG vorgenommene Prüfung ergibt, dass es angesichts der geschilderten Risiken nicht geboten ist, eine einstweilige Anordnung zur Sicherung der Durchführung der geplanten Versammlung und damit zum Schutze des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu erlassen. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass es den Veranstaltern nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht verwehrt ist, ihr Anliegen auf einer öffentlichen Versammlung durchzuführen, wenn auch außerhalb der Verbotszone und damit mehrere Kilometer entfernt, aber nicht ohne jeglichen Bezug auf den Ort der Veranstaltung, gegen die sich der Protest richtet. Das Risiko, dass der kommunikative Zweck der Veranstaltung auf diese Weise nicht mit der beabsichtigten Qualität erreicht werden kann, ist angesichts der aktuellen Gefahrensituation und des Umstandes, dass auch eine Demonstration außerhalb der Verbotszonen aller Voraussicht nach öffentliche Beachtung finden wird, hinzunehmen.

4. Kann einstweiliger Rechtsschutz zur Sicherung der Durchführbarkeit des Sternmarsches nach allem nicht gewährt werden, entfällt die tatsächliche Grundlage für die Realisierung des hilfsweise vorgetragenen Anliegens der Antragsteller, nach Durchführung des bis zu dem Zaun geführten Sternmarsches eine kleinere Delegation zum Tagungsort gelangen zu lassen. Die Antragsteller haben demgegenüber nicht angeregt, eine solche Delegation anstelle des geplanten Sternmarsches durch die Verbotszonen I und II vorzusehen, so dass nicht darüber zu entscheiden ist, ob einem solchen Antrag im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes hätte Rechnung getragen werden können. ..."

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Zur Folgenabwägung im Rahmen eines verfassungsgerichtlichen Eilverfahrens gegen versammlungsrechtliche Auflagen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Mahnwache am Schutzzaun in Heiligendamm (BVerfG, Beschluss vom 05.06.2007 - 1 BvR 1429/07).

Zur Folgenabwägung im Rahmen eines verfassungsgerichtlichen Eilverfahrens gegen das Verbot einer Demonstration im Zusammenhang mit der G8-Gipfel in Heiligendamm (BVerfG, Beschluss vom 05.06.2007 - 1 BvR 1428/07).

Der Schutz des Grundrechts in Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und angemeldet ist, ob aus der Versammlung heraus eine in der Nähe durchgeführte Wahlveranstaltung einer politischen Partei akustisch gestört wird (hier: durch Einsatz eines Megaphons) und ob einzelne Demonstranten oder eine Minderheit im Verlauf der Versammlung Ausschreitungen begehen. Dabei wird die Schwelle zur Unfriedlichkeit nicht schon dadurch überschritten, dass sich Versammlungsteilnehmer gegen ihren Abtransport in den Polizeigewahrsam sträuben und die polizeiliche Wegnahme von Gegenständen durch Festhalten verhindern. Es ist grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte im Rahmen des § 113 III StGB von einem eingeschränkten Rechtmäßigkeitsmaßstab ausgehen und nicht verlangen, dass alle in dem jeweiligen in Bezug genommenen Rechtsgebiet normierten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erfüllt sein müssen. Strafrechtliche Sanktionen wegen des gegen die Entfernung aus einer Versammlung gerichteten Widerstands dürfen aber nur unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG verhängt werden. Dieser Schutzgehalt wird in der Regel verkannt, wenn bei der Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte unberücksichtigt bleibt, dass die Polizei Vollstreckungsmaßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer durchgeführt hat, ohne die Versammlung vorher aufgelöst oder die Teilnehmer aus der Versammlung ausgeschlossen zu haben (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007 - 1 BvR 1090/06).

Maßstab der verfassungsrechtlichen Beurteilung der auch an Versammlungsredner gerichteten Auflagen zur ordnungsgemäßen Durchführung einer Versammlung ist allein Art. 8 I GG. Die Möglichkeit der Sanktionierung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit ist auf Auflagen i. S. des § 15 I VersG begrenzt, also auf solche beschränkenden Verfügungen, die speziell an unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung anknüpfen und unter Beachtung des Art. 8 GG mithelfen sollen, die konkret bevorstehende Verletzung von Rechtsgütern zu verhindern. Die in § 15 I VersG als Auflagen bezeichneten beschränkenden Verfügungen sind keine Nebenbestimmungen zu einem begünstigenden Verwaltungsakt. An diesem fehlt es im Versammlungsrecht angesichts der Erlaubnisfreiheit von Versammlungen (Art. 8 I GG). Sie enthalten vielmehr einen eigenständigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Wird die versammlungsrechtliche Gefahr mittels einer ein konkretes Verhaltensgebot oder Verbot festlegenden Auflage i. S. des § 15 I VersG bekämpft und verstößt ein Versammlungsteilnehmer gegen die Auflage, dann sind die Voraussetzungen für die spezifische versammlungsrechtliche Sanktion des § 29 I Nr. 3 erfüllt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei der Ahndung nicht berücksichtigt wird, wie die durch die Gefahrverwirklichung beeinträchtigte Einzelperson darauf reagiert hat (hier: kein Strafantrag wegen Beleidigung) oder wie ein Strafgericht strafrechtlich mit dem Geschehen umgehen würde (BVerfG, Beschluss vom 21.03.2007 - 1 BvR 232/04).

Es bleibt offen, ob der Schutz religiöser Gefühle unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtskollision ein Versammlungsverbot an einem religiös geprägten Feiertag (hier: Heiligabend) über die zeitlichen Beschränkungen des Feiertagsgesetzes (hier: des Landes Nordrhein-Westfalen) hinaus rechtfertigen kann. Es widerspricht dem Charakter des Grundrechts der Versammlungsfreiheit als Minderheitenschutzrecht, ein Versammlungsverbot auf die Erwägung zu stützen, die Anzahl der erwarteten Teilnehmer der Demonstration stehe in keinem Verhältnis zu der Anzahl der Einwohner der betroffenen Gemeinde (hier: der Stadt Minden), welche durch die Veranstaltung in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Grundsatz vertrauensvoller Kooperation zwischen dem Veranstalter einer Demonstration und den Behörden ist nicht als Rechtspflicht zur Kooperation ausgestaltet. Die Weigerung des Veranstalters zur Teilnahme an einem vorbereitenden Kooperationsgespräch ist für sich allein keine hinreichende Grundlage einer seine Person betreffenden belastenden rechtlichen Wertung. Zur Frage, ob das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unter einem Schikanevorbehalt steht (BVerfG, Beschluss vom 22.12.2006 - 1 BvQ 41/06).

Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend den versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug eines Bescheids, mit dem eine für den 19.8.2006 in Wunsiedel angemeldete Versammlung unter dem Thema Gedenken an Rudolf Heß' verboten worden ist (BVerfG, Beschluss vom 14.08.2006 - 1 BvQ 25/06).

Der Staat darf nicht dulden, dass friedliche Demonstrationen einer bestimmten politischen Richtung (hier: von Rechtsextremisten) durch gewalttätige Gegendemonstrationen verhindert werden. Gewalt von links' ist keine verfassungsrechtlich hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von rechts'. Eine Beschränkung der angemeldeten Versammlung kommt allerdings in Betracht, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Versammlungsbehörde wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und gegebenenfalls trotz Heranziehung externer Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht nicht (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06).

Eilrechtsschutz gegen Versammlungsverbote ist zu gewähren, wenn die für das Versammlungsverbot maßgebliche Gefahrenprognose auf Umstände gestützt worden ist, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt der Grundrechte offensichtlich widerspricht, wenn die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt. Die Billigung oder Leugnung der rassistisch motivierten Ermordung der jüdischen Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus stellt eine Straftat dar, welche Rechtsgüter von erheblichem Gewicht beeinträchtigt. Es ist nicht offensichtlich fehlsam, aus der als Motto für eine Versammlung erhobenen Forderung zur Schaffung von Meinungsfreiheit und nach Freiheit für Personen, die wegen Verletzung des Äußerungsdeliktes aus § 130 III StGB verurteilt oder angeklagt sind, zu folgern, dass Inhalte Gegenstand der Reden und sonstigen Außerungen auf der Versammlung sein werden, die § 130 III StGB unter Strafe stellt (BVerfG, Beschluss vom 06.04.2006 - 1 BvQ 10/06).

Auf die bloße zeitliche Nähe einer Versammlung, welche die rechtspolitische Forderung nach einer Abschaffung oder Änderung der Strafvorschrift des § 130 StGB (Volksverhetzung) zum Gegenstand hat, zu dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts (dem 27.1.) oder zum Tag der Machtergreifung' Hitlers am 30.1. lässt sich ein mit der Gefährdung der öffentlichen Ordnung i. S. des § 15 I VersG begründetes Versammlungsverbot nicht stützen. Allein der Umstand, dass die von Vertretern rechtsextremistischer Auffassungen in zeitlicher Nähe zu einem dem Gedenken an das nationalsozialistische Unrechtsregime gewidmeten Gedenktag erhobene rechtspolitische Forderung nach Abschaffung oder Abänderung des § 130 StGB (Volksverhetzung) von Teilen der Bevölkerung als Provokation empfunden wird, vermag den schweren Vorwurf einer Verletzung der Menschenwürde der Opfer noch nicht zu rechtferigen (BVerfG, Beschluss vom 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06).

Verbot einer Demonstration bei Dunkelheit / Fackelmarsch' im Winter 2005 zwischen 17.30 und 21.30 h in Karlsruhe / Verwaltungsgerichtliche Beschränkung auf Tageslichtzeit verfassungsgemäß (BVerfG, Beschluss vom 02.12.2005 - 1 BvQ 35/05).

Bei der Folgenabwägung im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens gem. § 32 I BVerfGG gegen das Verbot einer - sich jährlich wiederholenden - Gedenkveranstaltung am Todestag von Rudolf Heß in Wunsiedel kommt der Gefahreneinschätzung durch den Gesetzgeber bei der Verabschiedung der Strafvorschrift des § 130 IV StGB ein größeres Gewicht zu (BVerfG, Beschluss vom 16.08.2005 - 1 BvQ 25/05).

Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin (Holocaust-Mahnmal) durch § 15 II 2 VersG als ein Ort bestimmt worden ist, an dem ein Aufzug unter den Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 verboten oder von Auflagen abhängig gemacht werden kann, darunter auch der Auflage, den Aufzug nicht am Denkmal vorbeizuführen. Die Annahme von Behörde und Gerichten, der von den Jungen Nationaldemokraten' - einer Jugendorganisation der NPD - für den 8.5.2005 unter dem Motto 60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult' geplante Aufzug entlang dem Berliner Holocaust-Mahnmal lasse besorgen, dass die Würde der jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft beeinträchtigt werde, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der aus Gründen der staatlichen Neutralität grundsätzlich zu beachtende Vorrang für den Erstanmelder einer Versammlung kann vernachlässigt werden, wenn wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszweckes, für eine andere Vorgehensweise sprechen. Der Prioritätsgrundsatz wird aber maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern. Die zeitlich nachrangig angemeldete Versammlung hat allerdings nicht schon deshalb zurückzutreten, weil die geplante Versammlung des Erstanmelders einen Anstoß zur Durchführung der später angemeldeten Versammlung gegeben hat (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2005 - 1 BvR 961/05).

Bei der Anwendung von § 15 I VersG ist eine auf den Straftatbestand des § 130 IV StGB bezogene Gefahr für die öffentliche Sicherheit nur anzunehmen, wenn die erwartete Äußerung alle drei Tatbestandsmerkmale erfüllt. Als Grundlage eines Versammlungsverbots nach § 15 I VersG komm eine durch die bevorstehende Verwirklichung des § 130 IV StGB ausgelöste Gefahr für die öffentliche Sicherheit nur in Betracht, wenn hinreichend wahrscheinlich ist, dass der öffentliche Frieden tatsächlich gestört werden wird. Eine Vermutung darf zur Begründung der Verwirklichung des Straftatbestandes nicht herangezogen werden (BVerfG, Beschluss vom 16.04.2005 - 1 BvR 808/05).

Gegenüber einem Versammlungsteilnehmer kommt erst nach Auflösung der Versammlung gem. § 15 II VersG oder nach versammlungsrechtlich begründetem Ausschluss aus der Versammlung ein Platzverweis nach Polizeirecht in Betracht, an den sich eine Ingewahrsamnahme anschließen kann (BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01).

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 I BVerfGG sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung vom BVerfG zu berücksichtigen, wenn ein Abwarten den Grundrechtsschutz vereitelte. Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung finden ihre Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 II GG aufgeführten Schranken auch dann, wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt (im Anschluss an BVerfGE 90, 241). Zur rechtlichen Tragweite des Schutzguts der öffentlichen Ordnung im Versammlungsrecht (BVerfG, Beschluss vom 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04).

Die versammlungsbehördliche oder gerichtliche Einschätzung, dass eine geplante Versammlung unter dem Motto Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!' den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 I StGB erfülle und somit eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliege, ist im Rahmen eines Eilverfahrens gem. § 32 I BVerfGG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das inhaltliche Anliegen einer Versammlung darf durch behördliche Auflagen oder gerichtliche Maßgaben nicht verändert werden (BVerfG, Beschluss vom 12.03.2004 - 1 BvQ 6/04).

Das Fehlen einer umfassenden Begründung der Beschwerde nach § 146 IV 3 VwGO steht unter dem Aspekt der Subsidiarität verfassunggerichtlichen Rechtsschutzes in versammlungsgerichtlichen Fällen der Zulässigkeit eines Antrags gem. § 32 I BVerfGG nicht entgegen, wenn der Beschwerdeführer den Zeitdruck für die Beschwerdebegründung nicht verursacht hat. Die Erwartung, auf einer Versammlung würde nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet, rechtfertigt es nicht , die Durchführung der Versammlung zu unterbinden. Anderes gilt nur, soweit Äußerungen auf verfassungsgemäße Weise gesetzlich verboten sind. Die Feststellung des BVerfG, dass eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigt, bindet die Fachgerichte gem. § 31 I BVerfGG (BVerfG, Urteil vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03).

Die Reduktion des Prüfungsmaßstabs im Beschwerdeverfahren auf offensichtliche Rechtfehler des Verwaltungsgerichts verletzt im Streit um ein Versammlungsverbot Art. 8 GG, sofern diese Reduktion nicht durch die Verletzung verfahrensrechtlicher Obliegenheiten des Antragstellers - etwa nach § 146 IV 3 VwGO - gerechtfertigt ist (BVerfG, Beschluss vom 14.08.2003 - 1 BvQ 30/03).

Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Versammlungsverbot wegen nicht ausreichender Begründung der Gefahrenprognose, die auf die Gesichtspunkte der Tarnveranstaltung und möglicher Straftaten gestützt worden war (BVerfG, Beschluss vom 11.04.2002 - 1 BvQ 12/02).

Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil das in der nach § 15 I VersG ergangenen Auflage enthaltene Verbot des Mitführens einer angemessenen Zahl schwarzer Fahnen (aus Anlass einer Demonstration zum Gedenken an den alliierten Massenmord am 29.3.2´1942 in Lübeck') offensichtlich gegen Art. 8 I GG verstieß (BVerfG, Urteil vom 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02).

Zu den Voraussetzungen, ein Versammlungsverbot wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft des Anmelders aussprechen zu können (BVerfG, Urteil vom 01.03.2002 - 1 BvQ 5/02).

Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die das verwaltungsgerichtlich bestätigte Verbot einer Versammlung unter dem Motto Ruhm und Ehre der Waffen-SS' in unmittelbarer Nähe der Wewelsburg außer Kraft gesetzt werden sollte (BVerfG, Beschluss vom 04.01.2002 - 1 BvQ 1/02).

Zu den Voraussetzungen, unter denen im Wege einer Auflage ein Redeverbot für eine von einer nicht verbotenen politischen Partei veranstalteten Versammlung verhängt werden darf (BVerfG, Urteil vom 08.12.2001 - 1 BvQ 49/01).

Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die die Versammlungsbehörde verpflichtet werden sollte, eine Auflage des Inhalts zu erlassen, dass eine Versammlung nicht näher als 500 Meter an die Wohnung des Antragstellers herangeführt werden darf (BVerfG, Beschluss vom 19.10.2001 - 1 BvQ 39/01).

Das Verbot einer von der NPD beantragten Versammlung kann auch unter Berücksichtigung des gegen diese Partei beim BVerfG anhängigen Verbotsverfahrens nicht allein auf die Annahme gestützt werden, dass die von der NPD typischerweise vertretenen Inhalte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen. Die Absage an den Nationalsozialismus hat das Grundgesetz in vielen Normen, wie beispielsweise Art. 139 GG, besonders ausgedrückt, aber auch in dem Aufbau allgemeiner rechtsstaatlicher Sicherungen dokumentiert. In der Beachtung rechtsstaatlicher Sicherungen sieht das Grundgesetz eine wichtige Garantie gegen ein Wiedererstehen eines Unrechtsstaats. Rechtsstaatliche Garantien dürfen deshalb nicht dadurch unterlaufen werden, dass bestimmten Parteien oder Personen grundsätzlich der Schutz eines Grundrechts wie Art. 8 GG verwehrt wird. An der Kammer-Rechtsprechung zur (grundsätzlichen) Rechtswidrigkeit von Versammlungsverboten zum Schutz der öffentlichen Ordnung (vgl. BVerfG NJW 2001, 2069 und 2075) wird trotz der Kritik des OVG Münster (vgl. NJW 2001,2114) festgehalten (BVerfG, Beschluss vom 01.05.2001 - 1 BvQ 22/01).

Das Gesetz über die Sonn- und Feiertage für das Land Nordrhein-Westfalen schließt einen Rückgriff auf § 15 VersG insoweit aus, als es um den Schutz von Sonn- und Feiertagen (hier: Ostermontag) vor öffentlichen Versammlungen geht. Es bleibt offen, unter welchen Voraussetzungen ein über die im Gesetz über die Sonn- und Feiertage enthaltenen Vorkehrungen hinausgehender Schutz des Osterfestes gegenüber Versammlungen wegen ihres besonderen Charakters in Betracht kommt. Das Verbot einer Versammlung an den Osterfeiertagen ist jedenfalls nicht allein deshalb rechtmäßig, weil die Versammlung durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt ist und deshalb die öffentliche Ordnung stört. Ein Verbot könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn Anhaltspunkte für eine nachhaltige Störung des Friedens des Osterfestes vorliegen, die einer Überprüfung am Maßstab der Art. 5 und Art. 8 GG standhalten (im Anschluss an BVerfG, NJW 2001, 1409; BVerfG, Beschluss vom 12.04.2001 - 1 BvQ 19/01).

Die im StGB auch zur Abwehr nationalsozialistischer Bestrebungen geschaffenen Strafnormen sind abschließend in dem Sinne, dass daneben ein Verbot von Meinungsäußerungen allein wegen ihres Inhalts unter Rückgriff auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen ist. (Bestätigung von BVerfG, NJW 2001, 2069). Bei der Anwendung des Begriffs der öffentlichen Ordnung im Bereich von Versammlungen ist zu berücksichtigen, dass Art. 8 GG auch ein Minderheitenschutzrecht enthält, so dass es besonders problematisch ist, die Versammlung und das Verhalten der Versammlungsteilnehmer vorrangig an den sozialen Anschauungen der Mehrheit zu messen. Darüber hinaus ist im Rahmen verfassungskonformer Gesetzesanwendung sicherzustellen, dass Verbote von Versammlungen im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht kommen. Dieser Schutz wird regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Sicherheit verwirklicht. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung rechtfertigt im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht. (Im Anschluss an BVerfGE 69, 315, 352 f. = NJW 1985, 2395, 2398). Zur Frage, ob das Motto einer angemeldeten Versammlung Herren im eigenen Land statt Knechte der Fremden' unter Beachtung der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I GG gegen den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 I Nr. 1 StGB) verstößt (BVerfG, Urteil vom 07.04.2001 - 1 BvQ 17/01, 18/01).

Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Beschränkungen des Versammlungsrechts im Zusammenhang mit dem Castor-Transport nach Gorleben (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01).

Erfolgloser Antrag einer Landtagsfraktion auf Gewährung von Eilrechtsschutz mit dem Ziel, eine öffentliche Fraktionssitzung mit anschließender Bürgerfragestunde' unter freiem Himmel in der Nähe eines für den Castor'-Transport benutzen Bahnlinie durchzuführen (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2001 - 1 BvQ 16/01).

Die Beweislast für die Tarnung eines ein Versammlungsverbot rechtfertigenden Inhalts und damit für eine täuschende Anmeldung liegt bei der Verwaltung. Eine Äußerung, die nach Art. 5 II GG nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht Anlass für versammlungsbeschränkende Maßnahmen nach Art. 8 II GG sein. Die Bürger sind frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch Rechtsgüter anderer nicht gefährden. § 15 VersG ist hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung insoweit einengend auszulegen, als zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Die darin vorgesehenen Beschränkungen von Meinungsäußerungen sind jedenfalls im Hinblick auf seit langem bekannte Gefahrensituation abschließend und verwehren deshalb einen Rückgriff auf die in § 15 VersG enthaltene Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit kein Straftatbestand erfüllt ist. Zur Verpflichtung der Versammlungsbehörde und der Gerichte, vor dem Ausspruch oder der Bestätigung eines Versammlungsverbots zu prüfen, welche konkreten Auflagen unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geeignet sind, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung auszuräumen (BVerfG, Beschluss vom 24.03.2001 - 1 BvQ 13/01).

Im Wesentlichen erfolgreicher Antrag der NPD auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Versammlungsverbot wegen fehlerhafter Gefahrenprognose durch die Behörde und Gerichte (BVerfG, Urteil vom 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01).

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Anordnung der Versammlungsbehörde, eine Versammlung nicht am 27.1.2001, sondern am 28.1.2001 durchzuführen, nicht als Versammlungsverbot, sondern als Auflage bezüglich der zeitlichen Durchführung der Versammlung i.S. des § 15 I VersG anzusehen. Im Rahmen der Folgenabwägung in kurzfristig zu entscheidenden Verfahren des Eilrechtsschutzes gegen Entscheidungen der Versammlungsbehörden legt das BVerfG die behördliche oder gerichtliche Gefahrenprognose dann nicht zu Grunde, wenn das für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut in rechtlicher Hinsicht die Einschränkung eindeutig nicht trägt. Die öffentliche Ordnung scheidet nicht grundsätzlich als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots aus. Die öffentliche Ordnung kann betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch grundlegende soziale oder ethischen Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (hier: begeht für einen Aufzug rechtsextremer Gruppen am 27.1., dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus; BVerfG, Beschluss vom 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01).

Zur Folgenabwägung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Auflage, eine angemeldete Demonstration nur als stationäre Kundgebung und nicht auch in Form eines Aufzugs durchzuführen (BVerfG, Beschluss vom 12.01.2001 - 1 BvQ 1/01).

Es bleibt offen, ob gegen die Rechtsfigur des Zweckveranlassers' in einer Situation versammlungsrechtlicher Konfrontation von Versammlung und Gegendemonstration verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Jedenfalls kann ein auf der Grundlage polizeilichen Notstandes ergangenes, wegen des Bestehens anderer, den Veranstalter und die Teilnehmer der Versammlung weniger belastender Möglichkeiten gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßendes Versammlungsverbot nicht ohne provokative Begleitumstände stattdessen auf die Rechtsfigur des Zweckveranlassers' gestützt werden (BVerfG, Beschluss vom 01.09.2000 - 1 BvQ 24/00).

Im Rahmen der Folgenabwägung in gegen Versammlungsverbote gerichteten Verfahren nach § 32 I BVerfGG hat das BVerfG schon aus Zeitgründen regelmäßig die Tatsachenfeststellungen und Tatdsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde zu legen. Anderes gilt nur dann, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die angestellte Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm nicht trägt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Gefahrenprognose auf Umstände gestützt wird, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG offensichtlich widerspricht. Die Annahme einer Tarnveranstaltung (hier: Rudolf Heß-Gedenkveranstaltung) kann nur dann zur Grundlage eines Versammlungsverbots genommen werden, wenn die Versammlungsbehörde konkrete, auf diese Versammlung bezogene Indizien der Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist. Bei der Deutung des geplanten inhaltlichen Anliegens muss das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Veranstaltung berücksichtigt werden. Die Beweislast für die Tarnung eines das Verbot rechtfertigenden Inhalts und damit eine täuschende Anmeldung liegt bei der Verwaltung. Art. 8 GG erlaubt Beschränkungen der Versammlungsfreiheit aus dem Gesichtspunkt polizeilichen Notstands. Dabei ist zu beachten, dass das Grundgesetz auf der Einhaltung der Regeln des Rechtsstaats, den es zu verteidigen gilt, besteht. Gewalt von links' ist keine verfassungsrechtliche hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von rechts'. Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so ist es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob ein polizeilicher Notstand durch Modifikationen der Versammlungsmodalitäten entfallen kann, ohne dadurch den konkreten Zweck der Versammlung zu vereiteln. Es ist Aufgabe der Versammlungsbehörde und der Fachgerichte, die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfüllen, und zwar auch in der Entscheidung über die sofortige Vollziehung einer Verbotsverfügung, soweit sie inhaltlich durch Art. 8 GG beeinflusst wird (BVerfG, Beschluss vom 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00).

Zu den Anforderungen an die behördliche und gerichtliche Gefahrenprognose bei einem gegen die NPD gerichteten Versammlungsverbot im Rahmen der Folgenabwägung durch das BVerfG im Eilverfahren. Wird ein Versammlungsverbot darauf gestützt, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehenen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen, so müssen dafür konkrete Tatsachen bezeichnet werden, die die behördliche oder gerichtliche Annahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen lassen. Hinweise auf strafrechtliche Ermittlungen ohne Angabe des Ausgangs dieser Verfahren und auf Rechtsverstöße bei Veranstaltungen in anderen Orten ohne konkreten Bezug zu den Beteiligten der verbotenen Versammlung erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig nicht. Mit Art. 8 GG ist nicht zu vereinbaren, dass bereits mit der Anmeldung einer Gegendemonstration, deren Durchführung den Einsatz von Polizeikräften erfordern könnten, erreicht werden kann, dass dem Veranstalter der zuerst angemeldeten Versammlung die Möglichkeit genommen wird, sein Demonstrationsanliegen zu verwirklichen. Deshalb muss vorrangig versucht werden, den Schutz der Versammlung auf andere Weise, gegebenenfalls unter Hinzuziehung externer Polizeikräfte, durchzusetzen. Dass Polizeikräfte für andere Veranstaltungen (hier: EXPO 2000 in Hannover) benötigt werden, reicht mithin für sich allein nicht, um der Versammlung den Schutz zu verweigern. Erhärten die von der Behörde bezeichneten Tatsachen die Befürchtung, dass die unmittelbare Gefahr von Gewalttätigkeiten aus der angemeldeten Versammlung heraus und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht, so rechtfertigt dies die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung. Es ist Sache des Veranstalters oder des vorgesehenen Versammlungsleiters, öffentlich deutliche und nachweisbare Signale zu setzen, die auf die Gewaltfreiheit der Versammlung gerichtet sind und die Annahme der Behörde erschüttern (BVerfG, Beschluss vom 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00).

Bei der Folgenabwägung im Rahmen einer Entscheidung zur Gewährung von Eilrechtsschutz gegen den Sofortvollzug eines während des Wahlkampfes ausgesprochenen Versammlungsverbots ist zu berücksichtigen, daß die Behinderung einer - nicht verbotenen - Partei (hier: KPD) stets eine schwere Einbuße darstellt. Die Folgenabwägung im Rahmen von § 32 BVerfGG kann dazu führen, wegen der Wettbewerbsnachteile für die betroffene Partei und des öffentlichen Interesses an einem unverzerrten Parteienwettbewerb, daß im Einzelfall die Gefahr der Begehung von Straftaten gem. §§ 85, 86, 86a, 125 und 131 StGB hinzunehmen ist (BVerfG, Beschluss vom 25.07.1998 - 1 BvQ 11/98).

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verlangt, daß dann, wenn der Veranstalter und sein Anhang sich friedlich verhalten und Störungen lediglich von Gegendemonstranten oder Störgruppen ausgehen, behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer gerichtet werden und die Durchführung der Versammlung zu schützen ist. Zu den Anforderungen, die an die Darlegung eines hinreichend bestimmten Kausalzusammenhangs zwischen der für eine Versammlungsauflage ausgeführten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Durchführung der Versammlung zu stellen sind (im Anschluß an BVerfGE 69, 315 = NJW 1985, 2395; BVerfG, Beschluss vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94).

Zur Verfassungsmäßigkeit von Versammlungsauflagen (hier: Anachronistischer Zug; BVerfG, Entscheidung vom 15.07.1987 - 1 BvR 520/84).

Zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung, durch die die Aufführung einer szenischen Darstellung eines Brecht-Gedichtes auf einem Soldatenfriedhof zugelassen werden sollte (BVerfG, Entscheidung vom 08.11.1985 - 1 BvR 1290/85).

Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufener Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Zur verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15). Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Steht nicht zu befürchten, daß eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstrebt oder zumindest billigen, bleibt für die friedliche Teilnahme der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlaß grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten. Die Verwaltungsgerichte haben schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt (BVerfG, Entscheidung vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a.).

Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung des BVerfG gegen ein Demonstrationsverbot (BVerfG, Entscheidung vom 28.02.1981 - 1 BvR 233/81).

*** (BVerwG)

Eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne von § 130 IV StGB ist auch anzunehmen, wenn durch positive Hervorhebung eines Verantwortungsträgers des Regimes (hier: "Stellvertreter des Führers" Rudolf Hess) für ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum klar erkennbar die Herrschaft des Nationalsozialismus als solche gutgeheißen wird (BVerwG, Urteil vom 25.06.2008 - 6 C 21/07).

Ein Rehabilitationsinteresse begründet ein Feststellungsinteresse dann, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen ist (BVerwG, Entscheidung vom 04.10.2006 - 6 B 64/06).

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 I GG schließt nicht von vornherein eine Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen nach den Vorschriften des Straßen- und Wegerechts aus. Der Leiter einer Versammlung als solcher gehört nicht zu dem Personenkreis, der nach allgemeinen Grundsätzen, der polizeirechtlichen Handlungshaftung zur Straßenreinigung herangezogen werden darf (BVerwG, Entscheidung vom 06.09.1988 - 1 C 15/86).

Abtransport von Versammlungsteilnehmern ohne Auflösungsverfügung. - Zur Abwehr von Gefahren, die von einer Versammlung (Sitzblockade) ausgehen (BVerwG, Entscheidung vom 14.01.1987 - 1 B 219/86).

Die Auflösung einer ordnungsgemäß angemeldeten und nicht verbotenen Versammlung stellt das letzte äußerste Mittel zur Abwehr der von ihr ausgehenden Gefahren dar. Die Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 103 StGB ist eine Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. von § 15 VersG. Ist die Auflösung nicht erforderlich oder unverhältnismäßig, so kann die zuständige Behörde sich der ihr nach geltendem Recht zustehenden polizeilichen Befugnisse zur Abwehr unmittelbarer Gefahren bedienen und im konkreten Fall das Mittel anwenden, das zur Beseitigung der Gefahr geeignet, erforderlich und nicht unverhältnismäßig ist. § 103 StGB und die in seinem Rahmen gegebenenfalls außerdem anzuwendenden Bestimmungen des StGB - insbesondere § 191 StGB - stellen für die von ihnen geregelten Sachverhalte die konkrete innerstaatliche Ausprägung der schon kraft ungeschriebenen Völkerrechts geltenden Grundsätze der Unverletzlichkeit der Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und Diplomaten fremder Staaten dar (BVerwG, Entscheidung vom 08.09.1981 - 1 C 88/77).

*** (OLG, OVG, VGH)

Eine öffentliche Versammlung, bei der gewaltfrei und ohne Begehung von Straftaten für eine friedliche Blockade eines nicht verbotenen Aufzugs von Rechtsextremisten trainiert wird, kann als Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung von der Versammlungs- und Meinungsfreiheit geschützt sein. Unter Berücksichtigung grundrechtlicher Wertentscheidungen kann die bloße Durchführung einer derartigen Probeblockade, bei der selbst niemand behindert wird, weder als strafbare grobe Störung einer Versammlung (§ 21 VersammlG) noch als strafbare Aufforderung hierzu (§ 111 StGB) angesehen werden. Das gilt auch dann, wenn das Training zu einer späteren echten Blockade mobilisieren soll. Die Grenze zur Strafbarkeit wird erst dann überschritten, wenn die Teilnehmer einer Versammlung eine andere nicht verbotene Versammlung über eine erhebliche Dauer blockieren, ohne dass deren Teilnehmer ausweichen können (OVG Münster, Urteil vom 18.09.2012 - 5 A 1701/11):

... Die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers gegen die angegriffenen, durch Zeitablauf erledigten versammlungsrechtlichen Auflagen ist zulässig und begründet.

I. Die Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist statthaft. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der umstrittenen Auflagen hat.

II. Die Klage ist auch begründet. Die Auflagen unter Nr. 2., 4. und 5. der Bestätigungsverfügung des Beklagten vom 31. Januar 2011 sind rechtswidrig gewesen und haben den Kläger in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Diese Auflagen konnten nicht auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützt werden. Danach kann die zuständige Behörde unter anderem die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 - 6 C 21/07 -, BVerwGE 131, 216 = juris, Rn. 13.

Das für beschränkende Verfügungen vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671, 672, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 u. a. -, BVerfGE 69, 315, 353 f.

Diese Voraussetzungen für ein versammlungsbehördliches Einschreiten waren nicht deshalb erfüllt, weil anlässlich der Versammlung des Klägers am 5. Februar 2011 geplant war, ein Blockadetraining zu dem Zweck durchzuführen, möglichst viele Menschen zur Teilnahme an einer Blockade der für den 8. und 9. April 2011 angemeldeten rechtsextremen Versammlungen zu bewegen. Es stand insbesondere nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit fest, dass die Durchführung des angemeldeten Blockadetrainings unzulässig war.

Das Blockadetraining war nicht als verbotener Aufruf zu einer rechtswidrigen Tat nach § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG (dazu unten 1.), nach § 111 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 VersammlG oder nach § 116 OWiG i. V. m. § 2 Abs. 2 VersammlG (dazu unten 2.) zu werten. Die geplante Probeblockade gefährdete auch nicht deshalb unmittelbar die öffentliche Sicherheit, weil die dabei eingeübten Verhaltensweisen ihrerseits polizeiwidrig gewesen wären (dazu unten 3.).

1. Das Blockadetraining stellte sich nicht deshalb als Aufruf zu einer Straftat nach § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG dar, weil es als Teil eines Mobilisierungsplans des Veranstalterbündnisses darauf ausgerichtet war, konkrete, nicht verbotene Demonstrationen der rechtsextremen Szene zu verhindern.

a) Nach § 111 StGB ist strafbar, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, auch wenn die Aufforderung ohne Erfolg bleibt. § 21 VersammlG stellt unter Strafe, Gewalttätigkeiten vorzunehmen, anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln. Nach gefestigter höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung setzt der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten eine bestimmte Erklärung an die Motivation anderer voraus, bestimmte Straftaten zu begehen. Sie muss den Eindruck der Ernstlichkeit vermitteln. § 111 StGB erfasst als strafwürdig nur solche Äußerungen und Verhaltensweisen, die den öffentlichen Frieden konkret gefährden, weil sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Hierzu gehören Meinungsäußerungen, die bei dem Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen, Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Die lediglich abstrakte Befürwortung einer Straftat ist hingegen noch nicht strafbar.

Vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1984 - 3 StR 36/84 -, BGHSt 32, 310 = juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 124, 300, 335 = juris, Rn. 78; OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 2010 - 2 Ss 451/09 -, juris, Rn. 25; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 3 Ss 317/02 -, NStZ-RR 2003, 327 = juris, Rn. 9; KG Berlin, Urteil vom 29. Juni 2001 - 1 Ss 388/00 -, NJW 2001, 2896 = juris, Rn. 18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12. Februar 1993 - 3 Ss 99/92 -, NStZ 1993, 389 = juris, Rn. 27 ff.

Überdies ist § 111 StGB - wie alle Strafrechtsnormen - unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen und anzuwenden. Soweit die Erfüllung dieses Straftatbestands durch eine Aussage in Rede steht, die mit einem Blockadetraining auf einer Kundgebung konkludent geäußert wird, sind die Grundrechte der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG und der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG maßgebend. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die dadurch geschützte Teilhabe an der kollektiven Meinungsbildung im freiheitlichen Staat setzt nicht voraus, dass Meinungen sprachlich kundgegeben oder ausgetauscht werden. Dem Grundrecht unterfallen auch solche Versammlungen, bei denen die Teilnehmer ihre Meinungen zusätzlich oder ausschließlich auf andere Art und Weise, auch in Form einer Sitzblockade, zum Ausdruck bringen. Die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe ist verfassungsrechtlich bis zur Grenze der Unfriedlichkeit geschützt. Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden. Es genügt hingegen nicht, dass es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Deshalb ist es insbesondere gestattet, die Blockade als Mittel einzusetzen, um das kommunikative Anliegen, öffentliche Aufmerksamkeit für einen politischen Standpunkt zu erzielen, auf spektakuläre Weise zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben. Den Grundrechtsträgern steht die Entscheidung darüber frei, welche Maßnahmen sie hierzu einsetzen wollen, solange sie Rechte anderer nicht beeinträchtigen. Nicht grundrechtlich geschützt ist dagegen die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Dasselbe gilt für die zwangsweise oder sonstige selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92, 103 ff., 105 f., 108, 110 f.

Hinsichtlich einer Bewertung von Äußerungen auf ihre Strafbarkeit bedarf es darüber hinaus einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie eingeschränkt worden ist. Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, so spricht eine Vermutung zu Gunsten der Freiheit der Rede.

Vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 u. a. -, BVerfGE 93, 266 = juris, Rn. 117 ff., 123, m. w. N.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Bürger grundsätzlich frei, zentrale Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Das Grundgesetz vertraut danach auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe etwa gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Den hiervon ausgehenden Gefahren entgegenzutreten, weist die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes primär dem bürgerschaftlichen Engagement im freien politischen Diskurs sowie der staatlichen Aufklärung und Erziehung in den Schulen zu.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 124, 300, 320 f.

Weichenstellend für die Prüfung einer Grundrechtsverletzung ist die Erfassung des Inhalts der betreffenden Äußerung, wobei der Inhalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln ist. Hinsichtlich mehrdeutiger Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem sich Äußernden günstigere Deutung zu Grunde zu legen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2007 - 1 BvR 3041/07 -, juris, Rn. 15, m. w. N.

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war nicht mit der für versammlungsrechtliche Beschränkungen erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich das Blockadetraining im Zusammenhang mit der sonstigen Öffentlichkeitsarbeit des Veranstalterbündnisses als strafbarer Aufruf zu einer rechtswidrigen Tat darstellen würde.

aa) Geplant war nach den Verlautbarungen der Veranstalter im Internet der Sache nach insbesondere ein bürgerschaftlicher Beitrag zu der die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, ob rechtsextreme Versammlungen in Deutschland stattfinden können sollen. Hierzu hielt das Bündnis, in dem weite Teile der regionalen Bevölkerung vertreten waren, Gegendemonstrationen erklärtermaßen nicht mehr für ausreichend. Vielmehr sahen ihre Vertreter in dem aktuellen Auftreten rechter Gruppen in Stolberg und in der Städteregion Aachen und den damit verbundenen realen Einschüchterungen, Bedrohungen und Verletzungen bestimmter Personen und Bevölkerungskreise eine ernste Gefahr für den freiheitlichen demokratischen Staat. Sie beanstandeten ein Untätigbleiben der Politik und hielten deshalb bürgerschaftliches Handeln für legitim, um die weitere Ausbreitung dieses Gedankenguts zu verhindern und damit die Demokratie zu schützen. Mit diesem moralischen Anspruch war es erklärtes Ziel aller im Veranstalterbündnis vertretenen Gruppen und Personen, die Anfang April 2011 in Stolberg geplanten rechten Aufmärsche mit Massenblockaden zu verhindern. Anders als die grundgesetzliche Ordnung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertrauten sie nicht allein auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als hinreichend wirksame Waffe gegen die erneute Verbreitung menschenverachtender Ideologien. Sie sahen vielmehr Handlungsbedarf, weil die freie Auseinandersetzung in Deutschland bereits in der Zeit von 1933 bis 1945 nicht die Macht hatte, das Entstehen und den Fortbestand des verbrecherischen nationalsozialistischen Regimes zu verhindern. Die Mitglieder des Blockadebündnisses waren nicht nur der Auffassung, dass von den alljährlichen rechtsextremen Versammlungen in Stolberg Beunruhigungen der Bürger ausgingen, die in einer Demokratie hingenommen werden müssten. Sie waren vielmehr darüber hinaus davon überzeugt, dass in Deutschland bereits das Verbreiten von rechtsradikalen und an die Ideologie der Nationalsozialisten anknüpfenden Ansichten - und nicht erst das unmissverständliche Gutheißen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft - eine Gefahr für den inneren Frieden und den Fortbestand eines freiheitlichen Staates darstellt.

Vgl. zur davon abweichenden aktuellen Rechtslage BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 124, 300, 334 ff.

Davon ausgehend war es ein zentrales Anliegen des Veranstalterbündnisses, durch spektakuläre Aktionen eine öffentliche Auseinandersetzung von Gesellschaft, Gesetzgebung und Justiz darüber anzustoßen, ob die Art. 5 und 8 GG im Sinne einer wehrhaften Demokratie zum Schutz vor menschenverachtenden Ideologien mehr als bisher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu begrenzen sind. Damit leistete das Bündnis im Rahmen der grundgesetzlichen Freiheitsrechte einen legitimen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.

bb) Das in Rede stehende Blockadetraining überschritt bei prognostischer Beurteilung auch nicht deshalb die Grenzen grundrechtlich gewährleisteter Freiheiten, weil hierdurch möglichst viele Menschen zur Teilnahme an der Blockade nicht verbotener rechtsextremer Versammlungen mobilisiert werden sollten. Das Veranstalterbündnis wollte sich erklärtermaßen friedlicher Methoden bedienen, um sein Anliegen öffentlichkeitswirksam zu verfolgen. Es lehnte Gewalttätigkeiten ab. Dies sollte den Teilnehmern des Blockadetrainings ausdrücklich mitgeteilt werden. Der Kläger hatte darüber hinaus im Kooperationsgespräch hervorgehoben, es sei nicht beabsichtigt, gegen die Polizei tätig zu werden. Das Blockadetraining beeinträchtigte auch nicht unmittelbar schützenswerte Rechtsgüter anderer. Am 5. Februar 2011 war keine Konfrontation mit einer Versammlung des politischen Gegners geplant oder auch nur absehbar. Es waren keine Redebeiträge vorgesehen, die eine ausdrückliche unmissverständliche Aufforderung zur Teilnahme an strafbaren Blockaden gegenüber einer breiten Öffentlichkeit hätten erwarten lassen können. Die Öffentlichkeitswirkung sollte ausschließlich dadurch erzielt werden, dass den Teilnehmern der Versammlung der mögliche Ablauf der geplanten Verhinderungsblockaden erklärt und dieser gegebenenfalls durchgespielt werden sollte. Darin aber liegt noch kein - allenfalls in Betracht kommendes - konkludentes Auffordern zu einer Straftat nach § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG.

(1) Zum einen konnte die in Rede stehende öffentliche Vermittlung von Blockadetechniken und ihre szenische Darstellung im Kontext mit dem erklärten Ziel, erst deutlich später geplante rechtsextreme Aufzüge zu verhindern, als vorgezogene Demonstration der Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit bürgerschaftlichen Engagements gegen rechtsextremistisches Gedankengut verstanden werden. Bei diesem Verständnis bot das Blockadetraining vor allem den erwarteten nur etwa 100 Teilnehmern selbst ein Forum, das spätere Blockadevorhaben des Bündnisses im Vorfeld strafbaren Verhaltens gemeinsam mit anderen vorzubereiten und zugleich eine breitere Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Zwar konnten und sollten auf Grund der davon ausgehenden Vorbildwirkung Dritte veranlasst werden, an der geplanten Verhinderungsblockade teilzunehmen und dieser zum Erfolg' zu verhelfen. Eine vergleichbare Appellwirkung geht jedoch sogar von einer noch straffreien Befürwortung strafbaren Verhaltens aus. Sie genügt indes mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit allein nicht, um einer nicht verbalen szenischen Übung eine hinreichend eindeutige Erklärung an die Motivation anderer zu entnehmen, die geeignet wäre, den öffentlichen Frieden ernsthaft zu gefährden.

(2) Zum anderen konnte ein strafbares Auffordern zu einer Straftat in der motivierenden Wirkung des geplanten Blockadetrainings auch deshalb nicht liegen, weil sich die Teilnahme an der für Anfang April 2011 geplanten Blockade, die das Veranstalterbündnis anstrebte, zunächst noch als nicht strafbar darstellte. Das Veranstalterbündnis plante nämlich eine im Grundsatz von der Versammlungsfreiheit geschützte Form der friedlichen Blockade. Die Grenze zum strafbaren Rechtsbruch wäre erst in dem Moment überschritten worden, in dem darüber hinaus im Sinne von § 21 VersammlG eine nicht verbotene rechtsextreme Versammlung in Verhinderungsabsicht grob gestört worden wäre. Eine tatbestandliche grobe Störung liegt jedoch erst in der Bildung einer unüberwindlichen Blockade von nicht unerheblicher Dauer, die nicht ohne Weiteres umgangen werden kann.

Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 4 RVs 12/11 u.a. -, juris, Rn. 15; BayObLG, Urteil vom 16. Oktober 1995 - 4St RR 186/95 -, BayObLGSt 1995, 167 = juris, Rn. 14.

Bei der Beurteilung im Einzelfall ist zu berücksichtigen, ob die Blockade - wie hier - ihrerseits in grundrechtlich schützenswerter Ausübung kommunikativer Grundrechte erfolgt. Soweit eine friedliche Blockade dazu dient, für einen Standpunkt öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen, ist dies bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in Straftatbeständen notwendig wertend in Betracht zu ziehen. Insoweit bedarf auch die Beurteilung, ob eine grobe Störung' vorliegt, entsprechend der Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Nötigungstatbestand entwickelt hat, einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechte. Dabei darf der Staat die sich gegenüberstehenden Anliegen im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse nicht inhaltlich bewerten. Wichtige Abwägungselemente sind demgegenüber unter anderem die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten und der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92, 110 ff., und vom 7. März 2011 - 1 BvR 388/05 -, NJW 2011, 3020 = juris, Rn. 38 f.

Ausgehend davon hätte sich die angestrebte friedliche Blockade nicht als grobe Störung im Sinne von § 21 VersammlG dargestellt, solange sie von lediglich begrenzter Dauer gewesen wäre. Eine grobe Störung wäre ebenfalls nicht eingetreten, solange - auf Grund der vorherigen Bekanntgabe der Blockadeabsicht über das Internet oder wegen polizeilichen Einschreitens - ein Ausweichen möglich gewesen wäre. Ohnehin waren Beeinträchtigungen des Versammlungsrechts der Teilnehmer am rechtsextremen Aufzug durch eine friedliche Gegenversammlung in gewissem Umfang im Interesse einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung hinzunehmen. Die äußere Gestaltung der geplanten Blockade und die durch sie ausgelösten Behinderungen standen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Protestgegenstand, der mit den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen identisch war. Das war trotz der erklärten Verhinderungsabsicht zu Gunsten des Blockadebündnisses zu berücksichtigen. Durch die alljährliche Durchführung von Versammlungen zur Stärkung des Zusammenhalts rechtsextremer Gruppen und Kameradschaften in Stolberg haben diese selbst Gegenreaktionen veranlasst. Eine friedliche Blockade war deshalb in gewissen Grenzen als Beitrag zu der in der Öffentlichkeit umstrittenen Frage hinzunehmen, ob eine wehrhafte Demokratie Versammlungen Rechtsextremer dulden muss, die von vielen als Bedrohung wahrgenommen werden. Insoweit unterscheidet sich die seinerzeit geplante Blockade mittels einer eigenständigen friedlichen Versammlung maßgeblich von einer nicht mehr unter die Versammlungsfreiheit fallenden störenden Teilnahme an einer - missbilligten - Versammlung, um diese von innen heraus zu verhindern.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 -, BVerfGE 84, 203 = juris, Rn. 2 und 17; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl. 2011, § 21 Rn. 10.

Im Gegensatz hierzu wollten die Teilnehmer an der Blockade durch ihre bloße Präsenz auf friedliche Weise verhindern, dass rechtsextreme Demonstrationen an bestimmten Orten durchgeführt werden und dort ihr Gedankengut verbreiten. Dies ist im Interesse einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung im Rahmen der geltenden Gesetze gestattet, soweit die Friedlichkeit gewahrt bleibt. Zwar gebietet § 2 Abs. 2 VersammlG jedermann, bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. Jedoch kann die bloße friedliche Präsenz einer Gegenversammlung nicht ohne Weiteres als zu unterlassende Störung im Sinne dieser Vorschrift aufgefasst werden. Soweit Beeinträchtigungen von einer Gegendemonstration ausgehen, stehen einander gleichgewichtige Grundrechtspositionen gegenüber, zwischen denen ein Ausgleich im Rahmen praktischer Konkordanz anzustreben ist.

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, a. a. O., § 2 Rn. 10.

Dabei ist namentlich das rechtlich geschützte Interesse an kommunikativen Anliegen, die durch friedliche Blockaden verfolgt werden, angemessen zu berücksichtigen.

Solange nach diesen Maßstäben angesichts des friedlichen Verhaltens der Blockadeteilnehmer lediglich gewisse sozialadäquate Behinderungen, aber noch keine darüber hinausgehende Störungen der rechtsextremen Versammlung eintraten oder unmittelbar drohten, war es auch nicht Aufgabe der Polizei, in dem offenen kommunikativen Prozess Partei zu ergreifen und einseitig zu Lasten der Versammlungsfreiheit des Blockadebündnisses auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts rechtsextremer Gruppen hinzuwirken. Sofern nach Erfahrungen von früheren vergleichbaren Begegnungen Anzeichen dafür bestanden hätten, dass es zu gewaltsamen Übergriffen einzelner Mitglieder der Antifa gegenüber Rechtsextremen kommen würde, wären geeignete behördliche Maßnahmen primär gegen die mutmaßlichen Störer und die durch sie drohenden Störungen zu richten gewesen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 u. a. -, BVerfGE 69, 315, 360 f.

Solche Übergriffe waren indes anlässlich des hier streitgegenständlichen Blockadetrainings schon deshalb nicht zu befürchten, weil eine unmittelbare Konfrontation mit dem politischen Gegner nicht absehbar war. Umso weniger kam in Betracht, bereits die mobilisierende Wirkung des voraussichtlich friedlichen Blockadetrainings ohne Redebeiträge als konkludenten strafbaren Aufruf zur Verhinderungsblockade zu bewerten. Aufgrund der damit verbundenen abschreckenden Auswirkungen auf die Ausübung kommunikativer Freiheitsrechte würde die Strafbarkeit unangemessen weit vorverlagert. Dies gilt auch mit Blick auf die Entscheidung des Gesetzgebers, den Versuch, eine Versammlung in Verhinderungsabsicht grob zu stören, straffrei zu lassen. Eine zeitlich deutlich weiter vorgelagerte Vorbereitungshandlung kann demgemäß nur dann als strafbar angesehen werden, wenn bereits hierdurch eine nicht mehr steuerbare Gefahr der Straftatbegehung großer Zahl droht. Das ist bei einem friedlichen Blockadetraining zur Mobilisierung zur Teilnahme an wiederum friedlichen Verhinderungsblockaden nicht der Fall.

2. Bei Durchführung des Blockadetrainings wäre es auch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Aufruf zu einer rechtswidrigen Tat nach § 111 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 VersammlG oder zu einer mit Geldbuße bedrohten Handlung nach § 116 OWiG i. V. m. § 2 Abs. 2 VersammlG gekommen. Abgesehen davon, dass aus den oben unter 1.b) bb) (1) angeführten Gründen keine eindeutige Aufforderung zu erwarten war, ist ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersammlG keine rechtswidrige Tat im Sinne von § 111 Abs. 1 StGB. Dazu zählen nach der Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nur solche Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. Verstöße gegen § 2 Abs. 2 VersammlG sind für sich genommen nicht strafbewehrt. Sie erfüllen auch keinen Bußgeldtatbestand im Sinne von § 116 Abs. 1 OWiG. Im Vorfeld einer groben Störung' im Sinne des § 21 VersammlG kann die Versammlungsbehörde durch räumliche oder zeitliche Auflagen nach § 15 Abs. 1 und 2 VersammlG allerdings bereits gegen unmittelbar drohende Störungen im Sinne von § 2 Abs. 2 VersammlG vorgehen, die nach praktischer Konkordanz über übliche Begleiterscheinungen von Demonstrationen hinausgehen.

3. Die geplante Probeblockade verstieß entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht deshalb gegen die öffentliche Sicherheit, weil dabei Verhaltensweisen eingeübt werden sollten, die ihrerseits die öffentliche Sicherheit gefährdeten. Jedenfalls fehlt es an einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 15 Abs. 1 VersammlG, wenn ein für sich genommen friedliches Blockadetraining, das mit der Rechtsordnung in Einklang steht, mehr als zwei Monate vor der geplanten Blockade stattfinden soll. Gegenteiliges lässt sich § 2 Abs. 2 VersammlG nicht entnehmen. Der eindeutige Wortlaut verbietet nur Störungen bei' öffentlichen Versammlungen und Aufzügen. Damit sind Vorbereitungsmaßnahmen mehrere Wochen vor Beginn einer konkreten Versammlung ausdrücklich nicht von dem Verbot umfasst.

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, a. a. O., § 2 Rn. 11; a. A. Nds. OVG, Beschluss vom 28. Juli 2011 - 11 LA 101/11 -, NdsVBl. 2011, 316 = juris, Rn. 9 f.

Eine entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift auf solche Vorfeldmaßnahmen mit Verhinderungsabsicht scheidet schon deshalb aus, weil die Interessenlage nicht mit Störungen bei einer Versammlung vergleichbar ist. Während diese unmittelbar in das Versammlungsrecht eingreifen, gilt dies für Vorbereitungshandlungen betreffend Verhinderungsblockaden gerade nicht. Die wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der Aktualität der Störung lassen sich auch nicht mit der Begründung einebnen, es habe polizeiwidriges Verhalten eingeübt werden sollen.

Vgl. zu diesem Begründungsansatz VGH Bad.- Württ., Beschluss vom 19. Februar 2000 - 1 S 414/00 -, ESVGH 50, 190 = juris, Rn. 7.

Diese Sicht kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Einüben für sich genommen die öffentliche Sicherheit nicht unmittelbar gefährdet. Hierin liegt für sich genommen noch keine Verletzung der objektiven Rechtsordnung. Darüber hinaus kann selbst die für einen deutlich späteren Zeitpunkt geplante friedliche Sitzblockade nach der oben näher dargelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeitweise von der Versammlungsfreiheit geschützt sein und ist insoweit keine polizeiwidrige Störung im Sinne von § 2 Abs. 2 VersammlG.

4. War danach bei Durchführung des vom Kläger angemeldeten Blockadetrainings die öffentliche Sicherheit nicht unmittelbar gefährdet, lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der streitgegenständlichen beschränkenden Verfügungen nicht vor.

a) Dies gilt in erster Linie für die Auflage Nr. 4 des angefochtenen Bescheids, die die Vermittlung von Blockadetechniken zur Verhinderung nicht verbotener zukünftiger Versammlungen verbot, indem zumindest eine grobe Störung verursacht wird'. Das geplante friedliche Blockadetraining stand - wie ausgeführt - mit der Rechtsordnung in Einklang. Es stellte insbesondere keinen Aufruf zu einer Straftat in Gestalt einer unzulässigen groben Störung einer nicht verbotenen Versammlung dar.

b) Darüber hinaus lagen die engen Voraussetzungen für die Auflage Nr. 2 über die Pflicht zur Bestellung von Ordnern nicht vor. Eine derartige Auflage ist nur unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG zulässig.

Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 10. Februar 2010 - 7 A 11095/09 -, juris, Rn. 28 ff., m. w. N.

Eine Pflicht, Ordner zu bestellen, lässt sich nicht unmittelbar aus §§ 9 Abs. 1 und 18 Abs. 1 und 2 VersammlG ableiten. Gemäß § 8 Satz 2 i. V. m. § 18 Abs. 1 VersammlG hat der Versammlungsleiter während der Versammlung für Ordnung zu sorgen. Gerade dann, wenn absehbar ist, dass er dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht allein gewährleisten kann, ist die Bestellung und Einweisung einer ausreichenden Zahl von Ordnern unabdingbar und kann nach § 15 Abs. 1 VersammlG auferlegt werden.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 10 ZB 07.2665 -, juris, Rn. 16, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2000 - 1 BvR 1245/00 -, NJW 2000, 3051 = juris, Rn. 27 f.; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, a. a. O., § 15 Rn. 48; Leist, Versammlungsrecht und Rechtsextremismus, 2003, S. 318 f.

Es stand nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger allein nicht in der Lage sein würde, bereits während des Blockadetrainings für Ordnung zu sorgen. Der Beklagte hat in seinem vorprozessualen Schreiben vom 5. Februar 2011 selbst ausgeführt, im Allgemeinen könne bei einer stationären Kundgebung auf einen Ordnereinsatz verzichtet werden. Demgegenüber bestanden keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, die eine abweichende Beurteilung gerechtfertigt hätten. Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass der Kläger im Kooperationsgespräch keine Einzelheiten über die einzusetzenden Trainer angegeben und die Durchführung von Wegtrageübungen sowie das Üben von Verhaken bzw. Verknoten' zur Verzögerung des Wegtragens für möglich gehalten hat. Hieraus ergaben sich jedenfalls keine begründeten Zweifel an der erklärten Absicht, das Blockadetraining friedlich und ohne Widerstand gegen die Polizei durchzuführen. Insbesondere hat der Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass wegen der zu befürchtenden Teilnahme von Personen aus der autonomen linken Szene Ordner erforderlich waren. Gerade bei dem in Rede stehenden Blockadetraining, dem keine Versammlung eines politischen Gegners unmittelbar gegenüber stand, vertraten die Teilnehmer ein gemeinsames Interesse. In diesem Rahmen lagen Ordnungsstörungen aus dem Teilnehmerkreis eher fern. Die vom Beklagten angeführte Gefahr, die zwischen den Beteiligten umstrittenen Auflagen würden voraussichtlich nicht eingehalten, rechtfertigte den Ordnereinsatz gleichfalls nicht. Auch ohne die Einhaltung dieser Auflagen bestand bei der angestrebten friedlichen Durchführung szenischer Übungen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

c) Ebenfalls zu Unrecht hat der Beklagte dem Kläger in Auflage Nr. 5 des angegriffenen Bescheids aufgegeben, die Personalien derer anzugeben, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern auftraten. Insbesondere war eine Überprüfung der Zuverlässigkeit dieser Personen nicht deshalb geboten, weil konkret mit rechtswidrigen Aufrufen zu Straftaten im Sinne von § 111 StGB zu rechnen war. Der Kläger war über die Strafbarkeit eines Aufrufs zu Straftaten nach § 21 VersammlG belehrt worden und hatte erklärt, Redebeiträge seien nicht geplant. Danach konnte zwar nicht ausgeschlossen werden, dass es gleichwohl durch einzelne Teilnehmer zu strafbaren Aufrufen nach § 111 StGB kommen würde. Dies genügt jedoch nicht für die nach § 15 Abs. 1 VersammlG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Auflage auch nicht als milderes Mittel gegenüber einem Versammlungsverbot rechtfertigen. Die Voraussetzungen für ein solches Verbot lagen erst recht nicht vor. ..."

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... Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist immer schon dann erfüllt, wenn der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (BVerfG vom 23.6.2000 Az. 1 BvR 830/00 , vom 10.9.2009 Az. 1 BvR 814/09 ). Derartige rechtliche oder tatsächliche Umstände, aus denen sich eine hinreichende Möglichkeit ergibt, dass die Entscheidung des Erstgerichts unrichtig ist, hat die Beklagte mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht aufgezeigt.

Das Erstgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend auf zwei Gründe gestützt. Zunächst hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass durch die Durchführung der Versammlung mit dem Thema Heldengedenkmarsch 2009: Ruhm und Ehre dem deutschen Soldaten' die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft nicht gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird und (auch) keine unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der Würde der Opfer besteht. Dabei hat das Erstgericht auf die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. November 2009 (Az. 10 CS 09.2797) und vom 3. Dezember 2010 (Az. 10 ZB 10.147 beide ) Bezug genommen. Im Beschluss vom 13. November 2009 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass durch den geplanten Aufzug mit dem genannten Thema bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) nicht erfüllt werden. Unabhängig davon ( darüber hinaus') führt das Erstgericht weiter aus, dass etwaigen tatbestandsmäßigen Handlungen im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit Beschränkungen hätte begegnet werden können. Mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht hätte, sofern es etwaige Beschränkungen als zulässig und notwendig erachte, entweder den Tatbestand des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG oder den Tatbestand einer anderen Rechtsgrundlage bejahen müssen, setzt sich die Beklagte nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils auseinander. Aus den Urteilsgründen ergibt sich hinreichend deutlich, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG verneint hat und als weiteren tragenden Gesichtspunkt für die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 9. November 2009, mit dem die Versammlung des Klägers insgesamt verboten wurde, neben dem Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm die Unverhältnismäßigkeit eines Totalverbots' der Versammlung herangezogen hat. Ist das Urteil des Verwaltungsgerichts - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so sind die Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes darzulegen (Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124a RdNr. 61). Dem Erstgericht ist es nämlich nicht verwehrt, seine Entscheidung, mit der es die Rechtswidrigkeit des Verbotsbescheides vom 9. November 2009 feststellt, neben dem Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG auf einen Fehler bei der Ermessensausübung (bzw. die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) zu stützen, auch wenn der zweite tragende Grund rechtlich erst dann greift, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm erfüllt wären. Erweist sich eine behördliche Entscheidung unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten als rechtsfehlerhaft, so steht es dem Gericht in seiner Entscheidung frei, ob es sich bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit auf einen rechtlichen Gesichtspunkt beschränkt oder weitere rechtliche Gesichtspunkte kumulativ anführt.

Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) setzt voraus, dass das Urteil des Erstgerichts von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte abweicht und die Abweichung im Berufungsverfahren entscheidungserheblich zum Tragen kommen kann. Zudem muss das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruhen, der fragliche Rechts- oder Tatsachensatz muss das angefochtene Urteil also alleine tragen (Happ, a.a.O., § 124 RdNr. 46). Letztendlich kann die durch die Beklagte aufgeworfene Frage offen bleiben, ob etwaige Beschränkungen der Versammlung, wie sie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 14. November 2008 Az. 10 CS 08.3016 verfügt hatte, tatsächlich zu einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters führen und das inhaltliche Anliegen der Versammlung verändern würden, mit der Folge, dass die im Urteil des Erstgerichts geäußerte Rechtsauffassung von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 2004 (Az. 1 BvQ 6/04 RdNr. 13) abweichen würde. Denn jedenfalls beruhte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht auf dieser Abweichung. Das Urteil ist nämlich auch tragend darauf gestützt, dass schon die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG nicht erfüllt sind.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sich darin eine entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung stellt, die bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist und daher im Interesse der Einheit, der Fortbildung oder der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Rechts der Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf (vgl. BVerfG vom 8.12.2009 Az. 2 BvR 758/07 RdNr. 97; BayVGH vom 10.2.2012 Az. 10 ZB 11.89 RdNr. 4 m.w.N.). Dementsprechend verlangt das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist und darlegt, inwieweit ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Vorliegend fehlt es bereits an der Formulierung der konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage. Aus dem umfangreichen Vorbringen im Zulassungsantrag ergibt sich nicht eindeutig, welche konkrete Rechtsfrage bezogen auf den Tatbestand des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG geklärt werden müsste. Soweit das Zulassungsvorbringen dahingehend verstanden werden kann, dass die Beklagte für klärungsbedürftig hält, ob eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft stets eine Äußerung zu den vom nationalsozialistischen Regime begangenen Menschenrechtsverletzungen voraussetzt, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2009 (Az. 1 BvR 2150/08 ) hinreichend geklärt. Danach ist erforderlich, dass die Gutheißung erkennbar gerade auf den Nationalsozialismus als historisch reale Gewalt- und Willkürherrschaft bezogen ist (BVerfG a.a.O. RdNr. 100). Gemeint sind damit die das NS-Regime kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen als geschichtlich reale Willkürakte von verbrecherischer Qualität. Zur Frage, ob die Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft explizit oder auch konkludent erfolgen kann, hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 25. Juni 2008 (Az. 6 C 21/07) geäußert (RdNr. 37 m.w.N.; vgl. auch BVerfG vom 4.11.2009 a.a.O. RdNr. 101). ..." (VGH Bayern, Beschluss vom 03.09.2012 - 10 ZB 11.2153)

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... Der Antragsteller vermag insbesondere nicht mit dem Einwand durchzudringen, er habe die verbotenen Versammlungen am 31. August 2012 und am 1. September 2012 mit dem Thema Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege' in Dortmund als Privatperson angemeldet und nicht in seiner Funktion als Führungsmitglied der verbotenen Vereinigung Nationaler Widerstand Dortmund'. Die entgegenstehende Bewertung des Antragsgegners, der das Verwaltungsgericht gefolgt ist, ist hinreichend tatsachengestützt und keine bloße Vermutung. Der hier maßgeblichen sofort vollziehbaren Vereinsverbotsverfügung des Ministeriums für Inneres und Kommunales NRW vom 10. August 2012 lässt sich entnehmen, dass der so genannte nationale Antikriegstag', der immer am ersten Wochenende im September in Dortmund unter jeweils identischem Motto stattfindet, eine regelmäßige Veranstaltung der Vereinigung Nationaler Widerstand Dortmund' ist. Dieser Bewertung liegt zu Grunde, dass die Versammlungen seit Jahren jeweils von Führungsmitgliedern der verbotenen Vereinigung organisiert und - bis zur Bekanntgabe des Vereinsverbots am 23. August 2012 - auf ihren Internetportalen, Flyern und Plakaten beworben worden sind. Bei der Mobilisierung wurde und wird bis heute darauf hingewiesen, dass es sich um eine traditionelle Veranstaltung nationaler Sozialisten' handelt (vgl. z. B. aktuell www.widerstand.info/termin/01-09-2012-demonstration-dortmund/). Obwohl die Versammlungen seit dem Vereinsverbot nunmehr mit der nicht näher spezifizierten Veranstalterangabe Privatperson' beworben werden, hat sich an ihrer Konzeption und der Tradition, in die sie gestellt sind, nichts geändert. Im Gegenteil wird durch das Festhalten an den Versammlungen in der angemeldeten und bisher üblichen Form sowie durch die auf den Seiten 6 und 7 der streitigen Verbotsverfügung vom 27. August 2012 belegte fortdauernde Vereinsaktivität belegt, dass von den Vereinsverboten unbeeindruckt ein Vorhaben unverändert fortgeführt werden soll, das für die bisherige Vereinstätigkeit wegen seiner bundesweiten Bedeutung eine zentrale Rolle einnimmt und für das ihre Führungsmitglieder weiterhin Verantwortung zeichnen. Der Einwand des Antragstellers, Veranstaltungen dieser Größenordnung könnten durch eine einzelne Person nicht organisiert werden, ändert daran nichts.

Aus diesen Gründen sind die Versammlungen dem verbotenen Verein unabhängig davon zuzurechnen, dass der Antragsteller sich selbst gegenüber der Versammlungsbehörde als Veranstalter angegeben hat. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass Äußerungen, die von leitenden Mitgliedern eines Vereins stammen oder deren Inhalt von diesen Mitgliedern erkennbar befürwortet wird, dem Verein auch dann zuzurechnen sind, wenn sie als solche nicht für die Vereinstätigkeit erstellt oder in ihr verwandt worden sind, jedoch den ideologischen Hintergrund kennzeichnen, vor dem die Verantwortlichen des Vereins handeln.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 2010 - 6 A 4.09 -, NVwZ-RR 2011, 14 = juris, Rn. 30.

Dementsprechend ist auch die Durchführung der Versammlungen zum so genannten Antikriegstag', die für die Vereinstätigkeit identitätsstiftend geworden sind, durch den Antragsteller und andere leitende Vereinsmitglieder dem Verein selbst zuzurechnen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass nunmehr der Versammlungsleiter auf Grund der im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Erkrankung des Antragstellers ausgetauscht werden soll. Auch soweit Herr X. als Außenstehender die Veranstaltungsleitung übernimmt, dient dies allein dazu, die für den verbotenen Verein traditionsbildend gewordenen Veranstaltungen zu ermöglichen. Hierdurch würde angesichts des erheblichen Stellenwerts der Versammlungen im bisherigen Vereinsgeschehen ein verbotener Verein im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG unterstützt. Durch Wahrnehmung dieser zentralen Aufgabe würde ein Nichtmitglied Hilfe in einer Form leisten, die auf den organisatorischen Zusammenhalt der Vereinigung bezogen ist und der eine messbare organisatorische Bedeutung zukommt. ..."(OVG, Beschluss vom 30.08.2012 - 5 B 1025/12)

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... Die Beschwerde der Antragsteller, zu denen nunmehr auch die in der Beschwerdeschrift namentlich näher bezeichneten Vorstandsmitglieder der bisher im Aktivrubrum aufgeführten Antragsteller hinzugetreten sind, ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, das für die Prüfung des angefochtenen Beschlusses maßgeblich ist (§ 146 Abs. 4 S. 3 u. 6 VwGO), rechtfertigt eine Änderung der Entscheidung nicht.

Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Bürgerbewegung P...' als Anmelderin und den Teilnehmern der Kundgebungen am 18. August 2012 vor der A... in Wedding (12.00 h), vor der A... in Neukölln (14.00 h) und vor der Neuköllner Begegnungsstätte (...16.00 h) eine Auflage zu erteilen, die das Zeigen der sogenannten Mohammed-Karikaturen' während der Kundgebungen untersagt, hilfsweise, das Zeigen dieser Karikaturen in Sichtweite der Moscheen und der Zugangswege zu diesen zu untersagen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es erscheine bereits zweifelhaft, ob die Antragsteller überhaupt antragsbefugt seien. Jedenfalls seien die Anträge unbegründet. Eine Vorwegnahme der Haupt-sacheentscheidung im Wege des § 123 Abs. 1 VwGO komme mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nur in Ausnahmefällen, und zwar nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei und dem Rechtsschutzsuchenden schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Bereits ein Anordnungsanspruch sei mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit hier nicht glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO), denn den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG könnten die Antragsteller nicht mit Erfolg verlangen. Die Versammlungsfreiheit habe nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergebe, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig sei. Weiterhin müssten zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände' dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, was nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraussetze; bloße Vermutungen reichten nicht aus. Hiernach fehlte es bereits an der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Voraussetzung für den Erlass einer Auflage seien, denn es stehe nicht fest, dass das Zeigen der Mohammed-Karikaturen' strafrechtlich relevant sei. Für die Erfüllung des Straftatbestandes des § 166 StGB fehle es erkennbar an einer Beschimpfung' im Sinne des Verächtlichmachens des religiösen Bekenntnisses. Zudem sei zu beachten, dass die Karikaturen unter die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG fielen, was der Verwirklichung des Straftatbestandes zusätzlich entgegenstehe. Ebenso wenig sei anzunehmen, dass allein durch das Zeigen der Mohammed-Karikaturen zum Hass oder zu Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen aufgefordert werde und damit der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt wäre. Schließlich sei der Umstand, dass die Verbreitung der Karikaturen international äußerst umstritten' sei, wie die Antragsteller im Einzelnen ausführten, keine hinreichende Tatsachengrundlage, um hier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung anzunehmen. Schließlich stünde der Erlass einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG im pflichtgemäßen Ermessen des Antragsgegners, und Gründe, die hier zwingend eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit geböten und damit für eine Ermessenreduzierung auf Null sprächen, seien nicht ersichtlich.

Die Beschwerde enthält nichts, was diese Begründung durchgreifend in Frage stellen würde. Den zutreffenden rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts, wonach der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nur in Betracht kommt, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, und die Versammlungsfreiheit im Wege einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nur zurückzutreten hat, wenn dies zum Schutze anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist, was bedeutet, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen müssen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, beanstandet die Beschwerde nicht. Soweit sie allein geltend macht, ein Zeigen der Mohammed-Karikaturen' sei durchaus strafrechtlich relevant', denn es fehle keineswegs an einer Beschimpfung' im Sinne von § 166 StGB, begründet dieses Vorbringen den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung - auch mit dem Hilfsbegehren - nicht. Zum einen vermag der Senat im Rahmen der ihm vorliegenden - hier nur eingeschränkten - Erkenntnismöglichkeiten nicht zu sehen, dass eine Darstellung der hier interessierenden Karikaturen, zumal im Rahmen einer öffentlichen, auf Meinungsdarstellung und entsprechende Kommunikation des fraglichen Anliegens zielenden Versammlung, ein Beschimpfen i.S.v. § 166 StGB schon dem Wortlaut nach erfüllen sollte. Ein Beschimpfen im genannten Sinne erfasst nicht schon jede herabsetzende Äußerung, sondern nur nach Form und Inhalt besonders verletzende Äußerungen der Mißachtung (s. im Einzelnen: LG Bochum, Beschluss vom 25. August 1988 - 6 Qs 174/88 -, NJW 1989, 727, 728 sowie etwa Fischer, StGB, Komm., § 166 StGB, Rdn. 12; entsprechend auch VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -, Juris, Rdn. 13). Zum anderen und insbesondere setzt sich die Beschwerde nicht mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach die fraglichen Karikaturen unter das Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG fallen. Dieser - im Übrigen nicht zu beanstandenden - Einordnung muss sowohl bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals Beschimpfen' in § 166 StGB Rechnung getragen werden (vgl. entsprechend zu § 185 StGB: BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 -, Juris, Rdn. 22) wie auf Verfassungsebene bei der Frage, wie hier die Abwägung und Vornahme praktischer Konkordanz zwischen dem von den Antragstellern in Anspruch genommenen Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und den Grundrechten auf Versammlungs- und Kunstfreiheit andererseits (Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG) vonstattengehen soll. Entsprechendes wird (auch) mit der Beschwerde nicht ansatzweise geleistet; dass sich hier die Religionsfreiheit der Antragsteller einfachrechtlich in der Weise durchsetzen würde, dass die Darstellung der fraglichen Karikaturen unter Hintanstellung der Versammlungs- sowie der Kunstfreiheit auf Seiten der Teilnehmer der angestrebten Versammlung in der den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erzwingenden Weise sich als Straftat im Sinne von § 166 StGB darstellen würde, drängt sich dem Senat auch sonst nicht auf. ..." (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.08.2012 - OVG 1 S 117.12)

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Der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist. Nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für dessen Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) unterfällt dem Schutzbereich von Art. 8 GG. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn die in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind. Das Aufstellen von Sitzgelegenheiten gehört grundsätzlich nicht zu den essentiell notwendigen Voraussetzungen einer Versammlung unter freiem Himmel ((OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.08.2012 - OVG 1 S 108.12):

... Der Antragsteller meldete am 1. August 2012 eine Versammlung zum Thema Asylrecht' unter freiem Himmel an, die durchgehend vom 3. August (14:00 Uhr) bis zum 3. Dezember 2012 auf dem H...platz in Berlin als Dauermahnwache stattfinden soll und im Internet ( a....com') unter dem Motto R...' begleitend dokumentiert wird. Bei der Veranstaltung sollten überdachte Informationstische, ein selbstständig stehender Regen- bzw. Sonnenschutz, ein Pavillon, Stühle sowie sog. Euro-Paletten als Anbringungsmöglichkeit für Informationsmaterial und Schlafmöglichkeiten für eine Nachtwache eingesetzt werden.

Mit für sofort vollziehbar erklärtem Auflagenbescheid vom 2. August 2012 untersagte der Antragsgegner gemäß § 15 Abs. 1 Alt. 2 Versammlungsgesetz die Aufstellung und Nutzung der vorgenannten Gegenstände ohne die erforderliche straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis nach § 11 Berliner Straßengesetz; anderes gelte für die Euro-Paletten, soweit diese zum Anbringen von Informationsmaterial (als Stellwand) genutzt würden. Auf den vorläufigen Rechtsschutzantrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs nur hinsichtlich der Aufstellung eines überdachten Infotisches' wiederhergestellt und den Antrag im Übrigen abgelehnt, weil die übrigen Aufbauten und Hilfsmittel nicht als wesensnotwendige Bestandteile der Versammlung anzusehen seien.

Mit seiner Beschwerde erstrebt der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs auch in Bezug auf das Verbot des Aufstellens und der Nutzung des Pavillons und von Stühlen. Er beruft sich unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages darauf, dass der Pavillon und die (nicht genannte Anzahl) Stühle wesensnotwendige Bestandteile der Versammlung und damit zur Verfolgung des Grundrechts aus Art. 8 GG erforderlich seien. Anders als ein zudem optisch neutrales Zelt solle der Pavillon nicht (mehr) zum Schlafen genutzt werden; vielmehr seien zahlreiche Transparente mit Forderungen und Informationen daran befestigt, wie im Internet zu sehen sei. Der Pavillon sei ein für die Mahnwache entscheidendes Element, das die bundesweit stattfindenden Mahnwachen u.a. in A... (Bayern), B..., R... und D... auch optisch miteinander verbinde. Die Mahnwache in Berlin habe sich aus mehreren Solidaritätsaktionen für die Mahnwache in W... gebildet und sehe sich damit in Zusammenhang stehend. Die Protestveranstaltung solle inhaltlich wie äußerlich die dortige Mahnwache nachempfinden. Der Pavillon sei ein Symbol für Obdach und Wohnen, stünde für die Versammlungsteilnehmer in besonderem Maße für Flüchtlingsbelange und solle nicht zuletzt an die Flüchtlingscamps der UN in Krisenregionen erinnern. Weder dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. Dezember 2003 - VG 1 A 361.03 - noch dem des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. September 1991 - OVG 5 B 2541/91 - (NVwZ-RR 1992, 360 f., und juris) könne ein generelles Verbot von Zelten oder Pavillons entnommen werden, da es im Einzelfall durchaus möglich sei, mittels eines oder mehrerer Zelte eine kollektive Aussage zu treffen. So verhalte es sich hier; der Pavillon diene nicht vorrangig dem Schutz der Teilnehmer vor witterungsbedingten Erschwernissen bei der Durchführung der Versammlung bzw. deren Bequemlichkeit. Die Mahnwache verstehe sich als eine rund um die Uhr arbeitende Versammlung mit einem umfassenden Programm (Diskussions- und Informationsveranstaltungen, Arbeitsgruppentreffen, Film- und Musikvorführungen) zum Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik; dafür seien Stühle erforderlich, auch um älteren und behinderten Menschen eine Teilnahme und eine genaue Erklärung und Auseinandersetzung mit den Kernforderungen der Mahnwache zu ermöglichen. Es sei geplant, dass sich an unterschiedlichen Orten in Deutschland zur gleichen Zeit öffentlich sichtbar Menschen auf unterschiedlichste Arten mit Asyl- und Flüchtlingspolitik befassten und ihre Forderungen kundtäten. Dieses städteübergreifende Konzept könne nur durchgeführt werden, wenn die Versammlung sowie wesentliche Arbeitsmittel (Computer, Lautsprecheranlage und Beamer) vor Witterungseinflüssen geschützt seien.

Diese für die Prüfung des Senats maßgeblichen Darlegungen der Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

Dass es sich bei der geplanten Veranstaltung grundsätzlich um eine dem Schutz von Art. 8 GG unterfallende Versammlung handelt, stellen Antragsgegner und Verwaltungsgericht zu Recht nicht in Frage. Da der Antragsteller von seiner ursprünglichen Absicht, den Pavillon auch zu Übernachtungszwecken zu nutzen, im Beschwerdeverfahren Abstand genommen hat, steht mittlerweile (wohl) auch außer Streit, dass, wenn ein Zelt oder eine andere Art der Überdachung zum Übernachten oder zu sonstigen rein logistischen Zwecken genutzt wird, derartiges nicht mehr dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfällt, sondern als straßenrechtliche Sondernutzung erlaubnisbedürftig ist (st.Rspr. der Berliner Verwaltungsgerichte, vgl. nur OVG Berlin, Beschluss vom 30. Dezember 2004 - OVG 1 S 86.03 -, Abdruck S. 3 f.; sowie - jeweils zu den aktuellen Parallelveranstaltungen der hiesigen Versammlung - Bayerischer VGH, Beschluss vom 2. Juli 2012 - 10 CS 12.1419 -, Abdruck Rn. 22 ff. m.w.Nachw. zur eigenen Rspr.; zuletzt VG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2012 - 18 L 1140/12 -, juris Rn. 10 ff. m.w.Nachw.). Streitig ist hier daher nur (noch), ob der nach den im Internet (a.a.O.) veröffentlichten Bildern einen Großteil des H... Platzes einnehmende Pavillon und die Stühle, wobei es sich bei letzteren augenscheinlich um lange Klappbänke (sog. Bierbänke) handelt, nach den im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln ebenfalls nicht dem Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts unterfallen, wovon der Senat aus folgenden Erwägungen ausgeht:

Ausgangspunkt der Beurteilung ist die herausgehobene Bedeutung der Versammlungsfreiheit (vgl. dazu grundlegend BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 u.a. - Brokdorf II', BVerfGE 69, 315 ff. [346 f.], juris Rn. 59 ff.), die wegen des hohen Rangs dieses Grundrechts regelmäßig zu einer entsprechenden Zurückdrängung der Freiheitsrechte Anderer, namentlich von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden führt. Allerdings kommt es mit einer zunehmenden zeitlichen oder örtlichen Verfestigung der Versammlung in verstärktem Maße zu Überschneidungen zwischen den Zwecken einer kollektiven Meinungskundgabe mit Formen einer individuellen Lebensgestaltung, also etwa dem Wohnen im Zelt' (vgl. Dietlein, NVwZ 1992, 1066 f.); dies bedingt eindeutige und praktisch handhabbare Abgrenzungskriterien, um die Reichweite des Versammlungsgrundrechts und die damit einhergehende Inanspruchnahme öffentlichen Straßenraums nicht nach Belieben ausufern zu lassen.

Ebenso wenig wie es für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 GG ausreicht, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung durch einen beliebigen Zweck miteinander verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 u.a -, NJW 2001, 2459, juris Rn. 19, und vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92, juris Rn. 41; Senatsbeschluss vom 10. Mai 2012 - OVG 1 S 72.12 -, Abdruck S. 4), kann auch nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) dem Schutzbereich von Art. 8 GG unterfallen. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind, denn der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001, a.a.O., und vom 24. Oktober 2001, juris Rn. 54; weitere Nachweise bei Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 16. Aufl., § 1 Rn. 8 zu Fußn. 14 f., sowie Kanther, NVwZ 2001, 1239 ff.).

Hiervon ausgehend bestimmen die Teilnehmer einer Versammlung zwar selbst darüber, was sie zum Gegenstand der öffentlicher Meinungsbildung machen, und im Rahmen ihrer Typen- und Gestaltungsfreiheit auch, welcher Ausdrucksformen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001, juris Rn. 30); von daher ist der Vortrag der Beschwerde, der Pavillon stehe symbolisch für das Versammlungsmotto (Flüchtlingsbelange, Situation von Asylbewerbern) und verbildliche zudem eine städteübergreifende Solidarität mit anderen Mahnwachen, auch nicht von vornherein unerheblich. Eine solche Wertung unterstellt die Beschwerde dem angegriffenen Beschluss freilich zu Unrecht; denn das Verwaltungsgericht hat in Anwendung der vorstehenden Maßstäbe zutreffend darauf abgehoben, dass der Pavillon und die begehrten Sitzgelegenheiten nach den Umständen des vorliegenden Falles voraussichtlich keine wesensnotwendigen Bestandteile der angemeldeten Versammlung sind, sondern vorrangig dem Schutz der Teilnehmer und der vom Veranstalter eingesetzten Arbeitsmittel vor witterungsbedingten Erschwernissen bei der Durchführung der Versammlung bzw. der bequemeren Durchführung der Veranstaltung dienen. Diese Würdigung wird von der Beschwerde nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.

Anders als möglichweise das Roma-Zeltlager' vor dem nordrhein-westfälischen Landtag (vgl. Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., juris Rn. 5; kritisch dazu Dietlein, a.a.O.; vgl. auch Kanther, a.a.O.) oder andere in der Literatur genannte Beispiele (vgl. etwa Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 1 Rn. 54: Demonstration von medizinischem Personal unter Zuhilfenahme von Betten und medizinischem Gerät zum Thema Pflegenotstand) kann der vorliegend behauptete wesensnotwendige Zusammenhang zwischen dem immerhin viermonatigen großflächigen Dauereinsatz eines Pavillons auf einem im Verhältnis dazu eher kleinen öffentlichen Platz und dem Versammlungsthema bzw. -zweck (u.a. Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten, Solidarität mit den Hungerstreikenden in W...') nicht damit glaubhaft gemacht werden, dass diese nach Art der Errichtung einem größeren Zelt gleichstehende Installation wegen der Anbringung von großflächigen Transparenten und Informationsmaterial zur Verwirklichung des Versammlungszwecks wesentlich sei (ebenso in Bezug auf ein Mannschaftszelt: Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. April 2012 - 10 CS 12.854 -, juris Rn. 18); dafür könnten auch die (ausdrücklich nicht untersagten) Euro-Paletten oder der überdachte Informationstisch dienen (vgl. in diesem Sinne schon OVG Berlin, Beschluss vom 30. Dezember, a.a.O.), den das Verwaltungsgericht für vom Schutzzweck der Versammlungsfreiheit umfasst angesehen hat. Dass der Pavillon die Mahnwache in Berlin mit der in W... auch optisch miteinander verbinde, erschließt sich nur über die Bilder im Internet, nicht aber dem Teilnehmer vor Ort; hierauf kommt es jedoch an, da eine Versammlung gerade durch die physische Präsenz vor Ort geprägt wird (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 1 Rn. 5). Ebenso wenig überzeugt der Vergleich der Beschwerdebegründung eines an den Seiten offenen Pavillons mit Flüchtlingscamps der UN in Krisenregionen. Soweit geltend gemacht wird, der Pavillon diene der Durchführung von Diskussions- und Informationsveranstaltungen, Arbeitsgruppentreffen sowie Film- und Musikvorführungen und schütze wesentliche Arbeitsmittel vor Witterungseinflüssen, erfüllt er überwiegend logistische Funktionen, um möglichst optimale und bequeme Rahmenbedingungen für die Versammlung zu schaffen; dazu wurde das Erforderliche bereits ausgeführt.

Auch das Aufstellen von Sitzgelegenheiten gehört nicht zu den essentiell notwendigen Voraussetzungen einer Versammlung unter freiem Himmel (ebenso Sächsisches OVG, Beschluss vom 16. Juli 2003 - 3 BS 216/03 -, juris; sowie bayerischer VGH, Beschluss vom 28. April 1978 - Nr. 91 VIII/78 -, NJW 1978, 1939 f.; anders wohl die aktuelle, oben zitierte Rspr. dieses Gerichts). Eine Versammlung unter freiem Himmel ist strukturell nach außen gewandt und soll jedermann durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestatten und umgekehrt auch einfaches Weggehen ermöglichen. Sie ist regelmäßig zeitlich straffer und konzentrierter als Versammlungen in geschlossenen Räumen, so dass ein dauerhaftes Verweilen über Monate an einem Ort nicht dem herkömmlichen Bild der Versammlung unter freiem Himmel entspricht, was bei der Bestimmung der notwendigen Reichweite dieses Grundrechts nicht außer Acht bleiben kann. Das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln, beinhaltet danach nicht ohne Weiteres das Recht, dabei auch sitzen zu müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Hierbei war zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Eilverfahren die Entscheidung in der Hauptsache faktisch vorweggenommen wird; daher war die erstinstanzliche Festsetzung von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG). ..."

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Zur Auslegung einer das gesetzliche Verbot des Mitführens von Vermummungsgegenständen (§ 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) wiederholenden "Auflage". Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, für die Einhaltung des - gesetzeswiederholend - verfügten Verbots des Mitführens von Vermummungsgegenständen zu sorgen, kann allenfalls unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint;VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12).

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Mindestens zwei Personen können eine durch Art. 8 GG geschützte Versammlung bilden (Anschluss an VGH Baden Württemberg, Urteil vom 25. April 2007 - 1 S 2828/06 -, ESVGH 57, 197). Auch bei Kundgebungen in der Nähe von Justizvollzugsanstalten (hier bei einer Kundgebung gegen die Sicherungsverwahrung) dürfen grundsätzlich Lautsprecher eingesetzt werden. Ein Verbot der Lautsprecherbenutzung bedarf in solchen Fällen einer besonderen Interessenabwägung, die sich nicht in dem Argument erschöpfen darf, der Lautsprechereinsatz sei für die Binnenkommunikation der (wenigen) Versammlungsteilnehmer nicht erforderlich (HessVGH, Beschluss vom 31.05.2012 - 8 A 514/12):

... Die Berufung ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Auflage Nr. 7 im angegriffenen Auflagenbescheid des Bürgermeisters der Antragsgegnerin zu Unrecht abgewiesen.

Allerdings ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass der Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten für seine Klage unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO hat. Die Wiederholungsgefahr ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass an der geplanten Kundgebung am 1. November 2010 nach Presseberichten (Bl. 12 ff. BA) nur drei Personen teilnehmen wollten. Trotz dieser geringen Teilnehmerzahl war die geplante Veranstaltung eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, das diesen Begriff und die Anzahl der erforderlichen Teilnehmer nicht definiert. In Literatur und Rechtsprechung werden bezüglich der Anzahl der für eine Versammlung erforderlichen Teilnehmer unterschiedliche Auffassungen (von zwei bis sieben Personen) vertreten (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., Rn. 18 zu § 1 m.w.N.). Der Senat schließt sich der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an (Urteil vom 25. April 2007 - 1 S 2828/06 -, ESVGH 57, 197 = juris Rn. 22 f.), der eine Teilnahme von zwei Personen zu gemeinsamer Meinungsäußerung bei gleichzeitiger physischer Anwesenheit für ausreichend hält, wie dies auch der bundesweit einzigen gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 1 des bayerischen Versammlungsgesetzes entspricht (Dietel u.a., a.a.O.). Dass der Kläger weitere Kundgebungen gegen die in Deutschland praktizierte Form der Sicherungsverwahrung anmelden will, hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft bekundet. Es ist auch absehbar, dass es Anlässe für solche Kundgebungen in Schwalmstadt geben wird, da das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa als Reaktion auf die entsprechende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 13. Januar 2011 - 17792/07 -, EuGRZ 2011, 255 = juris Rn. 82 ff.) plant, in Schwalmstadt eine besondere Einrichtung für die Unterbringung in Sicherungsverwahrung befindlicher Personen auch aus anderen Bundesländern zu schaffen.

Die Klage ist, auch soweit nicht bereits das Verwaltungsgericht rechtskräftig darüber entschieden hat, begründet, denn die dem Kläger erteilte Auflage bezüglich der Verwendung einer Lautsprecheranlage war rechtswidrig.

Wie der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss vom 5. März 2012 ausgeführt hat, trägt das vom Verwaltungsgericht herangezogene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Dezember 2006 - 1 A 162.01 - (juris) entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zur Klärung der Frage bei, ob der Einsatz von Lautsprecheranlagen bei Kundgebungen in der Nähe von Justizvollzugsanstalten zulässig ist. Denn zum einen befasst sich dieses Urteil nicht mit der besonderen Problematik der akustischen Einwirkung auf Personal und Insassen von Justizvollzugsanstalten, zum anderen geht diese Entscheidung - wie auch die Begründung der angegriffenen Auflage in Nr. 7 des angefochtenen Bescheids - von der irrigen Annahme aus, ein Lautsprechereinsatz bei Kundgebungen sei nur dann zulässig, wenn er zur Wahrung der sog. Binnenkommunikation zwischen den Teilnehmern der Versammlung erforderlich sei (VG Berlin a.a.O., juris Rn. 29). Dies verkennt den kommunikativen Ansatz des Grundrechts aus Art. 8 GG, der auch und gerade die Kontaktaufnahme zu Nichtteilnehmern unter Schutz stellt und deshalb eine akustische Verstärkung kollektiver Meinungsäußerungen von Versammlungsteilnehmern grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die Teilnehmerzahl zulässt (BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 u.a. -, NJW 2001, 2459 = juris Rn. 24; OVG Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2003 - 4 B 365/03 -, NVwZ-RR 2004, 844 = juris Rn. 19). Das OVG Brandenburg hat hierzu ausgeführt (a.a.O.):

Die Auflage Nr. 13 ist weiter rechtswidrig, soweit sie den Einsatz eines Lautsprecherwagens untersagt. Das Verwaltungsgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Lautsprechern bei Versammlungen grundsätzlich zulässig ist. Er unterliegt als versammlungsimmanentes Element auch nicht etwa der Notwendigkeit einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO. Welche konkreten Gefahren von dem Lautsprecherwagen ausgehen sollen, dessen Einsatz außerhalb des Bahnhofsvorplatzes nach den Angaben des Antragstellers nur für das Abspielen klassischer Musikstücke von Beethoven und J. Strauß auf dem Weg zum Friedhof sowie auf dem Friedhofsvorplatz für die (bislang) dort beabsichtigten Reden von zwei Zeitzeugen' in Betracht kommt, wird vom Antragsgegner nicht hinreichend dargelegt'.

Auch die Begründung des vom Kläger angegriffenen Bescheids lässt - abgesehen von dem nicht tragfähigen Hinweis, dass der Einsatz einer Lautsprecheranlage zur Gewährleistung der Binnenkommunikation zwischen den Teilnehmern der Kundgebung nicht notwendig sei - keine konkreten Erwägungen der Versammlungsbehörde erkennen, die das Verbot der Verwendung einer Lautsprecheranlage begründen könnten. Die von der Beklagten erst im Klageverfahren geäußerte Erwägung, das Verbot der Lautsprecherbenutzung sei zum Schutz der Inhaftierten und der Bediensteten in der Justizvollzugsanstalt vor unerwünschten Meinungsäußerungen der Versammlungsteilnehmer notwendig gewesen, ist als Begründung der angegriffenen Auflage nicht geeignet, auch wenn man davon ausgehen wollte, dass mit dieser Begründung die ursprünglichen, nicht tragfähigen Ermessenserwägungen nicht ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden sollten (§ 114 S. 2 VwGO). Denn diese Argumentation berücksichtigt zu wenig die näheren Umstände des Einzelfalls. Die geplante Kundgebung sollte zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem sich rund 20 der 34 in Schwalmstadt sicherungsverwahrten Personen im Hungerstreik befanden, und deren Aktion unterstützen. Die Annahme, die Inhaftierten hätten sich durch diese Unterstützungsaktion gestört fühlen können, erscheint unter diesen Umständen lebensfremd. Die lästigen Nebenwirkungen einer verstärkten Beschallung' unbeteiligter Personen hätten durch eine zeitliche Begrenzung des Lautsprechereinsatzes in erträglichen Grenzen gehalten werden können.

Eine gegen jegliche Wahrnehmung fremder Meinungen schützende negative Meinungsfreiheit' kennt das Grundgesetz entgegen der Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 - (BVerfGE 104, 92 = juris), den das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 21. Dezember 2005 (a.a.O., juris Rn. 26) lediglich in Bezug auf das Minderheitsvotum einer Richterin zitiert hat, zur Güterabwägung bei solchen Grundrechtekonflikten im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB Folgendes ausgeführt (juris Rn. 62 ff.):

Die Verwerflichkeitsklausel untersagt als Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit übermäßige Sanktionen und schützt unter Berücksichtigung des Art. 8 GG insbesondere davor, dass eine Strafandrohung ein übermäßiges Risiko bei der Verwirklichung des Versammlungszwecks bewirkt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz soll aber auch sichern, dass den anderen betroffenen Rechtsgütern Schutz gewährt wird. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit der Entfaltungsfreiheit oder anderen Grundrechten und sonstigen Rechtspositionen Dritter, ist für eine wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel größtmöglichen Schutzes beider Sorge zu tragen. Soweit eine strafrechtliche Sanktion eingesetzt wird, muss sie zum Schutz der Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit nicht nur geeignet, sondern auch angesichts der damit verbundenen Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit erforderlich und angemessen sein.

Dabei ist das Recht der Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen, selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres Grundrechts zu bestimmen, also zu entscheiden, welche Maßnahmen sie zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen. Diese Einschätzung der Träger des Grundrechts ist jedenfalls insoweit maßgeblich, als sie Rechte Dritter nicht beeinträchtigen. Kommt es zu Rechtsgüterkollisionen, ist ihr Selbstbestimmungsrecht allerdings durch das Recht anderer beschränkt. Im Strafverfahren besteht anders als für versammlungsbehördliche Entscheidungen, die im Vorfeld von Versammlungen ergehen, jedoch keine Möglichkeit, Rechtsgüterkollisionen durch versammlungsrechtliche Auflagen auszuschließen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch Modifikation der Durchführung der Versammlung, etwa die Veränderung der Route eines Aufzugs oder der Dauer der Kundgebung, Rechnung zu tragen. Die Strafgerichte können lediglich die schon durchgeführte Versammlung strafrechtlich einordnen. Das Gebot, das Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich Ziel und Gegenstand sowie Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung anzuerkennen, führt in einem solchen Fall dazu, dass die Gerichte die Einschätzung der Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu respektieren haben, wie sie ihre Aktion zur Verfolgung des Kommunikationszwecks gestalten wollen. Vom Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger ist jedoch nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben. Bei der Angemessenheitsprüfung haben die Gerichte daher auch zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist.

Insofern werden die näheren Umstände der Demonstration für die Verwerflichkeitsprüfung bedeutsam (vgl. BVerfGE 73, 206 (257)). In diesem Rahmen sind insbesondere auch Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (vgl. in Anknüpfung an BVerfGE 73, 206 (257) Eser, in: Festschrift für Jauch, 1990, S. 35 (39)). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Gericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben'.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätten der Versammlungsbehörde hier mildere Mittel als die Untersagung jeglichen Lautsprechergebrauchs zur Verfügung gestanden, um einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der beteiligten Rechtsträger herbeizuführen. Neben einer Begrenzung der Kundgebungsdauer wäre insbesondere die Untersagung von Aufrufen zu gewalttätigen Aktionen der sicherungsverwahrten Personen oder anderen strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen von Insassen der Justizvollzugsanstalt in Betracht zu ziehen gewesen, um anstelle der gänzlichen Absage der Kundgebung deren Durchführung in angemessenem Umfang ohne grundrechtsrelevante Gefährdung von Rechtsgütern Dritter zu gewährleisten. Das Totalverbot des Lautsprechereinsatzes war deswegen unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. ..."

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... Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht stattgegeben. Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gibt keine Veranlassung, den angefochtenen Beschluss zu ändern. Auch die Beschwerdebegründung macht nicht geltend, dass durch das Zeigen der in Rede stehenden Karikaturen des dänischen Karikaturisten X. im Rahmen der Versammlung der Antragstellerin die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden. Der Antragsgegner benennt weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte, die die von ihm zu Grunde gelegte aktualisierte Gefährdungsbewertung' u. a. durch das Bundesministerium des Innern in tatsächlicher Hinsicht nachvollziehbar ausfüllen.

Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Beschluss vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, juris, Rn. 18 f. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 30.04.2012 - 5 B 546/12)

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... Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht stattgegeben. Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gibt keine Veranlassung, den angefochtenen Beschluss zu ändern. Auch die Beschwerdebegründung macht nicht geltend, dass durch das Zeigen der in Rede stehenden Karikaturen des dänischen Karikaturisten X. im Rahmen der Versammlung der Antragstellerin die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden. Der Antragsgegner benennt weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte, die die von ihm zu Grunde gelegte "aktualisierte Gefährdungsbewertung" u. a. durch das Bundesministerium des Innern in tatsächlicher Hinsicht nachvollziehbar ausfüllen.

Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Beschluss vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, juris, Rn. 18 f. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 30.04.2012 - 5 B 545/12)

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Das Lied "Ein junges Volk steht auf" stellt ein nach § 86a StGB strafbares Kennzeichen dar und darf daher im Rahmen einer Versammlung weder öffentlich gesungen noch besprochen werden (OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.04.2012 - 11 ME 113/12):

... Der Antragsteller meldete für die Jugendorganisation der NPD für den 27. April 2012 in der Zeit von 12.00 Uhr bis 13.00 Uhr in Braunschweig vor dem dortigen Schloss eine stationäre Kundgebung an, in deren Mittelpunkt das Lied Ein junges Volk steht auf', insbesondere dessen umstrittene und vom Antragsteller verneinte Strafbarkeit nach § 86a StGB, stehen soll; das Lied soll auch gesungen werden.

Die Antragsgegnerin kam u. a. gestützt auf ein zeithistorisches Gutachten zu der Ansicht, dass es sich bei dem Lied um ein offizielles Propagandalied der NSDAP und ihrer Gliederungen, insbesondere der Hitlerjugend, gehandelt habe, ihm der gleiche Symbolcharakter wie dem Horst-Wessel-Lied' oder dem Lied Es zittern die morschen Knochen' zukomme und demnach jegliche öffentliche Verbreitung in Form von Singen oder Besprechen nach § 86a StGB strafbar sei. Da eine solche Verbreitung zentraler Gegenstand der angezeigten Versammlung sei, müsse diese nach § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG verboten werden. Ein entsprechender, sofort vollziehbarer Verbotsbescheid erging am 18. April 2012.

Den hiergegen gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. April 2012 abgelehnt. Es hat zur Begründung über die in Bezug genommenen Gründe des angegriffenen Bescheides hinaus ausgeführt, dass die Antragsgegnerin aller Voraussicht nach zu Recht von der Strafbarkeit des Liedes ausgegangen sei und bei dieser Sachlage das öffentliche Interesse an dem - formell ordnungsgemäß begründeten - Sofortvollzug überwiege. Die im Antragsverfahren vorgetragenen Einwände des Antragsstellers gegen die Strafbarkeit des Liedes überzeugten nicht. § 86a StGB setze nicht voraus, dass es sich um das alleinige Kennzeichen einer einzigen (verbotenen) Organisation gehandelt habe. Ob ein Kennzeichen i. S. d. § 86a StGB zusätzlich auch gemäß § 86 Abs. 2 StGB inhaltlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sein müsse, sei zweifelhaft, hier aber letztlich unerheblich. Denn nach seinem Inhalt verstoße das streitige Lied zumindest gegen den Grundsatz der Völkerverständigung.

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller unter Bezugnahme auf insbesondere strafgerichtliche Entscheidungen vor, dass nur ein solches Kennzeichen nach § 86a StGB verboten sei, das Symbolcharakter für die gesamte (verbotene) Organisation habe. Das streitige Lied Ein junges Volk ' sei aber kein parteiamtliches Lied der Hitlerjugend gewesen; diese Funktion habe vielmehr das Lied Vorwärts! Vorwärts! schmettern die hellen Fanfaren' gehabt. Zudem werde das hier streitige Lied vom Mann auf der Straße' schon mangels Bekanntheitsgrad nicht - wie für eine Strafbarkeit erforderlich - als nationalsozialistisches Kennzeichen erkannt. Schließlich sei der Inhalt des Liedes nicht spezifisch nationalsozialistisch. Es habe nur eines von 36 Pflichtliedern der Hitlerjugend dargestellt und sich formal an ein Lied von Theodor Körner aus dem Jahr 1813 angelehnt.

Der Senat hat den Beteiligten ergänzend zwei (sprachwissenschaftliche) Stellungnahmen von G. Hartung, Analyse eines faschistischen Liedes, Wiss. Z. Univ. Halle XXIII'74 G, H. 6, S. 47 ff., und Ketelsen, Literatur und Drittes Reich, 2. Aufl., 349 ff., zum streitigen Lied zur Kenntnis gegeben.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten und nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Senat allein zu prüfenden Gründe rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Der Antragsteller wendet sich im Beschwerdeverfahren - soweit ersichtlich - im Wesentlichen gegen die Auslegung des § 86a StGB durch das Verwaltungsgericht und ggf. auch gegen die Subsumtion im konkreten Fall. Diese vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen, insbesondere die nach der richtigen Auslegung des § 86a StGB, können in diesem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht abschließend und mit der vom Antragsteller nach seinem Vorbringen in der Antragsschrift offenbar gewünschten Allgemeinverbindlichkeit beantwortet werden. Auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung der vorrangig zur Auslegung des Strafgesetzbuches berufenen ordentlichen Gerichte sowie der in das Verfahren eingeführten sprachwissenschaftlichen und zeithistorischen Gutachten zu dem umstrittenen Lied bestehen aber unter Berücksichtigung der geringen dem Senat zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stehenden Zeit keine Bedenken gegen die Richtigkeit der - u. a. vom Verwaltungsgericht, aber auch den bereits von der Antragsgegnerin zitierten ordentlichen Gerichten (AG Säckingen, Urt. v. 31.8.2011 - 12 Cs 13 Js 4110/11 Hw-; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.12.2011 - 3 (4) Ss 682/11- AK 279/11) vorgenommenen - Einordnung des Liedes als nach § 86a StGB strafbar.

Nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet; nach § 86a Abs. 2 StGB sind Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Dass damit auch Lieder zu verbotenen Kennzeichen gehören können, ist allgemein anerkannt (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 18.5.2009 - 2 BvR 2202/08 -, juris) und wird auch vom Antragsteller nicht bestritten. Entgegen der Annahme des Antragstellers muss ein solches Kennzeichen weder in dieser Form für eine bestimmte verbotene Vereinigung einmalig noch von dieser Vereinigung (partei)amtlich' als Kennzeichen festgelegt noch für Außenstehende als spezifisches Kennzeichen allgemein bekannt sein. Der letztgenannten, u. a. vom Bayrischen Obersten Landesgericht in einer vom Antragsteller zitierten Entscheidung vertretenen Ansicht (Beschl. v. 27.10.1988 - 5 St RR 185/98 -, juris) hat sich der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 31. Juli 2002 (- 3 StR 495/01 -, NJW 2002, 3186) ausdrücklich nicht angeschlossen, sondern klargestellt, dass es auf einen gewissen Bekanntheitsgrad des Kennzeichens' (in der allgemeinen Bevölkerung) als Symbol einer verfassungswidrigen Organisation nicht ankommt'. Einer solchen Auslegung steht u. a. die von der Verwendung des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation ausgehende, durch den Straftatbestand zu unterbindende gruppeninterne Funktion als sichtbares Symbol geteilter Überzeugungen entgegen. Denn Sinn und Zweck des Straftatbestandes ist es auch, die mit der Verwendung eines solchen Symbols einhergehende Verfestigung gegenseitiger Bindungen und die damit verbundene Gefahr einer Wiederbelebung der verfassungswidrigen Organisation zu verhindern. Ebenso ist in der bereits von der Antragsgegnerin angeführten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle zur Strafbarkeit des Liedes Es zittern die morschen Knochen' vom 3. Juli 1990 (- 3 Ss 88/90 -, NJW 1991, 1497) anerkannt, dass ein i. S. d. § 86a StGB verbotenes Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation sich auch ohne formalen Akt allein durch Übung, d.h. durch sinnbildliche propagandistische Verwendung bilden kann. Der maßgebliche Symbolwert des Kennzeichens kann danach sowohl nach innen als auch nach außen allein durch die Häufigkeit und die Art des Anlasses seines Gebrauchs geschaffen werden. Daraus folgt weiterhin, dass es für eine verbotene Organisation auch jeweils mehrere Kennzeichen geben kann, wenn sie nur nebeneinander oder jeweils zu bestimmten Anlässen den entsprechenden Symbolcharakter entwickelt haben. Dementsprechend ist strafgerichtlich anerkannt, dass es mehrere nach § 86a StGB verbotene nationalsozialistische Grußformeln gegeben hat (vgl. nur die Nachweise bei Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 28. Aufl., 2010, § 86a, Rn. 3). Für Lieder gilt nicht anderes. Voraussetzung für die Strafbarkeit entsprechender Lieder ist demnach nicht, dass sie als alleinige Hymne dienten oder gar dazu förmlich bestimmt waren, sondern dass sie so häufig und in einer Art, d.h. z. B. bei bestimmten Anlässen, gesungen wurden, dass sie zum Symbol des Nationalsozialismus insgesamt oder einer bzw. mehrerer Teilgliederungen geworden sind. Ob ein bestimmtes Lied auch inhaltlich durch nationalsozialistische Wertvorstellungen geprägt war, ist hingegen nicht entscheidend - es können auch bloße Melodien genügen. Allerdings dürfte die Feststellung, dass es sich um ein typisches Kennzeichen einer verbotenen Organisation handelt, näher liegen, wenn das in Rede stehende Symbol nicht inhaltlich neutral oder zuvor bereits anderweitig verwandt, sondern gerade für die verbotene Organisation geschaffen worden ist und dies bereits aus dem Text oder der Abbildung des Kennzeichens unmittelbar deutlich wird.

Hieran gemessen ist die Kennzeicheneigenschaft und damit die Strafbarkeit gemäß § 86a StGB des hier umstrittenen Liedes zu bejahen. Wie sich übereinstimmend aus den historischen Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte (von Dr. Drecoll) vom 22. Dezember 2010 sowie des Historischen Seminars der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg (Prof. Dr. Engehausen) vom 25. Januar 2012 ergibt, stand das von einem führenden Funktionär der Hitlerjugend speziell für diese geschriebene, an erster Stelle in Liederbüchern der Hitlerjugend abgedruckte, zu ihrem Pflichtliederkanon gehörende, wiederholt auf zentralen Parteiveranstaltungen von Angehörigen der Hitlerjugend gesungene Lied Ein junges Volk steht auf' ungeachtet der fraglichen Qualifikation als Zweithymne' jedenfalls faktisch an zumindest zweiter Stelle der von der Hitlerjugend gesungenen Lieder und hatte einen hohen Symbolcharakter, der der unmittelbaren Identifikation mit der Organisation diente' (Engehausen, a. E.). Auch Drecoll betont in seiner Zusammenfassung, dass das Lied als offizielles Propagandalied der NSDAP und ihrer Gliederungen, insbesondere der HJ, gelten kann, mit dessen Hilfe die Kollektivierung und Homogenisierung der Jugend im Sinne des soldatisch-militärischen Erziehungsideals des nationalsozialistischen Regimes vollzogen werden sollte. Man müsse, so Drecoll weiter, davon ausgehen, dass die Verwendung u. a. dieses Propagandaliedes auch bei der musischen Erziehung der Jugend und bei den Veranstaltungen der HJ Verwendung finden musste. Die vom Antragsteller geltend gemachte Verbreitung des Liedes über die Hitlerjugend hinaus mag entsprechend den o. a. Quellen insoweit zutreffen, als es während der Zeit des Nationalsozialismus auch in anderen nationalsozialistisch geprägten Organisationsbereichen wie etwa dem Militär, Schulen oder dem Reichsarbeitsdienst verwendet worden ist. Seinen spezifisch nationalsozialistischen Charakter und seine bereits eindeutig aus dem Text erkennbare Zuordnung speziell zur Hitlerjugend, in der das angesprochene junge (männliche) Volk zwangsweise organisiert war, hat das Lied dadurch nicht verloren. Es ist, wie Engehausen ausführt, schwerpunktmäßig ein Jugendlied geblieben. Dass es Allgemeingut gewesen sei und insbesondere auch nach 1945 noch außerhalb der Kreise gesungen worden sei bzw. werde, in denen es gerade auf die genannten historischen Bezüge und seinen Symbolcharakter ankommt, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und ist auch sonst für den Senat nicht zu erkennen. Dagegen und für den strafbaren Symbolcharakter sprechen schließlich ergänzend auch die sprachwissenschaftlichen Analysen des Liedes. So gelangt Hartung, dessen Ausführungen nicht allein wegen der Verwendung bestimmter, vom Antragsteller kritisierter Begriffe jede Überzeugungskraft abgesprochen werden kann, zu der Einschätzung, dass das Lied auch der äußeren Form nach eine Bekenntnishymne für die Hitlerjugend darstelle'. Ketelsen meint, Lieder wie das streitige, das in der HJ fast wie ein Schlager kursierte', seien wie Schwämme; sie saugen ihre Bestimmtheit erst aus der Situation, in der sie benutzt werden.' 1935, d.h. zur Zeit seiner Entstehung bzw. kurz danach, habe sich das Gedicht als eine Selbstsituierung der Hitlerjugend im nationalsozialistischen Machtapparat gelesen'. 1940 habe es bei Abdruck in geänderter, um die dritte Strophe gekürzter Form eine veränderte Lesart erhalten und mit der Körnerschen Formel' vom aufstehenden Volk' schließlich auch Eingang in die offene (nationalsozialistische) Propagandarede gefunden. Damit nimmt auch dieser in der Eingangszeile des Liedes unstreitig zum Ausdruck kommende formale Bezug auf ein sehr viel älteres Lied von Theodor Körner aus dem Jahr 1813 ihm nicht seinen Symbolcharakter, sondern zeigt nur auf, wie in diesem Fall ein älterer Text zu nationalsozialistischen Zwecken genutzt bzw. missbraucht wurde.

Dass der Vortrag des Liedes zumindest in dem vorgesehenen Umfeld, d.h. als Thema einer Kundgebung, ausnahmsweise straffrei sei, die Versammlungsfreiheit als ähnlicher' zulässiger Zweck' wie etwa die in §§ 86a Abs. 3, 86 Abs. 3 StGB ausdrücklich genannte Freiheit der Kunst oder der Wissenschaft einzustufen sei, trägt der Antragsteller selbst nicht vor und träfe auch nicht zu. Das entsprechende strafbewehrte kommunikative Tabu' (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 13, sowie der vorhergehende Beschl. v. 1.6.2006 - 1 BvR 150/03 -, juris, Rn. 18) gilt auch für den Inhalt von Versammlungen.

Selbst wenn man jedoch die vorherigen Ausführungen insbesondere zur historischen Einordnung des streitigen Liedes nicht als hinreichend verlässlich, sondern in einem Hauptsacheverfahren als noch ergänzungsbedürftig ansieht und deshalb in diesem Verfahren eine Interessenabwägung für notwendig erachtet, fällt diese nicht anders, sondern zu Lasten des Antragstellers aus. Denn jedenfalls spricht zur Zeit Überwiegendes für die Strafbarkeit des Liedes und damit gegen seine öffentliche Verbreitung als zentrales Thema einer öffentlichen Versammlung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.1.2002 - 1 BvQ 1/02 -, juris), zumal die nach der Antragsschrift beabsichtigte Klärung der Rechtslage im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ohnehin nicht möglich ist, eine Kundgebung mit dem genannten Inhalt nicht an einen bestimmten Ort oder Zeitpunkt gebunden ist, also auch später noch nachgeholt werden und die politische Diskussion um die Reichweite und Rechtfertigung des § 86a StGB grundsätzlich, wenn auch ggf. nicht so plakativ auch ohne öffentliche Verbreitung von mutmaßlich strafbaren Texten bzw. Liedern geführt werden kann. ..."

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Dienen wöchentlich vor einem Wohnhaus ehemaliger Strafgefangener durchgeführte Versammlungen dazu, einen Vertreibungsdruck zu erzeugen, der die ehemaligen Strafgefangenen durch die wiederkehrende physische Präsenz der Versammlungsteilnehmer unmittelbar vor dem Wohnhaus und den in den privaten Rückzugsbereich der ehemaligen Strafgefangenen einwirkenden Lärm und die Vertreibungsparolen dazu, den Willen der Adressaten zu beugen und durch eine Zermürbung der Adressaten zur Aufgabe des von ihnen gewählten Wohnsitzes zu zwingen, so ist eine Beschränkung der Versammlung hinsichtlich des Versammlungsortes zur Abwendung weiterer Angriffe nicht zu beanstanden (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.04.2012 - 3 M 100/12):

... Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die mit Schriftsatz vom 19. April 2012 zur Begründung der Beschwerde vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, greifen im Wesentlichen nicht durch.

I) Das Verwaltungsgericht hat die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches der Antragstellerin gegen die Verfügungen des Antragsgegners vom 29. Februar und 08. März 2012, mit der wegen der für den 02., 09., 16., 23. und 30. März und den 13., 20. und 27. April 2012 unter der Bezeichnung Sexualstraftäter in A.' angemeldeten Versammlungen hinsichtlich des Versammlungsortes untersagt worden ist, versammlungsrechtliche Aktivitäten im unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Wohnung der ehemaligen Strafgefangenen (C-Straße 38 bis 54) zu entfalten, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Recht abgelehnt.

1) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin genügt die Begründung der sofortigen Vollziehung in der angefochtenen Verfügung den formellen Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Die Behörde hat hierzu in der Verfügung vom 29. Februar 2012 ausgeführt, ein Zuwarten bis zum Eintritt der Bestandskraft der Verfügung könne angesichts der Hochwertigkeit der in Rede stehenden Rechtsgüter und der Auswirkungen für die Grundrechte Einzelner' nicht abgewartet werden, weil ohne eine Anordnung der sofortigen Vollziehung zu befürchten sei, dass es - wie anlässlich vorangegangener Versammlungen im September 2011 - zu nicht hinnehmbaren massiven Schmähungen und Herabwürdigungen der ehemaligen Strafgefangenen kommen werde. Äußerungen wie Todesstrafe für Sexualstraftäter' könnten nicht hingenommen werden und seien auch durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht gedeckt. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, die Bezugnahme auf das Gewicht der betroffenen Rechtsgüter und die Grundrechte einzelner sei floskelhaft und damit nicht hinreichend einzelfallbezogen. Denn der Antragsgegner stützt seine Auffassung auf die Gefahr einer Wiederholung von Schmähungen und Herabwürdigungen anlässlich früherer Kundgebungen. Damit ist eine auf den Einzelfall abstellende, den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügende Begründung gegeben. Ob die vom Antragsgegner beispielhaft genannte, von Versammlungsteilnehmern in der Vergangenheit erhobene Forderung nach der Todesstrafe für Sexualstraftäter' eine Schmähung und Herabwürdigung ist, ist keine Frage des formellen Begründungserfordernisses i. S. d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern der inhaltlichen Richtigkeit der Anordnung.

2) Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Versammlungsbehörde sind erfüllt. Nach § 15 Abs. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit stand im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügungen vom 29. Februar und 12. März 2012 unmittelbar bevor. Nach der Anmeldung der Antragstellerin waren für die Versammlungen jeweils 100 Teilnehmer zu erwarten. Bei einer Durchführung der Demonstration unmittelbar vor dem Wohnhaus der ehemaligen Strafgefangenen in der C-Straße würde dies für die Dauer der Kundgebungen dazu führen, dass den ehemaligen Strafgefangenen die Ausübung ihres Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, namentlich das Recht, ihr Wohnhaus jederzeit betreten und verlassen und sich darin ungestört aufhalten zu können (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 24.05.1986 - 7 B 36/86 -, NJW 1986, 2659), allein durch die Belagerung des Wohnhauses durch die Versammlungsteilnehmer faktisch verwehrt würde.

3) Die Ermessensausübung durch die Behörde ist nicht zu beanstanden. Das durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Recht, Versammlungen unter freiem Himmel durchzuführen, wird durch den mit der angefochtenen Auflage einhergehende Eingriff nicht unverhältnismäßig beschränkt. Kollidiert das durch die Versammlungsfreiheit geschützte Recht der Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung, über Gegenstand, Ort und Zeit der Versammlung selbst zu bestimmen, mit verfassungsrechtlich geschützten Rechten Dritter, so sind die widerstreitenden Interessen im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich zu bringen. Die Auflage, nach der den Versammlungsteilnehmern unmittelbar vor dem Wohnhaus der ehemaligen Strafgefangenen im Bereich zwischen den Wohnhäusern C-Straße 38 bis 54 versammlungsrechtliche Aktivitäten untersagt werden, wird dem gerecht. Sie gewährleistet einen Schutz der in dem Straßenzug wohnhaften ehemaligen Strafgefangenen vor mit den wöchentlichen Belagerungen einhergehenden Eingriffen in das ihnen zustehende Recht, sich ungestört in ihrem Wohnhaus aufzuhalten. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Versammlungsteilnehmer ihrem Recht auf eine öffentlichkeitswirksame Meinungskundgabe unverhältnismäßig beschränkt werden, werden von der Antragstellerin auch mit der Beschwerde nicht vorgebracht. Soweit die Antragstellerin geltend macht, die ehemaligen Strafgefangenen könnten aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht keinen Anspruch herleiten, nicht auf ihre Vergangenheit angesprochen' zu werden, rechtfertigt dies eine andere Bewertung nicht. Zwar trifft es zu, dass ein Straftäter auch mit der Verbüßung einer verhängten Strafe nicht einen uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat allein gelassen zu werden' (so: BVerfG, Beschl. v. 10.06.2009 - 1 BvR 1107/09 - Rdnr. 21 ). Indes haben auch ehemalige Strafgefangene einen Anspruch auf Schutz davor, gerade in ihrem privaten Rückzugsbereich Schmähungen und Beleidigungen ausgesetzt zu werden.

4) Die sofortige Vollziehung liegt im überwiegenden öffentlichen Interesse. Ein wirksamer Schutz der in der Ortschaft A. wohnenden ehemaligen Strafgefangenen, wenigstens in ihrem privaten Wohnumfeld nicht wöchentlich fortwährend Schmähungen und Beleidigungen und einem auf ihre Vertreibung ausgerichteten psychischen Druck ausgesetzt zu sein, überwiegt das Interesse der Versammlungsteilnehmer, einstweilig von der Vollziehung der Auflage verschont zu bleiben. Dabei ist nach Auffassung des Senats zu berücksichtigen, dass die seit September 2011 - mit gewissen zeitlichen Unterbrechungen - wöchentlich vor dem Wohnhaus der ehemaligen Strafgefangenen durchgeführten Versammlungen den Zweck hatten und haben, mit der physischen Präsenz der Versammlungsteilnehmer, der Verwendung von akustischen Hilfsmitteln, wie Trillerpfeifen und Trompeten und dem Skandieren von Parolen ( Wir kommen wieder bis ihr geht - Raus aus A.', Frauenschänder raus aus A.', Kinderschänder raus aus A.' ) einen Vertreibungsdruck zu erzeugen, der die ehemaligen Strafgefangenen zur Aufgabe des von ihnen gewählten Wohnsitzes zwingen soll. Diese nach dem dokumentierten Ablauf der Versammlungen in der Vergangenheit und wöchentlich wiederholte gezielte massive Einwirkung auf die Willensentschließungsfreiheit der betroffenen ehemaligen Strafgefangenen ist objektiv betrachtet auf eine Zermürbung der Adressaten angelegt. Sie dient bei verständiger Würdigung mit der wiederkehrenden physischen Präsenz der Versammlungsteilnehmer unmittelbar vor dem Wohnhaus und dem in den privaten Rückzugsbereich der ehemaligen Strafgefangenen einwirkenden Lärm und den Vertreibungsparolen dazu, den Willen der Adressaten zu beugen. Solche massiven Angriffe verletzen die Menschenwürde der ehemaligen Strafgefangenen. Weiteren Angriffen entgegenzuwirken entspricht der Schutzpflicht des Staates (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), so dass die Auflage nicht zu beanstanden und ihre sofortige Vollziehung zur Verhinderung von Verletzungen der öffentlichen Sicherheit notwendig ist.

II) Teilweise Erfolg hingegen hat die Beschwerde, soweit der Antragstellerin mit den Verfügungen aufgegeben worden ist, die Beschränkungen 1-6 ( ) den Versammlungsteilnehmern vor Ort ggf. auch wiederholt bekannt zu geben.'

Soweit der Antragstellerin als Versammlungsleiterin aufgegeben wird, den Versammlungsteilnehmern vor Ort jeweils sämtliche Kundgebungstage mitzuteilen (Ziffer 1 Satz 1), ist nicht ersichtlich, weshalb dies zum Schutz der öffentlichen Sicherheit geboten sein soll. Ebenfalls nicht erforderlich ist es, der Versammlungsleiterin aufzugeben, bekanntzugeben, dass sie - die Versammlungsleiterin - sich 15 Minuten vor Beginn der Versammlung am Versammlungsort einzufinden und mit der Versammlungsbehörde oder der Polizei Kontakt aufzunehmen hat (Ziffer 3). Auch nicht ersichtlich ist, weshalb es zur Gefahrenabwehr notwendig sein soll, dass die Versammlungsleiterin den Versammlungsteilnehmern mitteilt, dass sie - die Versammlungsleiterin - verpflichtet ist, die Beschränkungen vor Ort bekanntzugeben (Ziffer 6).

Nicht hinreichend bestimmt i. S. d. § 37 Abs. 1 VwVfG ist die Auflage in der Ziffer 6, soweit der Versammlungsleiterin aufgegeben wird, unter nicht näher benannten Umständen ( ggf.') die Beschränkungen nochmalig bekannt zu machen. Weder der Verfügung, noch ihrer Begründung ist hinlänglich deutlich zu entnehmen ist, welche Umstände gegeben sein müssen, um die Pflicht zur wiederholten Bekanntgabe auszulösen. Soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, diese Pflicht zur Wiederholung bestehe nur, wenn der Inhalt nachträglich hinzukommenden Teilnehmern noch nicht bekannt gegeben worden ist, überzeugt dies den Senat nicht. Der Wortlaut der Verfügung und ihre Begründung geben dafür nicht genügend her. Nach dem Wortlaut der Verfügung sind die Voraussetzungen für eine Pflicht zur wiederholten Bekanntgabe nicht geregelt. Die Begründung lässt eine genügend deutliche Beschränkung ebenfalls nicht erkennen. Das Hinzutreten weiterer Versammlungsteilnehmer mag ein von der Behörde in Betracht gezogener Anwendungsfall für das Eingreifen der Pflicht zur Wiederholung der Bekanntgabe sein. Indes macht die Antragstellerin mit der Beschwerde zutreffend geltend, dass die Wiederholung einer Bekanntgabe an einen Adressatenkreis nach dem Wortsinn voraussetzt, dass die Bekanntgabe bereits erfolgt ist. Denkbar ist somit auch, dass die Pflicht zur Wiederholung sich auch auf denselben Teilnehmerkreis beziehen kann und die Funktion einer bestätigenden Ermahnung haben soll. Was letztlich gemeint ist, lässt sich dem allein maßgeblichen Inhalt der Verfügung nicht mit genügender Sicherheit entnehmen.

Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Pflicht der Antragstellerin, den Versammlungsteilnehmern vor Ort jedenfalls einmalig bekanntzugeben, dass die Versammlung um 18.00 Uhr beginnt und um 19.00 Uhr endet (Ziffer 1 Satz 2), dass jedwede versammlungsrechtliche Aktivität im Bereich C-Straße 38 und der Zufahrt zum Grundstück C-Straße 54 untersagt ist (Ziffer 2), dass Wortkundgebungen, Transparente und dergleichen keine strafbaren Inhalte haben und nicht zum Hass oder zur Gewalt gegen die ehemaligen Strafgefangenen aufrufen dürfen (Ziffer 4) und unter welchen einschränkenden Voraussetzungen Beschallungsanlagen und Megafone nur eingesetzt werden dürfen (Ziffer 5), unberührt bleibt. ..."

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... I. Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Nrn. 1.12 (Pavillon), 1.17 (Zeltverbot) und 1.18 (Verbot des dauerhaften Nächtigens) des Bescheides der Antragsgegnerin vom 16. April 2012 weiter.

Bezüglich des Sachverhalts wird zunächst auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. April 2012 (Az. 10 CS 12.767) verwiesen.

Am 12. April 2012 zeigten die Antragsteller eine weitere Versammlung unter freiem Himmel zum Thema Asylrecht" für den Zeitraum 16. April bis 14. Mai 2012 auf dem U.-M.-Platz in W. an. Als Kundgebungsmittel wurden ein Mannschaftszelt, zwei Pavillons sowie drei Iglozelte" (richtig: Igluzelte) benannt.

Mit Bescheid vom 16. April 2012 legte die Antragsgegnerin für die angezeigte Versammlung eine Reihe von Beschränkungen fest. Als Kundgebungsmittel wurden u.a. zwei Pavillons zugelassen (Nr. 1.12), das Zelten (Nr. 1.17) und das dauerhafte Nächtigen (Nr. 1.18) wurden untersagt.

Beide Pavillons wurden in der Folge durch die Versammlungsteilnehmer mit einem Gasofen, sieben Stahlbetten sowie teilweise Teppichboden ausgestattet. Die Seiten des Pavillons waren zeitweise durch Zeltplanen verschlossen. Am 17. April 2012 erfolgten durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion W. gegenüber den Versammlungsteilnehmern Anordnungen, den Ofen zu entfernen, die Zahl der Betten auf eines zu reduzieren und zumindest eine Pavillonseite ständig zu öffnen (siehe Stellungnahme der PI W.- Ost vom 18.4.2012).

Am 18. April 2012 beantragten die Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Nrn. 1.12 (in ihrer durch die Polizei konkretisierten Form; insbesondere das Verbot des Verschließens der Pavillons), 1.17 (soweit das Aufstellen eines großen Zeltes untersagt ist) und 1.18 (Verbot des Übernachtens in der durch die Polizei konkretisierten Form, insbesondere das Verbot des über eine Stunde hinausgehenden Erholungsschlafs, das Verbot des Heizens, die Begrenzung der Zahl der Feldbetten auf eines) des Bescheids vom 16. April 2012 anzuordnen.

Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg lehnte diesen Antrag der Antragsteller mit Beschluss vom 19. April 2012 ab. Soweit sich die Antragsteller gegen die Anordnungen der Polizei wendeten, sei die Stadt W. der falsche Antragsgegner. Die Beschränkung in Nr. 1.17 des Bescheides sei in der Sache nicht zu beanstanden.

Mit der Beschwerde begehren die Antragsteller weiterhin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer noch zu erhebenden Klage bezüglich der oben bezeichneten Beschränkungen in der in der Beschwerdeschrift vom 20. April 2012 näher konkretisierten Form.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.

Ergänzend wird auf die von den Parteien in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren (auch im Verfahren 10 CS 12.767) eingereichten Schriftsätze, eidesstattlichen Versicherungen und Lichtbildtafeln verwiesen.

II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Sachvortrag der Antragsteller im Beschwerdeverfahren, auf dessen Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts nicht. Denn die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt hinsichtlich des angegriffenen Zeltverbots der Antragsgegnerin zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Beschränkung das Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage insoweit überwiegt. Soweit sich das Eilrechtsschutzbegehren gegen Anordnungen der Polizei richtet, bleibt die Beschwerde erfolglos, weil der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage insoweit gegen den falschen Antragsgegner gerichtet ist.

Keine (subjektive) Änderung des Streitgegenstandes, sondern eine bloße Konkretisierung und Richtigstellung des Rechtsschutzbegehrens der Antragsteller im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt es dar, wenn im Beschwerdeschriftsatz als Antragsgegner zunächst (erstmals) der Freistaat Bayern angegeben und dieses Versehen dann durch die spätere Umstellung auf den richtigen Antragsgegner - die Stadt W. als die den angefochtenen Bescheid vom 16. April 2012 erlassende Behörde - korrigiert wurde (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 91 RdNr. 23). Dass in weiteren Schriftsätzen zur Beschwerdebegründung erneut der Freistaat Bayern und nicht die Stadt W. als Antragsgegner bezeichnet wird, dürfte der Hektik des Eilverfahrens geschuldet sein.

Das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Eilantrag der Antragsteller unbegründet ist, soweit er sich (ausdrücklich) gegen Beschränkungen der Versammlung in der durch die Polizei konkretisierten Form" wendet (d.i. bezüglich des Verbots des Verschließens der Pavillons, des Verbots eines über eine Stunde hinausgehenden Erholungsschlafs, des Verbots des Heizens sowie der Begrenzung der Anzahl der Feldbetten), weil insoweit die Stadt W. nicht der richtige Antragsgegner ist (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entsprechend). Denn bei den betreffenden Anordnungen bzw. Aufforderungen" der Polizeibeamten an die anwesenden Versammlungsteilnehmer (siehe Stellungnahme der PI W.-Ost vom 18.4.2012) handelt es sich nach zutreffender Einschätzung des Erstgerichts um in eigener versammlungsrechtlicher Zuständigkeit (s. Art. 24 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 BayVersG) verfügte Beschränkungen der Versammlung nach Versammlungsbeginn gemäß Art. 15 Abs. 4 BayVersG und nicht etwa um bloße konkretisierende Hinweise" der Polizei zum vermeintlich identischen Regelungsgehalt der durch die Antragsgegnerin bereits im streitbefangenen Bescheid vom 16. April 2012 unter den Nrn. 1.12 und 1.18 angeordneten Beschränkungen.

Wie sich aus dem erstinstanzlichen Antrag sowie dessen Begründung ohne weiteres ergibt, wenden sich die Antragsteller mit ihrem Eilrechtsschutzbegehren nicht gegen die diesbezüglich im Bescheid vom 16. April 2012 selbst verfügten Regelungen - die Zulassung von zwei Pavillons als Kundgebungsmittel (Nr. 1.12) und das Verbot des dauerhaften Nächtigens als Ersatz für die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft (Nr. 1.18) -, sondern nur gegen die sachlich weitergehenden, eigenständigen Anordnungen der Polizei zur Umsetzung" dieser behördlichen Auflagen. Diese polizeilichen Beschränkungen gemäß Art. 15 Abs. 4 BayVersG sind im Übrigen Streitgegenstand eines weiteren, inzwischen in erster Instanz anhängigen Eilantrags der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, über den vom Verwaltungsgericht Würzburg gesondert entschieden wird. Die mit der Beschwerdebegründung gerügten, den Nrn. 1.12 und 1.18 des angefochtenen Bescheids vom 16. April 2012 zugeordneten Einschränkungen (Untersagung von sechs bis zwölf Betten, Verpflichtung zum Herablassen der Seitenwände der beiden Pavillons, zeitliche Beschränkung der Ruhepausen sowie Verbot von Decken, Schlafsäcken und einer Heizung) lassen sich auch bei großzügiger und weitgehender Auslegung nicht dem Bescheid entnehmen. Vielmehr werden damit letztlich die oben angeführten polizeilichen Beschränkungen angegriffen und (wiederum) zum Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens gemacht.

Damit verbleibt aber als (zulässiger) Gegenstand dieses Eilrechtsschutzbegehrens allein die in Nr. 1.17 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. April 2012 verfügte Untersagung des Aufstellens von Zelten. Insoweit haben die Antragsteller allerdings die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer (noch zu erhebenden) Klage nur in dem Umfang beantragt, als mit dieser Beschränkung (auch) das Aufstellen des von ihnen bei der Anzeige ihrer öffentlichen Versammlung (vom 12.4.2012) mit angegebenen großen Zeltes ( Mannschaftszelt") untersagt wird.

Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung gefährdet ist. Wenn das Aufstellen eines Zeltes auf öffentlicher Verkehrsfläche nicht von der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG gedeckt ist, liegt darin grundsätzlich eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

Im Hinblick auf die Ausführungen in der Beschwerdegründung ist vorab anzumerken, dass der grundrechtliche Schutz von Versammlungen nach Art. 8 GG nur deutschen Staatsangehörigen zusteht, während sich Ausländer insoweit nur auf die einfachgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit (Art. 1 BayVersG) und den Schutz der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG berufen können. Im Hinblick auf auch deutsche Teilnehmer der Versammlung wird im Folgenden gleichwohl einheitlich auf Art. 8 Abs. 1 GG abgestellt.

Die auf dem U.-M.-Platz stattfindende Versammlung ist als stationäre Versammlung von Art. 8 GG geschützt (BVerwG vom 21.4.1989 Az. 7 C 50/88 ). Der Schutz der Freiheit kollektiver Meinungskundgabe umfasst nicht nur das gewählte Thema der Versammlung, sondern auch die Entscheidung, welche Kundgebungsmittel der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will (vgl. BVerfGE 104, 92/111). Bereits im Beschluss vom 12. April 2012 (Az. 10 CS 12.762) hat der Senat klargestellt, dass bei Durchführung einer - wie hier länger andauernden - Versammlung auf öffentlichen Straßen oder Orten bzw. Plätzen, an denen ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist, nicht gleichsam automatisch das Aufstellen von Zelten oder Pavillons als notwendiger Bestandteil" der Versammlung und der dabei beabsichtigten kollektiven Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit umfasst ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Zelt nicht nur dem Wetterschutz und der bequemeren Unterbringung der Versammlungsteilnehmer dient, sondern ihm darüber hinaus (auch) eine funktionale" oder symbolische" Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und diese Art Kundgebungsmittel damit einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist (vgl. BVerfG v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01 - und 1 BvQ 30/01, NJW 2001, 2459, 2460; BVerwG v. 16.5.2007 Az. 6 C 23/06 RdNrn. 15 ff.). Als geschützter Teil der Versammlung kann das Zelt ebenfalls angesehen werden, wenn es sich um ein gemischtes" Element in dem Sinne handelt, dass es sowohl kommunikativen wie auch nichtkommunikativen Zwecken dient. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat dabei unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände zu erfolgen (vgl. BVerwG vom 16.5.2007 a. a. O.). Die Auffassung der Antragsteller, die Antragsgegnerin müsse gemäß der Beweislastverteilung dartun, dass dem Zelt samt Ausstattung nicht die behauptete symbolische Wirkung zukomme, ist verfehlt. Auch unter Heranziehung des Vorbringens in der Antrags- und der Beschwerdeschrift kommt nach summarischer Prüfung dem Mannschaftszelt nach Auffassung des Senats die besondere symbolische Bedeutung nicht zu. Vorliegend sind bei Einbeziehung aller dem Senat bekannten tatsächlichen Umstände keine wirklich überzeugenden Anhaltspunkte oder Umstände dafür erkennbar, dass das Mannschaftszelt einen tatsächlichen inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe hat oder wenigstens ganz überwiegend aufweist. Die behauptete Darstellung der Unterbringungsbedingungen der Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft lässt sich mit der begehrten Aufstellung eines Mannschaftszeltes nicht in Verbindung bringen. Die im Verfahren vorgelegten Fotos des Mannschaftszelts samt Ausstattung am alten Versammlungsort zeigen, dass es sich lediglich um ein großes Zelt - vollgestellt mit Betten und persönlichen Gegenständen der Versammlungsteilnehmer - handelt. Die am Zelt befestigten Gedankenblasen" und Beschriftungen Zentrale Rückführstelle" oder Einlasskontrolle" vermögen dem Mannschaftszelt jedenfalls nicht die behauptete Symbolik zu vermitteln. Ein kollektiver kommunikativer Zweck gerade in Verbindung mit dem Zelt erschließt sich dem Senat weiterhin nicht. Soweit daneben geltend gemacht wird, das Zelt diene auch der Aufnahme von Diskussionsrunden und dem Empfang von Politikern und Gästen, erfüllt es eine rein logistische Funktion, um möglichst optimale und bequeme Rahmenbedingungen für die Versammlung zu schaffen. Insbesondere unter Berücksichtigung des gesamten Verlaufs der Versammlung seit 19. März 2012 drängt sich dem Senat der Eindruck auf, dass dem Mannschaftszelt nunmehr die Funktion eines symbolträchtigen Kundgebungsmittels beigemessen werden soll, um nach dem Abbau des vom Roten Kreuz ursprünglich zu Versorgungszwecken aufgestellten großen Zeltes möglichst angenehme Bedingungen für die Fortsetzung der Versammlung zu schaffen bzw. beibehalten zu können. In diese Richtung weist im Übrigen auch die Bezugnahme auf einen offenen Brief der den Hungerstreik begleitenden Ärzte, die von einer Gesundheitsgefährdung der Versammlungsteilnehmer ausgehen, wenn die Versammlung nicht in einem beheizbaren, geschlossenen Zelt stattfinden kann. Die Schaffung einer möglichst komfortablen Infrastruktur für eine länger dauernde Versammlung auf öffentlichen Flächen unterliegt aber dem straßen- und wegerechtlichen Regime, möglicherweise auch der Sicherheitssatzung der Antragsgegnerin, und nicht dem durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsrecht. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist es zwar nicht auszuschließen, dass ein Zelt als Mittel des Protests gegen eine bestimmte Unterbringungssituation oder gegen eine drohende Abschiebung eingesetzt werden kann (siehe hierzu auch die mehrfach zitierte Entscheidung des OVG NRW vom 23.9.1991 Az. 5 B 2541/91 ). Dafür müsste sich jedoch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Aufstellen des Zeltes und der tatsächlichen Unterbringungssituation der Versammlungsteilnehmer herstellen lassen. Dieser ist jedoch für den Senat nach wie vor nicht ersichtlich. Dazu kommt, dass mit zunehmender Dauer der Versammlung die Überschneidungen zwischen dem Zweck der kollektiven Meinungskundgabe und der individuellen Lebensführung unvermeidlich werden, weil die Gestaltung der Versammlung der individuellen Lebensführung immer weiter angenähert wird (vgl. Dietlein, Zeltlager der Roma als Versammlung, NVwZ 1922, 1066). Durch die Errichtung des beantragten Mannschaftszeltes würde sich die streitgegenständliche Versammlung noch mehr als Zeltlager" darstellen, in dem die Versammlungsteilnehmer leben; der eigentliche Kundgabezweck träte demgegenüber zunehmend in den Hintergrund. ..." (BayVGH, Beschluss vom 20.04.2012 - 10 CS 12.845)

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Beim Erlass von Einschränkungen gegenüber Versammlungen darf die Behörde aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 8 Abs 1 GG) an die Gefahrenprognose keine zu geringen Anforderungen stellen. Es sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen für ein Verbot der Versammlung nicht aus. Die Versammlungsbehörde trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage. Sie muss deshalb hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass sich das Verhalten von nach den bisherigen Erfahrungen friedlich an Versammlungen teilnehmenden Personen bzw. Personenkreisen - auch wenn sie als "Wolf im Schafspelz", gleichsam mit der "Maske des Biedermanns" auftreten mögen - auf der konkret geplanten Veranstaltung in einer rechtsgutsgefährdenden Weise ändern wird, welche Beschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigt. Eine Versammlung verliert den Schutz des Art 8 GG grundsätzlich nur bei kollektiver Unfriedlichkeit, mithin wenn sie im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.03.2012 - 4 MB 22/12).

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Bei der Anordnung von Lärmschutzauflagen nach § 15 VersammlG ist es nicht erforderlich, dass die Versammlungsbehörde im Einzelfall nachweist, dass es bei bislang von einem Anmelder veranstalteten Versammlungen durch die Verwendung von Megaphonen bereits zu Gehörschäden bei Polizeibeamten oder Versammlungsteilnehmern gekommen ist. Die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutz nach § 15 Abs. 1 VersammlG Auflagen zulässig sind, umfasst die Einhaltung der gesamten Rechtsordnung. Dazu zählen auch die Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes sowie des Arbeitsschutzrechts, das grundsätzlich auch für Polizeibeamte im Rahmen des Einsatzes bei Versammlungen gilt (vgl. § 83 Abs. 1 LBG LSA (juris: BG ST) - (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.02.2012 - 3 L 257/10):

... Das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2009 zu Ziffer 12, soweit dort die Zahl der Fahnen als Kundgebungsmittel auf eine Fahne je 25 Teilnehmer beschränkt worden ist, rechtmäßig ist.

Durch diese Auflage wird zwar in Art. 8 Abs. 1 GG eingegriffen. Der Schutzbereich dieser Grundrechtsnorm ist nicht nur im Fall des Verbots oder der Auflösung der Versammlung berührt, sondern auch, wenn ihr verboten wird, in bestimmter Weise Meinungsinhalte zu artikulieren. Hierdurch wird sie in ihrer, zugleich auch durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Möglichkeit beschränkt, in einer selbst bestimmten Weise an der öffentlichen Meinungsbildung durch gemeinschaftliche Erörterung oder Kundgebung teilzuhaben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671). Eingriffe in dieses Grundrecht können nur zum Schutz von Rechtsgütern, die der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG zumindest gleichwertig sind, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, BVerfGE 69, 315). Soweit die in der Auflage bezeichnete äußere Form der Versammlung nicht strafrechtlich oder sonst gesetzlich untersagt ist, ist sie nach dem vorliegend noch anwendbaren § 15 Abs. 1 VersammlG des Bundes nur zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zulässig. Die öffentliche Ordnung, d. h. ungeschriebene Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird, scheidet als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots nicht grundsätzlich aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.01.2001 -1 BvQ 8/01 -, NJW 2001, 1409). Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung der Versammlung kann beispielsweise bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer bestehen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Sie kann ebenfalls betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Aufführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise aufgegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.01.2001 a. a. O. zum 27. Januar als offiziellem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus) oder wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90).

Für den Erlass der streitigen Auflage lagen den Anforderungen des § 15 Abs. 1 VersammlG genügende Anhaltspunkte vor. Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, NVwZ-RR 2010, 625).

Gemessen an diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Begrenzung der Zahl der Fahnen auf eine je 25 Teilnehmer ermessensfehlerfrei war. Soweit die Klägerin hiergegen ausführt, dass die von der Beklagten gezogene Grenze zwischen 24 und 25 Teilnehmern willkürlich sei und weiterhin das Zeigen von mehr als einer Fahne je 25 Teilnehmer nicht geeignet sei, ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer zu erzeugen, welches ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft hervorrufe bzw. nicht geeignet sei, dass sich der Aufzug durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziere, greift dieser Einwand nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass bei der hier in Rede stehenden Versammlung (anders als bei der Versammlung, welche Gegenstand des von der Klägerin zitierten Urteils des Verwaltungsgerichts Aachen vom 14. Januar 2009 war) entsprechend dem Motto der Versammlung als Kundgebungsmittel überwiegend bzw. ausschließlich schwarze Fahnen verwandt werden sollten (UA S. 11).

Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass das Mitführen von schwarzen Fahnen auf Versammlungen zwar nicht generell untersagt werden kann, eine Beschränkung der Zahl im Einzelfall jedoch rechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG, Beschl. v. 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine solche Auflage wegen ihres präventiven Charakters nicht erst dann zulässig, wenn zu besorgen ist, dass die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach den von der NSDAP durchgeführten Reichsparteitagen entspricht bzw. nahekommt. Zwar begründet allein die Tatsache, dass das Zeigen schwarzer Fahnen bei politischen Aufzügen häufig mit einer bestimmten politischen Haltung in Verbindung gebracht wird, noch keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung. Eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Ordnung kann allerdings bei einem massenweisen Verwenden von Fahnen bei öffentlichen Aufzügen bestehen, wenn dadurch die Erinnerung an nationalsozialistische Aufmärsche hervorgerufen wird. Denn ebenso wie das Tragen von Waffen und Uniformen als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung wegen ihrer damit demonstrierten organisierten Gewaltbereitschaft verboten sind (§§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 1 VersammlG), sind auch andere Formen martialischen Auftretens wegen des dadurch erzeugten Klimas der Gewaltbereitschaft und der damit verbundenen, den inneren Frieden gefährdenden Einschüchterung der Bevölkerung nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt. Gerade das Mitführen einer größeren Zahl von Fahnen, die nicht Länder-, Bundes- oder EU-Flaggen sind, erscheint unter Berücksichtigung der sonstigen äußeren Umstände eines Demonstrationszuges wie des hier in Rede stehenden, geeignet, den martialischen bzw. Reminiszenzen an die Zeit des Nationalsozialismus weckenden Eindruck auf Dritte besonders zu betonen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 18.05.2010 - 14 K 5459/08 -, juris). Dies gilt namentlich dann, wenn - wie hier - schwarze Fahnen mitgeführt werden sollen und in Verbindung mit anderen Kundgebungsmitteln bzw. mit einer farblich weitgehend übereinstimmenden Bekleidung der Teilnehmer hieraus Assoziationen zu nationalsozialistischen Aufmärschen erwachsen. Dieser Gefahr kann durch die von der Beklagten ausgesprochene Beschränkung der Zahl der mitgeführten Fahnen begegnet werden. Durch die Beschränkung auf eine Fahne für 25 Teilnehmer ist auch hinreichend gewährleistet, dass die Klägerin ihr Demonstrationsanliegen zum Ausdruck bringen kann. Ob für eine stationäre Veranstaltung ein anderer Maßstab anzulegen ist, kann offen bleiben (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 18.05.2010, a. a. O.).

Soweit die Klägerin hierzu lediglich vorträgt, dass die Grenze zwischen 24 und 25 Teilnehmern willkürlich" sei, legt sie keinen Verstoß gegen das Willkürverbot dar. Es liegt in der Natur von Höchstzahlen bzw. Grenzwerten, dass Sachverhalte ober- und unterhalb des Schwellenwertes unterschiedlich behandelt werden. Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Beklagte überhaupt eine zahlenmäßige Begrenzung vorgenommen und nicht lediglich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen hat. Die Notwendigkeit einer bezifferten Beschränkung ergibt sich bereits aus dem aus § 37 VwVfG folgenden Gebot der Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes. Im Weiteren kann sich die gerichtliche Prüfung der Ermessensausübung nur darauf beziehen, ob die Beklagte die Grenzen des im Rahmen des § 15 VersammlG eingeräumten Ermessens, insbesondere das Willkürverbot, eingehalten hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 114 Rdnr. 41 m. w. N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann dabei nur dann festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung durch die Behörde evident ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.09.2009 - 1 BvR 2275/07 -, juris Rdnr. 40). Solche Umstände hat die Klägerin nicht dargelegt. Die Beklagte hatte zur Begründung dieser Auflage ausgeführt, dass für die in Rede stehende Versammlung am 7. März 2009 ausschließlich mit der Verwendung schwarzer Fahnen (mit Aufdrucken in Frakturschrift) zu rechnen war. Diese Fahnen seien wegen ihrer - in Verbindung mit der bei den sogenannten Trauermärschen üblichen dunklen Bekleidung der Versammlungsteilnehmer - Uniformität und der verwendeten Schriftart geeignet, Erinnerungen an Aufmärsche der NS-Zeit aufkommen zu lassen, bei denen die Dramaturgie eines gleichförmigen Fahnenmeers im Vordergrund gestanden hat. Die Beklagte hatte dabei eine auf die konkrete Versammlung bezogene Einzelfallabwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse der Versammlungsteilnehmer mit geeigneten Kundgebungsmitteln ihr Anliegen in der Öffentlichkeit zu präsentieren und dem vom Bundesverfassungsgericht definierten öffentlichen Interesse, solche Kundgebungen zu beschränken, die zu einer Einschüchterung der Bevölkerung durch ein martialisches bzw. an Aufmärsche in der NS-Zeit erinnerndes Auftreten der Versammlungsteilnehmer führen können. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine Beschränkung auf eine Fahne je 25 Teilnehmer zum einen geeignet ist, den einschüchternden Charakter des Aufzuges zu verhindern und andererseits die Versammlungsteilnehmer ihr Anliegen hinreichend in einer die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregenden Form kundgeben können. Die Klägerin legt nicht dar, dass ihr Anliegen - in verfassungskonformer Weise - nur durch einen völligen Wegfall der zahlenmäßigen Beschränkung oder durch eine Erhöhung der zulässigen Zahl von Fahnen hätte vermittelt werden können.

Auch der Verweis der Klägerin auf die Fahnenmeere" bei den öffentlichen Veranstaltungen anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 ist nicht geeignet, die Auffassung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die von der Klägerin angemeldete Versammlung und die öffentlichen Veranstaltungen bei der Fußballweltmeisterschaft bereits im Ansatz nicht vergleichbar sind. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Die Versammlungsfreiheit schützt Versammlungen und Aufzüge - im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen - als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Bei einer Versammlung geht es anders als bei den von der Klägerin zum Vergleich herangezogenen Sport- bzw. Freizeitveranstaltungen darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/96 -, NJW 2011, 1201).

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass auch der weitere Inhalt der Auflage zu Ziffer 13, wonach Seitentransparente maximal drei Meter lang sein dürfen und zwischen zwei Seitentransparenten jeweils ein Abstand von mindestens zwei Metern einzuhalten ist, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass der grundrechtlich geschützte Bereich der Versammlungsfreiheit dann verlassen wird, wenn die Seitentransparente nicht in der Absicht mitgeführt werden, sie zur Kundgabe von Meinungen, sondern zur Verhinderung der Identitätsfeststellung von Störern einzusetzen. Das Verwaltungsgericht hat in der Urteilsbegründung (UA S. 23 f.) - anders als die Klägerin dies in der Antragsbegründung darstellt - nicht auf eine tatsächliche oder vermeintlich einschüchternde Wirkung der Seitentransparente Bezug genommen. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung vielmehr darauf abgestellt, dass bei einer von der Klägerin am 20. September 2008 veranstalteten Versammlung ein Störer aus der Versammlung heraus einen Journalisten angegriffen hatte und nachfolgend von einigen Versammlungsteilnehmern versucht worden war, die Festnahme des Störers durch Wegdrängen der Polizeibeamten zu verhindern. Das Verwaltungsgericht hat zudem hinsichtlich der Ermessensausübung auf den Gesamtzusammenhang der Begründung des Bescheides abgestellt. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die Auflage hinsichtlich der Seitentransparente geeignet ist zu verhindern, dass die Seitentransparente zur Verhinderung der Identitätsfeststellung genutzt werden können. Die Klägerin hat den Vorfall als solchen auch in der Antragsbegründung nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich vorgetragen, dass bei der Versammlung am 20. September 2008 keine Seitentransparente verwandt worden seien. Die Klägerin legt mit der Antragsbegründung nicht dar, warum eine Auflage wie die hier streitgegenständliche, nur dann rechtmäßig sein soll, wenn bei einer vorgehenden Versammlung nicht nur Störer aus der Versammlung heraus Straftaten begangen haben und nachgehend den Schutz der anderen Versammlungsteilnehmer gesucht (und zum Teil gefunden) haben, sondern außerdem noch durch die Verwendung von in einer bestimmten Weise gestalteten Seitentransparenten die Identitätsfeststellung der Störer konkret vereitelt oder erschwert wurde. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend festgestellt, dass die Beklagte wegen des Vorfalls am 20. September 2008 von einer Gefährdungslage ausgehen konnte, die auch die streitgegenständliche Auflage rechtfertigte. Soweit die Klägerin weiter vorträgt, dass eine Transparentgröße von vier mal vier Metern manchmal" notwendig sei, um längere Sprüche oder ganze Sätze auf die Transparente schreiben zu können und nicht bloß einzelne Worte oder längere Sätze in einer kleinen Schrift, zeigt sie nicht auf, inwieweit diese Erwägung auch für streitgegenständliche Versammlung von Bedeutung gewesen ist.

Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass der Teil der Auflage zu Ziffer 15, wonach Megaphone nicht auf die Kopfhöhe von Versammlungsteilnehmern oder Polizeibeamten ausgerichtet werden dürfen, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Auflage hinreichend bestimmt ist, da ein Ausrichten" eines Megaphons dem Wortsinn nach bereits nicht das bloße Halten eines Megaphons in Kopfhöhe eines anderen Menschen bedeutet, sondern das Halten gezielt auf eine andere Person erfolgen muss. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die streitige Auflage auch erforderlich zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der unmittelbaren Gefahr in § 15 Abs. 1 VersammlG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad. Eine unmittelbare Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, d. h. einen Sachverhalt, bei dem der Eintritt eines Schadens fast mit Gewissheit" zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 -, juris Rdnr. 14). Die Klägerin berücksichtigt hier zunächst nicht, dass der streitige Teil der Auflage in Zusammenhang mit dem vorstehenden Satz steht, wonach die Lautstärke der mitgeführten Beschallungsmittel so einzustellen ist, dass eine Momentanlautstärke von 85 db(A) im Abstand von 5 Metern neben dem Aufzug nicht überschritten wird. Dies bedeutet, dass ein Schalldruckpegel von mehr als 85 db(A) in unmittelbarer Nähe von Versammlungsteilnehmern und Polizeibeamten, welche den Aufzug begleiten, (zulässigerweise) erreicht werden kann, insbesondere wenn die Schallquelle auf die Köpfe der Personen ausgerichtet wird. Die Klägerin tritt nicht der Feststellung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts entgegen, wonach die längere Konfrontation mit einem Schalldruckpegel von mehr als 85 db(A), wie sie bei mehrstündigen Versammlungen bei Versammlungsteilnehmern und den Aufzug begleitenden Polizeibeamten auftreten kann, geeignet ist, Gehörschäden zu verursachen. Die Beklagte hatte sich hinsichtlich des Grenzwertes von 85 db (A) an der Richtlinie 2003/10/EG über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (Lärm)" orientiert, welche durch die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung vom 6. März 2007 (LärmVibrationsArbSchV, BGBl. I S. 261) in das nationale Recht umgesetzt wurde. In diesen Rechtsvorschriften sind aufgrund wissenschaftlicher Erfahrung Grenzwerte für Lärmexpositionen bestimmt worden.

Soweit die Klägerin auch hinsichtlich dieser Auflage einwendet, dass die Beklagte nicht dargelegt habe, dass es bei den bislang von der Klägerin veranstalteten Versammlungen durch die Verwendung von Megaphonen zu Gehörschäden bei Polizeibeamten oder Versammlungsteilnehmern gekommen sei, greift dieser Einwand nicht durch, da die Feststellung einer unmittelbaren Gefahr nicht zwingend den Nachweis von Präzedenzfällen verlangt. Die Klägerin geht ferner nicht zutreffend davon aus, dass Lärmschutzauflagen versammlungsrechtlich nur zum Schutz vor Gesundheitsgefahren zulässig sind. Der Schutz unbeteiligter Dritter vor Immissionen, die von einer Versammlung ausgehen, greift vielmehr schon unterhalb der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr ein. Die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutz nach § 15 Abs. 1 VersammlG Auflagen zulässig sind, umfasst die Einhaltung der gesamten Rechtsordnung. Dazu zählen - soweit hier entscheidungserheblich - auch die Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (insbesondere zu Gunsten von Anrainern einer Versammlung) sowie des Arbeitsschutzrechts, das grundsätzlich auch für Polizeibeamte im Rahmen des Einsatzes bei Versammlungen gilt (vgl. § 83 Abs. 1 LBG LSA). Diese Normen bieten bereits Schutz vor erheblichen Lärmbelästigungen, d. h. unterhalb der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2010 - 11 LA 298/10 -, NVwZ-RR 2011, 141). ..."

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Zur zeitlichen Verlegung einer Versammlung wegen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung (hier: Verlegung einer Versammlung der NPD zur Euro- und Finanzkrise vom 27. auf den 28. Januar; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.01.2012 - 7 B 10102/12 zu Art 8 GG, § 15 Abs 1 VersammlG):

... Die Antragsgegnerin hat mit dem genannten Bescheid verfügt, dass die von der Antragstellerin - der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) - für den 27. Januar 2012 in der Zeit von 19.00 bis 21.00 Uhr angemeldete Versammlung mit dem Motto Von der Finanz- zur Eurokrise - zurück zur D-Mark heißt unsere Devise!" nicht am 27. Januar 2012, sondern am 28. Januar 2012 durchgeführt werden kann. Zugleich hat sie mehrere Auflagen erlassen, die nach dem Inhalt der Antragsbegründung nicht Gegenstand des Eilrechtsschutzverfahrens sind.

Die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt hier zu Lasten der Antragstellerin aus. Die angefochtene zeitliche Verlegung der angemeldeten Versammlung vom 27. auf den 28. Januar 2012 ist offensichtlich rechtmäßig. An der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse.

Gemäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz - VersG - kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.

Bei der zeitlichen Verlegung der angemeldeten Versammlung handelt es sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht um ein Verbot der Versammlung, sondern um eine beschränkende Verfügung (Auflage).

Ob die zeitliche Verlegung einer Versammlung um einen Tag lediglich als Auflage und nicht als Versammlungsverbot zu qualifizieren ist, bemisst sich in erster Linie nach dem Bezug des Versammlungsziels zu dem angemeldeten Tag. Ist Ziel der Versammlung, auf die besondere Bedeutung des angemeldeten Tages hinzuweisen, kommt die Verlegung der Versammlung auch nur um einen Tag einem Verbot gleich, weil die Versammlung letztlich ihres wesentlichen Inhalts und ihrer zentralen Zielsetzung beraubt wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 24 CS 05.1160 -, juris, Rn. 15). Gleiches dürfte gelten, wenn Inhalt und Ziel der Versammlung einen vergleichbar besonderen Bezug zum angemeldeten Tag haben.

Ein solcher besonderer Bezug des Versammlungsziels zum 27. Januar 2012 ist hier nicht erkennbar. Er ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass am 27. Januar 2012 der Börsenexperte Prof. O. in der Aula des Bischöflichen Priesterseminars in Trier einen Vortrag mit dem Titel Von der Finanz- zur Eurokrise" hält. Diesem Vortrag kommt ersichtlich im Rahmen der gegenwärtigen Finanz- und Eurokrise kein solches Gewicht zu, dass eine Versammlung zu diesem Thema nur am Tag des Vortrags stattfinden kann, ohne ihres zentralen Ziels beraubt zu werden. Es ist nicht erkennbar, weshalb eine Versammlung zur Euro- und Finanzkrise nicht mit gleicher Wirkung am folgenden Tag durchgeführt werden kann. Eine - auch von der Öffentlichkeit wahrnehmbare - Auseinandersetzung mit den Themen von Prof. O. und die Vorstellung des eigenen wirtschaftlichen Programms sind der Antragstellerin auch am 28. Januar 2012 gleichermaßen möglich. Bei dem Vortrag von Prof. O. handelt es sich um eine Veranstaltung in einem geschlossenen Raum mit allenfalls geringer Außenwirkung. Die Versammlung der Antragstellerin ist auch ersichtlich keine Protest- oder Gegendemonstration zu dem Vortrag von Prof. O..

Die von der Antragsgegnerin verfügte Auflage einer zeitlichen Verlegung der angemeldeten Versammlung vom 27. auf den 28. Januar 2012 konnte rechtsfehlerfrei auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung gestützt werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 15 Abs. 1 VersG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung erlaubt, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen. So kann die öffentliche Ordnung verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Tag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 111, 147; BVerfG, NJW 2001, 1409; vgl. auch Beschluss des Senats vom 9. November 2011 - 7 B 11298/11.OVG -, veröffentlicht in ESOVGRP).

Einen solchen Fall hat das Bundesverfassungsgericht angenommen bei der Durchführung eines Aufzugs aus dem Umfeld rechtsextremer Kameradschaften" an einem 27. Januar (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1409). Es hat zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgeführt: Der 27. Januar ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, der durch den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog staatlicherseits zum offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus bestimmt worden ist. Mit der Begehung dieses Gedenktages wird Verantwortung für die Vergangenheit übernommen und bundesweit nicht nur der Opfer gedacht, sondern zugleich mahnend an die Folgen des Nationalsozialismus erinnert, um deren Wiederholung dauerhaft auszuschließen. Es leuchtet unmittelbar ein und ist auch verfassungsrechtlich tragfähig, wenn die Versammlungsbehörde der Durchführung eines Aufzugs durch Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen 'Kameradschaften' an diesem Gedenktag eine Provokationswirkung zumisst und diese als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewertet".

Ein solcher Fall ist auch hier gegeben. Die Antragstellerin gehört unzweifelhaft dem rechtsextremen Parteienspektrum an. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass einer Versammlung des betreffenden Personenkreises am Gedenktag des 27. Januar eine Provokationswirkung zuzumessen ist, die die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürger und damit für die öffentliche Ordnung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG begründet, ist nicht zu beanstanden. Die Gefahr für die öffentliche Ordnung ergibt sich nicht aus dem Inhalt der zu erwartenden Äußerungen oder dem Inhalt des Versammlungsmottos, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung, nämlich einer Demonstration von Rechtsextremisten am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, der zudem seit dem Jahr 2005 internationaler Holocaust-Gedenktag ist.

Die Versammlungsbehörde war auch aufgrund des aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 [343]) an der Anordnung der Auflage nicht gehindert. Aus diesem Selbstbestimmungsrecht folgt nämlich nur, dass der Veranstalter sein Demonstrationsinteresse eigenständig konkretisieren darf. Kollidiert sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit aber mit anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und inwieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1409). Entsprechend den obigen Ausführungen besteht kein besonders schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin an einer Versammlung gerade am 27. Januar 2012. Vor diesem Hintergrund stellt die angegriffene zeitliche Verlegung der angemeldeten Versammlung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit der Antragstellerin dar. ..."

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Sind bei den Konzerten einer Musikband, zu deren Besuchern vor allem Personen aus der gewaltbereiten Hooliganszene sowie dem rechtsextremistischen Milieu zählen, wiederholt Straftaten begangen werden (Verharmlosung des Holocaust, Hitlergruß), kann das ein Konzertverbot rechtfertigen, wenn sich der Gefahr der Wiederholung solcher Straftaten nicht durch Auflagen begegnen lässt (OVG Bremen, Beschluss vom 26.11.2011 - 1 B 309/11):

... Nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz werden die Konzerte der Band von Personen aus dem gewaltbereiten Hooliganmilieu sowie dem rechtsextremistischen Milieu besucht (S. 24 Behördenakte). Dass die Betreffenden dabei in erheblicher Weise gegen die Strafgesetze verstoßen, wird durch zwei Videomitschnitte jüngeren Datums belegt. Der Inhalt dieser Videos wird in der Verbotsverfügung wiedergegeben. Sie können im Internet eingesehen werden (Radio Bremen, buten & binnen vom 22.11.2011; NDR, Panorama Nord vom 21.06.2011).

In einem der Videos singen (bzw. grölen) die Konzertbesucher Eine U-Bahn bauen wir von St. Pauli bis nach Auschwitz". Daraufhin äußert sich der Antragsteller als Sänger der Band wie folgt: Alles Lüge - Da fährt gar keine U-Bahn". Dass sowohl der Gesang des Publikums als auch die Reaktion des Antragstellers die in Auschwitz unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise billigen bzw. verharmlosen, drängt sich auf. Die Einlassung des Antragstellers in der Beschwerde, er habe dieses Lied auf seine Weise aus dem Publikum sofort mit dem zitierten Spruch abgewürgt", ist nicht geeignet, diese Beurteilung in Zweifel zu ziehen. Bei summarischer Prüfung spricht jedenfalls Einiges dafür, dass der Straftatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt worden ist.

In einem zweiten Video singt der Antragsteller das Lied Hoch auf dem gelben Wagen " in der Version sitz ich beim Führer vorn". Das Publikum stimmt in den Gesang ein, ein Teil hat dabei den ausgestreckten rechten Arm erhoben. Es drängt sich auf, dass es sich dabei um den sog. Hitler-Gruß handelt, was den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 StGB erfüllt.

In beiden Fällen besteht zwischen dem Publikum und der Band und insbesondere dem Antragsteller als Sänger erkennbar ein unmittelbarer Wirkungszusammenhang. Der Antragsteller muss sich deshalb das Verhalten der Besucher zurechnen lassen.

c) Es besteht die konkrete Gefahr, dass es bei dem für den 26.11.2011 in Bremen geplanten Konzert zu einem vergleichbaren Verhalten der rechtsextremistischen Besucher kommt. Den Einlassungen des Antragstellers lässt sich nicht entnehmen, dass er bereit wäre, Vorkehrungen zu treffen, um ein solches Verhalten zu verhindern. Die hochkonspirative Organisation des Konzerts drängt vielmehr die Schlussfolgerung auf, dass Inhalt und Ablauf des Konzerts verborgen bleiben sollen, um auf diese Weise das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten fortsetzen zu können.

d) Das vollständige Verbot des Konzerts verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieses Verbot wird nicht zuletzt durch das bereits genannte hochkonspirative Verhalten der Konzertveranstalter veranlasst. Da der Ort der Veranstaltung geheim ist, ist der Behörde sowohl eine präventive Kontrolle der Veranstaltungsräumlichkeiten als eine begleitende Kontrolle des Konzerts - wozu nach dem Vorstehenden aller Anlass bestünde - von vornherein verwehrt. Aus diesem Grund scheiden auch Auflagen, deren Einhaltung der Kontrolle bedürfte, als milderes Mittel aus.

e) Das Verbot dient somit dazu, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Aus diesem Grund ist auch ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben und überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des Verbots. ..."

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Ergibt sich aus dem Ablauf einer kurz zuvor vom selben Veranstalter durchgeführten Veranstaltung und einer internen Unterlage dieses Veranstalters, dass er bei Anmeldung der Versammlung und im Kooperationsgespräch seine wahren Absichten hinsichtlich Teilnehmerzahl und Durchführung eines Aufzuges verschleiert, insbesondere nicht entsprechend dem angekündigten Motto gegen ein vereinsrechtliches Verbot demonstrieren möchte, sondern tatsächlich eine Propagandaveranstaltung unter Vorzeigen der Kennzeichen und Symbole eines im Inland einem Betätigungsverbot unterliegenden Vereins geplant ist, ist das Handeln nicht mehr vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt und kann - schon wegen der beabsichtigten Begehung von Straftaten gegen das Vereinsgesetz als unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit - verboten werden. Zur Zulässigkeit der Verwendung von Öcalan-Bildern und den Fahnen der PKK und ihrer Unterorganisationen bei Versammlungen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2011 - OVG 1 S 187.11):

... Der Einwand, dass der Antragsteller im Verfahren versichert habe, eine zahlenmäßige Begrenzung der Fahnen und Öcalan-Bildnisse, die mitgeführt werden sollen, akzeptieren zu wollen und aus der gefundenen Planungsunterlage nicht hervorgehe, wie die Fahnen im einzelnen, insbesondere ein auf das Verbot hinweisender Aufdruck ( In Berlin verboten") gestaltet sein sollen, vermag daran nichts durchgreifend zu verändern. Dieses Vorbringen übersieht, dass die Planungsunterlage zusätzliche Hinweise darauf gibt, dass der Antragsteller bei der Anmeldung der Versammlung und im Kooperationsgespräch über die Teilnehmerzahl, die mobilisiert werden soll, unrichtige Angaben gemacht hat, die sowohl für die Bemessung des zur Begleitung des Aufzuges erforderlichen Polizeiaufgebots als auch für die Anzahl der vom Veranstalter zu stellenden Ordner, mit denen er die Beachtung der vereinsrechtlichen Strafvorschriften sicherzustellen beabsichtigte, von Bedeutung waren. Die Beschwerde übersieht weiter, dass es nach der insoweit nicht zu beanstandenden Bewertung des Verwaltungsgerichts bei dem vom Antragsteller am 3. September 2011 in Köln veranstalteten Kulturfestival" zu einer geplanten Zurschaustellung verbotener Symbole gekommen ist und dieser Umstand wie auch der gesamte Verlauf dieser Veranstaltung die Schlussfolgerung zulässt, dass der Antragsteller von vornherein eine PKK-Propaganda-veranstaltung durchführen wollte und keine Veranlassung gesehen hat, Entsprechendes zu verhindern, als er von der Polizei auf das Zeigen verbotener Symbole und Zeichen der PKK und ihrer Unterorganisationen angesprochen wurde. Diese weiteren Bestandteile der Gefahrenprognose führen zu der Bewertung, dass die Hinnahme einer Auflage zur zahlenmäßigen Beschränkung von Fahnen und Bildnissen von Öcalan durch den Antragsteller keine Gewähr für deren Beachtung bietet, zumal auch die Zahl der gestellten Ordner bei einer angestrebten Verdreifachung der Teilnehmerzahl nicht ausreichend wäre, um die Beachtung einer solchen Auflage sicherzustellen. In diesem Licht sind auch die Äußerungen des als Versammlungsleiter in Aussicht genommenen Herrn E... im Kooperationsgespräch in die Gefahrenprognose einzubeziehen, mit denen er auf die hohe Emotionalität des Themas des PKK-Verbots hingewiesen habe und man nur mit der Zielsetzung eines friedlichen Verlaufs versuchen könne, durch Ordnereinsatz Verstöße hochgradig emotionalisierter Teilnehmer zu unterbinden; sie zielten offenbar nur darauf, einem auf mangelnden Willen und unzureichende Mittel des Versammlungsleiters, gegen das Zeigen von Emblemen, Symbolen, Abbildungen und Fahnen der verbotenen PKK einzuschreiten, gestützten Versammlungsverbot (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Juni 1999 - 1 S 1464/99 - VBlBW 1999, 462, juris Rn. 5) im Vorfeld zu entgehen.

Nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen der Beschwerde zu dem Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass das Zeigen nur vereinzelter unmartialischer Öcalan-Bildnisse als Meinungskundgabe im Rahmen des angekündigten Versammlungsmottos anders zu bewerten sei als das massierte Mitführen solcher Bilder und der verbotenen Fahnen der PKK-Organisationen. Sie verkennen, dass das Verwaltungsgericht insoweit bezogen auf Versammlungsmottos, die die Person Öcalans in den Vordergrund stellen, eine versammlungsfreundliche Position einnimmt, obwohl - auch für den Senat - nicht zweifelhaft ist, dass Öcalan-Bildnisse für dessen Rolle als Führer und maßgebliche Identifikationsfigur der PKK stehen können (vgl. dazu OVG Bremen, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 1 A 227/09 - juris Rn. 10, Urteil vom 25. Oktober 2005 - 1 A 144/05 - NordÖR 2006, 165). Damit wird trotz der Symbolträchtigkeit entsprechender Bildnisse deren straflose Verwendung ermöglicht, nicht aber die allgemeine Zulässigkeit dieser Materialien als PKK-Propaganda angenommen. In Bezug auf die bekannten Fahnen der PKK und ihrer Unterorganisationen besteht allerdings kein Raum für derartige Betrachtungen, selbst wenn sich das vom Veranstalter selbst bestimmte Motto des Aufzuges gegen das Vereins- bzw. Betätigungsverbot richtet. Die Kundgabe von Meinungen unter einem solchen Motto kann und darf infolge des Straftatbestandes in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2 i.V.m § 9 Abs. 2 VereinsG nicht durch die Verwendung der Kennzeichen des von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins erfolgen; es versteht sich, dass dieses spezielle Verbot auch die Verwendung mit einem mehr oder weniger lesbaren Aufdruck bezüglich des Vereinsverbots oder einer Kritik daran umfasst, weil sie sich nicht darauf reduzieren lässt, sondern stets noch das Zeigen des für den unbefangenen Beobachter als solches erkennbaren Kennzeichens beinhaltet und dies von dem Verwender, der damit das Verbot zu konterkarieren beabsichtigt, auch bezweckt wird (vgl. zur strafrechtlichen Beurteilung zum Verwechseln ähnlicher Kennzeichen", insbesondere dem Bekanntheitsgrad des Kennzeichens: BGH, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 3 StR 495/01 - BGHSt 47, 354, juris Rn. 14). Insofern kommt es auf die - in der Sache allerdings zutreffenden - Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wie solche Fahnen in massierter Form wirken, wenn sie aus einiger Entfernung wahrgenommen werden, und das hierauf bezogene Beschwerdevorbringen für die Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots nicht entscheidend an. ..."

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Die Auflage, eine Kundgebung durch Personen aus dem Umfeld rechtsextremer "Kameradschaften" nicht am Tag des Gedenkens an die Reichspogromnacht (9. November) durchführen zu dürfen, kann auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt werden (OVG NRW Beschluss vom 08.11.2011 - 5 B 1351/11):

... Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner in Ziffer 1 der streitgegenständlichen Verfügung dem Antragsteller aufgegeben hat, seine Versammlung nicht am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in der Reichspogromnacht am 9. November durchzuführen. Diese Auflage ist zutreffend auch auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass die öffentliche Ordnung betroffen sein kann, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen würde, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies für den 27. Januar angenommen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl. 2001, 558.

Dasselbe gilt in der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung für das alljährliche Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Tag nicht durch Hoheitsakt zum offiziellen Gedenktag erklärt worden ist und mehrere andere geschichtliche Ereignisse auf einen 9. November gefallen sind. Die flächendeckenden menschenverachtenden Angriffe der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft auf die jüdische Bevölkerung in ganz Deutschland am 9. November 1938 haben in aller Öffentlichkeit stattgefunden. Die damaligen Ausschreitungen stellten den Auftakt für die beispiellose Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung dar und erfüllen den Tatbestand des Völkermords im Sinne von § 6 Völkerstrafgesetzbuch. Dieses schreckliche Geschehen wird wegen seiner besonderen Grausamkeit und Skrupellosigkeit jedes Jahr in zahllosen - auch offiziellen - Gedenkveranstaltungen in Erinnerung gerufen. Diesen Gesichtspunkt greift auch der Antragsteller in seinem Versammlungsaufruf im Internet auf. Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass in diesem Jahr unter anderem auch in X.-W. eine Gedenkveranstaltung unter Beteiligung von Personen des öffentlichen Lebens stattfindet. Bundesweit wird nicht nur der Opfer gedacht, sondern zugleich mahnend an die Folgen des Nationalsozialismus erinnert. Obwohl das Ereignis schon viele Jahre zurück liegt, ist sein Jahrestag für das Gedenken an die Schrecken der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft in Deutschland im nationalen Gedächtnis tief verankert und präsent. Insofern steht er dem erst lange nach Kriegsende im Jahr 1996 erstmals in Deutschland als offizieller Gedenktag eingeführten Holocaustgedenktag (27. Januar) nicht nach. Das Bundesverfassungsgericht hat der durch die Schrecken der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft geprägten Identität der Bundesrepublik Deutschland eine so große Bedeutung beigemessen, dass es hieraus besondere Grenzen für die Meinungsfreiheit abgeleitet hat.

BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 300, 329.

Diesem Aspekt kann auch unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung Rechnung getragen werden. Daher leuchtet es unmittelbar ein und ist auch verfassungsrechtlich tragfähig, wenn die Versammlungsbehörde der Durchführung einer Kundgebung durch Personen aus dem Umfeld rechtsextremer Kameradschaften' an diesem Gedenktag eine Provokationswirkung zumisst und dies als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewertet.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl. 2001, 558.

Dies gilt im konkreten Fall umso mehr, als die vom Antragsteller gewählte Parole Frei, sozial und national! Gegen antifaschistische Hetze und Presselügen' ebenso wie die Bezeichnung der die Versammlung im Internet bewerbenden Gruppe der Nationalen Sozialisten X. unmissverständlich auf eine direkte Verbindung zum Nationalsozialismus hinweist.

Die Versammlungsbehörde war auch auf Grund des aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 (343)) an der Anordnung der Auflage nicht gehindert. Aus diesem Selbstbestimmungsrecht folgt nur, dass der Veranstalter sein Demonstrationsinteresse eigenständig konkretisieren darf. Kollidiert sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit aber mit anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Insoweit bleibt ihm nur die Möglichkeit, seine Vorstellungen im Zuge einer Kooperation mit der Verwaltungsbehörde einzubringen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl. 2001, 558.

Die Versammlungsbehörde konnte die Auflage auf die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung stützen. Diesem Gesichtspunkt kommt gegenüber dem Interesse des Antragstellers, gerade an diesem Tag zu demonstrieren, im Rahmen der Abwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO der Vorrang zu. Zwar hat der Antragsteller hervorgehoben, ihm gehe es im Rahmen einer Gegen-Kundgebung um eine zeitgleiche Auseinandersetzung mit einem Missbrauch des Gedenkens durch eine Veranstaltung aus der Antifa'-Szene. Der Aufruf hierzu stelle sich als Aufforderung zu Gewalt gegen politisch Andersdenkende dar, die nicht hingenommen werden könne. Der Wunsch, zeitnah zu einer öffentlichen Meinungsäußerung im Rahmen einer Gegenveranstaltung Stellung zu beziehen, ist auch grundsätzlich im Rahmen des Versammlungsgrundrechts schützenswert. Im konkreten Fall überwiegt gleichwohl das öffentliche Interesse daran, die Durchführung der in Rede stehenden Kundgebung gerade an einem 9. November zu unterbinden. Mit Blick auf die geschichtsgeprägte Identität Deutschlands ist es mit einem würdigen Gedenken der Opfer nicht vereinbar, wenn eine Gruppe, die sich als Nationale Sozialisten X. bezeichnet, unter einem Motto, das gleichfalls das Begriffspaar sozial und national' verwendet, an einem 9. November gegen den Missbrauch des Gedenkens an die Reichspogromnacht durch Angehörige des linken Spektrums protestiert. Einer derartigen konfrontativen Auseinandersetzung zwischen links und rechts steht ein würdiges Gedenken der Opfer entgegen. Die zeitliche Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Antragstellers trägt seinem Versammlungsgrundrecht vor diesem Hintergrund angemessen Rechnung. Denn er ist nicht gänzlich daran gehindert, den von ihm beanstandeten Missbrauch des Gedenkens öffentlich zu thematisieren. Ihm wird lediglich abverlangt, dies nicht am Tage des Gedenkens an die Opfer der Reichspogromnacht zu unternehmen. ..."

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Auflagen, mit denen die Bildung eines "Schwarzen Blockes" und Übergriffe von "Rebel Clowns" auf Polizeibeamte verhindert werden sollen, sind zulässig (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.08.2011 - 11 LA 108/11):

... Wie der Senat bereits in dem zwischen den Beteiligten vorangegangenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit Beschluss vom 6. August 2010 (- 11 ME 306/10 -) ausgeführt hat, soll mit der ersten hier noch streitigen Auflage der Auftritt eines sog. Schwarzen Blocks' verhindert werden. Die Auflage dient dabei nicht (vorrangig) der Durchsetzung des ohnehin schon aus § 3 VersG folgenden Uniformverbots, sondern - wie die Beklagte auf Seite 18 ihres Bescheides unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich gemacht hat - der verfassungsrechtlich zulässigen Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Ordnung (i. S. d. § 15 VersG) infolge der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung durch ein aggressives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671 ff.), wie es für das Auftreten des sog. Schwarzen Blocks' charakteristisch ist (vgl. schon Senatsbeschl. v. 11.9.2009 - 11 ME 447/09 -). Dies gilt unabhängig davon, ob diese potentielle Gewaltbereitschaft von Rechtsextremisten oder anderen Demonstrationsteilnehmern gezeigt wird; auf die Ausführungen auf Seite 17 des angegriffenen Bescheides wird zur näheren Begründung Bezug genommen. Damit geht der Einwand der Klägerin fehl, die Bildung eines Schwarzen Blocks' könne nach § 15 Abs. 1 VersG (i. V. m. § 3 Abs. 1 VersG) nur dann unterbunden werden, wenn das einheitliche Auftreten uniformähnlich ausgestaltet sei oder gerade militärische Kampfkraft zum Ausdruck bringe. Ausreichend ist vielmehr, wenn von dem für einen Schwarzen Block' charakteristischen einheitlichen und aggressiven Auftreten in dunkler Kleidung eine auf Einschüchterung gerichtete Gewaltdemonstration ausgeht, durch die nicht nur Solidarität innerhalb der Gruppe signalisiert, sondern gegenüber Außenstehenden, insbesondere auch dem politischen Gegner sowie Polizeikräften, gezielt der Eindruck erweckt wird, die Blockteilnehmer seien gewillt und in der Lage, ihre Vorstellungen auch gewaltsam durchzusetzen (vgl. nunmehr auch § 3 Abs. 3 Alt. 3 NVersG), wobei die Menge der Blockteilnehmer diesem Drohpotential besonderes Gewicht verleiht und die Einheitlichkeit der Kleidung zugleich die Identifikation einzelner Gewalttäter gezielt erschwert.

Für den Erlass der genannten Auflage lagen auch den Anforderungen des § 15 Abs. 1 VersG genügende Anhaltspunkte vor. Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist (BVerfG, Beschl. v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 17, auch zum Folgenden). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.

Entgegen des Vorbringens der Klägerin sind weder gleichgelagerte Aufzüge in der Vergangenheit, d.h. vor dem August 2010, friedlich' geblieben noch hat sich die Beklagte und ihm folgend das Verwaltungsgericht vorliegend zur Begründung der Auflagen lediglich auf allgemeine Verdachtsmomente beschränkt. Vielmehr hat die Beklagte auf den Seiten 5 bis 8 ihres Bescheides ausführlich dargelegt, dass es in der Vergangenheit nicht nur in Niedersachsen allgemein bei vergleichbaren, gegen die Bundeswehr gerichteten Veranstaltungen zu unfriedlichen Störaktionen gekommen ist, sondern insbesondere auch bei den jährlich wiederkehrenden Protesten gegen das Sommerbiwak in Hannover. Zutreffend ist dabei die zunehmende Militanz der Aktionen herausgestellt worden, die im Vorjahr 2009 u. a. einen versuchten Brandanschlag auf einen Pavillon am Veranstaltungsort des Sommerbiwaks umfassten, der im Internet als leider gescheitert' bewertet wurde, und ausdrücklich Aufrufe zum Angriff' auf das Sommerbiwak 2010 einschlossen. Wie der Senat bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in seinem Beschluss vom 6. August 2010 ausgeführt hat, bestanden deshalb sehr deutliche Anzeichen dafür, dass zumindest von einer militanten Minderheit der Teilnehmer an den von der Klägerin angemeldeten Versammlungen auf die Störung und Verhinderung des Sommerbiwaks gerichtete, auch strafbare Handlungen geplant waren. Deutlich unterstrichen wurde diese Einschätzung durch weitere Straftaten im Vorfeld des Sommerbiwaks 2010, nämlich einen am 22. Juni 2010 erfolgten, diesmal vollendeten Brandanschlag auf einen Pavillon am Veranstaltungsort sowie zwei Anschläge vom 4/5. August 2010 auf eine Polizeiwache sowie ein SPD Büro in Stadtteilen von Hannover, zu denen sich neben weiteren Anschlägen (vgl. archive.ph/http://de.indymedia.org/2010/08/287428.shtml) jeweils Gegner des Sommerbiwaks bekannt haben (vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 6.8.2010). Auch wenn die organisatorischen bzw. personellen Verbindungen zwischen der Klägerin und denjenigen, auf deren von der Beklagten im Bescheid zitierten Internetseiten sich die angeführten Aufrufe befinden und von denen die Anschläge ausgingen, nicht näher aufgeklärt sind, so ist von der Klägerin als Anmelderin doch jedenfalls zu erwarten, dass sie sich öffentlich von dieser ihr bekannten Gewaltausübung distanziert und sich entsprechend verhält (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, 141 ff.; Senatsbeschl. v. 27.4.2009 - 11 ME 225/09 -, NdsVBl 2009, 229 ff., jeweils m. w. N.). Hieran mangelt es aber. Die Klägerin hat sich vielmehr darauf beschränkt, ihre eigene Gewaltfreiheit zu betonen. Das reicht nicht aus. Gleiches gilt für ihre Haltung gegenüber dem auf Grund der zuvor bezeichneten Indizien konkret zu befürchtenden Auftreten eines Schwarzen Blocks'. Hierauf angesprochen erklärte die Klägerin im Kooperationsgespräch lediglich, es sei ihr nicht bekannt, ob ein Schwarzer Block' komme, es könne aber auch nicht ausgeschlossen werden. Tatsächlich erschien dann nach der bereits zuvor zitierten Darstellung im Internet (archive.ph/http://de.indymedia.org/2010/08/287428.shtml) eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern in schwarzer Kleidung, ohne allerdings - wie offenbar nach ihrer Kritik an der bekloppten Schwarzenblockauflage' beabsichtigt - einen Block zu bilden. Durch die tatsächliche Entwicklung ist damit die Gefahrprognose der Beklagten insoweit bestätigt worden.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch die hinreichende Bestimmtheit der Auflage bejaht, § 1 Abs. 1 NVwVfG, § 37 Abs. 1 VwVfG. Dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG wird die Behörde gerecht, wenn der Adressat einer Verfügung erkennen kann, was von ihm gefordert wird und entsprechend sein Verhalten danach einrichten kann (vgl. zum Folgenden zuletzt Senatsbeschl. v. 28.7.2011 - 11 LA 101/11 -, juris, Rn. 16, m. w. N.). Daher darf der Verwaltungsakt nicht unterschiedlichen subjektiven Bewertungen zugänglich sein. Die Konkretisierung dessen, was ge- und verboten ist, muss sich aus der Verfügung selbst ergeben und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nichtbeachtung des Verwaltungsaktes bußgeld- oder strafbewehrt ist. Hieran gemessen ist die umstrittene Auflage noch hinreichend bestimmt.

Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass die beiden ausdrücklich in der Auflage genannten Tatbestandsmerkmale dunkel gekleidet' sowie in Blockform nebeneinander' für sich genommen nicht eindeutig sind. Das Regelungsziel der Auflage erschließt sich aber hinreichend deutlich bei einer Zusammenschau beider Merkmale und aus der Begründung des Bescheides, wonach dadurch - wie dargelegt - die Bildung eines Schwarzen Blocks' verhindert werden soll. Eine über die bereits im Wortlaut der Auflage genannten Merkmale sowie die sich ergänzend aus der Begründung ergebenden, weiter eingrenzenden Merkmale der Einheitlichkeit der verbotenen dunklen Bekleidung, die sich nicht erkennbar als Trauerkleidung - insoweit ist für einen weiteren Aufzug am selben Tag bewusst keine entsprechende Auflage erlassen worden - oder als Berufsbekleidung darstellt, hinausgehende Konkretisierung ist praktisch ausgeschlossen und auch rechtlich nicht geboten. Der Gedanke, das Merkmal der untersagten einheitlich dunklen Kleidung durch eine Bezugnahme auf eine geläufige Farbskala (etwa RAL) bzw. durch die Benennung des Prozentsatzes des danach jeweils zumindest gebotenen helleren Teils der Bekleidung einer Person und das Merkmal der Blockform durch die Angabe der pro (3 oder 5) Quadratmeter höchstens zulässigen Versammlungsteilnehmer näher zu umschreiben, führte nicht weiter. Entsprechende Vorgaben blieben theoretisch, da bei einem - wie hier - sich (überwiegend) bewegenden Aufzug weder die Zahl der Teilnehmer pro Quadratmeter tatsächlich exakt kontrolliert noch eine Farbskala für Kleidung geläufig und überprüfbar ist. Zudem ist eine solche Konkretisierung letztlich auch nicht geboten, da auch so das Gewollte für die Beteiligten noch hinreichend deutlich wird. Wer eine helle Hose oder Jacke trägt, hält sich an die Auflage; das Tragen heller (Halb-)Schuhe reicht hingegen nicht aus. Beim Tragen einer Blue Jeans' kommt es auf ihre jeweilige Farbe und ggf. ergänzend auf den vorhandenen oder fehlenden Kontrast zur Farbe der Hosen der anderen Teilnehmer an. Ebenso ergibt sich schon aus dem Begriff des Blockes, dass allein das Nebeneinandergehen in Reihen oder das Hintereinandergehen in Zügen durch die Auflage nicht untersagt worden sind, sondern dass für eine Blockbildung deutlich mehr als zwei Personen ohne oder mit nur geringem Abstand in nicht zwingend mathematisch exakt quadratischer Form, aber doch zumindest sowohl hinter- als auch nebeneinander erforderlich sind. Diese Form der verbotenen Fortbewegung ist für die Versammlungsteilnehmer schon wegen der - teilweise, aber nicht zwingend durch ein Unterhaken noch verstärkten - besonderen Nähe und Vielzahl der Beteiligten auch erkennbar.

Die mit der Auflage verbundene Belastung für Versammlungsteilnehmer ist sehr geringfügig und angesichts des hochrangigen Zieles, nämlich so die Friedlichkeit der Versammlung sicherzustellen, auch verhältnismäßig. Die an der Teilnahme Interessierten konnten sich auf die Auflage u. a. durch Veröffentlichungen im Internet (vgl. etwa http//antimili- tarismus.blogsport.de/2010/08/06/ovg-bestätigt-verbot-des-schwarzen-blockes-) rechtzeitig schon bei der Kleidungswahl einstellen oder - soweit sie ungeachtet dessen in ausschließlich dunkler Kleidung erschienen - durch Einreihung deutlich heller gekleideter Personen oder das Gehen außerhalb eines Blockes ihr inhaltliches Anliegen verwirklichen. Die Auflage bewirkte damit für keinen Teilnehmer ein faktisches Versammlungsverbot.

Ebenso wenig greifen die Rügen der Klägerin gegen die vom Verwaltungsgericht bestätigte Rechtmäßigkeit der zweiten Auflage durch.

Sie soll durch den vorgeschriebenen Mindestabstand von zwei Metern verhindern, dass sog. Rebel Clowns' im Rahmen ihrer Aktionen, mit denen sie nach ihrem Selbstverständnis Polizeibeamte karikieren, körperlich auf diese Polizeibeamte übergreifen, diese mit Flüssigkeiten bespritzen - wie in der Vergangenheit nach dem bereits von der Beklagten im Bescheid (S. 18) in Bezug genommenen Wikipediaartikel zur sog. Clownsarmy' geschehen -, mit Hilfe von Staubwedeln oder gar Toilettenbürsten abstauben' bzw. putzen' oder ihnen sonst unangemessen zu nahe kommen. Darin läge ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG. Diese schützt nämlich auch das Persönlichkeitsrecht anderer. Es schließt die Befugnis ein, vorbehaltlich gesetzlich vorgeschriebener Duldungspflichten selbst darüber zu entscheiden, wer sich einem unter Durchbrechung des ungeschriebenen, aber gesellschaftlich im Bundesgebiet anerkannten Gebots, einem fremden Menschen nicht zu nahe zu kommen, weniger als etwa zwei Meter nähern darf, von wem man körperlich berührt oder gar durch Flüssigkeiten bespritzt wird (vgl. bereits den den Beteiligten bekannten Senatsbeschl. v. 28. August 2009 - 11 ME 429/09 -). Dieses Recht steht grundsätzlich auch (Polizei-)Beamten im dienstlichen Einsatz zu und wird ungeachtet funktioneller Begrenzungen des Grundrechtsschutzes von Beamten aus dienstlichen Gründen nicht - wie die Klägerin geltend macht - von ihrer Amtswalterfunktion verdrängt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 2 C 3/05 -, BVerwGE 125, 85, Rn. 15 ff.). Weder die sinngemäß oder ausdrücklich von der Klägerin in Anspruch genommene Versammlungs- noch die Kunst- oder Meinungsfreiheit beinhalten das Recht, seine Kritik einzeln oder kollektiv, ausdrücklich oder in schauspielerischer Form in der Weise zum Ausdruck zu bringen, dass der Kritisierte bzw. Karikierte gegen seinen Willen körperlich zum Objekt gemacht wird. Die durch die Auflage untersagten Tätigkeiten der Rebel Clowns' sind damit entgegen der Ansicht der Klägerin nicht mehr grundrechtlich geschützt; soweit man dies hinsichtlich des Näherungsverbots anders beurteilte, überwöge dann im Rahmen der gebotenen Abwägung jedenfalls der Schutz der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Polizeibeamten. Denn den Rebel Clowns' bleibt es unbenommen, ihre Aktionen unter Einhaltung des vorgeschriebenen Abstandes und damit noch in deutlicher Sicht- und Hörweise der Polizeibeamten durchzuführen. Dass sich die beim Sommerbiwak 2010 geplanten Aktionen der Rebel Clowns' nicht in dem zuvor bezeichneten Rahmen hätten bewegen sollen, insbesondere ohnehin nicht vorgesehen gewesen wäre, Polizeibeamte dabei zu berühren, trägt die Klägerin nicht vor; sie verweist vielmehr selbst auf das vielzitierte Putzen eines Rangabzeichens mit einer unbenutzten Klobrille'.

Eine mildere, aber gleich wirksame Maßnahme stand nicht zur Verfügung. Das von der Klägerin für allemal ausreichend erachtete Verbot, Polizeibeamte bei den Darstellungen zu berühren, wäre weniger wirksam gewesen. Dann hätten die Rebels Clowns' weiterhin den Nahbereich der von ihn karikierten Polizeibeamten betreten können sowie sich ihnen bessere Möglichkeiten eröffnet, die Polizeibeamten zu bespritzen.

Schließlich ist dem Verwaltungsgericht auch in der Annahme zu folgen, dass die Auflage nicht zu einem faktischen Ausschluss der Rebel Clowns' führt, sondern das allein verfügte Abstandsgebot nur einen geringen Eingriff' bedeutet. Die Befürchtung der Klägerin, die Polizeibeamten könnten durch eine Annäherung an die Rebel Clowns' deren Tätigkeit faktisch zum Erliegen bringen, erscheint unbegründet. Es ist schon fraglich, ob sich die Auflage nicht auf das Gebot an Rebel Clowns' beschränkt, sich bei ihren Aktivitäten den Polizeibeamten zu nähern, oder weitergehend auch beinhaltet, sich jeweils mindestens zwei Meter zu entfernen, wenn sich Polizeibeamte nähern. Jedenfalls fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für die Annahme, Polizeibeamte würden sich wiederkehrend zielgerichtet oder anderweitig im Rahmen ihrer Dienstausübung Rebel Clowns' während ihrer Aktionen nähern. Die Beklagte hat vielmehr in der Antragserwiderung unwidersprochen vorgetragen, dass eine gleiche Auflage bei einer Schüler- und Studentendemonstration schauspielerische Aktionen von geschminkten bzw. kostümierten Personen unberührt gelassen habe. Im Übrigen scheint die Annahme auch fernliegend, dass sich Polizeibeamte ohne Not bewusst in die Nähe der Rebel Clowns' und damit in eine Situation begeben, in der sie mit ihnen unerwünschten Berührungen und Provokationen rechnen müssen. ..."

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Versammlungen in einem dem allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffneten Bereich eines Flughafens (vgl. BVerfG vom 22.2.2011, BvR 699/06, DVBl 2011, 416) können nur auf der Grundlage einer Gefahrenprognose beschränkt werden, die auf nachweisbaren Tatsachen und Sachverhalten und nicht auf bloßen Vermutungen (bzgl. der Störung des Flughafenbetriebes) beruht ( BayVGH, Beschluss vom 05.08.2011 - 10 CS 11.1839).

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Bereits das öffentliche Üben der Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung stellt einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG (heute: § 4 NVersG (juris: VersammlG ND)) dar, der die zuständige Behörde nach § 15 Abs. 1 VersG (heute: § 8 Abs. 1 NVersG (juris: VersammlG ND)) zum Erlass einer diese Übung untersagenden Auflage ermächtigt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.07.2011 - 11 LA 101/11).

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Gegendemonstrationen genießen den Schutz des Art. 8 GG, wenn sie über die reine Unterbindungsabsicht hinaus eigene legitime Ziele, insbesondere eine eigenständige kollektive Meinungsäußerung bezwecken (HessVGH, Beschluss vom 04.07.2011 - 8 A 545/11):

... I. Hinsichtlich des Tatbestandes verweist der Senat auf die Tatbestände der angefochtenen Entscheidungen (§ 130b VwGO), da er sich diese tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu eigen macht.

Die Berufungen des Beklagten zu 2. gegen diese Urteile, auf die zur Darstellung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch hinsichtlich ihrer Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat der Senat durch später berichtigten Beschluss vom 16. März 2011 - 8 A 2256/10.Z u.a. - nach Verbindung der Verfahren wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Urteile die Berufungen zugelassen. In der Begründung dieses Beschlusses, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird und der dem Beklagten zu 2. in berichtigter Fassung am 26. April 2011 zugestellt worden ist, hat der Senat Zweifel an der Sachdienlichkeit der in beiden Instanzen gestellten bzw. angekündigten Anträge der Kläger geäußert und begründet.

Die Berufungen begründet der Beklagte zu 2. mit der Auffassung, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft von einer Kompetenz der Polizei ausgegangen, die Gegendemonstration trotz fehlender Auflösungsverfügung der Versammlungsbehörde, des Beklagten zu 1., aufzulösen. Die gewaltsame Durchsetzung einer Fortsetzung der von der Klägerseite angemeldeten Demonstration gegen eine Überzahl zum Teil gewaltbereiter Gegendemonstranten wäre unverhältnismäßig gewesen, so dass man den Klägern zu Recht die Fortsetzung ihres Aufzugs auf einer nicht blockierten Alternativroute nahegelegt habe. Dass die Versammlungsleitung der NPD-Demonstration auf diesen Vorschlag nicht eingegangen sei und statt dessen die Kundgebung für beendet erklärt habe, falle in ihren Verantwortungsbereich. Wegen der Einzelheiten wird auf die beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof per Telefax am 23. Mai 2011 eingegangene Berufungsbegründung des Polizeipräsidiums Mittelhessen vom selben Tage Bezug genommen.

Der Beklagte zu 2. beantragt, die Urteile des Verwaltungsgerichts Gießen vom 20. September 2010 - 9 K1148/10.GI,1150/10.GI, 1060/10.GI und 1059/10.GI - abzuändern und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger haben sich im Berufungsverfahren nach Ankündigung einer Entscheidung nach § 130a VwGO mit Schreiben des Berichterstatters vom 25. Mai 2011, auf das Bezug genommen wird, vornehmlich zur Entscheidungsform geäußert und die Ansicht vertreten, zum Ablauf der abgebrochenen Demonstration am 1. August 2010 in Friedberg müsse Beweis erhoben werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. Juni 2011 verwiesen.

Dem Senat liegen die die abgebrochene NPD-Demonstration in Friedberg betreffenden Behördenakten der Beklagten zu 1. vor. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II. Die vom Senat zugelassenen Berufungen des Beklagten zu 2. sind auch im Übrigen zulässig und begründet. Da der Senat einstimmig dieser Auffassung ist und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 130a VwGO durch Beschluss. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden (§ 130a S. 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 S. 3 VwGO).

Die Begründung der Berufung ist form- und fristgerecht erfolgt (§ 124a Abs. 3 S. 4, Abs. 6 VwGO).

Die Berufungen sind begründet, weil das Verwaltungsgericht den Klagen, soweit sie sich gegen den Beklagten zu 2. richten, zu Unrecht stattgegeben hat. Die Klagen sind insoweit abzuweisen.

Die von den Klägern in erster Instanz gestellten und im zweiten Rechtszug weiterverfolgten Anträge festzustellen, dass die Verhinderung des Demonstrationszuges am 1. August 2009 durch die Beklagten rechtswidrig war', sind bezüglich des Beklagten zu 2. unzulässig; wegen der insoweit eingetretenen Rechtskraft der angefochtenen Urteile ist nicht zu entscheiden, ob dies bezüglich der Beklagten zu 1. anders war.

Als Fortsetzungsfeststellungsanträge i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO können diese Begehren entgegen der Auffassung der Kläger - jedenfalls im Verhältnis zum Beklagten zu 2. - weder in direkter noch in analoger Anwendung dieser Bestimmung aufgefasst werden. Denn seitens der Polizei ist damals kein die Kläger oder andere Demonstrationsteilnehmer belastender Verwaltungsakt - etwa ein Platzverweis - erlassen worden. Eine Auflösung der vom Kläger zu 1. angemeldeten Versammlung durch die Versammlungsbehörde, den Bürgermeister der Beklagten 1., wäre keine Maßnahme des Beklagten zu 2. und könnte deshalb, selbst wenn sie erfolgt wäre, nicht zum Gegenstand einer gegen den Beklagten zu 2. gerichteten Fortsetzungsfeststellungsklage gemacht werden. Auch eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf den unterbliebenen Erlass die Kläger begünstigender Verwaltungsakte gegen Dritte durch die Polizei (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rn. 109, 111 m.w.N.) verhilft den Klagen nicht als Fortsetzungsfeststellungsklagen zur Zulässigkeit. Da als polizeiliche Verwaltungsakte hier nur die im Ermessen der polizeilichen Einsatzleitung liegende Anwendung weitergehenden unmittelbaren Zwangs gegenüber den Gegendemonstranten oder der Ausschluss einzelner Gegendemonstranten (§§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG) in Betracht gekommen wären, hätten die Kläger mindestens behaupten müssen, das Entschließungsermessen und das Auswahlermessen der Einsatzleitung sei auf die Anwendung bestimmter Maßnahmen oder Zwangsmittel gegenüber bestimmten Personen reduziert gewesen (vgl. dazu Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., Rn. F 114 ff., 133 ff.) und die Kläger hätten eine Anspruch auf bestimmte Maßnahmen oder die Anwendung dieser Zwangsmittel gehabt. Daran fehlt es. Zwar ist in der Berufungserwiderung davon die Rede, Gegendemonstranten hätten gezielt heraus gegriffen werden können'. Dass dies aber nicht die einzige Handlungsalternative der Polizei war, liegt auf der Hand. Im Übrigen haben die anwaltlich vertretenen Kläger ihre vom Senat schon in der Begründung des Zulassungsbeschlusses als nicht sachdienlich bezeichneten Anträge in der Berufungserwiderung nicht umgestellt.

Auch als Feststellungsklagen nach § 43 Abs. 1 VwGO sind die Klagen in der Fassung der anwaltlich formulierten Klageanträge unzulässig, weil die Kläger die Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Handelns festgestellt haben wollen, das in der behaupteten Form überhaupt nicht stattgefunden hat, so dass ihnen das erforderliche Feststellungsinteresse fehlt. Denn ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Presseberichte ist die vom Kläger zu 1. angemeldete Demonstration in Friedberg nicht von der Polizei unterbunden, sondern vom Veranstalter aufgelöst worden, weil man die angesichts der Blockade des vorgesehenen Aufzugwegs angebotenen, nicht blockierten Alternativrouten nicht akzeptieren wollte.

Die Feststellungsklagen gegen den Beklagten zu 2. wären im Übrigen auch dann abzuweisen, wenn sie zulässig wären. Denn dann wären sie offensichtlich unbegründet. Der Senat hat dazu bereits im Zulassungsbeschluss vom 16. März/4. April 2011 - 8 A 2256/10.Z u.a. - ausgeführt:

Zu Recht rügt der Beklagte, das Verwaltungsgericht habe die Zuständigkeiten beider Beklagter nicht hinreichend auseinandergehalten und verkannt, dass die Polizei nicht von sich aus die damalige Gegendemonstration hätte auflösen können, weil es nach §§ 15 Abs. 3 VersammlG allein Aufgabe der Versammlungsbehörde, des Bürgermeisters der Beklagten 1., gewesen wäre, eine etwa notwendige Auflösung der bereits begonnenen Gegendemonstration anzuordnen. Da § 18 Abs. 1 VersammlG nicht auf § 13 Abs. 1 VersammlG verweist, kommt bei Versammlungen im Freien, auch bei sog. Spontanversammlungen, eine Auflösung unmittelbar durch die Polizei ohne vorherige Auflösungsentscheidung der Versammlungsbehörde nicht in Betracht. Es kann mithin keine Rede davon sein, dass die Polizei den damals vorgesehenen Demonstrationszug der Kläger verhindert habe, was die Tenores der angefochtenen Urteile und die vom Verwaltungsgericht als sachdienlich entgegengenommenen Klageanträge aber unterstellen. Die Polizei hat lediglich aus den in den Begründungen der Zulassungsanträge ausgeführten Erwägungen nur relativ milde Mittel eingesetzt, um den Anspruch der Kläger auf störungsfreie Durchführung der geplanten Versammlung gegen eine deutliche Überzahl zum Teil gewaltbereiter Gegendemonstranten durchzusetzen. Zulässige Klageanträge hätten sich mithin bezüglich des Beklagten zu 2. auf die Feststellung beschränken müssen, dass die Polizei schärfere Mittel wie etwa Schlagstöcke oder Wasserwerfer hätte einsetzen müssen, um dem Demonstrationszug der NPD den Weg durch die Gegendemonstration zu bahnen.'

Darüber hinaus war, worauf der Senat ebenfalls schon im Zulassungsbeschluss hingewiesen hat, der rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichts über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 - (BVerfGE 84, 203 = juris) verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht hat damals entschieden, dass der Schutz des Art. 8 GG sich nicht auf Personen erstrecke, die nicht die Absicht haben, an einer Versammlung teilzunehmen, sondern diese verhindern wollen (vgl. juris Rn. 17); damals ging es um die polizeiliche Verweisung einzelner Personen aus einer Parteiversammlung in geschlossenen Räumen, nicht um eine eigenständige Versammlung im Freien:

Wer dagegen eine Versammlung in der Absicht aufsucht, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen. Das gilt auch, wenn er dabei seinerseits im Verein mit anderen auftritt. Der Umstand, dass mehrere Personen zusammenwirken, bringt diese nicht in den Genuss der Versammlungsfreiheit, wenn der Zweck ihres Zusammenwirkens nur in der Unterbindung einer Versammlung besteht'.

Über die reine Unterbindungsabsicht gingen hier die Motive der Gegendemonstranten ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Presseveröffentlichungen deutlich hinaus. Es ging ihnen nicht nur um die Verhinderung der geplanten Kundgebung der Kläger, sondern um ein Signal für die grundsätzliche Akzeptanz von Muslimen in der deutschen Gesellschaft und damit um eine eigene, von der Auffassung der Kläger abweichende kollektive Meinungsäußerung. Die Initiatoren der Gegendemonstration haben nicht lediglich die Versammlung der NPD stören und weitgehend verhindern, sondern eine eigene Versammlung mit selbst definierten Zielen und größerer Teilnehmerzahl veranstalten wollen.

Für solche Fälle konfligierender Versammlungen hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen entschieden, dass zwar prinzipiell der Prioritätsgrundsatz gilt, im Einzelfall davon aber abgewichen werden kann, wobei es Aufgabe der Versammlungsbehörde ist, durch Auflagen praktische Konkordanz herzustellen und möglichst den Teilnehmern beider Versammlungen die Wahrnehmung ihrer Grundrechte zu ermöglichen (BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 1 BvR 961/05 -, NVwZ 2005, 1005 = juris Rn. 24 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92 [11] = juris).

Da hier die Versammlungsbehörde im Vorfeld der Versammlungen dieser Aufgabe nicht gerecht geworden ist und es mangels kanalisierender Auflagen für die angemeldeten Gegendemonstrationen nicht gewährleistet war, dass kriminelle Chaoten diese nicht unterwandern konnten, hätte bei einer Durchsetzung des von den Klägern vorgesehenen Demonstrationswegs durch die Polizei mit schwersten Verletzungen überragend wichtiger Rechtsgüter, insbesondere von Leben und Gesundheit von Polizeibeamten und Demonstrationsteilnehmern beider Seiten gerechnet werden müssen. Dass die polizeiliche Einsatzleitung in dieser Situation unter dem in der sog. Durchführungsphase sachtypischen Zeitdruck anstelle der auch insoweit zuständigen, aber offenbar auch in dieser Phase untätig gebliebenen Versammlungsbehörde an die Kooperationsbereitschaft der Versammlungsleitung der NPD-Demonstration appelliert (vgl. zur Zuständigkeit der Versammlungsbehörde Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz,15. Aufl., Rn. 32 zu § 14 und 269 zu § 15 m.w.N.) und zwei nicht blockierte Alternativrouten angeboten hat, war verfahrensrechtlich vertretbar und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit geboten. Dass die Versammlungsleitung dieses Angebot nicht akzeptiert und die Versammlung selbst für beendet erklärt hat, liegt allein in ihrem Verantwortungsbereich.

Die in beiden Instanzen entstandenen Kosten haben die Kläger zu tragen, soweit sie durch Ihre Klagen gegen den Beklagten zu 2. und ihre Rechtsmittel entstanden sind, weil die Kläger insoweit unterliegen (§ 154 Abs. 1 und 2 VwGO). Soweit sie für Teile der Kosten gemeinsam aufzukommen haben, haften sie nach Kopfteilen (§§ 159 S. 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO). ..."

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Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, die Personalien der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die auf Anforderung der Polizei oder der Versammlungsbehörde vorzulegen ist, kann grundsätzlich unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint). Die Anordnung, mit der der Versammlungsleiter und die Ordner verpflichtet werden, die Polizei über versammlungsrechtliche und strafrechtliche Verstöße zu informieren, die von dem Versammlungsleiter oder den Ordnern nicht unterbunden werden können, ist rechtswidrig (VGH Ba-Wü, Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10).

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Das vollständige Verbot einer Versammlung ist mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig, wenn die Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung erheblich verringert werden können. Zur Abwägung mit den Rechten der Besucher/Aussteller eines traditionellen internationalen Kulturfestes (OVG Lüneburg, Beschluss vom 01.06.2011 - 11 ME 164/11)_

... Rechtsgrundlage für die angefochtene Verbotsverfügung ist § 8 Abs. 2 Satz 1 Nds. Versammlungsgesetz (NVersG). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten oder auflösen, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren durch eine möglichst umfangreiche Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen versammlungsrechtlichen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen; im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 363). Das der zuständigen Behörde eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die behördliche Eingriffsbefugnis setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in der vom Antragsteller beantragten Form voraus. Dabei muss eine konkrete Sachlage vorliegen, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Außerdem müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht (BVerfG, Beschl. v. 29.3.2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983).

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das von der Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Bescheid verfügte vollständige Verbot der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist, weil den zu erwartenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung und weitere Auflagen Rechnung getragen werden kann.

Ein vollständiges Versammlungsverbot kann insbesondere nicht darauf gestützt werden, dass mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit aus der vom Antragsteller angezeigten Versammlung heraus Gewalt gegen Menschen und Sachen zu erwarten ist, welche in Form von Körperverletzungen und Sachbeschädigungen Verstöße gegen die geltenden Strafgesetze und im Übrigen Verletzungen mindestens gleichwertiger Rechtsgüter Dritter darstellen werden. Denn es liegen keine gesicherten polizeilichen Erkenntnisse darüber vor, dass der Antragsteller oder sein Anhang anlässlich der Versammlung Gewalttätigkeiten beabsichtigen oder billigen werden, so dass eine Inanspruchnahme des Antragstellers als Störer nicht in Betracht kommt.

Auch sonst sind keine erkennbaren Hinweise darauf ersichtlich, dass der Antragsteller als Veranstalter gegen bestimmte Straftaten wie z.B. die der Volksverhetzung und Gruppendiffamierung (§ 130 StGB) nicht einschreiten oder diese billigen wird. Aus dem Veranstaltungsmotto Tag der deutschen Zukunft - Ein Signal gegen Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft' lässt sich ein Verstoß gegen Strafbestimmungen und damit gegen die öffentliche Sicherheit jedenfalls nicht begründen. Zwar hat dieses Motto eine ausländerfeindliche Grundrichtung und widerspricht daher der für die freiheitliche demokratische Ordnung grundlegenden Erwartung der Toleranz der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern. Das Strafgesetzbuch stellt aber nicht schon ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe (BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001 - 1 BvQ 17/01, 1 BvQ 18/01 -, NJW 2001, 2072; siehe auch: BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 - 1 BvR 369/04 u.a. -, NJW 2010, 2193).

Insofern ist festzuhalten, dass von der angezeigten Versammlung des Antragstellers selbst keine Störung der öffentlichen Sicherheit ausgeht, die ein vollständiges Verbot rechtfertigen könnte.

Soweit durch die Versammlung des Antragstellers eine Störung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter zu befürchten ist, kann dem durch eine räumliche und zeitliche Beschränkung der Versammlung hinreichend Rechnung getragen werden.

Dabei ist davon auszugehen, dass bei der Durchführung des vom Antragsteller angezeigten Demonstrationsaufzuges sowohl hinsichtlich des ursprünglich beantragten Verlaufs als auch hinsichtlich der vom Antragsteller angebotenen - und im Beschwerdeverfahren allein streitigen - Alternativroute mit hoher Wahrscheinlichkeit die Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter zu erwarten ist, die gleichwertig zu der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 GG stehen. Die danach gebotene Abwägung der miteinander kollidierenden Rechtsgüter führt aber dazu, dass ein Totalverbot der Versammlung unverhältnismäßig wäre. Denn die Beeinträchtigungen können ohne gravierende Einschränkung der Versammlungsfreiheit verringert werden.

Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen, denen sich der Senat anschließt, dargelegt, dass die Teilnahme am Kulturfest Braunschweig International als Besucher oder Aussteller vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst ist und die ursprüngliche Route der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung, mit der das Veranstaltungsgelände um den Kohlmarkt umkreist werden sollte, aufgrund der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Polizei faktisch zu einer Verhinderung des Kulturfestes führen würde, so dass die Rechte der Besucher und Aussteller aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG verletzt werden würden.

Die Polizeidirektion Braunschweig hat dazu in ihren Stellungnahmen vom 28. März 2011 und 19. Mai 2011 nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Erfahrungen aus dem polizeilichen Einsatz anlässlich eines NPD-Aufzuges am 18. Juni 2005 und den sich aus aktuellen Internet-Aufrufen ergebenden Erkenntnissen anlässlich der vom Antragsteller angezeigten Versammlung mit erheblichen Blockade- und Störaktionen auf der gesamten Aufzugsstrecke zu rechnen sei, die es erforderten, die Strecke frühzeitig vollständig abzusperren. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass im Innenstadtbereich mögliche Blockierer schwer zu erkennen sind und durch Kaufhäuser, Passagen und Hinterhöfe zahlreiche Möglichkeiten bestehen, zur Aufzugstrecke vorzudringen und diese zu blockieren. Diese Gefahreneinschätzung wird auch durch aktuelle Erkenntnisse bestätigt. Nach einem Bericht der HAZ vom heutigen Tage hat das Bündnis gegen Rechts', ein Zusammenschluss antifaschistischer Gruppierungen, angekündigt, den geplanten Demonstrationszug des Antragstellers zu blockieren. Dass die insofern erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Polizei bei der ursprünglich vorgesehenen Route zu einer weitgehenden Abriegelung der Innenstadt sowie einer ganz erheblichen Beschränkung bzw. Einstellung des öffentlichen Personennahverkehrs führen würden, zeigt sich bereits aufgrund der Erfahrungen aus dem vergleichbaren Einsatz im Juni 2005. Dies hätte faktisch zur Folge, dass viele Aussteller und potenzielle Besucher das Kulturfest nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erreichen könnten und somit in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt wären.

Dass die Antragsgegnerin bei der erforderlichen Abwägung zwischen der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit des Antragstellers und den gleichwertigen Rechten der Besucher und Aussteller des internationalen Kulturfestes der Durchführung dieses Festes Vorrang vor dem Demonstrationszug des Antragstellers eingeräumt hat, ist angesichts der langjährigen Tradition dieses Kulturfestes, das immer am ersten Sonnabend im Juni stattfindet und in diesem Jahr sein 30jähriges Jubiläum feiert, nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde bezweifelt hat, dass der Termin für das diesjährige Kulturfest bereits vor der Anzeige seiner Versammlung vom 12. Juli 2010 festgestanden hat, kann dem nicht gefolgt werden. Die Antragsgegnerin hat vielmehr nachvollziehbar dargelegt und mit Schriftsatz vom 30. Mai 2011 im Beschwerdeverfahren auch belegt, dass das Kulturfest immer am ersten Sonnabend im Juni stattgefunden hat und nur im Jahre 2005 wegen Baumaßnahmen auf dem Kohlmarkt auf den 2. Juli 2005 verschoben worden ist. Im Übrigen wäre der Versammlung des Antragstellers ohnehin nicht allein aufgrund einer formalen Anknüpfung an den Zeitpunkt seiner Anzeige Vorrang vor der Durchführung des Kulturfestes einzuräumen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 6.5.2005 - 1 BvR 961/05 -, NVwZ 2005, 1055) widerspräche die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Denn diese würde es ausschließen, gegenläufige Erwägungen wie z.B. die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks zu berücksichtigen. Zudem könnte die Ausrichtung allein am Prioritätsgrundsatz dazu verleiten, Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten frühzeitig - ggf. auf Jahre hinaus auf Vorrat - anzumelden und damit anderen potenziellen Veranstaltern die Durchführung von Versammlungen unmöglich zu machen. Da, wie bereits dargelegt worden ist, das Kulturfest Braunschweig International traditionell immer am ersten Sonnabend im Juni stattfindet, kommt dem Veranstaltungstermin zum 30jährigen Jubiläum des Kulturfestes am 4. Juni 2011 eine besondere Bedeutung zu, die es rechtfertigt, diesem Fest Vorrang vor der Kundgebung des Antragstellers einzuräumen. Dass der Antragsteller, der nach seinen Angaben von dem Kulturfest keine Kenntnis gehabt haben will, vergleichbare gewichtige Gründe haben könnte, den von ihm angezeigten Aufzug gerade am 4. Juni 2011 in Braunschweig durchzuführen, ist nicht ersichtlich. Zudem wären von einer Beeinträchtigung oder Verhinderung des Kulturfestes aufgrund der wie in den Vorjahren erwarteten hohen Besucher- und Ausstellerzahl erheblich mehr Grundrechtsträger betroffen als bei dem Aufzug des Antragstellers.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch bei der von ihm vorgeschlagenen und im Beschwerdeverfahren allein streitigen Alternativroute von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen.

Zwar trifft es zu, dass diese Route nicht mehr die Innenstadt und damit das Festgelände um den Kohlmarkt einschließen würde und der unmittelbare Zugang zum Festgelände lediglich von einer Seite beeinträchtigt wäre. Maßgebend ist jedoch, dass die bei der 3,8 km langen, ebenfalls am Hauptbahnhof beginnenden und durch den Innenstadtbereich führenden Alternativstrecke erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Polizei zu einer ganz erheblichen Beeinträchtigung des Sicherheit und Leichtigkeit des Individualverkehrs und zu einem Ausfall des öffentlichen Personennahverkehrs im gesamten Innenstadtbereich von Braunschweig nahezu über den ganzen Tag führen würden. Die Polizeidirektion Braunschweig hat in ihrer Stellungnahme vom 31. Mai 2011 dazu ausgeführt, dass nach den Planungen der Braunschweiger Verkehrs AG der Straßenbahnbetrieb und der Buslinienverkehr am 4. Juni 2011 ab 6.00 Uhr bis voraussichtlich 20.00 Uhr für den gesamten innerstädtischen Bereich eingestellt werden müsste. Der zeitgleich eingerichtete Bus-Ersatzverkehr könne lediglich eingeschränkt Haltestellen auf dem Wilhelminischen Ring (Altewiekring/Hagenring) bedienen und den Ausfall der Linien somit nicht kompensieren. Dies hätte zur Folge, dass Fahrgäste die Innenstadt den ganzen Tag über nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. Auch der Individualverkehr würde aufgrund der polizeilichen Absperrmaßnahmen ab 6.00 Uhr beeinträchtigt werden und nach polizeilicher Einschätzung in der Zeit von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr voraussichtlich ganz zum Erliegen kommen. Dass angesichts dieser massiven Störungen im Rahmen der erforderlichen Güterabwägung dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßen- und insbesondere des öffentlichen Personennahverkehrs Vorrang vor der Durchführung der Versammlung des Antragstellers auf der Alternativroute eingeräumt wird, ist jedenfalls im Hinblick auf die den Besuchern und Ausstellern des Kulturfestes Braunschweig International zustehenden Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Denn diese könnten aufgrund der dargestellten Verkehrsbeeinträchtigungen das Kulturfest nur unter erschwerten Bedingungen oder aber gar nicht erreichen, was unter Berücksichtigung der bereits dargelegten langjährigen Tradition dieses Festes und der erwarteten hohen Besucher- und Ausstellerzahl erheblich schwerer wiegt als die Nichtdurchführung der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung auf der Alternativroute.

Hinzu kommt, dass nach der Einschätzung der Polizeidirektion Braunschweig in ihrer Stellungnahme vom 19. Mai 2011 die durch den Innenstadtbereich führende Alternativroute u.a. wegen des Aufzugs- und Kundgebungsorts am Bohlweg/Schlossplatz ungeeignet ist. So liegt der Schlossplatz unmittelbar vor dem zentralen Einkaufszentrum ECE-Center', dessen Haupteingänge über den geplanten Kundgebungsort zu erreichen sind und in dessen Gebäude sich auch ein überwiegend von auswärtigen Besuchern genutztes Parkhaus befindet. In unmittelbarer örtlicher Nähe sollen weitere Veranstaltungen, darunter das Kulturfest Braunschweig International auf dem Kohlmarkt, stattfinden, die aus polizeilicher Sicht wegen der bezüglich der Versammlung des Antragstellers zu erwartenden Stör- und Blockadeaktionen eine Trennung erforderlich machen. Die Polizeidirektion hat nachvollziehbar dargelegt, dass durch die Vielzahl der Veranstaltungen rund um diese Örtlichkeit sich die Räume derart verengen, dass eine Trennung von Demonstrationsteilnehmern, Gegendemonstranten, Besuchern der Veranstaltungen Bunt und kreativ' und Braunschweig International', Besuchern des ECE und den Anwohnern ohne eine frühzeitige, lang anhaltende Sperrung des Bohlweges und des Schlossplatzes für jeglichen Individualverkehr nicht möglich sei. Der durch die Sperrung hervorgerufene Interessenkonflikt könne sich gerade an dieser Örtlichkeit entladen, wobei gewalttätige Übergriffe auf den Aufzug und die Kundgebung auf Grund der räumlichen Enge nur schwer zu verhindern wären. Durch die Verengung der Räume könne auch eine Paniksituation eintreten, deren Folgen nicht vorhersehbar seien. Nach dieser polizeilichen Einschätzung ist jedenfalls an dem auf der Alternativroute vorgesehenen Aufzugs- und Kundgebungsort am Bohlweg/ Schlossplatz mit Gefahren durch gewalttätige Übergriffe von Gegendemonstranten auf Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers oder unbeteiligte Passanten zu rechnen, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten von der Polizei an diesem Tag möglicherweise nicht verhindert werden können.

Der Senat ist der Auffassung, dass die aufgezeigten Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung sowie durch andere Auflagen erheblich verringert werden können, so dass das von der Antragsgegnerin verhängte und vom Verwaltungsgericht bestätigte vollständige Versammlungsverbot mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig sein dürfte.

Die Bestimmung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich Aufgabe der Versammlungsbehörde, die aufgrund ihrer Sach- und Ortsnähe am ehesten beurteilen kann, welche Auflagen geeignet, erforderlich und angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001, a.a.O.). Sind solche Auflagen aber nicht erlassen worden und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Auflagen zu verbinden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001, a.a.O.). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Auf diese Möglichkeit hat der Senat die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 26. Mai 2011 hingewiesen und vorsorglich um die Benennung einer alternativen Aufzugsstrecke oder eines geeigneten Platzes für eine stationäre Kundgebung in Braunschweig (beispielsweise vor oder hinter dem Bahnhof) gebeten. Die Antragsgegnerin hat dazu mit Schreiben vom 30. Mai 2011 erklärt, dass aus ihrer Sicht keine Alternativstrecken in Frage kämen. Es seien keine geeigneten alternativen Strecken oder Plätze im Stadtgebiet von Braunschweig vorhanden, auf denen die hier relevanten Gefahren für die öffentliche Sicherheit nicht bestünden. Dies gelte insbesondere auch für stationäre Kundgebungen rund um den Hauptbahnhof. Für sie stehe fest, dass der Zugang zum Fest Braunschweig International bei jeder Art der Versammlungsdurchführung abgeschnitten wäre. Diese Bewertung gelte für jede öffentliche Fläche in der Stadt Braunschweig.

Dem vermag der Senat angesichts der anders lautenden polizeilichen Einschätzung der Gefahrenlage nicht zu folgen. Nach der vom Senat eingeholten Stellungnahme der Polizeidirektion Braunschweig vom 30. Mai 2011 ist aus polizeilicher Sicht eine stationäre Kundgebung der Versammlung des Antragstellers am Hauptbahnhof Braunschweig auf dem Parkplatz zwischen dem südwestlichen Ende des Bahnhofshauptgebäudes und dem Zentralen Omnibusbahnhof an der Salzdahlumer Straße durchführbar. Die Polizeidirektion hat dazu ausgeführt, dass durch die Wahl dieses Versammlungsortes eine hinreichend sichere Trennung der Versammlung des Antragstellers und möglichen Gegendemonstranten bereits bei der Anreise mit der Bahn gewährleistet werden könne, da eine Trennung schon auf den Bahnsteigen vorgesehen und erst recht im Kundgebungsbereich möglich sei. Diese Einschätzung ist aus Sicht des Senats schlüssig und nachvollziehbar, zumal der Antragsteller selbst darauf hingewiesen hat, dass die Teilnehmer seiner Versammlung fast ausschließlich mit der Bahn anreisen werden. Die Polizeidirektion hat in ihrer Stellungnahme außerdem darauf hingewiesen, dass die stationäre Kundgebung auf die Zeit von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr beschränkt werden sollte, da dann die Auswirkungen für den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr bedeutend, aber überschaubar seien. Für diese Zeit könne ein entsprechender Umleitungs- oder Ersatzverkehr eingerichtet werden. Die Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International seien unter diesen Voraussetzungen voraussichtlich gering. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 31. Mai 2011 hat die Polizeidirektion dazu weiter erläutert, dass nach Einschätzung der Braunschweiger Verkehrs AG der Straßenbahnverkehr sowohl über die Nord-Süd-Achse als auch aus westlicher Richtung in die Innenstadt gewährleistet werden könne. Lediglich in geringen Teilbereichen sei ein Schienenersatzverkehr erforderlich. Auch der städtische Linienbusverkehr könne größtenteils aufrecht erhalten bleiben. Soweit die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30. Mai 2011 die polizeiliche Bewertung der Gefahrenlage in Zweifel zieht, überzeugt dies nicht. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Polizeidirektion, wie die Antragsgegnerin meint, nur eine verkürzte Begutachtung der Gesamtzusammenhänge vorgenommen hat oder dass ihr bei der Gefahrenanalyse Fehler unterlaufen sind. Dass in die polizeiliche Einschätzung eine mögliche abschreckende Wirkung der Versammlung des Antragstellers und des damit verbundenen Polizeiaufgebots auf potenzielle Besucher des Festes Braunschweig International' nicht eingeflossen ist, ist nicht zu beanstanden.

Der Senat hält es für sachgerecht, der Einschätzung der Polizeidirektion Braunschweig zur Auswahl des Kundgebungsortes und zur zeitlichen Beschränkung der Kundgebung zu folgen, um die mit der Eilentscheidung möglicherweise verbundenen Gefahren, die aber im Interesse des effektiven Rechtsschutzes in Kauf zu nehmen sind, gering zu halten. Damit hat der Senat dem Interesse des Antragstellers an der Ausübung der Versammlungsfreiheit ebenso Rechnung getragen wie dem Schutz kollidierender Rechtsgüter. Der Platz vor dem Bahnhof erfüllt auch die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5.9.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90) zur Geeignetheit eines Kundgebungsortes aufgestellten Kriterien. Er ist für die Versammlungsteilnehmer gut erreichbar und schließt durch seine Lage nicht aus, öffentliche Aufmerksamkeit für das Anliegen des Antragstellers zu erreichen.

Dass mit der Wahl des Platzes am Hauptbahnhof als Kundgebungsort Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs und des öffentlichen Personenverkehrs verbunden sein werden, ist im Interesse des hohen Stellenwerts der Versammlungsfreiheit grundsätzlich hinzunehmen. Anders als bei den vom Antragsteller angezeigten Aufzugsstrecken sind in Folge einer stationären Kundgebung am Bahnhof auch keine derart massiven Verkehrsbeeinträchtigungen zu erwarten, dass Besucher des Kulturfestes Braunschweig International, die etwa mit der Bahn anreisen, das Kulturfest am Kohlmarkt nicht erreichen könnten. So wird bei einer stationären Kundgebung am Bahnhof nach der polizeilichen Stellungnahme vom 31. Mai 2011, die auf der Einschätzung der Braunschweiger Verkehrs AG beruht, der Straßenbahnverkehr sowohl über die Nord-Süd-Achse als auch aus westlicher Richtung in die Innenstadt gewährleistet sein und auch der städtische Linienbusverkehr größtenteils aufrecht erhalten bleiben.

Es bedeutet auch keinen schweren Nachteil für den Antragsteller, dass der Senat dem Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die verhängten Auflagen Vorrang vor seinem Interesse, die Versammlung auf der Alternativroute durchzuführen, eingeräumt hat.

Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass Änderungen der angemeldeten Versammlungsroute desto eher zulässig sind, je schwerwiegender die berechtigten Interessen Dritter sind. In einem solchen Fall ist das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort und Zeitdauer der Veranstaltung eingeschränkt (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2.12.2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris; Beschl. v. 26.1.2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, 1409). Führt die Ausübung des Versammlungsrechts nämlich zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, steht dem Veranstalter kein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 254, 264). Diese haben nach Wegen zu suchen, um die Beeinträchtigung für alle Betroffenen möglichst gering zu halten. Ein geeignetes Mittel kann - wie hier - die Verlegung von Versammlungen in örtlicher Hinsicht und deren zeitliche Beschränkung sein.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Polizeidirektion Braunschweig in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2011 darauf hingewiesen hat, dass für eine Sicherung der Versammlung des Antragstellers als Aufzug auf der Alternativstrecke 7.000 Polizeikräfte notwendig seien, derzeit aber ca. 1.300 Kräfte fehlten. Die verfügbaren Einsatzkräfte seien dagegen ausreichend, um eine stationäre Kundgebung zu sichern. Dafür, dass die Berechnung des erforderlichen Kräfteeinsatzes, die gerade auf den Erfahrungen der Polizei bei dem NPD-Aufzug mit Gegenveranstaltungen am 18. Juni 2005 in der Braunschweiger Innenstadt beruht, fehlerhaft sein könnte, ist nichts ersichtlich.

Der Senat hat bewusst davon abgesehen, dem Antragsteller Vorgaben für die Ausgestaltung der dreistündigen Kundgebung auf dem vorgesehenen Platz am Hauptbahnhof in Braunschweig zu machen, da dies seinem Selbstbestimmungsrecht als Veranstalter unterliegt. Allerdings ist er gehalten, (weitere) von der Antragsgegnerin für erforderlich gehaltene Auflagen bei der Durchführung der Kundgebung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003, a.a.O.). Dem hat der Senat durch eine entsprechende Maßgabe im Beschlusstenor Rechnung getragen. ..."

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... Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung spricht auf der Grundlage des Akteninhalts Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der vollständigen Untersagung der vom Antragsteller für den Bereich "B. Markt" angemeldeten Versammlung. Sie trägt dem Versammlungsgrundrecht des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG selbst dann nicht hinreichend Rechnung, wenn man das in Rede stehende Verbot einer Versammlung im Bereich "B. Markt" mit Blick auf die dem Antragsteller an anderen Stellen der L1. Innenstadt gestatteten weiteren Versammlungen mit dem Verwaltungsgericht lediglich als Auflage ansieht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die Behörde unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Sie muss konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu Grunde legen; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.

Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, NVwZ-RR 2010, 625 m. w. N.

Dies entbindet jedoch nicht von einer Prüfung, inwieweit sich aktuell eine andere Ausgangslage darstellt.

Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, 141 = juris, Rn. 13 ff.

Zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters gehört die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt der geplanten Versammlung. Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht durch Rechte Anderer beschränkt sein.

Der Antragsteller legt besonderen Wert darauf, gerade in Hör- und Sichtweite zur zentralen Zwischenkundgebung von "Q. L. /O. " auf dem "I.--markt " eine Versammlung durchzuführen, um zu verhindern, dass die dort vertretenen Positionen unwidersprochen von Dritten wahrgenommen werden. Es ist den Gerichten verwehrt, dieses kommunikative Anliegen inhaltlich zu bewerten.

Vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 93, 110.

Anlässlich der anstehenden Versammlung hat der Antragsteller weder zu gewaltsamen Aktionen aufgerufen noch - im Gegensatz zu früheren Jahren - zur Begehung von Straftaten in der Gestalt der Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung nach § 21 VersammlG. Hiervon geht auch der Antragsgegner aus. Zwar besteht nach Erfahrungen mit ähnlichen Versammlungen in der Vergangenheit und den hieran anknüpfenden aktuellen Versammlungsaufrufen des Antragstellers durchaus Anlass zur Sorge, Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers könnten erneut den Versuch unternehmen wollen, die von der Bürgerbewegung "Q. L. /O. " angemeldete Versammlung durch Blockadeaktionen unmöglich zu machen. Dies allein rechtfertigt jedoch die in Rede stehende Beschränkung des Antragstellers in seinem Versammlungsrecht nicht.

Zum einen bestehen anders als in früheren Jahren wegen eines abweichenden Auftretens des Antragstellers und wegen eines geänderten Aufzugsverlaufs von "Q. L. /O. " in diesem Jahr keine konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, Teilnehmer dieses Aufzugs könnten durch Gegendemonstranten auf dem Platz "B. Markt" am Zugang zum "I.--markt " gehindert werden. Denn der Zugang erfolgt vom E. Bahnhof aus und wird durch die Polizei gesichert. Zum anderen entfällt der Schutz des Art. 8 GG nicht wegen Unfriedlichkeit der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung. Unfriedlich ist eine Versammlung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.

Vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 93, 105 f. m. w. N.

Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit der Entfaltungsfreiheit oder anderen Grundrechten und sonstigen Rechtspositionen Dritter, hat die Polizei mit den ihr verfügbaren Mitteln für eine wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel größtmöglichen Schutzes beider Sorge zu tragen. Der Antragsgegner hat mit Blick auf die besondere Bedeutung gerade des Platzes "B. Markt" für das kommunikative Anliegen des Antragstellers keine hinreichend gewichtigen Gesichtspunkte vorgetragen, wonach der Schutz des kollidierenden Versammlungsrechts der Veranstalter von "Q. L. /O. " ein vollständiges Verbot einer Gegendemonstration des Antragstellers gerade in diesem Bereich erfordert. Er hat nicht nachvollziehbar geltend gemacht, dass zwischen beiden Versammlungen Übergriffe zu befürchten sein könnten, die durch polizeiliche Einsatzkräfte nicht verhindert werden können. Dass es zur Sicherung des weiteren Aufzugswegs der Versammlung von "Q. L. /O. " vom "I.--markt " aus Richtung "O1.--markt " und "S.-----platz " eines gänzlichen Verbots der Gegenversammlung des Antragstellers auf dem nördlich des "I1.--markts " gelegenen Bereich "B. Markt" bedarf, ist nicht nachvollziehbar. Der Antragsgegner sieht sich offenbar in der Lage, mögliche Blockadeaktionen von gleichfalls nah am Aufzugsweg gelegenen Gegenversammlungen des Antragstellers am Q1. -L2. -Platz sowie an der B1. Straße wirksam zu verhindern. Weshalb dies im Nahbereich des I1.--markts anders sein sollte, ist nach dem Akteninhalt nicht ersichtlich. Sofern es über die angekündigten kommunikativen Proteste des Antragstellers hinaus gleichwohl zu gewaltsamen Übergriffen kommen sollte, ist die Polizei nicht gehindert, spontan hiergegen vorzugehen. Darüber hinaus ist die Versammlungsbehörde auf Grund der Erfahrungen aus der Vergangenheit bereits im Vorfeld der Versammlung befugt, durch Nebenbestimmungen unterhalb der Schwelle einer gänzlichen räumlichen Untersagung für eine hinreichende Trennung der Versammlungen auf dem "I.--markt " (Q. L. /O. ) und auf dem Platz "B. Markt" (Antragsteller) zu sorgen und zu erwartenden Übergriffen durch polizeiliche Einsatzmaßnahmen vorzubeugen. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 06.05.2011 - 5 B 563/11)

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... I. Mit Schreiben vom 01.09.2010 meldete der Antragsteller bei der Antragsgegnerin für Sonntag, den 01.05.2011, Beginn 11.30 Uhr und Ende voraussichtlich ca. 17.30 Uhr, die Durchführung eines Aufzugs unter dem Motto Fremdarbeiterinvasion stoppen!' an. Nach Einschätzung des Antragstellers würden ca. 800 Teilnehmer erwartet. Als Hilfsmittel würden Fahnen in verschiedenen Ausführungen, u.a. schwarz-weiß-rote Fahnen verwendet.

Ebenfalls am 1. Mai findet eine vom Deutschen Gewerkschaftsbund angemeldete Demonstration statt. Außerdem feiern Angehörige verschiedener Kirchengemeinden den weißen Sonntag', den Tag der Erstkommunion.

Nach Anhörung des Antragstellers verbot die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16.03.2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Durchführung der Versammlung sowie jede Ersatzveranstaltung am 1. Mai 2011 in Heilbronn. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot gemäß § 15 Abs. 1 VersG seien gegeben. Es bestehe eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Das Motto und die Beiträge bzw. Angebote auf der Homepage des Veranstalters sowie die in der Versammlung zu erwartenden Äußerungen und Handlungen erfüllten den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und seien daher nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Durch das Mitführen der schwarz-weiß-roten Fahnen bestehe die Gefahr, dass bei der geplanten Veranstaltung das nationalsozialistische Unrechtsregime verharmlost und damit der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt werde. Außerdem werde es aus der Versammlung heraus zu Sachbeschädigungen durch illegale Graffiti kommen. Schließlich verstoße die Durchführung der Versammlung am Weißen Sonntag' gegen die durch Art. 4 Abs. 2 G grundgesetzlich geschützte Religionsausübung.

Der Antragsteller erhob gegen die Verbotsverfügung mit Schreiben vom 28.03.2011 Widerspruch und beantragte mit Schreiben vom 05.04.2011 beim Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart stellte mit Beschluss vom 18.04.2011 - 1 K 1229/11 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen das Versammlungsverbot wieder her.

Hiergegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Sie beantragt, unter entsprechender Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, hilfsweise die Beschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Versammlung und der Aufzug nur auf der im Schriftsatz vom 27.4.2011 im Einzelnen bezeichneten ca. 2,5 km langen Aufzugsstrecke stattfinden darf.

Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. 1. Die statthafte Beschwerde der Antragsgegnerin ist hinsichtlich ihres Hauptantrags zulässig; sie muss jedoch ohne Erfolg bleiben. Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), sind nicht geeignet, die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen, wonach das von der Antragsgegnerin erlassene Versammlungsverbot aller Voraussicht nach rechtswidrig ist und deshalb das Interesse des Antragstellers, die von ihm angemeldete Versammlung durchführen zu können, das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verbotsverfügung überwiegt.

1.1 Die Annahme des Verwaltungsgerichts, hinreichende Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung seien nicht ersichtlich, wird mit der Beschwerdebegründung nicht ernstlich in Frage gestellt.

Das Verwaltungsgericht hat unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür festzustellen vermocht, dass eine strafbare Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit zu besorgen sei.

Wegen Volksverhetzung wird gemäß § 130 Abs. 1 StGB bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06.09.2000 - 1 BvR 1056/95 - NJW 2001, 61 (63); BGHSt 36, 83 (90); Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 130 Rn. 6 m.w.N.).

Wird ein solcher Angriff in dem Gebrauch eines Grundrechts (hier: Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gesehen, bedarf es einer sehr sorgfältigen Begründung, da die Grundrechte insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind (BVerfGE 93, 266 (293); 107, 275 (284)). Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt - in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG - auch rechtsextreme Meinungen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.02.2010 - 1 BvR 369/04 u.a. - NJW 2010, 2193 m.w.N.).

Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr objektiver Sinn, also der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv haben (BVerfGE 93, 266 (295)), zutreffend erfasst worden ist (BVerfGE 94, 1 (9)). Der objektive Sinn wird nicht nur vom Wortlaut der Äußerung, sondern insbesondere dann, wenn die betreffende Formulierung - wie hier - ersichtlich ein Anliegen nur in schlagwortartiger Form zusammenfasst (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2007 - 1 BvR 3041/07 - juris), auch vom Kontext und den Begleitumständen der Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (BVerfGE 93, 266 (295)). Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen andere Auslegungsvarianten, die nicht zu einer strafrechtlichen Sanktion führen würden, mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden können (BVerfGE 85, 1 (13 f.); 93, 266 (295 f.); 94, 1 (9); 114, 339 (349); st. Rspr.).

Der in der Parole Fremdarbeiterinvasion stoppen!' benutzte Begriff Fremdarbeiter' ist zwar durch seinen Gebrauch während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland im Zusammenhang mit erzwungener Arbeit negativ besetzt. Die schlagwortartig zusammengefasste Parole wird jedoch bei der gebotenen objektiven Auslegung nicht mit Zwangsarbeit assoziiert, sondern erfasst in erster Linie die Arbeitskräfte, die aus dem Ausland zur Arbeit in die Bundesrepublik Deutschland kommen wollen, aber auch die bereits in Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer. Der Begriff Invasion' auf dem Plakat hat offensichtlich keine militärische Bedeutung. Er ist aus seinem Kontext, d.h. seiner Verwendung im Meinungskampf des Nationalen und sozialen Aktionsbündnisses 1. Mai', heraus zu verstehen. Ziel des Aktionsbündnisses ist es, den Zuzug ausländischer Arbeitnehmer zu begrenzen, um einen Verdrängungswettbewerb auf dem deutschen Arbeitsmarkt zulasten der deutschen Arbeitnehmer zu verhindern, und die Zahl der bereits hier lebenden ausländischen Arbeitnehmer zu verringern. Die Versammlung steht, wie sich auch aus dem Internetauftritt des Aktionsbündnisses ergibt, im Zusammenhang mit der vollständigen Herstellung der Freizügigkeit für Unionsbürger aus den am 01.05.2004 der EU beigetretenen mittel- und osteuropäischen Staaten.

Die mit der Parole geäußerte Meinung, der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte solle verhindert werden und die Bevölkerungsgruppe der ausländischen Arbeitnehmer möge die Bundesrepublik verlassen und in ihre Heimatländer zurückkehren, mag ein für die Angehörigen dieser Gruppe nicht erwünschtes politisches Ziel des Nationalen und sozialen Aktionsbündnisses 1. Mai' zum Ausdruck bringen; allerdings ist hieraus allein noch nicht erkennbar, dass damit den ausländischen Arbeitnehmern ein ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertigen Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft bestritten und ihre Menschenwürde in Frage gestellt oder gar angegriffen wird. Das alleinige Bestreiten des Aufenthaltsrechts der Ausländer an sich genügt hierfür nicht (Lenckner in Schönke/Schröder, a.a.O. § 130 Rn. 7). Der Volksverhetzungstatbestand ist grundsätzlich restriktiv auszulegen (vgl. BGHSt 32, 310 (313)). Die Strafgerichte gehen bei der vergleichbaren Parole Ausländer raus' nur bei Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde aus (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.11.1994 - 4 Ss 491/94 - NStZ 1995, 136 (137 f.); OLG Brandenburg, Urteil vom 28.11.2001 - 1 Ss 52/02 - NJW 2002, 1440 (1441); KG, Beschluss vom 27.12.2001 - (4) 1 Ss 297/01 (166/01) - juris Rn. 9). Erforderlich ist, dass den angegriffenen Personen ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten abgesprochen und sie als minderwertige Wesen behandelt werden (BGH, Urteil vom 15.03.1994 - 1 StR 179/93 - NStZ 1994, 390). Das Strafgesetzbuch stellt nicht schon ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 07.04.2001 - 1 BvQ 17/01 - NJW 2001, 2072 (2073) und vom 04.02.2010 - 1 BvR 369/04 u.a. - a.a.O.). Weitere Begleitumstände, die einen Angriff auf die Menschenwürde nahelegen, sind den Aufrufen des Aktionsbündnisses auch im Internet nicht zu entnehmen. Die wahren Verursacher der drohenden Fremdarbeiterinvasion aus Osteuropa' werden nach dem Internetauftritt nicht in den osteuropäischen Arbeitskräften gesehen, die Verantwortung wird vielmehr der vom BRD-System gewollten Globalisierung' zugeschrieben; die Kritik richtet sich damit nicht primär gegen die Personengruppe der ausländischen Arbeitskräfte als solche, sondern gegen das vom Aktionsbündnis angeprangerte System.

Auch der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB dürfte nicht erfüllt sein. Die Parole Fremdarbeiterinvasion stoppen!' enthält nach ihrem Wortlaut keine Aufforderung an andere, gegen die genannten Personengruppen bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Ein solcher Bedeutungsgehalt drängt sich auch nicht ohne weiteres auf. Es kann nicht unterstellt werden, dass eine nicht verfassungs- und gesetzmäßige gewaltsame Vertreibung der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer angestrebt wird.

Das Mitführen von schwarz-weiß-roten Fahnen dürfte entgegen der Beschwerde weder den Tatbestand der Volksverhetzung des § 130 Abs. 1 und 3 StGB noch den Straftatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, der die Verwendung von Kennzeichen bestimmter politischer Organisationen unter Strafe stellt, erfüllen. Zur schwarz-weiß-roten Fahne besteht zwar eine Affinität des äußersten rechten Randes des politischen Spektrums; dies macht die schwarz-weiß-rote Fahne aber nicht zum Kennzeichen einer verbotenen nationalsozialistischen Organisation (vgl. Senatsbeschluss vom 15.06.2005 - 1 S 2718/04 -, NJW 2006, 635). Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, die die Antragsgegnerin auch im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert dargelegt hat, ist das Zeigen dieser Fahne auch nicht gemäß § 130 StGB strafbar (Senatsbeschluss vom 15.06.2005, a.a.O.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983 f.).

Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit lassen sich auch nicht auf den Gesichtspunkt stützen, dass es aus der Versammlung heraus zu Sachbeschädigungen durch illegale Graffiti kommen werde. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind insoweit keine konkreten Tatsachen aufgezeigt, aus denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass die für die Organisation und Durchführung der Veranstaltung Verantwortlichen nicht über die erforderliche Bereitschaft und Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen.

Dies gilt ebenso für die von der Antragsgegnerin geltend gemachte Befürchtung, aus der Mitte der Versammlung heraus würden die Gewerkschaften als Handlanger des Kapitals' und Arbeiterverräter' bezeichnet.

Auch für einen - ein Versammlungsverbot rechtfertigenden - Verstoß gegen das Sonn- und Feiertagsgesetz ist nichts ersichtlich. Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FTG sind an den Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen mit Ausnahme des 1. Mai und des 3. Oktober öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzüge und Umzüge, soweit sie geeignet sind, den Gottesdienst unmittelbar zu stören, während des Hauptgottesdienstes verboten. Danach sind öffentliche Versammlungen wie die des Antragstellers und auch die vom Deutschen Gewerkschaftsbund angemeldete Demonstration am 1. Mai grundsätzlich nicht verboten, auch wenn dieser Tag auf den weißen Sonntag' fällt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angenommen, dass die Versammlung auch nicht gegen die durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützte Religionsausübung verstößt. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass durch den erst um 11.30 Uhr an der Kreuzung Schöttlestraße/ Rosenbergstraße vor der Agentur für Arbeit nach einer Auftaktkundgebung beginnenden Aufzug des Antragstellers der bereits um 10.00 Uhr beginnende Festgottesdienst in dem in der Innenstadt gelegenen Deutschordensmünster (Pfarrei St. Peter und Paul) unmittelbar gestört werden könnte. Die angemeldete Aufzugsstrecke des Antragstellers verläuft außerdem, soweit erkennbar - ebenso wenig wie die Aufzugsstrecke des DGB - unmittelbar an der Pfarrei St. Peter und Paul vorbei, so dass sich auch aus der örtlichen Nähe des Kundgebungsortes zur Kirche eine unmittelbare Störung nicht ergeben dürfte.

Im Übrigen scheidet ein Versammlungsverbot aus, solange mildere Mittel nicht ausgeschöpft sind (vgl. BVerfGE 69, 315). Den berechtigten Belangen der Gottesdienstbesucher an einer ungestörten Religionsausübung könnte gegebenenfalls durch geeignete und angemessene, beide Interessen berücksichtigende versammlungsrechtliche Auflagen hinsichtlich der Streckenführung ausreichend Rechnung getragen werden. Dies würde dann aber in gleichem Maße für die Aufzugsstrecke unter der Federführung des DGB gelten, die ebenfalls in die Nähe der Kirche führt.

Soweit die Antragsgegnerin Gewalttaten als Gegenreaktion auf die vorliegende Versammlung befürchtet, müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer richten. Eine Heranziehung der Figur des Zweckveranlassers als Begründung für die Störereigenschaft eines Veranstalters kann allenfalls bei Vorliegen besonderer, über die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung hinausgehender provokativer Begleitumstände in Betracht kommen (BVerfG, Beschluss vom 09.06.2006 - 1 BvR 1429/06 -, BVerfGE 69, 315). Hierfür fehlt es an nachvollziehbaren Anhaltspunkten. Soweit es in der Vergangenheit Ausschreitungen bei rechtsextremistischen Versammlungen gegeben hat, erfolgten sie zumeist erst aus dem Zusammentreffen ihrerseits gewaltbereiter Gegendemonstranten mit den Rechtsextremisten. Einem solchen mit Gewalttätigkeiten verbundenen Zusammentreffen kann die Versammlungsbehörde jedoch regelmäßig durch eine räumliche Trennung der beiden Aufzüge hinreichend Rechnung tragen, wobei eine entsprechende versammlungsrechtliche Auflagenverfügung nicht einseitig zu Lasten eines Veranstalters gehen darf, zumal dann nicht, wenn dieser, wie hier, früher seinen Aufzug angemeldet hat.

1.2 Das Versammlungsverbot lässt sich schließlich nicht auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung stützen.

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 30.04.2002 - 1 S 1050/02 - VBlBW 2002, 383 f.) ist das insoweit einschlägige Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) für die freiheitlich demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend. Es gilt die Vermutung zugunsten freier Rede. Die Bürger sind dabei frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch Rechtsgüter anderer nicht gefährden. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren (vgl. auch BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 24.3.2001, NJW 2001, 2069 (2070)). Auch die Ablehnung eines bestimmten - etwa fremdenfeindlichen - Gedankenguts durch den ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung rechtfertigt für sich allein keine Beschränkung der Grundrechte rechtsextremer Demonstranten (vgl. Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 (261)). Vielmehr lassen das Grundgesetz und die übrige Rechtsordnung ein Verbot von Meinungsäußerungen nur unter ganz engen Voraussetzungen zu.

Allein wegen der inhaltlichen Ausrichtung einer Versammlung kann unterhalb der Strafbarkeitsschwelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG grundsätzlich nicht angenommen werden. Die Meinungsäußerungsfreiheit findet ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, wobei zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind (speziell im Bereich politischer Auseinandersetzungen etwa §§ 86, 86 a StGB , §§ 90 a, b StGB , § 130 StGB ). Diese den Inhalt von Meinungsäußerungen beschränkenden Straftatbestände sind grundsätzlich abschließend und verwehren den Rückgriff auf die in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit nicht die Verwirklichung eines Straftatbestandes droht. Der Gesetzgeber hat durch die enge Fassung der Straftatbestände zum Ausdruck gebracht, im Übrigen keinen Vorrang des Rechtsgüterschutzes gegenüber Meinungsäußerungen anzuerkennen. Deshalb ist § 15 Abs. 1 VersG hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung gegenüber kommunikativen Angriffen insoweit einengend auszulegen, als zur Abwehr entsprechender Rechtsgüterverletzungen besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Daneben kommen zusätzliche, d.h. nicht durch den unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber, sondern lediglich durch die Versammlungsbehörde oder die Verwaltungsgerichte im Einzelfall konkretisierte verfassungsimmanente Grenzen' der Inhalte von Meinungsäußerungen nicht zum Tragen (vgl. zum Ganzen Senatsbeschluss vom 30.04.2002, a.a.O.). Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund lässt sich das Versammlungsverbot, soweit die - strafrechtlich irrelevante - Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts befürchtet wird, nicht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG stützen.

2. Der Hilfsantrag der Antragsgegnerin ist bereits unzulässig. Eine Zurückweisung der Beschwerde mit der Maßgabe, dass die Versammlung und der Aufzug nur auf einer von der Versammlungsbehörde bestimmten Strecke stattfinden darf, sieht die Prozessordnung nicht vor. Herr über den Streitgegenstand ist allein der Antragsteller, der in erster Instanz obsiegt hat.

Der Antragsgegnerin ist es unbenommen, hinsichtlich der Aufzugsstrecke eine versammlungsrechtliche Auflagenverfügung zu erlassen. Sie hat zu entscheiden, ob und welche Auflagen gemäß § 15 VersG erforderlich und unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes des Antragstellers aus Art. 5 und 8 GG angemessen sind. Eine etwaige zeitliche Bedrängnis, die sich für sie hieraus ergibt, ist nicht dem Antragsteller zuzuschreiben. ..." (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.04.2011 - 1 S 1250/11)

***

Soll eine Versammlung wegen des angemeldeten Mottos verboten werden, ist der objektive Sinngehalt des Mottos zu ermitteln. Sind dabei mehrere Auslegungen einer Äußerung denkbar, ist der rechtlichen Bewertung diejenige zugrunde zu legen, die sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bewegt (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 28.04.2011 - 3 M 45/11):

... Die Verbotsverfügung des Antragsgegners kann sich nicht auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 1 VersG stützen. Der Senat kann bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage nicht erkennen, dass durch die angemeldete Versammlung des Antragstellers die öffentliche Sicherheit gestört wird. Eine Störung der öffentlichen Ordnung durch eine Meinungsäußerung kommt von vorneherein nicht in Betracht (vgl. BVerfG 1. Kammer des 1. Senats B.v. 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -, BVerfGK 7, 221 = DVBl. 2006, 368) .

Unter welchen Voraussetzungen eine Versammlung wegen des Inhalts des Mottos, unter das die Versammlung gestellt ist, verboten werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Seine einschlägige Rechtsprechung wird im Beschluss der 1.Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 01.12.2007 (1 BvR 3041/07 -, BVerfGK 13,1) wie folgt zusammengefasst (hier zitiert nach juris Rn. 13-17):

Soweit sich das Verbot einer Versammlung auf den Inhalt von Aussagen bezieht - dies ist bei der Anknüpfung an das Motto der Versammlung und die zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer der Fall -, ist es auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen (vgl. BVerfGK 7, 221 (227)). Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (vgl. BVerfGE 90, 241 (246); 111, 147 (155)).

Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt, soweit sie nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre dient, nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit. Eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen (vgl. BVerfGE 111, 147 (156)).

Bei der Auslegung und Anwendung der insoweit in Betracht gezogenen Strafgesetze - hier des § 130 StGB - haben die Gerichte der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft Rechnung zu tragen. Es gilt hierbei die Vermutung zugunsten freier Rede in öffentlichen Angelegenheiten (vgl. BVerfGE 7, 198 (208); stRspr). Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern (vgl. BVerfGK 2, 1 (5); 7, 221 (227)). Weichenstellend für die Prüfung einer Grundrechtsverletzung ist die Erfassung des Inhalts der betreffenden Äußerung, der unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln ist (vgl. allgemein BVerfGE 93, 266 (295); 114, 339 (348)); im Falle mehrdeutiger Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrundezulegen (vgl. BVerfGE 93, 266 (295 ff.); 94, 1 (9); 114, 339 (349)).

Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen nur in schlagwortartiger Form zusammenfasst. Ein solcher Fall liegt typischerweise bei dem Motto' einer Versammlung vor, das in der Regel nur den Kern eines Anliegens in knappen Worten zum Ausdruck bringen kann. Die Versammlungsfreiheit schützt auch das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2007 - 1 BvR 1423/07 -, NJW 2007, S. 2167 (2168)), so dass auch das Interesse, ein schlagwortartiges Versammlungsmotto zu formulieren, dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Dass ein solches Motto eine Forderung nur pauschal und undifferenziert zum Ausdruck bringt, erlaubt für sich allein nicht die Prognose, auch die Versammlung werde sich undifferenziert mit dem Thema befassen.

Die im vorliegenden Fall die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts tragende Prognose, es seien im Verlauf der Versammlung Äußerungen zu erwarten, die aufgrund ihrer Pauschalität und Undifferenziertheit den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfüllen würden, kann daher nur dann gerechtfertigt sein, wenn sich diese Prognose aus weiteren, dem Veranstalter zuzuordnenden Umständen, insbesondere Aussagen ergibt, bei deren Deutung wiederum die einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe anzulegen sind.'

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht allein wegen rechtsextremistischer Inhalte verliert, es sei denn sie ist strafbar (1. Kammer des 1. Senats B.v. 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -, BVerfGK 7, 221 = DVBl. 2006, 368). Mit anderen Worten: Auf den Schutz der Meinungsfreiheit können sich grundsätzlich auch Rechtsextremisten berufen; allerdings sind auch sie an die Schranken der allgemeinen Gesetze gebunden' (BVerfG 1. Kammer des 1. Senats B.v. 01.06.2006 - 1 BvR 150/03 -, BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050; vgl. auch 1. Kammer des 1. Senats B.v. 04.02.2010 - 1 BvR 369/04, 1 BvR 370/04, 1 BvR 371/04, NJW 2010, 2193).

Gemessen an diesen Vorgaben vermag der Senat anders als das Verwaltungsgericht nicht zu erkennen, dass eine Verwirklichung des Straftatbestandes des § 130 Abs. 1 StGB (in der Fassung des Gesetzes vom 16.03.2011. BGBl. I S. 418) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegt.

In einem ersten Schritt ist der objektive Sinngehalt des Mottos der Veranstaltung zu ermitteln. Dabei sind sowohl der Wortlaut des Mottos als auch der Anlass der Versammlung sowie weitere, dem Veranstalter der Versammlung zuzurechnende Umstände, insbesondere die auf seiner Internetseite verfügbaren und der Versammlung zuzuordnenden Äußerungen in Bild- und Schriftform heranzuziehen.

Das Motto der Versammlung, wie es sich aus der Anmeldung ergibt, lautet Unsere Heimat - unsere Arbeit! Fremdarbeiterinvasion stoppen'. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass es aus zwei aufeinander bezogenen Parolen besteht. Der erste Teil des Wortlautes des Mottos legt einen Zusammenhang zwischen der dort genannten Heimat', mit der Mecklenburg-Vorpommern, jedenfalls aber die Bundesrepublik Deutschland in ihren völkerrechtlich anerkannten Grenzen gemeint sein dürfte, wie sich aus der graphischen Darstellung in dem Versammlungsaufruf ergibt, und den in Deutschland existierenden Arbeitsplätzen nahe. Durch die doppelte Verwendung des Possessivpronomens unsere' wird deutlich gemacht, dass nach Auffassung des Antragstellers Heimat und Arbeitsplätze denjenigen gehören, an die sich der Versammlungsaufruf richtet. Eine Strafbarkeit dieses Teils des Versammlungsmottos ist nicht erkennbar und wird auch von dem Antragsgegner nicht behauptet.

An diesen ersten Teil des Mottos knüpft der zweite Teil an, der da lautet Fremdarbeiterinvasion stoppen'. Aus der Verbindung dieser beiden Teile ergibt sich, dass sie aufeinander bezogen sind. Daraus folgt, dass es nicht ohne triftigen Grund zulässig ist, diesen zweiten Teil ohne den ersten Teil zu verstehen. Dem bloßen Wortlaut nach geht es darum, den vom Antragsteller befürchteten massenhaften Ansturm aus dem Ausland auf die in Mecklenburg-Vorpommern oder in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Arbeitsplätze zu verhindern und so die in Deutschland vorhandenen Arbeitsplätze deutschen Staatsangehörigen vorzubehalten.

Der Senat vermag im Ergebnis nicht der Einschätzung folgen, der Antragsteller wolle mit der Verwendung des Wortes Fremdarbeiterinvasion' nationalsozialistisches Gedankengut transportieren. Die Auslegung dieses Begriffes ist mehrdeutig.

Das gilt zunächst für den Begriff Fremdarbeiter'. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde er für die aus den besetzten Gebieten in das Reichgebiet verschleppten Arbeitskräfte verwendet ( DUDEN Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 2. Aufl. 1993 Band 3), die dort unter schwierigsten und oftmals unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. Er ist aus diesem Grund bis heute im Verständnis weiter Teile der Bevölkerung untrennbar mit dem Zwangsarbeitersystem der Nationalsozialisten verbunden und seine Verwendung kann so verstanden werden, dass damit an diese Zeit erinnert werden soll und die von ihm erfassten Personen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie den Zwangsarbeitern gleichgestellt werden sollen.

Soweit ersichtlich wurde der Begriff aber auch in der Sprachpraxis in der Bundesrepublik Deutschland bis in die Mitte der siebziger Jahre und wird zum Teil noch gegenwärtig in in Deutschland erscheinenden Medien, die der Nähe zum Nationalsozialismus unverdächtig sind wie Die Zeit online', Der Spiegel online' und Die Welt online' in dem Sinne verwendet, dass damit in Deutschland arbeitende Ausländer bezeichnet werden. Damit ist ein Verständnis der Verwendung dieses Begriffes durch den Antragsteller im nationalsozialistischen Sinne auch dann nicht zwingend indiziert, wenn berücksichtigt wird, dass der Antragsteller eine ausländerfeindliche Einstellung vertritt.

Dieses sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bewegende Verständnis des Mottos lässt sich auch in der graphischen Darstellung zum Versammlungsaufruf wiederfinden. Dort ist über den westlichen Teil des Staatsgebietes der Bundesrepublik Deutschland ein STOP-Schild gelegt, das einen Schutz gegen den durch Pfeile mit Ländernamen symbolisierten befürchteten Ansturm ausländischer Arbeitnehmer aus Polen, Tschechien und Ungarn sowie Tunesien, Libyen und Ägypten bieten soll. Die Befürchtung, die der Antragsteller zum Ausdruck bringt, gilt zum einen nicht nur polnischen Arbeitnehmern, zum anderen ergibt sich aus dem Text des Versammlungsaufrufes, dass es um Arbeitnehmer geht, die nach dem ab 01. 05. 2011 geltenden Gemeinschaftsrecht erstmalig in das Bundesgebiet kommen dürfen. Substantielle Anhaltspunkte für ein Verständnis, dass sich die Versammlung auch gegen bereits vor dem 01.05.2011 in Deutschland arbeitende ausländische Arbeitnehmer richtet, bieten die der Anmeldung und die Aufrufe zu der Versammlung nicht.

Auch aus dem Werbefilm im Internet, mit dem zu dieser Versammlung aufgerufen wird, ergibt sich nicht, dass sich das Motto der Versammlung gegen bereits - zum Teil seit Jahrzehnten - in Deutschland lebende ausländische Arbeitnehmer richtet oder wenigstens gegen die aus Polen stammenden unter ihnen. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Arbeitnehmergruppen ergibt sich zwanglos aus dem Anlass der Versammlung, der geänderten Rechtslage im Gemeinschaftsrecht zum 01.05.2011. Bei der Auslegung des Mottos der Versammlung darf der konkrete Anlass, aus dem die Versammlung stattfindet, nicht unbeachtet bleiben. Anderes gilt nur, wenn es sich erkennbar nur um einen vorgeschobenen Anlass handelt, der als Deckmantel für ganz andere Inhalte der Versammlung herhalten muss. Für einen solchen Sachverhalt trägt der Antragsgegner aber nichts vor und auch der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts lässt sich dafür nichts Tragfähiges entnehmen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Antragsteller in anderem Zusammenhang auch Versammlungen und Plakataktionen durchgeführt hat, durch die die bereits jetzt in Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer als solche dargestellt werden, die deutschen Staatsangehörigen Arbeitsplätze wegnehmen, doch können diese früheren Aktivitäten nicht ohne konkreten Anhaltspunkt zur Auslegung des Versammlungsmottos herangezogen werden. An solchen Anhaltspunkten fehlt es bei der hier allein möglichen summarischen Betrachtungsweise.

Der auf der Internet-Seite des Antragstellers zu findende Film, der für die Versammlung werben soll, vermag die Auffassung, es handele sich bei dem Versammlungsmotto eindeutig um eine Anlehnung an einen nationalsozialistischen Sprachgebrauch nicht zu stützen. Selbst wenn zutreffen sollte, dass die beiden dort auftretenden aus dem Ausland nach Deutschland eingereisten Personen ein Schild mit polnischen Worten auf dem Rücken tragen, die ins Deutsche übersetzt polnischer Fremdarbeiter' bedeuten, liegt es eher fern, darin eine Anspielung auf polnische Zwangsarbeiter im Dritten Reich zu sehen. Die entsetzlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Menschen sind allgemein bekannt; eine Anspielung auf diese Lebensbedingungen und die darin zum Ausdruck kommende Ver- und Missachtung durch die im Film dargestellten Personen ist nicht zu erkennen. Es liegt jedenfalls näher, dass der Antragsteller mit diesem Film und die Verwendung des Begriffs Fremdarbeiter' im Versammlungsmotto seine Geringschätzung in Deutschland tätiger ausländischer Arbeitnehmer deutlich machen will.

Auch der Begriff Invasion' ist mehrdeutig. Es handelt sich nicht zwingend um einen militärisch geprägten Begriff. Er wird vielmehr auch in einem nicht-militärischen Zusammenhang gebraucht. Dies ergibt sich aus der vom Antragsgegner herangezogenen Quelle (Wikipedia). Dafür, dass der Antragsteller den Begriff eindeutig in einem militärischen Sinn benutzt, fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten im konkreten Kontext der Aussage. Allein dass dem Begriff der Invasion eine aggressive Komponente innewohnt, weil damit der massenhafte Ansturm von außen gemeint ist, macht ihn nicht zu einem militärischen Begriff. Einen kriegerischen Bezug vermag auch nicht die graphische Darstellung im Versammlungsaufruf im Internet zu vermitteln. Die dort verwendeten Pfeile sind zwar auch in der Darstellung militärischer Invasionen und von Kriegszügen üblich. Doch vermittelt die Gesamtdarstellung mit einem Stoppschild, den Aufschriften auf den Pfeilen, dem Versammlungsmotto und dem dazugehörigen Text keine Assoziation mit einem Feldzug feindlicher Heere. Vielmehr wird dadurch der dem Wort Invasion' innewohnende Aggressionsgehalt graphisch verdeutlicht. Dies ist aber von einem kriegerischen, d.h. mit Waffengewalt und Tod und Zerstörung bringenden Ansturm zu unterscheiden. Die nicht-militärische Verwendung ergibt sich zudem aus dem Zusammenhang mit dem Begriff des Fremdarbeiters im Motto der Versammlung. Im Motto wird aus beiden Worten eine Wortkombination gebildet, die auch als solche zu betrachten ist. Fremdarbeiter sind keine Soldaten. Der Senat sieht allerdings die Aggressivität des Begriffs der Fremdarbeiterinvasion', mit dem Abwehrinstinkte hervorgerufen werden sollen.

Dass mit dem Wort Invasion auch die innerhalb Deutschlands lebenden ausländischen Arbeitnehmer gemeint sind, erschließt sich nicht zwingend. Aus dem konkreten Anlass der Versammlung ergibt sich, dass es naheliegt, dies nicht anzunehmen. Insoweit ist der hier zu entscheidende Einzelfall bereits auf der Ebene des Sachverhaltes anders gelagert als der Fall, der der Entscheidung des Senats vom 19.09.2009 (3 M 155/09 - NordÖR 2010, 116) zugrunde lag.

Sind somit mehrere Auslegungen einer Äußerung denkbar, ist nach der zitierten Rechtsprechung des BVerfG diejenige der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, die sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bewegt.

Der Senat sieht sich auch nicht in der Lage, der Auffassung zu folgen, dass generell bei Veranstaltungen des Antragstellers das Parteiprogramm der NPD zur Auslegung von Versammlungsmottos und zum Nachweis nationalsozialistischer Gesinnung herangezogen werden kann. Dies verbietet die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung der Auslegung auf die konkreten Umstände des Einzelfalles. Dass im hier zu entscheidenden Einzelfall das NPD-Parteiprogramm für die Auslegung des Versammlungsmottos heranzuziehen ist, kann der Senat nicht erkennen.

Bei dem hier entwickelten Verständnis des Versammlungsmottos ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob es den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 StGB erfüllt. Die Vorschrift des § 130 Abs. 1 StGB lautet in der jetzt geltenden Fassung:

(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1.gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2.die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.'

Voraussetzung einer Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB - auf eine andere Norm hat sich der Antragsgegner nicht gestützt, insbesondere nicht auf § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB - ist der Angriff auf die Menschenwürde anderer. Ein solcher Angriff erfolgt durch Beschimpfung, böswillige Verächtlichmachung oder Verleumdung. Der Senat kann offenlassen, ob das Versammlungsmotto den Tatbestand einer böswilligen Verächtlichmachung erfüllt. Denn dadurch muss zugleich die Menschenwürde der Betroffenen angegriffen werden. Dieser Angriff ist ein eigenständiges, den Tatbestand eingrenzendes Tatbestandsmerkmal, das erfüllt ist, wenn der Angriff den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als unterwertig dargestellt oder ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch 28. Auflage 2010 § 130 Rn. 6). Dafür genügt es nicht, wenn zwischen Ausländern und Deutschen differenziert wird; erforderlich ist, dass besonders qualifizierte Beeinträchtigungen vorliegen, die durch ein gesteigertes Maß an Gehässigkeit und Rohheit gekennzeichnet sein müssen, und durch die die Angehörigen der betreffenden Gruppe in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft verletzt werden und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet wird (BGH U.v. 03.04.2008 - 3 StR 394/07, BGHR StGB § 130 Menschenwürde 5).

Im vorliegenden Einzelfall vermag der Senat dem Versammlungsmotto einen solchen Angriff auf die Menschenwürde ausländischer Arbeitnehmer, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen, nicht zu entnehmen. Durch das Versammlungsmotto wird objektiv die Befürchtung des Antragstellers zum Ausdruck gebracht, dass durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus einigen östlichen und nordöstlichen EU-Staaten die Gefahr besteht, dass zahlreiche Angehörige dieser Gruppe nach Deutschland kommen werden und dadurch Arbeitsplätze für deutsche Staatsangehörige verloren gehen. Dass dies mit der drastischen, ausländerfeindlichen Formulierung Fremdarbeiterinvasion' geschieht, lässt noch nicht erkennen, dass damit diesen ausländischen Arbeitnehmern ihr Menschsein abgesprochen wird. Der Senat verkennt nicht, dass sich von einem solchem Versammlungsmotto auch Personen angesprochen fühlen dürften, in deren Weltbild ausländischen Staatsangehörigen anderer EU-Staaten das Menschsein abgesprochen wird, doch ist dies kein Grund, die Meinungsfreiheit des Antragstellers weiter als verfassungsrechtlich geboten einzuschränken.

Der Senat hat des Weiteren, ohne dass dies im erstinstanzlichen Verfahren angesprochen worden ist, geprüft, ob der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Dies ist nach seiner Überzeugung nicht der Fall.

Der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt ein Aufstacheln zum Hass voraus. Dies liegt vor, wenn eine Einwirkung auf Sinne und Leidenschaften erfolgt, die objektiv geeignet und subjektiv dazu bestimmt ist, eine über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen die betreffende Gruppe oder den Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu steigern. Es muss sich um eine Stimmungsmache handeln, die den geistigen Nährboden für die Bereitschaft zu Exzessen gegenüber der betroffenen Bevölkerungsgruppe liefert (Lenckner/Sternberg-Lieben a.a.O. Rn. 5a). Erforderlich ist eine besondere Intensität des Angriffs (BGH U.v. 03.04.2008 - 3 StR 394/07, a.a.O.). An dieser fehlt es vorliegend trotz des erkennbar ausländerfeindlichen Inhalts des Mottos. Die betroffenen Personengruppen werden zwar abfällig bezeichnet, doch ein darüber hinausgehender besonderer Grad an Verachtung wird durch das Motto nicht deutlich.

Entsprechendes gilt für die anderen Tatbestandsalternativen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Der Senat hat die aus dem Tenor ersichtlichen Auflagen für die Durchführung der Versammlung für erforderlich gehalten, um einen ordnungsgemäßen Gang der Versammlung sicherzustellen. Im Einzelnen ist zur Begründung folgendes auszuführen:

Der Senat hat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragsgegners im Erörterungstermin keine rechtlich tragfähigen Gründe erkennen können, aus denen der Beginn der Versammlung an einen anderen Ort als den angemeldeten Platz zu verlegen ist. Insbesondere hat der Antragsgegner keine auf Tatsachen gestützte Prognose vorlegen können, wonach der angemeldete Treffpunkt zu Beginn der Versammlung dazu führt, dass von dort aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer strafbare Handlungen insbesondere gegen die Bewohner des mindestens 100 m entfernten Flüchtlingswohnheims begangen werden und dass die Polizei nicht in der Lage sein wird, die von ihr angenommene Gefahrensituation zu beherrschen. Die vom Antragsgegner befürchteten Gewalttätigkeiten durch so genannte Gegendemonstranten können dem Antragsteller nicht zugerechnet werden und Anhaltspunkte für einen polizeilichen Notstand liegen dem Senat nicht vor.

Hingegen ist der Zeitrahmen der Versammlung zu begrenzen. Nach den Einlassungen des Antragstellers wird der ungehinderte Demonstrationszug etwa drei Stunden dauern. Selbst wenn eventuelle, in GREIFSWALD bereits öffentlich angekündigte und von der Polizei aufzulösende Blockadeaktionen berücksichtigt werden, kann die Versammlung im Zeitraum von 11.00 Uhr bis 20.00 Uhr durchgeführt werden. Mit Blick auf die danach einbrechende Dunkelheit und die dadurch entstehenden Gefahrensituationen ist diese Auflage gerechtfertigt. Im Übrigen wird nach der Erklärung des Antragstellers im Erörterungstermin der Großteil der Versammlungsteilnehmer mit dem Zug anreisen. Der letzte GREIFSWALD in Richtung Süden verlassende Zug geht um 20.37 Uhr am Bahnhof GREIFSWALD Süd ab.

Die weiteren Auflagen sind im Erörterungstermin mit den Beteiligten abgestimmt worden. Der Senat hält sie für sachgerecht und angemessen.

Klarstellend ist weiter auf Folgendes hinzuweisen: Maßgebend für die Frage, ob die Versammlung wegen Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit untersagt werden kann, weil die konkrete Gefahr besteht, dass der Straftatbestand des § 130 Abs. 1 oder 2 StGB verwirklicht wird, ist - wie dargelegt - das Versammlungsmotto einschließlich der näheren weiteren Umstände. Wenn insoweit dieser Tatbestand nicht festgestellt werden kann, bedeutet dies nicht, dass im Rahmen der Versammlung Äußerungen hinzunehmen wären, die die von dem Antragsteller bei der Formulierung des Mottos eingehaltenen Grenzen hin zu einer Verwirklichung des Straftatbestandes des § 130 StGB oder anderer Straftatbestände überschreiten. Sollte eine solche Überschreitung festgestellt werden, müsste über ein versammlungsrechtliches Einschreiten bis hin zu einer Auflösung der Versammlung entschieden werden. ..."

***

Ein Versammlungsausschluss muss bestimmt und unmissverständlich ausgesprochen werden. Er kann nicht konkludent erfolgen und nicht mit nach außen wirkenden Ordnungsverstößen von Versammlungsteilnehmern begründet werden, die inhaltlich mit dem Zweck der Versammlung übereinstimmen. Das in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit steht nicht im Gegensatz zur Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG, sondern stellt eine ergänzende Verstärkung in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung einer Veranstaltung dar. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nicht objektiv, sondern unter Zugrundelegung eines weiten Kunstbegriffs aus der Sicht der "Kunstszene" einschließlich des Künstlers selbst zu bestimmen und erfasst auch politisches Straßentheater. Der Begriff "Theateraufführung" in der Ausnahmevorschrift des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WaffG lässt im Wege verfassungskonformer Auslegung das öffentliche Führen sog. Anscheinswaffen zu, wenn sie nach den Gesamtumständen ersichtlich zweckentfremdet als Hilfsmittel einer szenischen Darstellung verwendet werden (HessVGH, Urtei vom 17.03.2011 - 8 A 1188/10 zu Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 8 GG, § 15 VersG, § 18 VersG, § 12 VersG u.a.).

***

... Der Kläger meldete am 11.12.2001 bei der Beklagten für den 8.6.2002 eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel und einen Aufzug unter dem Motto Ruhm und Ehre den deutschen Wehrmachtsoldaten' für eine erwartete Teilnehmerzahl von 2.000 Personen an.

Mit Bescheid vom 27.5.2001 verfügte die Beklagte zahlreiche Auflagen, gegen die der Kläger teilweise Widerspruch einlegte.

Nach Durchführung der Versammlung hat der Kläger am 27.8.2002 Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben, der das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 24.11.2005 hinsichtlich vier Auflagen (Festlegung des Demonstrationsendes, Mitführen von Seitentransparenten, Redeverbote für zwei Personen, Aufstellen von Toiletten) stattgegeben und die es hinsichtlich der Verbotsauflagen Nr. 6 (Tragen von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischer Kopfbedeckung), Nr. 7 (Mitführen von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen sowie von Fackeln), Nr. 8 (Marschieren in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt), Nr. 12 (sichtbares Tragen bestimmter Embleme oder Tätowierungen, Tragen von Kleidungsstücken mit bestimmten Buchstaben- und Zahlenfolgen) und Nr. 13 (Rufen bestimmter Parolen) im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen hat:

Das Verbot des Tragens von militärischen Kopfbedeckungen, Springerstiefeln und Bomberjacken sei nicht zu beanstanden, da diese Bekleidung, sofern sie durch eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern getragen werde, gegen das in § 3 VersammlG normierte Uniformverbot verstoße. Soweit die Zahl und Art der mitgeführten Fahnen und Plakattafeln beschränkt und Fackeln verboten würden, sei dies im Hinblick auf die konkrete Versammlung rechtmäßig. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, wonach die Begrenzung geboten sei, um keine Erinnerungen an nationalsozialistische Kundgebungen aufkommen zu lassen. Dieser Eindruck könne unabhängig von der Gestaltung der Fahnen durch deren massenweisen Einsatz hervorgerufen werden und sei darüber hinaus geeignet, unbefangene Beobachter zu verängstigen und Gegner der Veranstaltung bis hin zu wechselseitigen Gewalttaten zu provozieren. Ergänzend wird auf die Erinnerung an nationalsozialistische Fackelzüge während des Dritten Reichs' sowie darauf abgestellt, dass die Verwendung von Fackeln vor allem im Hinblick auf das Versammlungsmotto die Assoziation an den Nationalsozialismus hervorgerufen hätte. Damit habe es sich um eine Modalität der Versammlung mit einer erheblichen Provokationswirkung gehandelt, die geeignet gewesen wäre, das friedliche Zusammenleben der Bürger konkret zu beeinträchtigen. Gleiches gelte für das Verbot des Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt. Hierdurch sollten Einschüchterungseffekte durch uniforme Militanz und durch eine sich unmittelbar aufdrängende Assoziation mit Aufmärschen in den dreißiger Jahren verhindert werden. Auch die Untersagung der im Bescheid aufgeführten Parolen ( Ruhm und Ehre der Waffen SS', Wir sind wieder da', Wir kriegen euch', Wir kriegen euch alle' sowie aller Parolen mit der Wortfolge Nationaler Widerstand') sei unter dem Aspekt der Störung der öffentlichen Ordnung rechtmäßig. Der kämpferische und in militärische Begriffe abgleitende Sprachgebrauch lege die die konkrete Befürchtung nahe, dass die Versammlungsteilnehmer versuchen würden, der Veranstaltung ein einschüchterndes Gepräge zu verleihen. Das gemeinsame Skandieren dieser Parolen verfolge die Absicht, eine Überlegenheit des Deutschen Volkes im Sinne einer ausschließlichen Blutsgemeinschaft zu propagieren. Auf diese Weise werde eine militante, aggressive und fremdenfeindlichen Stimmung erzeugt, die die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährde. Jedenfalls die Gesamtheit dieser Parolen erwecke bei deren Verwendung durch die Teilnehmer dieser Versammlung den Eindruck, dass an den Nationalsozialismus in all seinen Erscheinungsformen angeknüpft werde.

Gegen den klageabweisenden Teil des dem Kläger am 13.1.2006 zugestellten Urteils hat der Kläger am 17.1.2006 die durch das Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt:

Das Tragen militärischer Kopfbedeckungen sowie von Bomberjacken und Springerstiefeln verstoße nicht gegen das Uniformverbot der §§ 3, 28 VersammlG. Es könne sich zwar um Uniformteile handeln, zwingend und im Streitfall sei dem aber nicht so. Viele Teilnehmer verfügten über keine anderen Kleidungsstücke. Die Jacken und Stiefel seien zudem der englischen und amerikanischen Militärkleidung, nicht jedoch Uniformen aus der Zeit des Dritten Reiches nachgebildet. Auch fehle die totale Gleichförmigkeit der Kleidung, wie sie für nationalsozialistische Aufmärsche kennzeichnend gewesen sei. Er sei im Übrigen damit verstanden, wenn die Auflage dahin beschränkt würde, dass Bomberjacken mit dem Futter nach außen und Springerstiefel nur unter den Hosenbeinen getragen werden dürften. Die verbotene Anzahl von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen führe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dazu, dass die Versammlung wie ein nationalsozialistischer Aufmarsch aussehen würde. Derartige Aufmärsche hätten sich durch gleichförmige Regie des Hebens und Senkens der hundertfach mitgeführten Hakenkreuzfahnen ausgezeichnet; demonstrationsübliche Plakatpappen seien nicht gezeigt worden. Bei den Versammlungen des Klägers gebe es weder eine einheitliche Regie noch einheitliche Fahnen, sondern ein buntes Fahnenmeer, bestehend aus der Deutschlandfahne, den Fahnen der Bundesländer, schwarzen und sonstigen Fahnen. Die konkrete Versammlung habe aus etwa 2.000 Teilnehmern bestanden. Damit hätten nur 60 Personen eine Fahne oder ein Plakat zeigen dürfen, die große Masse aber nicht. Dafür gebe es keinen sachgerechten Grund, zumal bei anderen Versammlungen, etwa von gewerkschaftlichen Veranstaltern, massenweise Gewerkschaftsfahnen getragen würden. Fackeln seien ebenfalls keine typisch nationalsozialistischen Symbole oder Riten, sondern würde bei allen feierlichen Anlässen oder zu Versammlungen bei (anbrechender) Dunkelheit getragen und versinnbildlichten häufig - und hier auch passend zum Versammlungsmotto - den Tod. Für das Verbot des Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt gebe es keine Rechtsgrundlage. Es erhebe sich die Frage, wie bei einer Demonstration anders als in unter Polizeischutz geformten Blöcken gelaufen werden solle; teilweiser Gleichschritt lasse sich bei 2.000 Personen nicht vermeiden. Zudem sei nochmals zu betonen, dass der Kläger nicht vorhabe, der Versammlung ein militärisches Gepräge zu verleihen, indem er Gleichschritt anordne oder kommandiere. Zu Unrecht sei das Verwaltungsgericht ferner der Auffassung, dass Embleme oder Tätowierungen, die Hass' bedeuteten, wie Totenköpfe und das Wort Hass', oder Buchstabenkombinationen und Zahlenfolgen, sie NS, NSD, NSDA, NSDAP, SS, SA, ACAB, 14, 18 und 88 der Versammlung eine einschüchternde Wirkung verleihen würden. Diese Verbotsauflage sei zudem unbestimmt. Die Zahlenfolgen 88 und 14 seien mehrdeutig. Dass man Hass auf etwas haben könne, z. B. auf Lügen mancher Politiker oder die Verteufelung der eigenen Vorfahren, sei eine Äußerung, die unter die Meinungsfreiheit falle. Auch die verbotenen Parolen hätten keine einschüchternde, militante Wirkung und sprächen nicht die Überlegenheit des deutschen Volkes in Anknüpfung an den Nationalsozialismus aus. Nationaler Widerstand sei etwas Passives und nichts Aktives. Mit dieser Parole werde nur gezeigt, dass die eigenen Anhänger standhaft bleiben sollten, an andere Personen sei diese unter die Meinungsfreiheit fallende Parole nicht gerichtet. Wir sind wieder da' bedeute lediglich, dass trotz zahlreicher Strafverfahren und Verbote der Kläger wiederum demonstriere und sich durch diese Verfahren nicht von seinen Auftritten in der Öffentlichkeit abhalten lasse. Wir kriegen euch alle' sei eine mehrdeutige, ebenfalls von der Meinungsfreiheit geschützte Aussage. Sie könne als Verfolgung gemeint sein, könne aber auch bedeuten, dass die Teilnehmer der Versammlung alle anderen, die noch nicht bei ihrer Versammlung mitmachten, demnächst als Anhänger gewinnen oder kriegen' würden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 24.11.2005 abzuändern und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 27.5.2002 hinsichtlich der Auflagen Nr. 6 (Verbot von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischer Kopfbedeckung), Nr. 7 - Satz 2 (Begrenzung der Anzahl der Fahnen und Plakatpappen auf 30 Stück), Nr. 8 (Marschieren in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt), Nr. I.12 (sichtbares Tragen bestimmter Embleme oder Tätowierungen, Tragen von Kleidungsstücken mit bestimmten Buchstaben- und Zahlenfolgen), Nr. 12 (Verbot von Emblemen und Tätowierungen) und Nr. 13 (Verbot von Parolen) rechtswidrig war. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, seit den neunziger Jahren habe sich die NPD zur Verfolgung einer aktionistischeren Linie bewusst für Skinheads geöffnet und dadurch ihre Struktur und Bedeutung im Freistaat Sachsen ausgebaut. Sie bediene sich des Gewaltbereitschaft signalisierenden Gestus der Skinhead-Bewegung. Das politische Selbstverständnis der NPD drücke sich vor allem durch eine positive Bezugnahme auf die nationalsozialistische Diktatur aus. Das Tragen von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischen Kopfbedeckungen stelle daher eine bewusste Uniformierung dar, die der Versammlung ein paramilitärisches und einschüchternde Gepräge verliehen. Das Tragen von Fahnen oder Plakaten sei zwar an sich unbedenklich, würde hier aber wegen der politischen Wirkung eines Aufmarsches der NPD der Versammlung in ihrer Gesamtheit einen das friedliche Zusammenleben der Bürger bedrohenden Charakter annehmen, da Assoziationen an den Nationalsozialismus geweckt würden, der von einem Klima der geistigen Gleichschaltung geprägt gewesen sei und Meinungen Andersdenkender zum Anlass für Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung genommen habe. Eine Versammlung, von deren Gesamtcharakter die Missachtung der Menschenwürde ausgehe, sei auch bei Beachtung der Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr durch Art. 8 GG geschützt. Zur Rechtmäßigkeit des Verbots von Fackeln werde auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen. In der Gesamtschau der Versammlung, namentlich vor dem Hintergrund, dass sich die NPD für die Überwindung der Bundesrepublik Deutschland einsetze und an deren Stelle eine autoritär geführte Volksgemeinschaft setzen wolle, gehe von einer im einzelnen zulässigen Meinungsäußerung und unbedenklichen Verhaltensweisen, wie Marschieren in Blöcken, ein drohender Charakter für die schutzfähigen Anschauungen über ein friedliches Zusammenleben der Bürger aus. Auch das Verbot, während der Versammlung bestimmte Buchstabenfolgen oder Zahlenreihen zu verwenden, sei im Zusammenhang mit den anderen Begleitumständen geeignet, die von der Versammlung konkret zu erwartenden Verstöße gegen strafrechtliche Normen sowie eine einschüchternde Wirkung und damit einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Schließlich sei auch das Verbot bestimmter Parolen in der Gesamtschau der Auflagen zu betrachten. Das Skandieren der untersagten Parolen, die selbst einen aggressiven, kämpferischen Duktus hätten, verliehe der Versammlung ein militantes Gepräge, das auf die überwiegend friedliche Bevölkerung einschüchternd wirke.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakten des Senats und des Verwaltungsgerichts sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (1 Heftung) Bezug genommen. ...

Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse zutreffend unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht, die Klage aber hinsichtlich eines Teils der im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Auflagen zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Auflagen Nr. 7 (Verbot von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen sowie von Fackeln), Nr. 8 (Verbot des Marschierens in geschlossenen Blöcken, Zügen oder Reihen), Nr. 12, soweit damit das sichtbare Tragen von Emblemen oder Tätowierungen, die Hass' bedeuten sowie das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften verboten wird, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstaben- bzw. Zahlenfolgen wie NS', NSD', NSDA', NSDAP', SS', SA', A.C.A.B', 14', 18', 88' ergeben kann, und Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen Wir sind wieder da' und Nationaler Widerstand' verboten wurde, rechtswidrig waren (1). Hinsichtlich der weiteren noch streitbefangenen Auflagen Nr. 6 (Verbot von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischen Kopfbedeckungen) und Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen Wir kriegen euch' und Wir kriegen euch alle' verboten wurde, hat das Verwaltungsgericht die Klage hingegen zu Recht abgewiesen, da diese rechtmäßig waren (2).

1. Die Klage hat im Hinblick auf die nachfolgend genannten Auflagen Erfolg. Denn diese Auflagen dienten nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen nicht der Abwehr einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung und waren damit nicht von § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage gedeckt. Im Einzelnen:

a) Auflage Nr. 7 (Verbot von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen sowie von Fackeln)

Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Verwendung einer größeren als der zugelassenen Anzahl von Plakatpappen und Fahnen sowie durch das Mitführen von Fackeln war nicht erkennbar und wird von der Beklagten selbst nicht geltend gemacht. Es erschließt sich auch nicht, warum hierdurch die öffentliche Ordnung unmittelbar hätte gefährdet sein können. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung kann beispielsweise bestehen bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird, oder wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken der vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, NVwZ 2008, 671; BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003, NVwZ 2004, 90). Vorliegend hat die zahlenmäßige Begrenzung von Plakatpappen und Fahnen sowie das Verbot des Mitführens von Fackeln nicht der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung gedient, die in diesem Sinne aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgten.

Hinsichtlich der zahlenmäßigen Begrenzung der Plakatpappen folgt dies bereits daraus, dass es an jeglicher Begründung im angefochtenen Bescheid fehlt. Das Mitführen von Plakaten ist eine versammlungstypische Form gemeinsamer Meinungskundgabe, aus der allein nicht jene versammlungsspezifischen Wirkungen abgeleitet werden können, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die öffentliche Ordnung zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Soweit die Beklagte in der Berufungserwiderung vorträgt, bei dem Tragen von Plakaten - sowie auch von Fahnen - gehe es um einzelne je für sich unbedenkliche Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit der Versammlung einen die schutzfähigen Anschauungen über ein friedliches Zusammenleben der Bürger bedrohenden Charakter geben würden, da Assoziationen an den Nationalsozialismus geweckt würden, ergibt sich daraus keine nachvollziehbare Begründung für die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Auffassung, mehr als jeweils 30 Plakate und Fahnen könnten unabhängig von ihrem Inhalt und ihrem nicht verbotenen Charakter Assoziationen zum Nationalsozialismus hervorrufen, ist ohne Bezug auf spezifische mit der Art und Weise der Durchführung der Versammlung verbundene Gefahrenmomente schon im Ansatz nicht verständlich. Einschüchternde, aggressive oder sonst unfriedliche Begleitumstände, die die Gefahrenprognose der Beklagten tragen könnten, wurden insoweit nicht festgestellt. Sie lassen sich jedenfalls nicht allein daraus ableiten, dass es eine rechtsextremistische, aber durch das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärte Partei ist, die eine größere Anzahl von Plakaten und Fahnen mitführen will.

Die Rechtswidrigkeit des Verbots des Mitführens von Fackeln hat der Senat in seinem Urteil vom 4.6.2009 (3 B 59/06 - als Anlage für die Beklagte beigefügt) eingehend und im Wesentlichen damit begründet, dass ihnen ein spezifisch nationalsozialistischer Symbolgehalt nicht zugeordnet werden kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf vollumfänglich Bezug genommen. Auch soweit das Verwaltungsgericht ergänzend auf das Motto der Versammlung ( Ruhm und Ehre den deutschen Wehrmachtsoldaten') abgestellt hat, ist eine abweichende Beurteilung nicht gerechtfertigt. Denn der Kläger verstand die Fackel als ein Sinnbild des Todes und wünschte ihren Einsatz mit Bezug auf das Motto zum Gedenken an die Wehrmachtsoldaten, namentlich den im Krieg Gefallenen. Darin kann kein Ritus oder Symbol der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gesehen werden.

b) Rechtswidrig war auch die Auflage Nr. 8 (Verbot des Marschierens in geschlossenen Blöcken, Zügen oder Reihen). Zur Begründung wird in vollem Umfang auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 13.7.2009 (3 B 137/06) verwiesen. Die Berufungserwiderung der Beklagten gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.

c) Die Auflage Nr. 12, mit der - soweit angegriffen - das sichtbare Tragen von Emblemen oder Tätowierungen, die Hass' bedeuten (wie z. B.: Bilder von Totenköpfen, Schriftzug Hass usw.) sowie das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften verboten wird, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstaben- bzw. Zahlenfolgen wie NS', NSD', NSDA', NSDAP', SS', SA', A.C.A.B', 14', 18', 88' ergeben kann, ist ebenfalls nicht von der Rechtsgrundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG gedeckt.

aa) Was Embleme oder Tätowierungen mit der Bedeutung Hass' anbetrifft, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Kläger die Auflage Nr. 12 nicht angegriffen hat, soweit dadurch das sichtbare Tragen von Emblemen oder Tätowierungen untersagt wurde, die in Verbindung mit dem Nationalsozialismus stehen'. Da dieser erste Teil der Auflage bereits die gegen § 86a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB verstoßende Verwendung des Totenkopfs erfasst, der das Emblem der Waffen-SS auf der Schirmmütze darstellt oder ihm zum Verwechseln ähnlich ist, ist der allein angegriffene weitere Teil der Auflage dahin zu verstehen, dass mit ihm das sichtbare Tragen aller anderen Totenkopfembleme verboten werden soll. Soweit damit der Totenkopf als Kennzeichen einer unanfechtbar verbotenen Vereinigung, etwa der verbotenen Hells Angels Vereine in Hamburg oder Düsseldorf, erfasst wird, kommt eine versammlungsrechtliche Auflage, die seine Verwendung untersagt, grundsätzlich zur Abwehr einer Verletzung der öffentlichen Sicherheit in Form des Verstoßes gegen § 86a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB in Betracht. Vorliegend fehlt es aber an der weiteren Voraussetzung des § 15 Abs. 1 VersammlG, dass konkrete Anhaltspunkte für eine derartige Gefahrenlage sprachen. Der angefochtene Bescheid enthält hierzu ebenso wenig eine Begründung wie die Berufungserwiderung. Feststellungen zu konkreten Umständen, die die Annahme nahelegten, dass Versammlungsteilnehmer die Absicht hatten, die Kennzeichen verbotener Vereinigungen oder ihnen zum Verwechseln ähnelnde Embleme zu tragen, wurden nicht getroffen. Soweit die Verwendung anderer Totenkopf- und Hasszeichen untersagt werden sollten, ist unterhalb der Schwelle eines Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Insbesondere dann, wenn die Versammlungsteilnehmer beabsichtigt hätten, durch das massenhaft sichtbare Tragen dieser Zeichen aggressiv und provokativ aufzutreten, die Bürger einzuschüchtern oder Gewaltbereitschaft zu erzeugen, wäre eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung anzunehmen. Tragen Teilnehmer einer größeren Versammlung derartige Zeichen dagegen nur vereinzelt oder als Ausdruck diffusen Hasses, ohne damit ein Klima der Gewaltdemonstration signalisieren zu wollen, so dürfte eine die öffentliche Ordnung gefährdende einschüchternde Wirkung auf Unbeteiligte eher nicht zu gewärtigen sein. Konkrete Umstände, die ersteres erkennen ließen, waren jedoch im Zeitpunkt der Erteilung der Auflage weder festgestellt noch erkennbar.

bb) Zur Rechtswidrigkeit des Verbots des Tragens von Bekleidungsstücken mit den Zahlenfolgen 14, 18 oder 88 hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Berufungserwiderung der Beklagten an seiner im Urteil vom 13.7.2009 (3 B 137/06) begründeten Auffassung fest, dass die Verwendung dieser Zahlencodes weder zum Schutz der öffentlichen Sicherheit noch zum Schutz der öffentlichen Ordnung nach § 15 Abs. 1 VersammlG untersagt werden konnte. Namentlich erfüllen diese Zahlenfolgen weder einen Straftatbestand nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 2 StGB, noch ist ihr Tragen auf Kleidungsstücken geeignet, die öffentliche Ordnung zu verletzen, da dies voraussetzen würde, dass derartige Zeichen von einer breiteren Öffentlichkeit überhaupt dem Nationalsozialismus zugeordnet werden, was nicht der Fall ist.

cc) Auch das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstabenfolgen wie NS', NSD', NSDA', NSDAP', SS', SA' und A.C.A.B. ergeben kann, durfte nicht auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützt werden. In dieser Fassung ist die Auflage kein angemessenes Mittel, um der Gefahr der Verwirklichung von Straftatbeständen vorzubeugen. Allerdings erfüllt das sichtbare Tragen nationalsozialistischer Kennzeichen in einer Versammlung den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ebenso ist das sichtbare Tragen der Abkürzung A.C.A.B. als Beleidigung (§ 185 StGB) strafbar, wenn sie für die Parole all cops are bastards' verwendet wird und damit speziell ein oder mehrere der die Versammlung sichernden Polizeibeamten der verunglimpften Personengruppe zugeordnet werden sollen (vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.6.2008, NStZ-RR 2009, 50). Die Auflage verbietet jedoch weder das Tragen von Bekleidungsstücken mit derartigen isolierten Aufschriften noch das durch teilweises Überdecken anderer Aufschriften erfolgende Offenlegen der verbotenen bzw. strafbaren Abkürzungen. Vielmehr untersagt sie ein ohne dieses weitere Zutun erlaubtes Verhalten (vgl. zur fehlenden Strafbarkeit etwa des Tragens von Bekleidungsstücken der Marke CONSDAPLE: OLG Hamm, Beschl. v. 8.10.2003, NStZ-RR 2004, 12). Soweit - was offen bleiben kann - genügende Anhaltspunkte dafür bestanden, dass eine erhebliche Anzahl von Teilnehmern der Versammlung Bekleidungsstücke in der beschriebenen Art tragen wollten, mag die Untersagung schon des Tragens ein geeignetes und besonders effektives Mittel zur Vorbeugung von Straftaten gewesen sein. Im Interesse derjenigen Versammlungsteilnehmer, die eine strafbare Verwendung derartiger Bekleidungstücke nicht beabsichtigten, hätte die Beklagte das Verbot aber auf die die Strafbarkeit erst auslösende Handlung des Überdeckens beschränken müssen.

d) Schließlich war die Auflage Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen Wir sind wieder da' und Nationaler Widerstand' verboten wurde, rechtswidrig. Bei beiden Parolen handelt es sich um Meinungsäußerungen, deren Inhalt nicht im Rahmen von Art. 5 GG unterbunden und mit dem daher eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit nicht gerechtfertigt werden kann (vgl. zur Parole Nationaler Widerstand': BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Im Ansatz zutreffend hat daher das Verwaltungsgericht die in § 15 Abs. 1 VersammlG vorausgesetzte Gefahr für die öffentliche Ordnung nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung abzuleiten gesucht. Es hat jedoch zu Unrecht hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Gefahrenlage bejaht. Das Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische Ausdrucksform und gestattet es für sich genommen nicht, auf jene versammlungsspezifischen Wirkungen zu schließen, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die öffentliche Ordnung zu rechtfertigen. Soweit die Beklagte annimmt, dass die untersagten Parolen selbst einen aggressiven, kämpferischen Duktus hätten und ihr Skandieren der Versammlung ein militantes Gepräge verliehe, das auf die überwiegend friedliche Bevölkerung einschüchternd wirke, folgt dem der Senat für die Parolen Wir kriegen euch' und Wir kriegen euch alle' (siehe nachfolgend unter 2.b), nicht aber für die Parolen Wir sind wieder da' und Nationaler Widerstand'.

Die Auffassung der Beklagten und ihr folgend des Verwaltungsgerichts, die Parole Nationaler Widerstand' sei gerechtfertigt, weil das rechtsextreme politische Spektrum in der Vergangenheit hierunter die Überlegenheit des deutschen Volkes als eine Art ausschließlicher Blutsgemeinschaft propagiert habe, stellt auf den Inhalt der Aussage ab. Eine nachvollziehbare Begründung für die weitere Annahme, dass durch das Skandieren eine besonders militante, aggressive und fremdenfeindliche Stimmung erzeugt werde, fehlt. Wenn die Parole bei vergleichbaren Veranstaltungen laut skandiert worden ist, hätte die Prüfung nahe gelegen, ob und warum Gefahren seinerzeit eingetreten waren und ob die jetzige Prognose damit auf hinreichende Tatsachen gegründet ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.).

Die Parole Wir sind wieder da!' soll nach dem angegriffenen Bescheid eine der Losungen der 1972 in den USA gegründeten NSDAP/AO sein, deren Ziel es sei, die Wiederzulassung der NSDAP in der Bundesrepublik Deutschland zu verfolgen. Nach dem Verständnis des Klägers soll die Parole lediglich bedeuten, dass er trotz zahlreicher Strafverfahren und Verbote wiederum demonstriere und sich durch diese Verfahren nicht von seinen Auftritten in der Öffentlichkeit abhalten lasse. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass die Parole in dieser inhaltlichen Bedeutung nicht untersagt werden kann. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch das Skandieren der Parole mit der von der Beklagten angenommenen Bedeutung kann ebenfalls nicht angenommen werden. Die Annahme scheitert - ebenso wie bei der Verwendung der untersagten Zahlenfolgen (s. o. unter c)bb) - daran, dass diese Bedeutung der Parole in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist und schon gar nicht dem Nationalsozialismus zugeordnet wird.

2. Die Klage hat im Hinblick auf folgende Auflagen keinen Erfolg:

a) Die Auflage Nr. 6 (Verbot von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischen Kopfbedeckungen) war rechtmäßig. Das Tragen dieser Kleidungsstücke verstößt gegen das in § 3 Abs. 1 VersammlG normierte Uniformverbot. Zur Begründung wird vollumfänglich auf das Senatsurteil vom 4.6.2009 (3 B 59/06 - zu Bomberjacken und Springerstiefeln) verwiesen. Für militärische Kopfbedeckungen gilt Entsprechendes.

b) Die Auflage Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen Wir kriegen euch' und Wir kriegen euch alle' untersagt wird, war ebenfalls rechtmäßig. Entgegen den Ausführungen des Klägers ist diese Parole bei lebensnahem Verständnis nicht mehrdeutig. Das Brüllen dieser Parolen wirkt offensichtlich aggressiv und einschüchternd; es schürt ein Klima der Gewaltbereitschaft und wird von Unbeteiligten mitnichten als Ausdruck der Hoffnung der Skandierenden verstanden, sie als künftige Anhänger zu gewinnen. Es konnte folglich zum Schutz der öffentlichen Ordnung untersagt werden. ..." (OVG Sachsen, Urteil vom 28.07.2009 - 3 B 60/06)

***

... Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage zu Unrecht abgewiesen, soweit sie die Nebenbestimmungen der Untersagung des geschlossenen Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen und im Gleichschritt (Nr. I. 8) und des Tragens von Kleidungsstücken mit den Zahlenfolgen 14, 18 und 88 (Nr. I. 11 Satz 2) betrifft, da diese rechtswidrig waren und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit hat (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Im Übrigen hat es die Klage zu Recht abgewiesen.

1. a. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht von der Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage ausgegangen, soweit sie die Auflagen Nrn. I. 8, I. 9, I. 11 und I. 12 - teilweise (Untersagung der Losung Ruhm und Ehre der Waffen-SS') - des Bescheides betrifft. Zutreffend hat es insoweit das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bejaht. Zwar ist dieses Interesse, wie noch vom Verwaltungsgericht angenommen, nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben, nachdem der Kläger am 22.7.2007 öffentlich im Internet mitgeteilt hat, dass er die von ihm vorsorglich gegenüber der Versammlungsbehörde bis 2014 zweimal jährlich angemeldeten Demonstrationen abgesagt habe, und zugleich erklärt hat, dass die 17. Demonstration am 21.7.2007 für ihn persönlich die letzte in Leipzig gewesen sei. Jedoch ist insoweit das Feststellungsinteresse in Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht für die Fortsetzungsfeststellungsklage in versammlungsrechtlichen Verfahren entwickelten Grundsätze gegeben. Dieses ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit im Fall der Durchführung einer Versammlung unter Auflagen dann zu bejahen, wenn durch diese Auflagen die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung wesentlich erschwert wird und die Abweichungen nicht nur bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004, BVerfGE 110, 77, 89 ff.). Dies ist bei den Auflagen Nrn. I. 8 (geschlossenes Marschieren in Blöcken, Zügen und Reihen oder im Gleichschritt), I. 9 (Vorlage der Liedtexte bis eine Stunde vor Versammlungsbeginn), I. 11 (Verbot des Tragens von Kleidungsstücken mit den Zahlen 14, 18 und 88) und - teilweise - I. 12 (Untersagung der Losung Ruhm und Ehre der Waffen - SS') der Fall.

b. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist dagegen unzulässig, soweit sie sich gegen die Auflage Nr. I. 15 (Leinen- und Maulkorbzwang für die mitgeführten Hunde sowie das Verbot des Mitführens bestimmter Hunde) richtet. Insofern, wie ausgeführt, eine Wiederholungsgefahr nach der Erklärung des Klägers vom 22.7.2007 nicht (mehr) angenommen werden kann, setzt das Bestehen des erforderlichen Feststellungsinteresse die wesentliche Erschwerung des kommunikativen Zwecks der Versammlung durch die Auflage voraus. Voraussetzung hierfür wäre gewesen, dass das Mitführen dieser Tiere der gemeinschaftlichen Erörterung und der Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gedient hätte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01 - und 1 BvQ 30/01, NJW 2001, 2459, 2460; BVerwG, Urt. v. 16.5.2007 a. a. O.). Diese Voraussetzung war ersichtlich nicht erfüllt. Das verfügte Verbot des Mitführens von Hunden bestimmter Rassen und der angeordnete Leinen - und Maulkorbzwang für die sonstigen Hunde stand in keinem Zusammenhang mit dem Motto der Versammlung. Dies wird auch vom Kläger, der sich lediglich auf die Unverhältnismäßigkeit der Auflage beruft, nicht behauptet. Ein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG scheidet damit, wie auch das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auflage festgestellt hat (vgl. Beschl. v. 2.10.2002 - 3 K 1535/02 -), von vornherein aus (vgl. BayVGH, Beschl. v. 13.10.2003 - 24 ZB 03.1711 - Rn. 22, zitiert nach juris). Da auch ein Rehabilitierungsinteresse des Klägers nicht erkennbar ist, der allgemeinen Sicherheitsinteressen und dem Tierschutz dienenden Auflage insbesondere kein diskriminierender Charakter zukommt und sie ihn auch nicht in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, fehlt es insoweit an dem für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen Feststellungsinteresse.

2.a. Die Fortsetzungsfeststellungsklage hat Erfolg, soweit der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung Nr. I. 8 (Untersagung des Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen und im Gleichschritt) begehrt, da sie rechtswidrig war.

Durch die Auflage wird in Art. 8 Abs. 1 GG eingegriffen. Der Schutzbereich dieser Grundrechtsnorm ist nicht nur im Fall des Verbots oder der Auflösung der Versammlung berührt, sondern auch, wenn ihr verboten wird, in bestimmter Weise Meinungsinhalte zu artikulieren. Hierdurch wird sie in ihrer, zugleich auch durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Möglichkeit beschränkt, in einer selbst bestimmten Weise an der öffentlichen Meinungsbildung durch gemeinschaftliche Erörterung oder Kundgebung teilzuhaben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, NVwZ 2008, 671, 672). Hierzu gehören auch nonverbale, suggestive Formen der Kommunikation (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.4.1982, MDR 1983, 22). Damit ist auch die Wahl einer bestimmten äußeren Form des Versammlungszugs, wie sie vorliegend Gegenstand der Auflage ist, durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt.

Eingriffe in dieses Grundrecht können nur zum Schutz von Rechtsgütern, die der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG zumindest gleichwertig sind, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315, 352 ff.). Insofern die in der Auflage bezeichneten Formen der Fortbewegungsweise des Demonstrationszuges nicht strafrechtlich oder sonst wie gesetzlich untersagt sind, ist sie nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung zulässig. Die öffentliche Ordnung, d. h. ungeschriebene Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird, scheidet als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots zwar nicht grundsätzlich aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.1.2001, NJW 2001, 1409, 1410). Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung der Versammlung kann beispielsweise bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer bestehen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 a. a. O.). Sie kann ebenfalls betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Aufführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise aufgegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.1.2001 a. a. O. zum 27. Januar als offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus) oder wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003 - 1 BvQ - Rn. 24, zitiert nach juris). Dabei ist jedoch zu beachten, dass den versammlungsrechtlichen Auflagen die Aufgabe zukommt, den gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003 a. a. O. Rn. 29).

Nach diesen Maßstäben war die Auflage des Verbots des geschlossenen Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen und im Gleichschritt zu Unrecht verfügt worden. Der Senat folgt insoweit der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschl. v. 3.5.2002 - 6 TG 1227/02 - ). Keine der o. g. Voraussetzungen für die Annahme einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung war nämlich erfüllt. Insbesondere vermag der Senat nicht zu erkennen, dass durch die von der Auflage erfassten Formen der Fortbewegung die Versammlung eine Außenwirkung mit suggestiv-militanten Effekten in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz hätten auslösen können, die den Erlass einer derartigen Auflage hätten rechtfertigen können. Hiergegen sprachen bereits die konkreten Umstände der Durchführung der Versammlung. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass die vom Kläger angemeldete Versammlung unter einer engen polizeilichen Zugbegleitung (sog. Wanderkessel') erfolgte, was zum einen bereits die Spielräume bei der Wahl der Form des Demonstrationszuges stark eingeschränkt und zudem die äußere Wahrnehmbarkeit und damit auch eine etwaige einschüchternde Wirkung der Versammlung auf Dritte deutlich vermindert hat. Vor dem Hintergrund des bereits in dem Bescheid unter Nr. I. 6 verfügten weitgefassten Uniformverbots, das auch das Tragen von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischer Kopfbedeckung umfasste und so bereits entscheidend der Vermeidung der Auslösung der oben beschriebenen psychologischen Effekte im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 23.4.1982 a. a. O.) bewirkt hat, war der Erlass einer derartigen Auflage nicht noch zusätzlich erforderlich. Der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch besonders provokative Formen des Marschierens, etwa durch Wahrung einer strengen militärischen Marschordnung in dem Demonstrationszug, wofür hier jedoch keine konkreten Anhaltspunkte bestanden haben, kann ggf. durch besondere Auflagen Rechnung getragen werden.

b. Rechtswidrig war auch die in dem Bescheid unter Nr. I. 11 Satz 2 verfügte Auflage, soweit den Versammlungsteilnehmern das Tragen von Bekleidungsstücken mit den Zahlenfolgen 14,18 oder 88 untersagt worden ist.

Der Senat geht dabei aufgrund der Berufungsschrift davon aus, dass diese Auflage jedenfalls im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständlich ist, soweit die Verwendung dieser sog. klandestinen' Zahlencodes, nicht jedoch das ebenfalls untersagte Zeigen bestimmter Buchstabenfolgen betroffen ist.

Die Versammlungsbehörde wie auch das Verwaltungsgericht haben hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Zahlenkombination 18 in der Skinheadszene den ersten und den achten Buchstaben (Adolf Hitler) und die Kombination 88 jeweils den achten Buchstaben des Alphabets (Heil Hitler) kennzeichne. Die Zahl 14 stehe für die die Losung des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane der sog. fourteen words' ( We must secure the existence of our race and a future for white children'). Nach Auffassung der Beklagten hätte das sichtbare Tragen derartiger Kleidungsstücke bei der Demonstration gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Dem Verwaltungsgericht zufolge habe die konkrete Gefahr bestanden, dass die Zahl 14 von den Teilnehmern des Aufzuges als symbolischer Aufruf zur Begehung von Straftaten verstanden worden wäre.

Weder unter dem - vom Verwaltungsgericht angeführten - Gesichtspunkt des Schutzes der öffentlichen Sicherheit noch unter dem der - von der Beklagten als Untersagungsgrund herangezogenen - öffentlichen Ordnung erweist sich dieser Auflagenteil als rechtmäßig.

Entgegen der (wohl) vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung fällt auch das sichtbare Tragen derartiger verschlüsselter Zeichen in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, diese Zeichen seien keine der Kommunikation dienenden Elemente, sondern Symbole, durch die der gewaltsame Abbruch von Kommunikation signalisiert werde, wird dem dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu Grunde liegenden Kommunikationsbegriff nicht gerecht. Unter diesen fällt nämlich auch die Benutzung von verschlüsselten Zeichen, deren Bedeutung sich einer breiteren Öffentlichkeit nicht ohne Weiteres erschließt. War der Schutzbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit damit eröffnet, war ein Verbot des sichtbaren Tragens dieser Zeichen nur bei Vorliegen der in § 15 Abs. 1 VersammlG genannten tatbestandlichen Voraussetzungen zulässig.

Die Voraussetzungen für die ein solches Verbot rechtfertigende unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit waren nicht gegeben. Dieser Begriff umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (vgl. BVerfGE 69, 315, 352). Hiervon konnte die Versammlungsbehörde - bei Berücksichtigung der ohne Weiteres zugänglichen strafgerichtlichen Rechtsprechung - nicht ausgehen. Insbesondere fehlte es an einer Strafbarkeit der Verwendung dieser Zeichen nach § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Sie scheitert bereits daran, dass die Zahlenfolgen 14, 18 und 88 keine Kennzeichen oder Symbole einer nationalsozialistischen Organisation waren. Auch handelt es sich nicht um Kennzeichen, die einem Originalkennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation zum Verwechseln ähnlich' im Sinne von § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB sehen. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn es aus Sicht eines nicht besonders sachkundigen und nicht genau prüfenden Betrachters die typischen Merkmale aufweist, welche das äußere Erscheinungsbild des Kennzeichens einer der in § 86 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen prägen, und dadurch dessen Symbolgehalt vermittelt (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2002, NJW 2002, 3186). Dies ist bei den genannten Zahlenfolgen nicht der Fall (vgl. LG Osnabrück, Urt. v. 21.4.2005 - 10 KLs 46/03 - m. w. N.). Ob eine Strafbarkeit nach der Regelung des § 130 Abs. 4 StGB n. F. gegeben ist, bedarf keiner Feststellung, da diese Strafnorm erst mit Art. 2 des Gesetzes vom 24.3.2005 (BGBl. I S. 969) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist. Soweit das Verwaltungsgericht eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darin erblickt, dass die Verwendung der Zahl 14 von den Teilnehmern des Aufzuges als Aufruf zur Begehung von Straftaten hätte verstanden werden können, vermag der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen. Der Sinn und Zweck der Verwendung derartiger verschlüsselter Zeichen auf der Versammlung bestand ja gerade darin, die Verwirklichung von Straftatbeständen durch Verwendung nicht strafbarer, jedoch im rechtsextremistischen Spektrum beliebter Zeichen bzw. Botschaften zu vermeiden. Ihre Verwendung ist so vielmehr Ausdruck des Willens der Versammlungsteilnehmer, die Verwirklichung von Straftatbeständen zu verhindern. Für die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefährdungsprognose fehlt es so an tragfähigem Prognosematerial.

Ebenso wenig zulässig war eine Untersagung des Tragens von Kleidungsstücken mit diesen Ziffernfolgen zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Es ist nicht erkennbar, dass durch deren sichtbares Tragen die grundlegenden sozialen und ethischen Anschauungen in erheblicher Weise verletzt worden waren. Dies setzt zunächst voraus, dass derartige Zeichen von einer breiteren Öffentlichkeit überhaupt dem historischen Nationalsozialismus zugeordnet werden können. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Die durch die Zahlen 1 und 8 erfolgte verschlüsselte Verweisung auf den ersten und achten Buchstaben des Alphabets war und ist für einen großen Teil der Öffentlichkeit nicht erkennbar. Dies gilt erst Recht für Zahl 14. Den darin enthaltenen Verweis auf die sog. 14 WORDS' des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane sowie deren Bedeutung ist nur Personenkreisen bekannt, die über eine besondere Sachkunde verfügen, weil sie sich entweder intensiv mit dem Rechtsextremismus befassen oder selber der rechtsextremen Szene zugehörig sind. Damit wird eine Untersagung des sichtbaren Tragens dieser Zeichen nur bei Vorliegen besonderer Ausnahmetatbestände möglich sein. Die oben dargelegte verfassungsrechtliche Schwelle, bei deren Überschreiten die Zulässigkeit eines Verbot des Tragens dieser Zahlenfolgen zum Schutz der öffentlichen Ordnung angenommen werden könnte, war bei der hier vergleichsweise geringen kommunikativen Wirkung und Intensität des Tragens dieser Zeichen jedenfalls noch nicht berührt. Gefährdungen der öffentlichen Ordnung durch besonders provokative Formen des Tragens dieser Zahlen, etwa in Übergröße, kann gegebenenfalls durch entsprechende Auflagen Rechnung getragen werden. Die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch das (sichtbare) Tragen von Kleidungsstücken mit diesen Zahlenfolgen in einer öffentlichen Versammlung scheidet damit aus.

c. Zu Recht abgewiesen hat das Verwaltungsgericht die Klage, soweit sie sich gegen die unter Nr. I. 9 verfügte Auflage richtet, wonach die Liedtexte bis eine Stunde vor deren Vortrag einzureichen sind. Diese erweist sich als rechtmäßig. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, welches von der Erforderlichkeit dieser Auflage ausgegangen ist, da seitens des Klägers unstreitig eine namentliche Benennung der Musikbands und Liedermacher bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides nicht erfolgt war. Auch im Berufungsverfahren wurde diese tatsächliche Feststellung des Gerichts nicht bestritten. Bei dieser Sachlage war es der Beklagten nicht möglich, in die erforderliche Prüfung einzutreten, ob eine konkrete Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewärtigen war. Grundsätzlich erforderlich für die Zulässigkeit einer derartigen Auflage ist das Vorliegen einer konkreten Gefährdungslage i. S. v. § 15 Abs. 1 VersammlG (vgl. Beschl. des Senats v. 4.4.2002, SächsVBl. 2002, 216; OVG LSA, Beschl. v. 3.8.2007 - 2 M 236/07 -, zitiert nach juris). Eine solche Gefährdungslage kann zwar grundsätzlich nur angenommen werden, wenn hinsichtlich der jeweiligen Gruppe bzw. des jeweiligen Sängers konkrete Hinweise für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. öffentlichen Ordnung vorliegen. Handelt es sich jedoch bei dem Anmelder der Versammlung bzw. deren Teilnehmern um Personen, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, ist der Anmelder vor dem Hintergrund von bereits bei anderen von Rechtsextremisten angemeldeten Versammlungen in diesem Zusammenhang begangenen Straftaten (vgl. hierzu die Feststellung in OVG LSA a. a. O.) und aufgrund der vor diesem Hintergrund gegenüber der Versammlungsbehörde gesteigerten Kooperationspflicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315, 357) zunächst zur Benennung der auftretenden Musikgruppen und Einzelsänger verpflichtet, um so der Behörde eine Einschätzung der Gefahrenlage zu ermöglichen. Kommt er, wie hier, dieser Verpflichtung nicht nach, verstößt es angesichts des dann für Versammlungsbehörde bestehenden Anlasses zu einer eingehenderen Prüfung der Sachlage nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn sie sich nicht auf die Aufforderung der Benennung der Gruppen und Sänger beschränkt, sondern vom Anmelder auch die Vorlage der Liedtexte binnen angemessener, d. h. noch einhaltbarer Frist vor dem Vortrag der Liedtexte verlangt. Da bei einer solchen Konstellation nicht von vornherein auszuschließen ist, dass auch Gruppen und Liedermacher auftreten werden, die (möglicherweise) volksverhetzende Liedtexte in ihrem Repertoire haben, muss es der Behörde möglich sein, innerhalb kürzester Zeit die Untersagung des Vortrages einzelner Liedtexte zu prüfen, ohne zugleich auf ein Auftrittsverbot zurückgreifen zu müssen. Die Auflage hat so im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip dem Umstand Rechnung getragen, dass - anders als bei einer rechtzeitigen Benennung der Vortragenden durch den Anmelder - keine Zeit mehr für gegebenenfalls erforderliche Nachermittlungen seitens der Versammlungsbehörde bestanden hatte. Da vorliegend für den Kläger noch hinreichend, d. h. nach Erlass des Bescheides noch mehrere Tage Zeit verblieb, der Behörde die Texte vorzulegen, begegnet der (angefochtene) Teil der Auflage keinen Bedenken.

d. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die Klage abgewiesen, soweit sie sich gegen die in dem Bescheid unter Nr. I. 12 Satz 2 verfügte Auflage richtet, wonach das Rufen diverser Parolen, unter anderem der Parole Ruhm und Ehre der Waffen-SS' untersagt worden ist.

Die Klage ist in diesem Punkt bereits unzulässig, soweit sie andere als die sich auf die Waffen-SS beziehende Parolen betrifft. Der Kläger hat diesbezüglich das Feststellungsinteresse nicht dargetan. Dies erfordert, wie festgestellt, im Fall der Durchführung einer Versammlung die Darlegung einer wesentlichen Erschwerung des kommunikativen Anliegens durch die Untersagung der jeweiligen Losung bzw. Wortfolge. Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht Genüge getan. Während er in der Begründung seines Widerspruchs noch ausgeführt hatte, dass sich die Anfechtung der Auflage nur gegen das Verbot der Wortfolge Deutscher Widerstand' (ggf. auch Freier Deutscher Widerstand') sowie die Parole Zionisten - Mörder und Faschisten' richte, enthält die Klageschrift keine konkreten Ausführungen zu den einzelnen Losungen und Wortfolgen. Im Berufungsverfahren wird konkret nur die Untersagung der Parole Ruhm und Ehre der Waffen-SS' in Zusammenhang mit ihrer strafrechtlichen Zulässigkeit erwähnt. Damit ist - von der zuletzt genannten Losung abgesehen - nicht dargetan, durch welche Teile der Auflage die Versammlung sonst noch konkret in ihren kommunikativen Belangen beeinträchtigt worden ist.

Zulässig ist damit die Fortsetzungsfeststellungsklage nur, soweit sie sich gegen die Untersagung der Losung Ruhm und Ehre der Waffen-SS' richtet. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass diese Losung vom Kläger im Widerspruchsverfahren nicht angefochten worden ist. Insofern sich die Auflage noch vor Eintritt ihrer Bestandskraft mit der Durchführung der Versammlung am 3.10.2002 erledigt hatte, war die Klage nicht an die für die Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage vorgesehene Frist des § 74 VwGO gebunden (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.1999, BVerwGE 109, 203, 206). Damit konnte diese Parole noch nachträglich, ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens in die Fortsetzungsfeststellungsklage einbezogen werden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Zwar ist, worauf der Kläger zutreffend hinweist, das Rufen dieser Parole nicht nach § 86 a StGB strafbar. Sie ist weder der Parole der Waffen-SS ( Meine/unsere Ehre heißt Treue') noch derjenigen der Hitlerjugend ( Blut und Ehre') zum Verwechseln ähnlich und erfüllt damit nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB (vgl. BGH, Urt. v. 28.7.2005 - 3 StR 60/05 - Rn. 5ff., zitiert nach juris). Ob das Rufen dieser Parole den mit Art. 2 des Gesetzes vom 24.3.2005 (BGBl. I S. 969) neu geschaffenen Straftatbestand des § 130 Abs. 4 StGB verwirklicht, bedarf keiner Feststellung, da diese Strafnorm seinerzeit noch nicht in Kraft war. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht jedoch ausgeführt, dass die Untersagung deshalb rechtmäßig war, weil sie zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung geboten war. Das Rufen einer derartigen Parole, mit der eine Organisation des nationalsozialistischen Regimes in dieser Form idealisiert und verherrlicht wird, stößt auf allgemeine Empörung und verletzt insbesondere die Angehörigen von Opfern in ihren Gefühlen (vgl. BGH a. a. O. Rn. 6). Da ein Aufzug, in dem eine derartige die Waffen-SS verherrlichende Parole gerufen wird, zugleich den Eindruck einer Identifikation mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erweckt und durch das hiermit verbundene Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003 a. a. O.), war entgegen der Auffassung des Klägers von einer die Auflage rechtfertigenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung auszugehen. ..." (OVG Sachsen, Urteil vom 13.07.2009 - 3 B 137/06)

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Für den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG, mit der eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abgewehrt werden soll, kann vom Veranstalter eine Verwaltungsgebühr erhoben werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.01.2009 - 1 S 1678/07).

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Die Bestimmung in § 1 III FStrG, wonach Bundesautobahnen für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind, schließt eine Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke nicht von vornherein aus. Die Entscheidung, ob und ggf. unter welchen Auflagen ein Autobahnabschnitt für eine Versammlung frei gegeben wird, trifft die Versammlungsbehörde nach § 15 VersammlG nach Beteiligung der ansonsten für die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis bzw. einer Erlaubnis nach § 29 II 1 StVO zuständigen Behörden (VGH Kassel, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08, NJW 2009, 312).

Das anlässlich des Castor-Transports im November 2004 im Wege der Allgemeinverfügung angeordnete präventive Versammlungsverbot ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ohne das zeitlich und räumlich beschränkte Versammlungsverbot wäre es den Einsatzkräften der Polizei und des Bundesgrenzschutzes unter Berücksichtigung der Länge der Transportstrecke, des teilweise schwer überschaubaren Geländes und der zu erwartenden Zahl von mehreren tausend Demonstranten voraussichtlich nicht möglich gewesen, die Durchführung des Castor-Transports ohne erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten (OVG Lüneburg, Urteil vom 29.05.2008 - 11 LC 138/06, DVBl 2008, 987)

Zu den Voraussetzungen einer auf § 15 VersG gestützten Allgemeinverfügung (in Anschluss an OVG Greifswald, Beschluss vom 31.05.2007 - 3 M 53/07 - in diesem Heft S. 290). Eine auf § 15 VersG gestützte Allgemeinverfügung ist nur eingeschränkt anzuwenden, wenn ihre vollumfängliche Anwendung zu einer Grundrechtsverletzung führen würde, weil die Versammlung nach Art und Umfang eine von der der Allgemeinverfügung bereits zugrunde liegenden Rechtsgüterabwägung abweichende Beurteilung erfordert (OVG Greifswald, Beschluss vom 01.06.2007 - 3 M 58/07, NordÖR 2007, 300).

Die im Zusammenhang mit dem G 8 - Gipfel erfolgte Übertragung von Zuständigkeiten auf die Polizeidirektion Rostock nach § 2 a der Landesverordnung über die zuständigen Behörden nach dem Versammlungsgesetz i.d.F. der Verordnung vom 19.01.2007 ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Ein Versammlungsverbot nach § 15 I VersG kann durch Allgemeinverfügung nach § 25 S. 2, 1. Alt. VwVfG M-V erlassen werden, wenn sie auf ein nach objektiven Merkmalen bestimmbares Gesamtgeschehen ergeht und sich an eine Vielzahl von Veranstaltern richtet (hier G 8 - Gipfel). Zur Kollision des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG im Zusammenhang mit einer Staatsveranstaltung (OVG Greifswald, Beschluss vom 31.05.2007 - 3 M 53/07, NordÖR 2007, 290).

Bereits zwei Personen können eine Versammlung im verfassungs- und versammlungsrechtlichen Sinne bilden. Eine stille Mahnwache, bei der politische Plakate mit rechtsgerichtetem Inhalt gezeigt werden, kann nicht allein unter Hinweis auf den Charakter und die Würde des Volkstrauertags verboten werden; dies gilt auch dann, wenn die Mahnwache in der Nähe einer offiziellen Gedenkfeier veranstaltet wird (VGH Mannheim, Urteil vom 25.04.2007 - 1 S 2828/06, VBlBW 2008, 60).

Das Verbot einer rechtsextremen Versammlung zum "Gedenken an Rudolf Heß" in Wunsiedel 2005 war rechtmäßig, da eine Störung des öffentlichen Friedens i.S. des § 130 IV StGB konkret drohte (VGH München, Urteil vom 26.03.2007 - 24 B 06.1894, BayVerwBl 2008, 109).

Im Hinblick auf seine Funktion als Stellvertreter Hitlers ist eine Versammlung zu seinem Gedenken keine Veranstaltung zur Person Rudolf Heß, sondern eine Veranstaltung zumindest zur Billigung der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft. Die Abhaltung der verbotenen Gedenk-Veranstaltung würde auch die Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verletzen. Der Gesetzgeber wollte mit dem Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches die Möglichkeiten konkretisieren, gegen neonazistisch ausgerichtete Versammlungen unter freiem Himmel, insbesondere gegen solche wie die Aufmärsche in Wunsiedel, vorzugehen (VGH München, Beschluss vom 10.08.2006 - 24 CS 06.1965, BayVerwBl 2006, 760).

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Ein Versammlungsverbot kann als Allgemeinverfügung, das sich an eine Vielzahl von Veranstaltern, die es angeht, richtet, kann erlassen werden, wenn ein nach objektiven Merkmalen bestimmbares Gesamtgeschehen gegeben ist, das die Voraussetzungen nach § 15 VersG erfüllt. Es ist nicht unverhältnismäßig zu verhindern, dass Demonstranten in emotionalisierende Nähe eines hochrangigen ausländischen politischen Besuchers, der besonders gefährdet ist, gelangen; der angestrebte besondere Beachtungserfolg einer Demonstration unmittelbar in Sichtweite eines ausländischen Besuchers ist verfassungsrechtlich nicht gewährleistet (im Anschluss an BVerfG vom 10.9.1987 - 1 BvR 1112/87, NJW 1987, 3245; OVG Greifswald, Beschluss vom 12.07.2006 - 3 M 74/06, NordÖR 2006, 451).

Ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Versammlungsverbots kann nicht (mehr) aus einer drohenden Wiederholungsgefahr abgeleitet werden, wenn die zuständige behörde verbindlich erklärt hat, an der dem Verbot zu Grunde liegenden tragenden Argumentation bzw. Rechtsauffassung zukünftig nicht mehr festzuhalten (VGH München, Urteil vom 22.05.2006 - 24 B 05.3099, BayVerwBl 2007, 373).

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Die Erhebung von Gebühren für die Erteilung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes ist grundsätzlich zulässig und verstößt nicht gegen Art. 8 Abs. 1 GG. Der Anmelder einer Versammlung kann für die Erteilung von Auflagen, die er nicht veranlasst hat (hier: Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch eine Gegendemonstration), nicht zu Gebühren herangezogen werden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.05.2006 - 7 A 10017/06.OVG):

... Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem er zu Gebühren für die Erteilung von Auflagen für eine Versammlung herangezogen wird. Am 24. Februar 2005 meldete der Kläger eine Versammlung unter freiem Himmel auf dem Sch.Platz in Z. an. Nach einem Erörterungsgespräch, an dem der Kläger, Vertreter der Beklagten und die Polizei teilnahmen, änderte die Beklagte mit Bescheid vom 4. März 2005 wegen einer zu erwartenden Gegendemonstration den angemeldeten Versammlungsort und erteilte weitere Auflagen. Hierfür wurde eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 100,00 erhoben. Gegen die Auflagen und die Kostenfestsetzung erhob der Kläger am 4. März 2005 Widerspruch. Er sei lediglich bereit, Gebühren in Höhe von 25,00 zu zahlen. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2005). Die Verwaltungsgebühr sei rechtmäßig. Vorfälle bei einer anderen Versammlung in Trier im Dezember 2004 sowie eine angekündigte Gegendemonstration seien Anlass gewesen, die Versammlung und notwendige Auflagen mit der Polizei zu erörtern. Das Gespräch habe eine Stunde gedauert. Auf der Grundlage dieser Besprechung seien die versammlungsrechtlichen Auflagen erlassen worden. Dafür seien weitere 1,5 Stunden erforderlich gewesen. Deshalb rechtfertige bereits der Verwaltungsaufwand die festgesetzte Gebühr.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei zur Zahlung verpflichtet, weil er die Verwaltungstätigkeit veranlasst habe bzw. sie zu seinen Gunsten vorgenommen worden sei. Zwar berühre die Gebührenerhebung den Schutzbereich des Art. 8 des Grundgesetzes - GG -. Die Einschränkungen des Demonstrationsrechts seien aber zulässig. Die Höhe der Gebühren sei nicht geeignet, Bürger von der Teilnahme an Versammlungen abzuschrecken. Der Gebührenregelung komme eine Lenkungsfunktion zu, weil die Veranstalter bzw. Teilnehmer von Demonstrationen zur Einhaltung der im Versammlungsgesetz geregelten Pflichten angehalten würden. Die Gebühr sei ermessensfehlerfrei festgesetzt worden. Die Vorfälle bei der Trierer Versammlung sowie die angekündigte Gegendemonstration hätten Anlass gegeben, Sicherheitsvorkehrungen zu erörtern. Diese seien schriftlich als Auflagen niedergelegt worden, wodurch ein überdurchschnittlicher Zeitaufwand entstanden sei. Eine Existenzvernichtung für den Kläger sei durch die Gebührenerhebung nicht zu befürchten. Er könne die Stundung oder den Erlass der Gebührenforderung beantragen.

Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, der Gebührentatbestand sei insgesamt unwirksam. Die finanzielle Schranke führe dazu, dass er sein Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht mehr ausüben könne. Unabhängig davon wiederholten die Auflagen zum größten Teil die Gesetzeslage; hierfür dürften keine Gebühren erhoben werden. Der Kläger beantragt schriftsätzlich, unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 23. November 2005 den Gebührenbescheid der Beklagten vom 4. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 4. Mai 2005 aufzuheben. Die Beklagte verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hält Gebühren für Auflagen, die vom Veranstalter einer Versammlung veranlasst worden sind, für gerechtfertigt. Die Gebührenerhebung verstoße nicht gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Etwas anderes gelte erst dann, wenn diese geeignet sei, von der Durchführung der Versammlung abzuhalten. Es gebe allerdings keinen Grund, denjenigen, der eine Störung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung verursache, nicht zu den Kosten des damit verbundenen Verwaltungsaufwands heranzuziehen. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. ...

Die Berufung ist zulässig und begründet. Dabei war von dem Antrag auszugehen, den Gebührenbescheid vom 4. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2005 aufzuheben, soweit die Gebühr einen Betrag von 25,00 übersteigt. Dieser Antrag ist sachdienlich. Auf diesen hätte der Senat gemäß § 86 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in einer mündlichen Verhandlung hingewirkt, nachdem der Kläger bereits in seinem Widerspruch zu erkennen gegeben hatte, lediglich zur Zahlung von 25,00 bereit zu sein und der angefochtene Gebührenbescheid insoweit bestandskräftig geworden ist.

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen, weil die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und den Kläger in eigenen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar ist die Rechtsgrundlage des Gebührenbescheides mit höherrangigem Recht vereinbar (1.). Jedoch genügt die Gebührenerhebung im konkreten Fall nicht den gesetzlichen Anforderungen (2.).

Der Gebührenbescheid findet seine Rechtsgrundlage in §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 und 4, 24 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 des Landesgebührengesetzes - LGebG - i.V.m. § 1 der Landesverordnung über die Gebühren der allgemeinen und inneren Verwaltung einschließlich der Polizeiverwaltung (Besonderes Gebührenverzeichnis) vom 11. Dezember 2001 und der laufenden Nr. 5.3 der Anlage hierzu. Die laufende Nr. 5.3 der Anlage zum Besonderen Gebührenverzeichnis bestimmt, dass für die Erteilung von Auflagen für eine Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersammlG - 25,00 bis 150,00 Gebühren erhoben werden.

1. Dieser Gebührentatbestand verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

Dem Verordnungsgeber ist eine Regelung, die den jeweiligen Kostenschuldner mit Gebühren für die Erteilung von Auflagen belastet, von Verfassungs wegen nicht verwehrt. Insbesondere steht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - einer Gebührenerhebung für die Erteilung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG grundsätzlich nicht entgegen. Für eine Kostenpflicht ist nämlich erst dann Raum, wenn die Versammlung zu Recht, das heißt rechtmäßig oder bestandskräftig, beschränkt worden ist. Hierzu wird die zuständige Behörde nach § 15 Abs. 1 VersammlG ermächtigt, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. § 15 Abs. 1 VersammlG stellt sich damit als wirksame Beschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit dar, die Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel ausdrücklich zulässt. Dem vorgesehenen Gebührenrahmen von 25,00 bis 150,00 kommt keine "erdrosselnde", das heißt versammlungsverhindernde Wirkung zu. Die Verwaltungsgebühr fällt nur dann an, wenn im Einzelfall aus Gründen der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung Auflagen erforderlich werden. Damit ermöglicht die Erteilung von Auflagen durch die Versammlungsbehörde im Ergebnis erst die Durchführung der Versammlung. In diesem Zusammenhang lässt der Gebührenrahmen dem Kostengläubiger genügend Raum, um einerseits dem mit der Amtshandlung verbundenen Verwaltungsaufwand, andererseits aber auch der im Lichte der Versammlungsfreiheit zu betrachtenden Bedeutung für den Gebührenschuldner bei der Bemessung der Gebühr Rechnung zu tragen. Unabhängig davon kann im Einzelfall - etwa bei Mittellosigkeit der Veranstalters - nach der Erlassvorschrift des § 19 LGebG (in Verbindung mit den jeweils einschlägigen Bestimmungen des Haushaltsrechts) von einer Gebührenerhebung abgesehen werden.

Entgegen der Auffassung des Klägers entfaltet das Versammlungsgesetz keine Sperrwirkung für eine Gebührenerhebung. Es ist kein Rechtssatz ersichtlich, der das Versammlungsrecht im hier allein in Rede stehenden Bereich der Erteilung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG bei erkennbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung "gebührenfest" machen würde. Dies wird auch durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, nach der das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eine Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen nach den Vorschriften des Straßen- und Wegerechts nicht ausschließt (vgl. BVerwGE 80, 158 und BVerwGE 80, 164).

2. Erfolg hat die Berufung des Klägers allerdings deshalb, weil die Beklagte die Gebühr ermessensfehlerhaft festgesetzt hat. Das folgt aus gebührenrechtlichen Grundsätzen. Der Kläger ist nämlich nicht hinsichtlich jeder der erteilten Auflagen Kostenschuldner. Insoweit liegen in seiner Person die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 LGebG nicht vor. Die Beklage durfte dem Kläger die vorgenommene Amtshandlung nicht in vollem Umfange zurechnen.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 LGebG ist zur Zahlung der Kosten verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlasst oder zu wessen Gunsten sie vorgenommen wird. Dabei gilt eine Amtshandlung als vom Kostenschuldner veranlasst (§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alternative LGebG), wenn sie dessen Pflichtenkreis zuzurechnen ist. Voraussetzung für die Begründung von Gebührenpflichten ist nämlich, dass zwischen der Kosten verursachenden Leistung der Verwaltung und dem Gebührenschuldner eine besondere Beziehung besteht, die es gestattet, die Amtshandlung dem Gebührenschuldner individuell zuzurechnen. In dieser individuellen Zurechenbarkeit liegt die Rechtfertigung dafür, dass die Amtshandlung nicht aus allgemeinen Steuermitteln, sondern ganz oder teilweise zu Lasten des Gebührenschuldners über Sonderlasten finanziert wird (st. Rspr.; vgl. nur BVerwGE 109, 272 [275 f.]). Der Veranstalter einer Versammlung kann danach als Kostenschuldner regelmäßig nur dann herangezogen werden, wenn von ihm selbst oder den Teilnehmern "seiner" Versammlung nach den zur Zeit des Erlasses der Auflagenverfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet wird. Nur in diesem Falle lässt sich die Kosten verursachende Leistung der Verwaltung auch seinem Pflichtenkreis zurechnen. Anderenfalls macht der Veranstalter allein von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch, das gerade nicht geeignet ist, eine gebührenpflichtige Amtshandlung auszulösen.

Die Erteilung versammlungsrechtlicher Auflagen stellt auch keine Amtshandlung zu Gunsten des Veranstalters einer Versammlung dar; dieser ist deshalb nicht Gebührenschuldner im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative LGebG. Das Wesen der Auflage besteht darin, den Rechtskreis des Betroffenen einzuschränken. Auflagen sind als selbständig erzwingbare hoheitliche Anordnungen auf ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen gerichtet. Ein "Mehrwert" für den Adressaten ist mit ihnen nicht verbunden. Das gilt auch unter Berücksichtigung des aus Art. 8 Abs. 1 GG folgenden Grundrechts. Die Auflagen dienen als schonenderes Mittel vor einem regelmäßig als letzte Möglichkeit in Betracht kommenden Versammlungsverbot dazu, die Ausübung der ohnehin grundrechtlich gewährleisteten Versammlungsfreiheit im Einzelfall zu sichern.

Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte bei der Gebührenbemessung jedenfalls teilweise einen Verwaltungsaufwand zu Grunde gelegt, für den der Kläger unter keinem denkbaren Rechtsgrund als Kostenschuldner in Betracht kommt. Das führt zu einer insgesamt fehlerhaften Festsetzung der streitigen Gebühr. Zwar sind die von der Beklagten in ihren Bescheid vom 4. März 2005 aufgenommenen Regelungen durchweg sinnvoll, um den bei der Versammlung tätigen Einsatzkräften Leitlinien an die Hand zu geben und die Versammlungsteilnehmer über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Das gilt nicht nur für die Ergebnisse eines vorangegangenen Kooperationsgesprächs zwischen Veranstalter, Polizei und Versammlungsbehörde, die etwa eine mit Blick auf eine Gegendemonstration gebotene Änderung des Versammlungsortes zum Gegenstand haben. Gleiches ist anzunehmen für bloße Hinweise auf die Rechtslage, die in eine Auflagenverfügung" aufgenommen werden Hiermit können im Einzelfall veranlasste versammlungsrechtliche Entscheidungen erheblich erleichtert werden. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand darf jedoch bei der Gebührenerhebung nicht berücksichtigt werden. So liegt der Fall aber hier.

Die Beklagte hat auf der Grundlage des Ergebnisses des vorangegangenen Erörterungsgespräches den vom Kläger angemeldeten Versammlungsort entgegen seinem Willen verlegt. Den dadurch entstandenen Verwaltungsaufwand, der die meiste Zeit der gesamten Amtshandlung in Anspruch genommen haben dürfte, hat sie als kostenpflichtige Verwaltungshandlung in die Gebührenbemessung einbezogen. Diese Amtshandlung hat der Kläger aber nicht veranlasst. Der von der Anmeldung abweichende Versammlungsort wurde ihm nicht etwa deshalb zugewiesen, weil von der von ihm angemeldeten Versammlung eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu erwarten war. Vielmehr hat die Beklagte in diesem Zusammenhang auf Erkenntnisse abgestellt, nach denen eine - ihrerseits von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte - Gegendemonstration stattfinden sollte. Aufgrund dieser Gegendemonstration befürchtete sie für den Bereich der Innenstadt eine über das normale Maß hinausgehende Gefährdung der Versammlungsteilnehmer und der Bürger.

Darüber hinaus hat die Beklagte ihrer Gebührenbemessung insofern nicht "abrechnungsfähigen" Verwaltungsaufwand zugrunde gelegt, als sie in den Nummern 5, 8 und 9 der Verfügung vom 4. März 2005 mit den Hinweisen auf das Verbot der Verunglimpfung von Personen, das Uniformverbot (vgl. § 3 Abs. 1 VersammlG) sowie das Schutzwaffenverbot (§ 17a VersammlG) zumindest teilweise die geltende Rechtslage lediglich wiedergegeben hat. Dabei handelt es sich nicht um Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG, sodass insofern bereits der Gebührentatbestand nicht erfüllt ist.

Durfte die Beklagte danach den Verwaltungsaufwand für die Auflage betreffend den Versammlungsort und die genannten Hinweise der Bemessung der Gebühr nicht zu Grunde legen, so folgt bereits hieraus die Rechtswidrigkeit des Gebührenbescheides. Einer Überprüfung der übrigen Regelungen auf ihre gebührenrechtliche Erheblichkeit bedurfte es deshalb nicht. ..."

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Die Erhebung von Gebühren für die Erteilung von Auflagen nach § 15 I des Versammlungsgesetzes ist grundsätzlich zulässig und verstößt nicht gegen Art. 8 I GG. Der Anmelder einer Versammlung kann für die Erteilung von Auflagen, die er nicht veranlasst hat (hier: Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch eine Gegendemonstration), nicht zu Gebühren herangezogen werden (OVG Koblenz, Urteil vom 16.05.2006 - 7 A 10017/06, NVwZ 2007, 2369).

Ein vollständiges Versammlungsverbot ist mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig, wenn - wie hier - die von gewaltbereiten Gegendemonstranten zu erwartenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung und andere Auflagen erheblich verringert werden können (OVG Lüneburg, Beschluss vom 05.05.2006 - 11 ME 117/06, NordÖR 2006, 310).

Werden mit schriftlichen Festsetzungen zum Ablauf einer angemeldeten Versammlung / Demonstration nur die Modalitäten im Hinblick auf abstrakte Gefahrentatbestände festgelegt, so handelt es sich nicht um Auflagen" im eigentlichen Sinne, die nach der Gebührenziffer 472 des Kostenverzeichnisses zur Verwaltungskostenordnung des Ministeriums des Innern und für Sport die Erhebung einer Verwaltungsgebühr rechtfertigen können (VGH Kassel, Urteil vom 26.04.2006 - 5 UE 1567/05, NVwZ-RR 2007, 6).

Das Anketten an Bahngleiche ist, solange damit übergeordnete ideelle Ziele verfolgt werden, auch dann auf öffentliche Meinungskundgabe ausgerichtet, wenn es nach den Vorstellungen der Beteiligten primär dem Zweck dienen soll, den über die Gleise geleiteten Transport zu verzögern. Die Grenze der Unfriedlichkeit, bis zu der Art. 8 GG die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe schützt, wird durch das Einlassen von Betonquadern ins Gleisbett nicht verletzt, soweit dies lediglich der Erschwerung der Bergung an die Gleise angeketteter Versammlungsteilnehmer dient und keine nachhaltige Beschädigung des Gleiskörpers bewirkt. Die Entfernungspflicht ist Rechtsfolge der Versammlungsauflösung, die der Versammlung erst ihren verfassungsrechtlichen Schutz nimmt. Erst wenn die Versammlungsteilnehmer ihrer Entfernungspflicht nicht genügen, sind Vollstreckungsmaßnahmen der Polizei zulässig. Ein Ausschluss von der Versammlung liegt erst dann vor, wenn die zuständige Behörde dem einzelnen Versammlungsteilnehmer klar und unmissverständlich zu erkennen gibt, dass er sich nicht mehr auf die Versammlungsfreiheit berufen kann und sich aus der Versammlung zu entfernen hat. Die für das Vorliegen einer Störung nach § 18 III VersG erforderliche schwere Beeinträchtigung des Verlaufs der Versammlung liegt dann nicht vor, wenn das "störende" Verhalten Kern der Versammlung ist und in Übereinstimmung mit dem Zweck der Versammlung steht (OVG Schleswig, Urteil vom 14.02.2006 - 4 LB 10/05, NordÖR 2006, 166).

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Die öffentliche Ordnung i.S.d. § 15 I VersG kann verletzt sein, wenn Rechtsextremisten am 28. 1., also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag des 27. 1., einen Aufzug mit Provokationswirkung durchführen wollen. In einem solchen Fall kommt ein Versammlungsverbot in Betracht, wenn es unter Berücksichtigung des Art. 8 GG zum Schutz elementarer Rechtsgüter angemessen ist und Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen (hier bejaht). Zu den rechtlichen Folgen der Verweigerung eines Kooperationsgespräches durch den Versammlungsveranstalter (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.01.2006 - 11 ME 20/06, NordÖR 2006, 108):

... Mit Schreiben vom 13./16. Januar 2006 meldete der Antragsteller für Sonnabend, den 28. Januar 2006, einen Aufzug mit Kundgebung in Lüneburg unter dem Thema Keine Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen' in der Zeit von 12.00 bis 18.00 Uhr an. Nach Angaben des Antragstellers werden 200 Teilnehmer erwartet. Mit Verfügung vom 19. Januar 2006 verbot die Stadt Lüneburg - Antragsgegnerin - die geplante Versammlung und ordnete die sofortige Vollziehung an. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges wurde am 20. Januar 2006 neu gefasst. Der Antragsteller hat am 19. Januar 2006 Klage erhoben (3 A 23/06). Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2006 abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die von dem Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die auf § 15 Abs. 1 VersG gestützte Verbotsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist und an ihrem Sofortvollzug ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Bei Durchführung der angemeldeten Versammlung wäre die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdet. Der geplante Aufzug mit Kundgebungen würde einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag eine nicht hinnehmbare Provokation der grundlegenden sittlichen, sozialen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung in Deutschland bedeuten. Der Antragsteller, der als bundesweit agierender Rechtsextremist bekannt sei, und seine Anhänger gehörten zum neonazistischen Spektrum. Die Versammlung habe auch einen rechtsextremen Inhalt. Unter dem Slogan Keine Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen' gehe es - gleichsam spezifizierend - um das Motto Weg mit § 130 StGB'. Dies sei von der Antragsgegnerin in der Verbotsverfügung unter Hinweis auf verschiedene Internetseiten im einzelnen belegt worden. § 130 StGB stelle die Volksverhetzung unter Strafe. Durch die Forderung nach Abschaffung dieser Vorschrift solle der Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft der Weg bereitet und so der öffentliche Frieden in der Gesellschaft gefährdet und gestört werden. Dies sei in direktem Anschluss an den 27. Januar als besonderem Feiertag, der der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust diene, nicht hinnehmbar. Des weiteren habe der 28. Januar auch schon einen zeitlichen Bezug zu dem ebenfalls nationalsozialistisch besetzten 30. Januar. Jedenfalls sei eine Ausstrahlung des 27. Januar auf den nächsten Tag mit der Folge, dass Versammlungen von Rechtsextremisten eine die öffentliche Ordnung störende Provokationswirkung hätten, im vorliegenden Fall auch deshalb anzunehmen, weil in Lüneburg am 28. Januar besondere Veranstaltungen stattfänden, die in würdevoller Weise mit dem Holocaust-Gedenktag des 27. Januar verbunden seien. Demgegenüber seien Auflagen hier nicht geeignet, die Gefährdung und Störung der öffentlichen Ordnung auszuschließen oder erheblich zu vermindern. Entscheidend sei, dass der Antragsteller und seine Anhänger als Mitglieder des rechtsextremen Spektrums eine Veranstaltung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag veranstalten wollten. Eine derartige Entscheidung sei vom Selbststimmungsrecht des Veranstalters umfasst, so dass weder die Versammlungsbehörde noch das Gericht ihm die Möglichkeit nehmen könnten, selbst einen anderen Versammlungszeitpunkt auszuwählen.

Diese Begründung des Verwaltungsgerichts macht sich der Senat im wesentlichen zu eigen (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die Einwände des Antragstellers im Beschwerdeverfahren vermögen eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen.

Der Antragsteller begründet seine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses vor allem damit, dass dieser von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (wie etwa Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315, 353; Beschl. v. 1.5.2001, DVBl. 2001, 1134) abweiche. Danach sei eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung regelmäßig kein Grund für ein Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG; vielmehr sei ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit erforderlich. Des weiteren habe sich das Verwaltungsgericht zu Unrecht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - (NJW 2001, 1409, 1410) berufen. Dieser beziehe sich ausschließlich auf den 27. Januar, nicht aber auf den hier streitigen folgenden Tag. Sollte man der Argumentationslinie des Verwaltungsgerichts folgen, hieße das, dass letztlich fast eine ganze Woche im Jahr keine Demonstration von politisch radikal rechts oder rechtsextrem ausgerichteten Personen erfolgen dürfte. Das sei im Lichte der Versammlungsfreiheit nicht hinnehmbar. Ferner werde das vom Verwaltungsgericht bestätigte Versammlungsverbot gerade nicht durch den genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2001 gedeckt. Das Bundesverfassungsgericht habe stattdessen allein eine Auflage, nämlich eine Verschiebung der geplanten Versammlung vom 27. Januar auf den 28. Januar 2001 für zulässig gehalten. Weshalb eine zeitliche Verschiebung der Versammlung als milderes Mittel nicht möglich sein sollte, habe das Verwaltungsgericht nicht begründet. Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, dass sich die Auffassung des Verwaltungsgerichts im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts befindet.

Zwar trifft es zu, dass das Bundesverfassungsgericht eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im allgemeinen nicht als ausreichend ansieht, um eine geplante Versammlung zu verbieten (vgl. etwa BVerfGE 69, 315, 353; Beschl. v. 26.1.2001, a.a.O.). Der Antragsteller übersieht aber, dass das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung im - bereits vom Verwaltungsgericht erwähnten - Senatsbeschluss vom 23. Juni 2004 (NJW 2004, 2814) wie folgt präzisiert hat:

Die öffentliche Ordnung kann auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl 2001, S. 558). Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, S. 90 (91)). In solchen Fällen ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu klären, durch welche Maßnahmen die Gefahr abgewehrt werden kann. Dafür kommen in erster Linie Auflagen in Betracht. Reichen sie zur Gefahrenabwehr nicht aus, kann die Versammlung verboten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 (353)).

Ob das Bundesverfassungsgericht - wie weite Teile des Schrifttums annehmen (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl., § 15 VersG RdNr. 61; Scheidler, BayVBl 2005, 453, 455) - mit dieser Klarstellung zugleich seine bisherige Rechtsprechung relativiert hat, mag dahinstehen. Aus den zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts geht jedenfalls hervor, dass ausnahmsweise auch ein Versammlungsverbot in Betracht kommt, wenn es unter Berücksichtigung des Art. 8 GG zum Schutz elementarer Rechtsgüter angemessen ist und Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt. Die dagegen erhobenen Bedenken des Antragstellers greifen nicht durch.

Der Antragsteller macht geltend, es mangele an einem Nachweis oder wirklich nachvollziehbaren Gründen, dass mit einer Versammlung zum Thema Gegen Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen' eine Abschaffung des kompletten § 130 StGB oder nur eines besonders umstrittenen Teils, wie beispielsweise des seit dem 1. April 2005 geltenden Abs. 4, gemeint sei. Bei der vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zitierten Internetseite www.aaka.linke-seiten.de/reader' handele es sich um eine linksextreme Quelle. Äußerungen auf einer ihm feindlich gegenüberstehenden Internetseite müsse er sich nicht vorhalten lassen. Das Verwaltungsgericht habe insofern seine Amtsermittlungspflicht verletzt, was Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit begründe. Diese Angriffe des Antragstellers gehen ins Leere.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, welcher Zweck mit der geplanten Veranstaltung beabsichtigt ist, auch auf Informationen aus dem Internet zurückgegriffen hat. Die von ihm angeführte Internetseite ist auch verwertbar, weil die darin wiedergegebenen Informationen den Angaben in anderen Internetquellen entsprechen, die dem Antragsteller politisch nahe stehen. Dies hat die Antragsgegnerin im einzelnen in der Verbotsverfügung belegt, worauf das Verwaltungsgericht sich ergänzend bezogen hat. Der Senat hat am 23. Januar 2006 eigene Recherchen im Internet angestellt und dabei folgendes ermittelt:

Auf der Internetseite www.widerstandnord.com' finden sich Links zum Aktionsbüro Norddeutschland'. Unter der Rubrik Aktuelle Infos' wird mit Datum vom 16. Januar 2006 zu einer Demonstration in Lüneburg aufgerufen. Die Überschrift lautet: Am 28. Januar gemeinsam ein Zeichen setzen gegen staatliche Repression - den § 130 kippen!' Der anschließende Text führt u.a. aus:

Die für den 28. Januar geplante und angekündigte Demonstration in Celle bleibt unanfechtbar verboten ...

Es wurde daher umgehend in einer anderen niedersächsischen Stadt für den 28. Januar eine Demonstration gegen staatliche Repression angemeldet, nämlich in Lüneburg! So bleiben die geografische und politische Marschrichtung für diesen Tag voll erhalten.

Alle Kräfte aus Nord- und Mitteldeutschland werden gebeten, für den 28.01. nach Lüneburg zu mobilisieren und zahlreich dort zu erscheinen! Wir wollen an diesem Tag auch in Lüneburg - zeitgleich mit den Demos in Dortmund und Karlsruhe - ein sichtbares Zeichen gegen staatliche Repression setzen!'

Auf der Internetseite www.widerstandnord.com/aktionsbuero/action/demo280106.htm' heißt es in einer Mitteilung vom 22. Januar 2006 unter dem Titel Gegen staatliche Repression - den § 130 kippen':

Die Demonstration in Lüneburg ist eine Kampagnedemo und somit Teil eines größer angelegten Protestes gegen staatliche Repression. Am 28.01. finden zeitgleich auch Protestmärsche in Dortmund und Karlsruhe statt.

Der Protest gegen staatliche Repression ist für den nationalen Widerstand eine grundlegende Angelegenheit. Uns ist bewusst, dass dieses System uns ebenso ablehnt, wie wir dieses System. Denn dieses System ist nicht Deutschland! Die Zustände hierzulande sind für uns unerträglich. Von der gemeinschaftsfeindlichen Ellenbogengesellschaft bis hin zur kulturzerstörenden Massenzuwanderung. Wir stellen uns mit unseren weltanschaulichen Grundsätzen von einer nationalen und sozialistischen Volksgemeinschaft ganz bewusst außerhalb der herrschenden Gesellschaftsordnung. Dass dies unweigerlich eine politische Verfolgung durch staatliche Sicherheitsorgane nach sich zieht, liegt in der Natur der Sache und als politische Freiheitskämpfer nehmen wir das in Kauf. Dennoch halten wir es für angebracht, auch der Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit mit Protesten deutlich zu machen, dass es hierzulande keine wirkliche Meinungsfreiheit gibt, dafür aber eine immer faschistischer werdende Verfolgung Andersdenkender!

Alle norddeutschen Aktivisten des Widerstandes sind aufgerufen, am 28.01. in Lüneburg ein Zeichen gegen Repression und Verfolgung zu setzen!'

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die geplante Demonstration Teil einer Kampagne von rechtsextremistischen Kreisen, in denen der Antragsteller eine maßgebende Rolle spielt, gegen angebliche Repression und Verfolgung' ist, zu der ganz wesentlich die Abschaffung des § 130 StGB gehört. Zumindest geht aus den vorstehend wiedergegebenen Internetaufrufen nicht hervor, dass der Protest sich lediglich gegen die Verschärfung dieser Vorschrift durch Einfügung des Abs. 4 mit Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches vom 24. März 2005 (BGBl I S. 969) richten soll. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die Forderung nach Straffreiheit der Volksverhetzung in besonderer Weise geeignet ist, den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung in Deutschland zu provozieren. Dass die Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 4 StGB noch nicht abschließend geklärt und wissenschaftlich umstritten ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.8.2005, NJW 2005, 3204 = DVBl 2005, 1262), kann selbstverständlich im Rahmen einer Versammlung thematisiert werden. Eine derartige Kritik ist durch die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt. Im vorliegenden Fall darf aber nicht außer Acht bleiben, dass die geplante Demonstration - zeitgleich mit Protestmärschen in Dortmund und Karlsruhe - nur einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag stattfinden soll. Ein derartiger unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang legt aufgrund der besonderen Umstände des Falles die Vermutung nahe, dass der 28. Januar 2006 vom Antragsteller nur aus taktischem Kalkül gewählt worden ist, um einem für den 27. Januar 2006 drohenden Verbot zu entgehen. Die öffentliche Ordnung kann betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 26.1.2001, a.a.O.) speziell für den 27. Januar als Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 angenommen und deshalb eine Entscheidung der zuständigen Versammlungsbehörde in Hamburg bestätigt, mit der eine von dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens angemeldete Demonstration vom 27. Januar 2001 auf den 28. Januar 2001 zeitlich verlegt worden war. Das Bundesverfassungsgericht hat aber bisher nicht dazu Stellung genommen, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn eine rechtsextremistische Demonstration in zeitlicher Nähe zu derartigen Tagen stattfinden soll. Nach Auffassung des Senats ist in solchen Fällen zu prüfen, ob der Zeitpunkt der geplanten Versammlung nur vorgeschoben ist, um in Wirklichkeit das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zu entwürdigen. Von einer derartigen Täuschungsabsicht darf die Versammlungsbehörde jedoch nur ausgehen, wenn hierfür nachvollziehbare Anhaltspunkte bestehen (ebenso Hettich, Versammlungsrecht in der kommunalen Praxis, 2003, RdNr. 146). Das ist hier nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich nur möglichen summarischen Prüfung der Fall.

Der Senat hat bereits dargelegt, dass der Antragsteller und seine Anhänger nach den bislang erkennbaren Umständen mit der geplanten Demonstration auf die Abschaffung des § 130 StGB abzielen, durch den gerade die Verbreitung, Billigung und Verherrlichung des nationalsozialistischen Gedankenguts bekämpft werden soll. Insbesondere durch die Einfügung des Abs. 4 soll die Würde der Opfer des Holocaust und deren Hinterbliebener besser geschützt werden (vgl. dazu etwa Scheidler, BayVBl. 2005, 453, 454, 456). Wenn die Forderung nach Straffreiheit der Volksverhetzung - wie hier - in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag erhoben wird, ist dies ebenfalls geeignet, nicht nur die Ehre der Opfer des Nationalsozialismus zu missachten, sondern das Anstandsgefühl der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu verletzen und damit den öffentlichen Frieden gravierend zu stören. Ob und ggf. wie lange eine solche Ausstrahlung des Holocaust-Gedenktages anzunehmen ist, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Entscheidung. Denn jedenfalls befindet sich der streitige 28. Januar noch in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Holocaust-Gedenktag.

Dass es dem Antragsteller und seinen Anhängern nicht allein um einen Protest gegen den § 130 StGB am 28. Januar 2006 geht, wird auch daran deutlich, dass er während des gesamten Verfahrens nicht dargelegt hat, worin sein besonderes Interesse an der Durchführung der Versammlung gerade an diesem Tag besteht. Wenn - wie den angeführten Internetmitteilungen zu entnehmen ist - die Demonstration in Lüneburg ebenso wie die angekündigten Protestmärsche in Dortmund und Karlsruhe Teil einer größer angelegten Kampagne gegen staatliche Repression und Verfolgung des nationalen Widerstands' sein soll, ist es nicht verständlich, warum diese Versammlungen in vergleichbarer Weise nicht zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden können, zumal es nicht um einen besonders aktuellen und insofern unwiederbringlichen Anlass geht.

Dass der Antragsteller offensichtlich nicht bereit ist, seine wahren Absichten zu offenbaren, kann auch aus seinem Verhalten im Zusammenhang mit dem von der Antragsgegnerin angebotenen Kooperationsgespräch geschlossen werden. Es ist unstreitig, dass der Antragsteller seine Teilnahme davon abhängig gemacht hat, dass das Gespräch auf Band aufgenommen wird. Nachdem die Antragsgegnerin dies abgelehnt hatte, war der Antragsteller zu einem Kooperationsgespräch nicht bereit. Die Ablehnung einer Tonbandaufnahme durch die Versammlungsbehörde ist aber, wie das Bundesverfassungsgericht im Beschl. v. 1. März 2002, NVwZ 2002, 982, festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch wenn das Beharren des Antragstellers darauf, an einem Kooperationsgespräch nur mit der Möglichkeit einer Tonbandaufnahme teilzunehmen, nicht als Beleg seiner Unzuverlässigkeit als Veranstalter angesehen werden kann, da keine Rechtspflicht zur Kooperation besteht, geht die Verweigerung der Kooperation jedoch zu seinen Lasten mit der Folge, dass die Schwelle für behördliches Eingreifen absinkt (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 1.3.2002, a.a.O.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 RdNr. 51 - 54 m.w.Nachw.). Die Verweigerung der Kooperation kann außerdem - zusammen mit anderen Umständen - Rückschlüsse auf die eigentlich bezweckten Intensionen des Veranstalters zulassen (vgl. Thür. OVG, Beschl. v. 12.4.2002 - 3 EO 261/02 -, NVwZ 2002, 208). Dies muss besonders dann gelten, wenn - wie hier - Zweifel über den vom Veranstalter angegebenen Zweck der Versammlung bestehen. Denn vom Veranstalter kann eine wahrheitsgemäße Auskunft über die wesentlichen versammlungsbezogenen Fragen erwartet werden (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 VersG RdNr. 53). Zwar ist es grundsätzlich das Recht des Veranstalters, Thema, Ort und Zeitpunkt der Versammlung selbst zu bestimmen. Kollidiert sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit aber mit anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Insoweit bleibt ihm nur die Möglichkeit, seine Vorstellungen im Zuge einer Kooperation mit der Verwaltungsbehörde einzubringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.1.2001, a.a.O.). Ist er dazu nicht bereit, scheiden seine Angaben als Grundlage für die von der Behörde vorzunehmende Gefahrenprognose aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass der Veranstalter in Wahrheit eine Versammlung plant, die eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedeutet (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 11.4.2002, DVBl. 2002, 970). Die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Antragstellers bestätigt deshalb die aus anderen Anhaltspunkten gewonnene Einschätzung, dass er vorrangig aus taktischen Gründen als Datum für die geplante Demonstration den 28. Januar 2006 gewählt hat. Durch den unmittelbaren zeitlichen Bezug zum vorhergehenden Holocaust-Gedenktag verfolgt er offensichtlich mehrere Zwecke. Einerseits kann er seine Anhänger mobilisieren, öffentliche Aufmerksamkeit erregen und dabei zeitgleich das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus missachten. Andererseits verbindet er damit die Hoffnung, dass ein Verbot nicht ausgesprochen werden wird, weil die Demonstration nicht direkt am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz stattfinden soll. Ein derartiges Verhalten stellt nach Auffassung des Senats einen offensichtlichen Missbrauch des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit dar.

Soweit der Antragsteller rügt, dass das Verwaltungsgericht eine Ausstrahlung des 27. Januar 2006 auf den nächsten Tag auch mit besonderen Veranstaltungen in Lüneburg begründet hat, vermag dies der Beschwerde des Antragstellers ebenso wenig zum Erfolg zu verhelfen. Wie aus einer Aufstellung der Antragsgegnerin hervorgeht, sind für den 28. Januar 2006 insgesamt sechs Informationsstände von SPD, Grünen und DGB auf öffentlichen Plätzen zum Thema 61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz' angemeldet worden, die die Antragsgegnerin nach ihren Angaben im Schriftsatz vom 23. Januar 2006 auch genehmigt hat. Ob diese Informationsstände in den Schutzbereich des Art. 8 GG fallen, was der Antragsteller für fraglich hält, ist unbeachtlich. Jedenfalls ist für die Informationsstände eine wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis erteilt worden. Unabhängig hiervon ist das Thema 61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz' dazu angetan, die Öffentlichkeit anzusprechen und Diskussionen anzuregen, so dass Initiatoren und Besucher auch eine Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes bilden können (vgl. dazu Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 1 RdNr.16; Hettich, a.a.O., RdNr. 52).

Was die vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ebenfalls angeführte Demonstration angeht, so ist dem Antragsteller Recht zu geben, dass diese Demonstration entgegen der Darstellung des Verwaltungsgerichts nicht zum Thema 61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz' angemeldet worden ist. Vielmehr handelt es sich um eine Demonstration des Lüneburger Netzwerk gegen Rechts' mit dem Thema Kein Naziaufmarsch in Lüneburg - gemeinsam gegen Rassismus und Faschismus'. Dieses Versehen des Verwaltungsgerichts fällt aber nicht entscheidend ins Gewicht. Abgesehen davon, dass es sich bei diesem Argument des Verwaltungsgerichts lediglich um eine Hilfserwägung handelt, ist zu beachten, dass in der Zeit vom 24. bis 30. Januar 2006 weitere Veranstaltungen durchgeführt werden, die dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet sind (vgl. die Berichte in der Landeszeitung für die Lüneburger Heide vom 21./22.1.2006, S. 11 und vom 23.1.2006, S. 4). Die Antragsgegnerin hat im Schriftsatz vom 23. Januar dazu mitgeteilt, dass während dieses Zeitraums eine bereits seit längerem geplante Ausstellung mit dem Titel Aus Niedersachsen nach Auschwitz - die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit' stattfindet. Diese Ausstellung wird begleitet von Filmen, Vorträgen und Lesungen sowie am 27. Januar von einem Gedenkgottesdienst. Nach Auffassung des Senats würde es die Öffentlichkeit als erhebliche Provokation empfinden, wenn nur einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag eine Versammlung von Rechtsextremisten stattfinden würde, die - wie im einzelnen ausgeführt - von der Zielsetzung her geeignet ist, die Würde der Opfer des Nationalsozialismus zu verletzen. ..."

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Bei einer Kollision von grundrechtlich geschützten Rechtspositionen (hier: Art. 5 und Art. 8 GG) mehrerer Veranstalter ist es Aufgabe der zuständigen Versammlungsbehörde, diese Grundrechtspositionen in einen gerechten Ausgleich zu bringen (VGH München, Beschluss vom 08.11.2005 - 24 CS 05.2916, BayVerwBl 2006, 185).

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Eine ohne vorherige und mögliche Auflösung der Versammlung (hier: Demonstration gegen den Castor-Transport) erfolgte polizeiliche Ingewahrsamnahme der Versammlungsteilnehmer ist rechtswidrig (OLG Celle, Beschluss vom 07.03.2005 - 22 W 7/05):

... 1. Der Antragsteller war am 13.11.2001 in Hitzacker Teilnehmer eines aus etwa 150 Personen bestehenden Demonstrationszuges, der sich gegen den am selben Tage dort durchgeführten Castor-Transport richtete. Den vom LG getroffenen Feststellungen zufolge war zumindest von einigen Teilnehmern eine Blockade des durch Hitzacker verlaufenden Bahngleises geplant. Das LG hat zum weiteren Ablauf der Demonstration folgenden Sachverhalt festgestellt: Die Personengruppe bewegte sich durch Hitzacker und wurde dort durch Polizeikräfte seitlich begleitet. Vereinzelte Teilnehmer warfen sog. Krähenfüße auf die Fahrbahn, wodurch an einigen Einsatzfahrzeugen der Polizei Reifenschäden verursacht wurden. Als einzelne Mitglieder der Demonstrationsgruppe ihr Gesicht verdeckten, setzten die Einsatzkräfte ihre Helme auf. Die Personengruppe erhöhte das Tempo und begab sich in das anliegende Waldstück. Daraufhin lies der Leiter der "Festnahmeeinheit" die Gruppe in den Wald hinein verfolgen, es wurden ca. 120 Personen eingeschlossen und in Gewahrsam genommen, darunter auch der Antragsteller. Eine Auflösung des Aufzuges erfolgte nicht. Bei der Gewahrsamnahme befand sich die Personengruppe noch ca. 1 km von der Bahnstrecke entfernt. Der Antragsteller wurde gegen Mittag in die Gefangenensammelstelle in Neu Tramm verbracht und am 14.11.2001 gegen 1.00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.

Der vom Antragsteller gegen diese Freiheitsentziehung gerichtete Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme wurde vom AG Dannenberg als unbegründet zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das LG Lüneburg die Entscheidung des AG aufgehoben und festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen rechtswidrig war, weil eine Auflösung der Versammlung nicht erfolgt war. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Polizeidirektion Lüneburg (vormals Bezirksregierung Lüneburg) mit der vom LG nach § 19 Abs. 2 S. 4 NdsGefAG zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde.

2. Die weitere sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG stand. Die Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes. Das LG ist rechtlich beanstandungsfrei zu der Feststellung gelangt, dass die Freiheitsentziehung des Antragstellers rechtswidrig war. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung wird zum Vermeiden von Wiederholungen zunächst Bezug genommen.

Das LG hat bei seiner Entscheidung insb. rechtlich beanstandungsfrei darauf abgestellt, dass die durch Hitzacker ziehende Personengruppe eine durch Art. 8 GG grundsätzlich geschützte Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes war und eine ohne deren Auflösung erfolgende Freiheitsentziehung nicht in Betracht kam. Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Polizeidirektion Lüneburg erlaubt keine abweichende Beurteilung.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung verboten werden, wenn die öffentliche Sicherheit hierdurch unmittelbar gefährdet wird. Nach § 15 Abs. 2 VersG kann eine Versammlung - oder ein Aufzug - aufgelöst werden, wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot gegeben sind. Nach § 15 Abs. 3 VersG ist eine verbotene Versammlung auszulösen. Eine Auflösung in diesem Sinne ist vorliegend zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

a) Allein der Umstand, dass den getroffenen Feststellungen zufolge einzelne Teilnehmer sog. Krähenfüße oder Mülltonnen auf die Fahrbahn warfen und ihr Gesicht verdeckten, machte eine Auflösung der Versammlung hiernach ebenso wenig entbehrlich wie das Ziel zumindest einiger Teilnehmer, eine Gleisblockade durchzuführen. Gewaltsame Handlungen nur einzelner Teilnehmer einer Demonstration führen nicht dazu, dass die gesamte Versammlung sich außerhalb des Schutzbereichs aus Art. 8 GG bewegt. Das Ziel einer - fraglos rechtswidrigen (OVG Lüneburg NVwZRR 2004, 575; OLG Celle v. 29.1.2004 - 22 Ss 189/03) - Gleisblockade könnte allenfalls dazu führen, dass der Charakter der Versammlung verbotener Natur war oder wurde. Dies macht eine Auflösung aber nicht entbehrlich (BVerwG NVwZ 1988, 250). Denn nach § 15 Abs. 3 VersG ist (auch) eine verbotene Versammlung aufzulösen. Der Umstand des Verbotenseins einer Versammlung führt weder von sich heraus zu deren Beendigung, noch lässt er das Erfordernis einer Auflösung entfallen; vielmehr setzt eine Auflösung nach § 15 VersG den Tatbestand des Verbotenseins der Versammlung oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erst voraus. Eine ohne Auflösung einer Versammlung erfolgte Freiheitsentziehung aus Gründen präventivpolizeilicher Gefahrenabwehr ist rechtswidrig (OVG NW NVwZ 2001, 1315).

b) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, die Personengruppe habe sich zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme bereits selbst aufgelöst gehabt, weshalb es einer Auflösung nicht mehr bedurft habe, findet dies in den vom LG getroffenen Feststellungen, an die der Senat als Gericht der weiteren Beschwerde grundsätzlich gebunden ist, keine Stütze. Das LG ist den getroffenen Feststellungen zufolge erkennbar von nur einer Gruppe ausgegangen, die sich - nach zwischenzeitlicher Teilung - durch Hitzacker bewegte (und hierbei von Polizeikräften seitlich begleitet wurde), aus der heraus Krähenfüße auf die Fahrbahn geworfen wurden, die das Tempo erhöhte und die sich in das anliegende Waldstück begab, die von Einsatzkräften verfolgt und die dort in einer Stärke von 120 Personen eingeschlossen wurde. Eine Selbstauflösung der Gruppe zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme ist hiernach nicht erkennbar.

c) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, es habe während der gesamten Phase praktisch zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden, eine Auflösungsverfügung zu erlassen, greift auch dieser Einwand nicht durch. Weshalb der Erlass sowie eine - wie auch immer geartete - Kundgabe einer Auflösungsverfügung praktisch nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Den getroffenen Feststellungen zufolge war es den Einsatzkräften möglich, die Personengruppe einzuschließen - und sodann in Gewahrsam zu nehmen. Anhaltspunkte für die Annahme, eine Auflösung der Versammlung sei in dieser Phase nicht möglich gewesen, finden sich weder in den Gründen der angefochtenen Entscheidung, noch werden sie im Rahmen der weiteren Beschwerde vorgetragen. Der Senat verkennt nicht, dass das Geschehen am Tag eines Castor-Transports und der hiergegen gerichteten, teilweise auch massiv gewalttätigen Demonstrationen einer Vielzahl von Personen und teils gut organisierten Personengruppen von einer gewissen Hektik geprägt ist und häufig auch pragmatisches Vorgehen der Einsatzkräfte erfordert. Das kann die Bestimmungen des Art. 8 GG einschränkenden Versammlungsgesetzes aber nicht außer Kraft setzen. Ein "allgemeines Tohuwabohu und Gerenne" - das sich den vom LG getroffenen Feststellungen überdies nicht entnehmen lässt - macht eine Auflösung weder von vornherein unmöglich, noch insb. überflüssig.

Hiernach ist nicht erkennbar, weshalb nicht zumindest vor der Entscheidung, die bereits eingeschlossene, d.h. von Polizeikräften bereits umstellte und somit am Fortlaufen gehinderte Personengruppe in Gewahrsam zu nehmen, nicht auch die Möglichkeit bestanden haben soll, eine Entscheidung über die Auflösung zu treffen und die Teilnehmer hierauf hinzuweisen - mit der Folge, dass alle Teilnehmer sich nunmehr zu entfernen haben. Dies gilt umso mehr, als den getroffenen Feststellungen zufolge die Personengruppe sich zu diesem Zeitpunkt noch etwa 1 km von den Bahngleisen und dem dort angeordneten Verbotskorridor entfernt befand, weshalb eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch nicht unmittelbar bevorstand. Vor diesem Hintergrund kam auch die Annahme einer konkludenten Auflösung durch zeitgleichen Einschluss der Personengruppe (OVG Berlin NVwZRR 2003, 896; OVG NW NVwZ 2001, 1315) nicht in Betracht. Erst nach erfolgter Auflösung und für den Fall, dass trotz der Auflösung sämtliche oder einzelne Personen sich nicht - dauerhaft - entfernen, sondern weiter in Richtung des Bahnkörpers sich bewegen, wären auf Polizeirecht gestützte freiheitsentziehende Maßnahmen zulässig gewesen. ..."

*** (VG, LG)

Einzelfall der teilweisen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs mit gerichtlichen Auflagen.(VG Gießen, Beschluss vom 02.10.2012 - 4 L 2312/12.GI):

... I. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen das Verbot der von ihm am 1. Oktober 2012 zu dem Thema Moscheen schließen - Islamisierung stoppen" angemeldeten Versammlung. Der Bürgermeister der Antragsgegnerin als örtliche Ordnungsbehörde verbot durch Verfügung vom 2. Oktober 2012 die Versammlung und führte zur Begründung im Wesentlichen an, der Kundgebungszweck verstoße gegen die Religionsfreiheit. Bekannt gegeben wurde dem Antragsteller diese Verfügung am 2. Oktober 2012.

Mit Widerspruch vom 2. Oktober 2012 wandte sich der Antragsteller gegen das Verbot. Zugleich hat er am 2. Oktober 2012 beim Verwaltungsgericht Gießen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs gestellt.

II. Der Antrag, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die ordnungsbehördliche Verfügung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin wiederherzustellen, ist nach Maßgabe der Entscheidungsformel begründet. Nach der im vorläufigen Rechtschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung des Sach- und Streitstandes ist davon auszugehen, dass die Forderung, Moscheen zu schließen, als Eingriff in die durch Art.4 Abs. 1, 2 GG garantierte Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nicht zu rechtfertigen ist. Eine bereits eingerichtete, nicht ersichtlich im Widerstreit zu formellem und materiellem Baurecht stehende Moschee ist eine Einrichtung, die der ungestörten Religionsausübung dient; hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem vom Antragsteller angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 24. Juli 2012 - 2 E 355/12.ME -, in dem es offenbar um die Verhinderung der Anlage einer Moschee ging.

Auch in Ansehung des Selbstbestimmungsrechts eines Anmelders zu Zeit und Ort der Versammlung müssen schutzwürdige Belange Dritter berücksichtigt werden, was hier zu der Auflage führt, den Verkehr im Kreuzungsbereich Friedberger Straße/Büdinger Straße nicht zu beeinträchtigen. Auch sieht sich das Gericht veranlasst, einer unmittelbaren Begegnung von Demonstrationsteilnehmern mit Personen, die die Moschee in der Büdinger Straße aufsuchen möchten, durch die in der Entscheidungsformel näher bezeichnete Auflage zu begegnen.

Gründe, die über diese Auflagen hinaus ein völliges Verbot der angemeldeten Versammlung rechtfertigen könnten, sind derzeit nicht ersichtlich. Das weitergehende Verbot der Versammlung verletzt den Antragsteller deshalb in seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. ..."

***

... Bei der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers daran, die von ihm angemeldete Versammlung durchführen zu können, das von der Antragsgegnerin angenommene öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verbotsverfügung. Denn es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots. Am Sofortvollzug einer solchen rechtswidrigen Verfügung kann aber kein öffentliches Interesse bestehen.

Als Rechtsgrundlage des Versammlungsverbots kommt allein § 15 Abs. 1 VersG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

Da die Versammlungsfreiheit, ähnlich wie die Meinungsfreiheit, für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und für die demokratische Ordnung grundlegende Bedeutung besitzt und Verbot und Auflösung einer Versammlung die intensivsten Eingriffe in das Grundrecht darstellen, sind sie an strenge Voraussetzungen gebunden und dürfen nur ausgesprochen werden, wenn dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist und wenn eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abgewendet werden muss. Verbot oder Auflösung setzen zum einen als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist. Zum anderen wird die behördliche Eingriffsbefugnis dadurch begrenzt, dass Verbote und Auflösungen nur bei einer "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. Durch das Erfordernis der Unmittelbarkeit werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt das Gesetz, dass es auf "erkennbaren Umständen" beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde insbesondere bei Erlass eines vorbeugenden Verbotes keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen, zumal ihr bei irriger Einschätzung noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung verbleibt. Als Grundlagen einer solchen Entscheidung kommen somit nur tatsächliche Umstände in Betracht, während Verdachtsmomente und Vermutungen für sich allein nicht ausreichen (vgl.: BVerfG, Beschlüsse vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -BVerfGE 69, 315 = NJW 1985, 2395, vom 01.12.1992 - 1 BvR 88/91, 1 BvR 576/91 - BVerfGE 87, 399 = NJW 1993, 581 und vom 04.09.2010 - 1 BvR 2298/10 - juris).

Nach Maßgabe dessen sind hinreichende Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung sind nicht ersichtlich.

Soweit die Antragsgegnerin aus dem Motto der Veranstaltung Deutschland einig Vaterland - In Gedenken an Kurfürst Otto von Bismarck", den Kundgebungsmitteln (u.a. Fahnen aus den ehemaligen Ostgebieten, schwarz-weiß-rote Fahnen, schwarze Fahnen), dem Einsatz von Rednern und eines offenen Mikrophons und dem Inhalt eines Flugblatts herleitet, dass gerade bei dem Thema der Rückführung der Ostgebiete die Verbreitung von nationalsozialistischen Gedankengut und damit die Verwirklichung von Straftatbeständen (z.B. § 130 StGB) zu erwarten sei, fehlt es für eine dahingehende Gefahrenprognose an hinreichend konkreten Anhaltspunkten. Von der Antragsgegnerin befürchtete eventuell strafrechtlich relevante Handlungen oder Äußerungen können durch die Erteilung von Auflagen begegnet werden.

Soweit die Antragsgegnerin ein starkes Aufkommen an linksextremen Personen erwartet und - gegen die Demonstration gerichtete - gewalttätige Ausschreitungen befürchtet, ist dies nicht geeignet, ein umfassendes Versammlungsverbot zu rechtfertigen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Gefahren infolge angekündigter Gegendemonstrationen primär durch behördliche Maßnahmen gegen den Störer, also die Gegendemonstranten, zu begegnen ist. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Gegen die Versammlung als ganze darf in einer solchen Situation grundsätzlich nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.04.2002 - 1 S 1050/02 -, juris, m.w.N.). Hinreichende Anhaltspunkte hierfür lassen sich den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen und wurden von ihr auch nicht dargetan.

ußerdem muss die Versammlungsbehörde mit Blick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer prüfen, ob ein polizeilicher Notstand durch Modifikation der Versammlungsumstände entfallen kann, ohne dadurch den konkreten Zweck der Versammlung zu vereiteln. Das Verbot einer Versammlung setzt als ultima ratio in jedem Fall voraus, dass das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen ausgeschöpft ist (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.04.2002 - 1 S 1050/02 -, juris). Signalisiert der Veranstalter seine Bereitschaft zur Veränderung der Versammlungsmodalitäten, ist die Versammlungsbehörde im Rahmen ihrer Kooperationspflicht gehalten, diesen Möglichkeiten nachzugehen und nach Wegen zu suchen, die Versammlung gegen Gefahren zu schützen, die nicht von ihr selbst ausgehen. Derzeit sind daher keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass etwaige von Gegendemonstranten ausgehende Gefahren nicht durch die Erteilung von Auflagen insbesondere hinsichtlich des zeitlichen und örtlichen Verlaufs der geplanten Veranstaltung begegnet werden kann. Dies gilt auch im Hinblick auf das Kinderspielfest auf dem Neckarvorland. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass durch die Vorgabe eines bestimmten Demonstrationswegs, der ein Aufeinandertreffen der Teilnehmer der verschiedenen Veranstaltungen so weit als möglich ausschließt und evtl. vorsieht, dass das Neckarvorland nicht von den Demonstrationszügen berührt wird, eine für die polizeilichen Einsatzkräfte beherrschbare Lage nicht sichergestellt werden kann. Gegenteilige Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen. ..." (VG Karlsruhe, Beschluss vom 02.10.2012 - 4 K 2369/12)

***

... I. Mit Bescheid vom 28. August 2012 bestätigte die Antragsgegnerin die mit Schreiben vom 12. Juli 2012 für 22. September 2012 in der Zeit vom 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr angezeigte Versammlung ... ...'. Als Ort der Versammlung wurde in dem Bescheid ... bei ...' angegeben. Weiter wurde angeordnet, dass bei dem vorgesehenen Lautsprecherbetrieb eine Momentanlautstärke von 85 dB(A) im Abstand von 5 Metern neben der Versammlung nicht überschritten werden dürfe.

Da der Antragsgegnerin Gegendemonstrationen angezeigt wurden, hielt sie eine Verlegung des ursprünglich angemeldeten Standorts ... vor der ...' auf die Südseite der ... für erforderlich, um die Versammlung vor erwarteten Störungen besser schützen zu können, im Übrigen bei etwaigen Auseinandersetzungen eine Gefährdung der Standbetreiber und Besucher des vor der ... stattfindenden Wochenmarkts sowie anderer unbeteiligter Passanten zu besorgen wäre. Aus diesem Grunde fand am 19. September 2012 ein Kooperationsgespräch mit einer Vertreterin der Antragstellerin statt.

Mit Bescheid vom 21. September 2012 wurde der Bescheid vom 28. August 2012 insoweit geändert, als nunmehr als Versammlungsort ... bei ... (Südseite zwischen den Sondernutzungen ... und ...)' festgesetzt wurde. Abweichend vom Bescheid vom 28. August 2012 wir nunmehr als stellvertretende Versammlungsleiterin Frau ... angegeben. In den unverändert übernommenen Gründen aus dem ursprünglichen Bescheid wird ergänzend angeführt, dass über die Beschränkungen in einem Kooperationsgespräch vom 19. September 2012 Übereinkommen erzielt worden sei.

Aufgrund fernmündlicher Ankündigung eines entsprechenden Eilrechtsschutzantrages wurde die Antragsgegnerin vorab um Übermittlung der maßgeblichen Bescheide und der einschlägigen Unterlagen des Ordnungsamtes gebeten.

Die Antragsgegnerin teilte dem Gericht vorab mit, dass die geringfügige Verlegung des Versammlungsortes erforderlich geworden sei, um einen wirksamen Schutz der Versammlungsteilnehmer sowie unbeteiligter Dritter zu gewährleisten. Die Verlegung sei zudem im Einvernehmen mit der stellvertretenden Versammlungsleiterin erfolgt. In einem übermittelten Aktenvermerk des Ordnungsamts der Antragsgegnerin vom 21. September 2012 ist festgehalten, dass von der Vertreterin der Antragstellerin, Frau ..., bei dem wegen der bekannt gewordenen Gegendemonstrationen angesetzten Kooperationsgespräch am 19. September 2012 seien seitens der Vertreterin der Antragstellerin, Frau ..., Einwände gegen die wegen des vor der ... stattfindenden Wochenmarkts und der erwarteten Störungen der Versammlung vorgesehene Verlegung des Versammlungsortes nicht erhoben worden. Frau ... habe am 20. September 2012 zugesagt, die Verlegung des Versammlungsorts dem Versammlungsleiter mitzuteilen.

Mit einem am 21. September 2012 per Telefax bei Gericht eingegangenen Schriftsatz haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin sinngemäß beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die angemeldete Versammlung - wie ursprünglich genehmigt - an der ... direkt bei der ... stattfinden zu lassen.

Die Antragsgegnerin habe die von der Antragstellerin angezeigte Versammlung ursprünglich antragsgemäß direkt bei der ... genehmigt. Im Rahmen eines Kooperationsgesprächs vom 19. September 2012 seien weitere Einzelheiten zu Beschränkungen gemacht' worden, die weitgehend akzeptiert worden seien. Im Rahmen des daraufhin ergangenen Änderungsbescheides sei jedoch zusätzlich auch der Versammlungsort in eine angrenzende Nebengasse der ... an der abgelegenen Seite des Platzes verlegt worden. Wie auch im Änderungsbescheid selbst ausdrücklich festgehalten worden sei, sei Zweck der angezeigten Versammlung nicht nur, Meinungen mit Versammlungsteilnehmern auszutauschen, sondern auch die Aufmerksamkeit Außenstehender zu gewinnen. Dies sei ein legitimes und erwünschtes Mittel der Meinungsbildung in einer funktionierenden Demokratie. Dieser Zweck könne jedoch nicht erreicht werden, wenn die Antragstellerin ohne ersichtlichen Grund - wie geschehen - in eine Nebengasse abgeschoben' werde. Der ursprünglich genehmigte Standort direkt am Eingang der Fußgängerzone sei hierfür geeignet und auch verfügbar gewesen. Eine Notwendigkeit der Änderung und Verlegung in eine Nebengasse sei weder dargetan noch sonst ersichtlich, zumal zeitlich zuvor dort angemeldete Veranstaltungen nicht bekannt seien. Aspekten der Sicherheit sei bereits durch die übrigen Auflagen im Bescheid hinreichend Rechnung getragen worden. Sollten aufgrund anderer Veranstaltungen zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein, wären diese ohnehin im Rahmen dieser Veranstaltungen einzustellen, um die Grundrechte der Antragstellerin auf Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit nicht einzuschränken. Nach Übermittlung des Antrags beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.

Die von ihr angeordnete geringfügige Verlegung des Veranstaltungsorts sei aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich gewesen. Wegen der Einzelheiten werde auf eine noch nachzureichende Stellungnahme der Polizei verwiesen. Gewaltsame Auseinandersetzungen seien ach deshalb zu befürchten, weil Antragstellerin und Gegendemonstranten vehement gegeneinander hetzten. Unzutreffend sei, dass die Versammlung in eine Nebengasse abgeschoben werde. Vielmehr könne die Versammlung wie angemeldet in der ... bei der ...' stattfinden. Letztendlich werde der Veranstaltungsort im Änderungsbescheid lediglich konkretisiert. Die Versammlung sei auch vom zentralen Platz vor der ... und den zu diesem führenden Straßen einsehbar. Die Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, werde mit der Verlegung um das Eck der Kirche nicht nennenswert verringert. Hinzuweisen sei nochmals darauf, dass die stellvertretende Versammlungsleiterin keine Einwände gegen den geänderten Versammlungsort gehabt habe - wie ihre E-Mail vom 20. September 2012 zeige. Ein Kooperationsgespräch verlöre zudem jeglichen Sinn, wenn sich die Beteiligten nachträglich wieder davon distanzieren könnten.

Die Antragserwiderung und die nachgereichte Stellungnahme des Polizeipräsidiums ... samt Lichtbildern wurden den Antragstellervertretern mit dem Hinweis übermittelt, dass das Gericht nunmehr entscheiden werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der bei Gericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen den Änderungsbescheid der Antragsgegnerin vom 21. September 2012 noch zu erhebenden Klage auszulegende Antrag ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragstellerin entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.

Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragstellerin gegen die (geänderte) Festlegung des Versammlungsorts im angegriffenen Bescheid voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Der Bescheid ist auch hinsichtlich der von der Antragstellerin beanstandeten geringfügigen Verlegung des Standortes rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Bei der behördlichen Vorgabe, die Veranstaltung nicht - wie beantragt und im ursprünglichen Bescheid vom 28. August 2012 auch so (ohne jegliche Konkretisierung) festgelegt - auf der ... vor der ...', sondern - nach wie vor - auf der ... vor der ...' mit dem konkretisierenden (und damit einschränkenden) Klammerzusatz Südseite zwischen den Sondernutzungen ... und ...', mithin gegenüber dem Haupteingang der ... nahe dem ... Platz' durchzuführen, stellt sich als Auflage im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG und nicht als Verbot einer Versammlung (am ursprünglichen Versammlungsort) dar.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 6. Mai 2005 (1 BvR 961/05, DVBl 2005, 969) zu einer örtlichen Verlegung einer Versammlung ausgeführt: Die hier allein angegriffene Auflage hindert ( ) nicht, die (von ihr) geplante Versammlung unter dem vorgesehenen Motto im Zentrum ... durchzuführen und zwar als Aufzug mit Abschlusskundgebung und unter Einsatz der geplanten Redner. Erfasst sind lediglich Modalitäten der Versammlungsdurchführung in örtlicher und zeitlicher Hinsicht, die nicht so wesentlich sind, dass die Auflage faktisch einem Verbot gleichkommt.'

So liegt der Fall auch hier. Die Antragstellerin kann die von ihr geplante Versammlung nämlich zur selben Zeit und mit demselben Thema in der von ihr beabsichtigten Art und Weise an einer nur wenige Meter von der ursprünglich vorgesehenen Stelle durchführen. Die Veranstaltung findet nach wie vor in der ... Innenstadt in der Fußgängerzone an der ... statt. Eine wesentliche Veränderung des Ablaufs oder des Inhalts der Versammlung ist mit der Auflage nicht verbunden. Eine rechtlich relevante Beeinträchtigung der Meinungskundgabe oder der Öffentlichkeitswirksamkeit der Versammlung ist somit mit der Verlegung nicht verbunden. Die Inhalte und der zeitliche Ablauf der Versammlung werden letztlich in keiner Weise tangiert. Der angebotene Platz ist dem in der Anmeldung genannten gleichwertig. Art und Inhalt der Versammlung werden also nur geringfügig modifiziert, es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auflage einem Verbot gleichkommt, weil die Veranstaltung ihres wesentlichen Inhaltes oder ihrer zentralen Zielsetzung beraubt wird (vgl. hierzu auch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6.5.2005, 24 CS 05.1161 zur Frage einer zeitlichen Verlegung).

Die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Auflage sind erfüllt. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann eine Versammlung unter anderem dann von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Bei der Durchführung der Versammlung an der vorgesehenen Stelle wäre nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen der Antragsgegnerin die öffentliche Sicherheit gefährdet.

Zeitgleich mit der angemeldeten Demonstration der Antragstellerin findet östlich der ... eine Gegendemonstration statt, zu der das ... unter dem Motto Kundgebung der ... in ... stören!' aufgerufen hat. Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass es in der Vergangenheit bei vergleichbarer Konstellation zu Auseinandersetzungen gekommen ist. Selbst die Antragstellerin führt zu einer vom ihr am 19. Juni 2012 in ... organisierten Demonstration auf seiner Homepage (http :// www ... ./. ... -auf- ... - ... -am- ... - ... /) aus, dass es zu Angriffen auf den Stand durch Linksextreme' gekommen sei. Es sei zu einem Polizeieinsatz mit drei Festnahmen gekommen. Dieser Vorfall bestätigt die Gefahrenprognose der Antragstellerin. Da im Hinblick auf den Aufruf des ... mit einer Wiederholung derartiger Übergriffe während der Versammlung gerechnet werden muss, war die Antragsgegnerin gehalten, die möglichen Folgen für unbeteiligte Dritte so gering wie möglich zu halten. Dieses Ziel wäre jedoch an dem ursprünglich vorgesehen Standort wegen der Nähe zu dort befindlichen Marktständen und dem hohen Publikumsverkehr nicht zu erreichen.

Die Auflage, den Versammlungsort - wie geschehen - zu verlegen, erweist sich als verhältnismäßig, da - wie bereits ausgeführt - die Veranstaltung ihres wesentlichen Inhaltes oder ihrer zentralen Zielsetzung keinesfalls beraubt wird und der gewünschte Publikumskontakt auch am Ausweichstandort sichergestellt ist. ..."(VG Ansbach, Beschluss vom 21.09.2012 - 1 K 12.01637)

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... Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen (wie hier, da die Klage des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 4 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung hat). Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Erscheinen diese bei summarischer Prüfung offen, hat das Gericht eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. (vgl. BayVGH vom 15.11.2011 Az. 14 AS 11.2328).

Das Gericht lässt offen, ob dem Antragsteller im Hinblick auf die widerspruchslose Einlassung im Koordinierungsgespräch ein Rechtsschutzbedürfnis zugesprochen werden kann, da es darauf nicht ankommt. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Kulmbach vom 27.08.2012 als gering einzustufen. Der Bescheid vom 27.08.2012 erscheint rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). Nachdem auch wegen der kurzfristigen Antragstellung eine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides nur sehr eingeschränkt möglich ist, jedenfalls aber dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegenüber den Interessen des Antragstellers der Vorrang eingeräumt werden muss, muss hier jedenfalls die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausgehen.

Die zuständige Behörde kann eine Versammlung gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfGE 69, 315,352). Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann zwar in der Regel ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen, die Verhängung von Auflagen bzw. Beschränkungen jedoch schon. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.

Art. 7 Nr. 2 BayVersG verbietet es, an einer öffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild paramilitärisch geprägt wird, sofern dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht. Zur Durchsetzung des mit Art. 8 GG grundsätzlich zu vereinbarenden Militanzverbots kommen Beschränkungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Betracht. Denn Art. 8 GG schützt friedliche Aufzüge, nicht aber Aufmärsche mit paramilitärischem und einschüchterndem Charakter (vgl. BVerfG vom 24.3.2001 in NJW 2001, 2069).

Nach diesen Kriterien erscheinen die streitgegenständlichen Auflagen rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat erkannt und im Bescheid auch ausdrücklich hervorgehoben, dass es eine Ermessensentscheidung zu treffen hat. Es hat auch die gegeneinander stehenden Interessen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegen das Interesse des Antragstellers abgewogen. Eine konkrete ausdrückliche Begründung zu den hier streitgegenständlichen Beschränkungen enthält der Bescheid zwar nicht. Er begründet aber, dass und weshalb die Auflagen unter Ziffer II erforderlich und verhältnismäßig sind. Damit hat das Gericht keine Bedenken, wenn die konkrete Begründung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG und § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt wird.

Das Tragen von Springerstiefeln durch eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern ist geeignet, sowohl einen paramilitärischen Eindruck zu erwecken als auch eine einschüchternde Wirkung zu entfalten. Wie das Landratsamt - nach der Kenntnis des Gerichts zutreffend - darlegt, ist gerade bei dem Kreis der potenziellen Teilnehmer des Frankentages damit zu rechnen, dass eine große Zahl der Teilnehmer Springerstiefel tragen würde. Das Landratsamt hat ebenfalls zutreffend dargelegt, dass gerade Stiefel mit Stahlkappen ein erhebliches Verletzungsrisiko mit sich bringen. Ob es sich um eine stationäre Veranstaltung handelt oder einen sich fortbewegenden Aufzug, spielt für beide Fragen keine Rolle. Tätliche Auseinandersetzungen sind auch angesichts der angemeldeten Gegendemonstration jedenfalls nicht ausgeschlossen. Das Verbot trägt deshalb zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei, ohne dass dadurch eine Beschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit oder freie Meinungsäußerung erkennbar wäre.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers wird mit dem auch in Handel und Werbung verwendeten Begriff Springerstiefel" eine bestimmte Art von Schuhwerk bezeichnet, so dass gegen die Bestimmtheit der Auflage keine Bedenken bestehen. Das Landratsamt hat auch zutreffend dargelegt, dass die Sicherheit des Personals, die der Antragsteller geltend machen will, durch die Auflage nicht beeinträchtigt wird, schon weil es dem Personal freisteht, beliebiges anderes Schuhwerk zu tragen, das den Sicherheitsanforderungen Rechnung trägt (sofern überhaupt Sicherheitsschuhe erforderlich sind).

Dass die Gefahr von tätlichen Auseinandersetzungen besteht, ergibt sich zum Einen aus der bereits angemeldeten Gegendemonstration und dem damit verbundenen Medienecho als auch zum Anderen aus dem Umstand, dass die Teilnehmer der Versammlung auf dem Weg zum Versammlungsort auf der Wiese zwischen Pfarrgasse/Bahnlinie und Main eine größere Strecke zurücklegen müssen, auf der Begegnungen mit Gegendemonstranten nicht ausgeschlossen werden können.

Die Auflage, nur Transparenthalter aus Holz und nicht stärker als 20 mm im Durchmesser (bei Rundholz) oder 20 mm in der Kantenlänge (bei Vierkantholz) und nicht über 1,50 m lang zu verwenden begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Soweit hier überhaupt eine konkrete Begründung für diese Auflage erforderlich ist, weil ihr Sinn auch ohne Begründung unmissverständlich klar ist, genügt jedenfalls die nachträgliche Ergänzung der Begründung den Anforderungen. Es liegt auf der Hand, dass Transparenthalter mit einer größeren Stärke und festerem Material besser als Waffen geeignet sind, als die zugelassenen. Ob sich Stöcke von 1,50 m Länge besser als Stöcke von 2,00m Länge als Waffe eignen, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. Die von der Behörde getroffene Abwägung ist jedoch nicht zu beanstanden. Eine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit ist durch die Auflage jedenfalls nicht erkennbar. Auch die Dekoration des Geländes und der Bühne setzt längere Transparenthalter nicht voraus. Zwar steht es grundsätzlich im Ermessen des Veranstalters, wie er eine Versammlung gestalten will. Stehen aber konkrete Sicherheitsbedenken den Gestaltungsvorstellungen des Veranstalters entgegen, kann eine Einschränkung durch Auflagen erfolgen. Es wäre ggf. Aufgabe des Antragstellers gewesen, bei dem Koordinierungsgespräch, bei dem ausweislich der Niederschrift die Auflagen erläutert wurden, eine Lösung zu suchen, die allen Interessen gerecht wird. Wenn er dies nicht getan hat, kann er nachträglich keine Beschränkung seiner Gestaltungsfreiheit geltend machen. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat bereits deutlich gemacht, dass es aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchaus sachgerecht und notwendig erscheint, die Länge und Stärke von Stangen (insbesondere Transparentstangen), die bei einer Veranstaltung mitgeführt werden, zu beschränken und es § 15 Abs. 1 VersG (der Art. 15 Abs. 1 BayVersG entspricht) erlaubt, durch die Mitführung solcher als Waffen nutzbarer Gegenstände entstehende Gefahren abzuwehren (vgl. BayVGH vom 9.12.2005 Az. 24 CS 05.3215, RdNr. 25 in juris). Dieser Gesichtspunkt lässt sich im Übrigen auch auf das Tragen von Springerstiefeln übertragen, die zweifelsfrei zur Verwirklichung des Versammlungszwecks nicht unbedingt getragen werden müssen.

Nach der bei der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung bestehen gegen die streitgegenständlichen Auflagen jedenfalls keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, so dass bei der vom Gericht vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug dieser Auflagen zum Schutz der Allgemeinheit gegenüber dem Interesse des Antragstellers daran, die angemeldete Versammlung nach seinen eigenen Vorstellungen durchführen und gestalten zu können, überwiegt. ..." (VG Bayreuth, Beschluss vom 07.09.2012 - B 1 S 12.757)

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Die Durchführung einer Versammlung kann nach § 15 VersG verboten werden, wenn sie als Versammlung einer verbotenen Vereinigung aufzufassen ist, so dass bei ihrer Durchführung die Straftatbestände des § 20 Abs. 1 VereinsG erfüllt würden. Ein noch nicht bestandskräftiges aber vollziehbares Vereinsverbot ist eine ausreichende Grundlage für das Verbot der Versammlung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 2 VersG (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 29.08.2012 - 14 L 1048/12).

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... I. Die Bürgerbewegung pro Deutschland' hat für den 18. August 2012 Versammlungen vor den religiösen Einrichtungen der Antragsteller mit dem Versammlungsthema Der Islam gehört nicht zu Deutschland - Islamisierung stoppen' angemeldet. In der Anmeldebestätigung vom 14. August 2012 sind der Anmelderin, auf der Grundlage eines vorangegangenen Kooperationsgesprächs, jeweils Versammlungsorte zugewiesen worden, die sich nicht unmittelbar vor den Einrichtungen der Antragsteller befinden, sondern im Abstand ca. 50 m liegen.

Die Anmelderin kündigt an, im Kontext der Versammlungen die sog. Mohammed-Karikaturen zu zeigen. Als Mohammed-Karikaturen wurde eine am 30. September 2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten unter dem Namen Das Gesicht Mohammeds' (dän.: Muhammeds ansigt) erschienene Serie von zwölf Karikaturen bekannt, die den islamischen Propheten und Religionsstifter Mohammed zum Thema haben (vgl. ).

II. Der sinngemäße Antrag, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Bürgerbewegung pro Deutschland' als Anmelderin und den Teilnehmern der Kundgebungen am 18. August 2012 vor der As-Sahaba-Moschee in Wedding (12.00 h), vor der Al-Nur-Moschee in Neukölln (14.00 h) und vor der Neuköllner Begegnungsstätte (Flughafenstraße/Hermannstraße, 16.00 h) eine Auflage zu erteilen, die das Zeigen der sogenannten Mohammed-Karikaturen' während der Kundgebungen untersagt; hilfsweise, das Zeigen dieser Karikaturen in Sichtweite der Moscheen und der Zugangswege zu diesen zu untersagen, hat keinen Erfolg.

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Antragsteller vorliegend überhaupt antragsbefugt sind. Es ist zumindest offen, ob die Antragsteller als eingetragene Vereine bürgerlichen Rechts durch die angemeldeten Versammlungen und das eventuelle Zeigen der Mohammed-Karikaturen dabei in eigenen Rechten verletzt sein könnten. Jedenfalls sind sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis u.a. dann erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dem Wesen und Zweck dieses Verfahrens entsprechend kann das Gericht mit einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich aber nur vorläufige Regelungen treffen und dem jeweiligen Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was Klageziel des Hauptsacheverfahrens ist. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung kommt - mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) - vielmehr nur in Ausnahmefällen, und zwar nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist - Anordnungsanspruch - und dem Rechtsschutzsuchenden schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre - Anordnungsgrund - (vgl. BVerfG, Urteile vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745.88 -, BVerfGE 79, 69 [74, 77] und vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638.96,- NVwZ 1997, S. 479 [480 ff.]; OVG Berlin, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - OVG 8 SN 175.00 -, InfAuslR 2001, 81; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2006 - OVG 3 S 35.06 -).

Ein Anordnungsanspruch ist mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit hier nicht glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).

Die Antragsteller begehren den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG. Solche Auflagen sind ein Mittel, gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen. Im Einzelnen ist Folgendes zu beachten:

Das von § 15 Abs. 1 VersG eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Weiterhin müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände' dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94, NVwZ 1998, 834 [835]).

Bei Beachtung dieser Grundsätze ist ein Anspruch der Antragsteller auf Erlass der begehrten Auflage durch den Antragsgegner zu verneinen.

Es fehlt bereits an der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Voraussetzung für den Erlass einer Auflage ist. Es steht nicht fest, dass das Zeigen der Mohammed-Karikaturen' strafrechtlich relevant ist. Für die Erfüllung des Straftatbestandes des § 166 StGB fehlt es erkennbar an einer Beschimpfung' im Sinne des Verächtlichmachens des religiösen Bekenntnisses (vgl. VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12, juris, Rdnr. 13). Zudem ist zu beachten, dass die Karikaturen unter die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG fallen, was der Verwirklichung des Straftatbestandes zusätzlich entgegenstehen dürfte (vgl. Valerius, in BeckOK StGB § 166, Rdnr. 13). Ebenso wenig ist anzunehmen, dass allein durch das Zeigen der Mohammed-Karikaturen zum Hass oder zu Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen aufgefordert wird und damit der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt wäre.

Weiterhin ist der Umstand, dass die Verbreitung der Karikaturen international äußerst umstritten' ist, wie die Antragsteller im Einzelnen ausführen, keine hinreichende Tatsachengrundlage, um hier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung anzunehmen.

Schließlich stünde der Erlass einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG im pflichtgemäßen Ermessen des Antragsgegners. Gründe, die hier zwingend eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit gebieten und damit für eine Ermessenreduzierung auf Null streiten, sind nicht ersichtlich. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 16.08.2012 - 1 L 217.12)

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... Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 25. Juli 2012 gegen den Bescheid vom 24. Juli 2012 wiederherzustellen, ist ohne Erfolg. Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 2012 erfolgte Untersagung des Aufstellens und Betreibens von Versorgungsständen anlässlich der Hanfparade 2012' (sofern nicht die erforderlichen Erlaubnisse der dafür zuständigen Ordnungsbehörden vorliegen) ist nach der hier nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des Bescheides verschont zu bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO).

Das Aufstellen von Imbiss- und Verkaufsständen gehört in der Regel nicht zu den durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten und deshalb auch nach dem Versammlungsgesetz ohne Erlaubnis zulässigen Tätigkeiten (OVG Berlin, Beschluss vom 8. Juli 1999, LKV 1999, 372; VGH Mannheim, Beschluss vom 16. Dezember 1993, NVwZ-RR 1994, 370). Denn solche Betätigungen stehen grundsätzlich nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht, das das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung schützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, BVerfGE 69, 315 [342ff.]; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, BVerwGE 82, 34 [39]). Die vom Antragsteller geplanten Imbissstände dienen nicht unmittelbar diesem Zweck. Es wird mit dem Antrag weder geltend gemacht noch ist es sonst ersichtlich, dass diese Stände mit ihrem Warenangebot thematisch auf die Versammlung Bezug nehmen sollen. Aufgrund dieser fehlenden inneren Beziehung zum öffentlichen Anliegen der Versammlung unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation von derjenigen, die dem vom Antragsteller angeführten Beschluss der Kammer vom 28. August 1998 - VG 1 A 383.98 - zugrunde lag (vgl. hierzu Beschluss der Kammer vom 25. Juni 1999, LKV 1999, 373 [375]).

Vielmehr soll durch die Imbissstände hier den Teilnehmern der Abschlusskundgebung auf der Straße des 17. Juni (zwischen Platz des 18. März und Yitzhak-Rabin-Straße) ein Versorgungsangebot gemacht werden. Die zwingende Notwendigkeit für eine solche Versorgung zur Durchführung der Veranstaltung ist jedoch weder dargetan oder sonst ersichtlich. Denn an den Bereich der Abschlusskundgebung grenzt östlich unmittelbar der Pariser Platz an. Dieser Platz ist als Touristenmagnet' mit einer Reihe von Nahversorgungsmöglichkeiten ausgestattet. Hingewiesen sei nur auf die Starbucks-Filiale (Pariser Platz 4 A, 10117 Berlin, ), das - frei zugängliche - Restaurant in der Akademie der Künste (Pariser Platz 4, 10117 Berlin, ) und das Restaurant Theodor Tucher (Pariser Platz 6 A, 10117 Berlin, ). Kein Versammlungsteilnehmer müsste sich also nennenswert vom Versammlungsort entfernen, um diese Versorgungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Im Übrigen steht es den Versammlungsteilnehmern frei, eigene Verpflegung und Getränke von Anfang an mitzuführen. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Veranstaltungstag hochsommerlich werden sollte. Die Durchführbarkeit der Versammlung ist deshalb ohne eigene Versorgungsstände gewährleistet. Diese sind - wie jede andere Nutzung öffentlichen Straßenlandes - nur nach Einholung der dafür erforderlichen Erlaubnisse zulässig, was der Polizeipräsident mit seinem angegriffenen Bescheid, gestützt auf § 15 Abs. 1 VersG, zutreffend verfügt hat. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 09.08.2012 - 1 L 188.12)

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... I Der Antragsteller ist Teil der Occupy-Protestbewegung, die in Frankfurt am Main Teile der Grünanlage vor der Europäischen Zentralbank seit Oktober 2011 besetzt hält.

Am 23. Juli 2012 meldete der Antragsteller für die Zeit vom 26.07.2012 bis 09.08.2012 eine Mahnwache zu dem Thema Für Demonstrationsfreiheit! Gegen die Finanzdiktatur!' auf dem Willy-Brandt-Platz und den angrenzenden Grünanlagen an. Die Zahl der erwartenden Teilnehmer bezeichnete er mit einhundert Personen (vgl. Blatt 2 der Behördenakte).

Am 24.07.2012 fand beim Ordnungsamt der Stadt Frankfurt am Main eine Erörterung der vorgesehenen Veranstaltung mit dem Anmelder statt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Möglichkeit erörtert, einen Informationsstand aufzustellen und seitens der Ordnungsbehörde darauf hingewiesen, dass Tische, Informationsmaterial, Schilder und Plakate erlaubt seien, nicht hingegen Aufbauten gleich welcher Art. Das bisherige Occupy-Camp habe sich in ein Zeltlager verwandelt und die hygienischen Bedingungen seien problematisch. Hierfür sei eine Sondernutzungserlaubnis erforderlich, die jedoch nicht gewährt werde. Bis zum 26.07.2012 seien alle Zelte, Hütten oder ähnliches verboten und die Gegenstände müssten spätestens bis zum 31.07.2012 entfernt sein (vgl. Blatt 42 f. Behördenakte).

Mit Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 25.07.2012 wurden dem Antragsteller im Hinblick auf die angemeldete Versammlung unter anderem folgende Auflagen erteilt und deren sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet:

1. Die Versammlung kann, wie angemeldet, auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Euro-Denkmal stattfinden.

2. Die angrenzende Grünanlage zwischen Europäischer Zentralbank, Willy-Brandt-Platz, Gallusanlage und Kaiserstraße darf nicht als Versammlungsgelände genutzt werden.

Es wird festgestellt, dass die in der Grünanlage zwischen Europäischer Zentralbank, Willy-Brandt-Platz, Gallusanlage und Kaiserstraße bisher genutzten Zelte, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenständen keine Versammlungsmittel im Sinne des Versammlungsgesetzes sind.

Hinweise:

Es ergeht der Hinweis, dass der Verbleib der in Ziffer 2 Satz 2 genannten Gegenständen in der Grünanlage, einen Verstoß gegen die Satzung über die Benutzung von Grünanlagen der Stadt Frankfurt am Main (Grünanlagensatzung) darstellt.

Es wird ferner darauf hingewiesen, dass die Gefahrenabwehrbehörden und die Polizeibehörden nach § 40 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) berechtigt sind, Sachen sicherzustellen, von denen eine gegenwärtige Gefahr ausgeht. Nach der Rechtsauffassung der Stadt Frankfurt am Main ist dies bei allen unter Ziffer 2 Satz 2 genannten Gegenständen ab dem 26.07.2012 der Fall. Die Stadt Frankfurt behält sich vor und bekundet die Absicht, spätestens ab dem 31.07.2012 (24.00 Uhr) diese Gegenstände zu entfernen oder entfernen zu lassen.

Der Aufbau und die Nutzung von Zelten und Hütten jeglicher Art, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren zu nutzenden Gegenständen auf dem Willy-Brandt-Platz werden untersagt, sofern keine Erlaubnis nach dem Straßenrecht der Stadt Frankfurt vorliegt.

In der Begründung hierzu heißt es:

Die Festlegung des Versammlungsortes auf den Bereich des Willy-Brandt-Platzes unmittelbar vor dem Euro-Denkmal entspricht zum Teil ihrer Anmeldung. Die Nutzung der angrenzenden Grünanlagen kann nicht gestattet werden. Die unmittelbar angrenzende Grünanlage zwischen Europäischer Zentralbank, Willy-Brandt-Platz, Gallusanlage und Kaiserstraße war durch die nun schon seit dem 15.10.2011 andauernde ununterbrochene Nutzung dem satzungsgemäßen Gebrauch entzogen. Gemäß § 1 Absatz 3 der Grünanlagensatzung der Stadt Frankfurt am Main dienen die öffentlichen Grünanlagen als Ruhezonen innerhalb der Stadt der Erholung und Entspannung der Einwohner/innen. Der Entzug des satzungsgemäßen Gebrauchs kann nicht länger hingenommen werden.

Die Grünanlage steht außerdem aufgrund der unbedingt notwendigen Rattenbekämpfungsmaßnahmen sowie der erforderlichen Renaturierungsmaßnahmen bis auf weiteres nicht als Versammlungsfläche zur Verfügung.

Die bereits seit dem 15.10.2011 stattfindende Versammlung wird ab dem 26.07.2012 mit Ihnen als Versammlungsleiter fortgesetzt. Im Rahmen der Anhörung am 24.07.2012 wurde Ihnen meine Rechtsauffassung mitgeteilt, wonach Sie für die bereits aufgestellte Hütte, die aufgestellten Zelte, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände eine Sondernutzungserlaubnis benötigen, die für den Willy-Brandt-Platz beim Amt für Straßenbau und Erschließung und für die angrenzende Grünanlage beim Grünflächenamt der Stadt Frankfurt am Main einzuholen wäre. Dementsprechende Anträge wurden bislang nicht gestellt und hätten auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Das ausgesprochene Verbot zum Aufbau und zur Nutzung von Zelten, Hütten, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren zu nutzenden Gegenständen, sofern keine Erlaubnis nach dem Straßenverkehrsrecht und / oder der Grünflächensatzung vorliegt, beruht auf § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann eine Versammlung oder ein Aufzug von der zuständigen Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der durchgeführten Prüfung in Bezug auf die Zelte, Hütte, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen Gegenständen vor.

Die §§ 14, 15 VersG bilden ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk, mit dem sichergestellt wird, dass die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs notwendigen Maßnahmen getroffen werden können (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, 7 C 50/88, BVerwGE 82, 34, 38). Der Schutz der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 15 VersG umfasst die gesamte Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1981, BVerwGE, 64, 55, 58 f.) und damit auch die straßen(verkehrs)rechtlichen Vorschriften und die Grünflächensatzung der Stadt Frankfurt am Main.

Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck, Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) zu schützen (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989).

Zelte, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen oder Campieren zu nutzende Gegenstände haben keinen unmittelbar und untrennbar mit der Meinungsbildung und -äußerung verknüpften Symbolgehalt und sind daher keine notwendigen Hilfsmittel zur Durchführung der Versammlung. Vielmehr stellt das Aufstellen von Zelten, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende Gegenstände eine Sondernutzung dar, die auf Straßen gemäß § 16 Abs. 1 des Hessischen Straßengesetzes (HStrG) und in Grünanlagen gem. § 3 Abs. 1 Grünanlagensatzung der Erlaubnis der zuständigen Behörde (hier: Stadt Frankfurt am Main) bedarf. Für die bereits aufgestellte Hütte, die aufgestellten Zelte, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende Gegenstände benötigen Sie daher eine Sondernutzungserlaubnis des Amtes für Straßenbau und Erschließung und/oder eine Ausnahmebewilligung des Grünflächenamtes der Stadt Frankfurt.

Zweifelsohne handelt es sich bei Ihrer Versammlung um eine solche, die unter dem besonderen Schutz des Artikels 8 des Grundgesetzes (GG) steht. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit beinhaltet auch die Gestaltungsfreiheit, d.h., die Versammlungsbeteiligten entscheiden grundsätzlich selbst, in welcher Art und Weise Meinungsbildung und -äußerung erfolgen sollen. Unter Berücksichtigung dieses Grundrechtsschutzes bedarf die Frage, ob Zelte, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende Gegenstände wesensnotwendige Hilfsmittel einer Versammlung sind, der besonderen Betrachtung. Vor dem Hintergrund des hohen Stellenwerts des Grundrechts aus Artikel 8 habe ich den Geschehensablauf und die Funktionalität der Zelte, der Hütte, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände am Versammlungsort über mehrere Monate beobachtet, um zu einer Sachgerechten Entscheidung zu kommen (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.08.1991 - 18 L 2745/91; OVG NRW, Beschluss vom 23.09.1991 - 5 B 2541/91).

Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dieses Zeltlager seinen Bezug zu der angemeldeten Versammlung als Mahnwache mit dem Thema: Für Demonstrationsfreiheit! Gegen die Finanzdiktatur!' im Lauf der Zeil völlig verloren hat. Die Zelte, die Hütte, die Sofas, die Sessel, die Stühle, die Holzpaletten und die sonstigen zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände haben keinerlei funktionale Bedeutung mehr für die Durchführung der Versammlung, sie werden also tatsächlich nicht als Hilfsmittel zur Meinungsbildung und -äußerung genutzt. Es ist mittlerweile ein Zeltlager entstanden, das mit einem Campingplatz zu vergleichen ist. Die Zelte, die Hütte, die Sofas, Sessel, Stühle und Holzpaletten werden als Schlafstätten, als Wohn-, Ess- und Hygienebereich sowie zur Unterbringung diverser Utensilien und als Schutz vor der Witterung genutzt. Das Zeltlager wird mittlerweile überwiegend auch von Obdachlosen und sonstigen Personen ausschließlich zum Aufenthalt bzw. Nächtigen genutzt, die an keinerlei Meinungsäußerungen oder Meinungsbildung teilnehmen. Die Zelte, die Hütte, die Sofas, die Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige Gegenstände dienen somit lediglich als Witterungsschutz, als Wärmequelle und Wohnutensilien und geben die Möglichkeit, am Versammlungsort zu leben und zu nächtigen. Als solche sind die Zelte, die Hütte, die Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände nicht vom Grundrechtsschutz mit umfasst. Es ist Ihr freier Wille, sich nicht in einem geschlossenen Raum, sondern unter freiem Himmel zu versammeln und auch nachts am Versammlungsort zu bleiben. Damit setzen Sie sich zwangsläufig den gegebenen Witterungsbedingungen aus. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit umfasst nicht das Schaffen von (Wohn-)Bedingungen am Versammlungsort oder gar von geschlossenen Räumen (vgl. hierzu VG Lüneburg, Beschluss vom 18.11.2005 - 3 B 79/05; VG Berlin, Beschluss vom 23.12.2003 - 1 A 361/03; VG Karlsruhe, Beschluss vom 14.02.2001 - 4 K 3227/00).

Damit sind Zelte, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende Gegenstände vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht umfasst und können von der Versammlungsbehörde als Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit untersagt werden, soweit keine Ausnahmegenehmigung vorgelegt wird, was vorliegend nicht geschehen ist und womit auch nicht zu rechnen ist. Diesen Verstoß zu verhindern verfolgen die versammlungsrechtlichen Auflagen.

Weiterhin wird die Grünanlage durch die nun schon seit dem 15.10.2011 andauernde ununterbrochene Nutzung dem satzungsgemäßen Gebrauch entzogen. Gemäß § 1 Absatz 3 der Grünanlagensatzung der Stadt Frankfurt am Main dienen die öffentlichen Grünanlagen als Ruhezonen innerhalb der Stadt der Erholung und Entspannung der Einwohner/innen. Der Entzug des satzungsgemäßen Gebrauchs kann nicht länger hingenommen werden (vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L 102.12). Die Grünanlage ist wieder der Allgemeinheit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen. Durch die bisherige Nutzung als Zeltplatz ist eine massive Verdichtung des Bodens erfolgt, die eine völlige Zerstörung der Grasnarbe zu Folge hat. Weiterhin kann Regenwasser nicht mehr im Boden versichern, so dass der Baumbestand gefährdet ist. Eine umfassende Renaturierung der Grünfläche ist dringend erforderlich.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat in seinem Beschluss vom 14.05.2012 unter dem Az. 5 L 1707/12.F ausgeführt, dass es keinen Anspruch sieht, öffentliche Grünanlagen der Stadt Frankfurt dauerhaft zum Campen zu benutzen. Demnach ergibt sich weder aus dem öffentlichen Sachenrecht noch aus dem Recht der öffentlichen Einrichtungen ein solcher Anspruch (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 29.10.1992 - 7 C 34.91 -). Das Gericht verneint weiterhin auch den Anspruch nach dem Versammlungsrecht: Sollte man das Occupy-Camp überhaupt als Versammlung betrachten, ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Zeit und Ort der Veranstaltung kein Anspruch, dauerhaft städtische Grünanlagen in Beschlag zu nehmen und so den Gemeingebrauch an diesen Grünanlagen faktisch aufzuheben (vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L 102.12).

Weiterhin haben sich die hygienischen Verhältnisse im Camp durch die intensive Nutzung als Wohnersatz in der letzten Zeit erheblich verschlechtert. Die beiden vorhandenen Dixi-Toiletten reichen für die Anzahl der Camp-Bewohner bei Weitem nicht aus. Eine der Toiletten war bei einer Ortsbesichtigung am 19.07.2012 verschlossen und die andere war aufgrund der starken Verschmutzung in einem unbenutzbaren Zustand. Im gesamten Camp sind gesundheitsgefährdende Abfälle (Essensreste, Lebensmittelverpackungen) verstreut. Es besteht ein massiver Rattenbefall, der aufgrund der leichten Erreichbarkeit von Lebensmittelresten und der Müllsituation (erhebliche Sperrmüllablagerungen) sowie Unterschlupfmöglichkeiten unter den Zelten mit herkömmlichen Bekämpfungsmethoden nicht mehr getilgt werden kann. Ratten sind tierische Schädlinge im Sinne des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung vom 20.07.2000 (BGBl. I Nr. 33) durch die übertragbare Krankheiten (Seuchen) verbreitet werden können. Diese Gefahr wird durch die unzureichenden sanitären Verhältnisse im Camp erhöht. So besteht keine Warmwasserversorgung. Die bisherige Essenszubereitung im sogenannten Küchenzelt wurde von Campbewohnern ohne Gesundheitsausweis durchgeführt. Die Einrichtung des Küchenzeltes bestand zum Teil aus Materialien, die ein Oberflächenreinigung oder Desinfektion unmöglich machten. Zur Zeit werden im gesamten Campbereich an kleinen Kochstellen Speisen zubereitet. Die hygienischen Zustände haben sich dadurch noch mehr verschlechtert. So gibt es hier kein fließendes Wasser, Speisereste und Vorräte werden offen gelagert und sich einschließlich des Kochgeschirrs für die Ratten frei zugänglich.

Aus den vorgenannten Gründen sind sofortige Rattenbekämpfungsmaßnahmen unumgänglich. Hierzu muss jedoch das Areal frei von Aufbaute, wie Hütten und Zelten, sein, da die Maßnahmen ansonsten nicht erfolgreich durchgeführt werden können.'

Mit seinem am 31.07.2012 bei Gericht erhobenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes führt der Kläger unter anderem aus, die Versammlung stelle eine dauerhafte Mahnwache dar und sei als Protest gegen das Finanzgebaren der Großbanken gestaltet. Die Zelte vor der Europäischen Zentralbank seien als Ausdruck der dort Versammelten zu sehen, die letzten ihnen öffentlich zugängliche Plätze zu nutzen und ihre noch verbleibenden Rechte zu verteidigen. Die dauerhafte Präsenz sei ein Manifest der Menschen an die Finanzkonzerne (vgl. Blatt 5 der Gerichtsakte).

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 27.07.2012 gegen die Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 25.07.2011 wieder herzustellen. Der Antragsgegner beantragt, den Eilantrag abzulehnen.

In der Antragserwiderung heißt es unter anderem: Der Antragsteller beansprucht mit seiner versammlungsrechtlichen Anmeldung und dem streitgegenständlichen Eilantrag im Ergebnis für sich und andere Privatpersonen ein dauerhaftes und uneingeschränktes Besetzungs- und Nutzungsrecht, insbesondere das Recht zur Errichtung und zur dauerhaften Nutzung von Zelten sowie anderen transportablen Unterkünften und Aufbauten für Wohn-, Lager- und andere Zwecke, auf öffentlichen Plätzen und in der öffentlichen Grünanlagen der Stadt Frankfurt am Main.

Dem steht jedoch das geltende Gemeindeordnungs- und öffentliche Sachenrecht entgegen, wonach kein Bürger eine dauerhafte ausschließliche Nutzung öffentlicher städtischer Straßen und Grünanlagen fordern kann.

Die Einrichtung einer öffentlichen Grünanlage und die dauerhafte Nutzung als Camp' oder Zeltplatz schließen sich rechtlich aus. Entsprechendes gilt für öffentliche Straßen und Plätze.

So sollten die städtischen Grünanlagen nach ihrer Zweckbestimmung in der Satzung über die Benutzung der Grünanlagen der Stadt Frankfurt am Main (Grünanlagensatzung) vielmehr gemäß § 1 Absatz 2 als Ruhezonen innerhalb der Stadt der Erholung und Entspannung der Einwohner/innen und gemäß Absatz 4 dem Ausgleich der vielfältigen Umweltbelastungen der Großstadt dienen. Die in den Grünanlagen vorhandenen Pflanzen und Tiere sollen daher besonderen Schutz vor Störungen und sonstigen schädlichen Einwirkungen aller Art genießen.

Dieser öffentlichen Zweckbestimmung der öffentlichen Grünanlagen zum schonenden Gemeingebrauch und zur Erholung aller Bürger der Stadt sowie zum Schutz der vorhandenen Pflanzen und Tiere läuft das Antragsbegehren des Antragstellers entgegen. Vorliegend wurde die Grünanlage neben dem Willy-Brandt-Platz seit vielen Monaten durch das dauerhafte Campen' einer Vielzahl von Menschen seiner bestimmungsgemäßen Nutzung entzogen und auch bereits nachhaltig in ihrem natürlichen Bestand beschädigt.'

Die Kammer hat in einem Erörterungstermin am 02.08.2012 mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert und den Versuch einer konsensualen Lösung ausgelotet. Insoweit wird auf die Niederschrift über den Erörterungstermin, im Übrigen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II Das Gericht hat über den Antrag in der Sache zu entscheiden, weil der Vergleichsvorschlag vom 03.08.2012 nicht zustande gekommen ist, denn beide Seiten haben die Annahme des Vergleichsvorschlags an - im Übrigen unterschiedliche - Bedingungen geknüpft.

Der als Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs vom 27.07.2012 gegen die Auflagenverfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 23.07.2012 auszulegende Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, hat aber in der Sache keinen Erfolg, weil die verfügten Auflagen der Antragsgegnerin bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig sind und ihr Vollzug eilbedürftig ist.

Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz darf die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen geht der Antragsgegner zutreffend aus. Nach Durchführung des Erörterungstermins am 02.08.2012 teilt das Gericht die in der angegriffenen Verfügung wiedergegebene Einschätzung der Sach- und Rechtslage und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf. Darüber hinaus ist folgendes festzustellen:

Die angemeldete Versammlung des Antragstellers kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist im Gesamtkontext der von der Occupy-Bewegung in Frankfurt am Main entwickelten Aktivitäten zu sehen, insbesondere der Besetzung der Grünanlage vor der Europäischen Zentralbank im Rahmen eines sogenannten Protest-Camps. Dieses Protest-Camp und die damit einhergehende dauerhafte Besetzung der Grünanlage ist durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Versammlungsgesetz) nicht gedeckt. Dafür spricht zum einen bereits der Umstand, dass ein gemeinsames Ziel der im Protest-Camp sich aufhaltenden Personen (Aktivisten, Ausländer, Angehöriger nationaler Minderheiten, Obdachlose, Drogensüchtige etc.) ersichtlich nicht erkennbar ist. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Von daher ist eine Versammlung dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Dies mag zwar zu Beginn des Protest-Camps einmal der Fall gewesen sein, zum jetzigen Zeitpunkt stellt sich nach Auffassung der Kammer die Situation gänzlich anders dar, weil es für die Mehrheit der das Camp nutzenden Personen ersichtlich um die Befriedigung individueller Bedürfnisse wie Finden einer Schlafstatt und Versorgung mit Nahrungsmitteln etc. geht, nicht jedoch um ein gemeinsames kommunikatives Anliegen mit dem Ziel der Einwirkung auf die Öffentlichkeit. Dass dies so ist, räumt auch der Antragsteller ein, wenngleich er aus diesem Umstand andere rechtliche Konsequenzen ableitet als das Gericht.

Darüber hinaus wird das Aufstellen von Zelten und das Campieren in Grünanlagen vom Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts nach Art. 8 Abs. 1 GG auch nur ausnahmsweise umfasst. Zwar unterfallen dem Begriff der Versammlung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 69, 315 (343)) nicht nur Veranstaltungen, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern es sind vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen dem Versammlungsbegriff zuzuordnen. Den Versammlungsteilnehmern steht zudem ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Veranstaltung zur Seite, woraus ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit folgt. In diesem Zusammenhang ist dem Antragsteller auch zuzugestehen, dass in Zeiten globaler Vernetzung und neuartiger Kommunikationsstrukturen sich bisher nicht gekannte Demonstrationsformen entwickeln und zu berücksichtigen sind, wenngleich Platzbesetzungen und Errichtung von Camps, Hüttendörfern etc. zu den tradierten Protestformen zu zählen sind. Allerdings ist nicht alles, was Begleiterscheinung einer Versammlung ist, dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG und den Vorschriften des Versammlungsgesetzes zuzuordnen. Diese zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen von Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung zu schützen. Von daher unterfallen Zelte und Hüten etc. dem Versammlungsrecht und der Erlaubnisfreiheit im Hinblick auf deren Aufstellung nur dann, wenn es sich dabei um notwendige Bestandteile' der Versammlung handelt, ohne die eine gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung nicht möglich ist. Die in der Grünanlage vor der Europäischen Zentralbank aufgestellte Hütte, die aufgestellten Zelte, Sofa, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzenden Gegenstände tragen nicht unmittelbar, funktional und versammlungsimmanent zur gemeinsamen Meinungsbildung oder Meinungsäußerung bei. Sie sind nicht funktional oder elementar notwendig, um, wie es in der Anmeldung des Antragstellers heißt, zum Thema der Veranstaltung Für Demonstrationsfreiheit! Gegen die Finanzdiktatur!' beizutragen.

Im Übrigen spricht auch der Charakter einer öffentlichen Grünanlage, hier geschützt durch entsprechende Satzung der Stadt Frankfurt am Main, gegen eine langfristige Inanspruchnahme durch die Occupy-Bewegung.

Nach der Grünanlagensatzung der Stadt Frankfurt am Main in der ab dem 23.10.2010 geltenden Fassung ist das Aufstellen von Zelten oder ähnlichen transportablen Unterkünften außerhalb der dafür gekennzeichneten Flächen unzulässig (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 der Grünanlagensatzung). Ebenso ist das Entzünden und Unterhalten von offenem Feuer außerhalb der Grillplätze und die Benutzung von Grillgeräten in den Grünanlagen verboten (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 6 Grünanlagensatzung). Diese Bestimmungen sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

Das vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit umfasste Recht der freien Ortswahl berechtigt nämlich nicht dazu, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für ein Grundstück, das nach dem Willen des Trägers als öffentliche Einrichtung der Allgemeinheit nur im Rahmen einer eingeschränkten Zweckbestimmung zur Verfügung steht. Aus Art. 8 Abs. 1 GG lässt sich eine generelle Verpflichtung des Trägers der Einrichtung zur Erweiterung der von ihm festgelegten öffentlichen Zweckbestimmung nicht entnehmen (BVerwG, NJW 1993, Seite 609). Soweit deshalb die Nutzung einer gewidmeten Fläche bzw. einer geschützten Grünanlage über den durch den Widmungszweck festgelegten Gemeingebrauch oder bei unter Schutz gestellten Gebieten dem gesetzlich festgelegten Schutzzweck zuwider läuft, kommen Auflagen hinsichtlich des Versammlungsortes in Betracht. Die Versammlungsbehörde kann in diesem Falle unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzzweckes und unter Beachtung des Gewichts des Interesses an der Wahrnehmung des Versammlungsgrundrechts Auflagen im Hinblick auf unmittelbar drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlassen. Von deren Vorliegen geht die Kammer im Hinblick auf die hygienischen Umstände vor Ort, die massive Verdichtung des Bodens in der Grünanlage wie auch des Entzugs dieser Fläche für die Allgemeinheit aus. Diese ergeben sich zweifelsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Behördenakte, auf den bezüglich der hygienischen Verhältnisse verwiesen wird.

Ausgehend von den so geschilderten tatsächlichen Gegebenheiten wie auch der vorgenommenen rechtlichen Einordnung ist es daher von Verfassungs wegen und auch nach einfachem Recht nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner in den Auflagen 2 und 3 die Nutzung von Zelten, Hütten, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenständen im Bereich der Grünanlage wie auch des Willy-Brandt-Platzes untersagt hat, sofern keine Erlaubnis nach dem Straßenrecht der Stadt Frankfurt am Main vorliegt, was nicht der Fall ist.

Als unterliegender Beteiligter hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52, 53 GKG und entspricht der Bedeutung der Sache für den Antragsteller. ..." (VG Frankfurt, Beschluss vom 06.08.2012 - 5 L 2558/12.F)

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Die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen bei der Fortsetzungsfeststellungsklage analog geltenden Widerspruchs- bzw. Klagefristen laufen bis zum Zeitpunkt der Erledigung eines Verwaltungsaktes und sind insoweit von dem Rechtssuchenden auch bei der Fortsetzungsfeststellungsklage zu beachten. Die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO hat weder die Durchführung eines Vorverfahrens zur Voraussetzung, noch unterliegt sie einer Klagefrist (im Anschluss an BVerwGE 109, 203). Zum Verbot einer Versammlung am Volkstrauertag (VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 17.07.2012 - 5 K 1163/11.NW):

... Das Feststellungsbegehren des Klägers ist aber nicht begründet, denn die versammlungsrechtliche Verbotsverfügung der Beklagten vom 10. November 2011 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat bei der Durchführung des geplanten Trauermarschs von Haßloch nach Böhl-Iggelheim zu Recht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit angenommen und deshalb den Trauermarsch ohne Rechtsfehler untersagt.

Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG - kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen u.a. die öffentliche Sicherheit bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Dabei umfasst die öffentliche Sicherheit den Schutz zentraler individueller Rechtsgüter, aber auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Bei der Durchführung des geplanten Trauermarsches am Volkstrauertag 2011 von Haßloch nach Böhl-Iggelheim drohte danach eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG, weil ein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Feiertagsgesetzes des Landes Rheinland-Pfalz - LFtG - gegeben war.

Das Landesfeiertagsgesetz konkretisiert den verfassungsrechtlich in Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 Weimarer Verfassung und in Art. 47 der Verfassung für Rheinland-Pfalz normierten Schutz der Sonntags- und Feiertagsruhe (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. November 2011, 6 A 10584/11.OVG). Als an Art. 8 Abs. 2 GG zu messendes Gesetz kann es das Recht auf Versammlungen unter freiem Himmel an bestimmten Feiertagen beschränken. Als spezielle landesgesetzliche Regelung verbietet § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG u.a. am Volkstrauertag ab 4.00 Uhr generell öffentliche Versammlungen und Aufzüge, soweit sie nicht der Religionsausübung dienen oder dem Charakter des Feiertags entsprechen. Diesem Schrankenvorbehalt unterfällt die am Volkstrauertag geplante Versammlung des Klägers.

Die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG ist Bestandteil der Rechtsordnung und damit der öffentlichen Sicherheit i. S. v. § 15 Abs. 1 VersG. Dabei zählt der Volkstrauertag mit dem Karfreitag und dem Totensonntag zu den stillen" bzw. ernsten" Feiertagen, dessen Charakter als Tag des stillen Gedenkens an die Opfer der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 16. November 2002, NVwZ 03, 601) durch den Normgeber besonders geschützt werden soll. Bei den (wenigen) stillen Feiertagen, die nach ihrem Charakter Anlass für ein stilles Gedenken und stille Trauer geben, will der Gesetzgeber die Feiertagsruhe schützen, um so diesen besonderen Charakter des Tages zu wahren (so OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. November 2006, LKRZ 07, 68 zum Totensonntag; OVG Brandenburg, NVwZ 03, 623 zum Volkstrauertag).

Der Beklagte hat auch bei der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG hinreichend berücksichtigt. Zum Schutze der Feiertagsruhe allein können öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel an diesem Tag nicht völlig verboten werden. Das entspricht nicht nur der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG, sondern auch dem Feiertagsgesetz selbst, das den besonderen Charakter der in § 6 Nr. 1 LFtG genannten stillen" Feiertage schützen will und nur dann zum Tragen kommt, wenn die Versammlung nicht dem Charakter des Feiertags entspricht und damit eine ernsthafte Störung des geschützten Rechtsguts zu besorgen ist (so OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. November 2006, a. a. O.). Bei dieser Auslegung bleibt das Gesetz auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten im Einklang mit Art. 8 GG, denn ein vollständiges Verbot einer Versammlung stellt sich nur als letzte Möglichkeit zum Schutz der öffentlichen Sicherheit dar und soll deshalb nur dann erfolgen, wenn mildere Mittel - wie versammlungsrechtliche Auflagen - nicht ausreichen, um einen hinreichenden Schutz eines gleichrangigen Rechtsguts zu gewährleisten (BVerfGE 69, 315).

Hier hat der Beklagte zu Recht angenommen, dass der vom Kläger geplante Trauermarsch von Haßloch nach Böhl-Iggelheim mit Kundgebung in Haßloch den Charakter des Volkstrauertags als Tag des stillen Gedenkens in einer ernsthaften, ein Verbot rechtfertigenden Weise gestört hätte. Die vom Kläger zunächst von 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr geplante Versammlung sollte zuletzt mit einer Eröffnungskundgebung (mit Redner) unter Einsatz eines Lautsprechers am Rathausplatz in Haßloch beginnen und über eine mehrere Kilometer führende Strecke durch Wohngebiete Haßlochs über den Rad- und Fußweg entlang der viel befahrenen Landesstraße L 532 nach Böhl-Iggelheim zu dem Gedenkstein unmittelbar an der L 528 führen. Weiterhin sollten auf dem Fußmarsch zwei schwarze Flaggen und ein Transparent mitgeführt sowie Druckwerke über die Ereignisse in den so genannten Rheinwiesenlagern durch die amerikanischen Besatzer" verteilt werden. Diese vom Kläger begehrte konkrete Ausgestaltung der Versammlung als Trauermarsch ist aber mit dem äußeren Erscheinungsbild des Volkstrauertags, wie es aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG folgt, nicht in Einklang zu bringen.

Bereits die beabsichtigte Verwendung eines hinsichtlich der erwarteten Anzahl der Versammlungsteilnehmer nicht notwendigen Akustikverstärkers und die damit auch Dritten gegenüber lautstark und durch die Verteilung von Flugblättern unterstützte, in der Öffentlichkeit kollektiv zum Ausdruck gebrachte politische Meinungsäußerung widersprechen dem am Volkstrauertag im Vordergrund stehenden stillen Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus. Dabei geht es nicht - wie in einer Mehrzahl von in der letzten Zeit bis zum Bundesverfassungsgericht geführten Streitigkeiten (Beschluss vom 12. April 2001 - 1 BvQ 19/01 -, betreffend eine Versammlung am Ostermontag, und vom 12. April 2001 - 1 BvQ 20/01 - betreffend eine Versammlung am Karsamstag) - um den Schutz des Empfindens einer Mehrheit der Bevölkerung vor tatsächlich oder vermeintlich unzumutbaren Provokationen durch die öffentliche Darbietung politischer Gesinnungen mit einer Nähe zu nationalsozialistischem Gedankentum an bestimmten Tagen und damit um eine zu befürchtende unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Vielmehr ist hier allein entscheidend, dass die konkret geplante Ausgestaltung der Versammlung als Trauermarsch in hohem Maße geeignet war, den durch den Landesgesetzgeber geschützten Charakter des Volkstrauertags zu stören, so dass das Verbot wegen einer Störung der öffentlichen Sicherheit (Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG) gerechtfertigt war.

Dabei ist ausschlaggebend, dass der Normgeber im Hinblick auf die am Volkstrauertag besonders geschützte Feiertagsruhe die Bevölkerung nicht mit einer lautstarken, die Öffentlichkeit suchenden Kundgebung, wie sie vom Kläger an diesem stillen Feiertag letzten Jahres beabsichtigt war, konfrontieren will. Bei der vom Kläger über mehrere Stunden geplanten Versammlung mit Kundgebung ging es ihm, wie aus den Transparent-Parolen und der Absicht, Flugblätter über die so genannte Rheinwiesenlagerkampagne zu verteilen, folgt, eindeutig nicht um ein stilles Trauern, auch nicht in Gemeinschaft, das sich im Rahmen der an einem Volkstrauertag üblichen Formen des Totengedenkens bewegt hätte. Vielmehr war die Versammlung auf eine kollektive öffentliche Meinungskundgabe ausgerichtet, wobei die von dieser Kundgabe betroffenen Anlieger von den Versammlungsteilnehmern und zu Wort kommenden Rednern, auch wenn sie damit nicht konfrontiert werden wollten, sowohl in ihrem Wohnfrieden als auch in der ihnen gesetzlich verbürgten Feiertagsruhe gestört worden wären. Hinzu kommt, dass bei Durchführung des Trauermarsches mit einem größeren Aufgebot an Polizeikräften im näheren Umfeld des Aufzugs hätte gerechnet werden müssen, so dass auch deshalb eine empfindliche Störung der Feiertagsruhe zu befürchten war. Ein größeres Aufgebot an Polizeikräften wäre hier nach Auffassung der Kammer nicht nur wegen einer vom Beklagten befürchteten Provokationswirkung der geplanten Versammlung erforderlich gewesen, sondern insbesondere auch deshalb, weil der Aufzug, der durch die Straßen Haßlochs und insbesondere parallel zu der viel befahrenen Landesstraße L 532 von Haßloch nach Böhl-Iggelheim führen sollte, über längere Zeit verkehrslenkend von einem Aufgebot der Polizei hätte begleitet werden müssen.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, zumindest das Totalverbot des Trauermarschs durch den Beklagten am 13. November 2011 sei rechtswidrig gewesen, weil ein Teil des Marsches als Standkundgebung in Böhl-Iggelheim am Gedenkstein habe durchgeführt werden können, kann dem nicht gefolgt werden. Bei der einstündig geplanten stationären Versammlung am Gedenkstein in unmittelbarer Nähe der L 528 handelt es sich nämlich nicht um ein Minus" zu dem beim Beklagten angemeldeten Trauermarsch, sondern um eine andere Veranstaltung, die unter der Erteilung von Auflagen von der dafür (allein) zuständigen Behörde (Rhein-Pfalz-Kreis) zugelassen wurde. Die zeitliche und örtliche Verlegung der Versammlung unterlag dabei allein dem Selbstbestimmungsrecht des Versammlungsanmelders. Mangels Zuständigkeit für die vom Kläger bei der Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises anstelle des Trauermarschs angemeldete stationäre Versammlung musste der Beklagte auch - entgegen der Auffassung des Klägers - insoweit keine eigene Ermessensentscheidung mehr treffen, unter welchen versammlungsrechtlichen Auflagen der zunächst geplante und bei ihm angemeldete Trauermarsch hätte zugelassen werden können. Bei dem Verbot des Trauermarschs konnte der Beklagte allerdings berücksichtigen, dass die vom Kläger am selben Tag bei der Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises angezeigte Versammlung in stark modifizierter Weise stattfinden konnte. ..."

***

Bestimmte Umstände können ein Höherrücken oder Absinken dieser Eingriffsschwelle bedingen. Ein derartiger Umstand ist unzulängliche oder mangelnde Kooperationsbereitschaft auf Seiten der Behörde oder des Veranstalters. Beruht die unzulängliche oder mangelnde Kooperationsbereitschaft auf dem Verhalten des Veranstalters, kann ein Versammlungsverbot gerechtfertigt sein. Der Veranstalter muss als Folge seines Verhaltens ein Versammlungsverbot auch dann hinnehmen, wenn sich die Tatsachen, die auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit schließen lassen, noch nicht so verdichtet haben, dass von einer unmittelbaren Gefahr gesprochen werden kann. Unzureichende oder mangelnde Kooperationsbereitschaft kann u.a. in der Verschleierung von Umfang der Veranstaltung und wirklichem Veranstalter liegen (VG Meiningen, Beschluss vom 24.05.2012 - 2 E 235/12 Me):

... Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann in einem solchen Fall das Gericht der Hauptsache auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Ein solcher Antrag kann jedoch nur dann Erfolg haben, wenn im Zeitpunkt der zu treffenden gerichtlichen Entscheidung kein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht oder wenn ein überwiegendes privates Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung ein gleichwohl vorhandenes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.

Ergibt die Prüfung im Eilverfahren, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist, so verschafft dies dem Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ein entscheidendes Übergewicht, während umgekehrt, sollte sich der Bescheid bei der gebotenen Prüfung als wahrscheinlich rechtmäßig herausstellen, dies im konkreten Fall für die von dem Antragsgegner angeordnete Vollziehung seines Bescheides spricht.

Nach § 80 Abs. 3 VwGO hat die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Dies ist in vorliegendem Fall in ausreichender Art und Weise geschehen.

Nach der im Hinblick auf die Besonderheiten des versammlungsrechtlichen Eilverfahrens gebotenen intensiven Prüfung der Sach- und Rechtslage (ThürOVG, B. v. 12.04.2002, ThürVBl. 2003, S. 53, juris, Rdnr. 12) kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass das Rechtsmittel des Antragstellers gegen den streitgegenständlichen Bescheid keinen Erfolg verspricht und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels überwiegt.

Zu Recht stützt die Behörde den Bescheid und das darin ausgesprochene Verbot der Demonstration auf § 15 Abs. 1 VersammlG.

Nach § 15 Abs. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst dabei nach allgemeiner Ansicht den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der gesamten Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anzunehmen sein wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Unter öffentlicher Ordnung versteht das allgemeine Polizeirecht die Summe der ungeschriebenen Verhaltensregeln, deren Einhaltung nach den Vorstellungen der Menschen im jeweiligen Rechtsraum für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben unverzichtbar ist.

Die in diesem Zusammenhang von der Behörde gebotene Gefahrenprognose erfordert tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (BVerfG, B. v. 07.11.2008 - 1 BvQ 43/08, juris, Rdnr. 17, m.w.N.). Hierfür können insbesondere die Verbotsgründe des § 5 VersammlG herangezogen werden, die in jedem Fall auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit implizieren (ThürOVG, B. v. 09.08.1996, ThürVBl. 1997, S. 34, m.w.N).

Die oben genannten Maßstäbe gelten nicht uneingeschränkt. Es gibt Umstände, die ein Höherrücken oder Absinken dieser Eingriffsschwelle bedingen können. Bestimmte behördliche Pflichten einerseits und Obliegenheiten auf Veranstalterseite andererseits sind zu berücksichtigen, deren Erfüllung oder Nichterfüllung die Eingriffsschwelle verschieben kann. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1985, BVerfGE 69, 315 [- Brokdorf' -]) auch einen wesentlichen verfahrens- und organisationsrechtlichen Gehalt. Daraus folgt die Pflicht der staatlichen Behörden zu einer versammlungsfreundlichen Verfahrensweise, zu einem ernsthaften Einsatz für die friedliche Durchführung von Demonstrationen und zu einer fairen Kooperation. Damit kommt z. B. der ohnehin bestehenden Verpflichtung zu Auskunft und Beratung (vgl. § 25 ThürVwVfG) ein besonderes Gewicht zu, etwa dergestalt, dass die Behörde die tatsächlichen Umstände, die ihrer Ansicht nach zu einem Versammlungsverbot führen könnten, zur Sprache bringt und dem Veranstalter Gelegenheit gibt, rechtzeitig Abhilfe zu schaffen (ThürOVG, B. v. 12.04.2002, a.a.O., juris, Rdnr. 16).

Andererseits trifft nicht nur die Behörden, sondern auch den Veranstalter die Obliegenheit zur Kooperation in dem Sinne, gemeinsam auf das Ziel einer friedlichen und die Beeinträchtigung von Drittinteressen möglichst gering haltenden Durchführung von Demonstrationen hinzuwirken. Dies folgt aus der Pflicht des Veranstalters, Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge anzumelden (§ 14 VersammlG). Die mit der Anmeldung verbundenen Angaben sollen den Behörden die notwendigen Informationen vermitteln, damit sie sich ein Bild darüber machen können, was einerseits zum möglichst störungsfreien Verlauf der Veranstaltung an Verkehrsregelungen und sonstigen Maßnahmen veranlasst werden muss und was andererseits im Interesse Dritter sowie im Gemeinschaftsinteresse erforderlich ist und wie beides aufeinander abgestimmt werden kann. Des Weiteren ermöglicht die mit der Anmeldung verbundene Kontaktaufnahme über das gegenseitige Kennenlernen hinaus einen Dialog und eine Kooperation, zu denen die Behörde bereit sein muss und die sich auch für die Demonstrationsträger im eigenen Interesse empfehlen. Scheitert der behördliche Versuch einer solchen Kooperation aus Gründen, die von Seiten der Veranstalter und Demonstranten zu vertreten sind, kommt ein Versammlungsverbot in Betracht (ThürOVG, B. v. 12.04.2002, a.a.O., juris, Rdnr. 22 bis 24 m.w.N.).

Besteht das Kooperationsdefizit gerade darin, dass der Behörde Angaben vorenthalten werden, die dem Veranstalter ohne Weiteres möglich und auch unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes durch Art. 5 Abs. 1 GG und 8 Abs. 1 GG zumutbar wären, und hat dies zur Folge, dass die Gefahrenprognose nur auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage erstellt werden kann, dann dürfen die Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts nicht überspannt werden. Der Veranstalter muss als Folge seines Verhaltens vielmehr ein Versammlungsverbot auch dann hinnehmen, wenn sich die Tatsachen, die auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit schließen lassen, noch nicht so verdichtet haben, dass von einer unmittelbaren Gefahr gesprochen werden kann. Allerdings müssen auch dann tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einer mehr als nur theoretischen Wahrscheinlichkeit der Versammlungsfreiheit gleich zu achtende Grundrechte Dritter gefährdet sein können, etwa dadurch, dass es zu Gewalttätigkeiten aus der Demonstration selbst heraus kommen kann. Dies gilt umso mehr, wenn sogar in Frage steht, ob die angemeldete Versammlung als potentiell unfriedliche überhaupt am Schutz des Art. 8 GG teilnimmt. Jedenfalls dann ist es auch nicht unverhältnismäßig, wenn eine Behörde, die ihrerseits ihren Verhaltens- und Verfahrenspflichten nachgekommen ist, ein Versammlungsverbot erlässt.

Das von dem Antragsgegner in vorliegendem Fall verfügte Versammlungsverbot ist nicht durch die Prognose einer unmittelbaren Gefahr für die den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 GG gleichwertigen Rechtsgüter, wie sie grundsätzlich für einen solchen Eingriff in das besonders geschützte Grundrecht der Versammlungsfreiheit erforderlich ist, gerechtfertigt. Abweichend von den die Schwelle für den Erlass eines Versammlungsverbots bestimmenden Maßstäben, ist das von dem Antragsgegner hier verfügte Versammlungsverbot dennoch rechtmäßig. Die Eingriffsschwelle für versammlungsrechtliche Maßnahmen ist angesichts des Verhaltens des Antragstellers und das des weiteren Anmelders H... nämlich erheblich herabgesetzt.

Auf Grund der Angaben und des Verhaltens des Antragstellers und des weiteren Anmelders H... anlässlich des Kooperationsgesprächs konnte der Antragsgegner letztlich nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, ob eine oder zwei selbständige Veranstaltungen am 09.06.2012 stattfinden sollten. Verbunden mit dieser Frage war die Frage, mit wie vielen Teilnehmern bei der Veranstaltung am 09.06.2012 zu rechnen war. Dem Antragsgegner ist es unmöglich, die damit verbundene Prognose, ob und inwieweit Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit der Veranstaltungsteilnehmer, der Anwohner, des Zirkuspersonals und der Polizeibeamten auf Grund zu erwartenden Lärmbelastung oder Ausschreitungen von Gegendemonstrationsteilnehmern bestehen und welche Maßnahmen zum Schutz vor Lärmbelästigungen getroffen werden können. Auch ist nicht einschätzbar, welche Maßnahmen zum Schutz der Teilnehmer und zur Trennung der gegensätzlichen Demonstrationen notwendig sind. Eine konkret wahrscheinliche Gefahrenprognose ist nicht möglich. Der Antragsgegner hätte allenfalls Vermutungen anstellen können. Grund dafür ist die systematische Verschleierung von Umfang der Veranstaltung und wirklichem Veranstalter durch den Antragsteller einerseits und den NPD-Landesverband andererseits.

Dies ergibt sich aus folgendem:

Der Antragsteller meldete am 07.02.2012 eine Kundgebung für den 09.06.2012 an. Die zu erwartende Teilnehmerzahl gab er mit ca. 1.500 Personen an. Die von Herrn H... angemeldete Kundgebung, ebenfalls für den 09.06.2012, stellte auf ca. 2.000 Teilnehmer ab. Hieraus durfte der Antragsgegner schließen, dass am 09.06.2012 in M... unter dem gleichen Motto bzw. Teilmotto Volkstod stoppen' zwei Kundgebungen mit mindestens insgesamt 3.500 Teilnehmern zu erwarten seien.

Bei dem Kooperationsgespräch vom 11.04.2012 waren beide Anmelder anwesend. Die Anwesenden waren sich einig, dass beide Veranstaltungsanmeldungen ohne zeitliche Unterbrechung' besprochen werden sollten. Im Rahmen der Besprechung ist in der Niederschrift unter anderem ausgeführt: Herr H... fragt nach der Ernsthaftigkeit, ob zwei Veranstaltungen parallel laufen sollen oder doch nur eine durchgeführt wird. Er stellt eindeutig fest, dass der Volkshausplatz nicht zur Verfügung steht, weil dort eine Public Viewing Veranstaltung zum Fußball stattfindet und die Nutzung der Flutmulde undenkbar ist. Herr D...: Die erste Veranstaltung wurde vom Landesverband angemeldet und die zweite von ihm privat. Beide Anmeldungen sollen erhalten bleiben und die Veranstaltungen werden, wenn möglich, parallel laufen, vorbehaltlich der Bereitstellung der geplanten Flächen.' Diese Angaben bedeuten nach ihrem Wortsinn, dass am 09.06.2012 in M... zwei parallel verlaufende Versammlungen mit insgesamt 3.500 Teilnehmern (ca. 1.500 Teilnehmer am Versammlungsort Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr Teilnehmern und ca. 2.000 Teilnehmer am Versammlungsort Volkshausplatz) stattfinden sollten.

Allerdings liegen - entgegen den Angaben des Antragstellers - Anhaltspunkte vor, dass nicht zwei getrennte, sondern eine Veranstaltung am 09.06.2012 stattfinden sollte. Dies ergibt sich aus Folgendem: Das Kundgebungsthema Volkstod stoppen', (Teil-)Motto beider' Veranstaltungen, wurde im Internet unter anderem beworben von www.jugend-national.de' hinsichtlich einer Veranstaltung in M... am 09.06.2012. Ausweislich des Impressums ist Herr H... verantwortlich. Auch das Schreiben vom 05.05.2012 belegt einen gegenseitigen Zurechnungszusammenhang. Herr H... verzichtete zwar auf die am 06.02.2012 angemeldete Kundgebung, führte aber aus: Die Anmeldung von Herrn D... bleibt aufrecht erhalten und wird fortan beworben.' Aus dem Auftreten des Herrn H... für den Antragsteller lässt sich der Schluss ziehen, dass ein gegenseitiger Zurechnungszusammenhang besteht und damit eine einzige Veranstaltung vorliegt. Auch ist im Antragsschriftsatz Herr H... mehrfach als Zeuge' benannt, wodurch auch hier der Verdacht genährt wird, dass der Antragsteller lediglich als Strohmann' auftritt. Ein weiteres Indiz eines gegenseitigen Zurechnungszusammenhangs lässt sich auch aus der Anmeldung des Antragstellers vom 07.02.2012 entnehmen. Hier wurde ... W... als Stellvertreter des Veranstalters D... benannt. Der frühere NPD-Organisationsleiter ... W... wurde am 13.05.2012 zum neuen Landesvorsitzenden der NPD Thüringen gewählt. Hieraus lassen sich Anhaltspunkte für einen engen Kontakt zwischen der Privatperson' D..., dem Antragsteller, und dem Landesverband der NPD entnehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum eine Privatperson und eine politische Partei an einem Tag gleichzeitig unter dem gleichen (Teil)Motto voneinander getrennte, selbständige Kundgebungen abhalten sollten. So ist auch augenfällig, dass Herr H... am 05.05.2012, nach Verzicht auf seine Anmeldung vom 06.02.2012 eine Demonstration in M... für den 09.06.2012 nunmehr allein unter dem Motto Volkstod stoppen' (Motto des Antragstellers für seine Versammlung) anmeldete. Dennoch wirbt die NPD auf der bereits genannten, ständig aktualisierten Homepage, für die Herr H... verantwortlich zeichnet, weiter für den Thüringentag der nationalen Jugend' mit dem angeblich vom Antragsteller zu verantwortendem Programm, bei dem der Antragsteller nur als einer von fünf Rednern genannt wird, als unsere' Veranstaltung, unterschrieben von Euer Veranstaltungsteam'.

Zweifel bestehen auch hinsichtlich der zu erwartenden Teilnehmerzahl am 09.06.2012 an der Veranstaltung auf dem Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr. Wie ausgeführt lassen die ursprünglichen Anmeldungen vom 06.02.2012 und 07.02.2012 eine Teilnehmerzahl von insgesamt 3.500 Personen erwarten.

Die Anmeldung des NPD-Landesverbandes vom 05.05.2012 allein betrachtet erweckt den Eindruck, dass am 09.06.2012 an Stelle der ursprünglich erwarteten 2.000 Teilnehmer nur noch mit 200 bis 400 Teilnehmern zu rechnen sei. Dies hätte zur Folge, dass bei der vom Antragsteller angemeldeten Veranstaltung am 09.06.2012 am Versammlungsort Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr mit einer weit geringeren Teilnehmerzahl zu rechnen wäre. Diesen Eindruck erwecken auch die Ausführungen in der Antragsbegründung, wonach der Antragsteller nunmehr ausführt von Anfang an war es beabsichtigt, und so soll es auch mit dem Aufzug des Zeugen H... vom Bahnhofsvorplatz zum Versammlungsplatz des Antragstellers geschehen, dass die meisten Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers vorher an der Versammlung des Zeugen H... teilnehmen.'

Aber auch hier liegen Anhaltspunkte vor, dass von einer weit höheren Teilnehmerzahl auszugehen ist. Bereits unter dem 26.04.2012 wurde der Antragsteller auf die Problematik der Teilnehmerzahl hingewiesen. Es wurde ausgeführt: Sollte auf dem geplanten Veranstaltungsort die Aufnahme der Veranstaltungsteilnehmer der vom NPD-Landesverband Thüringen angemeldeten Versammlung geplant sein - mithin eine Besucherzahl von insgesamt 3.500 Menschen - so ist mit einem Verbot zu rechnen.' Zwar signalisierte der Antragsteller am 07.05.2012 weitere Kooperationsbereitschaft; jedoch ging er auf diese offenkundig streitentscheidende Frage nicht ein. Aus der Anmeldung vom 05.05.2012 des Herrn H..., einige Teilnehmer der Demonstration werden sich nach Ende der Versammlung zu der von Herrn D... angemeldeten Kundgebung Ecke Werrastraße/Am Wehr einfinden und dort verbleiben' lassen sich keine nachvollziehbaren Gründe ersehen, warum eine ursprünglich erwartete Teilnehmerzahl von 2.000 Personen drastisch auf max. 400 Personen sinken soll.

Auch die Antragsbegründung führt zu keiner Klärung der Teilnehmerzahl. Der Antragsteller führt aus, dass er bei seiner Versammlung 1.500 oder sogar 2000 Teilnehmer erwartet habe. Mittlerweile hätten jedoch bekannte Musikgruppen abgesagt, so dass mit einer wesentlich geringeren Anzahl von Teilnehmern, vermutlich 500, zu rechnen sei, was die eidesstattliche Versicherung des Zeugen H... belege. Die namentlich genannte ausfallende Gruppe' war aber im Internet nie angekündigt. Und weiter: Von den zu erwartenden 500 Teilnehmern der Veranstaltung des Antragstellers werden die meisten, also vermutlich 400, mit der Bahn anreisen, sich dann der Versammlung des Zeugen H... anschließen und dann an der Versammlung des Antragstellers teilnehmen Auf diese Weise sind die Teilnehmerzahlen der Versammlung des Zeugen H... und des Antragstellers nicht zu addieren, sondern die Teilnehmerzahl der Versammlung des Zeugen H... ist eine Teilmenge der Versammlung des Antragstellers. Es bleibt daher bei der zu erwartenden Zahl von 400.' Dem Vortrag lässt sich nicht entnehmen, ob der Antragsteller nunmehr von einer Teilnehmerzahl von 400 oder 900 Personen (400 Personen + 500 Personen) ausgeht. Allerdings würde sich die vom Antragsteller erwartete Teilnehmerzahl mehr als halbieren. Und zwar ausweislich der Antragsbegründung auf Grund des Wegfalls von bekannten Musikgruppen'. Das lässt den Schluss zu, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmer nur wegen der Musik an der Veranstaltung hätten teilnehmen wollen. Obwohl der Antragsteller ausweislich des Kooperationsgesprächs ausdrücklich betonte, dass die Veranstaltung kein Fest o.ä. sei und die Musik und die Reden alle eindeutig einen politischen Inhalt hätten (was er allerdings nicht nachgewiesen hat), kommt der Verdacht auf, dass es sich lediglich um eine Musikveranstaltung handelt und nicht um eine Veranstaltung, die unter den Schutz des Art. 5 GG und Art. 8 GG fällt.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners der Kenntnisstand der Versammlungsbehörde im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung ist, der Antragsteller sich also auf Veränderungen nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides nicht berufen kann.

Es bleibt festzustellen, dass selbst heute die Frage der Selbständigkeit der Veranstaltung und die Frage der für den 09.06.2012 zu erwartenden Teilnehmerzahl nicht auf Grund der teils dürftigen, teils widersprüchlichen Angaben des Antragstellers auch nur ansatzweise geklärt ist. Dies beruhte auf mangelnder Kooperationsbereitschaft des Antragstellers. Dem Antragsteller wäre es möglich und zumutbar gewesen, vor Erlass des streitigen Bescheides, die aufgeworfenen Fragen zu klären. Auf die im Kooperationsgespräch von Herrn H... (PD - Suhl), geäußerten Zweifel, dass es sich um zwei Veranstaltungen handeln solle, erfolgten keine weiteren Reaktionen oder Erklärungen des Antragstellers oder des Anmelders H... Auch die Unklarheiten bezüglich der Teilnehmerzahl hätte der Antragsteller - gerade im Hinblick auf das Anhörungsschreiben vom 26.04.2012 - klären können und müssen. Dass der Antragsteller ausreichende und umfassende Kenntnis über die Teilnehmerzahl und deren beabsichtigten Aufenthaltsort bzw. -wechsel hatte, wird durch die Antragsbegründung belegt, in der er ausführte: von Anfang an war beabsichtigt und so soll es auch mit dem Aufzug des Zeugen H... vom Bahnhofsvorplatz zum Versammlungsplatz des Antragstellers geschehen, dass die meisten Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers vorher an der Versammlung des Zeugen H... teilnehmen. Von den zu erwartenden 500 Teilnehmern der Versammlung des Antragstellers werden die meisten, also vermutlich 400, mit der Bahn anreisen, sich dann der Versammlung des Zeugen H... anschließen und dann an der Versammlung des Antragsteller teilnehmen'. Aus diesem Grund waren dem Antragsteller auch das Verhalten und die Äußerungen des Anmelders H... zuzurechnen.

Der Versuch des Antragsgegners zu einer versammlungsfreundlichen Kooperation mit dem Antragsteller ist auf Grund dessen Verhalten gescheitert, so dass die Eingriffsschwelle absinkt. Die vom Antragsteller dem Antragsgegner mitgeteilten Angaben bieten nur eine unzureichende Grundlage für eine Prognose. Mangels konkret feststellbarer Zahl der Versammlungsteilnehmer war der Antragsgegner nicht in der Lage, eine Gefahrenprognose abzugeben. Der Antragsgegner konnte nicht beurteilen, ob sich der Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr -, gerade im Hinblick darauf, dass dort auch Versorgungs- und Technikfahrzeuge, Pavillons, Infostände, Großleinwände, Biertischgarnituren, mobile Toiletten, Ausschankwagen/zubehör, Kühlwagen und Zelte aufgestellt werden sollten, als Versammlungsort eignet, da diese Frage von der Teilnehmerzahl abhängt. Denn diese Zahl hat Auswirkungen insbesondere auch auf die Flucht- und Rettungswege. Sind diese nicht gewährleistet, bestehen offenkundig Gefahren für Leib und Leben der Veranstaltungsteilnehmer, Anrainer und Polizei. Da der Antragsgegner keine Gefahrenprognose treffen kann, kann er auch keine Maßnahmen ergreifen, die die Durchführung einer Versammlung noch ermöglichen könnten. Die Teilnehmerzahl ist auch maßgeblich für die Prognose einer Gefährdung durch Gegendemonstranten für die Veranstaltungsteilnehmer oder einer Gefährdung durch die Veranstaltungsteilnehmer für die Gegendemonstranten. Bei einer geringen Teilnehmerzahl bei der Veranstaltung des Antragstellers wird eine Gegendemonstration - mit dem erforderlichen Polizeieinsatz - in geringerem Abstand durchgeführt werden können als bei einer großen Teilnehmerzahl bei der Veranstaltung des Antragstellers. Möglicherweise sind dann zum Schutz der Teilnehmer der Veranstaltung des Antragstellers und zum Schutz der Gegendemonstranten gänzlich andere Demonstrationswege erforderlich. Kann der Antragsgegner aber mangels Kenntnis der Teilnehmerzahl nicht abschätzen, ob eine Gefährdung durch eine Gegendemonstration entsteht oder mit welchen Maßnahmen er eine solche Gefährdung abwenden kann, muss er von einer möglichen Gefährdung ausgehen. Entsprechendes gilt auch für die Frage der Lärmbelästigung. Je höher die Teilnehmerzahl, desto lauter ist es. Insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Lautsprechern. Zu große Lautstärke führt aber nachweislich zu Gesundheitsbeeinträchtigungen. Ohne Kenntnis der Teilnehmerzahl oder anderweitige Kooperation des Antragstellers, beispielsweise die Vorlage des geforderten Lärmgutachtens, ist es auch hier nicht für den Antragsgegner möglich, Maßnahmen zu ergreifen, die die Durchführung der Versammlung noch ermöglichen könnten. Die Frage der Lärmbelästigung wirkt sich auch auf den Zirkusbetrieb aus. Dies bedingt nicht nur mögliche Gefahren, weil sich Tiere erschrecken und dadurch Menschen gefährden könnten, sondern auch die Gefahr, dass der Zirkus seinen Betrieb nicht oder nicht in dem beabsichtigten Umfang durchführen kann. Letzteres stellt aber eine Beeinträchtigung des Grundrechts nach Art. 12 GG, das Recht der freien Berufsausübung, dar. Da der Antragsgegner aber vom Antragsteller keine ausreichenden, eindeutigen und zuverlässigen Angaben erhielt, war es ihm nicht möglich, eine Interessenabwägung beider Grundrechte durchzuführen oder eine Situation zu gewährleisten, die die Ausübung beider Grundrechte ermöglicht.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Antragsgegner dem Antragsteller die Möglichkeit einräumte, durch Einhaltung von Auflagen die Durchführung der Versammlung wenigstens grundsätzlich zu ermöglichen. Dass der Antragsteller nunmehr in seiner Antragsbegründung die Rechtmäßigkeit des Bescheides anzweifelt, weil der Antragsgegner nicht lediglich Auflagen erteilte, erscheint im Hinblick auf das Schreiben des Antragstellers vom 07.03.2012 abwegig.

Die von der Behörde dargestellte Gefahrenprognose für die öffentliche Sicherheit und Ordnung genügt deshalb den gesetzlichen Anforderungen und rechtfertigt das Versammlungsverbot.

Inwieweit die Veranstaltung vom 09.06.2012 bereits allein deswegen hätte verboten werden können, weil die Stadt den als öffentlich-rechtlich gewidmeten Parkplatz dem Antragsteller nicht zur Verfügung gestellt hätte, braucht hier nicht geklärt zu werden.

In Anbetracht der erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere im Hinblick auf den bundesweiten Internetaufruf, der Größe der Demonstration und der Tatsache, dass die prognostizierte Gefahr dem Antragssteller zuzurechnen ist, überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheides das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. ..."

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Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragsteller entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragsteller gegen Ziffern 3.13 und 3.15 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2012 mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird.

Ziffern 3.13 und 3.15 des angefochtenen Bescheides sind aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzen die Antragsteller nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Versammlungsrechtlich zulässig und vom Versammlungsrecht geschützt ist nur, was notwendiger Bestandteil der Versammlung ist und der Durchsetzung des für die demokratische Willensbildung geradezu konstituierenden und unabdingbaren Inhaltes der Versammlungsfreiheit dient (VG Würzburg, B. v. 19. April 2012 Nr. W 5 S 12.326, m.w.N.). Die Erfordernisse sind eng zu fassen (VG Würzburg, a.a.O.). Die Abgabe von Speisen und Getränken hat keinen funktionalen Bezug zu der angemeldeten Versammlung. Art. 8 schützt das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Äußerung. Eine Volksküche dient grundsätzlich nicht diesem Zweck. Durch sie wird den Demonstrationsteilnehmern lediglich ein Versorgungsangebot gemacht (vgl. zum Aufstellen von Imbissständen VGH Mannheim, B. v. 16.12.1993 Nr. 1 S 1957/93, NVwZ-RR 1994, 370). Betätigungen, die der demokratischen Meinungsbildung nicht wesensimmanent sind, werden nicht vom Versammlungsrecht geschützt, sondern von dem jeweils einschlägigen und einschränkbaren Freiheitsrecht (VG Stuttgart, B. v. 23.8.2006 Nr. 5 K 3128/06; Kanther, Zur Infrastruktur von Versammlungen: Vom Imbissstand bis zum Toilettenwagen, NJW 01, 1239). Die Erlaubnis für nicht funktional mit der Versammlung zusammenhängende Infrastrukturmaßnahmen ist bei der jeweiligen Fachbehörde zu beantragen. Solange erforderliche Erlaubnisse nicht vorliegen, ist von einem Verbot solchen Nebengeschehens auszugehen (Kanther, aaO). Je nach Ausgestaltung der Abgabe von Speisen und Getränken kommen insbesondere straßen- und wegerechtliche, gaststättenrechtliche (§ 12 GastG) und hygienerechtliche Erlaubnisvorgaben und Anforderungen in Betracht. Dass die Antragsteller über fachbehördliche Erlaubnisse verfügen, haben sie nicht vorgetragen.

Bezüglich der von den Antragstellern angegriffenen Regelung zur Mindestlänge von Plakatstangen hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass es aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchaus sachgerecht und notwendig erscheint, die Länge und Stärke von Stangen, die bei einer Veranstaltung mitgeführt werden, zu regeln. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass Gegenstände mitgeführt werden, die, ohne dass dies für Zwecke der Versammlung erforderlich wäre, als Waffen genutzt und herangezogen werden können. § 15 Abs. 1 VersG (hier Art. 15 BayVersG) erlaubt es, solche Gefahren abzuwehren (BayVGH, B. v. 9.12.2005 Nr. 24 CS 05.3215). Die hier von der Antragsgegnerin gewählte Vorgabe erscheint sachgerecht und zumutbar. Stangen mit einer Länge von unter 80 cm können ohne weiteres als eine Art Schlagstöcke verwendet werden. Konkreter Anhaltspunkte für eine unfriedliche Verwendung von Versammlungsutensilien bedarf es nicht, weil die Gefährlichkeit auf der Hand liegt. Abgesehen davon ergibt sich aus dem Vortrag der Antragsgegnerin im Sofortverfahren, dass für die unter Ziffer 3.15 getroffene Beschränkung durchaus berechtigter Anlass besteht. Die Einschränkung der Versammlungsteilnehmer ist im Übrigen marginal. ..." (VG Würzburg, Beschluss vom 11.05.2012 - W 5 S 12.387 - Volksküche, Mindestlänge von Plakatstangen)

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... I. Die Antragsteller sind Anmelder der für den Zeitraum vom 12. bis 27. Mai 2012 als Versammlung angemeldeten Veranstaltung des Aktionsbündnisses 12. Mai' mit der Bezeichnung Marktplatz der Ideen (Marktplatz der Ideen, Agora, Aktionswerkstatt)'. In diesem Zeitraum soll auf dem Platz gegenüber dem Berliner Rathaus zwischen Karl-Liebknecht-Straße, Spandauer Straße, St. Marienkirche und Neptunbrunnen der im Titel enthaltene Marktplatz der Ideen' mit einer Agora' und einer Aktionswerkstatt' stattfinden. Dazu sollen 26 Kleinzelte aufgebaut werden, denen bei Bedarf ein Informationstisch zur Seite gestellt werden soll. Ferner soll ein Großraum- bzw. Versammlungszelt mit einer Grundfläche von ca. 75 m² mit Podest und ein Wohnanhänger aufgestellt werden. Es ist geplant, dass regelmäßig ca. 100 Teilnehmer vor Ort sein sollen. Darüber hinaus findet am 12. Mai 2012 ein Sternmarsch statt, der gesondert angemeldet wurde und hier nicht Gegenstand des Verfahrens ist.

Nach einer Erläuterung des Rechts- und Veranstaltungscharakters hatten die Veranstalter eine ursprüngliche Versammlungsanmeldung vom 12. April 2012 zurückgenommen und stattdessen beim Bezirksamt Mitte von Berlin eine Sondernutzungserlaubnis beantragt. Nachdem ihnen diese aufgrund des Charakters der Fläche als öffentliche Grünanlage verwehrt worden war, meldeten sie am 7. Mai 2012 die Veranstaltung erneut als Versammlung an.

Durch Bescheid vom 9. Mai 2012 stellte der Polizeipräsident in Berlin i. S. d. § 15 VersammlG fest, dass es sich bei der angemeldeten Veranstaltung nicht um eine Versammlung unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 1 GG handelt und somit der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nicht eröffnet sei. Zur Durchführung der Veranstaltung sei das Vorliegen einer ordnungsrechtlichen Erlaubnis des zuständigen Bezirksamts Mitte von Berlin erforderlich.

II. 1. Der am 10. Mai 2012 bei Gericht eingegangene Antrag, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Mai 2012 erhobenen Widersprüche vom 9. Mai 2012 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg. Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Mai 2012 getroffene Feststellung, dass es sich bei der Veranstaltung nicht um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG handelt, ist nach der hier nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Bewertung rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des Bescheids verschont zu bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO).

a) Entgegen der Auffassung der Antragsteller fehlt es nicht an einer Ermächtigungsgrundlage für den feststellenden Verwaltungsakt. § 14 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 VersammlG lässt sich durch Auslegung die Ermächtigung der Versammlungsbehörde entnehmen, durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird. Die aus § 14 Abs. 1 VersammlG abgeleitete Befugnis der Versammlungsbehörde, die Versammlungseigenschaft einer angemeldeten Veranstaltung zu prüfen, und die in § 15 Abs. 1 VersammlG geregelte Eingriffsbefugnis enthalten auch die Ermächtigung, durch feststellenden Verwaltungsakt über die Versammlungseigenschaft zu entscheiden (vgl. hierzu ausführlich: OVG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2006 - OVG 1 B 4.05 -, juris Rn. 17 ff.). Die nachgehende Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris) enthält hierzu keine gegenteiligen Ausführungen.

b) Die getroffene Feststellung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 1 Abs. 1 VersammlG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Die rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund stehen. Dabei sind nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berücksichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die also nicht nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007, a. a. O. Rn. 15 ff.).

So genießt die Aufstellung eines Informationsstandes als solche nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 - 7 C. 5.78 -, BVerwGE 56, 63 (69); BVerfG - Vorprüfungsausschuss -, Beschluss vom 22. Dezember 1976 - 1 BvR 306/76 -, NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informationsstandes, mit dem den Vorübergehenden ein einseitiges Informationsangebot gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf Kommunikation vermittels einer eigens zu diesem Zweck veranlassten Gruppenbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und dazu führt, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes verstehen. Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Personenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 a. a. O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Versammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn das Informationsangebot der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstaltung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34 (39)). Das Informationsangebot erweist sich dann als Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2461; Beschluss der Kammer vom 11. Mai 2011 - VG 1 L 148.11 -, juris Rn. 6).

Im vorliegenden Fall treten versammlungsrechtliche Elemente hinter den reinen Informationsanliegen so stark zurück, dass das Geamtgepräge nicht als Versammlung gewertet werden kann. Es ist vielmehr nur eine Ansammlung der Darstellung unterschiedlichster Gruppen und Initiativen.

Sowohl beim Marktplatz der Ideen' als auch bei der Agora' und der Aktionswerkstatt' fehlt es bereits an einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92 (104), und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 und 341/81 - BVerfGE 69, 315 (342 f.)). Wie sich bereits dem Konzept der Veranstaltung entnehmen lässt, geht es nicht um eine gemeinschaftliche Kundgebung, sondern um die Darstellung einzelner Initiativen, Vereine und Organisationen. Dass die Veranstaltung nur ein Konglomerat unterschiedlichster Anliegen darstellt, wird auch durch die angegebenen Themen der Kleinzelte deutlich. Die Themen reichen von neuen Formen der Demokratie' über Mediaspree', Solidarität mit der Demokratiebewegung verschiedenster Länder, Bedingungsloses Grundeinkommen' bis zur Anti-Atom-Bewegung. Damit hat die Veranstaltung eher das Gepräge eines reinen Protest-Camps, wie es für die sogenannte Occupy-Bewegung' kennzeichnend ist. An diese knüpft im Übrigen gerade das Aktionsbündnis 12. Mai' als Frühjahrsauftakt der Bewegung Echte Demokratie Jetzt! - Occupy' an (vgl. z. B. www.alex11.org/events/vernetzungstreffen-berliner-initiativen-organisationen-zur-bildung-des-aktionsbundnisses-12-mai-berlin/); damit soll an die Platzbesetzungen der spanischen Bewegung democracia real ya!', die am 15. Mai 2011 begannen, erinnert werden (12mai-berlin.org/presse/). Aber weder eine lose Ansammlung von Zelten, ohne dass eine konkrete Verbindung zu einem gemeinschaftlichen Versammlungsanliegen deutlich wird, noch eine Platzbesetzung kann als integraler Bestandteil einer Versammlung angesehen werden. Allein die Forderung nach echter Demokratie als gemeinsames Motto dürfte dafür angesichts der Disparität der unterschiedlichen Gruppen nicht ausreichend sein.

Dass in den Kleinzelten, bei denen es sich um 2-3-Personen-Zelte handelt, gemeinschaftliche Kommunikation stattfinden soll, ist überdies unwahrscheinlich. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Zelte, wie die Antragsteller vortragen, unverzichtbar für die Darstellung der politischen Inhalte in der Öffentlichkeit seien. Dafür dürften wohl eher die geplanten Informationstische dienen. Vielmehr scheint das Informations- und Kommunikationsanliegen hier nur vorgeschoben, um den Dauerteilnehmern eine nächtliche Unterkunft zu ermöglichen.

Auch die Aktionswerkstatt soll nach eigener Darstellung der Veranstalter nur eine Plattform' bieten, auf der die Teilnehmer die gesellschaftlichen Probleme aufzeigen' können', die sie zu ihrem Thema gemacht haben. Es geht mithin nicht um eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen, sondern um eine Einzeldarstellung vielfältigster Initiativen mit unterschiedlichsten Themenstellungen. Allein der Oberbegriff einer neuen Gesellschaft' reicht für eine gemeinschaftliche Kommunikation nicht aus.

Gleiches gilt auch für die Agora' (altgriech.: zentraler Fest-, Versammlungs- und Marktplatz einer Stadt). Diese ist nach Darstellung der Antragsteller als zentraler öffentlicher Ort der Kommunikation und des politischen Diskurses gedacht. Zwar sind hier versammlungsrechtliche Elemente noch am ehesten erkennbar, jedoch soll auch dieser Platz nur der Information und Kommunikation der unterschiedlichen Aktionsgruppen dienen, ohne dass die gemeinschaftliche Kundgabe einer Meinung erkennbar wird. Damit entspricht die Agora' eher einem Konferenzzentrum unter freiem Himmel, in dem unterschiedliche Tagungen stattfinden können.

Was der ebenfalls angemeldete Wohnwagenanhänger mit dem Anliegen der Veranstaltung zu tun hat, bleibt völlig unklar. Die Unterbringung elektrischer Geräte, so wie bei der Anmeldung angegeben, belegt eher, dass es vorliegend um einen Daueraufenthalt im öffentlichen Raum geht, ohne dass damit eine kollektive Meinungskundgabe verbunden ist.

Die angemeldete Veranstaltung dient offensichtlich nur dazu, den öffentlichen Raum zu besetzen und dort präsent zu sein, um vorübergehende Passanten mit dem Anliegen der Veranstalter bekannt und vertraut zu machen. So wurde auch beim ersten Vernetzungstreffen zur Bildung eines Aktionsbündnisses für den 12. Mai' laut Protokoll (vgl. occupyberlin.info/blog/2012/02/29/protokoll-zum-ersten-vernet-zungstreffen-zur-bildung-eines-aktionsbundnisses-fur-den-12-mai/-12315) darauf hingewiesen, dass das öffentliche Forum langfristig (min. bis Oktober) im öffentlichen Raum umgesetzt werden soll und nicht nur für den Aktionstag gedacht ist'.

Es erscheint auch zweifelhaft, ob, selbst wenn man den Versammlungscharakter der Veranstaltung bejahen würde, diese an dem angemeldeten Ort, einer öffentlichen Grünanlage, stattfinden dürfte. Das vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit umfasste Recht der freien Ortswahl berechtigt nämlich nicht dazu, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für ein Grundstück, das nach dem Willen des Trägers als öffentliche Einrichtung der Allgemeinheit nur im Rahmen einer eingeschränkten Zweckbestimmung zur Verfügung steht (BVerwG, NJW 1993, S. 609). Aus Art. 8 GG lässt sich eine generelle Verpflichtung des Trägers der Einrichtung zur Erweiterung der von ihm festgelegten öffentlichen Zweckbestimmung nicht entnehmen (BVerwG, ebd.). Soweit deshalb die Nutzung einer gewidmeten Fläche bzw. einer geschützten Grünanlage über den durch den Widmungszweck festgelegten Gemeingebrauch oder bei unter Schutz gestellten Gebieten dem gesetzlich festgelegten Schutzzweck zuwiderläuft, kommen Auflagen hinsichtlich des Versammlungsorts in Betracht (vgl. Beschluss der Kammer vom 16. September 2010 - 1 L 248.10 -, EA S. 7, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 S 179.10 -, EA S. 3; Ridder/ Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, Rn. 213). Die Versammlungsbehörde kann in diesem Fall unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzzwecks und unter Beachtung des Gewichts des Interesses an der Wahrnehmung des Versammlungsgrundrechts Auflagen im Hinblick auf unmittelbar drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlassen (vgl. Ridder u.a., ebd.; BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 7 C 34.91 -, NJW 1993, 609 (610)). ..." (VG Berlin, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L 102.12)

***

... 1. Der - sinngemäß gestellte - Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin - 6 K 1459/12 - gegen Ziffer 5. des Auflagenbescheides des Landrates als Kreispolizeibehörde E. vom 7. Mai 2012, mit der der Antragstellerin für die Veranstaltung mit dem Thema Freiheit statt Islam!' am 8. Mai 2012 in E. das Zeigen der Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' untersagt worden ist, wiederherzustellen, hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zunächst in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Namentlich entspricht sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist.

Erforderlich ist insoweit eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses daran, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden, zurücktreten muss,

vgl. statt Vieler: Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 Rdnr. 85.

Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner. Mit seiner Argumentation, die beschränkende Verfügung stelle sicher, dass die geplante Veranstaltung einen störungsfreien Verlauf nehme und Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit auf ein Mindestmaß reduziert würden, und sie erfolge, um den Anspruch der Allgemeinheit auf Erhaltung der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten, zeigt er nachvollziehbar die besondere Dringlichkeit des Sofortvollzugs des streitigen Auflagenbescheides zum Schutz der Teilnehmer an der Demonstration der Antragstellerin wie auch der Teilnehmer der Gegendemonstration auf. Die Erwägungen des Antragsgegners lassen damit erkennen, dass er sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Erwägungen zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt es demgegenüber nicht an. Vielmehr trifft das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine in Würdigung aller einschlägigen Gesichtspunkte vorzunehmende eigene Entscheidung über die Rechtfertigung des Sofortvollzugs,

vgl. Verwaltungsgericht (VG) Aachen, zuletzt Beschluss vom 3. Februar 2012 - 6 L 40/12 -.

Der Eilantrag ist gleichwohl begründet, weil die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung insgesamt zu Lasten des Antragsgegners ausfällt.

Hat die Behörde - wie hier - einen belastenden Verwaltungsakt unter Hinweis auf ein überwiegendes öffentliches Interesse für sofort vollziehbar erklärt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag des Betroffenen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers daran, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht auf das hohe Gewicht der in Art. 8 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Versammlungsfreiheit den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zu,

vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), u.a. Beschluss vom 14. Mai 1985 - l BvR 233, 341/81 -, Amtliche Entscheidungssammlung (BVerfGE) Band 69, 315.

Dementsprechend hat ein solcher Antrag Erfolg, wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und demnach ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht bestehen kann oder wenn auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der Rechtmäßigkeit des Demonstrationsverbots ausgegangen werden kann.

Hiervon ausgehend ist der gestellte Eilantrag begründet, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung des Antragsgegners spricht.

Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder - hier relevant - von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot oder eine beschränkende Verfügung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.

Der Begriff der unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. fast mit Gewissheit' zu erwarten ist,

vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil 25. Juni 2008 - 6 C 21.07 -, DVBl 2008, 1248-1251, und .

Zur Annahme einer Gefährdung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG genügt deshalb auch nicht eine abstrakte Gefahr. Die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Die Prognose muss dabei auf erkennbaren Umständen' beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen.

Unter Zugrundelegung der dargelegten Maßstäbe ist nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (§ 15 Abs. 1 VersG) für den Fall, dass bei der angemeldeten Versammlung die Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' gezeigt wird, nicht glaubhaft belegt ist.

Der Antragsgegner begründet das mit der Auflage Nr. 5 verfügte Verbot, eine - nicht näher bezeichnete - Karikatur von Kurt Westergaard zu zeigen, zwar nicht ausdrücklich. Aus dem Sachzusammenhang, insbesondere der Weisung im Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) vom 7. Mai 2012 (Az. 402 - 57.02.01) sowie der unter dem gleichen Datum verfassten und an die Verwaltungsgerichtsbarkeit NRW gerichteten Schutzschrift' des IM NRW (gleiches Az.), folgt jedoch, dass das streitgegenständliche Verbot im Wesentlichen auf den Vorfällen anlässlich der Veranstaltungen der Antragstellerin in Solingen am 1. Mai 2012 und insbesondere in Bonn am 5. Mai 2012 fußt. Bei diesen Veranstaltungen hatte das Zeigen der Mohammed-Karikaturen von Kurt Westergaard zu gewalttätigen Reaktionen seitens der Gegendemonstranten geführt, in deren Verlauf Steine geworfen und Polizisten attackiert wurden. Im Verlauf der Ausschreitungen in Bonn wurden durch Gewalttäter, die den Salafisten zugeordnet wurden, 29 Polizisten - zum Teil schwer - verletzt.

Damit hat der Antragsgegner zwar aufgezeigt, dass es im Verlauf der beiden genannten Veranstaltungen zu unmittelbaren Gefahren für erhebliche Rechtsgüter gekommen ist. Es fehlt aber an einem Nachweis, dass der Eintritt des befürchteten Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. fast mit Gewissheit', auch für die konkrete Veranstaltung in E. zu erwarten ist.

Der Hinweis, die in Bonn von der Polizei festgenommenen 111 Salafisten stammten aus dem gesamten Bundesgebiet, was den Schluss darauf zulasse, dass die auch jetzt noch andauernde Mobilisierung Salafisten bundesweit zur Teilnahme an den heute und morgen stattfindenden Versammlungen bewegen' werde, ist erkennbar unkonkret und spekulativ. Der Antragsgegner hat keine Tatsachengrundlage aufgezeigt, die zumindest Anhaltspunkte dafür bieten könnte, dass die gewaltbereite Salafisten-Szene etwa der Tour' der Antragstellerin durch Nordrhein-Westfalen folgt und deswegen auch in E. mit einem Zusammentreffen und vergleichbaren Ausschreitungen wie in Bonn zu rechnen sein könnte. Es fehlt auch an Indizien dafür, dass die vom IM NRW mehrfach zitierten gegenwärtigen Aufrufe im Internet' gerade auch die Veranstaltung in E. betreffen; erwähnt wird hier allein die in Internetforen erfolgte Aufforderung von mehr als 2.000 Personen, an der Abschlussveranstaltung am Nachmittag des 8. Mai 2012 in Köln teilzunehmen. Allein der Hinweis auf die räumliche und zeitliche Nähe der E1. Veranstaltung zu der in Köln ist erkennbar unzureichend, eine unmittelbare Gefährdung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG zu belegen.

Gegen das tatsächliche Bestehen einer unmittelbaren Gefährdung spricht auch der Verlauf der zeitlich nach der gewalttätig verlaufenen Veranstaltung in Bonn durchgeführten Veranstaltungen in Bielefeld, Münster und Hagen. Für die Veranstaltung in Münster wurde nach Kenntnis der Kammer kein Verbot, Mohammed-Karikaturen zu zeigen, verfügt. Derartige Verbote für die Veranstaltungen in Bielefeld und Hagen wurden durch die Verwaltungsgerichte Minden und Arnsberg im vorläufigen Rechtsschutzverfahren für rechtswidrig gehalten, weshalb den auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der eingereichten oder noch einzureichenden Klagen gerichteten Anträgen mit - den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens bekannten - Beschlüssen vom 7. Mai 2012 stattgegeben wurde,

vgl. VG Minden, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 11 L 302/12 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 3 L 336/12 -.

Obwohl damit davon ausgegangen werden kann, dass bei diesen Veranstaltungen die fraglichen Karikaturen gezeigt worden sind, ist es - möglicherweise auch zurückzuführen auf eine deutlich höhere Polizeipräsenz - nicht zu den befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den auch in Bielefeld, Münster und Hagen vor Ort anwesenden Gegendemonstranten gekommen,

vgl. zu den insoweit im Internet aufrufbaren Presseberichten: (allgemein) www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html; Bielefeld: www.westfalen-blatt.de/nachricht/2012-05-07-pro-nrw-demo-karrikaturen-duerfen-gezeigt-werden/613/c48d92873e 56a09a782644183e54a24e/; Münster: www.wn.de/Muenster/ Kundgebung-Pro-NRW-verlaeuft-friedlich-Ein-Dutzend-Rechtsex-tremer-demonstriert-vor-Hiltruper-Moschee; Hagen: www.lo-kalkompass.de/hagen/leute/pro-nrw-in-hagen-d164703.html; (alle abgerufen am 7. Mai 2012).

Auch bei der überwiegenden Mehrzahl der früheren Veranstaltungen seit Beginn der Tour' durch NRW am 28. April 2012 ist es ausweislich der zur Gerichtsakte gelangten Pressemitteilungen der Polizei zu den Veranstaltungen in Oberhausen, Herten und Hamm am 2. Mai 2012 und in Krefeld und Düsseldorf am 4. Mai 2012 nicht zu Ausschreitungen gekommen,

vgl. zu den Veranstaltungen von Pro NRW auch: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30. April 2012 - 5 B 546/12; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2012 - 18 L 760/12 -; VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -.

Lediglich die Veranstaltungen in Solingen und Bonn bilden die - unrühmliche und traurige - Ausnahme. Dafür aber, dass die Rahmenbedingungen in E. mit den Umständen dieser beiden Veranstaltungen vergleichbar wären, fehlt es an begründeten Anhaltspunkten. Insbesondere fehlt es an verlässlichen Indizien dafür, dass Anhänger der gewaltbereiten Salafisten-Szene überhaupt zu der Veranstaltung nach E. kommen werden. Auch die mögliche Annahme, dass Salafisten, für die mit Blick auf die Veranstaltung in Köln ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden ist,

vgl. www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html (abgerufen am 7. Mai 2012),

die E1. Veranstaltung als Ausweichveranstaltung' nutzen könnten, bleibt erkennbar spekulativ. Sollte es tatsächlich hierauf gerichtete Aufrufe im Internet oder über andere Medien geben, ist vielmehr davon auszugehen, dass dies den Verfassungsschutzbehörden, die die Salafisten auch in Nordrhein-Westfalen überwachen,

vgl. Verfassungsschutzbericht NRW für das Jahr 2010, S. 216 - 219,

bekannt ist und im vorliegenden Verfahren dann auch vorgetragen worden wäre. Dass dies nicht geschehen ist, spricht dafür, dass es diese Erkenntnisse tatsächlich nicht gibt.

Letztlich fehlt es im angefochtenen Bescheid auch an einer Auseinandersetzung damit, ob die Polizei nicht in der Lage ist, mit ihren Mitteln Vorfälle, wie sie in Bonn geschehen sind, bei künftigen Veranstaltungen auszuschließen. Zum einen dürfte die Polizei aufgrund der Vorfälle mit einer erhöhten Polizeistärke vor Ort sein. Zum anderen hat der Antragsgegner die Gefahr eines unmittelbaren Aufeinandertreffens der Antragstellerin mit Gegendemonstranten durch eine Verlagerung des Kundgebungsortes und eine Vergrößerung des Abstandes zwischen beiden Gruppen zusätzlich entschärft. Auch diese Maßnahmen dürften dazu beitragen, dass das hier streitgegenständliche Zeigen der Mohammed-Karikaturen nicht zu einer unmittelbaren Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG führt. Sollte sich eine derartige Gefahr gleichwohl im Verlauf der Veranstaltung wider Erwarten ergeben, bleiben dem Antragsgegner die sich aus dem Versammlungsgesetz ergebenden Eingriffsmöglichkeiten. Die angefochtene Auflage erweist sich hingegen als rechtswidrig. ..." (VG Aachen, Beschluss vom 08.05.2012 - 6 L 220/12)

***

... Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig gestellte und kurzfristig zu bescheidende sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 1. Mai 2012 - 14 K 2211/12 - gegen die Auflage Ziff. 7 des Bescheides des Antragsgegners vom 30. April 2012 ( Das Zeigen der von Kurt Westergaard stammenden islamkritischen Karikaturen oder solcher Karikaturen, die mit ihm assoziiert werden, ist während der Versammlung untersagt') wiederherzustellen, ist begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht in den Fällen, in denen eine Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abweichend von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet, weil dessen sofortige Vollziehbarkeit durch die erlassende Behörde angeordnet wurde, auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kommt nur in Betracht, wenn das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Antragstellers, von Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, nicht überwiegt. Bei der insoweit gebotenen Interessenabwägung sind die Erfolgsaus-sichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mit zu berücksichtigen. Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte wegen der Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz - GG - schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlungen in der beabsichtigten Form führt.

Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 und vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069.

Die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 30. April 2012 geregelte Auflage Ziff. 7, wonach das Zeigen der von Kurt Westergaard stammenden islamkritischen Karikaturen oder solcher Karikaturen, die mit ihm assoziiert werden' während der am 2. Mai 2012 in der Zeit von 14.00 bis 16.00 Uhr in I. geplanten Versammlung untersagt wird, erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig. Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz - VersG - kann die zuständige Behörde - hier der Antragsgegner - eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Auflagen dienen vornehmlich dazu, Versammlungen zu ermöglichen, die aus rechtlichen Gründen ansonsten nicht zugelassen werden könnten. Demzufolge sind auch versammlungsbehördliche Auflagen nur zulässig, um eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die in § 15 Abs. 1 VersG angesprochenen Auflagen dienen daher auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, indem durch sie regelmäßig verhindert wird, dass eine Versammlung aus Gründen verboten wird, die durch ein den Betroffenen weniger belastendes Mittel abgewehrt werden können. Auflagen dürfen nicht verfügt werden, um damit den Zweck einer Versammlung zu vereiteln, oder wenn sie mit der Versammlung selbst nicht mehr im Zusammenhang stehen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 9. November 2001 - 3 BS 257/01 -, DÖV 2002, S. 529, juris; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Auflage, § 15, Rdnr. 43 f.

Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen für die hier angefochtene Auflage nicht vor. Der angefochtene Bescheid ist durch keine auf Tatsachen gestützte Prognose abgesichert. Der Antragsgegner hat in der Begründung der Versammlungsbestätigung weder eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung substantiiert vorgetragen noch sind nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose angeführt worden; die Bezugnahme auf die aktuelle Gefährdungsbewertung vor dem Hintergrund der zu erwartenden nationalen und internationalen Medienberichterstattung' und der Verweis darauf, dass auch mit einer Erhöhung der Gefährdungssituation für Kurt Westergaard selbst zu rechnen sei', ist offenkundig unzureichend.

Vgl. VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2012 - 18 L 760/12 -. Zu politischen Bewertungen' als Grundlage für versammlungsrechtliche Verfügungen vgl. auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 1. Juni 2006 - 14 L 817/06 -, juris, nachfolgend BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 2006 - 1 BvR 1429/06 -, juris.

Dies gilt umso mehr, als aus der angegriffenen Verfügung auch nicht mit ausreichender Klarheit hervorgeht, ob die Antragstellerin überhaupt als Störerin in Anspruch genommen worden ist. Es ist für das Gericht derzeit nicht zu erkennen, dass das Zeigen der in Rede stehenden Karikaturen strafrechtlich relevant wäre, etwa der Straftatbestand des § 166 StGB erfüllt wäre. Dass es bei der von der Antragstellerin am 1. Mai 2012 in Solingen durchgeführten Wahlkampfveranstaltung zu teilweise gewaltsamen Protesten von Gegendemonstranten kam, die der salafistischen Szene angehören,

vgl. Pressemeldung des Polizeipräsidiums Wuppertal vom 1. Mai 2012, abrufbar unter www.presseportal.de,

kann nicht der Antragstellerin zugerechnet werden. Es spricht daher mehr dafür, dass der Antragsgegner die Antragstellerin als Nichtstörerin in Anspruch genommen hat; einer abschließenden Klärung dieser Frage bedarf es indes vorliegend nicht. Ebenso wenig obliegt es der Kammer, darüber zu befinden, ob das strafrechtlich zwar mutmaßlich irrelevante, jedoch offensichtlich allein auf bloße Provokation ausgerichtete Zeigen der Karikaturen in der Nähe einer Moschee ein angemessenes Verhalten in einer pluralistischen Gesellschaft ist. ..." (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 02.05.2012 - 14 L 564/12)

***

Die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls (hier: des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes (juris: FeiertG HE) legitimiert nicht dessen Verletzung. Zur Frage, welche Art von Versammlung dem ernsten Charakter des Karfreitags widerspricht (VG Gießen, Beschluss vom 05.04.2012 - 4 L 745/12.GI):

... I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Untersagung der für Karfreitag, den 6. April 2012, angemeldeten Kundgebung Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen'.

Am 16. März 2012 meldete der Antragsteller bei der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt G. eine Demonstration für den 6. April 2012, 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr, auf dem Kirchenplatz in G. an, die unter dem Motto Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' stehen sollte, in den Medien aber auch unter den Mottos Tanzen gegen das Tanz-Verbot', Kommet und tanzet zuhauf' und Kommt tanzend vorbei' angeführt wurde. Am 29. März 2012 fand ein Kooperationsgespräch statt, bei dem außer dem Kirchenplatz - auf dem sich außer einem Kirchturm nur noch die Silhouette einer im zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche findet - noch der B. Platz vor dem Rathaus sowie die Fußgängerüberführung Seltersweg als Veranstaltungsort in Erwägung gezogen wurden. Nach internen Abstimmung(sschwierigkeit)en zwischen der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt G. als örtlicher Ordnungsbehörde und dem Regierungspräsidium G. als Bezirksordnungsbehörde übte das Regierungspräsidium G. sein Selbsteintrittsrecht aus und untersagte durch Verbotsverfügung vom 3. April 2012 die angemeldete Kundgebung ebenso wie Ersatzveranstaltungen an anderen Orten in G. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung (Blatt 5 bis 13 d. A.).

Am 4. April 2012 hat der Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und vorsorglich am selben Tag beim Regierungspräsidium G. Widerspruch eingelegt. Das Regierungspräsidium G. verteidigt seine Verbotsverfügung.

II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss erfolglos bleiben [A.], so dass die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller zur Last fallen [B.] und wobei der Streitwert auf den gesetzlichen Auffangstreitwert festzusetzen ist [C.].

A. Der Antrag, die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung des Regierungspräsidiums G. vom 3. April 2012 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auszusetzen, ist zulässig [1.], aber unbegründet [2.].

1. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob als Rechtsbehelf, der den Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO herbeizuführen geeignet ist, dem Antragsteller allein die Anfechtungsklage zur Verfügung steht, oder ob im Hinblick auf den auslegungsfähigen Wortlaut des § 16a Abs. 2 Satz 1 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (HessAGVwGO) in der Fassung vom 27. Oktober 1997 (GVBl. I S. 381), geändert durch Gesetz vom 17. Oktober 2005 (GVBl. I S. 674) - FFN 212-5 -, derzufolge es dann, wenn das Regierungspräsidium einen Verwaltungsakt erlassen hat, eines Vorverfahrens nicht bedarf', i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO auch der kostengünstigere Widerspruch eröffnet ist, da von einer materiellen Erledigung der angegriffenen Verfügung während der Rechtsbehelfsfrist auszugehen ist und im Hinblick auf die Erfolglosigkeit des Begehrens offenbleiben kann, ob die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs oder die einer noch zu erhebenden Klage wiederherzustellen sei. Da die Anmeldung aufrechterhalten bleibt, kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller im Internet verbreitet hat, die Demo am Karfreitag in G. (finde) nicht statt.'

2. Der Antrag erweist sich jedoch als unbegründet. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung unter Ausrichtung an den - mangels anderer gesetzlicher Vorgaben hier entsprechend heranzuziehenden - Kriterien des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 3. April 2012. Das Regierungspräsidium G. war sachlich und örtlich zuständig [a.] und hat - bezogen auf das Begehren des Antragstellers - materiell zutreffend entschieden [b.]

a. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14) - FFN 310-63 - war das Regierungspräsidium G. als Bezirksordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HSOG ermächtigt, die Befugnisse der ihm unterstellten Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt G. als örtlicher Ordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HSOG auszuüben und damit selbst eine Anordnung zu treffen. Das Versammlungswesen fällt nach § 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Durchführung des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetzes (HSOG-DVO) vom 12. Juni 2007 - FFN 310/105 - i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 1 HSOG in den Aufgabenbereich der allgemeinen Ordnungsbehörden. Auf Seite 3, zweiter und letzter Absatz, der angegriffenen Verfügung hat das Regierungspräsidium G. nachvollziehbar die Umstände dargelegt, die aus seiner Sicht den Selbsteintritt erforderten.

b. Der Ansicht des Regierungspräsidiums G., der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes in der Fassung vom 29. Dezember 1971 (GVBl. I S. 343) - FFN 17-6 - stehe der geplanten Kundgebung entgegen, ist zu folgen. Danach sind am Karfreitag von 0.00 Uhr an öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge und Umzüge aller Art, wenn sie nicht den diesem Feiertag entsprechenden ernsten Charakter tragen, verboten. Diesem Verbot ist über die versammlungsrechtliche Ermächtigung des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789) - FNA 2180-4 -, das in Hessen nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) als Bundesrecht fortgilt, Geltung zu verschaffen, denn jede Veranstaltung - auch unter dem Privileg einer Versammlung -, die diesem ernsten Charakter des Karfreitags nicht Rechnung trüge, stellte sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände so als Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Zwar handelt es sich bei der angemeldeten Kundgebung ohne Zweifel um eine Versammlung [(1)], doch ist sie - jedenfalls in der angemeldeten Form - nicht durchzuführen [(2)].

(1) Eine Kundgebung unter dem Motto Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' ist auch dann eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, wenn sie als Ausdrucksmittel Tanzelemente zu integrieren beabsichtigt, da die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung - und zwar hinsichtlich einer vom Antragsteller für geboten erachteten Novellierung des Hessischen Feiertagsgesetzes - gerichtet ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, BVerfGE 104, 92 (104)). Wegen dieser Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung geht sie damit über eine öffentliche Tanzveranstaltung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Feiertagsgesetzes hinaus, die mehr auf Tanzlustbarkeiten im Sinne von § 33b der Gewerbeordnung zielen dürfte, deren Abhaltung indes landesrechtlichen Bestimmungen vorbehalten bleibt.

(2) Diese Versammlung unterfällt indes dem Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, nach dem für Versammlungen unter freiem Himmel das Versammlungsrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann. In der angemeldeten Art und Weise verbleibt nur die Möglichkeit des Verbots [(a)], während Auflagen als milderes Mittel ausscheiden [(b)].

(a) Das Kundgabemittel des Tanzes als Ausdruck des Protests gegen den Normbefehl des § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes ist - jedenfalls in der beabsichtigten Form - mit dem gesetzlich normierten ernsten Charakter des Karfreitags nicht zu vereinbaren. Unerheblich ist dabei, dass der Antragsteller die Motive des Gesetzgebers, die insbesondere den Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes tragen, offenbar nicht teilt. Denn zum einen folgt aus dem Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eine Schutzverpflichtung des Gesetzgebers, die durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage aus Art. 139 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383), der nach Art. 140 GG Bestandteil dieses Grundgesetzes ist, konkretisiert wird und demzufolge der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt' bleiben (siehe auch Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 -, BVerfGE 125, 39 (84 ff.); Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 6 B 35.09 -, juris, Abs.-Nr. 16), zum anderen legitimiert die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls nicht dessen Verletzung. Auch wenn dem Tanz gesellschaftlich verschiedene Funktionen zuzubilligen sind, überwiegt doch typischerweise eine ausgelassene, freudige Grundeinstellung und stellt der Antragsteller genau hierauf ab. Diese Grundeinstellung ist typischerweise mit dem ernsten Charakter des Karfreitags, an den der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes anknüpft, nicht in Einklang zu bringen.

(b) Möglichkeiten, durch geeignete Auflagen nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes das kommunikative Anliegen des Antragstellers mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit eines jedenfalls nicht unerheblichen Bevölkerungsanteils vor dem objektivrechtlich bestehenden staatlichen Schutzauftrag in praktische Konkordanz zu bringen, sind nicht erkennbar. Soweit eine Auflage des Inhalts, die Versammlung nicht am Karfreitag, dem 6. April 2012, sondern am Karsamstag, dem 7. April 2012, abzuhalten, in Erwägung zu ziehen ist (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, zu einer Versammlung an dem durch Proklamation des Bundespräsidenten vom 3. Januar 1996, BGBl. I S. 17, eingeführten Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als einer Verwaltungs-, nicht Rechtsvorschrift), ist nichts dafür erkennbar, dass dies dem auf Protest gegen das Hessische Feiertagsgesetz durch dessen Zuwiderhandlung gerichteten Anliegen des Antragstellers entsprechen könnte. Auch andere Auflagen, durch die die vom Antragsteller beabsichtigte Kundgabe mit dem äußeren Erscheinungsbild des Karfreitags, wie es aus § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes folgt, in Einklang zu bringen sein könnte, sind nicht erkennbar: Der Normgeber will die Bevölkerung am Karfreitag nicht mit einer Kundgabe wie der vom Antragsteller beabsichtigten konfrontieren. Der Hinweis des Antragstellers darauf, dass in Fortführung der vom Regierungspräsidium G. vertretenen Ansicht eine Christopher-Street-Demonstration' in einem konservativen Dorf nicht erlaubt sei, geht fehl, da insoweit mangels einer dem § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes entsprechenden konkreten Normierung auf die in § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes zwar auch angeführte öffentliche Ordnung', mithin bloße Sozialnormen, abgestellt werden müsste, die freilich im Allgemeinen weder Verbote noch Auflösungen, sondern nur Auflagen zu rechtfertigen vermöchte (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschl. des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (353)). ..."

***

... I. Mit Bescheid vom 28. März 2012 bestätigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin - unter teilweiser Abänderung der angezeigten Wegstrecke und unter Anordnung von (hier nicht angefochtenen) Beschränkungen - die von dieser mit Schreiben vom 10. Februar 2012 angezeigte Versammlung für den in der Zeit zwischen Uhr und Uhr zum Thema Nazigewalt bekämpfen! Verfassungsschutz auflösen!' in mit dem Sammelort '.

Abweichend von der Anmeldung der Antragstellerin, wonach der Demonstrationszug folgenden Verlauf nehmen sollte:

platz - straße - Straße - - platz - straße - straße - platz - platz - straße - - Straße - straße - platz,

wurde folgende Wegstrecke (Änderungen im Kursivdruck) vorgegeben:

platz - straße - Straße - - platz - tor - straße (Zwischenkundgebung in Höhe Haus-Nr. ) - zurück zum platz - - - markt - Straße - platz (Südseite) (Zwischenkundgebung Ecke straße / straße) - straße - - Straße - straße - platz (Abschlusskundgebung).

In den Gründen verwies die Antragsgegnerin auf eine bereits für den gleichen Tag für die Zeit von bis Uhr angemeldete Demonstration der Menschen für Tierrechte', die folgenden Verlauf nehme:

straße (Platz vor der ) - straße - platz - - gasse - straße - platz ( ) - - straße - straße - straße - - markt - - straße ,

wobei die Wegstrecke möglicher Weise mehrmals begangen werden solle, so dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Veranstaltung über 16.00 Uhr hinausgehe. Hierauf sei die Antragstellerin bereits hingewiesen worden, weshalb am 19. März 2012 eine von der Anmeldung abweichende Wegstrecke vereinbart worden sei. Diese stimme mit der nunmehr vorgegebenen Wegstrecke im Wesentlichen überein, die vom aus statt - wie vereinbart - über die straße nunmehr über die gasse und den zur Straße führe.

Nachdem die Antragstellerin unter Hinweis darauf, dass der Anlass, die Route zu ändern, tatsächlich nicht bestehe, weil die ebenfalls für diesen Tag angemeldete Demonstration bereits um 16.00 Uhr endete, an der ursprünglich angemeldeten Wegstrecke habe festhalten wollen, alternativ eine Route

von der straße zum platz über den sowie straße - platz zum platz

vorgeschlagen habe, sei der Verlauf in einem weiteren Gespräch am 26. März 2012 mit der Antragsgegnerin erörtert worden. Dabei sei darauf hingewiesen worden, dass einer Wegstrecke durch die straße oder auch nur zum platz die bereits angemeldete Demonstration der Menschen für Tierrechte' entgegen stehe, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die insoweit vorgesehene Wegstrecke der bis 16.00 Uhr dauernden Veranstaltung wie angekündigt mehrmals begangen werde und die beiden Versammlungen zusammentreffen. Es sei nicht realistisch, dass der von der Antragstellerin angemeldete Aufzug erst nach 16.00 Uhr am platz bzw. in der straße eintreffe. In dem Gespräch sei auch darauf hingewiesen worden, dass bei einer durch die Fußgängerzone führenden Wegstrecke aufgrund des Teilnehmerkreises Gefahren für unbeteiligte Personen und Geschäfte nicht ausgeschlossen werden könnten. Deshalb müsse die Antragsgegnerin auf einer nicht unmittelbar durch die Fußgängerzone führenden Route bestehen. Die Antragstellerin habe hierauf erklärt, dass sie zumindest auf der von ihr alternativ vorgeschlagenen Wegstrecke bestehe; sie sehe sich durchaus in der Lage, auf die Teilnehmer deeskalierend einzuwirken und so eventuelle Übergriffe aus der Versammlung heraus zu vermeiden.

Die Vorgabe der von der Anmeldung der Antragstellerin und von ihrem Alternativvorschlag abweichenden Wegstrecke rechtfertige sich aus Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach könne die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die vorgegebene Wegstrecke stelle einerseits die Erfüllung des Versammlungszwecks nicht in Frage, sei andererseits aber auch ausreichend, um eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung auszuschließen. Eine Öffentlichkeitswirkung könne auch erzielt werden, wenn der Aufzug nicht unmittelbar durch die Fußgängerzone führe. Immerhin führe die Route durch ein Gebiet der Innenstadt, wo der Aufzug und damit auch das Thema der Demonstration durchaus bemerkt würden. Weiter legt die Antragsgegnerin in den Gründen dar, dass am Tag der Veranstaltung, dem ersten Samstag vor den Osterferien erfahrungsgemäß mit eine starken Besucheraufkommen in der gesamten Innenstadt - zumal bei der erwarteten guten Wetterlage - zu rechnen sei. Laut Anmeldung werde mit 500 Versammlungsteilnehmern gerechnet; dies sei nach polizeilichen Erkenntnissen auch durchaus realistisch, da mit einer Anreise aus dem gesamten nordbayerischen Raum und aus Baden-Württemberg zu rechnen sei. Es sei davon auszugehen, dass sich ca. 200 Personen aus dem gewaltbereiten, autonomen Spektrum an der Versammlung teilnehmen. Sowohl die Versammlungsleiterin - die Antragstellerin - als auch deren Stellvertreter seien dem hiesigen linksextremistischen Spektrum zuzuordnen. Für die Versammlung werde mit Plakaten, Flyern und im Internet geworben. Auf den Flyern seien Bilder abgedruckt, die vermummte Personen und den Einsatz von Pyrotechnik zeigen. Auf dem Mobilisierungsvideo, das im Internet aufgerufen werden könne, werde mit einem massiven Abbrand von Pyrotechnik und Vermummung auf die Versammlung eingestimmt'. Anschließend wird auf gleichgelagerte Versammlungsgeschehen in der jüngeren Vergangenheit (am 2010, am 2010, am 2011 und am 2011) verwiesen, bei denen es zu Stein-, Flaschen- und Feuerwerkskörperwürfen gegen Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge und infolgedessen zu Verletzungen der Einsatzkräfte gekommen sei. Der Verlauf der genannten Versammlungen zeige, dass sich das Verhalten zumindest eines Teils der Versammlungsteilnehmer nicht ändern werde. Es sei mit wenig Kooperation während der Versammlung zu rechnen, zumal die Einflussmöglichkeiten der Versammlungsleitung gering seien. Gerade das Mobilisierungsvideo zeige eine starke Tendenz in Richtung Militanz und Anwendung von Pyrotechnik. Durch das militante Auftreten der Versammlungsteilnehmer (Vermummung, schwarzer Block usw.) und das zu erwartende Abbrennen von Pyrotechnik sei eine erhebliche Beeinträchtigung von Unbeteiligten, insbesondere in der Fußgängerzone, zu erwarten, wo ein polizeiliches Einschreiten, insbesondere wegen der dargestellten geballten Veranstaltungslage und des damit verbundenen Besucheraufkommens nicht möglich sein werde, zumal polizeiliche Zugriffsmaßnahmen eine weitere erhebliche Gefährdung von Unbeteiligten nach sich zögen. Die von der Veranstalterin beabsichtigte Route des Aufzugs in der Innenstadt sei mit einem erheblichen Risiko für Veranstaltungsteilnehmer, für unbeteiligte Besucher und auch für die zum Einsatz kommenden Polizeikräfte verbunden. Demgegenüber sei dies bei der vorgegebenen Wegstrecke wegen des nicht vergleichbaren Fußgängeraufkommens nicht im gleichen Maße zu befürchten, obwohl diese ebenfalls durch die Innenstadt führe und gut frequentiert sei. Die Änderung der Wegstrecke sei demnach erforderlich, um den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung sicherzustellen. Sie sei geeignet, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszuschließen. Der Zweck der Versammlung werde dadurch nicht beeinträchtigt. Andererseits könnten Sachbeschädigungen und Konfrontationen von vorneherein verhindert werden. Mit der Verlegung des Kundgebungsortes auf dem platz aufgrund einer bereits genehmigten Veranstaltung sei die Antragstellerin einverstanden gewesen.

Gegen die in diesem Bescheid vorgegebene Wegstrecke erhob der im Bescheid als Stellvertreter der Antragstellerin in ihrer Funktion als Veranstalterin und verantwortliche Leiterin angeführte unter der Voraussetzung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Klage. Darüber hinaus beantragte er gleichermaßen, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.

Die Beschränkung der Versammlung sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig; sie verstoße gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Bei dem geänderten Teil der Wegstrecke handele es sich gerade um den durch die Fußgängerzone führenden Abschnitt, der dem Anliegen des Veranstalters Rechnung trage, größtmögliche Aufmerksamkeit zu erhalten. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass der Veranstalter das Recht habe, selbst über Zeit, Ort und Gestaltung der Versammlung zu bestimmen. Behördliche Beschränkungen seien gemäß Art. 15 BayVersG nur zulässig, wenn zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdeten. Für das Vorliegen solcher Umstände müssten jedoch konkrete Tatsachen bewiesen werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose seien konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen seien nicht ausreichend. Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen könnten zwar für die Gefahrenprognose als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Orts, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufwiesen. Allerdings dürfe die Behörde unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Vorliegend beschränke sich die Gefahrenprognose indes auf die Feststellung, dass es bei früheren Versammlungen desselben Veranstalters zu Stein-, Flaschen- und Feuerwerkskörperwürfen gegen Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge u. a. gekommen sei. Dieser Feststellung könne jedoch nur indizielle Wirkung beigemessen werden. Selbst wenn es zuträfe, dass bei früheren Versammlungen mit ähnlichem Teilnehmerkreis Feuerwerkskörper abgebrannt worden seien, gäbe es doch keine Hinweise darauf, dass dadurch Passanten gefährdet würden. Im Hinblick auf Ziel und Inhalt der Demonstration gebe es auch keinen Anlass für die Annahme, Störungen könnten sich gegen Passanten richten. Dafür gäbe es weder einen Beleg noch sei dies auch nur belegbar. Die Antragsgegnerin nenne keine konkreten Tatsachen, die eine derartige Prognose rechtfertigten. Bei früheren Versammlungen desselben Veranstalters sei es nie zu einer Gefährdung unbeteiligter Personen gekommen. Auch sei nicht ersichtlich, inwiefern eine angebliche Gefährdung von Passanten nur in dem durch die Innenstadt führenden Streckenbereich gegeben sein solle. Dass die Antragsgegnerin die Änderung der Wegstrecke zunächst nur mit der bereits zuvor angemeldeten Demonstration für die Rechte der Tiere begründet habe, lasse auf einen behördlichen Beschränkungseifer' schließen, von dem sich die Antragsgegnerin abseits der konkreten Besorgnis von Gefahren habe leiten lassen. Erst als seitens des Veranstalters auf die fehlende Kollision der beiden Versammlungen hingewiesen worden sei, sei die Beschränkung mit der Gefahrenprognose gerechtfertigt worden. Die angeordnete Beschränkung komme einem Verbot gleich, da die Versammlung durch die Beschränkung ihres wesentlichen Inhalts oder ihrer wesentlichen Zielsetzung beraubt werde. Die Demonstration solle die Öffentlichkeit zum Thema Nazigewalt' ansprechen. Die durch die Innenstadt führende Wegstrecke stelle einen zentralen Abschnitt der Route dar, da an keinem andern Punkt ähnlich viel Aufmerksamkeit vor einem gemischten Publikum zu erwarten wäre. Ach führe der Zug durch die straße, in der sich 19 die rassistischen Morde des ereignet hätten.

Der Berichterstatter wies den Absender von Klage und Antrag fernmündlich darauf hin, dass sein Antrag mangels eigener Sachlegitimation abgelehnt werden müsste, da er nicht Adressat des Bescheides der Antragsgegnerin sei; auch fehle seine eigenhändige Unterschrift. Er regte an, dem Gericht nachträglich eine Vollmacht der Antragstellerin zu übermitteln, und verwies darauf, dass im Falle einer Aufrechterhaltung des Prozesskostenhilfeantrags für diese deren Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Einkommensverhältnisse erforderlich sei.

Die Antragstellerin übermittelte die angesprochene Vollmacht, der der Absender der an das Gericht gerichteten Schreiben seine Unterschrift beifügte.

Mit Schreiben vom 29. März 2012 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen, der - so wie er ihr übermittelt worden sei - bereits wegen der fehlenden Unterschrift des Antragstellers sowie weiterer Angaben zu seiner Person, die erforderlich wären, weil er nicht Adressat des angefochtenen Bescheides sei - unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei. Insoweit werde zunächst auf die Gründe des Bescheides vom 28. März 2012 Bezug genommen. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass dem Begehren der Antragstellerin bereits entgegen stehe, dass der Verein Menschen für Tierrechte e. V.' am , mithin zu einem früheren Zeitpunkt für eine weitgehend identische Strecke eine Versammlung angemeldet habe. Soweit die Antragstellerin behaupte, es gäbe zwischen beiden Versammlungen keine zeitliche Überschneidung, entspreche dies nicht den Tatsachen. Laut Anmeldung des Menschen für Tierrechte e. V.' sei die Durchführung der Versammlung für die Zeit zwischen Uhr und Uhr vorgesehen. Zusagen oder anderweitige handfeste Erkenntnisse für eine vorzeitige Beendigung lägen nicht vor; insoweit lasse auch die Antragsschrift eine nähere Begründung oder gar Belege nicht erkennen. Vielmehr habe der Menschen für Tierrechte e. V.' gegenüber der Polizei erklärt (vgl. Stellungnahme des Polizeipräsidiums vom , Bl. 15 des übermittelten Behördenvorgangs), dass er die Strecke eventuell zweimal gehen wolle, weshalb das vorgesehene Ende der Veranstaltung um Uhr fraglich sein könne. Die beiden Versammlungen überschnitten sich demnach in der jeweiligen Kernzeit von Uhr bis Uhr, weshalb die später angemeldete Versammlung der Antragstellerin auf eine andere Wegführung habe verwiesen werden müssen. Wegen der Wegführung werde auf den per e-mail übermittelten Plan Bezug genommen.

Der Bescheid gehe ferner zutreffend davon aus, dass von der Versammlung der Antragstellerin Gefahren für die öffentliche Sicherheit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG drohten. Nach den polizeilichen Erkenntnissen seien die Veranstalter dem linksextremistischen Bereich zuzurechnen. Von den erwarteten 500 Teilnehmern würden 200 dem gewaltbereiten Spektrum angehören. Dieser Teilnehmerkreis sei die Ursache dafür gewesen, dass Versammlungen in den Jahren 2010 und 2011 unfriedlich verlaufen seien, dass es insbesondere wiederholt zu Angriffen auf Polizeibeamte mit Feuerwerkskörpern gekommen sei. Dass am 2012 ein erheblicher Teil der Versammlungsteilnehmer in ähnlicher Weise agieren werde, ergebe sich aus dem im Bescheid genannten Mobilisierungsvideo und dem offiziellen Veranstaltungsflyer, die jeweils durch Szenen bestimmt seien, in denen Pyrotechnik zum Einsatz gelange. Die dem Bescheid zugrunde liegende Prognose stütze sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin somit sowohl auf Erkenntnisse aus früheren gleichgelagerten Versammlungen des autonomen Spektrums als auch auf die Umstände, die konkret die bevorstehende Versammlung beträfen. Die Gewaltbereitschaft weiter Kreise der Versammlungsteilnehmer werde aktuell durch einen Beitrag auf . ' bestätigt (vgl. Bl. 24 des übermittelten Behördenvorgangs), in dem am Ende ein unfriedlicher Verlauf der Streckenänderung in Aussicht gestellt werde.

Die Antragsgegnerin habe somit vor der Entscheidung gestanden, die Versammlung zu verbieten oder aber den drohenden Gefahren mit weniger einschneidenden Mitteln zu begegnen. Im Hinblick auf den hohen verfassungsrechtlichen Rang der Versammlungsfreiheit und in Anbe-tracht der Tatsache, dass nicht alle Versammlungsteilnehmer als gewaltbereit eingestuft werden könnten, habe sie sich auf das mildere Mittel der Änderung der Versammlungsstrecke beschränkt. Letztere sei allerdings unverzichtbar, da im Bereich der Fußgängerzone und der zu ihr führenden straße eine Begleitung durch die Polizei, die eine effektive Gefahrenabwehr ermögliche, nicht zu gewährleisten sei. Die straße, der Platz vor der , straße und platz gehörten als Herz der City bzw. dem Zugang hierzu stadtweit zu den Straßen mit dem stärksten Fußgängerverkehr, wie beispielsweise die letzte Verkehrszählung in der straße an einem gewöhnlichen Nachmittag mit 37.000 Fußgängern in 16 Stunden belege. An einem Samstagnachmittag sei die Fußgängerdichte derart stark, dass in von gewaltbereiten Versammlungsteilnehmern verursachte Auseinandersetzungen zwangsläufig auch Unbeteiligte gerieten. Im Bedarfsfalle stünde insoweit das Polizeipräsidium zu weiteren Auskünften zur Verfügung. Abschließend werde nochmals darauf hingewiesen, dass die geänderte Route nicht in der Peripherie, sondern über den platz und dann über an die Fußgängerzone sich anschließende Innenstadtbereiche verlaufe. Die Veranstalterin erhalte hierdurch die Möglichkeit für ein unter den gegebenen Umständen größtmögliches Maß an Aufmerksamkeit.

II. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, soweit diese nicht ausnahmsweise gemäß § 80 Abs. 2 VwGO entfällt. In den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO - wie hier gemäß Art. 25 BayVersG - von Gesetzes wegen entfällt, kann das Gericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der zwischen dem durch Gesetz geregelten Sofortvollzug und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen ist. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.

An diesen Grundsätzen gemessen erweist sich der auf die Anfechtung der Wegstreckenänderung beschränkte Antrag der Antragstellerin bei der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als unbegründet.

Die Antragsgegnerin war auch aufgrund des aus Art. 8 Abs. 1 GG herzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung nicht gehindert, die vorgesehene Route der Veranstaltung - wie geschehen - teilweise zu ändern. Das dem Selbstbestimmungsrecht innewohnende Recht des Veranstalters, sein Demonstrationsinteresse eigenständig zu konkretisieren, findet dort seine Grenze, wo sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern kollidiert. Insoweit steht es ihm nicht auch zu zu beurteilen, welches Gewicht diesen Rechtsgütern in der Abwägung mit seinem Grundrecht der Versammlungsfreiheit zukommt, und darüber zu befinden, wie diese Interessenkollision zu bewältigen ist.

Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die die für den für eine teilweise identische Route zur gleichen Kernzeit angemeldeten Versammlungen der Antragstellerin und des Vereins Menschen für Tierrechte e. V.' unter Berücksichtigung des beiden Veranstaltern gleichermaßen gewährten Grundrechts auf Versammlungsfreiheit räumlich und zeitlich koordinieren muss, der bereits vorher angemeldete Versammlung des Vereins Menschen für Tierrechte e. V.' den Vorrang einzuräumen und die Antragstellerin wegen der zu besorgenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit in dem durch die Fußgängerzone der Innenstadt ( straße - platz) und dem hierzu führenden Abschnitt der vorgesehenen Wegstrecke ( straße) auf eine - zudem nur teilweise - geänderte Route (von der straße zurück zum platz und über - gasse - - Straße zum platz - Südseite) zu verweisen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Insbesondere hat sich die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung nicht von dem Prioritätsgrundsatz - nach der zeitlich früheren Anmeldung der Versammlung - einem Erstanmelderprivileg', leiten lassen, sich vielmehr an der Rechtsprechung (vgl. BVerfG, B. v. 6.5.2005, 1 BvR 961/05, BayVBl 2005, 592 ff. = DVBl 2005, 969 ff. = NVwZ 2005, 1055 ff.; BayVGH, B. v. 17.8.2007, 24 CS 07.2038; B. v. 8.11.2005, 24 CS 05.2916) orientiert, bei einer derartigen Kollision von grundrechtlich geschützten Rechtspositionen für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen, die praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütern durch versammlungsbehördliche Auflagen herzustellen.

Die Antragsgegnerin hat zur Überzeugung der Kammer hinreichend dargelegt, dass es entgegen der Behauptung der Antragstellerin tatsächlich eine maßgebliche zeitliche und räumliche Überschneidung der beiden angemeldeten Versammlungen gibt. In räumlicher Hinsicht führen beide Aufzüge über die straße und die straße, wobei - zumal im Hinblick auf die Ankündigung des Vereins Menschen für Tierrechte e. V.' die von diesem vorgesehene, die genannten Straßen einschließende Route in der Zeit zwischen Uhr und Uhr, gegebenenfalls auch darüber hinaus, mehrmals - mindestens zweimal - zu gehen - eine zeitliche Eingrenzung des Zusammentreffens mit dem sich gegen Uhr bzw. Uhr vom Sammelplatz platz' in Richtung Innenstadt bewegenden Aufzug der Antragstellerin nicht möglich ist. Auch liegen dem Gericht - worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist - keine Erkenntnisse vor, die auf eine vorzeitige Beendigung der Versammlung des Vereins Menschen für Tierrechte e. V.' schließen ließen.

Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin überzeugend dargelegt, dass von der Versammlung der Antragstellerin Gefahren für die öffentliche Sicherheit drohen. Sie hat sich insoweit - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützt, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Gefahrenlage im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG ergeben. So hat sie insbesondere darauf verwiesen, dass nach polizeilichen Erkenntnissen damit gerechnet werden muss, dass unter den erwarteten ca. 500 Teilnehmern ca. 200 dem gewaltbereiten autonomen Spektrum zugehörende Personen sein werden, die zum unfriedlichen Verlauf früherer, in den Jahren 2010 und 2011 erfolgter Versammlungen beigetragen hätten. Die weiteren Hinweise auf das im Bescheid genannte Mobilisierungsvideo und den offiziellen Veranstaltungsflyer bestätigen diese Befürchtung. Dem hat die Antragstellerin Maßgebliches nicht entgegensetzen können.

Unter diesen Umständen ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, der gerade im Bereich der Fußgängerzone ( straße) und der zu dieser führenden straße zu besorgenden Gefährdung unbeteiligter Personen durch entsprechende Änderung der von der Antragstellerin vorgesehenen Wegstrecke des Aufzugs, einer im Vergleich zu der ultima ratio eines Verbots der Versammlung die Antragstellerin weit weniger belastenden, einer die Begleitung des Demonstrationszugs durch die Polizei zur effektiven Gefahrenabwehr aber ermöglichenden Auflage zu begegnen, nicht zu beanstanden, zumal dadurch dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Gegenstand, Zeitpunkt und Ort seiner Versammlung in ausreichender Weise Rechnung getragen wird. Für eine unangemessene Beschränkung im Sinne einer Zensur' - wie von der Antragstellerin geltend gemacht - sieht die Kammer keinerlei Anhaltspunkte. ..." (VG Ansbach, Beschluss vom 30.03.2012 - AN 1 S 12.00513)

***

... I. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Auflage bezüglich einer in Berlin-Schöneweide geplanten Versammlung.

Unter dem 06.02.2012 meldete der Antragsteller über die Internetwache der Polizei eine Versammlung zum Thema Gegen organisierte Nazi-Strukturen in Schöneweide" für den 02.03.2012, 18 Uhr an. Der Aufzug sollte ausweislich der Anmeldung schließlich von Norden kommend über die E durch die B zum M führen und dort mit einer Abschlusskundgebung enden.

Am 06.02.2012 wurde auf der Website www.antifa-berlin.info ein Aufruf zu der Versammlung unter der Überschrift Antifa-Demo in Schöneweide" veröffentlicht, dessen Untertitel 'Was zuviel ist, ist zuviel' - 3 Jahre Nazikneipe Z ', sind 3 Jahre zuviel! Nazinetzwerke aufdecken und zerschlagen" lautete. In der in dem Aufruf verlinkten Langfassung finden sich unter anderem Ausführungen zu der Kneipe Z " in der B und zu dem von dem Landesvorsitzenden der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), S , in der B betriebenen Ladenlokal H " sowie zu Herrn S selbst. Ein Hinweis auf seine private Wohnanschrift findet sich darin nicht. Auch in den weiteren der Gerichtsakte und dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden Mobilisierungsaufrufen ist eine Nennung der Privatanschrift von Herrn S nicht vorzufinden. Die Mobilisierungsaufrufe enthalten auch keine Bezugnahmen auf die private Wohnanschrift des Herrn S .

Unter dem 22.02.2012 wurde auf der Website de.indymedia.org ein Artikel unter der Überschrift Schöneweide bei Nazis weiter hoch im Kurs" veröffentlicht, in dem unter anderem steht: Hier wohnen maßgebliche Akteure wie S (unter seinem falschen Namen M " in der B ) und hier haben sie ihre Infrastruktur und Rückzugsräume."

Am 29.02.2012 führte die Versammlungsbehörde telefonisch ein Kooperationsgespräch mit dem Antragsteller. Dabei wurden ausweislich des in dem Verwaltungsvorgang befindlichen Vermerks unter anderem die Reizobjekte, wie: H ', H , der G , H ' und die Wohnanschrift des Herrn S " thematisiert. Der Antragsteller habe bekannt gegeben, dass ihm die Wohnanschrift des Herrn S nicht persönlich bekannt gewesen sei.

Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 01.03.2012 bestätigte der Polizeipräsident in Berlin die Anmeldung der Versammlung und erließ zu Ziff. 1 folgende Auflage: Der Aufzug ist nach der E nicht über die B sondern über die S zum angemeldeten Abschlusskundgebungsort M zu führen und dort zu beenden. Es wird untersagt, den Aufzug durch die B zu führen." Es wurde zudem festgelegt, dass auf dem Schnittstellenbereich von E - und S eine Zwischenkundgebung mit dem Blick auf das Lokal Z " stattfinden solle. Zur Begründung führte die Versammlungsbehörde insbesondere an, dass der Antragsteller bereits Anmelder eines Aufzuges am 08.07.2011 gewesen sei, der durch die B geführt habe und bei dem es zu Flaschenwürfen und einem Landfriedensbruch gekommen sei. Für den jetzigen Aufzug würde auf verschiedenen Internetplattformen mobilisiert. Durch die Veröffentlichung auf de.indymedia.org bestünde eine Kenntnis der Teilnehmer von dem Wohnort des Herrn S . In dem auf www.antifa-berlin.info veröffentlichten Aufruf, der zwar nicht von dem Antragsteller stamme, diesem aber zuzurechnen sei, werde zudem deutlich gemacht, dass die verantwortlichen Ladenbesitzer aus der Anonymität gezogen werden müssten. Aufgrund dessen sei eine direkte Einwirkung auf das unmittelbare private Wohnumfeld des Herrn S zu besorgen, die wegen dessen Recht auf Privatsphäre eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit erfordere. Die Auflage sei auch verhältnismäßig, da der Aufzug im Übrigen durchgeführt werden dürfe und ein Sichtkontakt zu den in den Aufrufen thematisierten Objekten durch den Zwischen- und Abschlusskundgebungsort gewährleistet sei.

Mit Schreiben vom 01.03.2012 hat der Antragsteller Widerspruch gegen die Auflage zu Ziff. 1 beim Beklagten eingelegt.

Mit seinem am gleichen Tag bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Er trägt vor, die Gefahrenprognose des Antragsgegners entbehre einer tatsächlichen Grundlage, da frühere Veranstaltungen, auch die Versammlung vom 08.07.2011, ohne größere Störungen verlaufen seien. Thema der jetzigen Versammlung seien zudem ausschließlich die Kneipe Z " und der Laden H ", eine Thematisierung von Herrn S oder dessen Privatwohnung sei nicht beabsichtigt. Insofern sei die vorliegende Versammlung auch nicht mit Versammlungen vor dem Wohnhaus des Regierenden Bürgermeisters vergleichbar, da bei jenen die Person und die Politik des Regierenden Bürgermeisters gerade Versammlungsgegenstand gewesen seien. Herr S suche zudem auch in seinem Laden H " die Öffentlichkeit, weshalb er keines entsprechenden Schutzes bedürfe. Eine Verlegung der Aufzugroute sei darüber hinaus unverhältnismäßig, da sie das zentrale Anliegen der Versammlung, nämlich den Protest gegen die rechten Lokalitäten" in der B verhindere. Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 01.03.2012 gegen die Auflage zu Ziff. 1 des Bescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom selben Tag wiederherzustellen.

II. Der gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist begründet. Im Rahmen der zur Prüfung des Begehrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt das private Aus-setzungsinteresse. Die Interessenabwägung richtet sich dabei in erster Linie nach der in summarischer Prüfung festzustellenden Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes, mithin den voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Lediglich an einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt kann auf Grund der Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG ein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen.

Nach diesen Maßstäben bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Auflage. Eine Hauptsacheklage des Antragstellers wäre gemessen an dem Maßstab des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO voraussichtlich erfolgreich.

Zwar dürfte die Anordnung der sofortigen Vollziehung angesichts der im Gefahrenabwehrrecht insofern herabgesetzten Anforderungen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss v. 24.01.2012 - 10 S 3175/11; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.06.2009 - OVG 1 S 97.09, jeweils zit. nach juris) noch im Einklang mit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO stehen. Die auf § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) basierende, formell rechtmäßige Auflage erweist sich bei summarischer Prüfung aber als materiell rechtswidrig. Denn sie stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 des Grundgesetzes (GG) verbürgte Recht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit dar.

Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396). Staatliche Eingriffe in dieses Recht müssen daher gerechtfertigt sein. Als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG fungiert insofern das VersammlG, insbesondere § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann eine Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Insofern bestehen schon Zweifel, ob eine derartige Gefährdung der hier allein in Betracht kommenden öffentlichen Sicherheit hinreichend erkennbar ist.

Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 25.06.2008 - 6 C 21/07, NJW 2009, 98, 99). Dies umfasst auch das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Herrn S . Wie die Kammer bereits in mehreren Verfahren entschieden hat (vgl. zuletzt VG Berlin, Beschluss v. 21.02.2012 - VG 1 L 37.12 m.w.N.), gewährt Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen einen "Innenraum", in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat und in dem er in Ruhe gelassen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.07.1969 - 1 BvL 19/63, zit. nach juris).

Nach diesen Maßstäben steht Herrn S als Landesvorsitzendem der NPD zwar grundsätzlich der Schutz seiner Privatsphäre, d.h. insbesondere seines unmittelbaren privaten Wohnumfelds zu. Aus der Gerichtsakte und insbesondere dem eingereichten Verwaltungsvorgang ist aber nicht mit der notwendigen Prognosesicherheit zu erkennen, dass es im Verlauf der Versammlung zu einer Verletzung dieses Rechtes kommen wird. Die darin enthaltenen Mobilisierungsaufrufe enthalten keinerlei Bezugnahme auf die Privatwohnung von Herrn S , sondern beziehen sich sämtlich auf das von ihm betriebene Geschäft H " und die Gaststätte Z ". Allein aus dem Umstand, dass sich einer dem linken Spektrum zuzuordnenden Website die private Anschrift von Herrn S entnehmen lässt, ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit der Schluss abzuleiten, dass es auch zu einer Störung des Rechts auf Privatsphäre kommen wird. Denn allen Versammlungsaufrufen ist die Fokussierung auf die Kneipe Z " und das Geschäft H " deutlich zu entnehmen.

Anders als bei Versammlungen, in denen - wie etwa im Verfahren VG 1 L 37.12 - die Ansprache der Person des öffentlichen Lebens ausdrücklich Zweck der Versammlung ist, geht es dem Antragsteller als Anmelder vorliegend insbesondere darum, die Häufung von Gewerbebetrieben, die bestimmte politische Ansichten bedienen, auf der Versammlung zu thematisieren. Die mit einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Herrn S einhergehende Thematisierung seiner persönlichen Beteiligung daran wäre daher allenfalls ein Thema unter vielen. Hinzu kommt, dass vorliegend keine Zwischenkundgebung vor dem privaten Wohnhaus von Herrn S geplant ist. Eine solche wäre ebenso wie vergleichbare Aktionen während des Aufzugs nach Auffassung der Kammer auch nicht zulässig und rechtfertigte gegebenenfalls eine Auflösung der Versammlung. Der Aufzug soll sein Wohnhaus aber passieren, da es sich - unter Umständen aus Zufall - in der gleichen Straße wie Z H " und H " befindet und daher zwangsläufig auf der Aufzugsroute liegt.

Unter diesen Umständen muss die Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz der Grundrechte zugunsten der Versammlungsfreiheit ausfallen. Das durch Art. 8 GG geschützte Versammlungsanliegen würde durch eine Sperrung der gesamten B zunichte gemacht. Denn anders als vom Antragsgegner im angegriffenen Bescheid dargestellt, ist die Kammer der Auffassung, dass ein hinreichender kommunikativer Kontakt jedenfalls zu dem Geschäft H " - anders als zu der Kneipe Z " - durch eine Zwischenkundgebung noch vor der Einmündung in die B gerade nicht sichergestellt wäre.

Die Versammlungsfreiheit als kollektive Seite der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396) schützt aber auch das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfG, Beschluss v. 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2167, 2169). Die Freihaltung der nach Auffassung des Antragstellers besonders von der rechten Szene" besetzten B stände zu diesen Maßstäben in deutlichem Gegensatz und wäre nur durch einen entsprechend schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Herrn S... zu rechtfertigen. Ein solcher ist aus den vorgenannten Gründen aber nicht mit hinreichender Gewissheit zu erwarten. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 02.03.2012 - 1 L 49.12)

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Unter Würdigung der konkreten Örtlichkeiten des Stuttgarter Hauptbahnhofs erscheint es zweifelhaft, ob die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs den vom Bundesverfassungsgericht in der Fraport-Entscheidung (1 BvR 699/06) entwickelten Anforderungen an einen Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs im Sinne des Leitbildes des öffentlichen Forums genügt. Im Fall eines Aufzugs durch die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs muss jedenfalls die besondere Bedeutung dieses zentralen Verkehrsknotenpunktes sowie die daraus folgende spezifische Gefährdungslage der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Verkehrsbetriebes berücksichtigt werden. Versammlungsbeschränkende Maßnahmen können daher unter weniger strengen Bedingungen erlassen werden. Bei einem geplanten Aufzug von circa 1.000 Teilnehmern durch die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs im Rahmen der sog. "Montagsdemos" im Zusammenhang mit dem Protest gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" dürfte von einer hinreichend substantiierten Gefahrenprognose auszugehen sein, die ein Teilverbot des Aufzuges zu rechtfertigen vermag. Weniger einschneidende Mittel als das verfügte Teilverbot dürften sich im konkreten Fall als nicht realisierbar und damit ungeeignet erweisen (VG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2012 - 5 K 691/12):

... Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen Ziffer 1 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.02.2012 (§§ 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Var., Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), mit der der Aufzug durch den Stuttgarter Hauptbahnhof im Rahmen einer für den 05.03.2012 von der Antragstellerin geplanten Veranstaltung verboten wird, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

In formeller Hinsicht genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.02.2012 den - allein verfahrensrechtlichen - Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

In der Sache hat das Gericht bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Abzuwägen sind das private Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der angegriffenen behördlichen Verfügung und das öffentliche Interesse an dessen sofortigem Vollzug. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Kriterium zu berücksichtigen. Ist nach der im Verfahren auf Eilrechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird, überwiegt regelmäßig das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Erweist sich demgegenüber der Verwaltungsakt als rechtmäßig, so überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, wenn zugleich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes besteht.

Diesen Grundsätzen folgend räumt das Gericht vorliegend dem öffentlichen Vollzugsinteresse den Vorrang ein vor dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Bei der gebotenen summarischen Prüfung dürfte der Rechtsbehelf gegen Ziffer 1 der Verfügung vom 27.02.2012 voraussichtlich erfolglos bleiben und zudem ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben sein.

I. Als Rechtgrundlage für das unter Ziffer 1 verfügte Verbot des geplanten Aufzuges durch den Stuttgarter Hauptbahnhof ist § 15 Abs. 1 VersG herangezogen worden. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

1. Der Anwendungsbereich dieser Ermächtigungsgrundlage ist dem Grunde nach eröffnet, da es sich bei der für den 05.03.2012 geplanten Veranstaltung im Rahmen der - im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21" veranstalteten - sog. Montagsdemos" um eine öffentliche Versammlung nebst Aufzug unter freiem Himmel handelt. Die für 1.000 Teilnehmer angekündigte, für jedermann zugängliche Veranstaltung ist unzweifelhaft auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ausgerichtet und stellt eine Versammlung unter freiem Himmel" dar. Dies gilt auch, soweit der Aufzug durch den Stuttgarter Hauptbahnhof und damit ein geschlossenes Gebäude verlaufen soll, da der Begriff der Versammlung unter freiem Himmel" nicht im engen Sinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort verstanden werden darf. Maßgeblich ist vielmehr allein, dass die Versammlung bzw. der Aufzug in einem öffentlich zugänglichen Raum, d.h. inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfindet und von diesem nicht räumlich getrennt ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, Rn. 76). Dies ist vorliegend der Fall, da der Aufzug durch die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs geführt werden soll und damit inmitten des allgemeinen Bahnhofspublikums geplant ist.

2. Die Kammer hat indes bereits grundsätzliche Zweifel daran, ob die Bahnhofshalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs der Antragstellerin überhaupt für den hier geplanten Aufzug als Zugangsort zur Ausübung ihrer Versammlungsfreiheit zur Verfügung steht.

a) Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht der Versammlungsfreiheit dem Grunde nach auch das Recht umfasst, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Die Versammlungsfreiheit verschafft damit jedoch kein allgemeines Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Sie verbürgt die Durchführung von Versammlungen grundsätzlich dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft zunächst und insbesondere den öffentlichen Straßenraum. Um einen solchen Ort handelt es sich bei dem im Eigentum der Deutschen Bahn AG stehenden Hauptbahnhof jedoch nicht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht in der sog. Fraport-Entscheidung" vom 22.02.2011 gilt die Versammlungsfreiheit jedoch auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, Rn. 68). Um einen derartigen Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs annehmen zu können, der neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden kann, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht maßgeblich zwei Kriterien zu würdigen. Zunächst können nur solche Orte erfasst werden, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind, d.h. der Zugang nicht individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, , Rn. 69). Dieses Kriterium ist im Fall des der Öffentlichkeit allgemein zugänglichen Gebäudes des Stuttgarter Hauptbahnhofs unzweifelhaft erfüllt. Hinzutreten hat jedoch, dass dieser Ort auch als ein öffentlicher Kommunikationsraum nach dem Leitbild des öffentlichen Forums zu beurteilen ist. Dieses Leitbild des öffentlichen Forums wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht. Abgegrenzt werden muss dies von Stätten, die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, , Rn. 70). Danach kann an Orten, die in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, die Durchführung einer Versammlung nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden, wohingegen dies dort anders ist, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, , Rn. 70).

b) Unter Würdigung der konkreten Örtlichkeiten des Stuttgarter Hauptbahnhofes, die der erkennenden Kammer im Einzelnen hinreichend bekannt sind, erscheint es zweifelhaft, ob der Stuttgarter Hauptbahnhof den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Anforderungen an einen Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs im Sinne des Leitbildes des öffentlichen Forums genügt. Er weist gravierende Unterschiede zu der der Fraport-Entscheidung zugrunde liegenden Örtlichkeit, dem für den allgemeinen Publikumsverkehr zur Verfügung stehenden Bereich des Frankfurter Flughafens, auf. Dort sind großflächige Bereiche - die auch mit den Slogans City in der City", Einkaufen und Erleben" und Auf 4.000 Quadratmeter zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf ihren Besuch!" beworben werden - mit vielfältigen Einkaufs-, Gastronomie- und sonstigen Dienstleistungsangeboten sowie einer großzügigen Raumgestaltung mit entsprechenden Erholungsflächen entstanden und dadurch Orte des Flanierens, Verweilens und der Begegnung geschaffen worden. Entsprechendes dürfte im Fall des Stuttgarter Hauptbahnhofes, insbesondere der hierfür allein in Betracht kommenden Kopfbahnsteighalle, eher nicht anzunehmen sein, wobei hervorzuheben bleibt, dass diese Beurteilung auf einer Einzelfallwürdigung der konkreten Umstände des Stuttgarter Hauptbahnhofs beruht und in Fällen anderer Bahnhöfe (wie ggf. etwa der Örtlichkeit des neuen Berliner Hauptbahnhofs) anders zu beurteilen sein kann.

Maßgeblich für die Beurteilung im vorliegenden Fall sind sowohl die stark zweckorientierte räumlich-architektonische Gestaltung der Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs als auch die konkrete Anordnung und Ausgestaltung des vorhandenen Gastronomie- und Geschäftsangebots. Beides führt dazu, dass die Kopfbahnsteighalle ganz überwiegend einer bestimmten Funktion, nämlich der Abwicklung des Bahnreiseverkehrs, zu dienen bestimmt erscheint und die Funktion als Bahnhof gänzlich dominiert. So kommt der Kopfbahnsteighalle aufgrund ihrer Architektonik als Vorbau und unmittelbarer Zu- und Abgang zu den Gleisen primär eine Verteilungs- und Zugangsfunktion zu den angrenzenden Gleisen zu und dient damit unmittelbar der Erschließung der Gleise und damit der Bewältigung und Abwicklung des Reiseverkehrs. Auch die Art und Ausgestaltung des Dienstleistungsangebots, dass sich ganz überwiegend auf Einkauf- und Mitnahmemöglichkeiten von Speisen, insbesondere Schnellimbissen, sowie den Erwerb von Reiselektüre bezieht, legt nahe, dass die vorhandene Gastronomie und die Ladengeschäfte primär der Versorgung von Reisenden und Abholern zu dienen bestimmt sind. Großzügige Restaurationsbetriebe mit ansprechenden Sitzgelegenheiten, über den Reisebedarf hinausgehende Einkaufsmöglichkeiten (wie etwa für Konfektion, Accessoires o. ä.) oder auch Erholungsflächen als Flächen der zwischenmenschlichen Begegnung und des Austausch sind in der Kopfbahnsteighalle nicht vorhanden. Auf ein Flanieren oder längerfristiges Verweilen ist die Halle offensichtlich weder räumlich noch von der Ausstattung her ausgerichtet, sondern sie ist vielmehr der unmittelbaren Abwicklung des Personennah- und Fernverkehr zu dienen bestimmt.

c) Darüber hinaus erweist sich eine Übertragung der Fraport-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den vorliegenden Fall, wie von der Antragstellerin vorgebracht, auch deshalb als problematisch, weil die zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation eine gänzlich Verschiedene ist. Während in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zugrunde liegenden Sachverhalt eine Gruppe von lediglich sechs Aktivisten der Initiative gegen Abschiebungen" in der großflächigen Halle des Terminals 1 des Frankfurter Flughafens gegen Abschiebungen demonstrieren und dort Flugblätter verteilen wollte, ist die diesem Eilverfahren zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation, in der eine angekündigte Menge von circa 1.000 Demonstranten einen Aufzug durch die in ihren Proportionen verhältnismäßig schmale, langgezogene Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs begehrt, in Art und Ausmaß wesensverschieden.

II. Ungeachtet der mithin bestehenden Bedenken an der generellen Verfügbarkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofs als Fläche zur Ausübung der Versammlungsfreiheit und der Übertragbarkeit der Ergebnisse der Fraport-Entscheidung auf den vorliegenden Fall dürfte das von der Antragsgegnerin verfügte Teilverbot hinsichtlich des Aufzuges durch den Hauptbahnhof jedoch auch der Sache nach voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden sein.

1. Nach § 15 Abs. 1 VersG sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit nur zulässig, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG setzt § 15 Abs.1 VersG dabei eine Gefahrenprognose voraus, die auf nachweisbaren Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Erkenntnissen beruht und bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergibt, wobei insoweit strenge Anforderungen zu gelten haben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen ohne das Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte genügen nach der Rechtsprechung hingegen nicht (vgl. m. w. N. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671 f.; Beschl. v. 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -,NJW 2010, 141 ff.). Zudem muss bei Einschränkungen der Versammlungsfreiheit stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße Rechnung getragen werden.

Diese Grundsätze hindern jedoch nicht, dass dem besonderen Gefahrenpotential des vorliegend begehrten Aufzugs durch den Stuttgarter Hauptbahnhof in spezifischer Weise Rechnung getragen werden kann. Sofern der Stuttgarter Hauptbahnhof als rechtlich zulässige und verfügbare Örtlichkeit zur Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit entsprechend den Grundsätzen der Fraport-Entscheidung des Bundesverfassungsgericht anzusehen sein sollte, so müssen auch die in dieser Entscheidung zugleich entwickelten Maßgaben hinsichtlich der Einschränkbarkeit der Versammlungsfreiheit berücksichtigt werden. Insoweit wurde von Seiten des Bundesverfassungsgerichts unter Hervorhebung der besonderen Bedeutung eines zentralen Verkehrsknotenpunktes sowie der daraus folgenden spezifischen Gefährdungslage der Sicherheit und der Funktionsfähigkeit des Verkehrsbetriebes ein erhebliches Gewicht beigemessen. Dies hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Folge, dass zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit eines komplexen logistischen Systems (wie das eines Flughafens) versammlungsbeschränkende Maßnahmen unter weniger strengen Bedingungen erlassen werden können, als dies für entsprechende Versammlungen im öffentlichen Straßenraum möglich wäre (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, , Rn. 86 ff.).

2. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe dürfte sich im hiesigen Fall die vorliegende Verbotsverfügung als rechtmäßig erweisen. Es dürfte von einer hinreichend substantiierten Gefahrenprognose auszugehen sein, die das Verbot des Aufzuges bezogen auf den durch den Hauptbahnhof führenden Teil zu rechtfertigen vermag.

In Anbetracht der Ausführungen der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren sowie der aus den vorgelegten Behördenakten zu entnehmenden Informationen - insbesondere der Angaben der Bundespolizei und der ausführlichen Stellungnahme der Beigeladenen vom 21.02.2012, die im Nachgang zum ersten gerichtlichen Eilverfahren anlässlich des am 06.02.2012 geplanten Aufzugs durch das Hauptbahnhofsgebäude eingeholt wurden (Beschl. der Kammer v. 06.02.2012 - 5 K 379/12 -) - sind hinreichende Tatsachen dafür gegeben, dass durch den geplanten Aufzug durch die Kopfbahnsteighalle gravierende Störungen in der Abwicklung des Reiseverkehrs zu befürchten sind.

a) Maßgeblich hierfür sind insbesondere die zu erwartenden Beeinträchtigungen durch die mit dem Aufzug verbundenen erheblichen Lärmbeeinträchtigungen. Das von der Antragsgegnerin vorgelegte Videomaterial von der unangemeldeten Versammlung am 30.01.2012, bei der sich ausweislich des bei den Akten befindlichen polizeilichen Lageberichtes ebenfalls eine Anzahl von circa 1.000 Personen in das Hauptbahnhofsgebäude begeben hat, sowie die Videoaufzeichnungen von dem entgegen der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 03.02.2012 (bestätigt durch den Beschluss der Kammer vom 06.02.2012) durchgeführten Aufzuges durch das Hauptbahnhofsgebäude am 06.02.2012 belegen eindrücklich, dass die von den Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21" bei Versammlungen regelmäßig mitgeführten (Lärm-)Instrumente, allen voran Trillerpfeifen, gepaart mit Gesängen und Parolen zu einer enormen Lärmentwicklung führen. Seit Beginn der sog. Montagsdemos" - ebenso wie bei weiteren im Zusammenhang mit dem Protest gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21" stehenden Veranstaltungen - gehört der Einsatz von Lärminstrumenten zum festen Bestandteil und zur regelmäßigen Übung derartiger Veranstaltungen und generierte sich mit der Zeit geradezu als eine Art Markenzeichen" der Protestbewegung. So sind Trillerpfeifen, Vuvuzelas und sonstige Lärminstrumente bei der überwiegenden Zahl von Versammlungsteilnehmern anzutreffen und werden lautstark eingesetzt. Die dadurch allgemein eintretende Lärmbelästigung wird bei einer Verwendung im Inneren von Gebäuden, wie gerade bei einem Aufzug durch den Hauptbahnhof und dort insbesondere in Anbetracht der beträchtlichen Raumgröße und der damit einhergehenden besonderen Akustik der Kopfbahnsteighalle, in besonderer Weise verstärkt. Um so mehr gilt dies, wenn dabei eine Anzahl von circa 1.000 Demonstranten oder gar mehr erwartet werden. Dass bei der geplanten Veranstaltung am 05.03.2012 - wie von der Antragstellerin vorgebracht - nur von vereinzelten Einsätzen von Trillerpfeifen, Sprechgesang oder ähnlichem auszugehen sein dürfte, scheint in Anbetracht der Erfahrungen der Vergangenheit realitätsfremd. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Demonstranten ihrer Protesthaltung entsprechend ihrer gewohnten und - wie das vorgelegte Videomaterial belegt - auch zuletzt im Hauptbahnhof mehrfach praktizierten Verhaltensweise lautstark Nachdruck verleihen werden. Insoweit besteht eine konkrete Gefahr, dass es hierdurch zu erheblichen Beeinträchtigung des Bahnbetriebes kommen wird. Nach Angaben der Beigeladenen sind die im Hauptbahnhof installierten Lautsprecheranlagen auf derartige Schallpegel nicht ausgelegt. Dringende Lautsprecheransagen, wie insbesondere Gleisänderungen, Zugausfälle oder -verspätungen, die allesamt für die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Reiseverkehrs von zentraler Bedeutung sind, würden mithin erheblich gefährdet. Darüber hinaus könnten durch den zu erwartenden Lärmpegel während der Dauer des Aufzuges auch sonstige sicherheitsrelevante Durchsagen, wie etwa Suchmeldungen, ebenso wie Anweisungen seitens der Polizei oder auch der Versammlungsleitung nicht hinreichend sichergestellt werden.

b) Hinzu treten die weiteren durch einen entsprechenden Aufzug zu befürchtenden Beeinträchtigungen bei der Abwicklung des Reiseverkehrs, die von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen im Einzelnen dargelegt wurden.

Diese ergeben sich insbesondere durch das zu erwartende unmittelbare Aufeinandertreffen der Verkehrsströme der Reisenden und der Teilnehmer des Aufzuges. Durch die konkrete räumliche Gestaltung der Kopfbahnsteighalle am Fuß der Gleiszugänge sowie der mehrfachen Verengungen der Halle durch die inmitten positionierten Verkaufsstände sind im Fall eines Aufzugs Stauungen und Blockierungen zu erwarten, die die Funktionsfähigkeit des Bahnhofsbetriebs empfindlich beeinträchtigen können. Wie aus der der Behördenakte zu entnehmenden Stellungnahme der Beigeladenen anschaulich zu entnehmen ist, bildet die Kopfbahnsteighalle den zentralen Verknüpfungspunkt der Verkehrsbeziehungen innerhalb des Hauptbahnhofs und ist aufgrund ihrer architektonischen Anordnung in besonderem Maß den anfallenden entgegenläufigen Fußgängerströmen ausgesetzt. Die von und zu den Gleisen führenden Fahrgastströme würden durch den Personenstrom eines quer dazu durch die Kopfbahnsteighalle führenden Aufzug erheblich beeinträchtigt. Ob die Menge der Aufzugsteilnehmer tatsächlich - wie von der Antragstellerin vorgetragen - eine Durchlässigkeit für die Reisenden ermöglichen würde bzw. könnte, steht - auch unter Würdigung des vorgelegten Videomaterials - ernsthaft zu bezweifeln. Das für Reisende im Regelfall erforderliche Durchkreuzen des Stroms der Aufzugsteilnehmer dürfte jedenfalls für Bahngäste mit größerem Reisegepäck sowie für Reisende mit zeitlichen Engpässen, die etwa in letzter Minute eine bestimmte Bahnverbindung oder insbesondere einen Anschlusszug erreichen müssen (was gerade in den Abendstunden von besonderer Bedeutung ist), zu erheblichen Behinderungen führen.

Auch ist zu der für den Aufzug geplanten Uhrzeit ab circa 18.45 Uhr noch mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen zu rechnen. Nach Angaben der Beigeladenen fällt der Beginn des geplanten Aufzuges in das Ende der abendlichen Spitzenstunde. Den in den Akten vorhandenen Ankunfts- und Abfahrtsplänen des Stuttgarter Hauptbahnhofs ist zudem zu entnehmen, dass allein in der Zeit von 18.45 bis 19.00 Uhr acht Zugankünfte und elf Zugabfahrten - mithin 19 Zugbewegungen in 15 Minuten - im Stuttgarter Hauptbahnhof (ohne Berücksichtigung des S-Bahn-Verkehrs) mit dem entsprechenden Personenaufkommen zu erwarten sind (in der Zeit von 19.00 Uhr bis 19.30 Uhr folgen weitere neun Ankünfte und 16 Abfahrten). Dieses Reiseaufkommen drängt in Zusammenschau mit dem durch den Aufzug bedingten Personenaufkommen die Befürchtung erheblicher Einschränkungen der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Bahnhofsbetriebes geradezu auf. Dies gilt umso mehr, als in Anbetracht der Geschehnisse und Erfahrungen der vergangenen Wochen davon auszugehen sein dürfte, dass die von der Antragstellerin angegebene Anzahl von 1.000 Teilnehmern durch eine aktuell verstärkt festzustellende Mobilisierung von Projektgegnern überschritten wird. Bestätigt wird diese Vermutung durch die Teilnehmerzahlen der letzten Montagsdemonstrationen, bei denen die angemeldete Teilnehmerzahl von 1.000 Personen nach Angaben des Veranstalters deutlich überschritten wurden.

Die drohenden Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Bahnhofsbetriebes dürften auch nicht dadurch abgemildert werden, dass der Aufzug nur von begrenzter zeitlicher Dauer sein wird. Dass der Aufzug - wie von der Antragstellerin vorgetragen - lediglich wenige Minuten" in Anspruch nehmen wird, ist bei lebensnaher Betrachtung ernsthaft zu bezweifeln. Der Zeitfaktor für einen Durchmarsch eines derart großen Personenaufkommens von mindestens 1.000 Personen dürfte sich in Anbetracht der beträchtlichen Länge der Kopfbahnsteighalle sowie des Aufeinanderstoßens mit Reisenden, das (zumindest) zu verbalen Kontroversen und spannungsgeladenen Konfliktsituationen führen und nur ein verlangsamtes Passieren der Halle ermöglichen dürfte, kaum auf einen Zeitraum von wenigen Minuten begrenzen lassen. Zudem ist ein zügiges Durchmarschieren" des Aufzugs auch bereits deshalb nicht zu erwarten, weil gerade das Hauptbahnhofsgebäude als symbolträchtiger Kern der Protestbewegung für die Demonstranten einen vorzugswürdigen Ort für ihre Meinungskundgabe darstellen und daher ein schnelles und zügiges Verlassen nicht in ihrem Interesse liegen dürfte.

c) In Anbetracht der bereits aus den vorgenannten Gründen anzunehmenden erheblichen Gefährdungslage kann letztendlich offen bleiben, ob und in welcher Form zusätzlich Beeinträchtigungen des Entfluchtungs- und Brandschutzkonzeptes der Beigeladenen zu befürchten sind. Die derzeit verfügbare Aktenlage lässt hierzu keine abschließende Beurteilung zu; das von der Beigeladenen hierzu in Auftrag gegebene Gutachten wird voraussichtlich erst Mitte März vorliegen.

d) Das von der Antragstellerin des Weiteren herangezogene Argument, das Bahnhofsgebäude sei in der Vergangenheit auch durch andere Ereignisse, wie insbesondere der - mitunter geballten - Anreise von Fußballfans, in vergleichbarem Maße belastet gewesen und es sei daher aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) eine Gleichstellung zu fordern, geht in der Sache fehl. Die Antragstellerin verkennt insoweit, dass diese Personengruppen - auch bei der Einrichtung spezieller Sonderzügen zu Fußballspielen - durch ihre Anreise an den Bahnhof und den Weiterzug zum Stadion den Bahnhof grundsätzlich als Reisende für verkehrliche Zwecke nutzen. Die gegebenenfalls auftretenden Behinderungen oder Belästigungen entstehen mithin im Rahmen der Nutzung des Bahnhofs zu Reisezwecken und nicht im Rahmen einer - bahnverkehrsfremden - Nutzung zu versammlungsrechtlichen Zwecken. Zudem können die durch Fußballfans verursachten Störungen auch in ihrer Art und insbesondere in ihrem Ausmaß nicht mit den von dem geplanten Aufzug ausgehenden Störungen verglichen werden. Ebenso wenig als Vergleichspunkt heranziehbar sind die von der Antragstellerin des weiteren angeführten Anlässe wie etwa der jährlich stattfindende Weihnachtsmarkt, verschiedenartige Ausstellungen oder sonstige Veranstaltungen im Bahnhofsgebäude. Die Abläufe, die Gefahrenpotentiale und auch die Eigendynamik derartiger Veranstaltungen sind mit denen einer Großdemonstration, die zudem das Hauptbahnhofsgebäude nicht nur als rein neutralen Veranstaltungsort nutzt, sondern die gerade von ihrem inhaltlichen Kern gegen den Bahnhof und die geplanten Baumaßnahmen gerichtet ist, nicht vergleichbar. Im Übrigen obliegt es der Deutschen Bahn AG im Rahmen ihrer privatrechtlichen Gestaltungsfreiheit - ggf. auf der Grundlage entsprechender Risikobewertungen - derartige Veranstaltung in ihren Gebäuden anzubieten. Hieraus folgt jedoch nicht, dass der Beigeladenen auch in ordnungsrechtlicher Hinsicht Versammlungen oder Aufzüge auferzwungen" werden können.

Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass eine durch hinreichende Tatsachen belegte Gefahrenprognose erwarten lässt, dass der geplante Aufzug zu erheblichen Beeinträchtigungen führen würde, die über das Ausmaß noch allgemein hinzunehmender Belästigungen deutlich hinausgehen und die die Funktionsfähigkeit des Bahnbetriebes in besonderem Maß beeinträchtigen könnten.

III. Schließlich bleibt zu berücksichtigen, dass die zu erwartenden Beeinträchtigungen und Störungen auch nicht durch ein weniger einschneidendes Mittel als dem Aufzugsverbot zu verhindern sein dürften. Die Kammer verkennt insoweit nicht, dass unmittelbar zu erwartenden Gefährdungen aufgrund einer Versammlung oder eines Aufzugs primär durch Auflagen entgegenzuwirken ist. Die Untersagung einer Versammlung oder eines Aufzugs kommt als ultima ratio grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen anders nicht verhindert werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, DVBl 1985, 1006 ff.).

In Fallkonstellationen wie der Vorliegenden wären dem Grunde nach Auflagen durchaus vorstellbar. Denkbar wären insoweit etwa Beschränkungen, die sicherstellen, dass von den Teilnehmern des Aufzugs keine Instrumente zur Steigerung des Geräuschpegels mitgeführt werden und der Durchmarsch zügig und ohne Halt durchgeführt wird. Möglich wäre es auch, die Zahl der an dem Aufzug teilnehmenden Demonstranten zu beschränken und eine bestimmte Verlaufsroute vorzugeben.

Das Gericht hält jedoch aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles und insbesondere den jüngsten Erfahrungen und Entwicklungen im Lauf der sog. Montagsdemos" den Erlass von Auflagen für nicht praktikabel und durchsetzbar.

Eine Auflage hinsichtlich einer beschränkten Personenzahl für den durch den Hauptbahnhof verlaufenden Teil des Aufzug scheitert bereits daran, dass nach wie vor keine hinreichend belastbaren Angaben dazu vorliegen, welche konkreten Teilnehmerzahlen für die Aufrechterhaltung des Betriebsablaufs (noch) hinnehmbar wären. Auch eine sinnvolle Beschränkung des Aufzugsweges erscheint aufgrund der Architektonik der Kopfbahnsteighalle kaum möglich, wie bereits im Beschluss vom 06.02.2012 (5 K 379/12) im Einzelnen dargelegt; auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).

Darüber hinaus dürften sich Auflagen zur Verhinderung von Lärmbelästigungen ebenso wie zur Gewährleistung eines zügigen Durchmarschierens durch die Bahnhofshalle aufgrund der bereits unter Gliederungsziffer II. geschilderten besonderen Umstände des vorliegenden Fall kaum als durchsetzbar erweisen. Insbesondere dürfte insoweit nur von einer geringen Einflussmöglichkeit seitens der Versammlungsleitung auszugehen sein. Dies gilt umso mehr, als angesichts der aktuellen Emotionalisierung der Projektgegner aufgrund des Fortschreitens der Baumaßnahmen und der Fällung der Bäume im Mittleren Schlossgarten mitunter eine Verschärfung der Stimmung der Projektgegner festzustellen ist. Nach der in den Behördenakten enthaltenen Stellungnahme des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 20.02.2012 wird eine zunehmende Radikalisierung und eine nur noch bedingte Lenkbarkeit und Ansprechbarkeit der Versammlungsteilnehmer beobachtet. Untermauert wird dies durch den jüngsten Vorfall am 06.02.2012, an dem sich trotz des verfügten und im gerichtlichen Eilverfahren bestätigten Versammlungsverbotes eine größere Ansammlung von Teilnehmern der Montagsdemonstration über das Verbot hinweggesetzt und sich gleichwohl im Bahnhofsgebäude versammelt hat.

Dass in Anbetracht all dieser Umstände die Einhaltung von Auflagen seitens der Versammlungsleitung durchgesetzt und hinreichend sichergestellt werden kann, ist für das Gericht nicht erkennbar. Der Erlass von Auflagen wäre damit gegenüber dem Aufzugsverbot zwar ein milderes, aber kein ebenso geeignetes Mittel zur Bewältigung der bestehenden Gefahrenlage. Mithin dürfte sich das von der Antragsgegnerin erlassene Verbot für den durch das Bahnhofsgebäude verlaufenden Teil des Aufzuges als rechtmäßig erweisen. Insbesondere führt das Verbot auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Rechte aus Art. 8 GG, schließlich bleibt der Antragstellerin nicht nur die Durchführung der von ihr geplanten Versammlung in Stuttgart-Mitte von 18.00 - 18.45 Uhr unbenommen; es ist ihr zudem auch die Durchführung des im Anschluss geplanten Aufzuges ab 18.45 Uhr - lediglich unter Aussparung der Wegführung durch das Hauptbahnhofsgebäude - möglich. Der verbotene Aufzug durch den Hauptbahnhof umfasst mithin im Verhältnis zur Gesamtveranstaltung am 05.03.2012 nur einen vergleichsweisen geringen Teil der ansonsten zulässigen Veranstaltung. Durch die Zuweisung der alternativen Aufzugsstrecke unter Ziffer 2 der Verfügung ist zudem eine unmittelbare räumliche Nähe zum Hauptbahnhof gewährleistet, die ihrem Recht aus Art. 8 GG in hinreichendem Maß Rechnung trägt.

Schließlich besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung, denn diese dient der Abwehr erheblicher Gefährdungen für die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Bahnhofsbetriebes als zentralem Verkehrsknotenpunkt Stuttgarts. ..."

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... Der - sinngemäß gestellte - Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen, hat keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwehren oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Erforderlich ist insoweit, dass dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht auf Verpflichtung des Antragsgegners hat, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen. Ein solcher Anspruch des Antragstellers ergibt sich weder aus § 15 Abs. 1 VersG, der spezifisch versammlungsrechtlichen Eingriffsgrundlage, noch unmittelbar aus seinen Grundrechten.

Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG zu Lasten seiner Rechte oder Rechtsgüter vorliegen. Nach dieser Norm kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Durch das Erfordernis einer "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt § 15 Abs. 1 VersG, dass die Prognose auf "erkennbaren Umständen" beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 77 ff.; st. Rspr.

Die vom Antragsgegner - ausgehend von der auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffenden rechtlichen Einordnung des geplanten Aufzugs als durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte öffentliche Versammlung - getroffene Prognose zu den möglichen Beeinträchtigungen des Antragstellers durch den Aufzug ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

Hiernach gibt es keine Hinweise darauf, dass von dem Aufzug unmittelbare Gefahren im vorgenannten Sinne für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen, soweit der Antragsteller betroffen ist. Auch er selbst hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sich die Teilnehmer des von dem Beigeladenen veranstalteten Aufzuges am 3. März 2012 nicht auflagen- und anmeldegemäß verhalten werden. Dem Hinweis auf allgemeine Drohungen "der rechten Szene", "niemanden mit Samthandschuhen anzufassen", lassen sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte entnehmen, dass von dem Aufzug Gefahren im vorbezeichneten Sinne ausgehen werden.

Die auf Erfahrungen aus früheren Einsätzen und umfassenden polizeilichen Planungen und Vorbereitungen beruhende Einschätzung des Antragsgegners, dass einer potentiellen Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen von Gegendemonstranten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die polizeilichen Einsatzmaßnahmen hinreichend Rechnung getragen werde, so dass Gewalttätigkeiten innerhalb des Rumphorstviertels nicht zu befürchten seien, hat der Antragsteller ebenfalls nicht durch entsprechenden glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag substantiiert in Zweifel gezogen. Die ordnungsgemäß angemeldeten Gegendemonstrationen finden am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg, Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach sowie in der Innenstadt Münsters und damit nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Antragstellers in der K. -I. -Straße statt. Über diese drei Gegenveranstaltungen hinaus sind für das Rumphorstviertel keine Gegendemonstrationen angemeldet worden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner nicht in der Lage ist, Straftaten zu begegnen, die von einzelnen Teilnehmern der ordnungsgemäß angemeldeten Gegenveranstaltungen bzw. von etwaigen sich am 3. März 2012 im Rumphorstviertel ggf. unter Verstoß gegen die Anmeldepflicht aus § 14 VersG bildenden Gegendemonstrationen ausgehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gilt dies auch für die Befürchtung des Antragstellers, es könne im Bereich der K. -I. -Straße zu einer "Kessellage", die keine Fluchtmöglichkeiten mehr erlaube, kommen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich gerade an diesem Ort Gegendemonstranten versammeln werden, um den von dem Beigeladenen angemeldeten Aufzug zu behindern, liegen nicht vor. Sollten einzelne Teilnehmer der Gegenveranstaltungen jedoch tatsächlich versuchen, die K. -I. -Straße an den Einmündungen in den A-Weg und die I-Straße zu blockieren, ist es Aufgabe der Polizei, dies bereits im Ansatz zu unterbinden.

Der Antragsteller hat auch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die seine Vermutung, es sei nicht gewährleistet, dass Kranken- und Feuerwehrwagen jederzeit sein Grundstück erreichen könnten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), erhärten. In der Bestätigung des Antragsgegners betreffend den vom Beigeladenen angemeldeten Aufzug wird letzterer darauf hingewiesen, dass Einsatzfahrzeugen der Polizei, der medizinischen Dienste und der Feuerwehr jederzeit freie Durchfahrt zu gewähren ist. Die Veranstalter der angemeldeten Gegendemonstrationen, die am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg sowie Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach stattfinden sollen, erhielten denselben Hinweis. Darüber hinaus werden in Absprache mit der Stadt Münster befristet bestehende Einbahnstraßenregelungen aufgehoben und Sperrpoller entfernt werden, um eine ungehinderte Durchfahrt von Rettungs- und medizinischen Diensten sicherzustellen. Zu diesem Zweck sind weiterhin in der K. -I. -Straße - wie auch in anderen Straßen - mobile Verkehrsschilder aufgestellt worden, die ein absolutes Halteverbot für den Zeitraum des Aufzuges anordnen. Sollten Teilnehmer der verschiedenen Demonstrationen tatsächlich eine Durchfahrt für Rettungswagen behindern, obliegt es der Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr, die Durchfahrt notfalls zwangsweise durchzusetzen. Zudem besteht für die Rettungskräfte die Möglichkeit, die K. -I. -Straße von Osten über den A-Weg zu erreichen.

Die schließlich als Belastung verbleibende Beeinträchtigung seiner Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) durch die nicht verkehrsübliche Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke hat der Antragsteller hinzunehmen mit Blick auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG, der es ausschließt, von Wohnbevölkerung freie Demonstrationsorte zuzuweisen. Solche Belästigungen, die unvermeidbar aus der Massenhaftigkeit der Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgen und sich ohne Nachteile für den Veranstalter nicht vermeiden lassen, müssen ertragen werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Grundrechtsträgern - solange sie sich gesetzeskonform verhalten - das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Schon in diesem Sinne gebührt diesem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang. Es hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter zwingend notwendig ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 61, 79; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 1418/07 -, juris, Rn. 17; st. Rspr.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit des Antragstellers stellt sich als geringfügig und vorübergehend dar, weil der Aufzug die K. -I. -Straße nur für eine relativ kurze Zeit betrifft. Darüber hinaus wird ihm nach dem Schriftsatz des Antragsgegners am 3. März 2012 als Anwohner Durchlass gewährt werden, wenn dies in der aktuellen Einsatzsituation ohne Gefahren möglich ist.

Soweit der Antragsteller Rechtspositionen der Allgemeinheit bzw. der übrigen Anwohner des Rumphorstviertels - wie etwa die Behinderung der Zufahrt zu deren Häusern - geltend macht, kann § 15 Abs. 1 VersG von vornherein keinen Anordnungsanspruch stützen.

Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antragsteller auch nicht unmittelbar aus seinen Grundrechten einen Anordnungsanspruch herzuleiten vermag.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Antragsteller aufzuerlegen, da der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt hat, sich keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (vgl. auch Nr. 1.5 Satz 2 und Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Stand Juli 2004 -). ..." (VG Münster, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 L 88/12)

***

... I. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Auflage zu einer von ihm angemeldeten Versammlung. Bei dem Antragsteller handelt es sich um eine als eingetragener Verein konstituierte Bürgerinitiative, die sich gegen den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zum neuen Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) und die damit einhergehenden Folgen wendet. Anfang Januar 2012 meldete der Antragsteller beim Antragsgegner die verfahrensgegenständliche Versammlung zum Thema Nachtflugverbot am BBI in Schönefeld" an. Ausweislich der Anmeldung sollte diese an der G beginnen und über den K und die K zur Ecke B führen, wo die Abschlusskundgebung vorgesehen war. Die Abschlusskundgebung würde unter diesen Umständen unmittelbar vor dem Haus B stattfinden. Dabei handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus, in dem unter anderem die private Wohnung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, K , liegt. Der Antragsteller plant, im Rahmen der ca. 30 minütigen Abschlusskundgebung kurze Reden zu halten, die jeweils durch Fluglärmsimulationen unterbrochen werden sollen. Zweck der Versammlung sei es, dem Regierenden Bürgermeister für eine halbe Stunde an seinem privaten Wohnumfeld zu verdeutlichen, was die Teilnehmer der Versammlung infolge einer maßgeblich von ihm getragenen Entscheidung künftig über Jahrzehnte hinweg an ihrem privaten Wohnort zu erdulden hätten.

Nachdem der Antragsgegner wegen der angemeldeten Versammlungsstrecke Bedenken gegenüber dem Antragsteller geltend gemacht hatte, kam es zwischen den Beteiligten am 18.01.2012 zu einem Kooperationsgespräch, in dessen Verlauf dem Antragsteller auch alternative Routen und insbesondere Orte für die Abschlusskundgebung angeboten wurden, etwa der A , der O , der F und das Rote Rathaus. Mit Schreiben des jetzigen Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 30.01.2012 lehnte jener eine alternative Routenführung ab. Unter dem 06.02.2012 übermittelte der Polizeipräsident in Berlin daraufhin dem Antragsteller ein als Anmeldebestätigung und Auflagenbescheid" betiteltes Schreiben. Darin wird unter Auflagen zu Ziffer 1 ausgeführt, dass der Aufzug an der Kreuzung K Ecke W mit einer Abschlusskundgebung zu beenden sei. Eine Weiterführung des Aufzuges mit einer anschließenden Abschlusskundgebung auf der Kreuzung K Ecke B werde untersagt. Als Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass das Versammlungsrecht des Antragstellers hinter dem Persönlichkeitsrecht des Regierenden Bürgermeisters als Privatperson zurückzustehen habe, da auch und gerade jenem ein unantastbarer privater Bereich zustehe, in den er sich zurückziehen könne und in dem die Umwelt keinen Zutritt habe, ihn insbesondere nicht psychischem Druck durch Einwirkung auf seine Privatsphäre aussetzen dürfe. In dem Schreiben wurde zudem die sofortige Vollziehung der Auflagen verfügt.

Gegen die die Streckenführung des Aufzuges einschränkende Verfügung hat der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 10.02.2012 Widerspruch erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er macht geltend, die Beschränkung seiner geplanten Versammlung verstoße gegen sein Recht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 des Grundgesetzes (GG) und sei nicht durch § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) gedeckt. Vorliegend habe der geplante Ort der Abschlusskundgebung einen unmittelbaren Bezug zu dem Anliegen des Antragstellers, da es gerade darum gehe, die Folgen politischen Handelns für den privaten Bereich der Teilnehmer der Versammlung im privaten Bereich eines Entscheidungsträgers darzustellen. Durch die nur 30-minütige Dauer und die Freihaltung der nördlichen Richtung der B würde zudem keine Belagerungssituation entstehen. Schließlich seien die damit gleichwohl verbundenen Beeinträchtigungen hinsichtlich Dauer und Intensität hinzunehmen, da diese Versammlungen immanent seien und beispielsweise von Bewohnern der Mitte Berlins auch regelmäßig ertragen werden müssten. Sofern in der Auflage" eine Auflage im Rechtssinne zu sehen sei, sei jedenfalls der Hilfsantrag zulässig und begründet.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 10.02.2012 gegen die Auflage" zu Ziff. 1 des Bescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom 06.02.2012 wiederherzustellen, hilfsweise, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller unter teilweise Aufhebung der Auflage" zu Ziff. 1 der vorbenannten Verfügung eine Weiterführung des Aufzuges die K entlang über die W hinaus mit einer anschließenden Abschlusskundgebung auf der Kreuzung K Ecke B zu erlauben. Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen. Er verteidigt den Bescheid unter Bezugnahme auf dessen Begründung und trägt ergänzend vor, den versammlungsrechtlichen Belangen des Antragstellers sei in Abwägung zum Schutz der Privatsphäre des Regierenden Bürgermeisters hinreichend Rechnung getragen, indem die angemeldete Wegstrecke so dicht wie möglich an dessen Wohnsitz ermöglicht worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat im aus dem Tenor er-sichtlichen Umfang Erfolg. Der nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist im Wesentlichen begründet.

Im Rahmen der zur Prüfung des Begehrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt das private Aus-setzungsinteresse. Die Interessenabwägung richtet sich dabei in erster Linie nach der in summarischer Prüfung festzustellenden Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes, mithin den voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Lediglich an einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt kann auf Grund der Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG ein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen.

Nach diesen Maßstäben bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Auflage. Eine Hauptsacheklage des Antragstellers wäre gemessen an dem Maßstab des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO voraussichtlich überwiegend erfolgreich.

Zwar dürfte die Anordnung der sofortigen Vollziehung angesichts der im Gefahrenab-wehrrecht insofern herabgesetzten Anforderungen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss v. 24.01.2012 - 10 S 3175/11; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.06.2009 - OVG 1 S 97.09, jeweils zit. nach juris) noch im Einklang mit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO stehen. Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG basierende, formell rechtmäßige Auflage erweist sich bei summarischer Prüfung aber als materiell rechtswidrig. Denn sie stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verbürgte Recht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit dar.

Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396). Staatliche Eingriffe in dieses Recht müssen daher gerechtfertigt sein. Als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG fungiert insofern das VersammlG, insbesondere § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann eine Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Zwar besteht vorliegend bei Durchführung der Versammlung in der vom Veranstalter geplanten Art und Weise eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die vom Beklagten deshalb erlassene Auflage erweist sich aber als nicht verhältnismäßig.

Die Absicht des Veranstalters, dem Regierenden Bürgermeister unmittelbar vor seiner privaten Wohnung die möglichen Folgen seiner politischen Entscheidungen zum Flughafen BBI zu verdeutlichen, begründet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Denn die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 25.06.2008 - 6 C 21/07, NJW 2009, 98, 99). Vorliegend käme es jedenfalls bei der geplanten Abschlusskundgebung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung des durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrechts von Herrn Wowereit.

Wie die Kammer bereits in mehreren Verfahren entschieden hat (vgl. VG Berlin, Beschluss v. 17.12.2004 - VG 1 A 325.04; bestätigt durch OVG Berlin, Beschluss v. 17.12.2004 - OVG 1 S 82.04; vgl. ferner VG Berlin, Beschluss v. 09.01.2003 - VG 1 A 7.03; Beschluss v. 12.08.1994 - VG 1 A 315.94; Beschluss v. 20.01.1989 - VG 1 A 16.89), gewährt Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen einen "Innenraum", in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat und in dem er in Ruhe gelassen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.07.1969 - 1 BvL 19/63, zit. nach juris). Dieser jedem Bürger zustehende unantastbare private Bereich gebührt auch und gerade den herausgehobenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: Sie stehen unter der ständigen Beobachtung der Öffentlichkeit und haben die Schärfen und Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes im Interesse der Kraft und Vielfalt der öffentlichen Diskussion, die ihrerseits Grundbedingung eines freiheitlichen Gemeinwesens ist, grundsätzlich hinzunehmen. Umso mehr bedürfen sie andererseits des wirksamen Schutzes ihrer Privatsphäre, zu der vor allem der räumlich-gegenständliche Bereich der Privatwohnung zählt; dort müssen sie neue Kraft schöpfen können, um in ihrem Amt oder in ihrer Funktion zu bestehen. Der danach gebotene Schutz fordert auch das Freihalten der unmittelbaren Umgebung der Privatwohnung von solchen Kundgebungen von einiger Dauer, die der aktiven Teilnahme am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess dienen und Bezug zur öffentlichen Tätigkeit des Betroffenen haben; denn diese würden einen unmittelbar auf seinen privaten Bereich wirkenden, mit dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden psychischen Druck erzeugen (vgl. OVG Koblenz, Beschluss v. 24.05.1986 - 7 B 36/86, NJW 1986, 2659, 2660 m.w.N.; ebenso VGH Kassel, Beschluss v. 07.12.1993 - 3 TG 2347/93, NJW 1994, 1750; VGH München, Beschluss v. 17.02.1995 - 21 CS 95.616, BayVBl. 1995, 528, 529 f.; VGH München, Beschluss v. 02.10.2000 - 24 ZS 00.2881, zit. nach juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 10.09.1987 - 1 BvR 1112/87, NJW 1987, 3245).

Der Antragsgegner war angesichts dieser Maßstäbe zur Vermeidung einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechts von Herrn W dazu verpflichtet, im Rahmen seines Ermessens zur Vermeidung einer durch die Versammlung eintretenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beide Grundrechtspositionen nach Maßgabe der sogenannten praktischen Konkordanz und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit miteinander in Einklang zu bringen (vgl. VGH München, Beschluss v. 17.02.1995 - 21 CS 95.616, BayVBl. 1995, 528, 530). Danach ist die Untersagung einer Abschlusskundgebung auf der Kreuzung B Ecke K unmittelbar vor dem Wohnhaus von Herrn W gerechtfertigt. Durch die derart durchgeführte Versammlung würde eine psychische Drucksituation im privaten Wohnumfeld des Regierenden Bürgermeisters geschaffen, die sein grundgesetzlich verbürgtes Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nicht hinreichend berücksichtigte. Denn eine Abschlusskundgebung unmittelbar vor dem Wohnhaus von Herrn W käme - selbst wenn die B in Richtung Norden verlassen werden könnte - einer Belagerung gleich. Um einen derartigen Eindruck beim Betroffenen zu erzeugen, bedarf es keinesfalls einer - unter Umständen bereits den Straftatbestand der Nötigung erfüllenden - Einkesselung" im Sinne eines geschlossenen, undurchdringbaren Bandes von Versammlungsteilnehmern. Denn eine solche auf die rein physische Wirkung abzielende Betrachtung blendete die psychische Drucksituation aus. Für die Annahme einer derartigen psychischen Belagerungssituation genügt es vielmehr, dass der Betroffene sich beim Aufsuchen und Verlassen des Hauses dem durch die Versammlung vermittelten Eindruck nicht entziehen könnte (vgl. VG Berlin, Beschluss v. 09.01.2003 - VG 1 A 7.03). Bei Abwägung der betroffenen Belange hat folglich das Versammlungsrecht des Antragstellers hinter dem Persönlichkeitsrecht von Herrn W insoweit zurückzustehen, als eine Abschlusskundgebung am angemeldeten Ort direkt vor dessen Wohnhaus nicht in Betracht kommt.

Die Auflage schränkt das Versammlungsrecht des Antragstellers indes über Gebühr unter Verletzung des Gebots praktischer Konkordanz und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein. Denn bei Anwendung der Auflage würde dieses Recht, das auch als kollektive Seite der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG zu verstehen ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396), seinem kommunikativem Ansinnen beraubt. Es geht dem Antragsteller vorliegend gerade darum, dem Regierenden Bürgermeister für eine halbe Stunde an seinem privaten Wohnumfeld zu verdeutlichen, was die Teilnehmer der Versammlung infolge einer maßgeblich von ihm getragenen Entscheidung künftig über Jahrzehnte hinweg an ihrem privaten Wohnort zu erdulden haben. Dieser Versammlungszweck ist durch ein weiträumiges Fernhalten der Versammlung vom privaten Wohnumfeld des Regierenden Bürgermeisters schlicht nicht zu verwirklichen. Insbesondere würde durch die als Schallschutz fungierende Blockrandbebauung im Bereich des vom Antragsgegner vorgesehenen Abschlusskundgebungsortes vermutlich jeglicher vom Antragsteller zu Demonstrationszwecken produzierte Lärm von dem privaten Wohnhaus des Regierenden Bürgermeisters ferngehalten werden. Eine derart weitgehende Beschränkung des Versammlungsrechtes des Antragstellers ist im Wege der praktischen Konkordanz aufgrund des Persönlichkeitsrechtes von Herrn W aber nicht geboten. Insofern ist dem Versammlungsanliegen des Antragstellers, die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf das private Wohnumfeld zu verdeutlichen, besonderes Gewicht beizumessen. Anders als bei Versammlungen, die keinen unmittelbaren Bezug zu dem privaten Bereich aufweisen (vgl. etwa VG Berlin, Beschluss v. 09.01.2003 - VG 1 A 7.03 zu einer Versammlung von Polizeischülern wegen der Übernahme in den Polizeidienst), ist nach Auffassung der Kammer vorliegend eine derart starke Beziehung zwischen dem Kommunikationsanliegen und dem privaten Wohnumfeld des Regierenden Bürgermeisters gegeben, dass jener, ohne dass dadurch eine unmittelbare Anprangerung direkt vor seinem Wohnhaus zulässig wäre, jedenfalls eine akustische Beeinträchtigung seines Wohnumfeldes für die begrenzte Zeit von 30 Minuten zu dulden hat. Dies rechtfertigt aus Sicht der Kammer eine Verlegung des Ortes der Abschlusskundgebung in die B Ecke . Dadurch dürfte der Abstand zu der Wohnung von Herrn W ungefähr genauso groß sein, wie bei dem vom Antragsgegner vorgesehenen Ort der Abschlusskundgebung. Anders als in der K Ecke W ist der Abstandsbereich zwischen dem von der Kammer vorgesehenen Ort der Abschlusskundgebung und der Wohnung von Herrn W aber nicht durch Bebauung versperrt. Dadurch ist sichergestellt, dass jedenfalls eine akustische Verdeutlichung des Kommunikationsanliegens des Antragstellers erfolgen kann. Angesichts des veränderten Abschlussortes war durch die Kammer auch die Routenführung entsprechend anzupassen. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 21.02.2012 - 1 L 37.12)

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Zum Verbot des Tragens und Mitsichführens von sog. Guy-Fawkes-Masken" bei einer Versammlung (VG Regensburg, Beschluss vom 10.02.2012 - RO 9 E 12.257):

... Das Verfahren ist demnach einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Der Billigkeit entsprach es, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen, der Antragstellerseite brauchte daher keine weitere Frist für eine Stellungnahme zur zu treffenden Kostenentscheidung eingeräumt werden.

a) Dem liegt folgender bisheriger Sachstand zugrunde:

Der Antragsteller zu 2) hat bei der Antragsgegnerin für Samstag, 11. Februar 2012, eine Versammlung unter dem Motto Stop Acta!" angemeldet. Als Versammlungsgegenstände wurden im Laufe des Verfahrens u.a. sog. Guy-Fawkes-Masken" genannt.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2012 bestätigte die Antragsgegnerin den Eingang der Anzeige der geplanten Versammlung und traf verschiedene Festlegungen. Im Sachverhalt ist angemerkt, dass das Bayerische Staatsministerium des Innern zur Problematik der Guy-Fawkes-Masken" dahingehend Stellung genommen habe, dass die Masken unter das Vermummungsverbot fielen. Am Bescheidsende ist unter Hinweise" angemerkt, dass auf das Vermummungsverbot des Art. 16 Abs. 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) hingewiesen werde.

Mit am 10. Februar 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begehren die Antragsteller Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag (Ziffer 1), im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, hinsichtlich der von der Antragstellerin zu 1) organisierten Kundgebung am 11.02.2012 in Regensburg beginnend um 14.00 Uhr, eine Ausnahme von Artikel 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG dahingehend zuzulassen, dass auf der Kundgebung das Mitsichführen und Tragen von Guy-Fawkes-Masken vor dem Gesicht erlaubt ist. Daneben wurden insgesamt vier weitere Anträge hilfsweise gestellt. Wegen der vorgetragenen Gründe wird auf den Inhalt des Schriftsatzes Bezug genommen.

Hierzu gehört, teilte die Antragsgegnerin dem Gericht mit Telefax vom 10. Februar 2012 mit, dass sie die unter Ziffer 1 des Schriftsatzes der Antragsteller vom 10. Februar 2012 begehrte Ausnahme von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zulasse.

b) Auf Grundlage dieses Sachverhalts hat die Antragsgegnerin dem Begehren aus Gründen abgeholfen, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Schon dies spricht nach Billigkeitsgesichtspunkten dafür, die Kosten des Verfahrens ihr aufzuerlegen.

c) Ungeachtet dessen ist nach dem zugrunde zu legenden Streitstand davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin voraussichtlich unterlegen wäre und ihr auch deshalb die Kosten aufzuerlegen sind. Der Antrag wäre nämlich nicht nur nach § 123 VwGO in Form einer Regelungsanordnung statthaft und auch sonst zulässig gewesen, sondern zumindest bei summarischer Prüfung voraussichtlich auch begründet. Es spricht nämlich einiges dafür, dass ein Anordnungsanspruch hinsichtlich des Hauptantrags gegeben gewesen wäre.

Auch wenn die Antragstellerseite keinen schriftförmlichen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG gestellt hatte, hatte die Antragsgegnerin über eine solche zu entscheiden. Im Laufe des Verfahrens war von Veranstalterseite offenbar ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass als Versammlungsgegenstände Guy-Fawkes-Masken" geplant sind. Zwar müssen Masken nicht zwangsläufig vor dem Gesicht getragen werden, nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG ist aber bereits das Mitsichführen von Gegenständen verboten, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Bereits deshalb hätte für die Antragsgegnerin Anlass bestanden, die Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG von Amts wegen zu prüfen, ein Antragsvorbehalt ist im Gesetz nicht enthalten (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34).

Bei summarischer Prüfung wäre wohl auch davon auszugehen gewesen, dass die von Antragstellerseite vorgesehenen Masken beim Tragen vor dem Gesicht unter das Vermummungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG fallen und daher nicht ohne Erteilung einer Ausnahme getragen werden dürfen. Danach ist es kraft Gesetzes verboten, an Versammlungen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Unter Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG fällt grundsätzlich jedes Mittel, mit dem die Unkenntlichmachung oder das Verbergen der Gesichtszüge erreicht wird. Dies kann durch Bemalen, Aufkleben falscher Bärte, Tragen von Pappnasen und in ähnlicher Weise geschehen. Das Verbergen der Gesichtszüge wird durch Verkleidung oder Maskierung, insbesondere durch Aufsetzen von Gesichtsmasken ( ) erreicht" (so zu § 17a Abs. 2 Nr. 2 des Versammlungsgesetzes des Bundes als vergleichbarer Regelung Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 17a VersG, Rn. 7, zitiert nach BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2006, Az. 24 CS 06.314 ). Die Vermummung ist gesetzlich grundsätzlich verboten, weil das Auftreten vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten erfahrungsgemäß durchaus in Zusammenhang stehen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) zu den Motiven des Bundesgesetzgebers für die vergleichbare Regelung in § 17a Abs. 2 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes, die auch für die entsprechende Regelung im BayVersG angenommen werden können). Die zuständige Behörde kann aber nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG Ausnahmen von diesen Verboten zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zu besorgen ist.

Die streitgegenständlichen Masken haben offenbar eine Größe, mit der der gesamte Gesichtsbereich verdeckt werden kann; die Masken sind damit zumindest im Falle des Tragens vor dem Gesicht geeignet, dieses so zu verhüllen, dass eine Identifizierung des einzelnen Teilnehmers nicht mehr möglich ist. Neben dieser objektiven Eignung muss allerdings die Aufmachung den Umständen nach auch darauf gerichtet sein, die Identifizierung zu verhindern. Davon ist bei den sog. Guy-Fawkes-Masken" auszugehen, die offenbar zum Sinnbild der Anonymität als Deckmantel für revolutionäre Aktionen wurden und speziell bei der Anonymous-Bewegung gerade dazu dienen, die Forderung nach Anonymität und entsprechender Bewegungsfreiheit im Internet symbolhaft auszudrücken. Mit den Masken soll daher bei der beabsichtigten Versammlung gerade auch eine Anonymität der Versammlungsteilnehmer hergestellt, mithin eine Identifizierung verhindert werden. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass die Verhinderung der Identifikation durch die Strafverfolgungsbehörden alleinige oder vorrangige Motivation sein muss (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) m.w.Nachw.).

Wenn man davon ausgeht, dass das Tragen der Guy-Fawkes-Masken" dem Vermummungsverbot unterfällt, so wäre die Versagung eines dann erforderlichen Dispenses angesichts der verfassungsrechtlichen Dimension nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig gewesen; eine derartige Entscheidung muss die verfassungsrechtlichen Positionen der Antragsteller insbesondere in Bezug auf die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit in besonderer Weise würdigen und mit den von der Antragsgegnerin zu vertretenden öffentlichen Sicherheitsbelangen miteinander und untereinander gerecht abwägen. Die Prognose, ob eine die Erteilung einer Ausnahme ausschließende Gefährdung gegeben sein kann, ist auf hinreichend sichere Tatsachen zu stützen; fehlen solche Erkenntnisse, wird das Ermessen regelmäßig in Richtung auf Erteilung des Dispenses reduziert sein, hiervon abweichender Ermessensgebrauch wäre nicht grundrechtsfreundlich (vgl. Schaden/Beckmann/Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung, Versammlungsgesetz, Erläuterungen zu § 17a, 6 ). Die zuständige Behörde hat nach Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34 immer dann eine Befreiung vom Verbot zu bewilligen, wenn sie keine ausreichend sicheren Erkenntnisse für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hat.

Das Tragen der Masken dürfte hier durchaus als künstlerisches Kundgebungsmittel einzuordnen gewesen sein, das gerade die politische Aussage der Versammlung transportieren und einen wesentlichen Kern der Forderungen vermitteln soll. Vorliegend mag zwar nicht auszuschließen sein, dass öffentliche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt werden, ein mehr als nur geringer Umfang war im maßgeblichen Zeitpunkt aber nicht erkennbar. Eine hinreichend belastbare, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose durch die Polizei, die auf eine andere Beurteilung hinführen würde, ist nicht vorgelegt worden. Vielmehr hat die Polizei im Rahmen des Kooperationsgesprächs offenbar zu erkennen gegeben, vorliegend keine sicherheitsrechtlichen Bedenken gegen die Masken zu haben. Auch die Antragsgegnerin selbst hat offenbar anerkannt, dass die im die Versammlung tragenden Bündnis zusammengefassten Organisationen und Gruppierungen vor Ort nicht durch Gewalt oder Ähnliches aufgefallen seien. Zwar ist zuzugeben, dass mit den Masken eine Identifizierung verhindert bzw. es zumindest erleichtert werden kann, das Gesicht schnell zu verhüllen, und so womöglich Straftaten zu begehen, ohne identifiziert werden zu können; auf der anderen Seite könnte - wer es darauf anlegen wollte - auch ohne weiteres andere geeignete Gegenstände mit sich führen, um dann sein Gesicht zu verhüllen; dabei ist es unerheblich, ob derartige Gegenstände zunächst verdeckt oder angesichts der im Versammlungszeitpunkt voraussichtlich herrschenden Temperaturen auch offen mitgeführt werden, Schals, Mützen oder ähnliche wärmende Kleidungsstücke sind von der Versammlungsbehörde ja nicht verboten worden. Daher scheint es vorliegend angesichts der Gefahrenprognose für die konkrete Veranstaltung nicht gerechtfertigt gewesen zu sein, das Kundgebungsmittel des Tragens und Mitsichführens von Guy-Fawkes-Masken" verboten sein zu lassen. Dies hat die Antragsgegnerin offenbar inzwischen erkannt und dementsprechend tatsächlich noch Ausnahmen von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zugelassen.

Zusammenfassend ist damit zumindest bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass vorliegend bei der gegebenen Erkenntnislage ein Aufrechthalten der Verbote des Tragens der Masken vor dem Gesicht und des Mitsichführens einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dargestellt und somit ein Anordnungsanspruch im Umfang des Hauptantrags bestanden hätte (über die weiterhin gestellten Hilfsanträge wäre daher nicht mehr zu entscheiden gewesen). Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass dies freilich nicht bedeutet, dass diese Ausnahmen vorbehaltlos erteilt werden müssten. Vielmehr ist etwa an einen Widerrufsvorbehalt für den Fall zu denken, dass die friedliche Qualität der Versammlung verloren geht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34), unabhängig davon, ob dies aus Gründen erfolgt, die im Tragen oder Mitsichführen der Masken ihre Ursache haben, oder aus anderen Gründen.

Ein Anordnungsgrund bestand angesichts des für den 11. Februar 2012 geplanten Versammlungstermins ohne Weiteres. Auch eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre hier im Lichte des sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ausnahmsweise zulässig gewesen, weil anderenfalls ein endgültiger Rechtsverlust gedroht hätte.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 des Gerichtskostengesetzes unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff). ..."

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Zu den Voraussetzungen eines Versammlungsverbots unter Berufung auf einen polizeilichen Notstand. Zur Verfügbarkeit von Polizeikräften für besondere Lagen (Versammlungen) in Niedersachsen (VG Hannover, Urteil vom 21.12.2011 - 10 A 3507/10):

... Der Kläger wendet sich gegen ein Versammlungsverbot. Der Kläger, der beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) tätig ist, hatte am 10.02.2010 für den 14.08.2010 eine Versammlung in Bad Nenndorf angemeldet, welche sich gegen einen am selben Tag stattfindenden und von dem Anmelder A. - dem Beigeladenen - so bezeichneten Trauermarsch' unter dem Motto Gefangen, Gefoltert, Gemordet - Damals wie heute - Besatzer raus' richten sollte. Die Anmeldungen dieser beiden Versammlungen hatte der Beklagte zunächst mit Bescheiden vom 26.07.2010 (Aufzug Schultz) und 29.07.2010 (Aufzug des Klägers) unter Verfügung von Auflagen und einer jeweils verkürzten Aufzugsstrecke bestätigt. Mit Bescheiden vom 11.08.2010 verbot der Beklagte unter Aufhebung seiner Bescheide vom 26.07. und 29.07.2010 die Versammlungen des Klägers sowie des Beigeladenen. Zur Begründung führte er in dem an den Kläger gerichteten Bescheid im Wesentlichen aus, die aktuelle Lageentwicklung seit Erlass der Versammlungsbestätigung habe zu einer Neubewertung der bisherigen Gefahrenprognose geführt. Danach lägen die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes vor, denn der Polizei stünden am 14.08.2010 nicht genügend Kräfte zur Verfügung, um die Einsatzlage zu bewältigen. Eine neue Kräftebedarfseinschätzung ergebe einen zusätzlichen Bedarf von fünf Einsatzhundertschaften, welcher vom Ministerium für Inneres und Sport (nachfolgend: Innenministerium) auch nach einer Bund-Länder-Abfrage nicht gedeckt werden könne. Die Mobilisierungen im rechts- und linksextremistischen Spektrum hätten deutlich zugenommen, so dass nicht nur von einer deutlich höheren Anzahl von Teilnehmern insgesamt, sondern auch von einem erheblich größeren Anteil gewaltbereiter Teilnehmer auszugehen sei. Nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen seien bei der Durchführung der Versammlung des Klägers schwere Ausschreitungen und damit Körperverletzungen und Sachbeschädigungen zu erwarten. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 12.08.2010 Klage erhoben.

Seinen zugleich gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (10 B 3508/10) hat das Gericht mit Beschluss vom 12.08.2010 abgelehnt. Auf den entsprechenden Antrag des Beigeladenen hat es die aufschiebende Wirkung von dessen Klage gegen die Verbotsverfügung des Beklagten wiederhergestellt (10 B 3503/10). Auf die Beschwerde des Klägers hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht alsdann mit Beschluss vom 13.08.2010 die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers insoweit wiederhergestellt, als eine stationäre Versammlung des DGB in Bad Nenndorf möglich sein sollte. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht außerdem die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Gerichts in dem Verfahren des Beigeladenen zurückgewiesen.

Die stationäre Versammlung des Klägers sowie der Aufzug des Beigeladenen fanden am 14.08.2010 ohne größere Zwischenfälle statt. Ausweislich eines Berichts der Polizeidirektion Göttingen vom 17.08.2010 an das Innenministerium zur Beantwortung einer dringlichen Anfrage im Niedersächsischen Landtag waren in Bad Nenndorf an diesem Tag 1.183 Polizeikräfte aus Niedersachsen und 806 Polizeikräfte aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei im Einsatz. Die Kundgebung des Klägers fand mit etwa 900 Teilnehmern statt, der Aufzug des Beigeladenen umfasste etwa 1.000 Teilnehmer, von denen 60 bis 100 Personen von der Polizei den Autonomen Nationalisten zugeordnet wurden. Außerdem wurden etwa 300 Linksautonome in Bad Nenndorf festgestellt, welche wiederholt versuchten, die polizeilichen Sperrstellen entlang der Route des sogenannten Trauermarsches' zu durchbrechen.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner nunmehr als Fortsetzungsfeststellungsklage geführten Klage vor, sein Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Wiederholungsgefahr, bei entsprechenden Anlässen erneut mit einem Versammlungsverbot belegt zu werden. Darüber hinaus ergebe sich das Feststellungsinteresse aus der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit. Die Tatsachengrundlage, die der Beklagte seiner Verbotsverfügung zugrunde gelegt gehabt habe, sei nicht ausreichend festgestellt gewesen. Die kurzfristig geänderte Gefahrenprognose habe nicht überzeugen können, denn sie habe ausschließlich auf abstrakten Erwägungen beruht, die einer Tatsachenüberprüfung nicht standhielten. Die als neu angeführten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes seien allesamt nicht neu gewesen. So seien die vom Beklagten zitierten Aufrufe im Internet älteren Datums gewesen und hätten bereits Grundlage der ursprünglichen Gefahrenprognose sein müssen. Belege für seine Behauptungen habe der Beklagte nicht vorgelegt. Bloße Vermutungen reichten aber als Grundlage für eine Gefahrenprognose nicht aus.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Versammlungsverbot vom 11.08.2010 rechtswidrig war. Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe seiner Verbotsverfügung, die Feststellungsklage abzuweisen. Ergänzend führt er aus, die Verfügung habe sich entgegen der Einschätzung des Klägers auf die Entwicklung der Teilnehmer- und Störerprognose ab dem 05.08.2010 gestützt. ...

Mit Beschluss vom 16.11.2010 hat das Gericht den Beklagten, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium aufgefordert, sämtliche die Versammlungen in Bad Nenndorf am 14.08.2010 betreffenden Vorgänge vorzulegen. Daraufhin haben der Beklagte, die Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium zahlreiche Unterlagen übersandt. Die Abteilung 6 des Innenministeriums - der Verfassungsschutz, seit 01.12.2011 Abteilung 5 - hat allerdings nicht sämtliche bei ihr angefallenen Vorgänge vorgelegt und hinsichtlich der nicht vorgelegten Unterlagen unter dem 18.01.2011 eine Sperrerklärung abgegeben. Das Gericht hat mit Beschluss vom 04.04.2011 die Aufforderung an den Verfassungsschutz erneuert. Unter dem 29.04.2011 hat der Verfassungsschutz an seiner Sperrerklärung festgehalten. Auf Antrag des Beklagten hat das Gericht mit Beschlüssen vom 01.06.2011 die Akten des vorliegenden sowie die des parallelen Verfahrens des Beigeladenen (10 A 3502/10) dem zuständigen Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt, ob die Verweigerung der Vorlage der vom Gericht angeforderten Vorgänge rechtmäßig sei. Mit Beschlüssen vom 15.08.2011 hat der zuständige Fachsenat die Weigerung des Innenministeriums als rechtmäßig festgestellt (14 PS 1 und 2/11).

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 16.12. und 21.12.2011 Beweis erhoben über die Ermittlung der Zahl von Links- und Rechtsextremisten, die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf erwartet worden waren und die Ermittlung der Zahl der Polizeikräfte, die für den Einsatz erforderlich gewesen waren und die für den Einsatz zur Verfügung gestanden hatten, durch Vernehmung des Verfassungsschutzvizepräsidenten B. } vom Innenministerium - Abteilung 5, Verfassungsschutz -, des Polizeidirektors C. von der Polizeidirektion Göttingen, des Leitenden Polizeidirektors D. } von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, des Polizeidirektors E. } vom Innenministerium - Abteilung 2, Landespräsidium für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz - und des Regierungsdirektors F. vom Innenministerium als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschriften Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der in diesem und den Verfahren 10 A 3502/10, 10 A 3427/10 und 10 A 3410/10 vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, der Polizeidirektion Göttingen und des Innenministeriums verwiesen. Sämtlicher Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. ...

Zulässig ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Zwar ist mit dem Ablauf des 14.08.2010 - an dem der Kläger eine stationäre Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführt hatte - eine Erledigung des ursprünglich angefochtenen Versammlungsverbots eingetreten. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es aber, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung auch in Fällen gewichtiger, wenn auch in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht erlangen kann (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort insbesondere Rdnr. 27f; BVerfG, Beschluss vom 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris, dort Rdnr. 21).

Das für die Zulässigkeit insoweit erforderliche Feststellungsinteresse liegt im Falle des Klägers zunächst darin begründet, dass das Versammlungsverbot seine Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt hat.

Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden wurde, denn ein derartiger Eingriff ist die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort Rdnr. 37f). Gleiches gilt, wenn eine Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert und dabei insbesondere die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (BVerfG, wie eben).

Dementsprechend ist auch für den Kläger eine schwerwiegende Beeinträchtigung seines Grundrechts anzuerkennen, da er mit der von ihm nach dem gerichtlichen Eilrechtsschutz durchgeführten stationären Versammlung nicht in gleicher Weise wie in einem Aufzug seinem Anliegen Ausdruck verleihen konnte.

Darüber hinaus lässt sich ein Feststellungsinteresse des Klägers auch mit der Gefahr einer Wiederholung des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit begründen, da der Kläger in Zukunft weiterhin gegen die bis zum Jahr 2030 angemeldeten sogenannten Trauermärsche' demonstrieren will und dabei - aufgrund der seit Jahren steigenden Störerzahlen - unter vergleichbaren Voraussetzungen wie 2010 der Erlass eines erneuten Versammlungsverbots durch den Beklagten nicht ausgeschlossen ist.

Begründet ist die Klage, da das von dem Beklagten gegenüber dem Kläger erlassene Versammlungsverbot für den 14.08.2010 rechtswidrig war.

Als Rechtsgrundlage für den Erlass des Verbotes kam nur die zum maßgeblichen Zeitpunkt in Niedersachsen noch geltende Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersG in Betracht. Danach konnte die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet war.

Adressat von Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG war regelmäßig der Veranstalter der Versammlung oder des Aufzugs. Dies ergab sich zwar nicht aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift, wohl aber aus dem Kontext der gesetzlichen Regelung, dass der Veranstalter die Versammlung oder den Aufzug anzumelden hat (§ 14 VersG) und dem Grundsatz des Polizeirechts, dass der Verursacher einer Gefahr polizeipflichtig ist.

Der Kläger wurde jedoch von dem Beklagten nicht als Verursacher einer Gefahr angesehen, sondern - zu Recht - vielmehr als sogenannter Nichtstörer' eingeordnet. Das den Kläger betreffende Versammlungsverbot hatte der Beklagte mit dem Vorliegen eines polizeilichen Notstands begründet.

Diese seinerzeitige Annahme des polizeilichen Notstands durch den Beklagten stellt sich nach der Auswertung sämtlicher im Laufe des Hauptsacheverfahrens vorgelegter Akten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme für das Gericht jedoch als rechtswidrig dar.

Die Staatsgewalt ist durch die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit gehalten, die Ausübung des Grundrechts möglichst vor Störungen und Ausschreitungen Dritter zu schützen und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten, um die Durchführung der Versammlung zu ermöglichen. Gegen die Versammlung selbst darf in solchen Fällen nur ausnahmsweise, und zwar nur unter den besonderen Voraussetzungen des sogenannten polizeilichen Notstands eingeschritten werden (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 - mit weiteren Hinweisen zu verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, juris). Vorausgesetzt ist, dass es der Versammlungsbehörde nach durch Tatsachen gesicherten Erkenntnissen auf andere Weise nicht möglich erscheint, eine gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anders als durch die Inanspruchnahme des Nichtstörers abzuwehren (vgl. jetzt § 8 Abs. 3 NVersG). Davon kann sie nur dann ausgehen, wenn sie in der zur Verfügung stehenden Zeit die zur Gefahrenabwehr erforderlichen (Polizei-) Kräfte nicht bereitstellen kann (vgl. Dietel/Gintzel/ Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, § 15 Rdnr. 42; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 27.04.2010 - W 5 S 10.345 -, juris; VG Köln, Beschluss vom 05.05.2009 - 20 L 650/09 -, juris). Für einen polizeilichen Notstand muss mit anderen Worten eine Gefahrenprognose vorliegen, die Grundlage einer Berechnung des Bedarfs an polizeilichen Kräften ist, welche den verfügbaren Kräften gegenübergestellt einen Fehlbedarf ergibt. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen hat sich das Gericht auf der Grundlage einer ex-ante-Betrachtung eine Überzeugung zu bilden (vgl. VG Dresden, Urteil vom 19.01.2011 - 6 K 366/10 -, juris; VG Lüneburg, Urteil vom 16.03.2006 - 3 A 143/04 -, juris). Die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands liegt - weil sie ihre Verbotsverfügung darauf stützt - bei der Versammlungsbehörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris; Bay VGH, Beschluss vom 29.04.2010 - 10 CS 10.1040 -, juris; vgl. auch Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, S. 257 (263)).

Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung gegenüber dem Kläger die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Bezug auf die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf zu bewältigende Einsatzlage gegeben waren.

Ganz erhebliche Zweifel bestehen bereits in Bezug auf die Tragfähigkeit der Gefahrenprognose, die letztlich zur Annahme des polizeilichen Notstands geführt hatte.

Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Versammlungsbehörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Feststellung der Tatsachen, auf die sich die Prognose gründet, sowie die Würdigung dieser Tatsachen ist Aufgabe der Gerichte; die Darlegungs- und (materielle) Beweislast liegt bei der beklagten Behörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung).

Davon ausgehend, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Auflagenbescheide an den Beigeladenen - am 26.07.2010 - und den Kläger - am 29.07.2010 - die Gefahrenlage offenbar noch als polizeilich beherrschbar galt, kann nur der veränderte Kenntnisstand des Beklagten und der Polizei Anfang August 2010 Anlass für die Annahme des polizeilichen Notstands gewesen sein. Grundlage des Erlasses der Auflagenbescheide Ende Juli 2010 war eine für den Beklagten verfasste Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg vom 09.07.2010. Dieser Prognose zugrunde lag die Annahme sowohl der Staatsschutzstelle der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg als auch deren Lage- und Führungszentrum, dass am 14.08.2010 mit 1.000 Teilnehmern einschließlich Autonomer Nationalisten an dem sogenannten Trauermarsch', mit 1.500 Teilnehmern an dem Aufzug des Klägers und zusätzlich mit 200 Linksautonomen zu rechnen sein würde. Unter dem 09.08.2010 übermittelte die Polizeidirektion Göttingen dem Beklagten jedoch eine ergänzende Gefahrenprognose' und regte aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung das Verbot der Versammlungen des Klägers und des Beigeladenen an. Diese Anregung setzte der Beklagte mit den Verbotsverfügungen vom 11.08.2010 um.

Ob die maßgebliche Gefahrenprognose vom 09.08.2010 allerdings eine tragfähige Grundlage für die Verbotsverfügung bilden konnte, ist nach Auffassung des Gerichts in hohem Maße zweifelhaft. Die Gefahrenprognose fußte maßgeblich auf Zahlen, welche der Niedersächsische Verfassungsschutz unter dem 04./05.08.2010 der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg zur Verfügung gestellt hatte. Danach erwartete der Verfassungsschutz 250 Autonome Nationalisten und 400 bis 500 Linksautonome mit hohem Gewaltpotential. Diesen erheblichen Anstieg der Störerzahlen nachzuvollziehen, fällt dem Gericht auch nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung schwer.

Ersichtlich waren es ausschließlich Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, welche zu der nachträglichen Korrektur der prognostizierten Zahlen geführt hatten. In den von der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg vorgelegten Akten finden sich keinerlei Anhaltspunkte für eigene Erkenntnisse, die eine Änderung der Gefahrenprognose hätten stützen können. Dementsprechend hat sich auch der Zeuge G., der Leiter der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, in seiner Vernehmung dahingehend geäußert, dass die Zahlen ausschließlich vom Verfassungsschutz und nicht von der Staatsschutzstelle seiner Polizeiinspektion gemeldet worden seien.

Den schriftlichen Äußerungen des Verfassungsschutzes vom 05.08. und 06.08.2010 lassen sich jedoch kaum tatsächliche Anhaltspunkte entnehmen, die den gegenüber der Polizei angezeigten Anstieg der Störerzahlen erklären könnten. Zu der Frage der potentiellen Störer aus dem rechten Spektrum heißt es in den Äußerungen sogar, es gebe bisher kaum konkrete Erkenntnisse über die Teilnehmerabsichten von Rechtsextremisten an dem Trauermarsch' und eine Teilnehmerzahl von 250' Autonomen Nationalisten sei zwar realistisch', aber auch dazu lägen konkrete Erkenntnisse nicht vor. Bezüglich der Zahl der zu erwartenden linksautonomen Störer werden sodann zwar Erkenntnisse im Einzelnen benannt. So werden die Unterzeichner des Blockadeaufrufs auf der Internetseite www.badnenndorf.blogsport.de aufgelistet und Vorbereitungs- und Informationsveranstaltungen aufgeführt, es wird auf zwei weitere einschlägige Internetseiten verwiesen und das ins Internet eingestellte Mobilisierungsvideo Antifa Sommerhits 2010 - 1000 mal blockiert' beschrieben. Diese Ausführungen werden dann in der Bewertung zusammengefasst, dass nach der Einschätzung des Verfassungsschutzes etwa 400 bis 500 Angehörige der linksextremistischen Szene an der Demonstration - des Klägers - teilnehmen würden. Entnehmen lässt sich der Bewertung des Verfassungsschutzes jedoch auch insoweit nicht, aus welchen konkreten Erkenntnissen für ihn welche Zahlen gefolgt waren, so dass der Schluss, die Prognose eines erhöhten Störerpotentials habe zu einem erheblichen Anteil auf bloßen Vermutungen beruht, nicht fernliegt. Auch irritiert, dass der Verfassungsschutz in seinen Äußerungen von Anfang August 2010 ausschließlich Erkenntnisse anführt, die vor der von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg unter dem 09.07.2010 erstellten ersten Gefahrenprognose angefallen waren.

Wie und warum der Verfassungsschutz Anfang August 2010 zu der Einschätzung gekommen war, die Zahlen der zu erwartenden Störer seien erheblich nach oben zu korrigieren, hat schließlich auch der Zeuge H. - Leiter des Referats 53 der Abteilung 5 des Innenministeriums (Rechtsextremismus/-terrorismus, Linksextremismus/ -terrorismus) - nicht in Gänze erhellen können. Aus dessen Ausführungen hat die Kammer zwar entnommen, dass der Verfassungsschutz das Internet auswertet, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer erhält und auch über Informanten aus den Kreisen der Störer Informationen erlangt. In welchem Umfang und auf welchen Wegen die Behörde allerdings für den 14.08.2010 an Anhaltspunkte gelangt war, die sie zu ihrer Einschätzung geführt hatten, und um welche Anhaltspunkte es sich dabei gehandelt hatte, ist weitestgehend ungeklärt geblieben. Allein die Aussage, dass sich mit zunehmender zeitlicher Nähe zum Ereignis regelmäßig die Erkenntnisse über Mobilisierungsaufrufe und konkrete Teilnahmeplanungen verdichteten, dass also die Zahlen der zu erwartenden Störer konkreter würden, je näher der Anlasstag rücke, vermag einen derartigen Anstieg der Zahlen nicht erschöpfend zu begründen. Eine Antwort auf die Frage nach konkreten Anhaltspunkten ist der Zeuge unter Hinweis auf die Einschränkung seiner Aussagegenehmigung schuldig geblieben.

Weitere Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung hat das Gericht in diesem Verfahren nicht. Insbesondere ist ihm die Auswertung der vollständigen Akten des Verfassungsschutzes verwehrt. Die Weigerung des Innenministeriums, die Akten vollständig vorzulegen und die aus diesem Grunde abgegebenen Sperrerklärungen des Innenministeriums vom 18.01.2011 und 29.04.2011 sind vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht als rechtmäßig festgestellt worden und setzen vorliegend den Aufklärungsmöglichkeiten des Gerichts Grenzen (zur Amtsermittlung der Gerichte bei rechtmäßiger Verweigerung der Aktenvorlage und zu den Folgen der Unaufklärbarkeit des Vorliegens wesentlicher Merkmale eines Eingriffstatbestandes vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 -, BVerwGE 131, 171).

Einer Entscheidung der Frage, ob die Gefahrenprognose hinsichtlich der Zahl der anreisenden Störer von genügenden tatsächlichen Anhaltspunkten getragen wurde, bedarf es hier jedoch letztlich nicht, da die Beweisaufnahme zumindest ergeben hat, dass die für die Verbotsverfügung maßgebliche Annahme eines polizeilichen Notstands in anderer Hinsicht einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält.

Ausgehend von den Zahlen, welche der Verfassungsschutz Anfang August 2010 mitgeteilt hatte, war die Polizei nach einer geänderten Bedarfsberechung zu dem Ergebnis gekommen, nicht genügend Polizeibeamte zur Verfügung zu haben, um die Gefahrenlage beherrschen zu können. Nach der von der Polizeidirektion Göttingen unter dem 11.08.2010 erstellten und von Polizeivizepräsident I. gezeichneten Kräftekonzeption und Verfügbarkeit polizeilicher Einsatzkräfte' (Bl. 136 ff. des von der Polizeidirektion Göttingen, Dezernat 12 - Leitlinien und Kräfte - übersandten Aktenordners, Beiakte N) waren von 2.500 benötigten Einsatzkräften nur 2.000 verfügbar, woraus sich ein Fehlbedarf von 500 Beamten ergab.

Selbst unter Zugrundelegung der - vom Gericht angezweifelten - Gefahrenprognose vom 09.08.2010 und der hierauf fußenden Bedarfsberechnung hat die Annahme dieses Fehlbedarfs das Gericht nicht überzeugen können.

Zwar sind die Ordnungsbehörden nicht dazu verpflichtet, Polizeikräfte ohne Rücksicht auf sonstige Sicherheitsinteressen in unbegrenztem Umfang bereitzuhalten. Das Gebot, vor der Inanspruchnahme eines Nichtstörers eigene sowie gegebenenfalls externe Polizeikräfte gegen die Störer einzusetzen, steht vielmehr unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit solcher Kräfte (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris). Das Verbot einer Versammlung kann jedoch nur dann in Betracht kommen, wenn auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Polizei wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz Heranziehung externer Polizeikräfte zum Schutz hoher Rechtsgüter nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dafür nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; vgl. auch die Einschätzung des Vizepräsidenten der Polizeidirektion Göttingen in seinem Schreiben vom 13.10.2010 an das Innenministerium, dass ohne eine ausführliche Darlegung der Hinderungsgründe für eine Zuweisung der nachgeforderten fünf Einsatzhundertschaften' eine nachträgliche Bestätigung der Verbotsverfügung nahezu ausgeschlossen' ist.).

Unter Auswertung des Inhalts der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das Gericht aber nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die zur Beherrschung der prognostizierten Gefahrenlage nach der polizeilichen Bedarfsberechnung zusätzlich benötigten 500 Beamten tatsächlich nicht verfügbar waren.

Aus den vom Innenministerium vorgelegten Verwaltungsvorgängen zur Einsatzplanung lässt sich ersehen, dass von Seiten des Ministeriums an die Zentrale Polizeidirektion in Niedersachsen, an die übrigen Bundesländer, die Bundespolizei und an die Polizeidirektionen Niedersachsens herangetreten worden war, um über die der zuständigen Polizeidirektion Göttingen verfügbaren eigenen Beamten hinaus weitere Polizeikräfte anzufordern. Die Reihenfolge der Anforderungen, wie sie sich aus den Vorgängen ergibt, ist von dem Zeugen J. auch nachvollziehbar erläutert worden. Auch die Zu- und Absagen aus den übrigen Bundesländern lassen sich den Vorgängen entnehmen. Insoweit ist auch nachvollziehbar, dass Niedersachsen nicht in der Lage war, die Absagen anderer Bundesländer zu hinterfragen und nach zweimaliger Bitte um Unterstützung über die angebotenen Kräfte der anderen Länder und des Bundes hinaus nicht mit weiterer Hilfe rechnen konnte. Letzteres erscheint insbesondere deshalb plausibel, weil sich aus den Vorgängen ebenfalls ergibt, dass auch einer Bitte des Freistaates Sachsen um Unterstützung durch die übrigen Länder am 14.08.2010 nicht im vollen Umfang hatte entsprochen werden können.

Das Innenministerium hat allerdings nicht schlüssig dargelegt, wie viele Polizeikräfte aus dem niedersächsischen Polizeidienst verfügbar waren und ob alle verfügbaren Kräfte auch tatsächlich eingesetzt wurden.

Der Zeuge J., der im Innenministerium in der Abteilung 2 zuständiger Referent für die polizeiliche Einsatzplanung ist, hat dazu ausgeführt, dass es in Niedersachsen zwar insgesamt 18.000 Polizeibeamte gebe, jedoch nicht alle Beamte für besondere Lagen wie Versammlungen einsetzbar seien. Für die Bewältigung besonderer Lagen, beispielsweise bei Versammlungen, stünden Kräfte bei der Zentralen Polizeidirektion und in den territorialen Behörden, den Polizeidirektionen, zur Verfügung. Bei der Zentralen Polizeidirektion werde für besondere Lagen die Bereitschaftspolizei vorgehalten. Diese sei besonders strukturiert für derartige Einsätze, umfasse 7 Einsatzhundertschaften und 1 technische Einsatzeinheit und verfüge über insgesamt 1.119 Beamte. Darüber hinaus gebe es bei jeder der sechs territorialen Behörden Aufrufeinheiten, die bei Bedarf aus den in der Fläche eingesetzten Beamten heraus gebildet würden. Diese Beamten würden sonst für Alltagsaufgaben eingesetzt, seien aber darüber hinaus für besondere Einsätze aus- und fortgebildet und besonders ausgerüstet. Die Polizeidirektion Hannover verfüge über 4 solcher Aufrufeinheiten, die übrigen Polizeidirektionen verfügten über jeweils 3 Aufrufeinheiten. Für die Polizeidirektion Hannover seien dies insgesamt 770 Beamte, für die übrigen Polizeidirektionen jeweils 630 Beamte. Insgesamt stünden einschließlich Bereitschaftspolizei 26 Einsatzhundertschaften mit etwa 5.000 Beamten für besondere Lagen zur Verfügung.

Geplant war von Seiten des Innenministeriums jedoch für den 14.08.2010 nur der Einsatz von etwa 1.200 niedersächsischen Polizeikräften (tatsächlich im Einsatz waren am 14.08.2010 dann 1.183 niedersächsische und 806 Beamte aus anderen Bundesländern bzw. von der Bundespolizei). Zu einem Einsatz weiterer Kräfte sah sich das Innenministerium trotz der vom Verfassungsschutz Anfang August korrigierten Prognose der zu erwartenden Störerzahlen nicht in der Lage.

Zu der Frage der Verfügbarkeit weiterer der insgesamt vorhandenen 5.000 Einsatzkräfte für besondere Lagen hat der Zeuge J. ausgeführt, dass von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte zunächst etwa 20 bis 30 ? abzuziehen seien wegen Krankheit, Urlaub, Fortbildung und aus anderen Gründen. Dieser nur abstrakt referierte prozentuale Abzug von bis zu einem Drittel der gesamten Kräfte erscheint jedoch insbesondere angesichts der Tatsache, dass der 14.08.2010 außerhalb der niedersächsischen Schulferien lag, recht hoch gegriffen. Im Übrigen hätte die Verfügbarkeit von Kräften insoweit mit einer Urlaubssperre für die Bereitschaftspolizei und die Aufrufeinheiten verbessert werden können, da die Versammlungen bereits ein halbes Jahr im Voraus angemeldet worden waren.

Doch selbst unter Berücksichtigung eines Abzugs von 30 ? von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte für besondere Lagen kann nicht nachvollzogen werden, warum der Anfang August errechnete Bedarf von 500 zusätzlichen Kräften nicht hatte gedeckt werden können.

Ausgehend von der Zahl von 5.000 Einsatzkräften für besondere Lagen ergibt ein Abzug von 1.500 Beamten (30 ? pauschal) die Zahl von 3.500 Beamten. Von diesen Kräften sollten 1.200 in Bad Nenndorf eingesetzt werden, so dass - rechnerisch - noch 2.300 Beamte für die Bewältigung besonderer Lagen am Wochenende 14./15.08.2010 zur Verfügung gestanden hatten. Dafür, dass von diesen nicht 500 Kräfte noch für einen Einsatz in Bad Nenndorf hätten herangezogen werden können, ohne die Sicherheit im restlichen Niedersachsen zu gefährden, fehlt es zur Überzeugung des Gerichts an einem schlüssigen Nachweis. Darüber hinaus ergibt sich aus der Kräftelage Niedersachsen' im Vermerk des Leiters des Referats P 24 der Abteilung 2 des Innenministeriums vom 13.08.2010 (Blatt 244 des vom Innenministerium - Referat P 24.1, Einsatz und Verkehr - übersandten Aktenordners, Beiakte R), dass für die Bewältigung sonstiger Einsatzlagen an dem Wochenende 14./15.08.2010 (lediglich) ca. 1.110 Beamte verplant' waren. Mit anderen Worten: Auch unter Berücksichtigung aller bekannten Einsatzlagen in Niedersachsen und der zusätzlichen 500 Kräfte für den Einsatz in Bad Nenndorf verblieb sogar noch eine Reserve von etwa 690 Beamten. Tatsächlich scheint es daher so gewesen zu sein, dass nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen worden waren, sämtliche verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.

Um das Gericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands zu überzeugen, wäre es aber notwendig gewesen nachzuweisen, dass tatsächlich die Mobilisierung aller verfügbaren Polizeikräfte versucht worden war. Der Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit von Polizeikräften kann in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in einem freiheitlichen demokratischen Staat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (345)) einen polizeilichen Notstand nur begründen, wenn nachgewiesenermaßen zuvor alles versucht worden ist, um den Notstand zu vermeiden. Würde für die gerichtliche Kontrolle ein Weniger genügen, liefe das Versammlungsgrundrecht Gefahr, in der polizeilicher Einsatzplanung in den Hintergrund zu treten.

Diesen Nachweis der Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Mobilisierung ist das Innenministerium insbesondere auch deshalb schuldig geblieben, weil aus den vorgelegten Akten ersichtlich ist, dass auf die ergänzende Kräfteanforderung der Polizeidirektion Göttingen am 06.08.2010 per E-Mail überhaupt keine Versuche mehr unternommen worden waren, noch weitere Kräfte aus der Fläche zu mobilisieren. Vielmehr teilte die Abteilung 2 des Ministeriums der Polizeidirektion Göttingen mit Schreiben noch vom selben Tag mit, dass ergänzende Kräfte nicht bereitgestellt werden könnten.

Mit einer derartigen Einsatzplanung lässt sich jedoch der Nachweis der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands im Versammlungsrecht nicht führen. Die Einlassung des Zeugen J., die einzelnen territorialen Polizeidirektionen sowie die Zentrale Polizeidirektion entschieden grundsätzlich in eigener Verantwortung, wie viele Beamte sie für besondere Lagen zur Verfügung stellten und die dem Innenministerium obliegende Fachaufsicht lasse eine Kontrolle der einzelnen Lagen in den territorialen Polizeidirektionen nur sehr eingeschränkt zu, auch die Zentrale Polizeidirektion koordiniere ihre Einsätze in aller Regel selbst, bedeutet in der Konsequenz, dass die Entscheidungsgewalt über einen polizeilichen Notstand vom Innenministerium in die nachgeordneten Behörden verlagert wird. Wenn von Seiten des Innenministeriums nicht eine strenge Plausibilitätskontrolle der Einsätze der Bereitschaftspolizei und der Aufrufeinheiten in den einzelnen Polizeidirektionen erfolgt, nicht mehrfach Kräfte nachgefordert werden und im Ergebnis für eine Einsatzlage wie die in Bad Nenndorf an einem nach den Worten des Zeugen J. normalen Wochenende' weniger als ein Viertel der für besondere Lagen vorhandenen Kräfte für einen Einsatz vorgesehen wird, ist die gerichtliche Überzeugung, es sei tatsächlich alles zur Vermeidung eines polizeilichen Notstands unternommen worden, ausgeschlossen.

Dies geht hier zu Lasten des Beklagten, der zwar die Darlegungen der Polizei nicht hatte hinterfragen können, sich aber als Versammlungsbehörde deren Auffassung angeschlossen hatte. Er trägt in diesem Verfahren für das Vorliegen des polizeilichen Notstands die materielle Beweislast.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, besteht nicht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Sätze 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO. Gründe, die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, sind nicht ersichtlich. ..."

***

... Der Kläger wendet sich als Versammlungsleiter gegen Maßnahmen der Beklagten gegenüber einer von ihm angezeigten Versammlung am 21.6.2008 auf dem S. Platz in D.-N. .

Ursprünglich hatten die J. N. (JN) bei der Beklagten zu 1. für diesen Tag eine Veranstaltung unter dem Motto: JN-Sachsentag: Jugend will Perspektiven' mit Getränke- und Imbisssausschank für die Fläche Am F. 1 in D.-P. unter der Leitung von A. S. angemeldet, an der der Kläger teilzunehmen beabsichtigte. Die Durchführung dieser Versammlung wurde am Mittag des 21.6.2008 vor Ort in P. von dort anwesenden Vertretern der Beklagten zu 1. mündlich untersagt; die Polizei sprach Platzverweise aus. Die Teilnehmer der Veranstaltung der JN, darunter auch der Kläger, sammelten sich daraufhin überwiegend am U. Platz in D./B. (ca. 250 Personen mit 140 Fahrzeugen). Der Kläger meldete dort durch R. T. bei einem Mitarbeiter der Beklagten zu 1. (Herrn B. ) eine Spontanversammlung zum Thema Willkür durch Politik und Justiz' für den U. Platz (in der Wendeschleife) an (AS 253). Es sollte ein Aufzug über die B. Landstraße und B. Straße stadteinwärts bis zur K. Straße und zurück durchgeführt werden. Dieses Vorhaben wurde dann fallen gelassen, da u.a. der Weg zu weit war. Der Kläger teilte mit, dass stattdessen ein Aufzug vom S. Platz (vor dem Bahnhof N. ) aus durchgeführt werden solle. Die genaue Route werde dort bekannt gegeben. Die Teilnehmer des klägerischen Aufzugs sammelten sich nachfolgend am S. Platz. Bevor dort eine Kontaktaufnahme zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. als Versammlungsbehörde erfolgt war, formierten sich die Teilnehmer zu einem Zug und setzten sich um 15.28 Uhr in Bewegung. Die auf dem S. Platz anwesenden Polizeikräfte stoppten die Zugspitze und bildeten nachfolgend einen Kreis um die Versammlungsteilnehmer. Der Kläger und Herr B. als sein Stellvertreter führten dann ein Gespräch mit dem mittlerweile eingetroffenen Leiter der Versammlungsbehörde, Herrn L.. Dieser gab mündlich bekannt, dass kein Aufzug genehmigt werde, sondern allenfalls eine stationäre Kundgebung durchgeführt werden könne. Während der Gespräche näherte sich gegen 15.35 Uhr von außen kommend eine Gruppe weiterer Versammlungsteilnehmer unter der Führung von U. P.. Die Polizeikräfte strebten diesen Kräften entgegen und lösten dadurch partiell den Kreis von Polizeikräften. Einige Teilnehmer zogen daraufhin der eintreffenden Gruppe entgegen und wurden von heraneilenden Einsatzkräften wieder zurückgehalten. In diesem Zusammenhang wurde ein Vollstreckungsbediensteter der Beklagten zu 1. verletzt und ein Versammlungsteilnehmer festgenommen. Der Kläger löste um 15.38 Uhr die Versammlung durch seinen Stellvertreter auf. Personen, die gemeinsam den Platz verlassen wollten, wurden nachfolgend zunächst u.a. mittels Einsatzes von Reizspray und Stock sowie Zurückschubsen am Verlassen des Geländes gehindert. Um 15.44 Uhr gaben die Polizeikräfte den Teilnehmern der aufgelösten Versammlung den Weg frei. Die über die A. Brücke in Richtung A. gehenden Personen wurden auf der Brücke von Polizeikräften eingeschlossen (16.35 Uhr) und erhielten nach Identitätskontrollen einen Platzverweis für die Innenstadt D. bis zum nachfolgenden Tag. Ein weiterer größerer Teil ehemaliger Versammlungsteilnehmer fand sich am S. platz ein und führte dort eine Spontandemonstration durch (Ansprache von A. S. , vgl. AS 265). Diese erhielten nachfolgend gleichfalls Platzverweise.

Der Kläger hat am 3.12.2008 Klage erhoben. Er hat sich zunächst gegen Vorgänge auf dem S. Platz und auf dem S. platz in Dresden gewandt; da er auf dem S. platz selbst nicht anwesend war, hat er sein Feststellungsbegehren im Laufe des Verfahrens auf den S. Platz beschränkt.

Der Kläger trägt vor, es sei am S. Platz nicht möglich gewesen, mit der Versammlungsbehörde ein Route für den Aufzug abzusprechen. Herr L. habe den Aufzug mit den Worten abgelehnt: Hier läuft gar niemand.' Daraufhin habe der anwesende vermutliche Einsatzleiter der Polizei darauf hingewiesen, dass es keinen Aufzug geben könne, da dieser von der Versammlungsbehörde nicht genehmigt worden sei. Das Verbot des Aufzugs sei rechtswidrig gewesen. Die Versammlungsfreiheit gestatte es, Unzufriedenheit, Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen und abzuarbeiten. Hier habe keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestanden. Störungen entlang der beabsichtigten Route habe man durch gegen die Störer gerichtete Maßnahmen vermeiden können. Ein milderes Mittel wäre auch die Änderung der Route gewesen. Letztlich seien anlässlich des Sachsentages genügend Polizeikräfte vor Ort im Einsatz gewesen. Für die Einkesselung der Versammlungsteilnehmer vor dem N. Bahnhof gebe es keine Ermächtigungsgrundlage. Die Versammlung habe zunächst nach § 15 Abs. 3 VersammlG aufgelöst werden müssen. Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme, als welche die Einkesselung nach der Selbstauflösung der Versammlung anzusehen sei, hätten nicht vorgelegen. Die Einkesselung stelle physische Gewaltanwendung dar. In die Kette hätten sich auch Mitarbeiter des Ordnungsamtes mit eingereiht (mit Körperpanzerung und Schutzhelmen mit der Aufschrift Polizeibehörde'), die für Einsätze bei Versammlungsgeschehen nicht trainiert gewesen seien. Auch das sei rechtswidrig gewesen. Die Menge sei nicht von Anbeginn aggressiv und extremistisch eingestellt gewesen Sie seien nicht einheitlich schwarz gekleidet gewesen. Erst durch die Einkesselung und das Zurückdrängen unter Reizgaseinsatz sei die Menge aufgeputscht worden.

Der Kläger beantragt,
1. gegenüber der Beklagten zu 1. festzustellen, dass das von der Versammlungsbehörde am 21.6.2008 auf dem S. Platz in D. ihm und seiner Versammlung gegenüber ausgesprochene generelle Verbot, einen Aufzug durchzuführen, und die Beschränkung auf eine stationäre Veranstaltung auf dem S. Platz vor dem N. B. rechtswidrig war,
2. gegenüber dem Beklagten zu 2. festzustellen, dass die Einkesselung der Versammlungsteilnehmer der Eilversammlung am 21.6.2008 auf dem S. Platz vor dem N. B. vor und nach der Selbstauflösung rechtswidrig war,
3. gegenüber der Beklagten zu 1. festzustellen, dass der Einsatz von städtischen nichtverbeamteten Vollzugsbediensteten zur Erfüllung von Aufgaben der Polizeivollzugsbehörde, insbesondere bei der umschließenden Umstellung auf dem S. Platz am 21.6.2008, rechtswidrig war,
4. gegenüber dem Beklagten zu 2. festzustellen, dass die Vornahme unmittelbaren Zwangs durch den Einsatz von Reizgas und körperlicher Gewalt u.a. mittels Einsatzstocks nach der Selbstauflösung der Eilversammlung zum Zwecke der Erzwingung des Verbleibs der Versammlungsteilnehmer in der Einkesselung auf dem S. Platz am 21.6.2008 rechtswidrig war.

Der Beklagte zu 2. beantragt Klageabweisung. Er trägt vor, bis 13.30 Uhr hätten sich in B. etwa 300 Personen gesammelt. Diese hätten sich dann zum N. B. begeben. Dort seien bis 15.20 Uhr etwa 150 Personen eingetroffen. Es sei eine Eilversammlung mit anschließendem Aufzug über die M. bis zum S. Platz beantragt worden. Es werde bestritten, dass es zu einer Einkesselung gekommen sei. Brandenburgische Kräfte und solche der Bundespolizei hätten einzelne Punkte in Abstand von der Versammlung besetzt mit dem Ziel, Störungen von innen und außen zu verhindern. Ein Entfernen sei in keiner Richtung behindert worden. Es habe ein reger Zu- und Ablauf stattgefunden. So habe etwa R. T. sich mit ca. 20 Personen vom S. Platz entfernen können. Die Versammlungsbehörde habe zwar die Versammlung genehmigt, aber nicht den Aufzug. Es sei auch nach der Selbstauflösung der Versammlung nicht zu einer Einkesselung gekommen, um den Abgang der Teilnehmer zu verhindern. Die Teilnehmer hätten sich nach der Auflösung nicht wie sonst üblich in alle Richtungen verteilt. Der Versammlungsleiter habe zu den Teilnehmern gesprochen. Der Inhalt sei durch die Einsatzkräfte nicht zu vernehmen gewesen. Plötzlich sei eine hohe Dynamik aufgekommen. Die gesamte Menschenmenge habe sich formiert und massiv versucht, sich in Richtung Hainstraße zu bewegen, obwohl ein Aufzug nicht genehmigt worden sei. Lediglich diese Bewegungsrichtung sei durch Einsatzkräfte mittels Polizeikette abgesperrt worden. In andere Richtungen sei ein Abgang möglich gewesen. An der Spitze der Bewegungsrichtung hätten sich ausschließlich schwarz gekleidete, junge, extrem aggressiv auftretende Männer befunden, die auf ein Ansprechen durch Polizeikräfte nicht reagiert hätten. Diese hätten die Einsatzkräfte massiv mit körperlicher Gewalt bedrängt, um die Absperrung zu durchbrechen. Um den polizeilichen Anordnungen Nachdruck zu verleihen, nicht zuletzt auch zum Eigenschutz, sei vereinzelt als Hilfsmittel Pfefferspray verwendet worden und zum Abdrängen auch der sog. Einsatzmehrzweckstock. Letzterer sei nur zum Drücken, keinesfalls zum Schlagen verwendet worden. Es sei offenkundige Absicht der Rechten gewesen, ein Zusammentreffen mit der linken Klientel herbeizuführen. Unmittelbarer Zwang sei auch nur von den Polizeikräften an der vordersten Absperrlinie vereinzelt angewandt worden. Unbeteiligte hätten sich nicht in Gefahr befunden. Die Richtung Hainstraße habe freigegeben werden müssen. Die auf etwa 300 Personen angewachsene Menge habe sich auf die vielbefahrene Kreuzung am S. Platz ergossen, wodurch es zu massiven Verkehrsbeeinträchtigungen gekommen sei. Eine Gruppe der linken Szene habe ab 15.15 Uhr in Abstimmung mit der Versammlungsbehörde, die mit drei Personen stets im Lagezentrum oder vor Ort gewesen sei, unter polizeilicher Begleitung einen Aufzug durchgeführt vom Parkplatz vor dem Einkaufszentrum M. bis zum A. platz.

Die Beklagte zu 1. beantragt Klageabweisung. Sie trägt vor, ihre Mitarbeiter hätten keine Einkesselung angeordnet und sich auch nicht an einer solchen beteiligt. Die Richtigkeit ihrer Gefahreneinschätzung, wonach ein Aufzug der aufgeheizten Menge in dem politisch als überwiegend links geltenden Wohnviertel zwischen dem B. N. und dem Kino S. einen unfriedlichen Verlauf genommen hätte, sei durch die von den Versammlungsteilnehmern ausgehenden Aggressionen gegen Personen und Sachen hinreichend bestätigt. Es habe am S. Platz eine aufgeheizte Stimmung geherrscht, eine Alkoholisierung von Teilnehmern während des Zwischenaufenthalts am U. Platz und das Vorhandensein eines erheblichen Frustrationserlebnisses in P.. Die Videos des Beklagten zu 2. würden dem nicht entgegenstehen. Diese würden nur Ausschnitte des Versammlungsgeschehens zeigen und könnten nicht die Komplexität der Gesamtveranstaltungslage an jenem Tag wiedergeben. Zwei Kameraaugen würden zwangsläufig weniger sehen als die sieben Augenpaare der Zeugen. Die Menge sei nicht absprachefähig gewesen. Die Beschränkung auf eine stationäre Veranstaltung sei rechtmäßig gewesen. Im Nachgang zur Auflösung habe es einen Übergriff auf einen tschechischen Fotografen gegeben. Dass dieser zuvor einen Teilnehmer der Versammlung tätlich angegriffen habe, sei nicht belegt. Auch habe eine Bewaffnung mit Teilen eines Bauzauns stattgefunden. Es sei nicht erwiesen, dass es zu einer Einkesselung gekommen sei.

In der mündlichen Verhandlung am 19.10.2011 ist Beweis erhoben worden über die näheren Umstände der am 21.6.2008 vom Kläger angemeldeten Eilversammlung und der damit zusammenhängenden Vorfälle auf dem S. Platz durch Einvernahme von J. B. , R. L. als Leiter der Versammlungsbehörde, H. B. und A. -K. B. als Mitarbeiter der Versammlungsbehörde, HK M. , PHK B. , POR K. und EPHK S. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Des Weiteren sind die von dem Beklagten zu 2. vorgelegten Aufzeichnungen auf zwei DVD in Augenschein genommen und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. ...

Die Klage hat in dem aus dem Tenor erkennbaren Umfang Erfolg. Im Übrigen war sie abzuweisen.

1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Versagung eines Aufzugs und die Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung ist gemäß § 113 Abs. 4 VwGO analog zulässig. Die darin zu sehende Auflage durch die Beklagte hat sich durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger hat dennoch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass diese Auflage rechtswidrig war, da durch sie in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, das dem Kläger zustehende Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, eingegriffen wurde.

Die Klage ist auch begründet. Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Untersagung eines Aufzugs und Beschränkung der von ihm geleiteten Versammlung auf eine ortsfeste Veranstaltung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten.

Die vom Kläger ausgehend vom S. Platz beabsichtigte Versammlung genoss den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Es handelte sich um eine Versammlung in diesem Sinne. Als solche wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung definiert (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.10.2004, Az. 1 BvR 1726/01, zit. nach juris). Diese Voraussetzungen erfüllten die Personen, die sich am 21.6.2008 auf dem S. Platz in D. zusammen gefunden hatten, um in Form eines Aufzugs ihren Ärger über das Verbot der Durchführung des sog. Sachsentages in P., das am Vormittag desselben Tages von der Beklagten zu 1. ihnen gegenüber ausgesprochen worden war, zum Ausdruck bringen, und die ihre Kritik am Vorgehen von Behörden und Gerichten unter dem Motto Willkür durch Politik und Justiz' der Öffentlichkeit mitteilen wollten. Auch für Spontanversammlungen der vorliegenden Art besteht der Schutz des Art. 8 GG unabhängig von der in § 14 Abs. 1 VersG bestimmten Anmeldepflicht (vgl. BVerfG, BVerfGE 69, 315, 350f.).

Die fragliche Versammlung hatte auch nicht deshalb den Schutz des Art. 8 GG verloren, weil sie als unfriedlich einzuschätzen gewesen wäre. Die Friedlichkeit entfiel nicht aufgrund des Umstands, dass die Versammlungsteilnehmer zeitweise Parolen skandierten. Denn das gemeinsame laute Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische Ausdrucksform, die am Schutz der Versammlungsfreiheit teilhat (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. vom 18.5.2010, Az. 14 K 5459/08, zit. nach juris). Auch konnte aus den Parolen nicht geschlossen werden, dass ein unfriedlicher Verlauf von den Versammlungsteilnehmern beabsichtigt war oder drohte. Es handelte sich um Standardparolen der sog. rechten Szene (wie z.B. frei, sozial und national' oder Widerstand lässt sich nicht verbieten') und nicht um Meinungskundgebungen mit beleidigendem oder verfassungsfeindlichem Inhalt, was letztlich von den Beklagten auch nicht behauptet wird. Mit Unfriedlichkeit meint die Verfassung äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit, wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen (BVerfG, Besch. vom 24.10.2001, Az. 1 BvR 1190/90). Es gab keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass derartige Aktivitäten vom Kläger und den Teilnehmern der Versammlung bei der Durchführung des Aufzugs geplant waren. Als Anzeichen für Unfriedlichkeit kann insbesondere nicht gewertet werden, dass sich die Versammlungsteilnehmer gegen 15.28 Uhr in einer Reihe zur Durchführung des Aufzugs aufstellten und losgingen. Bis dahin war weder gegenüber dem Kläger noch gegenüber der Versammlung eine behördliche oder polizeiliche Verfügung ergangen. Dass die Versammlungsbehörde den vom Kläger angekündigten Aufzug untersagen würde, war ihnen nicht bekannt gegeben worden. Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass die Versammlungsteilnehmer behördlichen Auflagen zuwider handeln wollten. Weder durch die in Person von Herrn B. anwesende Versammlungsbehörde noch durch die Polizei war eine Ansprache an die Versammlungsteilnehmer erfolgt, um die Situation zu (er)klären, wie beispielsweise die Aufforderung, dass sich der Versammlungsleiter mit der Versammlungsbehörde in Verbindung setzen möge (was bis dato nicht erfolgt war), ein Aufruf, bis zum Abschluss der Gespräche mit der Versammlungsbehörde Ruhe zu bewahren und auf dem S. Platz zu verbleiben. Dennoch beachteten die Versammlungsteilnehmer die Aufforderung der Polizei, stehen zu bleiben und den Platz nicht zu verlassen. Sie wichen zurück und warteten ab. Unmittelbar danach setzten dann die Gespräche zwischen dem Kläger und dem auf dem S. Platz inzwischen eingetroffenen Leiter der Versammlungsbehörde ein. Es kam bis dahin auch nicht zu Gewalttätigkeiten. Der Zwischenfall mit dem Vollstreckungsbediensteten der Beklagten zu 1. gegen 15.35 Uhr, der sich wohl zur Unterstützung der Polizei am Zurückhalten einzelner Versammlungsteilnehmer beteiligte, geschah in einem Moment, in dem sich von außen eine Gruppe von ca. 50 Teilnehmern unter der Leitung von Herrn P. der Versammlung näherte. In diesem Augenblick entfernten sich Polizeibedienstete aus der gebildeten - zunächst weiträumigeren - Umschließung in Richtung dieser Gruppierung und gaben damit zeitgleich den bereits auf dem S. Platz befindlichen Versammlungsteilnehmern den Weg frei. Einzelne Versammlungsteilnehmer strebten daraufhin jener Gruppe entgegen. In diesem Augenblick kam es zu dem einzigen Ereignis im Verlauf der Versammlung, das unfriedlich endete. Als nämlich jene Versammlungsteilnehmer von weiteren heraneilenden Kräften wieder zurückgedrängt werden sollten, kam es zu dem Zusammenstoß zwischen einem Versammlungsteilnehmer und dem Vollstreckungsbediensteten der Beklagten zu 1.. Der betreffende Versammlungsteilnehmer wurde daraufhin festgenommen. Die übrigen Teilnehmer wichen den polizeilichen Anordnungen entsprechend zurück und verblieben bis zur Verkündung der Auflösung der Versammlung durch den Vertreter des Klägers um 15.38 Uhr, wiederholt durch einen weiteren Versammlungsteilnehmer, abwartend auf dem Platz. Bis auf das zeitweise erfolgende Skandieren von Parolen, unterbrochen von abwartendem Herumstehen, verhielten sich die Teilnehmer trotz des vorangegangenen Vorfalls weiterhin ruhig. Die Einschätzung einiger Zeugen in der mündlichen Verhandlung, es habe eine sehr aufgebrachte oder gereizte Stimmung geherrscht, wird dabei von der Kammer berücksichtigt. Zugleich werden allerdings die - auch nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ereignis unveränderten - Video-Aufzeichnungen mit den Zeugenaussagen abgeglichen. Es ist davon auszugehen, dass die von der Polizei übersandten Video-Aufzeichnungen vollständig die Aufnahmen enthalten, die das Geschehen am S. Platz betreffen. Es ist weiter davon auszugehen, dass die mit den Aufzeichnungen beauftragten Kräfte auf den Videobändern die als wesentlich eingeschätzten Vorgänge aufgenommen haben und Aufnahmepausen die Zeiten ohne besondere Vorkommnisse umfassen. Insofern ist festzustellen, dass einige Versammlungsteilnehmer möglicherweise sehr aufgebracht oder gereizt gewesen sein mögen. Die so beschriebene Stimmungslage führt jedoch nicht per se zur Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Insbesondere gab es von Seiten der Versammlungsteilnehmer unstreitig keine Aggressionen gegenüber der Polizei, beispielsweise in Form von Werfen von Gegenständen (Flaschen oder Steinen), oder sonstigen Übergriffen. Der auf das Recht, sich friedlich und ohne Waffen' zu versammeln, bezogene Schutz entfiel für die Versammlung insgesamt nicht dadurch, dass ein einzelner Versammlungsteilnehmer sich in der oben geschilderten Situation gewalttätig verhielt (vgl. hierzu grundsätzlich BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.4.2007, Az. 1 BvR 1090/06, zit. nach juris). Letztlich kann aus dem Verhalten der Polizei darauf geschlossen werden, dass sie die Situation nicht abweichend einschätzte. Denn es wurden weder gegen weitere Versammlungsteilnehmer versammlungsausschließende Maßnahmen ergriffen noch eine Auflösung der Versammlung verfügt. Aus den vorliegenden filmischen Aufzeichnungen ergibt sich im Übrigen auch, dass die Teilnehmer der Versammlung sich so aufmerksam und geordnet verhielten, dass sie die Auflösungserklärung des Klägers um 15.38 Uhr zur Kenntnis nehmen konnten. Sie wandten sich den Sprechern zu und verhielten sich ruhig, um die Ansprache zu verstehen. Dass die Versammlung dem Kläger entglitten wäre, wie der Beklagtenvertreter zu 1. meint, kann daher nicht angenommen werden. Auch dürfte zumindest die überwiegende Zahl von Versammlungsteilnehmern die Auflösungserklärung akustisch verstanden haben. Denn unmittelbar danach brach Unruhe in der Gruppe aus, weil die Teilnehmer der aufgelösten Versammlung den Platz verlassen wollten, woran sie allerdings zunächst weiter von den anwesenden Polizeikräften - die auf neue Anweisungen ihrer Führung warteten - gehindert wurden.

Die hier angegriffene Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung war nicht gerechtfertigt. Es handelt sich insofern um eine Auflage im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG, die in das aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Demonstration eingreift (vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 26.1.2001, Az. 1 BvQ 9/01, zit. nach juris) und deren Erteilung eine nicht mit milderen Mitteln zu verhindernde unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung voraussetzt. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtgüter droht. Unter Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfG, Beschl. vom 14.5.1985, Az. 1 BvR 233/81 u.a. zit. nach juris). Der Prognosemaßstab der unmittelbaren Gefährdung erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die genannten Schutzgüter aus erkennbaren Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12.5.2010, Az. 1 BvR 2636/04, zit. nach juris).

Die Auflage ging hier nach Aktenlage und dem Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidend vom Leiter der Versammlungsbehörde aus. Eine Begründung für die Einschätzung, dass ein Aufzug der Versammlung des Klägers eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedeuten würde, wurde von ihm weder gegenüber dem Kläger im Zuge des Versammlungsgeschehens abgegeben, noch gibt es im Nachgang zu dem Geschehen von ihm gefertigte schriftliche Aufzeichnungen hierüber - was zu beanstanden ist. Insofern ist die Kammer bei der Prüfung, welche Gründe für die Entscheidung maßgeblich waren, auf die Aussage des Leiters der Versammlungsbehörde im gerichtlichen Verfahren angewiesen. Ob es für die Gefahrenprognose (ex-ante) hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte gab, ist anhand der Ausführungen der Beteiligten in diesem Verfahren, der Zeugenaussagen, der Videoaufzeichnungen und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge abzuklären. Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann daraus nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht hergeleitet werden.

Im Gerichtsverfahren wurde zur Begründung schriftsätzlich zunächst im Wesentlichen ausgeführt, nach der Gefahreneinschätzung der Beklagten zu 1. würde ein Aufzug der aufgeheizten Menge in dem politisch als überwiegend links geltenden Wohnviertel zwischen dem B. N. und dem Kino S. einen unfriedlichen Verlauf' genommen haben, was bereits anhand der von den Versammlungsteilnehmern des Klägers ausgehenden zuvor geschilderten Aggressionen gegen Personen und Sachen hinreichend bestätigt werde (GAS 113). Der Beklagte zu 2. erklärte zur Auflage der stationären Versammlung, dass diesseits davon ausgegangen (werde), dass damit verhindert werden sollte, dass die Teilnehmer des Sachsentages auf den Aufzug der linken Personengruppe treffen' (GAS 41). In den mündlichen Verhandlungen wurde vom Leiter der Versammlungsbehörde erklärt, dass Grund für die Entscheidung gewesen sei, dass die Polizei für eine Absicherung eines Aufzugs nicht vorbereitet gewesen sei. Es habe eine sehr aufgebrachte Stimmung geherrscht. Die aggressive Grundhaltung habe er aus Sprechchören und dem Verhalten insgesamt geschlossen. Die Gruppe habe sich zuerst im hinteren Bereich des Bahnhofs gesammelt und sei dann geschlossen vorgerückt in Richtung auf die H. straße, ohne dass vorher mit ihm/ihnen eine Route abgesprochen worden sei. In U. sei zudem ungehindert Alkoholkonsum möglich gewesen. Zur gleichen Zeit habe eine Demonstration aus dem linken Bereich in P. stattgefunden.

Diese vorgetragenen Gründe rechtfertigten die Auflage einer stationären Veranstaltung nicht.

Zur Gefahr des Aufeinandertreffens linker und rechter Kräfte im Falle eines Aufzugs gilt Folgendes: Die linke Szene hatte - unstreitig - bis zuletzt auf ihren Internetseiten für diesen Tag nicht mobilisiert. Es gab nur eine Gegenveranstaltung links' in weiter räumlicher Entfernung (in D.-P. ) mit 20 bis 42 Teilnehmern, die von Polizeikräften begleitet wurden. Als milderes Mittel zu Vermeidung von Zusammenstößen zwischen rechten und linken Versammlungsteilnehmern wäre daher eine Änderung der Aufzugsroute der klägerischen Versammlung von der N. in Richtung A. (über die H. - oder die A. straße) hinreichend gewesen. Es kann nicht angenommen werden, dass der Kläger insofern nicht kooperationsbereit gewesen wäre. Entsprechende Alternativrouten sind dem Kläger nicht vorgeschlagen worden. Sie wurden von vornherein gar nicht erst ins Auge gefasst.

Es gab auch keinen hinreichenden Anlass zu befürchten, dass der von den Versammlungsteilnehmern beabsichtigte Aufzug einen unfriedlichen Verlauf nehmen würde oder dass der Kläger einen solchen Verlauf anstrebte oder zumindest billigte (vgl. BVerfG, Beschl. vom 14.5.1985, aaO). Zu der in Form des Skandierens von Parolen stattfindenden bloßen Meinungsäußerung müssten weitere Umstände hinzutreten, die einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründen könnten. Dafür kann das Verhalten von Versammlungsteilnehmern vor und nach der Versammlung nur dann herangezogen werden, wenn es den Schluss auf eine besondere Gewaltbereitschaft der Versammlung insgesamt zulässt. Derartige Umstände konnten von beiden Beklagten - sowohl einzeln als auch in Gesamtheit betrachtet - nicht dargelegt werden.

Die Beklagte zu 1. verweist zunächst zum Beleg einer besonderen Gewaltbereitschaft der Teilnehmer der klägerischen Versammlung auf eine zerstörte Frontscheibe eines Pkw, der einem Bediensteten der Beklagten zu 1. zuzuordnen war. Die Sachbeschädigung geschah in P. durch eine unbekannte Person. Selbst wenn ein Teilnehmer des abgesagten JN-Sachsentages dafür verantwortlich gewesen sein sollte (an dieser Stelle unterstellt), kann nicht angenommen werden, dass sich diese Person auch unter den Teilnehmern der Versammlung am S. Platz in D. befand. Laut Bericht des Einsatzleiters wurden in P. ca. 500 Personen festgestellt. Auf dem S. Platz fanden sich demgegenüber laut Einsatztagebuch der Polizei nur (bis zu) ca. 300 Personen ein. Der Leiter der Versammlungsbehörde verweist des Weiteren darauf, dass er beobachtet habe, dass Teilnehmer des JN-Sachsentages aus einem Geschäft in B. bzw. aus dem Kofferraum' Alkohol konsumiert hätten. Abgesehen davon, dass dieser Vortrag bereits insgesamt zu allgemein gehalten ist, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung glaubhaft darzulegen, kann den vorliegenden filmischen Aufzeichnungen nicht entnommen werden, dass Teilnehmer alkoholische Getränke bei sich geführt oder gar zu sich genommen hätten. Dies gilt für die Zuhörer in B. während der Ansprache durch Herrn P. gleichermaßen wie für die Teilnehmer der klägerischen Versammlung am S. Platz (erste Aufzeichnung ab 15.05 Uhr) bis zu den (abschließenden) Aufzeichnungen auf der A. . Die Beklagte zu 1. vermochte auch keinen konkreten Fall zu benennen, in dem ein Teilnehmer als alkoholisiert aufgefallen wäre. Zum Verhalten der Teilnehmer der klägerischen Versammlung auf dem S. Platz bis zur Auflösung ist oben bereits ausführlich Stellung genommen worden. Die von den Zeugen als sehr aufgebracht und gereizt beschriebene Stimmung der Versammlungsteilnehmer am S. Platz stellt sich nach den in Augenschein genommenen Video-Aufnahmen während der Dauer der Versammlung nicht so dar, dass sie gewalttätige Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen bei der Durchführung eines Aufzugs als möglich, geschweige denn als hinreichend wahrscheinlich erscheinen ließe. Eine besondere Gewaltbereitschaft der Versammlung ergibt sich auch nicht aus dem Verhalten der ehemaligen Teilnehmer unmittelbar nach der Auflösung. Einige versuchten den Platz zu verlassen und die sie weiterhin umschließenden Einsatzkräfte der Polizei wegzuschieben. Es kam zu einem Gerangel und nachfolgend zum Einsatz von Reizgas und Einsatzmehrzweckstock von Seiten der Polizei. Bei einem zweiten Versuch des Wegdrängens hielten die ehemaligen Versammlungsteilnehmer die Hände hoch erhoben, um zu kennzeichnen, dass sie nicht beabsichtigten, auf die Einsatzkräfte der Polizei einzuschlagen oder sich zu wehren. Dann wurde der Weg von der Polizei freigegeben (15.44 Uhr).

Das Verhalten der ehemaligen Versammlungsteilnehmer nach der Beendigung der Versammlung darf schließlich auch nicht isoliert von dem vorangegangenen Geschehen beurteilt werden. Die Versammlungsteilnehmer waren bereits vor der Auflösung der Versammlung von Polizeikräften umschlossen, ohne dass eine behördliche Ansprache erfolgt wäre. Auch nach der Auflösung gab es keine Ansprache, die ohne Weiteres möglich gewesen wäre, da laut Verwaltungsvorgängen jeder Einsatzzug der Polizei über ein Megaphon (wie später auf der A. zum Einsatz gekommen) verfügte. Insgesamt fällt bei dem gesamten Versammlungsgeschehen auf, dass ein Mangel an Kommunikation bestand zwischen dem Kläger, seiner Versammlung, der Versammlungs- und der Polizeibehörde und untereinander. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 14.5.1985 (aaO) von staatlichen Behörden gefordert, nach dem Vorbild friedlich verlaufener Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Zu diesen zähle neben der rechtzeitigen Klarstellung der Rechtslage, dass beiderseits Provokationen und Aggressionsanreize unterbleiben, dass die Veranstalter auf die Teilnehmer mit dem Ziel friedlichen Verhaltens und der Isolierung von Gewalttätern einwirken, dass sich die Staatsmacht besonnen zurückhält und übermäßige Reaktionen vermeidet und dass insbesondere eine rechtzeitige Kontaktaufnahme erfolgt. Davon unabhängig sind, worauf die Kammer an dieser Stelle hinweist, unstreitig Weisungen der Polizei immer zu befolgen - auch wenn man sie für rechtswidrig hält oder ihren Grund nicht versteht. Dennoch kann aus dem situationsgebundenen Verhalten von ehemaligen Versammlungsteilnehmern - die den S. Platz verlassen wollten - nicht auf eine generelle Gewaltbereitschaft für den Fall der Durchführung ihres Aufzugs geschlossen werden. Eine größere Gruppe ehemaliger Versammlungsteilnehmer, die später auf der A. von der Polizei umschlossen wird, verhielt sich übrigens trotz der angekündigten umfänglichen Kontrolle der Personalien und der dort ausgesprochenen Platzverweise vollkommen ruhig und entspannt.

Schließlich verweist die Beklagte zu 1. darauf, dass einige Rechte (die Anzahl kann den Aufzeichnungen nicht entnommen werden) sich später, im weiteren Verlauf des Nachmittags, andernorts mit Teilen eines Bauzauns ausgerüstet hätten. Wie bereits ausgeführt, genügt das Verhalten einiger - von denen nicht einmal bekannt ist, ob sie Teilnehmer der klägerischen Versammlung auf dem S. Platz waren - nicht, um auf die Gesinnung (Gewaltbereitschaft) der gesamten Versammlung zu schließen, auf deren Ablauf die Polizei bei einem durchgeführten Aufzug zudem hätte weiter einwirken können.

Unter diesen Umständen bestand kein Anlass anzunehmen, die vorhandenen Polizeikräfte hätten nicht ausgereicht, um den beabsichtigten (Spontan)Aufzug des Klägers zu begleiten. Diese hatten sich auf das Begleiten eines Aufzugs auch grundsätzlich vorbereitet und eingestellt, wie die Äußerung des Zeugen HK M. verdeutlicht. Dass es, wie der Zeuge POR K. aussagte, schwierig gewesen wäre, die Versammlung auf dem S. Platz bei einem Aufzug mit 150 Mann im Verkehrsraum zu begleiten, ist zu allgemein gehalten, um nachvollziehbar zu sein, und Schwierigkeiten' reichen für die Versagung eines Aufzugs nicht aus. Sollte sich die Aussage von POR K. auf den Verkehrsfluss bezogen haben, so gilt, dass vorübergehende Störungen des öffentlichen Straßenverkehrs nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in gewissem Umfang bei der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts hinzunehmen sind.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch den Aufzug des Klägers von der Beklagten zu 1. nicht glaubhaft und hinreichend nachvollziehbar dargelegt werden konnte und die Begründung für eine solche Prognose - weder aus der zugrunde zu legenden ex-ante-Sicht noch unter Berücksichtigung späterer von der Beklagten zu 1. angeführter Umstände - nach dem Sach- und Streitstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ausreichte. Dass die polizeilichen Einsatzkräfte vor Ort damals keine abweichende Ansicht vertreten haben dürften - auch wenn sie dies nicht offen bekundeten -, lässt sich ohne Weiteres aus dem weiteren Vorgehen schließen. Denn wenn die Polizeiführer die Prognose getroffen hätten, dass von der Versammlung bei einem begleiteten Aufzug eine nicht beherrschbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen wäre, dann hätten sie die Teilnehmer nach der Auflösung sich nicht über das gesamte Stadtgebiet verstreuen lassen, sondern die - später ausgesprochenen - Platzverweise (deren Rechtmäßigkeit nicht Streitgegenstand ist) bereits am S. Platz erteilt und für einen geordneten Abzug der Teilnehmer aus dem Stadtgebiet gesorgt. Die Freigabe' der Versammlungsteilnehmer wäre andernfalls nicht zu verantworten und mit den Aufgaben der Gefahrenabwehr nicht zu vereinbaren gewesen. Letztlich dürfte es im Ergebnis für die Polizeikräfte wesentlich mehr Aufwand bedeutet haben, die sich nach der Auflösung teilweise in Einzelgruppen zerstreuenden ehemaligen Versammlungsteilnehmer im Blick zu behalten.

2. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren des Klägers nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bezüglich der durch Zeitablauf in ihrer Beschwer ebenfalls erledigten Einkesselung' der Versammlungsteilnehmer am S. Platz am 21.6.2008 durch Kräfte des Beklagten zu 2. ist insoweit zulässig, als es sich auf das Versammlungsgeschehen bezieht. Für die Zeit nach Beendigung der Versammlung ist es hingegen bereits unzulässig. Es fehlt insoweit am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, da nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger selbst von dieser Maßnahme (noch) betroffen wurde. Seine Rückkehr in den von Polizeikräften umschlossenen Raum nach Beendigung der Gespräche mit der Versammlungsbehörde ist nicht erkennbar. Die Auflösung der Versammlung wurde nicht von ihm selbst, sondern von seinem Stellvertreter und - wiederholend - von einer unbekannten dritten Person abgegeben. Seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung zu Folge stand er selbst im Zeitpunkt des Einsatzes von Reizgas und Stock, der nach der Beendigung der Versammlung erfolgte, noch in der Nähe der Versammlungsbehörde, deren Mitarbeiter sich außerhalb der Umschließung aufhielten.

Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Kammer geht im Ergebnis der mündlichen Verhandlung zwar von einer Einschließung der Versammlungsteilnehmer durch Polizeikräfte aus. Dies folgert sie aus dem Vorgehen der Polizei, wie es durch die Video-Aufzeichnungen deutlich erkennbar wird, und den Äußerungen von mitwirkenden Kräften. So vermied HK M. , der als Zugführer am S. Platz ab 14.30 Uhr im Einsatz war, zwar die Verwendung des Begriffs Einschließung', indem er äußerte, sein Auftrag habe darin bestanden, niemanden über die Friedrich-Wolf-Straße sich entfernen zu lassen. Auf Vorhalt der Video-Aufzeichnungen, auf denen sein Zug - mittels der Nummern auf den Schutzhelmen - bei den in einer Runde um die Versammlung aufgestellten Polizeikräften zu erkennen ist, räumte er eine Teilnahme ein und erklärte, einzelne Personen, die sich von der Demonstration hätten entfernen wollen, hätten - nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten - durchgelassen werden können. PHK B. äußerte in seiner Vernehmung zwar, sie hätten keine abschließende Absperrung durchgeführt. Er sei z.B. Leuten in den B. nachgegangen um zu gucken, was sie dort machen würden. Tatsächlich haben Polizeikräfte laut Video-Aufzeichnungen die Versammlungsteilnehmer, die in das Bahnhofsgebäude gingen, wieder herausgedrängt. Personen, die zur Toilette gehen wollten, wurden von Polizeikräften hin und zurück begleitet. In einem Schadenersatzprozess vor dem Landgericht Dresden trägt die Beklagte zu 1. vor, es sei rechtmäßig eine Kette um ... die Demonstrationsteilnehmer gebildet' worden (GAS 333). In einem strafrechtlichen Verfahren vor dem Landgericht Dresden hat ein vernommener Beamter der Bundespolizei, Polizeiinspektion B. D. , laut Urteilsbegründung geäußert, ihre damalige Aufgabe sei die einschließende Absperrung der Teilnehmer am B. D.-N. gewesen (AS 410, Behördenakte der Bekl. zu 1.). Im Ergebnis lag eine Einschließung der Versammlungsteilnehmer unzweifelhaft vor. Ein freier Zu- und Abgang zur Versammlung war nicht gewährleistet. Dies ist mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Für das Einschließen einer Versammlung mittels Polizeikette gibt es auch keine Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz, das als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vorgeht (zu letzterem vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.10.2004, Az. 1 BvR 1726/01, zit. nach juris).

Diese Maßnahme war hier jedoch ausnahmsweise (noch) rechtmäßig. Sie stellte angesichts der kurzen Dauer (von 15.28 bis 15.38 Uhr) keinen nachhaltigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar und diente darüber hinaus dem Zweck, einen geordneten Ablauf des Versammlungsgeschehens herbeizuführen. Denn die Polizei wollte einem Losziehen der Versammlungsteilnehmer entgegenwirken bis zur Kontaktaufnahme des Klägers mit der Versammlungsbehörde unter Beteiligung der Polizeiführung mit dem Ziel der Abklärung des weiteren Versammlungsgeschehens, letztlich als eine Art Kooperationsgespräch. So hatte der Kläger am U. Platz in B. gegenüber der Versammlungsbehörde angekündigt, dass die genaue Route des Aufzugs am S. Platz bekannt gegeben werde. Derartige Gespräche hatten jedoch im Zeitpunkt des Formierens und Losziehens der Versammlungsteilnehmer nicht stattgefunden. Die anwesenden Polizeikräfte, denen von der Versammlungsbehörde mitgeteilt worden war, dass vorerst ( bis jetzt') nur eine stationäre Veranstaltung und ( diverse') Aufzüge bislang nicht mit Versammlungsleitung und -behörde abgesprochen worden seien (vgl. Video-Band II, Sprecher um 15.05 Uhr), standen nun einem dynamischen Versammlungsgeschehen gegenüber. Letztlich steht nicht einmal fest, ob der Kläger als Versammlungsleiter von dem Wunsch der Veranstaltungsteilnehmer, endlich loszulaufen, vorab informiert war. Um 15.38 Uhr löste der Kläger durch seinen Stellvertreter unmittelbar nach dem für ihn und seine Versammlung unbefriedigenden Abschluss der Gespräche mit der Versammlungsbehörde die Versammlung auf. Daraufhin wurden die einzelnen polizeilichen Einsatzkräfte zu neuen Einsatzorten beordert, die sie absichern sollten (mit dem Ziel, einen Zulauf in die D. N. zu verhindern), und um 15.44 Uhr wurde die Einschließung aufgelöst.

3. Für den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog, der auf die Überprüfung der Befugnis von bis zu 6 Mitarbeitern der Beklagten zu 1. gerichtet ist, an polizeilichen Maßnahmen, insbesondere der Einschließung, mitzuwirken, fehlt es am erforderlichen Feststellungsinteresse.

Zunächst einmal war die einzige polizeiliche Maßnahme, an der ein Mitwirken von Vollzugsbediensteten der Beklagten zu 1. vorgetragen und erkennbar ist, die Einschließung der Versammlung am S. Platz. Die Einschließung als Maßnahme war für sich genommen nicht rechtswidrig (vgl. oben unter Ziffer 2). Ob möglicherweise vereinzelte Personen tatsächlich keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse hatten, wofür nach Aktenlage viel spricht (vgl. auch die Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Wahrnehmung polizeilicher Vollzugsaufgaben durch gemeindliche Vollzugsbedienstete vom 19.9.1991, GVBl. S. 355, geänd. durch ÄndVO vom 23.8.2001, GVBl. S. 577), bedarf keiner (Auf)Klärung in diesem Verfahren. Denn selbst wenn sich Vollzugsbedienstete der Beklagten zu 1. zu Unrecht an der Einschließung beteiligt hätten, indem sie sich - aus eigenem Antrieb, Einsatzauftrag der Beklagten zu 1. oder Weisung durch Polizeikräfte - zur Unterstützung mit einreihten, wäre dadurch die Rechtsposition des Klägers oder seiner Versammlung nicht beeinträchtigt. Diese Personen waren nämlich in so geringer Zahl vorhanden, dass sie für die Einschließungsmaßnahme nicht wesentlich und prägend gewesen waren.

4. Auch der Feststellungsantrag des Klägers zu 4. ist unzulässig. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Reizgas und vom sog. Einsatz-Mehrzweckstock ist nicht erkennbar. Er war weder persönlich von diesen polizeilichen Maßnahmen betroffen noch in seiner Funktion als Versammlungsleiter. Die Versammlung hatte er zuvor bereits durch seinen Stellvertreter aufgelöst. ..." (VG Dresden, Urteil vom 23.11.2011 - 6 K 1988/08)

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Werbung für die PKK (VG Berlin, Beschluss vom 22.11.2011 - 1 L 369.11 zu § 15 Abs 1 VersammlG, § 20 VereinsG, Art 5 GG, Art 8 GG):

... Werden einheitliche Fahnen mit dem Konterfei Öcalans auf Demonstrationen in der massierten Form eines Fahnenmeers zur Schau gestellt, so handelt es sich aus der Sicht eines unbefangenen, aber informierten Betrachters um eine Werbung für die verbotene PKK. Öcalan ist noch immer Symbolfigur der PKK und deren Nachfolgeorganisationen und beteiligt sich - zum Teil über seine Anwälte - aktiv an politischen Auseinandersetzungen. Vor diesem Hintergrund ist das massierte Zeigen von Öcalan-Fahnen bei summarischer Prüfung als nach § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG strafbare öffentliche Verwendung eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung anzusehen (ebenso OVG Bremen, Urteil v. 25.10.2005 - 1 A 144/05, BeckRS 2006, 24299). Gleiches gilt für das massenhafte Zeigen von Fahnen verbotener kurdischer Organisationen, die in der Nachfolge der PKK stehen.

Würden dagegen nur vereinzelt Öcalan-Bilder oder derartige Fahnen gezeigt, träte das Versammlungsthema in den Vordergrund, so dass selbst bei Mehrdeutigkeit der Meinungsäußerung den Versammlungsteilnehmern die nicht strafbare Sorge um das Wohl Öcalans und die Forderung nach Aufhebung des Verbots der PKK zu unterstellen wäre. Dies setzte allerdings voraus, dass die Bilder Öcalans nicht in martialischer Aufmachung gezeigt werden. Das Zeigen vereinzelter, unkriegerisch gestalteter Bilder Öcalans auf einer Versammlung in beschränktem Umfang wäre eine zulässige Meinungsäußerung, die vom Grundrecht des Art. 5 GG gedeckt ist. Erst in einer Massierung der einheitlichen Fahnen wird die Schwelle zur verbotenen Werbung für die PKK überschritten. Die Kammer hält an diesen bereits in vorangegangenen Entscheidungen definierten Voraussetzungen fest (vgl. hierzu VG Berlin, Beschluss v. 07.12.2007 - VG 1 A 325.07; Beschluss v. 18.04.2008 - VG 1 A 98.08; Beschluss v. 25.01.2011 - VG 1 L 55.11).

Angesichts der bereits genannten Umstände kann bei summarischer Prüfung allerdings nicht zu Gunsten des Antragstellers angenommen werden, dass es lediglich zu einem vereinzelten Zeigen von Fahnen oder Abbildern Öcalans in friedfertiger Aufmachung kommen wird. Die vielmehr zu befürchtende massenhafte Verwendung von Fahnen mit PKK-Symbolen stellt einen massiven Verstoß gegen § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG dar. Auch unter Berücksichtigung von Art. 5 GG, der ein derartiges Verhalten nicht schützt, ist das Versammlungsverbot daher gerechtfertigt.

Das Verbot der Versammlung ist auch nicht unverhältnismäßig. Denn mildere, zur Vermeidung der prognostizierten Verstöße gegen die Rechtsordnung ebenso geeignete Mittel stehen dem Beklagten nicht zur Verfügung. Effektive Vorfeldkontrollen scheiden schon angesichts der erwarteten Teilnehmerzahl von 10.000 bis 30.000 Menschen aus. Auch ein Eingreifen während der Versammlung ist angesichts der Masse an Teilnehmern - falls überhaupt möglich - keinesfalls ebenso effektiv. Schließlich kommt auch nicht eine versammlungsrechtliche Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG als milderes Mittel in Betracht. Denn es ist nicht hinreichend sichergestellt, dass eine entsprechende Auflage ebenso geeignet wäre. Es ist sehr zweifelhaft, ob diese überhaupt Beachtung finden würde. Die Äußerungen des Antragstellers zu den Kölner Ereignissen im Rahmen des Kooperationsgespräches zeigen vielmehr, dass mit einem tatsächlichen Handeln des Veranstalters nicht gerechnet werden kann. Gestützt wird dies auch durch den dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden Vermerk des Polizeipräsidiums Köln, wonach der Antragsteller als Veranstaltungsleiter von der Polizei während der Veranstaltung ausdrücklich auf die verbotene Symbolik angesprochen worden ist, sich aber nicht veranlasst oder in der Lage gesehen hat einzugreifen.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung selbst ist rechtmäßig ausgesprochen worden, da andernfalls bei Durchführung der geplanten Versammlung die Begehung von Straftaten nach dem VereinsG unmittelbar zu besorgen ist. Durch die damit verbundene unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann nicht zugewartet werden, bis der Widerspruch beschieden ist. Die dahingehende Begründung des Polizeipräsidenten in Berlin stellt nicht eine lediglich formularmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung dar (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und wird dem formellen Erfordernis einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung gerecht. ..."

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Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann nicht beansprucht werden an Orten, an denen kein allgemeiner Publikumsverkehr eröffnet ist, sondern der Zugang individuell kontrolliert und nur für bestimmte Zwecke gestattet wird (VG Braunschweig, Urteil vom 06.10.2011 - 5 A 100/10 zu § 113 Abs 1 S 4 VwGO, § 15 Abs 1 VersammlG, § 43 VwGO, Art 8 GG, Art 19 Abs 4 GG u.a.):

... Der Kläger begehrt, im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Rechtswidrigkeit von versammlungsrechtlichen Auflagen festzustellen.

Mit Schreiben vom 18.04.2010 (als Fax am selben Tag, einem Sonntag, um 18.32 Uhr eingegangen) zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er beabsichtige, am 07.05.2010 ab 16 Uhr eine versammlungsrechtliche Veranstaltung in Form eines Fahrrad-Aufzugs und einer Kundgebung unter Lautsprechereinsatz mit ca. 10 bis 30 Teilnehmern als Protestaktion gegen die Handlangerdienste staatlicher Einrichtungen für die Agro-Gentechnik' durchzuführen. Zum Veranstaltungsort machte er die Angaben, dass der Demonstrationszug nach dem Start am Altstadtmarkt über die Sonnenstraße - Madamenweg - Rudolfplatz - B1 - Saarstraße Richtung Kanzlerfeld mit einer Zwischenkundgebung am dortigen Edeka-Markt verlaufen solle, anschließend weiter entlang der Bundesallee bis zum Eingangsportal des Grundstücks Bundesallee 50, auf dem sich u.a. das von-Thünen-Instituts (vTI) befindet. Nach einer Zwischenkundgebung am Portal sollte sich ein Protestrundgang auf dem Gelände anschließen, wobei der Weg bis zum Gebäude des Bundesministeriums für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und von dort östlich am Stallgelände entlang bis zum geplanten Genmaisfeld und zurück führen sollte. Zwischenkundgebungen waren vor dem BVL, dem Stallgebäude und dem Versuchsfeld geplant.

Bei dem von-Thünen-Institut handelt es sich um eines von vier Bundesforschungsinstituten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Flächen auf dem Gelände des vTI stehen soweit ersichtlich im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Inhaber des Hausrechts auf dem Gelände ist das vTI.

Vom 24. bis 27.04.2009 waren der Kläger sowie acht weitere Personen auf das umzäunte Gelände des vTI eingedrungen und hatten ein Versuchsfeld, auf dem innerhalb der nächsten vier Wochen gentechnisch veränderter Mais ausgesät werden sollte, besetzt'. Die Besetzer' hielten sich drei Tage lang auf dem Feld auf, während derer das vTI und die Beklagte nicht hiergegen einschritten. Am 27.04.2009 wurde das Feld von der Polizei geräumt, nachdem die Beklagte zwei versammlungsrechtliche Verfügungen, u.a. die Auflösung der Versammlung, erlassen hatte. Diese Verfügungen waren Gegenstand gerichtlicher Verfahren beim Verwaltungsgericht Braunschweig (Aktenzeichen 5 A 75/09 und 5 A 76/09), die durch einen Vergleich beendet wurden, in dem unter anderem folgende Vereinbarungen getroffen wurden:

1. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass die Äußerungen des Vertreters der Beigeladenen [des vTI] und das Verhalten der beteiligten Personen sowie die Tatsache, dass polizeilich nicht eingegriffen worden war, vom Kläger als jedenfalls vorübergehende, aber nicht befristete Duldung der Versammlung angesehen werden konnte.

2. Die Beteiligten sind sich einig, dass Art. 8 GG nicht ohne Weiteres den Zugang zu nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Grundstücken eröffnet, sondern bei einer Interessenabwägung im Sinne einer praktischen Konkordanz auch die betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Grundstückseigentümers zu berücksichtigen sind.

3. Die Beteiligten sind sich einig, dass angesichts der unter 1. und 2. getroffenen Annahmen eine faktische Räumungsfrist von einer Stunde zu kurz bemessen war, wenn eine plötzliche Eskalation der Situation vor Erlass der ersten der streitgegenständlichen Verfügungen nicht nachgewiesen werden kann.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte die Strafverfahren, die gegen die Besetzer' u.a. wegen des Verdachts des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und weiterer Delikte geführt wurden, nach § 153 Abs. 1 StPO ein.

Mit Schreiben vom 20.04.2010 informierte die Beklagte das vTI über die Anmeldung der Versammlung, verwies auf Ziff. 2 des zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Vergleichs und bat um Stellungnahme. Unter dem 22.04.2010 teilte das vTI der Beklagten mit, dass kein Einverständnis mit dem Betreten ihres Geländes durch die Versammlungsteilnehmer bestehe. Bei dem Gelände handele es sich um das Betriebsgelände mehrerer Bundesdienststellen. Das Hausrecht sei insgesamt dem vTI übertragen. Die beabsichtigte Veranstaltung würde den Dienstbetrieb erheblich stören. Die Gebäude und Versuchsanlagen innerhalb des Geländes seien grundsätzlich völlig frei zugänglich und nicht gesondert gesichert, weil die eigentliche Sicherheit des Geländes nach außen durch eine Umzäunung sowie einen Pförtner- und Wachdienst gewährleistet werde. Bei einer Versammlung auf dem Gelände wäre auch wegen der unübersichtlichen Gestaltung der Liegenschaft mit einer großen Zahl baulicher und technischer Einrichtungen die erforderliche Sicherheit nicht hinreichend gewährleistet.

Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 27.04.2010 erteilte die Beklagte unter Anordnung des Sofortvollzuges zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG)' Auflagen für die Durchführung der Veranstaltung. Insbesondere ließ sie gemäß der Auflage Nr. 1a das Verwenden elektroakustischer Hilfsmittel nur ab einer Teilnehmerzahl von 50 Personen zu und beschränkte gemäß der Auflage Nr. 2 das Recht der freien Ortswahl dahingehend, dass ein Betreten des Bundesgeländes, auf dem sich das vTI und andere Bundeseinrichtungen befinden, nicht gestattet wurde. Gemäß der Auflage Nr. 4 sollte sich der Demonstrationszug, soweit das Benutzen vorhandener Gehwege ausgeschlossen ist, ausschließlich auf dem rechten Fahrstreifen rechts bewegen. Die Beklagte begründete diese Auflagen im Wesentlichen wie folgt: Umfasse eine Versammlung einen Teilnehmerkreis unter 50 Personen, so könne sowohl dieser Kreis als auch die den Versammlungsort passierende Bevölkerung ohne Verstärkungsanlagen erreicht werden. Das vTI habe als Inhaberin des Hausrechts der Nutzung des Bundesgeländes für die Versammlung nicht zugestimmt, sondern die Inanspruchnahme ausdrücklich abgelehnt. Durch die Versammlung auf dem Gelände des vTI würde der Dienstbetrieb erheblich gestört. Die Sicherheit vor Beeinträchtigungen des Betriebes sei bei Durchführung der Veranstaltung nicht hinreichend gewährleistet, weil auf dem Gelände keine Schutzvorrichtungen für die Gebäude und Messeinrichtungen bestünden. Der Schutz des Geländes werde dadurch bewirkt, dass durch die Umzäunung und den Wachdienst ein unbefugtes Eindringen auf das Gelände verhindert werde. Insofern sei zu berücksichtigen, dass der Kläger und weitere Personen in der Vergangenheit ein Versuchsfeld besetzt hätten und deswegen strafrechtliche Ermittlungen gegen sie geführt wurden. Die vom Antragssteller für die Versammlung vorgesehenen Flächen auf dem Gelände des vTI seien nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Die Inanspruchnahme der öffentlichen Straße vor dem Gelände des vTI trage unter Berücksichtigung des gewählten Versammlungsthemas einem etwaigen Anspruch auf Nähe zu einem symbolhaften' Ort hinreichend Rechnung. Angesichts dieser Umstände überwiege das Interesse des vTI an der vorgenommenen Beschränkung des Versammlungsortes gegenüber dem Interesse des Klägers auf Meinungskundgabe auf dem Bundesgelände. Die Auflage Nr. 4 diene dem Aufrechterhalten des örtlichen Straßenverkehrs, der dem Aufzug bzw. der Kundgebung gleichwertig gegenüberstehe.

Am 05.05.2010 suchte der Kläger um einstweiligen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung der Auflagen Nr. 1a, 2 und 4 im Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 nach. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Der Bescheid, der erst am 03.05.2010 bei ihm eingegangen sei, nenne keine plausiblen Gründe, weswegen die Versammlung nicht über das Gelände des vTI geführt werden dürfe. Mit der Behauptung, betriebliche Störungen würden für die Einschränkung des Demonstrationsrechts ausreichen, würde die Beklagte gegen Ziff. 2 des zwischen ihm und ihr in den Verfahren 5 A 75/09 und 76/09 geschlossenen Vergleichs verstoßen. Die danach erforderliche Interessenabwägung habe es nicht gegeben.

Mit Beschluss der Einzelrichterin vom 06.05.2010 (5 B 85/10) wies das erkennende Gericht den Antrag hinsichtlich der Auflagen Nr. 2 und Nr. 4 zurück. Bezogen auf die Auflage Nr. 1a wurde die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage wieder hergestellt, weil für die Anordnung, das Verwenden elektroakustischer Hilfsmittel sei erst ab einer Teilnehmerzahl von 50 zulässig, einzelfallbezogene Abwägungen fehlten und deshalb nach summarischer Prüfung ein Ermessensfehler vorlag.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung seines Eilantrags zur Auflage Nr. 2 und Nr. 4 mit Beschluss vom 07.05.2011 (11 ME 153/10) zurück. Zur Begründung führte es aus, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) schließe nicht die Befugnis ein, auch nicht dem öffentlichen Gemeingebrauch gewidmete Flächen ohne Zustimmung des Berechtigten zu Versammlungszwecken nutzen zu dürfen. Die Auflage Nr. 4, wonach sich der Demonstrationszug, soweit das Benutzen vorhandener Gehwege ausgeschlossen ist, ausschließlich auf dem rechten Fahrstreifen rechts zu bewegen' habe, sei rechtmäßig und nicht so zu verstehen, dass auf der geplanten Versammlungsroute vorhandene Gehwege stets zu benutzen seien.

Am 31.05.2010 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er begehrt festzustellen, dass die Auflagen Nr. 1a, 2 und 4 im Bescheid der Beklagten sowohl dem Versammlungsrecht als auch dem am 27.04.2010 geschlossenen Vergleich widersprechen. Die Einschränkung der freien Ortswahl stelle einen schweren Eingriff in das Versammlungsrecht dar und komme hier einem Verbot der Demonstration gleich, weil der Zweck der Meinungskundgabe gerade vor den drei gentechnikbetreibenden Institutionen bzw. in der Nähe des geplanten Genversuchsfeldes nicht mehr möglich gewesen sei. Soweit zur Begründung pauschal eine Gefährdung von Messeinrichtungen angeführt worden sei, sei eine Routenänderung als milderes Mittel nie geprüft worden. Außerdem treffe es nicht zu, dass die Umzäunung des Gesamtgeländes der einzige Schutz sei, denn die meisten Messeinrichtungen seien zusätzlich durch Zäune gesichert. Ein Betreten des Geländes sei tagsüber immer und ohne Kontrolle möglich, denn an der Pforte würden Besucher nicht ständig kontrolliert. Das Gelände des vTI sei auch ein im Alltag öffentlich genutzter Raum und beherberge eine Vielzahl von Einrichtungen, wie z.B. einen Kindergarten, eine Wetterstation, Tennisplätze, private Kleingärten und mehrere Wohnhäuser. Daneben würden etliche öffentliche Veranstaltungen auf dem Gelände durchgeführt, zu denen ein allgemeiner, öffentlicher Zugang zugelassen werde (z.B. Ankündigung im Internet für einen Babybasar im Forum des vTI). Orte staatlichen Handelns könnten durch Errichtung einer Art Schutzzone nicht dem Versammlungsrecht und damit der öffentlich geäußerten Kritik entzogen werden. Auch der Verweis der Beklagten, es sei in der Vergangenheit zu Störungen gekommen, die zu Ermittlungsverfahren geführt hätten, sei nicht substantiiert. Strafverfahren seien nicht zum Abschluss gekommen, und Ermittlungen würden nicht mehr stattfinden. Eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung, ob die Demonstration im Frühjahr 2009 rechtmäßig gewesen sei, sei durch den geschlossenen Vergleich verhindert worden. Außerdem sei das Ereignis im Frühjahr 2009 gerade nicht mit der jetzt angemeldeten Versammlung vergleichbar, weil die Meinungskundgabe damals nachts und ohne vorherige Anmeldung erfolgt sei. Wäre die Befürchtung der Störung der öffentlichen Sicherheit ausreichend substantiiert gewesen, hätten Abstimmungsgespräche und spezifische Ablaufänderungen erfolgen können. Außerdem verstoße die Beklagte mit der pauschalen Behauptung, betriebliche Störungen würden schon ausreichen, das Demonstrationsrecht einzuschränken, gegen den für sie bindenden Vergleich, den sie mit ihm geschlossen habe. Eine Interessenabwägung habe gerade nicht stattgefunden. Mit der Auflage Nr. 4 werde der Polizei eine Vollmacht gegeben, ohne weitere Angabe von Gründen die Benutzung von Gehwegen vorzuschreiben. Die indirekte Auflage', den Gehweg wenn möglich zu benutzen, enthalte keine Abwägungspflicht, sondern nur einen unpräzisen, für die Polizei beliebig auslegbaren Hinweis auf die Möglichkeit, die Versammlung zur Unkenntlichkeit zu degradieren. Er begehre außerdem die Feststellung, dass die Zusendung des Auflagenbescheides erst kurz vor der geplanten Versammlung dem Versammlungsrecht widerspreche, denn er habe die Versammlung mit Fax vom 18.04.2010 angemeldet, der Auflagenbescheid sei aber erst am 03.05.2010 bei ihm eingegangen. Dadurch sei die Ausschöpfung des Rechtsweges in Form der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr möglich gewesen.

Zunächst hat der Kläger u.a. beantragt, die Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 1a festzustellen. Nachdem die Beklagte im Hinblick auf den Beschluss des Gerichts vom 06.05.2010 (5 B 85/10) die Auflage Nr. 1a des angefochtenen Bescheides aufgehoben und insoweit den Rechtsstreit für erledigt erklärt hat, hat sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.10.2011 dieser Erledigungserklärung angeschlossen.

Der Kläger beantragt nunmehr,
1. festzustellen, dass die Auflagen Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheides der Beklagten vom 27.04.2010 rechtswidrig gewesen sind und
2. festzustellen, dass die Zusendung des Auflagenbescheides vom 27.04.2010 erst am 03.05.2010 rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie erwidert: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schließe nicht die Befugnis ein, eine nicht dem öffentlichen Gemeingebrauch gewidmete Fläche ohne Zustimmung des Berechtigten zu Versammlungszwecken zu nutzen. Das vTI habe sein Einverständnis wegen einer erheblichen Störung des Dienstbetriebes verweigert, weil die erforderliche Sicherheit für die im Außenbereich installierten Versuchsanlagen nicht gegeben und weder vom eigenen Personal noch durch die Polizei gewährleistet sei. Dem Interesse des Klägers an einer Nähe zum symbolhaften Ort' sei dadurch Rechnung getragen, dass die Versammlung vor dem vTI möglich gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Eilverfahrens 5 B 85/10 und der durch Vergleich erledigten Verfahren 5 A 75/09 und 5 A 76/09 sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. ...

Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach dieser Vorschrift spricht das Verwaltungsgericht auf Antrag aus, dass ein vor Abschluss des Verfahrens erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig war, wenn der Kläger an der Feststellung ein berechtigtes Interesse hat. Das gilt auch für Fälle, in denen ein streitiger Verwaltungsakt sich schon vor Klageerhebung erledigt hat. Dies ist hier der Fall.

Beide (noch) streitgegenständlichen Auflagen (Nr. 2 und 4) im Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 haben sich mit der Durchführung der Versammlung am 07.05.2011 erledigt.

Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers als verantwortlicher Leiter der Versammlung ist unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in der Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtschutzes, wenn die Grundrechtsausübung unterbunden worden ist - so wie hier - die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen aber nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - juris).

Die Klage mit dem Antrag zu 1. ist jedoch nicht begründet. Die Auflagen Nr. 2 und 4 waren rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 27.04.2010 in nicht zu beanstandender Weise durch die Auflage Nr. 2 angeordnet, dass der Demonstrationszug nicht auf das Bundesgelände, auf dem sich das vTI und weitere Bundeseinrichtungen befinden, geführt werden darf. Sie verstößt damit weder gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) noch gegen den zwischen den Beteiligten in den Verfahren 5 A 75/09 und 5 A 76/09 geschlossenen Vergleich.

Anzuwenden ist auf die für den 07.05.2010 angemeldete Versammlung das alte Recht, d.h. das Versammlungsgesetz (VersG) des Bundes vom 15.11.1978 (BGBl. I S. 1789), das erst mit Wirkung zum 01.02.2011 vom Niedersächsischen Versammlungsgesetz vom 07.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465, ber. S. 532) in Landesrecht überführt wurde. Rechtsgrundlage einer versammlungsrechtlichen Auflage war danach § 15 Abs. 1 VersG. Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst hierbei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt voraus, dass der Schadenseintritt bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Erforderlich ist jeweils eine auf die konkrete Versammlung bezogene Gefahrenprognose, die auf erkennbaren Umständen beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten (vgl. B. d. Einzelrichterin d. Kammer v. 06.05.2010 - 5 B 85/10 -; OVG Brandenburg, B. v. 14.11.2003 - 4 B 365/03 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

Die Auflage Nr. 2 verstößt nicht gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), das das Recht gewährt, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung einer Versammlung auf dem Gelände Bundesallee 50 in Braunschweig ohne Zustimmung des vTI, das über das Hausrecht verfügt.

Für die Inanspruchnahme der betroffenen Flächen ist eine Gestattung des vTI erforderlich, weil das Gelände nicht dem öffentlichen Verkehr, sondern anderen versammlungsfremden Zwecken gewidmet ist (vgl. dazu schon die Gründe zu II. des den Beteiligten bekannten Beschlusses d. Kammer v. 09.03.2010 - 5 B 49/10 - und den hierzu ergangenen Beschluss d. Nds. Oberverwaltungsgerichts v. 10.03.2010 - 11 ME 74/10 -). Bei den Flächen handelt es sich um öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch, die dem jeweiligen Sachherrn zum verwaltungsinternen Gebrauch zugewiesen sind. Dass sie hierbei auch von Publikumsverkehr in Anspruch genommen werden, steht dieser Bewertung nicht entgegen, weil dieser Verkehr stets auf die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe bezogen ist und - anders als bei dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wegen und Plätzen - nicht auf einer originären Nutzungsberechtigung im Rahmen des Gemeingebrauchs beruht (vgl. B. d. Kammer v. 09.03.2010 - 5 B 49/10 -).

Soweit sich der Kläger auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22.02.2011 (Az.: 1 BvR 699/06 Fraport') bezieht, in dem ausgeführt wird, dass von der öffentlichen Hand beherrschte gesamtwirtschaftliche Unternehmen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen (juris Rn. 46 ff.), folgt daraus ebenfalls nicht das Recht des Klägers auf Inanspruchnahme des Geländes Bundesallee 50 in Braunschweig zu Versammlungszwecken.

Vielmehr unterscheidet das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zwischen den Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sowie den Orten, an denen kein allgemeiner Verkehr eröffnet ist und stellt fest, dass die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit an den letztgenannten Orten nicht beansprucht werden kann (U. v. 22.02.2011, a.a.O., juris Rn. 69). Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind danach zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Hinzu kommen Orte, an denen die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet sind, wie etwa der 4.000 qm große Marktplatz auf der Landseite' des Frankfurter Flughafens, für den u.a. mit dem Motto Airport Shopping für alle!' geworben wird (BVerfG, U. v. 22.02.2011, a.a.O., juris Rn. 69-72).

Dagegen ist ein allgemeiner Verkehr zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird, nicht eröffnet. Darunter fallen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine individuelle Eingangskontrolle wie etwa an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung sicherstellt, dass nur bestimmte Personen - die Flugpassagiere um ihre Reise anzutreten - Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht werden (BVerG, U. v. 22.01.2011, a.a.O., juris Rn. 69).

Nach diesen Unterscheidungskriterien ist das Gelände Bundesallee 50 in Braunschweig, auf dem sich neben dem vTI andere Bundesdienststellen wie das BvL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit), das JKI (Julius-Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen) und das FLI (Friedrich-Löffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit) befinden, nicht allgemein zugänglich für die Öffentlichkeit. Das Gesamtgelände ist von einem Zaun umschlossen und nur zugänglich durch Passieren eines Pförtnerbereichs, in dem sich Personen, die dort nicht beschäftigt sind, anzumelden haben. Die dem Pförtner nicht persönlich bekannten Personen können die am Eingangsbereich befindliche Schranke erst passieren, wenn sie über eine Gegensprechanlage den Grund ihres Besuches angegeben haben.

Der Hinweis des Klägers darauf, dass sich auf dem Gelände ein Kindergarten, mehrere Tennisplätze und private Kleingärten befinden sowie Veranstaltungen, wie etwa private Flohmärkte stattfinden, führt nicht zu der Annahme, dass dort ein allgemeiner Verkehr eröffnet ist. Vielmehr wird den Personen, die an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen oder ihre Kinder in den dortigen Kindergarten bringen, nur zu bestimmten Zwecken der Zugang auf das Gelände gewährt.

Auch sind dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Unterscheidungskriterien zur Bestimmung von Orten, an denen ein allgemeiner Verkehr eröffnet oder nicht eröffnet ist, auf Grundstücke, die im Eigentum der Bundesrepublik stehen und auf denen sich Einrichtungen des Bundes - wie hier Bundesforschungsinstitute - befinden, nicht anwendbar sind. Soweit der Kläger einwendet, Orte staatlichen Handelns' dürften durch Errichtung einer Art Schutzzone' nicht dem Versammlungsrecht entzogen werden, muss er sich entgegen halten lassen, dass es einen Anspruch der Öffentlichkeit auf einen uneingeschränkten Zugang zu Bundeseinrichtungen nicht gibt.

Handelt es sich bei dem Bundesgelände somit um einen Ort, auf dem kein allgemeiner Publikumsverkehr stattfindet, weil das Gelände nicht allgemein zugänglich ist und der Zugang nur zu bestimmten Zwecken gewährt wird, kann sich der Kläger weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber dem vTI auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen.

Daraus folgt auch, wie das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinen Beschlüssen vom 10.03.2010 (11 ME 74/10) und vom 07.05.2010 (11 ME 153/10) bereits ausgeführt hat, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, einen Zugang auf das Gelände Bundesallee 50 zu gestatten. Berechtigt ist insoweit allein das vTI als Hausrechtsinhaber. Eine Inanspruchnahme der Bundesflächen durch den Kläger kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn er eine Gestattung vom vTI erhält. Bei Ablehnung einer Nutzungserlaubnis durch das vTI ist er darauf zu verweisen, den Zivilrechtsweg einzuschlagen und das vTI zu verklagen (Vergleichbares spielte sich in dem vom BVerfG entschiedenen Fall, der dem U. v. 22.01.2011, a.a.O., zugrunde lag, ab: Die Fraport AG hatte gegenüber dem Kläger ein Demonstrationsverbot ausgesprochen, woraufhin er die Fraport AG verklagte. Nach ablehnenden Urteilen des Amtsgerichts, Landgerichts und des BGH erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde).

Selbst wenn aber dem Kläger gefolgt und das Bundesgelände als öffentlich genutzter Raum eingeordnet würde, wäre die Auflage Nr. 2 rechtlich nicht zu beanstanden. Das Verbot des Betretens der Bundesflächen würde dann in die Versammlungsfreiheit des Klägers eingreifen und wäre nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daran zu messen, ob es legitime Zwecke erfüllt. Dies wäre zu bejahen, denn die Beklagte hat die ablehnende Entscheidung des vTI im Schreiben vom 22.04.2010 inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft und dies im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nach § 15 Abs. 1 VersG berücksichtigt.

Die Beklagte ist in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass das Interesse des vTI an der Beschränkung des Versammlungsortes letztlich überwiegt. Dabei hat sie die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, aber auch den Widmungszweck der Flächen in ihre Abwägung einbezogen. Zulasten einer Inanspruchnahme hat sie in nachvollziehbarer Weise auf Beeinträchtigungen des Betriebsablaufes des vTI abgestellt, die bei einer Durchführung der Veranstaltung auf dessen Gelände zu befürchten waren. Hierbei hat sie sich darauf gestützt, dass eine Sicherung des Geländes grundsätzlich nach außen (nur) durch die Umzäunung sowie einen Pförtner- und Wachdienst erfolgt und die Gebäude sowie Versuchsanlagen deswegen im Inneren des Bundesgeländes grundsätzlich frei zugänglich sind. An dieser Bewertung ändert sich nichts dadurch, dass einzelne Messstationen nach der Erinnerung des Klägers nochmals gesondert gesichert sind. Berücksichtigen durfte sie insoweit auch, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits durch eine eigenmächtige Besetzung' eines Versuchsfeldes des vTI aufgefallen ist, weswegen strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn geführt wurden. Bei der Prognose, ob aus dem Umfeld der von ihm angemeldeten Versammlung Störungen des Betriebsablaufes des vTI zu befürchten sind, weil bestehende Sicherheitslücken ausgenützt würden, wirkt sich dies zu seinen Lasten aus. Beeinträchtigungen des Betriebsablaufes des vTI sind zudem bereits auch durch die Veranstaltung als solche (bspw. die Kundgebungen und das Abspielen von Musik) zu befürchten. Die Beklagte führt nachvollziehbar aus, dass diese Gesichtspunkte gegen eine Inanspruchnahme der Bundesflächen das Interesse des Klägers an einer Inanspruchnahme überwiegen.

Der Kläger kann sich für die Inanspruchnahme der Flächen auch nicht auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen. Es ist nicht ersichtlich, dass das vTI in der Vergangenheit sein Gelände für Versammlungen zur Verfügung gestellt hat. Insbesondere lag der dreitägigen Besetzung' des Versuchsfeldes im April 2009 keine vergleichbare Situation zugrunde. Das vTI ist (nur) deswegen drei Tage lang nicht gegen die Besetzung' eingeschritten, um zu einer Deeskalation der seitens der Besetzer' eigenmächtig herbeigeführten Situation beizutragen (vgl. das Verfahren 5 A 75/09).

Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf eine Gestattung, der sich aus Ziff. 2 des zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Vergleichs vom 08.03.2010 ergeben könnte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist in diesem Vergleich nicht die Rede davon, dass die Untersagung von Versammlungen auf dem Gelände des vTI nur bei überwiegenden Interessen des vTI möglich ist'. Vielmehr stellt Ziff. 2 des Vergleichs allgemein fest, dass Art. 8 GG nicht ohne Weiteres den Zugang zu nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Grundstücken eröffnet, sondern bei einer Interessenabwägung auch die betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Grundstückseigentümers zu berücksichtigen sind. Eine Interessenabwägung hat die Beklagte hier durchgeführt, indem sie, wie oben bereits ausgeführt wurde, die Gründe, die das vTI in seinem Schreiben vom 22.04.2010 für die Ablehnung der Nutzung seines Geländes zu Versammlungszwecken aufgeführt hat, mit dem Interesse des Klägers abgewogen hat.

Ein Anspruch auf Gewährung künftigen Zugangs gegenüber dem vTI ergibt sich aus Ziff. 2 des Vergleichs nicht. Dazu wäre die Beklagte aus o.g. Gründen auch nicht befugt. Der Vergleich hatte außerdem zum Inhalt, die Verfahren 5 A 75/09 und 5 A 76/09 zu beenden und berücksichtigte die besondere Konstellation dieser Verfahren (befristete Duldung der Versammlung, faktische Räumungsfrist von einer Stunde). Dagegen war Gegenstand des Vergleichs gerade nicht, die Durchführung zukünftiger Versammlungen zu regeln und hierfür Zusicherungen abzugeben. Auch hierzu wäre die Beklagte nicht befugt gewesen. Im Übrigen ist zwischenzeitlich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.01.2011 (a.a.O.) sogar klargestellt, dass eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit von vornherein nur an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs möglich ist, so dass sich aus dem Vergleich erst Recht ein Anspruch auf eine Abwägung mit den Interessen des vTI nicht mehr herleiten lässt.

Die Auflage Nr. 4 im Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010, wonach sich der Demonstrationszug, soweit das Benutzen vorhandener Gehwege ausgeschlossen ist, ausschließlich auf dem rechten Fahrstreifen rechts zu bewegen hat', ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Hierzu hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 07.05.2011 (11 ME 153/10) ausgeführt:

Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 7. Mai 2010 klargestellt hat, ist die Auflage ersichtlich nicht so zu verstehen, dass auf der geplanten Versammlungsroute vorhandene Gehwege stets zu benutzen sind. Vielmehr ist es erkennbar Sinn und Zweck der Auflage, die mit jeder Versammlung auf öffentlichen Flächen verbundenen und grundsätzlich hinzunehmenden Beeinträchtigungen des üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten und zu diesem Zweck die Versammlung im Wege praktischer Konkordanz zwischen den kollidierenden Interessen auf die Benutzung des jeweils rechten, insoweit geeigneten Teils des öffentlichen Straßenraums zu verweisen, um die Beeinträchtigungen des üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten. Eine nähere Konkretisierung mag zwar wünschenswert erscheinen, ist aber im voraus kaum möglich und mit der Auflage auch nicht beabsichtigt, da dies von den nicht verlässlich prognostizierbaren örtlichen Verhältnissen gerade im Veranstaltungszeitpunkt abhängt, insbesondere auch von der Anzahl der Teilnehmer an der Versammlung und der Verkehrsbedeutung und - belastung der jeweiligen Straße. Sollten sich - wie in der Anmeldung vorgesehen - nur 10 bis 30 Personen an der Versammlung beteiligen, so ist es den Teilnehmern daher etwa in Interesse der üblichen motorisierten Verkehrsteilnehmer grundsätzlich zuzumuten, die von der Antragsgegnerin angeführten kombinierten Geh- und Radwege insbesondere neben der Fahrbahn von Bundesstraßen zu benutzen, soweit der Demonstrationszug dadurch nicht als solcher unkenntlich wird, sich zu sehr in die Länge zieht oder sich auf dem Geh- und Radweg bereits zahlreiche andere Verkehrsteilnehmer befinden. Inwieweit diese Bedingungen im Einzelfall gegeben sind, kann aber nicht verwaltungsgerichtlich im Voraus, sondern nur vor Ort beurteilt werden. Die so verstandene Auflage ist mit der Versammlungsfreiheit und auch sonstigem Recht zu vereinbaren. Die vom Antragsteller angeführten Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung über die Fahrbahnbenutzungspflicht für (erwachsene) Radfahrer (§§ 2 Abs. 1, 25 Abs. 1) stehen der Rechtmäßigkeit der Auflage schon deshalb nicht entgegen, weil ein ausschließlich für den Fußgängerverkehr bestimmter Gehweg kaum die o. a. Voraussetzungen erfüllen dürfte, um die radelnden' Teilnehmer der Versammlung aufzunehmen, und die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung für Versammlungen im Übrigen ohnehin nur eingeschränkt gelten (vgl. allgemein Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 15, Rn. 186 ff., sowie zu einer Fahrraddemonstration auf einer Bundesautobahn VGH Kassel, Beschl. v. 31.7.2008 - 6 B 1629/08 -, DVBl 2008, 1322); so ist etwa auch das Verbot des § 33 Abs. 1 StVO , Verkehrsteilnehmer durch Lautsprecher oder Propaganda abzulenken, auf Versammlungen nicht anwendbar.'

Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen an und verweist nochmals darauf, dass der Eingriff in die Versammlungsfreiheit relativ gering war. Soweit die Route durch die Innenstadt von Braunschweig führte, kam ein Benutzen der Gehwege wegen des dortigen Fußgängerverkehrs ohnehin nicht in Betracht. Soweit im Bereich der B1 - Saarstraße - und der Bundesallee ein Befahren des Gehwegs in Betracht kommt, zumal dort am Freitag Nachmittag mit einem erhöhten Fahrverkehr zu rechnen ist, ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen, weshalb dadurch der Fahrradaufzug nicht mehr sichtbar sein sollte.

Der Klageantrag zu 2. auf Feststellung, dass die Zusendung des Auflagenbescheides vom 27.04.2010 erst am 03.05.2010 rechtswidrig gewesen ist, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Für die in Bezug auf das Feststellungsbegehren des Klägers allenfalls nach § 43 VwGO zulässige Feststellungsklage ist bereits zweifelhaft, ob die Feststellung der rechtzeitigen Bekanntgabe eines Auflagenbescheides im Rahmen des versammlungsrechtlichen Kooperationsverhältnisses zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörde ein hinreichend konkretes feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt. Diese Frage kann hier dahin gestellt bleiben, denn die Klage ist nicht begründet. Der Zugang des Auflagenbescheides erst am 03.05.2010 und damit 4 Tage vor der geplanten Versammlung war zwar spät, hat letztlich aber nicht zu einer Rechtsverletzung des Klägers geführt.

Nach Auffassung der erkennenden Kammer hat die Beklagte ihre Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht verletzt, auch wenn bedenklich erscheint, dass der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 (einem Dienstag) dem Kläger erst am Montag, dem 03.05.2010 zuging.

Eine Kooperationspflicht ist im Versammlungsgesetz des Bundes nicht ausdrücklich geregelt. Die Pflicht der Versammlungsbehörde, sich um vertrauensvolle Kooperation' zu bemühen, ergibt sich aber aus dem Gebot grundrechtsfreundlicher Verfahrensgestaltung (vgl. Dietel/Ginzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. A., § 14 Rn. 25 ff.). So ist wesentlicher Ausdruck des Kooperationsgrundsatzes u.a. die rechtzeitige Bekanntgabe von beschränkenden Verfügungen. Sie muss früh genug erfolgen, damit der Betroffene Zeit für Reaktionen erhält (vgl. Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2011, § 6 Rn. 9 m.w.N. zum VersG des Bundes). Obgleich die Beklagte nicht berücksichtigt hat, dass der Bescheid, der offenbar erst am Freitag, den 30.04.2010 versandt wurde ( Ab-Vermerk' vom 29.04.2010), am Samstag, den 01.05.2010 wegen des Feiertags dem Kläger nicht zugehen konnte, hatte der Kläger noch hinreichend Zeit, gerichtlichen Eilrechtsschutz zu beantragen und erhielt die Entscheidungen zweier Instanzen rechtzeitig vor Beginn der Versammlung. Dass er das Bundesverfassungsgericht vor der Versammlung nicht mehr anrufen konnte, führt weder zu einer mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbaren Rechtswegverkürzung, noch ist damit eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verbunden, denn die Verfassungsbeschwerde ist kein zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, der sich ohne weiteres anschließt (vgl. Schmahl in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 11. A., Art. 103 Anm. 23; Hofmann, ebenda, Art. 19 GG Anm. 40).

Ohne dass es rechtlich noch darauf ankommt, weist die Kammer nur der Vollständigkeit halber darauf hin, dass der Veranstalter zwar nicht verpflichtet ist, mit der Versammlungsbehörde zusammenzuarbeiten. Mangelnde Kooperationsbereitschaft des Veranstalters und Leiters der Versammlung kann sich jedoch mittelbar auswirken. So hätte der Kläger hier früher von dem Bescheid erfahren, wenn er bei der Beklagten telefonisch nach dem Sachstand gefragt und/oder er eine Telefax-Nummer, an die ihm der Bescheid hätte übersandt werden können, angegeben hätte. ..."

***

Der Ausschluss eines Versammlungsleiters nach § 15 VersammlG setzt das Vorliegen einer von ihm ausgehenden unmittelbaren Gefährdung zentraler Rechtsgüter voraus. Die Begrenzung der Lautsprechernutzung für eine Versammlung setzt eine konkrete Rechtsgüterabwägung im Einzelfall voraus.Die Auflage, nach Möglichkeit den Rad-und Gehweg zu benutzen, ist in Zusammenarbeit zwischen dem Versammlungsleiter und der Polizei vor Ort flexibel zu handhaben (VG Braunschweig, Urteil vom 06.10.2011 - 5 A 82/10):

... Die Rechtswidrigkeit der Auflage 1a), der Begrenzung der Megaphonnutzung auf eine Versammlung mit mehr als 50 Teilnehmern, im Bescheid vom 30.03.2010 ist festzustellen. Die erkennende Kammer hat dazu ausgeführt (B. v. 06.05.2010, a. a. O.):

" Die Frage, wann ein Schallverstärker zur Durchführung einer Versammlung erforderlich ist oder entgegenstehende andere Interessen den Verzicht auf einen Schallverstärker fordern, ist im Lichte der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Versammlungsfreiheit zu beantworten. Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck. Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sollen ein ungehindertes Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Meinungsäußerung garantieren. Die Beteiligten sind grundsätzlich dazu berechtigt, den Gegenstand der öffentlichen Meinungsbildung und die Form des kommunikativen Einwirkens zu bestimmen. (VG Augsburg, Urt. v. 04.04.2007, Au 4 K 06.1058; VG Berlin, Urt. v. 21.12.2005 - 1 A 162.01 - jeweils juris - jeweils mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Grundsätzlich umfasst der Schutzbereich des Grundrechts sowohl die Kommunikation unter den Versammlungsteilnehmern (Binnenkommunikation) als auch die Möglichkeit, Unbeteiligte mit Hilfe der verbalen und akustischen Botschaft anzusprechen. Jedoch ist dieses Recht im Sinne praktischer Konkordanz mit den Rechten anderer in Übereinstimmung zu bringen. Das Recht, über die Mittel der Kommunikation selbst zu bestimmen, findet damit seine Grenze in den Grundrechten anderer. Der Schutz der Gesundheit, insbesondere von Anwohnern gebietet es, dass die Schalleinwirkung nicht die Grenze der zumutbaren Lärmbelastung überschreitet. Darüber hinaus darf die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs durch den Einsatz von Lautsprechern nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Auch das Recht von Privatpersonen nicht gegen ihren Willen unausweichlich mit akustischen Botschaften konfrontiert zu werden, begrenzt den Einsatz von Lautsprechern und Megaphonen (VG Berlin a.a.O., VG Augsburg a.a.O.).

Diese Abwägung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der Art der Veranstaltung durchzuführen. Dabei ist die Zahl der Veranstaltungsteilnehmer nur ein Abwägungselement neben den übrigen, die wechselseitige Interessenlage kennzeichnenden Elementen. Dazu zählen räumliche, die Akustik beeinflussende Gegebenheiten, die bereits ohne die Veranstaltung bestehende Lärmbelastung und auch die Vorbelastung' der Anwohner des Versammlungsortes mit anderen Veranstaltungen (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 28.07.2006 - 10 B 4435/06 -; Nds. OVG, Beschl. v. 15.09.2006 - 11 ME 235/06 - www.dbovg.niedersachsen.de).'

Einzelfallabwägungen der beschriebenen Art finden sich im Bescheid vom 30.03.2010 nicht. Auch die in der Klageerwiderung aufgeführten Gründe stellen keine zutreffenden Ermessenserwägungen dar. Deshalb kann die Frage, ob das Nachschieben von Gründen in den Klagerwiderungen hier zulässig ist, offen bleiben. Der Kläger hat zutreffend ausgeführt, dass die Auflage 1a) dem Wortlaut nach nur für den stationären Teil der Versammlung gilt. Dieser stationäre Teil hat außerhalb der Bebauung an einem Ort stattgefunden, an dem das von der Beklagten geltend gemachte Ruheinteresse der Bewohner von Waggum nicht relevant wurde. Außerdem hätte die sich aus der Rodung der Bäume ergebende Lärmentwicklung in der Abwägung berücksichtigt werden müssen.

Die Auflage 3) im Bescheid vom 30.03.2010, der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter, ist rechtmäßig.

Die Beklagte hat die Anordnung des Ausschlusses als Versammlungsleiter zutreffend als Auflage angesehen und auf § 15 VersG gestützt. Das Versammlungsgesetz (des Bundes in der hier anzuwenden Fassung) sieht für öffentliche Versammlungen keine andere Eingriffsnorm vor. Die Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände der §§ 25-29 VersG knüpfen dementsprechend an § 15 VersG an. Obwohl § 15 VersG generalklauselartig gefasst ist und keine einzelnen Auflagen benennt, können auf diese Vorschrift allgemein Maßnahmen zur Gewährleistung einer möglichst störungsfreien Durchführung der Versammlung gestützt werden, wenn dies aus Gründen einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit notwendig ist (VGH Mannheim, U. v. 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - juris; Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2001, Rdnr. 4 zu § 10 ). Die Entscheidung des OVG Sachsen (B. v. 04.04.2002 - 3 BS 105/02 - juris), die Behörde müsse die Versammlung verbieten, wenn sie den Versammlungsleiter für unzuverlässig hielte, weil von ihm eine unmittelbare Gefährdung ausginge, steht einem Ausschluss auf der Grundlage von § 15 VersG nicht entgegen, denn es handelt sich um eine nicht näher begründete Feststellung in einem Eilbeschluss in einem Fall, in dem letztlich die Gefährdungslage insgesamt verneint wurde und ist deshalb wenig aussagekräftig. Sie steht auch im Widerspruch zur übrigen Rechtsprechung.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung setzt der Ausschluss als Versammlungsleiter auch nicht eine rechtskräftig nachgewiesene strafbare Handlung voraus. Die insoweit von ihm herangezogene Rechtsprechung (BVerfG, B. v. 25.07.1998 - 1 BvQ 11/98 - juris), erwähnt den Vorwurf strafbarer Handlungen gegen den Versammlungsleiter lediglich nachrichtlich, macht aber nicht eine rechtskräftige Verurteilung zur Voraussetzung der Maßnahme. Aus den vom Kläger zitierten Literaturmeinungen zur Strafbarkeit im Rahmen des Art 8 GG ( BVerfG, B. v. 01.12.1992 - a. a. O.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., Rdnr 12 zu § 25; Depenheuer in Maunz-Dürig-Herzog, a. a. O.) ergibt sich nicht, dass eine Maßnahme nach § 15 VersG nur auf nachgewiesene Verstöße gegen auf ihre Rechtmäßigkeit geprüfte Auflagen gestützt werden kann, denn es handelt sich hier gerade nicht um eine Strafverfolgung, sondern um eine polizeirechtliche Gefahrenabwehrmaßnahme, die eine Gefahrenprognose erfordert.

Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst hierbei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt voraus, dass der Schadenseintritt bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Erforderlich ist jeweils eine auf die konkrete Versammlung bezogene Gefahrenprognose, die auf erkennbaren Umständen beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten (B. d. erkennenden Kammer v. 06.05.2010, a. a. O).

Abzustellen ist also nicht auf eine allgemeine Eignung und/oder Zuverlässigkeit als Leiter einer Versammlung (so wohl Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O, Rdnr. 8 zu § 7), sondern auf die konkrete unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Dabei darf die Behörde aus gegebenem Anlass die Zuverlässigkeit eines Versammlungsleiters prüfen (für Ordner: VGH Mannheim, U. v. 30.06.2011, a. a. O.), es besteht aber z. B. keine allgemeine - also nicht anlassbezogene - Verpflichtung des Versammlungsleiters, Maßnahmen zur Sicherung vor Störungen der öffentlichen Sicherheit nachzuweisen (BVerfG, B. v. 01.05.2001 - 1 BvQ 21/10 - juris). Anknüpfungspunkt darf also nicht eine bloße Unbotmäßigkeit sein (BVerfG, U. v. 01.20.1992, a. a. O.). Dementsprechend hat der Niedersächsische Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 Satz 2 NVersG bewusst auf den unbestimmten Begriff der fehlenden persönlichen Eignung des Versammlungsleiters verzichtet (Ullrich, a. a. O.).

Bei der Überprüfung der Gefahrenprognose darf das Gericht nicht von rückwärts aus den ihm bekannt gewordenen Tatsachenbefund beurteilen, sondern nur nach dem Tatsachenmaterial, das die zuständige Behörde bei der Entscheidung zugrunde legen konnte und musste' entscheiden (Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O, Rdnr. 157 zu § 15). Zu überprüfen ist also, ob die Behörde zu Recht aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial auf die drohende unmittelbare Gefahr geschlossen hat. Dieser Annahme steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01.12.1992 (a. a. O., Rdnr. 53 f. des Jurisabdrucks) nicht entgegen soweit dort die verbindliche Klärung der Rechtmäßigkeit' (dort einer Auflösungsverfügung) zwar nicht als Voraussetzung für die Durchsetzung mittels eines Zwangsmittels, wohl aber für eine Ahndung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht angesehen wird. Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Differenzierung damit, dass im ersten Fall die Entscheidung situationsgebunden sei und nicht aufgeschoben werden könne, was für die spätere Verhängung einer Sanktion nicht gelte. Die hier angesichts der monatlich wiederkehrenden Versammlungsanmeldungen des Klägers für tägliche Versammlungen aufgrund der Vorkommnisse bei den vorangegangenen Demonstrationen getroffene Maßnahme des Ausschlusses als Versammlungsleiter im Bescheid vom 30.03.2010 für die Zeit vom 01.04. bis 30.04.2010 ist als situationsgebundene Entscheidung anzusehen und nicht einer Ahndung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gleichzusetzen.

Die erkennende Kammer legt deshalb ihrer Überprüfung der im Bescheid vom 30.03.2010 getroffenen Gefahrenprognose die Tatsachen zugrunde, die der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung zur Verfügung standen. Dies sind insbesondere die Polizeiberichte, die sie dem Gericht übersandt hat (Beiakte F) und die sich in der beigezogenen Strafakte befinden.

Die Beklagte hat diesen Unterlagen die Tatsachen entnommen, dass der Kläger während der Versammlungen im Januar 2010 den Sicherheitsbereich betreten und diesen auch nach Auflösungen der Versammlung nicht verlassen hatte. Die daraus gezogene und im Bescheid angeführte Prognose, dass deshalb die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, er werde auch im Verlauf der angemeldeten Versammlung Gesetzesverstöße begehen, die zu unterbinden gerade auch Aufgabe eines Versammlungsleiters sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auf die ebenfalls im Bescheid vom 30.03.2010 aufgeführten Verstöße gegen die Auflagen, bei weniger als 50 Teilnehmern kein Megaphon zu benutzen und die Demonstration nach Möglichkeit auf dem Geh- und Radweg zu führen, kommt es danach nicht mehr an.

Die Polizeiberichte (Beiakte F) sind im Termin zur mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten ausführlich erörtert worden. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.10.2011 wird Bezug genommen. Danach ist die Beklagte in ihrer Prognose zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger polizeilichen Anordnungen vor Ort, auch nach Auflösungen, teilweise nicht gefolgt ist und nicht nur selbst in den aus Sicherheitsgründen abgesperrten Bereich eingedrungen ist, sondern auch Versammlungsteilnehmer dazu aufgefordert hat. Art und Umfang des Verhaltens des Klägers rechtfertigten die Annahme, dass sich dies bei den für denselben Ort und denselben Anlass angemeldeten Versammlungen wiederholen würde.

Diese Prognose rechtfertigte nach einer Rechtsgüterabwägung unter Beachtung der Grundsätze praktischer Konkordanz (vgl. nur Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O, Rdnr. 155 f. zu § 15) die getroffene Maßnahme des Ausschlusses des Klägers als Versammlungsleiter. Zu berücksichtigen ist auf der einen Seite, dass der Kläger ausweislich der Polizeiberichte mehrfach solche Sicherungsmaßnahmen nicht beachtet bzw. zu ihrer Nichtbeachtung aufgerufen hatte, die zwar sicher zum Schutz der Arbeiten vor Sabotageaktionen getroffen waren, jedenfalls aber auch zum Schutz friedlicher Demonstranten vor den zur Rodung eingesetzten Maschinen geeignet waren. Dieses Verhalten stellt eine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben der Demonstrationsteilnehmer, aber auch des Eigentums des Bauherrn dar. Auf der anderen Seite ist darauf abzustellen, welchen Umfang der Eingriff in das Versammlungsrecht des Klägers hat. Hierbei ist zwar zu berücksichtigen, dass die Bestimmung der Person des Versammlungsleiters Inhalt des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist. Einzubeziehen ist aber auch, dass die Beklagte den Ausschluss des Klägers von der Versammlungsleitung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als minderschwere Maßnahme (vgl. Ullrich, a. a. O., Rdnr. 4 zu § 10) gegenüber dem bei drohender Unfriedlichkeit der Versammlung möglichen Verbot angeordnet hat und der Kläger nicht von der Teilnahme an weiteren Versammlungen ausgeschlossen worden ist, er also auf den Versammlungen auch weiterhin reden und agitieren durfte. Außerdem durfte er weiterhin als Veranstalter auftreten und in dieser Eigenschaft zu den Versammlungen aufrufen. Hinzu kommt, dass andere Personen als Versammlungsleiter zur Verfügung standen, so dass die Versammlungen wie geplant durchgeführt werden konnten.

Das Gebot, Rad- und Gehweg zu benutzen (Ziff. 4 der Auflagen) ist ebenfalls rechtmäßig.

Hierzu hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 07.05.2011 (11 ME 153/10), der den Beschluss der erkennenden Kammer vom 06.05.2010 (a. a. O.) bestätigt hat, ausgeführt:

Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 7. Mai 2010 klargestellt hat, ist die Auflage ersichtlich nicht so zu verstehen, dass auf der geplanten Versammlungsroute vorhandene Gehwege stets zu benutzen sind. Vielmehr ist es erkennbar Sinn und Zweck der Auflage, die mit jeder Versammlung auf öffentlichen Flächen verbundenen und grundsätzlich hinzunehmenden Beeinträchtigungen des üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten und zu diesem Zweck die Versammlung im Wege praktischer Konkordanz zwischen den kollidierenden Interessen auf die Benutzung des jeweils rechten, insoweit geeigneten Teils des öffentlichen Straßenraums zu verweisen, um die Beeinträchtigungen des üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten. Eine nähere Konkretisierung mag zwar wünschenswert erscheinen, ist aber im voraus kaum möglich und mit der Auflage auch nicht beabsichtigt, da dies von den nicht verlässlich prognostizierbaren örtlichen Verhältnissen gerade im Veranstaltungszeitpunkt abhängt, insbesondere auch von der Anzahl der Teilnehmer an der Versammlung und der Verkehrsbedeutung und - belastung der jeweiligen Straße. Sollten sich - wie in der Anmeldung vorgesehen - nur 10 bis 30 Personen an der Versammlung beteiligen, so ist es den Teilnehmern daher etwa in Interesse der üblichen motorisierten Verkehrsteilnehmer grundsätzlich zuzumuten, die von der Antragsgegnerin angeführten kombinierten Geh- und Radwege insbesondere neben der Fahrbahn von Bundesstraßen zu benutzen, soweit der Demonstrationszug dadurch nicht als solcher unkenntlich wird, sich zu sehr in die Länge zieht oder sich auf dem Geh- und Radweg bereits zahlreiche andere Verkehrsteilnehmer befinden. Inwieweit diese Bedingungen im Einzelfall gegeben sind, kann aber nicht verwaltungsgerichtlich im Voraus, sondern nur vor Ort beurteilt werden. Die so verstandene Auflage ist mit der Versammlungsfreiheit und auch sonstigem Recht zu vereinbaren. Die vom Antragsteller angeführten Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung über die Fahrbahnbenutzungspflicht für (erwachsene) Radfahrer (§§ 2 Abs. 1, 25 Abs. 1) stehen der Rechtmäßigkeit der Auflage schon deshalb nicht entgegen, weil ein ausschließlich für den Fußgängerverkehr bestimmter Gehweg kaum die o. a. Voraussetzungen erfüllen dürfte, um die radelnden' Teilnehmer der Versammlung aufzunehmen, und die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung für Versammlungen im Übrigen ohnehin nur eingeschränkt gelten (vgl. allgemein Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 15, Rn. 186 ff., sowie zu einer Fahrraddemonstration auf einer Bundesautobahn VGH Kassel, Beschl. v. 31.7.2008 - 6 B 1629/08 -, DVBl 2008, 1322); so ist etwa auch das Verbot des § 33 Abs. 1 StVO , Verkehrsteilnehmer durch Lautsprecher oder Propaganda abzulenken, auf Versammlungen nicht anwendbar.'

Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. Die Auflage 4) ist deshalb in der vom Nds. OVG getroffenen - flexiblen - Auslegung als rechtmäßig anzusehen. Zu berücksichtigen ist bei der Einzelabwägung auch, dass der mit dem Bescheid vom 30.03.2010 bestätigte Demonstrationszug nicht während der gesamten Veranstaltung, sondern nur für eine relativ kurze Strecke an der mit einem Rad- und Gehweg versehenen Grasseler Straße entlang führte, der Eingriff in das Demonstrationsrecht also als relativ gering anzusehen ist. Soweit der Kläger anführt, dass Radfahrer beim Auffahren auf den Demonstrationszug dessen Teilnehmer gefährdet hätten, sowie selbst dadurch gefährdet worden seien, dass sie über den Grünstreifen auf die Fahrbahn gefahren und dort durch Fahrzeuge gefährdet worden seien, dürfte dieses Verhalten der Radfahrer den Regelungen des Straßenverkehrsrechts widersprechen und musste deshalb nicht in die Abwägung einbezogen werden. Allerdings ergibt sich aus der flexiblen Auslegung der Auflage 4) im vorliegenden Fall auch, dass diese Auflage insbesondere unter Berücksichtigung der hier vorliegenden schlechten Witterungsverhältnisse und der Schneedecke wohl nicht geeignet sein dürfte, dem Kläger im Rahmen der Prüfung der Zuverlässigkeit als Versammlungsleiter bzw. strafrechtlich einen Verstoß gegen diese Auflage vorzuwerfen. ..."

***

Zur Verpflichtung von Versammlungsbehörde und Polizei, die Durchführung eines ordnungsgemäß angemeldeten und sich normgerecht verhaltenden Aufzugs zu gewährleisten (VG Gießen, Urteil vom 20.09.2010 - 9 K 1059/10.GI - eine zum Glück vom VGH am 04.07.2011 aufgehobene Skandal-Entscheidung - siehe oben):

... Die Beteiligten streiten darüber, ob und ggf. wie das Demonstrationsrecht des Klägers am 1. August 2009 hätte durchgesetzt werden müssen.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 an den Bürgermeister der Beklagten zu 1. meldete der NPD-Landesverband Hessen für den 1. August 2009 einen Aufzug unter dem Motto Deutsche wehrt euch gegen Islamisierung und Überfremdung!' an. Bei einem Kooperationsgespräch zwischen den Beteiligten am 8. Juli 2009 wurden verschiedene Auflagen für den bevorstehenden Aufzug thematisiert, die durch ordnungsbehördliche Verfügung des Bürgermeisters der Beklagten zu 1. unter dem 21. Juli 2009 wie folgt festgelegt wurden:

Aufstellungsort: Ostseite Busbahnhof Friedberg,
Zugweg: Hanauer Straße, Karlsbader Straße, Wilhelm-Leuschner-Straße, Königsberger Straße bis Einmündung Breslauer Straße, erste Kundgebung, Breslauer Straße, Karlsbader Straße, Am Dachspfad, Mainzer-Tor-Weg, Leonhardstraße bis Einmündung Saarstraße, zweite Kundgebung, Platz der Deutschen Einheit, westliche Fahrbahnseite Mainzer-Tor-Anlage, Bismarckstraße, Saarstraße.
Auflösungsort und Ende der Veranstaltung: Ostseite Busbahnhof Friedberg.'

Wegen der politischen Ausrichtung der Anmelderin formierten sich diverse Gegenaktionen. So wurde für den Bahnhofsvorplatz eine Demonstration Für ein weltoffenes Friedberg" von einem Herrn F. aus G. und für die Friedrich-Ebert-Straße sowie die dazugehörende Grünfläche eine Versammlung mit dem Motto Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen' vom H. angemeldet. Trotz der vorgesehenen räumlichen Trennung des von dem NPD-Landesverband Hessen angemeldeten Aufzugs von den Gegenveranstaltungen kam am 1. August 2009 der Aufzug, an dem der Kläger sich beteiligte, bereits nach wenigen Metern zum Stehen, da mehrere hundert Personen die Aufzugsstrecke im Bereich Hanauer Straße/Ecke Karlsbader Straße blockierten, um ihren Protest auszudrücken. Da sich unter den Gegendemonstranten teilweise bekannt gewaltbereite Störer, auch vermummt, ebenso befanden wie Kinder, sah der Beklagte zu 2. davon ab, die angemeldete Aufzugsstrecke zwangsweise zu räumen. Auf den Vorschlag einer alternativen Route über die Friedrich-Ebert-Straße/Wilhelm-Leuschner-Straße/Saarstraße/Bahnhof Hanauer Straße ließ sich der Anmelder ebenso wenig ein wie die Beklagten auf seinen Vorschlag, die Marschstrecke in umgekehrter Richtung zu nehmen. Da die Durchführung des Aufzugs nicht möglich war, erklärte der Versammlungsleiter die Versammlung für beendet.

Am 12. Oktober 2009 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Gießen die Bewilligung für Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Fortsetzungsfeststellungsklage beantragt. Zur Begründung führt er im Einzelnen aus, warum er das Vorgehen der Beklagten für rechtswidrig hält.

Durch Beschluss vom 7. Dezember 2009 - 10 K 3060/09.GI - hat das Verwaltungsgericht Gießen eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen angeführt wird, der Kläger sei nicht aktiv legitimiert, sondern allein der Anmelder des Aufzugs.

Auf die Beschwerde des Klägers hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 10. März 2010 - 6 D 3306/09 - unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen vom 7. Dezember 2009 Prozesskostenhilfe bewilligt und ausgeführt, warum auch der Kläger sich auf eine Verletzung des Versammlungsrechts berufen könne.

In dem nunmehr unter der Geschäftsnummer 9 K 1059/10.GI fortgeführten Verfahren hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung den damaligen Einsatzleiters des Beklagten zu 2., Polizeidirektor I., gehört; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Ebenso ist eine von dem Beklagten zu 2. gefertigte Videoaufzeichnung in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen worden.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die Verhinderung des Demonstrationszuges am 1. August 2009 durch die Beklagten rechtswidrig war. Der Beklagte zu 1. beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt die Beklagte zu 1. aus, warum sie das Vorgehen der Vertreter ihres Bürgermeisters vor Ort am 1. August 2009 für rechtmäßig hält. Der Beklagte zu 2. beantragt ebenfalls, die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt der Beklagte zu 2. unter anderem an, dass ein derart massives Auftreten von Gegendemonstranten nicht vorhersehbar gewesen sei und die zwangsweise Durchsetzung des Aufzugs unverhältnismäßig gewesen wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der beigezogenen Gerichtsakten aus den parallelen Verfahren 9 K 1060, 1148 und 1150/10.GI Bezug genommen, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist. ...

I. Die Klage ist zulässig (A.) und begründet (B.).

A. Der Kläger kann - ungeachtet der Erledigung des angemeldeten Aufzugs - die Feststellung begehren, die Verhinderung des Demonstrationszuges des NPD-Landesverbandes Hessen am 1. August 2009 in Friedberg sei zu Unrecht erfolgt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/W.-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, Loseblatt, Stand: November 2009, § 113 Rdnr. 99, 77). Das unbeschadet der Beendigung des Aufzugs fortbestehende Feststellungsinteresse daran, dass ein bestimmtes Verhalten der Beklagten zu 1. als Versammlungsbehörde sowie des Beklagten zu 2. als Polizei zu Unrecht erfolgte, ergibt sich aus einem Rehabilitationsinteresse, das darauf gestützt werden kann, die Maßnahme sei unter einer - unzulässigen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, Abs.-Nr. 28 m.w.N.) - Anknüpfung an die Gesinnung des Klägers, nicht an einer von ihm ausgehende konkrete Gefahr für Rechtsgüter oder gar noch ihm ausgehende Störung der öffentlichen Sicherheit, erfolgt.

B. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte zu 1. hätte die - nicht angemeldete - Versammlung zur Blockade des Aufzugs des NPD-Landesverbandes Hessen nach § 15 Abs. 3 VersammlG auflösen (1.) und der Beklagte zu 2. das nach § 13 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 VersammlG daraus folgende Gebot, sich sofort zu entfernen, zwangsweise durchsetzen, wenigstens aber die zwangsweise Durchsetzung effektiv versuchen müssen (2.).

1. Verfassungsgerichtlich geklärt ist, dass die Gegendemonstranten, die mit ihrer Blockade des Aufzugs des NPD-Landesverbandes Hessen ein politisches Zeichen setzen wollten, sich ihrerseits nicht auf den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG berufen konnten (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 1. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 -, BVerfGE 84, 203 (209)). Geht man - mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren - davon aus, dass jeder einzelne Teilnehmer an einem Aufzug sich auf die beim Kooperationsgespräch abgesprochenen und in der versammlungsbehördlichen Verfügung festgelegten Regelungen des Aufzugs berufen und daraus für seine Demonstrationsteilnahme Rechte herleiten kann, so folgt aus der sonst eintretenden Verletzung des Art. 8 Abs. 1 GG, dass sich das nach § 15 Abs. 3 VersammlG an sich bestehende Ermessen der Versammlungsbehörde hier regelmäßig auf Null reduziert.

Umstände, die im Fall der Beklagten zu 1. etwas anderes annehmen lassen, sind nicht festzustellen. Aufgrund der zahlreichen, in den vorgelegten Behördenakten der Beklagten zu 1. dokumentierten Medienveröffentlichungen ist vielmehr davon auszugehen, dass es ihr um die Darstellung eines politischen Meinungsbildes ging, in das der Aufzug des NPD-Landesverbandes Hessen nicht passte. Eine derartige Erwägung ist in versammlungsrechtlicher Hinsicht indes sachfremd. Darauf, ob die Äußerungen eines kommunikativen Anliegens wertvoll" oder wertlos', richtig' oder falsch' erscheinen oder emotional oder rational begründet sind, kommt es nicht an (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 -, BVerfGE 61, 1 (7)). Auch ist es nicht Sache öffentlicher Verwaltung, auf bestimmte öffentliche Meinungsäußerungen hinzuwirken oder zu versuchen, diese zu unterbinden. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 - zur Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 3 StGB für die Grenzen hinzunehmender Meinungsäußerungen angeführt (a.a.O. Abs.-Nr. 49 f.):

Die Bürger sind dabei rechtlich auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 (2070) und vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05 -, NJW 2009, S. 908 (909)).

Geschützt sind damit von Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind. Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus. Den hierin begründeten Gefahren entgegenzutreten, weist die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes primär bürgerschaftlichem Engagement im freien politischen Diskurs sowie der staatlichen Aufklärung und Erziehung in den Schulen gemäß Art. 7 GG zu.'

Die hieraus für die Betätigung öffentlicher Verwaltung folgende Grenze hat die Beklagte zu 1. überschritten und damit aktiv zur Rechtsverletzung des Klägers beigetragen. In materieller Hinsicht unerheblich ist, dass die Aufrufe von ihrem Bürgermeister stammten und nicht dem hauptamtlichen Beigeordneten, dem nach § 85 Abs. 4 Satz 1 HSOG als ständiger Vertreter die Erfüllung der Aufgabe der örtlichen Ordnungsbehörde übertragen ist, denn auch dann, wenn ein Bürgermeister von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Erfüllung seiner Aufgaben als Ordnungs- und damit auch Versammlungsbehörde einem hauptamtlichen Beigeordneten übertragen hat, verbleibt es bei einer Verantwortung nach § 85 Abs. 4 Satz 3 HSOG, die die Beklagte zu 1. sich hier zurechnen lassen muss.

2. Die sich aus der danach zu verfügenden Auflösung der blockierenden Versammlung an alle ihre Teilnehmer ergebende Verpflichtung, sich sofort zu entfernen, hätte von dem Beklagten zu 2. zwar unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit, jedoch zwangsweise durchgesetzt werden müssen; dies ist - jedenfalls mit einem effektiven Mittel - nicht versucht worden. Bei Personen - gleich welchen Alters und welcher Motivation -, die sich nach Auflösung einer Versammlung nicht sofort entfernen, handelt es sich nicht um Unbeteiligte, sondern um Verantwortliche im Sinne des § 6 Abs. 1 HSOG. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass etwa Kinder als menschliche Schutzschilde' missbraucht werden sowie das Darstellungsbild in den Medien abträglich sein könnte (vgl. etwa den Erlass vom 13 September 1993, StAnz. 39/1993, S. 2354, zu den Vorkommnissen in Fulda am 14. August 1993), doch entpflichtet dies den Beklagten zu 2. nicht. Eine Inanspruchnahme der Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs des NPD-Landesverbandes, die sich bis dahin absolut normgerecht verhielten, wäre nur unter den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Nichtverantwortlichen nach § 9 Abs. 1 HSOG möglich gewesen. Eine der Voraussetzungen hierfür ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 HSOG, dass Maßnahmen gegen die nach § 6 Abs. 1 HSOG Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen. Dass dies hier so gewesen sei, ist nicht festzustellen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die blockierenden Gegendemonstranten sich vermeintlich im Einklang mit der Rechtsordnung wähnten oder gar irrig annahmen, sich auf ein Widerstandsrecht berufen zu können. Wie sich das Lagebild im Fall ihrer tatsächlichen Inanspruchnahme unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entwickelt hätte, ist spekulativ, lässt aber die regelmäßige Verpflichtung dazu unberührt. Unerheblich ist ebenfalls, dass sich unter den Gegendemonstranten wohl auch Gewaltbereite und Gewalttäter fanden, denn es ist ebenfalls verfassungsrechtlich geklärt, dass dann, wenn Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen drohen, es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei ist, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung der Versammlungsfreiheit für die Grundrechtsträger mit dem Ziel hinzuwirken, das Recht des Veranstalters auf Selbstbestimmung auch über den Ort der Versammlung soweit wie möglich zu sichern (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. Mai 2006 - 1 BvR 14/06 -, Abs.-Nr. 9 ff., und derselbe, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 1418/07 -, Abs.-Nr. 16). ..."

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... Gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG, an dessen Verfassungsgemäßheit kein Zweifel besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, NJW 1985, 2395, 2398), kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen hat der Antragsgegner zu Recht bejaht und mit der Auflage Nr. 1 eine Veränderung des von den Antragstellern geplanten Ortes der Auftaktkundgebung vorgenommen.

Dabei war zu berücksichtigen, dass Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Versammlung einräumt, dieses Recht aber durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt wird (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, DVBl. 2002, 256, 259). Zwar ist nachvollziehbar, dass die Antragsteller ihre Meinungskundgabe im Rahmen ihrer so bezeichneten kirchenkritischen Demo zum Papstbesuch" örtlich möglichst in der Nähe des Bundestages durchführen wollen, in dem zur gleichen Zeit S.H. Papst Benedikt XVI. eine Rede vor den Bundestagsabgeordneten halten wird, damit der Papst das Versammlungsanliegen auch wahrnehmen kann. Dem steht allerdings die vom Antragsgegner getroffene Gefahrenprognose entgegen. Denn die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit hat dann und nur dann" zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Hierzu zählt die öffentliche Sicherheit.

Der in § 15 Abs. 1 VersammlG aufgeführte Begriff der öffentlichen Sicherheit" umfasst mithin den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Allerdings wird die behördliche Eingriffsbefugnis dadurch begrenzt, dass Verbote, Auflösungen oder Auflagen nur bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose, die zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil enthält, deren Grundlagen aber ausgewiesen werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, a. a. O.). Das Gesetz bestimmt deshalb, dass die Gefahrenprognose auf den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; ein bloßer Verdacht oder Vermutungen sind dafür nicht ausreichend.

Diesen Maßgaben entspricht die Entscheidung des Antragsgegners, mit der er die Auftaktkundgebung auf dem Pariser Platz bzw. dem Platz des 18. März (Plätze am Brandenburger Tor) untersagt und dieser stattdessen den Potsdamer Platz zugewiesen hat. Dabei kann hier dahinstehen, ob der Antragsgegner in diesem Zusammenhang zu Recht auf die angesichts der angemeldeten Teilnehmerzahl zu geringe Fläche der Plätze am Brandenburger Tor abstellen durfte oder ob nicht - jedenfalls für den Platz des 18. März - auch Ausweichflächen auf der Straße des 17. Juni, die nicht innerhalb des von der Allgemeinverfügung vom 10. August 2011 (ABl. 2011, S. 2028 ff.) betroffenen Gebietes liegen, hätten einbezogen werden müssen. Denn jedenfalls ist die vom Antragsgegner angesichts des hohen Gefährdungspotentials und des überragenden Schutzbedürfnisses des Papstes sowie weiterer hochrangiger Vertreter des deutschen Staates und ausländischer Botschafter geltend gemachten Sicherheitsvorkehrungen, die zwingend das Freihalten des Platzes des 18. März bedingen, rechtlich nicht zu beanstanden. So sollen nach derzeitiger Planung neben S.H. Papst Benedikt XVI. im Bundestag insgesamt 19 weitere Personen mit der Gefährdungsstufe 1 teilnehmen, d. h. bei diesen Personen muss mit einem Anschlag auf ihr Leben gerechnet werden. Dass der Papst, dessen Gefährdung ohne weiteres mit der des amerikanischen Präsidenten vergleichbar ist, und andere wichtige Persönlichkeiten Ziele von lebensgefährlichen Anschlägen sein können, stellen die Antragsteller auch nicht durchgreifend in Abrede. Der Schutz von Staatsgästen ist vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst. Wenn in diesem Zusammenhang die Polizei einen entsprechenden Schutzraum in der Nähe des Ortes schafft, an dem sich gefährdete Staatsgäste aufhalten, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 1 BvR 1423/07 -, juris Rn. 26, 30). Wenn - wie dargelegt - der Platz des 18. März vom Antragsgegner zu Recht von Versammlungen freigehalten werden darf, scheidet damit auch die ursprünglich beantragte Nutzung des Pariser Platzes für die Auftaktkundgebung aus, weil die von den Antragstellern gewollte daran anschließende Wegstrecke wiederum über den Platz des 18. März hätte führen sollen, der aber gerade nicht zur Verfügung steht.

Die Einwände der Antragsteller, der durch die Allgemeinverfügung vom 10. August 2011 geschaffene Schutzraum, in dem am 22. September 2011 in der Zeit von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr öffentliche Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel untersagt wurden, sei auf den Platz des 18. März nur deshalb ausgedehnt worden, um die dort angemeldete Auftaktkundgebung ihrer Versammlung verhindern zu können, überzeugen nicht. Vielmehr hat der Antragsgegner überzeugend vorgetragen, dass dieser Platz zwingend freigehalten werden muss, um im Fall eines Schadensereignisses sowohl als Evakuierungsweg für den Staatsgast bzw. für die anderen Schutzpersonen mit Gefährdungsstufe 1 als auch als Notfall- und Rettungsweg für alle anderen Personen genutzt werden zu können. Die Lage des vom Bundestag genutzten Reichstagsgebäudes lässt bei einem Evakuierungsfall unter Berücksichtigung der Fülle hochgefährdeter und aller weiteren Teilnehmer an der Veranstaltung mit S.H. Papst Benedikt XVI. ohne Einbeziehung des Platzes des 18. März nur Abfahrten in westlicher Richtung zu, da die sehr enge Dorotheenstraße in östlicher Richtung nur äußerst begrenzt aufnahmefähig ist. Auch die Straße des 17. Juni wäre nur in westlicher Richtung über die Scheidemannstraße und Yitzak-Rabin-Straße erreichbar, was gegenüber einer Abfahrtmöglichkeit über den Platz des 18. März einen deutlichen Umweg darstellt. Das Interesse des Staates an der Sicherheit hochrangiger und äußerst gefährdeter Staatsgäste muss deshalb hier Vorrang gegenüber der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit der Antragsteller haben, noch dazu weil kein generelles Versammlungsverbot ausgesprochen wurde, sondern nur der Ort der Auftaktkundgebung verlegt worden ist.

Dieser Einzelwürdigung stehen auch nicht die allgemein getroffenen Regelungen im Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366) entgegen. Zwar gehören nach Nr. 1 der Anlage 1 dieses Gesetzes weder der Pariser Platz noch der Platz des 18. März zu dem befriedeten Bezirk im Bereich des Deutschen Bundestags, in dem nach § 2 des Gesetzes grundsätzlich öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge verboten sind, jedoch nach § 3 des Gesetzes Ausnahmen zugelassen werden können. Die Wertung des Bundesgesetzgebers, das Versammlungsrecht auf den beiden genannten Plätzen nicht generell einzuschränken, schließt es aber nicht aus, über die speziellere - normenhierarchisch gleichrangige - Vorschrift des § 15 VersammlG im Einzelfall auf diesen Plätzen Versammlungen untersagen zu können.

Unter Berücksichtigung der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vom Antragsgegner nunmehr angebotenen Wegstrecke Potsdamer Platz - Ebertstraße - Hannah-Arendt-Straße - Französische Straße - Glinkastraße - Unter den Linden - Bebelplatz ist auch dem ursprünglichen Wunsch der Antragsteller Genüge getan, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Holocaust-Mahnmal) in die Wegstrecke einzubeziehen. Der auf diese vom Antragsgegner zugebilligte veränderte Wegstrecke abzielende weitere Hilfsantrag im Schreiben der Antragsteller vom 12. September 2011 ist deshalb mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.

Zwar ist den Antragstellern zuzugeben, dass bei einer Auftaktkundgebung am Potsdamer Platz der sich im Bereich des Bundestages aufhaltende Papst sicher wenig von den Meinungskundgaben wahrnehmen kann. Angesichts der Tatsache, dass diese fehlende Wahrnehmbarkeit aber auch bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor vorliegen dürfte, soweit der Papst sich im Inneren des Deutschen Bundestags befindet, und angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass in der medialen Berichterstattung auch die Versammlung der Antragsteller ihre entsprechende Aufmerksamkeit erreichen und gegebenenfalls auch dem Papst zur Kenntnis gelangen wird, ist die Ortsverlegung auch insoweit verhältnismäßig und genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, juris Rn. 44). ..."( VG Berlin, Beschluss vom 14.09.2011 - 1 L 302.11)

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... Die Kammer hat in ihrem Beschluss vom 23. Dezember 2003 (VG 1 A 361.03, NVwZ 2004, S. 761; bestätigt vom OVG Berlin mit Beschluss vom 30. Dezember 2004, OVG 1 S 86.03) zur beabsichtigten Aufstellung eines Zeltes ausgeführt:

Die §§ 14, 15 VersG bilden ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk, mit dem sichergestellt wird, dass die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs notwendigen Maßnahmen getroffen werden können (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, 7 C 50/88, BVerwGE 82, 34, 38). Der Schutz der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 15 VersG umfasst die gesamte Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1981, BVerwGE 64, 55, 58 f.) und damit etwa auch die straßen(verkehrs)rechtlichen Vorschriften. Die Anforderungen des Straßenrechts bilden einen geradezu typischen Konfliktbereich im Spannungsfeld zwischen Versammlungsfreiheit und öffentlicher Sicherheit (so zum Straßenverkehrsrecht BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a.a.O.). Der Ausgleich zwischen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Versammlungsfreiheit und der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht im Rahmen eines vorgeschalteten Erlaubnisverfahrens, sondern allein nach Maßgabe des § 15 VersG erfolgen. Hieraus folgt, dass die Versammlungsbehörde auf dieser Grundlage 'Nebengeschehen', das nicht funktional der Verwirklichung des Versammlungsgrundrechts dient, untersagen kann und muss (Kanther, NVwZ 2001, 1239, 1241). So liegt der Fall hier, weil der Aufbau des Zeltes nach Überzeugung der Kammer nicht als Versammlungsbestandteil anzusehen ist. Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck. Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) zu schützen (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a.a.O., S. 39; st. Rspr. der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 19. November 2003 - VG 1 A 267.02 - m.w.N.). Grundsätzlich sind die Beteiligten zwar berechtigt, selbst darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen (BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001, 1 BvQ 28/01, NJW 2001, 2459, 2461). Im Einzelfall kann es auch durchaus möglich sein, mittels eines oder mehrerer Zelte eine kollektive Aussage zu treffen (OVG Münster, Beschluss vom 23. September 1991, 5 B 2541/91, NVwZ-RR 1992, 360-361, Roma-Zeltlager) .'

An diesen Grundsätzen hält die Kammer fest. Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall führt dazu, dass die Zelte, die der Antragsteller bis zum 26. August 2011 auf dem Alexanderplatz aufstellen will, nicht als wesensnotwendiger Bestandteil der angemeldeten Versammlung anzusehen sind. Zutreffend hat der Antragsgegner in seiner Bescheidbegründung darauf verwiesen, dass ein unmittelbarer inhaltlicher Bezug zwischen dem Veranstaltungsthema und den Zelten nicht erkennbar sei. Das Versammlungsmotto Für eine humane Zukunft und gute Lebensbedingungen für alle Menschen' ist denkbar weit gefasst, eine Parallele zu Camps in Madrid und Israel ist nicht ersichtlich. Für das Zeigen von Spruchbändern sind Zelte nicht zwingend erforderlich, solche Spruchbänder können genauso gut an Lattenkonstruktionen befestigte werden. Im Vordergrund bei der Aufstellung von Zelten steht hier vielmehr der Schutz der Teilnehmer vor witterungsbedingten Erschwernissen und die Schaffung von Übernachtungsmöglichkeit, was bei Versammlungen unter freiem Himmel - wie der Bescheid zutreffend ausführt - regelmäßig nicht vom Versammlungszweck abgedeckt ist.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. August 2007 - 6 C 22.06 -, NVwZ 2007, 1434), nach der eine Veranstaltung, die auch informative Elemente enthält, eine Versammlung darstellt, wenn sie nach der Konzeption einen Rahmen bieten soll, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden sollen. Der Gestaltungsspielraum des Veranstalters einer Versammlung unter freien Himmel geht aber nicht so weit, dass das Grundrecht aus Art. 8 GG allgemein eine Überdachung der Versammlungsfläche bzw. ein Schaffen von Schlafgelegenheiten umfassen würde (vgl. Beschluss der Kammer vom 16. September 2009 - VG 1 L 799.09 -).

Damit sind die Zelte vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht umfasst und können von der Versammlungsbehörde als Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit untersagt werden, soweit keine Ausnahmegenehmigung gemäß §§ 46 StVO, 13 BerlStrG vorgelegt wird, was vorliegend nicht geschehen ist. Diesen Verstoß zu verhindern verfolgt die versammlungsrechtliche Auflage, deren sofortige Vollziehung auch im öffentlichen Interesse zur Verhinderung des ansonsten eintretenden rechtswidrigen Zustands geboten ist. ..." ( VG Berlin, Beschluss vom 25.08.2011 - 1 L 282.11)

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... Es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides, weil sich die angefochtene Auflage bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist.

Rechtsgrundlage für die Untersagung des vom Antragsteller bevorzugten Ortes der Abschlusskundgebung ist § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG -. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug von der zuständigen Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist.

Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz - GG -) für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden (BVerfGE 69, 315, 348 f. - Brokdorf). Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfG, a.a.O. S. 353). In diese Güterabwägung ist besonders der mit der Versammlung oder dem Aufzug intendierte Zweck einzubeziehen mit der Folge, dass die Anforderungen an versammlungsrechtliche Beschränkungen um so höher sind, je nachhaltiger sie sich auf die Vermittlung des Anliegens der Veranstalter in der Öffentlichkeit auswirken. Im Rahmen der Güterabwägung ist auch das Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zu beachten (BVerfG, a.a.O. S. 343), sofern keine erkennbaren Umstände in Gestalt konkreter Tatsachen (im Gegensatz zu bloßen Vermutungen) vorliegen, die eine drohende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch bestimmte Versammlungsmodalitäten wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. BVerfG, a.a.O. S. 353) und deshalb eine auf den Versammlungs- oder Aufzugsort bezogene Auflage rechtfertigen.

Gemessen daran war eine Änderung des Ortes der Abschlusskundgebung durch die angegriffene Auflage Nr. 1 zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt. Ihr liegt die zutreffende Annahme zugrunde, dass bei Durchführung der Abschlusskundgebung auf dem Gelände des Spreeparks mit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gerechnet werden muss.

Der Antragsgegner hat in der Begründung zu der Auflage Nr. 1 detailliert dargetan, welche erhebliche Gefahrensituation für eine Versammlung auf dem Gelände des Spreeparks zu gewärtigen ist, insbesondere bedingt durch nur einen einzigen Zu- und Ausgang des Parks von 5,50 Breite, die Einfriedung des Parkgeländes im Übrigen durch hohe Zäune, Mauern etc. sowie die ungeschützte Offenheit des Geländes zur Spree hin. Auf diese Darstellung im Bescheid wird Bezug genommen.

Die Einwände des Antragstellers hiergegen greifen nicht durch. Soweit dieser die zu erwartende Zahl von 2.000 Teilnehmern nach unten zu korrigieren versucht, überzeugt dies nicht. Die Zahl von 2.000 Teilnehmern erscheint eher als Untergrenze der Prognose. Im Rahmen des Veranstaltergesprächs am 7. Juli 2011 wurde eine Zahl von 5.000 Teilnehmern genannt, weil sich Verdi Berlin-Brandenburg" an der Veranstaltung beteilige. Außerdem haben laut Feststellungen des Antragsgegners bei vergleichbaren Veranstaltungen in den Vorjahren bis zu 10.000 Personen teilgenommen (s. Vermerk A 51 vom 13.07.11, Bl. 33 VV). Die Annahme des Antragstellers, dass in jedem Fall eine ausreichende Ausweichfläche für das Durchkommen von Rettungskräften gegeben sei, überzeugt deshalb nicht. Soweit der Antragsteller außerdem behauptet, es gäbe zwei weitere Fluchtmöglichkeiten über das Gelände des Y... und der Cafébar O..., ist dies nicht glaubhaft gemacht worden. Eidesstattliche Versicherungen wurden hierzu nicht vorgelegt. Schließlich ist auch die Feststellung des Antragsgegners nicht entkräftet worden, dass das Parkgelände zur Spree hin abschüssig und uneingezäunt sei. Dichtes Buschwerk und Bäume ersetzen - entgegen der Auffassung des Antragstellers - eine solche Einzäunung nicht. Die fehlende Einzäunung mag der generellen Freigabe der Fläche als Park nicht entgegenstehen, bei der Nutzung durch eine größere Versammlung kann dies jedoch eine erhebliche Gefahrensituation heraufbeschwören.

Durch die Verlegung des Ortes der Abschlusskundgebung auf das Areal des Stralauer Platzes bzw. des Mühlendammes (Straßen- und Gehwegflächen) werden die Interessen des Antragstellers im Ergebnis auch nicht wesentlich beeinträchtigt. Der der Antragsteller ist zur Durchführung seiner Versammlung nicht zwingend auf den Spreepark angewiesen, denn der Ausweichort der Abschlusskundgebung ist nur 200 Meter vom Spreepark entfernt. Der Bezug zum weitgefassten Veranstaltungsthema Spreeufer für Alle, zum Gedenken drei Jahre Bürgerentscheid, gegen Spekulanten, gegen steigende Mietpreise, für soziale Gerechtigkeit" ist auch noch bei einem Ort der Abschlusskundgebung im Nahbereich des Spreeufers gegeben.

Zudem bestehen auf diesem offenen Areal hinreichend Ausweichmöglichkeiten in mehrere Richtungen, so dass mögliche Gefahren für die Teilnehmer - anders als auf dem Areal des Spreeparks - beherrschbar erscheinen. ..." ( VG Berlin, Beschluss vom 15.07.2011 - 1 L 238.11)

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... Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 12. Mai 2006 - OVG 3 S 22.06 -, Entscheidungsabdruck S. 2 f.) die Nutzung der Westrampe des Reichstagsgebäudes für die im Jahr 2006 ebenfalls stattgefundene Kunstveranstaltung mit bestimmten Maßgaben, u. a. einer nicht länger als fünfzehnminütigen Nutzung, gerichtlicherseits erlaubt hat und das der Antragsgegnerin zu 1. damals zustehende Ermessen nach § 5 Abs. 2 des - inzwischen neu gefassten - Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes vom 11. August 1999 (BefBezG) in dem gerichtlich gesetzten Rahmen wegen der von dem Antragsteller mit Recht geltend gemachten Kunstfreiheit (Art. 19 Abs. 2 i.V.m. Art. 5 Abs. 3 GG) zu dessen Gunsten auf Null reduziert bewertet hat. Es mag auch sein, dass in den Folgejahren die Kunstveranstaltung die Westrampe ebenfalls nutzen durfte.

Ein vergleichbarer Anspruch besteht derzeit indes nicht. Rechtsgrundlage für die Verlegung des vom Antragsteller gewollten und innerhalb des befriedeten Bezirks des Deutschen Bundestags gelegenen Orts für eine Versammlung (die Kammer geht - wie zuvor das Oberverwaltungsgericht - davon aus, dass die Westrampe zu dem befriedeten Bezirk des Reichstags gehört) ist § 3 Abs. 1 des Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes - BefBezG - vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366). Danach sind öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge innerhalb der befriedeten Bezirke zuzulassen, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Fraktionen sowie ihrer Organe und Gremien und eine Behinderung des freien Zugangs zu ihren in dem befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden nicht zu besorgen ist. Davon ist im Fall des Deutschen Bundestages in der Regel dann auszugehen, wenn die Versammlung oder der Aufzug an einem Tag durchgeführt werden soll, an dem Sitzungen nicht stattfinden. Die Zulassung kann mit Auflagen verbunden werden.

Angesichts der seit November 2010 veränderten Sicherheitslage ist die frühere Verfahrensweise bezüglich der Nutzung der Westrampe aber nicht perpetuierbar. Unter Berücksichtigung der auch allgemein bekanntgemachten Warnhinweise zu in Deutschland drohenden Terroranschlägen ist es nachvollziehbar, dass die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland zum allgemeinen Schutz der Bevölkerung, aber auch zum Schutz herausragender Gebäude, die als Ziel terroristischer Anschläge in besonderer Weise in Betracht gezogen werden müssen, bestimmte Maßnahmen (wie z. B. die Einrichtung von Sicherheitsbereichen mit Absperrgittern) ergreifen, um eine Gefahr möglichst umfassend abzuwenden. Diese Sicherheitsmaßnahmen dienen dazu, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages zu gewährleisten, und dies auch an Tagen, an denen keine Sitzungen des Bundestages oder seiner Fraktionen stattfinden. Wegen der Absperrungen kann deshalb die Versammlung des Antragstellers nicht am angemeldeten Ort stattfinden. Würde sie gleichwohl inmitten des gesperrten Bereichs abgehalten oder würden die Absperrungen für die Veranstaltung des Antragstellers beseitigt, so würde die Versammlung mittelbar die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages stören, (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BefBezG). Insoweit besteht hier gegenwärtig eine Ausnahme von der Regelvermutung des § 3 Abs. 1 S. 2 BefBezG (vgl. Beschluss der Kammer vom 26. November 2010 - 1 L 326.10 -, Entscheidungsabdruck S. 3). Das Grundrecht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG wird durch den Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 18. Mai 2011 nur marginal tangiert, da ein Ersatzstandort in unmittelbarer Nähe, nämlich die Westrampe bis zu den Absperrungen, zugelassen wird.

Auch die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Kunstfreiheit muss insoweit zurückstehen. Zwar darf die Kunstfreiheit weder durch wertende Einengung des Kunstbegriffs noch durch erweiternde Auslegung oder Analogie aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1984 - 1 BvR 816/82 -, juris Rn. 28), jedoch kann auch die Kunstfreiheit Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung finden, die in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 39). Zu solchen Rechtsgütern zählen sowohl das Leben und die körperliche Unversehrtheit Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG ) als auch die Funktionsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG) in seiner Gesamtheit sowie die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages als Verfassungsorgan (Art. 38 ff. GG). Aus dem Schutz der Kunstfreiheit ergibt sich jedenfalls kein Anspruch auf Nutzung der Westrampe des Reichstagsgebäudes, das Sitz des Deutschen Bundestags ist (vgl. zur Kunstfreiheit und Nutzung des Reichstagsgebäudes für die hier inmitten stehende Kunstaktion: BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 1 BvQ 16/95 -, juris).

Auch das weitere Vorbringen des Antragstellers führt zu keiner anderen Bewertung. Die Kammer kann zwar nachvollziehen, dass unter Berücksichtigung des inhaltlichen Anliegens der Kunstveranstaltung die aus fünf historischen Lastkraftwagen bestehende Versinnbildlichung der Brechtschen Legende vom toten Soldaten" dem Finale als symbolischem Ende deutscher Gewaltherrschaft im 2. Weltkrieg eine besonders starke Ausdrucksweise zukommt, wenn die Lastwagen auf der Rampe des Reichstags postiert werden und insoweit auch die am 8. Mai 2011 an der Westrampe begonnene Aktion ihr zielgerichtetes Ende findet. Auch die daraus folgende Symbolik ist verständlich und insoweit naheliegend, dass der Antragsteller, nachdem aufgrund einer Sportveranstaltung der zuerst geplante Finalort am Ehrenmal des sowjetischen Soldaten in der Straße des 17. Juni als Gedenkort an einen der Sieger des 2. Weltkriegs nicht zur Verfügung stand, er nun auf einen Ort ausweichen wollte, der symbolisch für Deutschland, auch für das vergangene Deutschland, steht. Wenn er aber nach den Bescheiden den Teil der Westrampe nutzen darf, der nicht zu dem besonders gesicherten Bereich gehört, verkürzt dies vielleicht die Symbolik, nimmt sie jedoch nicht hinweg. Im Übrigen hätte der Antragsteller, wenn er so großen Wert auf symbolische Orte legt, auch das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow als Finale seiner Kunstveranstaltung in seine Planung einbeziehen können.

Aus den dargelegten Gründen überwiegt auch bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Interessenabwägung bei den Anträgen zu 2. und 3. das Vollzugsinteresse der Antragsgegner das Interesse des Antragstellers, vorläufig von den versammlungsrechtlichen Auflagen verschont zu bleiben, wobei die weitere Auflage zur Lautsprechernutzung u. ä. nach dem Antragsvorbringen wohl nicht ernstlich angegriffen wird. Die Auflagen sind unter Berücksichtigung der nach Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit und nach der einfachgesetzlichen Ausprägung in § 15 Abs. 1 VersammlG offensichtlich rechtmäßig. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 20.05.2011 - 1 L 174.11)

***

Verbot einer fremdenfeindlichen Demonstration wegen der massiven Be- bzw. Verhinderung einer zeitgleichen, traditionellen, die Integration bejahenden Kulturveranstaltung nach dem Ergebnis summarischer Prüfung im vorliegenden Einzelfall zulässig. Führt die Ausübung des Versammlungsrechts zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, obliegt der Versammlungsbehörde bzw. den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten die Abwägung, ob und wieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen. Berücksichtigung des voraussichtlichen Verstoßes des Demonstrationsaufzuges gegen die öffentliche Ordnung im Rahmen dieser Abwägung der widerstreitenden Interessen. Kein Erfordernis für das Gericht, einen seitens des Veranstalters der Versammlung gerügten Verstoß der Versammlungsbehörde gegen das Kooperationsgebot des § 6 NVersG abschließend aufzuklären, wenn sich ein - unterstellter Verstoß - nicht auf die Entscheidung der Versammlungsbehörde bzw. das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens auswirkt (VG Braunschweig, Beschluss vom 19.05.2011 - 5 B 97/11 zu Art 1 Abs 1, 2 Abs 1, 5 Abs 1, 8 GG, § 8 Abs 3 VersammlG ND u.a.):

... Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung ist § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG. Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Wegen des durch Art. 8 GG bewirkten Schutzes von Versammlungen und der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung, gerade auch im Hinblick auf den Schutz von Minderheiten, darf eine Versammlung nur ausnahmsweise verboten werden. Insbesondere ergeben sich folgende verfassungsrechtliche Anforderungen an die Untersagung einer Versammlung, die die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 6. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat: Bereits das Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die Gefährdungsprognose muss sich auf nachweisbare Tatsachen als Grundlage stützen; bloße Vermutungen reichen nicht aus. Es müssen die hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sowie ein hinreichend bestimmter Kausalzusammenhang zwischen der Durchführung der Versammlung und der Gefährdungssituation vorliegen. Ein Versammlungsverbot ist - als ultima ratio - schließlich nur zulässig, wenn der Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht durch Beschränkungen der Versammlungen hinreichend begegnet werden kann (vgl. BVerfG, B. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, juris Rn. 27; Nds. OVG, B. v. 12.08.2010 - 10 B 3508/10 -, veröffentlicht unter: www.dbovg.niedersachsen.de). Die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2011 ist nach diesem Maßstab aller Voraussicht nach zu Recht ergangen.

Bei Durchführung des vom Antragsteller angezeigten Demonstrationsaufzuges droht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter, die gleichwertig sind mit der Versammlungsfreiheit des Antragstellers, und somit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG. Die Kammer teilt die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der Demonstrationsaufzug des Antragstellers die Durchführung des Kulturfestes Braunschweig International faktisch verhindern oder jedenfalls massiv beeinträchtigen würde. Dies würde die - potenziellen - Besucher des Festes sowie die Aussteller in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG treffen. Die Kammer legt ihrer Bewertung zugrunde, dass die Teilnahme am Kulturfest Braunschweig International als Besucher oder Aussteller - jedenfalls in einer Vielzahl von Fällen - mit der Kundgabe einer Meinung verbunden ist und vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst ist. Braunschweig International ist seit 30 Jahren ein Fest der Migrantinnen und Migranten in Braunschweig und der Region. Es dient dem Ziel, die Solidarität mit und unter den in der Region lebenden Personen mit Migrationshintergrund zu fördern. Hierdurch trägt es zu mehr Toleranz bei und leistet einen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen. Dies drückt sich unter anderem in dem jährlich wechselnden, die Integration ausländischer Bürger bejahenden Motto der Veranstaltung (für das Jahr 2011 bspw.: Wir sind bunt") aus. Mit ihrer Teilnahme am Fest ist auf Seiten der Aussteller und in vielen Fällen auch auf Seiten der Besucher eine die Integration ausländischer Mitbürger und das friedliche Zusammenleben aller Menschen bejahende Meinungskundgabe verbunden. Indem die Teilnehmer des Festes unter dem die Integration bejahenden Motto zusammenfinden und über die an den Verkaufsständen angebotenen Speisen und die landestypischen Kulturdarbietungen sowie im Gespräch mit anderen Besuchern sowie Ausstellern fremde Kulturen kennenlernen, bringen sie zum Ausdruck, dass ihnen die Integration der in ihrer Region lebenden Personen mit Migrationshintergrund ein Anliegen ist und sie das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Kulturen unterstützen.

Mit der Meinungsfreiheit ist auf Seiten der Teilnehmer des Kulturfestes eine der Versammlungsfreiheit des Antragstellers gleichwertige Rechtsposition betroffen. Die Meinungsfreiheit ist - wie die Versammlungsfreiheit - ein für ein freiheitliches demokratisches Grundwesen konstituierendes Grundrecht (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 2). Die Teilnahme am Fest ist zudem durch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, hinsichtlich der Aussteller auch bezüglich der Verkaufstätigkeit und der Aussicht, die getätigten Investitionen refinanzieren zu können. Angesichts der vom Antragsteller bei früheren Gelegenheiten getätigten Äußerungen (z.B. Ich lehne den Begriff Fremde" ab. Es sind und bleiben art- und volksfremde Subjekte", Quelle: Video Überfremdung stoppen Kundgebung in Berlin vom 18.09.2010 Teil 1" auf der Internetseite: youtube.com) bzw. den auf von ihm organisierten Veranstaltungen skandierten Parolen (z.B. Ali, Mehmet, Mustafa: Geht zurück nach Ankara!", Quelle: Video Das war der Tag der deutschen Zukunft in Hildesheim 2010", youtube.com) sind für die vom Antragsteller angezeigte Veranstaltung am 4. Juni 2011 außerdem ähnliche Äußerungen zu erwarten, die die Menschenwürde von Teilnehmern des Festes Braunschweig International tangieren könnten, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG.

Das Kulturfest Braunschweig International würde mit hoher Wahrscheinlichkeit faktisch verhindert oder jedenfalls massiv beeinträchtigt werden, wenn der vom Antragsteller angezeigte Demonstrationsaufzug stattfindet. Dies trifft zunächst für die vom Antragsteller ursprünglich angezeigte Aufzugsroute zu.

Die Antragsgegnerin legt zutreffend dar, dass als Folge der dann erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Zugang zum Kulturfest Braunschweig International - weitgehend - versperrt wäre. Nach der polizeilichen Gefährdungseinschätzung bzw. ihrer Einsatztaktik sind die gesamte Aufzugsstrecke weiträumig von den frühen Morgenstunden an zu sperren und Einzelpersonenkontrollen durchzuführen. Der Personenverkehr rund um das Kulturfest käme hierdurch weitgehend zum Erliegen, die Zugangsmöglichkeiten zum Kulturfest wären massiv beeinträchtigt, zumal die Aufzugsroute das Festgelände umkreist. Bereits hierdurch liefe das Kulturfest weitgehend leer. Denn nach seiner Zielrichtung ist es auf die Begegnung und den Austausch ausgerichtet und deswegen auf freie Zugangsmöglichkeiten - sowohl für Auswärtige als auch für Braunschweiger Bürger - angewiesen.

Die weiträumige und langfristige Absperrung der Aufzugsroute verbunden mit Einzelpersonenkontrollen wäre nach Auffassung der Kammer zur Sicherung des vom Antragsteller angezeigten Aufzugs vor Störaktionen, aber auch zur Sicherung Außenstehender vor den Teilnehmern der Versammlung erforderlich.

Den polizeilichen Gefährdungsprognosen vom 28. März 2011 und vom 19. Mai 2011 lässt sich entnehmen, dass ein erhebliches Konfliktpotenzial im Zusammenhang mit dem Aufzug des Antragstellers vorhanden ist. Die Einwände des Antragstellers gegen diese Einschätzung dringen nicht durch. Es ist zunächst nicht zu beanstanden, hinsichtlich des Störpotenzials von den Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Aufzug der NPD in Braunschweig im Jahr 2005 auszugehen. Dass - wie der Antragsteller anführt - hinsichtlich seines Aufzuges ein wesentlich geringes Konfliktpotenzial gegeben sei, weil mit ihm ein unterschiedlicher Veranstalter den Aufzug organisiere und ein anderer Personenkreis an seinem Aufzug teilnehme, erschließt sich nicht. Die Kammer geht vielmehr von einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Aufzüge aus. Der Aufzug des Antragstellers ist - wie der Aufzug im Jahr 2005 - dem extremen rechten politischen Spektrum mit einem ähnlichen Teilnehmerkreis zuordenbar. Der aktuelle Aufzug weist Verbindungen zur NPD auf. Ausweislich der Homepage des Antragstellers (www.tddz.info) hat der Antragsteller auf verschiedenen Veranstaltungen der NPD für seinen Aufzug geworben (bspw. beim NPD - Unterbezirk Ostfriesland - Friesland oder der NPD Jahreshauptversammlung in Wolfsburg). Die Versammlungsleiterin und Ehefrau des Antragstellers, Frau C. D., ist ausweislich der Angaben auf der Homepage des NPD Unterbezirks Ostfriesland im Landesvorstand der NPD. Für die Beurteilung des Konfliktpotenzials ist des Weiteren maßgeblich, ob der Aufzug in der Wahrnehmung möglicher Blockierer und Störer mit dem Aufzug aus dem Jahr 2005 vergleichbar ist. Dass dies der Fall ist, zeigt sich an den massiven Mobilisierungsaktionen im Umfeld der Gegner des Aufzugs, die zu Blockaden und sonstigen Störaktionen des Nazi-Aufmarsches" aber auch NPD-Aufmarsches" aufrufen. Auch in der Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung ist bisweilen vom NPD-Aufmarsch" die Rede (vgl. bspw. Bericht vom 17.05.2011: Eilantrag der NPD gegen Verbot einer Demonstration in Braunschweig", Quelle: newsclick.de). Von den Erfahrungen aus dem Aufzug der NPD im Jahr 2005 kann trotz des Ablaufs von circa 6 Jahren ausgegangen werden, weil nicht ersichtlich ist, dass sich die Verhältnisse wesentlich geändert hätten. Bei dem Aufzug im Jahr 2005 kam es zu massiven Stör- und Blockadeaktionen und circa 130 Straftaten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellung im Untersagungsbescheid der Antragsgegnerin verwiesen.

Für ein gegenüber dem NPD-Aufzug von 2005 nochmals gesteigertes Konfliktpotenzial spricht, dass von dem Aufzug des Antragstellers eine besondere Provokation ausgeht, die über das mit jedem rechtsextremen Aufzug verbundene Maß hinausgeht. Diese folgt insbesondere daraus, dass der Aufzug zeitgleich mit und in inhaltlichem Gegensatz zum Fest Braunschweig International stattfinden soll, das - wie bereits dargelegt - eine eindeutige, die Integration bejahende Ausrichtung und einen diesbezüglichen Symbolcharakter hat. Der fremdenfeindliche Aufzug des Antragstellers (vgl. die zuvor wiedergegebene Äußerung des Antragstellers vom September 2010 bzw. die auf der vom ihm veranstalteten Demonstration im Jahr 2010 skandierte Parole) untergräbt das Anliegen des Festes und dessen - auch symbolische - Bedeutung. Unabhängig davon, ob die Provokation vom Antragsteller bezweckt ist, rechtfertigt sie die Prognose besonders intensiver Gegen- und Störaktionen. Ersichtlich wird dies an zahlreichen Aufrufen zu Blockade- und Störaktionen, beispielsweise im Internet oder durch zahlreiche im Gebiet der Stadt Braunschweig verteilte Aufkleber und Plakate. Schließlich ist in der Einschätzung des Konfliktpotenzials zu berücksichtigen, dass von dem Aufzug des Antragstellers selbst ein nicht unerhebliches Aggressionspotenzial ausgeht. So finden sich beispielsweise in der Berichterstattung über die inhaltlich identische Veranstaltung des Antragstellers vom 5. Juni 2010 in Hildesheim Hinweise auf Angriffe der Versammlungsteilnehmer auf Medienvertreter und Gegendemonstranten (vgl. bspw.: Kai Budler, Neonazis feiern Tag der deutschen Zukunft" mit Angriffen auf Medienvertreter", Quelle: Zeit-Online). Dies deckt sich mit der Beschreibung der Polizeidirektion Braunschweig in deren Gefährdungseinschätzung vom 19. Mai 2011 vom unfriedlichen Verlauf einer thematisch vergleichbaren Versammlung am 14. Mai 2011 in Berlin, an der der Antragsteller teilgenommen hat.

Angesichts dieses schwerwiegenden Konfliktpotenzials ist die polizeiliche Einsatztaktik, langfristig und weiträumig Absperrungen zu errichten und dort Personenkontrollen vorzunehmen, nicht zu beanstanden. Sie ist wegen des Erfordernisses einer effektiven Trennung der opponierenden Gruppierungen gerechtfertigt. Die Erfahrungen aus dem Aufzug der NPD im Jahr 2005 tragen die Annahme, dass ausufernde Blockademaßnahmen auf andere Weise nicht zu verhindern wären. Unabhängig hiervon ist mit der Einschätzung der Polizei nicht zu erwarten, dass die beschriebenen umfangreichen Sicherungsmaßnahmen sowie eine massive Polizeipräsenz gegenseitige Provokationen, Aggressionen und Störmaßnahmen vollständig unterbinden können. Insofern wirkt sich unter anderem aus, dass potenzielle Blockierer bei Personenkontrollen - entgegen der Einlassung des Antragstellers - nicht ohne Weiteres ausgemacht werden können.

Dass die Polizei Rückzugsflächen in der Nähe der Aufzugsroute benötigt, wirkt sich zusätzlich zu den Absperr- und Kontrollmaßnahmen nachteilig auf die Möglichkeiten aus, zum Fest Braunschweig International gelangen zu können. Dieser Effekt hat wegen der großen Annäherung der Aufzugsroute an die Fläche, die vom Kulturfest belegt ist, beispielsweise während der Kundgebung auf dem Schlossplatz, besonderes Gewicht. Insbesondere für Besucher, die nicht aus dem Bereich der Innenstadt von Braunschweig kommen, sondern von auswärts anreisen, ist der Zugang zum Fest des Weiteren dadurch erschwert, dass der Hauptbahnhof Teil der Aufzugsroute ist und dort eine Auftakt- und eine Abschlusskundgebung stattfinden sollen. Außerdem lassen die Sicherungsmaßnahmen sowie Stör- und Blockadeaktionen erwarten, dass - ähnlich wie im Jahr 2005 - der öffentliche Personennahverkehr im Stadtgebiet massiv beeinträchtigt wird und teilweise zum Erliegen kommen wird.

Der Demonstrationsaufzug des Antragstellers hat zudem eine abschreckende Wirkung auf - potenzielle - Teilnehmer des Festes Braunschweig International, weil mit ihm eine Vielzahl rechtsextremer, fremdenfeindliche Positionen vertretende Teilnehmer des Aufzuges in der Stadt anwesend sein werden und deswegen die Möglichkeit besteht, ihnen bei der An- oder Abreise zum Kulturfest zu begegnen. Dies beeinträchtigt die Durchführung des Festes nicht unerheblich. Die Kammer teilt die diesbezügliche Einschätzung der Antragsgegnerin vom 24. März 2011, wonach davon auszugehen sei, dass viele Besucher dem Fest fernbleiben würden, weil sie aus Angst vor Gewaltaktionen den Weg in die und von der Innenstadt sowie das Verweilen auf dem Gelände des Festes meiden. Zutreffend stellt die Antragsgegnerin darauf ab, dass insbesondere Familien mit Kindern von dem Aggressionspotenzial des vom Antragsteller angezeigten Aufzuges abgeschreckt werden dürften. Hinzukommt, dass gerade auch Personen mit Migrationshintergrund nachvollziehbare Ängste vor der Veranstaltung des Antragstellers und deren Teilnehmerkreis haben. Diese Personengruppen stellen einen wesentlichen Anteil des - potenziellen - Teilnehmerkreises. Eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Teilnehmer kann auch von dem massiven Polizeiaufgebot ausgehen, das zur Sicherung des Aufzuges erforderlich ist. Dies gilt insbesondere für Besucher des Festes, die traumatisierende (Gewalt- oder Folter-) Erfahrungen mit der Staatsgewalt in ihrem Heimatland gemacht haben, beispielsweise politische Flüchtlinge. Auch diese zählen zu dem vom internationalen Fest angesprochenen Personenkreis.

Die störenden Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International fallen vergleichbar schwerwiegend und allenfalls graduell geringfügiger aus, wenn der Aufzug des Antragstellers auf der von ihm vorgeschlagenen Alternativroute verläuft. Es ist auch dann mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass Braunschweig International faktisch verhindert oder jedenfalls massiv beeinträchtigt würde. Auch die vom Antragsteller vorgeschlagene Alternativroute gefährdet die grundrechtlich geschützten Rechte der - potenziellen - Teilnehmer des Kulturfestes Braunschweig International.

Die zuvor dargelegte abschreckende Wirkung und die einschüchternden Effekte, die vom Aufzug des Antragstellers sowie dem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften auf das Kulturfest Braunschweig International und dessen Teilnehmerkreis ausgehen, wären gegenüber der ursprünglichen Aufzugsroute unverändert. Die Alternativroute führt ebenfalls in großer Nähe am Festgelände vorbei. Auf dem nahegelegenen Schlossplatz ist eine Kundgebung beabsichtigt. Nach der polizeilichen Gefährdungseinschätzung vom 19. Mai 2011 kann sich der durch die Sperrung hervorgerufene Interessenkonflikt gerade an dieser Stelle entladen, wobei tätliche Übergriffe aufgrund der räumlichen Enge nur schwer zu verhindern seien und eine Eskalation der Lage bis zur Paniksituation aufgrund der Verengung der Räume eintreten könne. Auch ohne eine solche Zuspitzung wirkt die Veranstaltung des Antragstellers angesichts der großen Nähe zum Kulturfest störend auf dieses. Das Kulturfest ist auf Austausch und Kommunikation angelegt. Dies setzt Offenheit bei den Beteiligten, aber auch in den äußeren Bedingungen sowie eine friedliche Grundstimmung und das Fehlen von Gewalt und Aggressivität voraus. Durch die vom Aufzug des Antragstellers und dessen Teilnehmerkreis ausgehende Aggressivität, insbesondere gegenüber Personen mit Migrationshintergrund, wird das Fest konterkariert und das Gelingen der Veranstaltung gefährdet.

In Bezug auf die zu erwartenden Auswirkungen auf das Fest Braunschweig International unterscheidet sich die Alternativroute von der ursprünglich angezeigten Aufzugsroute (nur) dadurch, dass das Festgelände nicht mehr vollständig umschlossen wird. Allein hierdurch fallen die gravierenden Beeinträchtigungen des Zugangs zum Fest nicht in erheblichem Maße geringfügiger aus. Auch die Alternativroute tangiert das Festgelände in einem nicht unerheblichen Teilen entlang der gesamten östlichen Flanke. Die Alternativroute müsste nach der polizeilichen Gefährdungseinschätzung entlang der gesamten Strecke von den frühen Morgenstunden an gesperrt werden. Personeneinzelkontrollen wären in demselben Umfang erforderlich wie bei der ursprünglichen Aufzugsroute. Der Zugang zum Fest würde hierdurch insbesondere für Personen, die nicht im Innenstadtbereich von Braunschweig wohnen, erheblich beeinträchtigt. Insoweit kommt zum Tragen, dass auch durch die Alternativroute der Zugang zum Fest vom Schlossplatz bzw. der Haltestelle Rathaus/Bohlweg aus sowie vom Hauptbahnhof aus betroffen wäre. Dies sind zentrale Haltestellen sowohl für den innerstädtischen öffentlichen Nahverkehr als auch für die Anreise auswärtiger Besucher des Festes. Auswirkungen auf den öffentlichen Personennahverkehr bis zum vollständigen Ausfall sind ebenfalls in demselben Umfang zu befürchten wie bei der ursprünglichen Aufzugsroute.

Die Rechte der - potenziellen - Teilnehmer des Kulturfestes Braunschweig International sind durch die zuvor beschriebenen Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International unmittelbar gefährdet im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG. Eine unmittelbare Gefährdung setzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16.Aufl, § 15 Rn. 28). Dies ist vorliegend der Fall, da die Beeinträchtigungen des Kulturfestes Braunschweig International aller Voraussicht nach und deswegen mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten.

Die Antragsgegnerin durfte den Aufzug des Antragstellers untersagen, weil die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, die sich aus der Beeinträchtigung des Kulturfestes Braunschweig International ergibt, nicht anders abgewendet werden kann.

Die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin genügt zunächst den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit soweit wie möglich Geltung zu verschaffen ist und das Verbot einer Demonstration nur als äußerste Maßnahme - ultima ratio - in Betracht kommt. Im Fall der Kollision des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit mit anderen gleichwertigen Rechtspositionen ist entsprechend dem Rechtsgedanken der sogenannten praktischen Konkordanz grundsätzlich ein Ausgleich der widerstreitenden Positionen mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes anzustreben (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1981 - 1 BvR 233/81 -, juris Rn. 93). Die Kammer teilt diesbezüglich die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der vom Antragsteller angezeigte Aufzug in der von ihm beabsichtigten Weise nicht parallel zum Fest Braunschweig International stattfinden kann, ohne dass dies zur Folge hätte, dass das Kulturfest faktisch verhindert oder jedenfalls massiv beeinträchtigt würde. Es ist nicht ersichtlich, dass durch Beschränkungen zum Aufzug des Antragstellers ein gleichzeitiges Nebeneinander der Veranstaltungen ermöglicht werden könnte. Die Antragsgegnerin weist zutreffend insbesondere darauf hin, dass der Antragsteller in Reaktion auf das Kooperationsgespräch vom 18. April 2011 und in Kenntnis der Gefährdungslage darauf bestanden hat, den Aufzug in den Kernbereich der Innenstadt zu führen und dort eine Kundgebung auf dem zentralen Schlossplatz durchzuführen. Hieraus ist zu schlussfolgern, dass eine wesentlich modifizierte Form seines Aufzuges - beispielsweise in Form einer stationären Kundgebung in der Nähe des Bahnhofes - von ihm weder gewünscht noch akzeptiert würde. Hierfür spricht auch, dass der Antragsteller auch ansonsten - beispielsweise in der Antragsschrift - nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass eine weitgehende Beschränkung seines Aufzuges, die den Innenstadtbereich ausnimmt, für ihn in Betracht käme. Das Gericht sieht sich deshalb nicht gehalten, von sich aus weitere Varianten zu prüfen (anders - allerdings im Rahmen einer Interessenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten - Nds. OVG, B. v. 13.08.2010 - 11 ME 313/10 -, juris Rn 12).

Führt die Ausübung des Versammlungsrechts zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, steht dem Veranstalter kein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt vielmehr der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. BverfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, juris Rn. 16; Nds. OVG, B. v. 05.05.2006 - 11 ME 117/06 -, juris Rn. 35). Hiernach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin in der gegebenen Situation, in der entweder der Aufzug des Antragstellers zu untersagen war oder das Kulturfest Braunschweig International faktisch verhindert bzw. jedenfalls massiv beeinträchtigt würde, erstere Maßnahme ergreift.

In ihrer Abwägung durfte die Antragsgegnerin dem Antragsteller entgegenhalten, dass sich die Maßnahmen, die zur Sicherung des von ihm angezeigten Demonstrationszuges erforderlich sind, nachteilig auf die Rechte der - potenziellen - Teilnehmer des Festes Braunschweig International auswirken. Der Antragsteller dringt nicht mit seinem Einwand durch, dies sei nicht möglich, weil die Sicherungsmaßnahmen bloß mittelbare Folgen seines Demonstrationsaufzuges seien, die ihm nicht zugerechnet werden können, und die Antragsgegnerin vielmehr gehalten wäre, gegen Störer seines Aufzuges vorzugehen. Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass die Sicherungsmaßnahmen zu einem großen Anteil vorgenommen werden sollen, um Stör- und Blockadeaktionen zu verhindern, die gegen die Veranstaltung des Antragstellers gerichtet sind, sie also nur indirekte Folge des von ihm angezeigten Demonstrationsaufzuges sind. Jedenfalls in Abgrenzung gegenüber dem Kulturfest Braunschweig International und dessen Teilnehmern sind sie allerdings seiner Sphäre zuzuordnen und können ihm entgegengehalten werden. Im Verhältnis zu den Teilnehmern des Festes Braunschweig International weist er den stärkeren Bezug zu den Maßnahmen auf. Denn es handelt sich um notwendige Schutzvorkehrungen für die von ihm angezeigte Demonstration. Die Zurechnung der mittelbaren Folgen seines Aufzuges zum Antragsteller im Verhältnis zu den - gänzlich unbeteiligten Teilnehmern - des Kulturfestes, entspricht dem Rechtsgedanken des sogenannten unechten polizeilichen Notstandes. Hiernach darf ausnahmsweise gegen eine (nichtstörende) Versammlung eingeschritten werden, wenn Maßnahmen gegen die unmittelbaren Störer zwar möglich wären, allerdings eine größere Gefahr bzw. (unverhältnismäßig) größere Schäden für Unbeteiligte hervorrufen würden als Maßnahmen gegen die (nichtstörende) Versammlung (vgl. Nds. OVG, B. v. 05.05.2006 - 11 ME 117/07 -, juris Rn. 24 f.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rn. 42). Dies lässt sich auf die vorliegende Konstellation übertragen: Wegen der schwerwiegenden Auswirkungen auf das (unbeteiligte) Kulturfest Braunschweig International und dessen Teilnehmer ist ein versammlungsrechtliches Vorgehen gegen den Antragsteller auch in Bezug auf die Auswirkungen von Sicherungsmaßnahmen möglich, die wegen des Verhaltens von Störern zu dessen Aufzug erforderlich werden. Zugleich ist eine Zurechnung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 NVersG möglich. Hiernach ist das Verbot einer Versammlung, von der die Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht unmittelbar ausgeht, zulässig, wenn Maßnahmen gegen die die Gefahr verursachenden Personen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Ein - polizeiliches oder ordnungsbehördliches - Vorgehen gegen die Personen, die Stör- und Blockadeaktionen gegen den Aufzug des Antragstellers beabsichtigen, ist nicht anders als in der beabsichtigten und zuvor beschriebenen Weise möglich, insbesondere nicht in einer Weise, die geringere Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International zur Folge hätte. So kann die Antragsgegnerin im Vorfeld des Aufzuges die zu erwartenden Störmaßnahmen insbesondere nicht - wie vom Antragsteller gefordert - effektiv durch Verbote verhindern. Es ist nicht zu erwarten, dass diese befolgt würden, zumal Blockade- und Störaktionen gemäß § 4 NVersG bereits kraft Gesetzes verboten und gemäß § 20 und § 21 NVersG Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten sind. Ohne die beschriebenen Sicherungsmaßnahmen wäre zu erwarten, dass Stör- und Blockademaßnahmen in größerem Ausmaß erfolgreich durchgeführt werden könnten. Es wäre zu befürchten, dass die widerstreitenden Gruppierungen aufeinanderträfen. Dies könnte nicht nur den Aufzug des Antragstellers verhindern, sondern wäre zudem mit weitergehenden Beeinträchtigungen für das Kulturfest verbunden.

Auch ansonsten ist die Abwägung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Für das gefundene Ergebnis, am 4. Juni 2011 den Rechten der Teilnehmer des Kulturfestes Braunschweig International Vorrang gegenüber den Rechten der Versammlungsteilnehmer einzuräumen, spricht, dass das Veranstaltungsdatum für das Kulturfest eine besondere Bedeutung hat. Dieses findet in langjähriger Tradition stets am ersten Samstag eines Juni statt. Der Veranstaltungstermin ist deswegen mit dem Symbolcharakter der Veranstaltung und deren Aussagegehalt verbunden. Eine vergleichbare Bedeutung des konkreten Termins für seine Veranstaltung hat der Antragsteller nicht belegt. Hinzukommt, dass der Termin für das Kulturfest aufgrund der langjährigen Tradition bereits festgestanden hatte, bevor der Antragsteller seine Demonstration angezeigt hat. Es ist deswegen von einer zeitlichen Priorität zugunsten des Kulturfestes Braunschweig International auszugehen. Wegen des jährlich gleichen fixen Termins steht dem nicht entgegen, dass der Antrag auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis für den Kohlmarkt als erste nach außen wirkende Planungshandlung für das Kulturfest erst am 22. Juli 2010 - und somit nach Eingang der Anzeige des Antragstellers - bei der Antragsgegnerin gestellt wurde. Der zeitlichen Priorität einer Veranstaltung kommt zwar keine allein maßgebliche Bedeutung im Fall einer Terminkollision zu. Sie kann aber oftmals - wie auch im vorliegenden Fall - zugunsten der zuerst feststehenden Veranstaltung berücksichtigt werden (vgl. VG Braunschweig, U. v. 28.02.2007 - 5 A 685/05 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

Dafür, in der Abwägung im Rahmen des polizeilichen Auswahlermessens den Grundrechten der Teilnehmer von Braunschweig International den Vorrang zu geben und die Versammlung des Antragstellers zu verbieten, spricht auch, dass die angemeldete Versammlung eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen dürfte. Zwar rechtfertigt eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen nicht das Verbot einer Versammlung (vgl. BVerfG, U. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 - juris Rn 78 ff.; BVerfG, B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 - Juris Rn. 23; vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rn. 321 ff.), die öffentliche Ordnung scheidet aber nicht grundsätzlich als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Verbots aus (vgl. BVerfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, juris Rn. 15; B. v. 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -, juris Rn. 14). In Anwendung dieser Grundsätze bezieht die Kammer die Gefährdung der öffentlichen Ordnung in die Rechtsgüterabwägung im Rahmen des § 8 Abs. 2 NVersG mit ein, ohne sie zur - alleinigen - Bestätigung der Begründung der Untersagungsverfügung zu machen. Die öffentliche Ordnung kann betroffen sein, wenn die Versammlung ein provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten zeigt (vgl. BVerfG, B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris Rn. 23) bzw. wenn einem bestimmtem Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzuges an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden, der Aufzug also eine Provokationswirkung hat (vgl. BVerfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, juris Rn. 15). Die Provokationswirkung ergibt sich vorliegend zum einen aus der angemeldeten Nutzung des Schlossplatzes mit seiner im angefochtenen Bescheid beschriebenen Geschichte. Die Nutzung dieses Platzes für einen Aufmarsch extrem rechter fremdenfeindlicher Kräfte kann durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtern" (vgl. insoweit BVerfG, B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris Rn. 23). Zudem hat die Anmeldung der Versammlung mit fremdenfeindlichem Motto durch den Antragsteller am Tag des seit Jahren regelmäßig am ersten Juniwochenende stattfindenden Internationalen Festes - wie ausgeführt - eine solche Provokations- und Einschüchterungswirkung. Die Frage, ob diese Wirkung unausweichliche Nebenfolge oder Zweck der Versammlung, vom Antragsteller also beabsichtigt ist, ist im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes kaum abschließend zum klären. Relevanz kommt ihr zu, weil bei missbräuchlicher Ausübung der Versammlungsfreiheit dem Schutz der Rechtsgüter Dritter (hier der Festteilnehmer) stets Vorrang zukommt (Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 15 Rn. 178). Auch ohne Nachweis einer missbräuchlichen Ausübung des Versammlungsrechtes durch den Antragsteller, ist die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch die Versammlung des Antragstellers im Rahmen der Abwägung zu dessen Lasten zu berücksichtigen.

Unabhängig hiervon spricht nach den Recherchen des Gerichts Überwiegendes dafür, dass dem Antragsteller entgegen seinem Vortrag das regelmäßige Stattfinden des Internationalen Festes und die Terminkollision mit seinem Aufzug bekannt gewesen sind. Seine anderslautende Einlassung ist insbesondere vor dem Hintergrund der Erklärung, seine Ehefrau habe sich - unter Verwendung eines Tarnnamens" - bei der Touristikinformation der Antragsgegnerin nach kulturellen Veranstaltungen am 4. und 5. Juni 2011 erkundigt, bevor er die Anzeige seiner Versammlung für diesen Tag abgesandt habe, wenig glaubhaft. Dem Antragsteller, der mit der Anfrage bei der Stadt Braunschweig Problembewusstsein" bewiesen hat, dürfte es aufgrund des langjährig gleichbleibenden Termins von Braunschweig International leicht möglich gewesen sein, - beispielsweise im Internet - von der Veranstaltung Kenntnis zu nehmen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Anmeldung seiner thematisch korrespondierenden Demonstration zufällig parallel zu Braunschweig International erfolgt sein soll. Jedenfalls spricht vieles dafür, dass der Antragsteller zumindest nach erfolgter Anmeldung Kenntnis von der terminlichen Überschneidung seines Aufzuges mit dem Kulturfest erlangt hat. Denn dies war bereits frühzeitig Gegenstand der Berichterstattung im Zusammenhang mit der von ihm angezeigten Versammlung (vgl. bspw. Braunschweiger Zeitung vom 27.08.2010 Forderung: Neonazi-Aufmarsch verbieten", Quelle: www.newsclick.de). Seine Einlassung, erst durch das Kooperationsgespräch am 18. April 2011 von der Terminkollision erfahren zu haben, ist zusätzlich deswegen nicht glaubhaft, weil er bereits am 6. April 2011 auf der Homepage zu seiner Demonstration (www.tddz.info) einen Artikel der Braunschweiger Zeitung kommentiert, der die terminliche Überschneidung zum Gegenstand hat ( Braunschweiger Firmen sammeln Geld gegen Neonazi-Aufmarsch", Quelle: www.newsclick.de).

Die Kammer muss nicht entscheiden, ob der Antragsteller zu Recht rügt, die Antragsgegnerin habe gegen das Kooperationsgebot des § 6 NVersG verstoßen, indem sie ihn nicht vor dem 18. April 2011 auf die terminliche Überschneidung seines Aufzuges mit Braunschweig International hingewiesen habe. Denn auch wenn ein Verstoß gegen das Kooperationsgebot unterstellt würde, wäre das vorliegende Verfahren nicht zugunsten des Antragstellers zu entscheiden. Insbesondere wäre Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Kooperationsgebot nicht, dass die Abwägung im Rahmen des polizeilichen Auswahlermessens zugunsten des Antragstellers auszufallen hätte. Denn den Teilnehmern von Braunschweig International, deren Belange in die Abwägung einzustellen sind, wäre der Verstoß nicht zurechenbar. Dass wegen eines Verstoßes gegen das Kooperationsgebot die Gefahrenprognose unzutreffend sei (vgl. hierzu Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 Rn. 35) ergibt sich nicht.

Auch der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO mit dem Ziel, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, gegenüber dem Antragsteller nach dem 2. Juni 2011, 18 Uhr, versammlungsrechtliche Beschränkungen hinsichtlich Zeit, Ort von Kundgebungen und Wegstrecke der Versammlung zu erlassen, ist abzulehnen.

Es bestehen bereits Zweifel am Vorliegen des für jedes gerichtliche Verfahren notwendigen Rechtsschutzinteresses, wenn - wie hier - eine vorbeugende einstweilige Anordnung gegen einen noch nicht ergangenen Verwaltungsakt begehrt wird, gegen den dann Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegeben ist (Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 123 Rn 5). Wegen der besonderen vom Antragsteller geltend gemachten zeitlichen Konstellation lässt die Kammer diese Frage aber offen. Der Eilantrag hat unabhängig hiervon keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn eine Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Hierzu sind gemäß § 123 VwGO i.V.m. § 935, § 936, § 920 ZPO das Bestehen des gefährdeten Rechts (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer gerichtlichen Eilentscheidung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist kein Anordnungsgrund gegeben. Die Kammer hat mit diesem Beschluss die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin bestätigt. Danach besteht kein Anlass für die Antragsgegnerin, weitere Verfügungen gegen den Antragsteller zu erlassen, in denen versammlungsrechtliche Beschränkungen angeordnet werden.

Im Übrigen besteht aber auch kein Anordnungsanspruch. Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, trifft sie als Versammlungsbehörde - jederzeit - die Pflicht, diejenigen versammlungsrechtlichen Beschränkungen zu verfügen, die zu diesem Zeitpunkt zur Sicherung der Durchführung der dann nicht verbotenen Versammlung und des wechselseitigen Grundrechtsschutzes notwendig sind. ..."

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... Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid als rechtswidrig, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt. Denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann per se kein Interesse bestehen. Es erscheint als möglich, dass der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig ist, weil es für die getroffene Feststellung an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht (anders als die Kammer, vgl. Urteil vom 23. November 2004 - 1 A 271.01 -, juris) im Wege der Auslegung von §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 VersammlG die Ermächtigung der Versammlungsbehörde bejaht durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Versammlung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Mai 2006 - 1 B 4.05 -, juris Rn. 19). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der dazu gehörenden Revisionsentscheidung es hingegen nicht von vornherein für ausgeschlossen angesehen, dass es an einer solchen Ermächtigungsgrundlage fehlen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 13). Dies kann hier jedoch dahinstehen, denn der Bescheid ist materiell-rechtlich rechtswidrig.

Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützte Feststellung geht von einer zu engen Auslegung des Versammlungsbegriffs aus. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen, auf die öffentliche Meinungsbildung gerichteten Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15), wobei der Versammlungsbegriff auf Veranstaltungen zu begrenzen ist, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 -, juris Rn. 19, und vom 7. März 2011 - 1 BvR 388/05 -, juris Rn. 32). Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Es ist deshalb entscheidend, dass die Meinungsbildung und -äußerung gerade mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind aber nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315 ff. = NJW 1985, 2395 (2396)). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen ebenso wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, fallen allerdings nicht unter den Versammlungsbegriff. Hingegen erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik oder auch Tanz verwirklichen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, a. a. O.).

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 u.a. -, a. a. O. Rn. 29).

Zur Frage, wie die Beurteilung einer solch gemischten Veranstaltung' erfolgen muss, hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23 06 -, a. a. O Rn. 17 f.) folgendes ausgeführt:

Die Beurteilung, ob eine 'gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden vor Ort' wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.

Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln.'

Auch wenn der Antragsgegner durch Gegenüberstellung der Wort- und Musikbeiträge formal versucht hat, diesen Anforderungen nachzukommen, erweist sich seine Einordnung unter Berücksichtigung des dargestellten Maßstabs dennoch als fehlerhaft. Denn die in den genannten drei Schritten vorzunehmende Gesamtschau aller tatsächlichen Umstände spricht für das Vorliegen einer Versammlung.

Bei der im ersten Schritt vorzunehmenden Erfassung aller derjenigen Modalitäten, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen, sind neben dem Thema der Veranstaltung sowohl der räumliche Bezug, die geplante inhaltliche Ausgestaltung als auch die geplante Darstellung der Veranstaltung nach außen mit der dazugehörenden Werbung zu würdigen. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner nicht hinreichend die mit der streitigen Veranstaltung beabsichtigte Einwirkung und Ausstrahlung auf die öffentliche Meinung zum Thema der Veranstaltung Für den Erhalt der Kastanienallee / Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren' mit dem durch den beim Anmeldernamen angegebenen Zusatz der Initiative STOPPT K21' klar erkennbaren Ziel, die geplanten Umbauarbeiten in der Kastanienallee durch massiven Bürgerprotest zu verhindern, berücksichtigt. Dass dieses Thema eine große öffentliche Resonanz hat, belegen bereits die im Verwaltungsvorgang enthaltenen Pressemeldungen. Auch das deutlich an Stuttgart 21 - S21' anknüpfende Kürzel K21 macht den Willen des Antragstellers deutlich, mit der Veranstaltung am 14. Mai 2011 eine ebenso große Protestwelle auslösen zu wollen wie in Stuttgart. Weiteres Indiz für den Charakter als Versammlung ist der vom Anmelder gewählte räumliche Bezug der Veranstaltung, denn diese soll genau in dem von den geplanten Umbaumaßnahmen betroffenen Abschnitt der Kastanienallee zwischen Schwedter Straße und Schönhauser Allee stattfinden. Damit wird der von den Veranstaltern gewollte Zweck, auf die öffentliche Meinung so einzuwirken, dass noch mehr Menschen das Ziel verfolgen, gerade diese Umbauarbeiten zu verhindern, hinreichend deutlich.

Auch in dem Antrag des Antragstellers an das Bezirksamt Pankow von Berlin auf Erteilung einer Genehmigung nach § 11 LImSchG Bln vom 5. April 2011 war als Art des Vorhabens angegeben Aktionstag der Initiative STOPPT K21, Mehrstündige Kundgebung mit Kulturprogramm'. Eine Kundgebung zielt aber gerade auf Darstellung und öffentliche Vermittlung des Veranstaltungsthemas und damit auch auf öffentliche Meinungsbildung. Weder die Einbindung von Musikgruppen noch die Kooperation mit Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Kultureinrichtungen lassen diesen Zweck zurücktreten oder gänzlich entfallen. Es geht dem Anmelder offensichtlich nicht um überwiegende Kulturdarbietungen, sondern um einen öffentlich wirksamen, berlinweit wahrnehmbaren Protest mit größtmöglicher Resonanz gegen den Umbau der Kastanienallee. Dies lässt sich u. a. auch der Formulierung entnehmen, die verschiedenen Musikgruppen werden für die Kastanienallee spielen' (vgl. stoppt-k21.de, Stand 11.05.2011). Auch die Aufstellung von fünfzig Informationsständen und Sammlung von Unterschriften für das Bürgerbegehren nehmen der Veranstaltung nicht ihren Charakter als Versammlung, denn beides zielt darauf ab, die Meinung der Veranstalter, also der Initiative STOPPT K21', zu verbreiten und durch Information weitere Personen von ihrer Meinung, der Umbau der Kastanienallee müsse gestoppt werden, zu überzeugen.

Für die Veranstaltung am 14. Mai 2011 sind vom Anmelder auch mehrere Reden geplant. Dass dabei Redner unterschiedlichster Initiativen zu Wort kommen sollen, bedeutet entgegen der Annahme des Antragsgegners nicht, dass diese nur zu den Themen der von ihnen vertretenen Initiativen, nicht aber zum Umbau der Kastanienallee ihre Meinung kundtun werden. Es muss mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Redner das Thema der Veranstaltung in ihren Reden aufgreifen werden. Auch der Wechsel von fünfzehnminütigen Rede- und halbstündigen Kulturbeiträgen im Zeitraum von 14.00 bis 22.00 Uhr belegt, dass die Meinungskundgabe während der gesamten Veranstaltung keine unwichtige Rolle spielt. Eine andere Bewertung wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn einer kurzen Rede nur noch Musikdarbietungen folgen sollten; dies ist aber nach dem geplanten Ablauf gerade nicht der Fall. Auch der Auftritt von Musikgruppen während einer Veranstaltung nimmt dieser nicht ihren Charakter als Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris). Das zur Veranstaltung am 14. Mai 2011 hergestellte Plakat enthält entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht nur ausschließlich Hinweise auf Musik- bzw. Kulturbeiträge, sondern verweist mit der großen Überschrift RECLAIM DEMOCRACY' und den kleineren Zusätzen Kastanienallee Aktionstag' und Stoppt die Zerstörung zw. Schönhauser Allee und Schwedter Straße' deutlich auf das Anliegen der Veranstaltung und die damit verbundene Meinungskundgabe, die Demokratie zurückfordern zu wollen und damit als Bürger bei Planungsentscheidungen intensiver mitreden und -bestimmen zu können als es bislang der Fall gewesen sein mag. Auch wenn in einigen Presseveröffentlichungen die Veranstaltung als Straßenfest' bezeichnet wurde, bestehen nach den obigen Ausführungen keine überwiegenden Anhaltspunkte, den Charakter der Veranstaltung als Versammlung allein deshalb zu verneinen.

Die im zweiten Schritt vorzunehmende Würdigung und Gewichtung der nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, hier also die Kulturbeiträge, führt zwar zu einem zeitlichen Übergewicht dieses Veranstaltungsteils, kann aber bei dem im dritten Schritt vorzunehmenden Vergleich beider Teile und ihrer Beziehung zueinander schon wegen der Verschränkung im zeitlichen Ablauf, also des regelmäßigen Wechsels von Rede- und Kulturbeiträgen, nicht als ein auch inhaltliches Überwiegen der Musikdarbietungen mit völlig untergeordneter Meinungskundgabe angesehen werden.

Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, dass sich eine ganz eindeutige Zuordnung der Veranstaltung unter dem Versammlungsbegriff aufgrund nicht immer einheitlicher Darstellung der geplanten Veranstaltung nicht vornehmen lässt. Wie oben aber bereits ausgeführt, muss in den Fällen, in denen Unsicherheiten verbleiben, allein schon wegen des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt werden.

Es kann auch nicht von einer bereits am 18. Dezember 2010 vom Antragsteller durchgeführten Veranstaltung, die damals als Versammlung bewertet wurde, nach einem Vermerk im Verwaltungsvorgang ihren Schwerpunkt aber in den Musikdarbietungen sowie dem Ausschank von Glühwein und Suppe' gehabt haben soll, auf den Charakter der jetzt gewollten Veranstaltung geschlossen werden. Denn entgegen der früheren Versammlung, auf der nach Darstellung der Polizei keine richtigen Redebeiträge' gehalten worden sein sollen, sind - wie dargelegt - nun insgesamt neun verschiedene Redebeiträge geplant.

Erst recht unerheblich für die Frage, ob die Veranstaltung als Versammlung zu werten ist, sind die von der Verkehrslenkung Berlin und den Berliner Verkehrsbetrieben geltend gemachten Bedenken bezüglich der Behinderung des öffentlichen Personennahverkehrs und dem in der Kürze der Zeit nicht organisierbaren Ersatzverkehr. Zur Vermeidung eventuell die öffentliche Ordnung gefährdender Verkehrssituationen bei Einstellung des Straßenbahnverkehrs steht es der Versammlungsbehörde frei, gegebenenfalls durch Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG die Ermöglichung des Straßenverkehrs sicherzustellen. Gleiches gilt im Übrigen für eine mögliche Gefährdung der Versammlungsteilnehmer durch die existierende Baustelle. Die Beurteilung, inwieweit für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung weitere Auflagen zu erteilen sind, ist nicht Sache des Gerichts, sondern des Antragsgegners. Sollte sich während der Veranstaltung herausstellen, dass jedwede gemeinsame Meinungsäußerung der Teilnehmer fehlt und nach den oben dargestellten Kriterien eindeutig nicht von einer Versammlung gesprochen werden kann, steht es dem Antragsgegner frei, mit ordnungsrechtlichen Mitteln einzugreifen. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 11.05.2011 - 1 L 148.11)

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Eine formale Anknüpfung an den Zeitpunkt der Anmeldung und die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder widerspricht dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Der Prioritätsgrundsatz wird nur maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern (VG Aachen, Urteil vom 29.04.2011 - Aktenzeichen: 6 K 603/10):

... Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer ihm für eine Versammlung unter freiem Himmel mit Bescheid vom 29. März 2010 erteilten Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG. Mit Schreiben vom 3. März 2009 meldete der Kläger - unter Hinweis auf eine vom Beklagten von Anfang an als unwirksame Daueranmeldung' und bloße Absichtserklärung gewertete Anmeldung vom 27. April 2008 - beim Polizeipräsidium Aachen eine als Aufzug geplante Versammlung unter freiem Himmel' mit dem Motto Gegen Ausländergewalt und Inländerfeindlichkeit! - Mord! Wut! Widerstand!' in der Stolberger Innenstadt für Ostersamstag, den 3. April 2010, in der Zeit von 10.00 Uhr bis 22.00 Uhr an. In dem Anmeldungsschreiben teilte er den geplanten Aufzugsweg durch Teile der Stolberger Innenstadt mit. Zu den Hilfsmitteln gab er unter anderem an, vorgesehen seien Fahnen (schwarz, schwarz-weiß-rot, Länderfahnen), Trageschilder, Trommeln, Blumen, Kerzen, Megafone, Aufkleber, Flugblätter, Transparente, eine Lautsprecheranlage, zwei Versorgungsfahrzeuge (Technik) bis 3,5 t, eine Beschallungsanlage und das Abspielen von Musik (vorwiegend Klassik - Trauermusik). Außerdem gab er an, es werde mit ca. 500 Teilnehmern gerechnet. Nach Durchführung eines Kooperationsgesprächs am 18. Mai 2010 und eines ergänzenden zweiten telefonischen Kooperationsgesprächs am 25. März 2010 bestätigte das Polizeipräsidium Aachen mit Schreiben vom 29. März 2010 die vom Kläger mit Schreiben vom 3. März 2010 für den 3. April 2010 angemeldete Versammlung unter freiem Himmel in Stolberg. Darüber hinaus verfügte das Polizeipräsidium Aachen mit Auflagenbescheid vom 29. März 2010 unter anderem die nachfolgenden Auflagen:

1. ... Anschließend zieht der Aufzug von der Tatörtlichkeit zur Eschweilerstraße, biegt nach rechts in diese ein und folgt deren Verlauf bis zur Nikolausstraße, in die er links einbiegt. Am Ende der Nikolausstraße biegt der Aufzug nach rechts in die Eisenbahnstraße ein. Dort finden im Nahbereich des Bahnhofes Schneidmühle' eine Abschlusskundgebung und die Auflösung der Versammlung statt. ...

2. Die Zahl der schwarzen, schwarz-weiß-roten und der Länderfahnen ... wird auf eine Fahne je 15 Teilnehmer beschränkt, insgesamt werden jedoch nicht mehr als 10 Fahnen zugelassen. ...

4. Sie beabsichtigen, für jeweils 50 Teilnehmer je einen Ordner/in einzusetzen. Aus polizeilicher Sicht ist dieses Verhältnis zu gering, um die Ordnung in der Versammlung aufrecht zu erhalten. Sie haben deshalb für je 30 Teilnehmer/innen Ihrer Versammlung je einen Ordner/in einzusetzen.'

Durch die vorstehend zitierte Wegstreckenvorgabe änderte das Polizeipräsidium Aachen die ursprünglich angemeldete Wegstrecke teilweise ab. ...

Die gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nach Erledigung der Auflagenverfügung des Polizeipräsidiums Aachen vom 29. März 2010 durch Zeitablauf statthafte und unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr auch zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers ist unbegründet, weil die in Ziffer 1. der Auflagenverfügung des Polizeipräsidiums Aachen vom 29. März 2010 angeordnete Wegstreckenvorgabe rechtlich nicht zu beanstanden ist.

In dem zeitgleich mit dem Klageverfahren vom Kläger eingeleiteten Eilverfahren 6 L 125/10 hat das erkennende Gericht zu der im vorliegenden Klageverfahren entscheidenden Frage, ob das Polizeipräsidium Aachen die vom Kläger angemeldete Wegstrecke unverändert hätte bestätigen oder zumindest als Rückweg die vom Kläger im Rahmen des Kooperationsgesprächs vom 18. Mai 2010 benannte Alternativroute hätte genehmigen müssen, im Rahmen der Begründung seines Eilbeschlusses vom 31. März 2010 ausgeführt:

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.

Der Begriff der unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. fast mit Gewissheit' zu erwarten ist.

Davon ausgehend hat der Antragsgegner im Wesentlichen zutreffend prognostiziert, dass nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung - wie vom Antragsteller angemeldet - unmittelbar gefährdet ist, weil die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur gewährleistet werden kann, wenn Protest und Gegenprotest räumlich getrennt werden. Erfolgt die räumliche Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten nicht, bestünde die unmittelbare Gefahr, dass Teilnehmer an der Demonstration des Antragstellers mit Teilnehmern der drei angemeldeten Gegendemonstrationen mit der Folge zusammentreffen, dass es zu Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten kommt.

Der gegenteilige Vortrag des Antragtellers in der Antragsschrift, es bestehe keine Gefahrenlage, den er damit begründet,
- der Antragsgegner habe keine Tatsachen benannt, die die Prognose eines gewaltsamen Versammlungsverlaufs begründen könnten, -von seiner Versammlung gehe keine Gefahr aus und
- die Annahme, dass die mehr oder minder unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters stehende Versammlung ausarten könnte, liege fern,

ist nicht geeignet, die in der Begründung der Auflage 1. zum Ausdruck gebrachte Einschätzung des Antragsgegners zu erschüttern, ein wirksamer Schutz der jeweiligen Versammlungen und damit die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung könne nur gewährleistet werden, wenn Protest und Gegenprotest räumlich getrennt würden. Der Antragsgegner hat diese Prognose zwar in der Verfügung vom 29. März 2010 nicht näher begründet, hatte hierzu aber auch keinen Anlass. Denn in den Kooperationsgesprächen mit dem Antragsteller hatte er das Konzept der räumlichen Trennung - das bereits im Jahre 2009 praktiziert worden ist und auf den aus früheren Verfahren dem Gericht bekannten gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Teilnehmern der rechten Szene und extremen linken Gruppierungen, mit deren Teilnahme an den Demonstrationen in Stolberg am 3. April 2010 zu rechnen ist - offen vertreten, ohne dass das Fehlen einer Gefahrenlage vom Antragsteller auch nur angedeutet worden wäre. Dass eine räumliche Trennung von Versammlungsteilnehmern aus der Szene der autonomen und freien rechten Kräfte und Gegendemonstranten des Antifa-Bündnisses Aachen tatsächlich zur Gefahrenabwehr geboten ist, liegt angesichts der gerichtsbekannten polizeilichen Erfahrungen mit diesen Gruppierungen auf der Hand.

Die zur Abwehr dieser Gefahren für die öffentliche Sicherheit vom Antragsgegner in den Auflagen Ziffern 1. und ... verfügten Einschränkungen sind unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters gehört zwar die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt der geplanten Versammlung. Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht aber durch Rechte Anderer beschränkt sein. In einem solchen Fall kann die praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz auch dadurch hergestellt werden, dass die Modalitäten der Versammlungsdurchführung durch Auflagen verändert werden.

Die Abwägung, ob und inwieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten.

Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. November 2003, Az. 12 B 11822/03, juris.

Diese Abwägung hat der Antragsgegner in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen. Er hat die gegenseitigen Interessen zu einem dem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG gerecht werdenden schonenden Ausgleich gebracht.

Die vom Antragsgegner verfügten Auflagen Ziffern 1. und ... sind geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig, einen gewaltfreien Verlauf der Demonstration des Antragstellers wie auch der Gegendemonstrationen zu gewährleisten.

Auch die mit Auflage Ziffer 1. angeordnete Verlegung eines Teilstücks des vom Antragsteller angemeldeten Aufzugsweges begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die vom Antragsteller hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Die mit der Auflage verfolgte räumliche Trennung der Demonstration des Antragstellers und der drei angemeldeten Gegendemonstrationen ist geeignet und erforderlich, einen gewaltfreien Verlauf der Demonstrationen sicherzustellen. Insbesondere hat der Antragsgegner die gegenläufigen Interessen der Teilnehmer an der Demonstration des Antragstellers und der Gegendemonstrationen in einen angemessenen Ausgleich gebracht.

Der Antragsgegner hat sein Ermessen bezüglich der Abänderung des Aufzugsweges des Antragstellers nicht dadurch unsachgemäß ausgeübt, dass er dem Interesse des Antragstellers an der Durchführung seines Aufzuges auf exakt dem angemeldeten Weg nicht ein größeres Gewicht als dem Interesse der Gegendemonstranten an der Zuweisung der von ihnen angemeldeten Demonstrationsorte beigemessen hat. Dem Antragsteller steht ein so genanntes Erstanmelderprivileg', das er für sich unter Hinweis auf eine bereits im Jahr 2008 von ihm für einen Zeitraum von zehn Jahren dem Antragsgegner übergebene Sammelanmeldung' für Versammlungen jeweils am dritten April eines jeden Jahres in Anspruch nehmen möchte, nämlich nicht zu.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der die Kammer folgt, widerspricht eine formale Anknüpfung an den Zeitpunkt der Anmeldung und die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Der Prioritätsgrundsatz wird nur maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 1 BvR 961/05 -, juris, Rdnr. 25 f.

Daran anknüpfend lässt sich selbst dann, wenn die Sammelanmeldung' aus dem Jahr 2008 nach dem Versammlungsgesetz wirksam erfolgen konnte, nicht feststellen, dass die Anmeldung der Gegendemonstrationen allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt ist, die Versammlung des Antragstellers an dem von ihm im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts ausgewählten Ort zu verhindern.

Dem Antragsteller ist zwar einzuräumen, dass die Gegendemonstrationen als Reaktion auf die Anmeldung seiner Demonstration stattfinden. Auch trifft es zu, dass die Gegendemonstranten dem Antragsteller und den von ihm erwarteten Versammlungsteilnehmern den nur begrenzt für Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel zur Verfügung stehenden öffentliche Raum im Innenstadtbereich bewusst streitig machen. Dadurch erhalten die Gegendemonstrationen jedoch noch nicht den Charakter von Verhinderungsdemonstrationen' im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn bei wertender Betrachtung verfolgen die Gegendemonstranten mit ihrem Protest, der das Zurückdrängen der Demonstranten des Antragstellers durch eigene Aktivitäten einschließt, deutlich überwiegend ein Anliegen, das durch die Grundrechte der Meinungsäußerungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit geschützt ist.

Unter dem Motto Wir sind Stolberger, Nazis sind es nicht' beabsichtigen die Gegendemonstranten, friedlich dagegen zu protestieren, dass Stolberg in den Ruf einer Hochburg von Anhängern rechtsextremer Anschauungen gerät und ein bundesweites Negativimage dadurch erhält, dass Kräfte der rechtsextremen Szene die im Frühjahr 2008 in Stolberg erfolgte Tötung eines Jugendlichen aus Eschweiler durch einen ausländischen Jugendlichen dadurch ausnutzen, dass sie regelmäßig in Stolberg demonstrieren, jährlich einen Trauermarsch zum Tatort veranstalten und das Opfer des Verbrechens für sich als einen der Ihren vereinnahmen, um ihn als Märtyrer der extremen Rechten stilisieren zu können. Durch die Gegendemonstrationen soll demgegenüber der Öffentlichkeit bekundet werden, dass Stolberg kein Ort für Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Bestrebungen ist, sondern dass in dieser Stadt ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen stattfindet. Dies soll - wie schon im Vorjahr - durch die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten, darunter auch eines türkischen Vereins, veranschaulicht werden. Die Gegendemonstranten verfolgen damit ein legitimes versammlungsrechtliches Ziel, das naturgemäß einschließt, dass sich die Gegendemonstranten im Zentrum ihrer Stadt denen entgegenstellen, die durch eine eigene Demonstration nach Meinung der Gegendemonstranten den guten Ruf der Stadt Stolberg und das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen in ihr gefährden. Bei zusammenfassender Bewertung überwiegt damit das Bestreben der Gegendemonstranten, sich durch eine positive Darstellung ihrer Stadt gegen ein negatives Image im Sinne einer Hochburg rechtsextremer Kräfte zur Wehr zu setzen und dafür den öffentlichen Raum der eigenen Stadt zu nutzen, deutlich die (Neben-)Absicht, den Aktionsraum des Antragstellers und der von ihm angesprochenen Szene zurückzudrängen.

Davon ausgehend ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner zum Zweck der Herstellung praktischer Konkordanz mit der Auflage Ziffer 1 angeordnet hat, dass der Aufzug des Antragstellers nach der Kundgebung am Tatort einen Rückweg nördlich der Kreuzung Eschweiler Straße/Salmstraße/Auf der Mühle zu nehmen hat und nicht den bei Anmeldung der Versammlung geplanten und mit dem Hilfsantrag zu 1.b. im Klageverfahren 6 K 603/10 nochmals mit einer geringfügigen Modifizierung angemeldeten Rückweg über die Frankenthalstraße und die Rathausstraße nehmen darf.

Der dagegen im Wesentlichen erhobene Einwand des Antragstellers, durch die Verlegung des Rückweges nach Norden werde sein Aufzug in ein Gewerbe- bzw. Industriegebiet abgedrängt, in dem eine wirksame öffentliche Kommunikation nicht möglich sei, greift nicht durch. Der angeordnete Rückweg liegt nicht im Zentrum der Stolberger Innenstadt, wohl aber in der Innenstadt. Er führt nicht nur durch gewerbliche Ansiedlungen, sondern auch durch Wohnbereiche und Mischgebiete. Das so genannte Zentrum der Stolberger Innenstadt mit seiner Fußgängerzone in der Salmstraße befindet sich stellenweise nur wenige hundert Meter vom angeordneten Rückweg des Aufzugs des Antragstellers entfernt. Bei einer Gesamtschau wird der Antragsteller damit durch die Anordnung eines Rückwegs nördlich der Kreuzung Eschweiler Straße/Salmstraße/Auf der Mühle nicht in einen abgelegenen und - weil nicht öffentlichkeitswirksam - nicht für seinen Aufzug geeigneten Platz abgeschoben'. Eine andere Beurteilung ist nach der vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Anspruch auf die Zuweisung eines zentralen' Platzes nicht geboten, weil die Kleinräumigkeit der Stolberger Innenstadt bei der Vielzahl der für den 3. April 2010 angemeldeten Demonstrationen es dem Antragsgegner - wie anschließend ausgeführt wird - unmöglich macht, dem Antragsteller einen Rückweg über die zentrale Rathausstraße zu ermöglichen.

Der Antragsgegner hat aus tragfähigen Erwägungen entschieden, den Gegendemonstrationen den zentralen öffentlichen Raum entlang der Rathausstraße und der Salmstraße wie angemeldet zu überlassen. Er ist - wie bereits dargelegt - zu Recht zugunsten der Gegendemonstrationen davon ausgegangen, dass sie ein grundrechtlich geschütztes Anliegen verfolgen. Auch hat er sachlich vertretbar berücksichtigt, dass an den Gegendemonstrationen überwiegend Stolberger Bürger teilnehmen, deren Zahl die Zahl der Teilnehmer an der Demonstration des Antragstellers deutlich übersteigt und dem Antragsteller bereit anlässlich des Fackelmarsches am Karfreitag Zugang in das Zentrum der Innenstadt gewährt worden ist.

Angesichts der dadurch entstandenen räumlichen Verteilung der Demonstration des Antragstellers und der Gegendemonstrationen in der Stolberger Innenstadt ist die räumliche Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten entlang einer Ost-West-Linie in Höhe der Kreuzung Eschweiler Straße/Salm-straße/Auf der Mühle polizeitaktisch nachvollziehbar zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten. Ein Abweichen von diesem Konzept zugunsten des Antragstellers würde zwangsläufig zu einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen. Der dagegen vom Antragsteller erhobene Einwand, eine wirkliche Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen bestehe nicht, wenn Teilnehmer an seiner Demonstration auf Teilnehmer der Gegendemonstrationen treffen, ist - wie ebenfalls bereits dargelegt worden ist - nicht stichhaltig.

Schließlich kann der Antragsteller auch nicht mit dem Argument durchdringen, die Trennungslinie müsse zu seinen Gunsten nach Süden verschoben werden, weil er seinen Aufzugsweg stärker an dem Weg ausrichten wolle, den L. P. vor seiner Tötung gegangen ist. Dieses Anliegen wiegt nicht so schwer, dass es eine Änderung des polizeilichen Konzepts der räumlichen Trennung von Demonstration und Gegendemonstrationen, das der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dient, rechtfertigen könnte.

Schließlich spricht für die Verhältnismäßigkeit des gefundenen Ergebnisses, dass der Antragsteller trotz der verfügten Einschränkungen im Wesentlichen seine Versammlung wie geplant durchführen kann. Der Hinweg zum Tatort ist nicht geändert worden. Die Kundgebung am Tatort kann wie geplant durchgeführt werden. Der Rückweg führt - wie dargelegt - nicht durch ein abgelegenes Gewerbegebiet.

Spricht somit Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung, fällt auch die weitere Interessenabwägung zum Nachteil des Antragstellers aus. Das polizeiliche Konzept, die Veranstaltung des Antragstellers so weit einzuschränken, dass die Teilnehmer an der Versammlung des Antragstellers auch auf dem Rückweg zum Bahnhof Schneidmühle' konsequent von Gegendemonstranten getrennt werden, gewährleistet den nach Lage der Dinge schonendsten Ausgleich der betroffenen Interessen, der aber auch erforderlich ist, um der nahe liegenden Gefahr einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Teilnehmern an der Versammlung des Antragstellers und Gegendemonstranten zu verhindern. Dies gilt - wie bereits dargelegt - sowohl für den ursprünglich vom Antragsteller geplanten Aufzugsweg wie auch für den im vorliegenden Verfahren mit dem Hilfsantrag beanspruchten Aufzugsweg über die Jordanstraße/Blaustraße zum Mühlener Bahnhof.

Schwere Nachteile für den Antragsteller, die Anlass zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geben könnten, sind nicht ersichtlich.

An der im Eilverfahren vertretenen und im Einzelnen begründeten rechtlichen Beurteilung hält das Gericht auch im hier zu entscheidenden Hauptsacheverfahren fest. Das Klagevorbringen enthält keine wesentlich neuen Argumente, die zu einer für den Kläger günstigeren Beurteilung Anlass geben könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 161 Abs. 2 der VwGO. Soweit die Klage abgewiesen worden ist, hat der Kläger die Hälfte der Kosten gemäß § 154 Abs. 1 § VwGO zu tragen. Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, haben Kläger und Beklagter gemäß 161 Abs. 2 VwGO jeweils ein Viertel der Kosten zu tragen; dies entspricht der Billigkeit, weil bezüglich der Auflage zu 2. der Beklagte unter Hinweis auf einen Schreibfehler bereits im Eilverfahren 6 L 125/10 nachgegeben und sich damit zu Recht in die Rolle des Unterlegenen begeben hat, und weil bezüglich der Auflage zu 4. nach Erörterung der Sach- und Rechtslage der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage zu 4. mit Blick auf den im Parallelverfahren 6 K 602/10 geschlossenen Vergleich nicht weiter verfolgt hat. ..."

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Eine von einem NPD-Kreisverband anlässlich eines Fußball-Länderspiels geplante Versammlung darf wegen unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verboten werden, wenn aufgrund des vom Veranstalter als zentral und unverzichtbar bezeichneten Mottos "Weiß ist nicht nur eine Trikotfarbe - für eine echte deutsche Nationalmannschaft" konkret zu erwarten ist, dass durch Teilnehmer und Redner der Versammlung der Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB verwirklicht wird, indem Deutsche anderer Hauptfarbe bzw. mit Migrationshintergrund in böswilliger und verächtlich machender Weise als nicht zur deutschen Nation gehörend ausgegrenzt werden (VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 25.03.2011 zu 5 L 266/11.NW zu Art 5 Abs 1, 5 Abs 2, 8 GG, § 130 Abs 1 Nr 1, Nr 2 StGB u.a.):

... Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage liegen die in § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersammlG - normierten Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot vor. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist. Hier besteht eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, weil aufgrund des - von Antragstellerseite als zentraler und unverzichtbarer Inhalt der Versammlung bezeichneten - Mottos konkret zu erwarten ist, dass durch Teilnehmer und Redner der Versammlung der Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB verletzt werden wird. Die Antragsgegnerin hat in der angefochtenen Verfügung in ohne Weiteres nachvollziehbarer und rechtlich überzeugender Weise dargelegt, dass das Versammlungsmotto - nach Wortlaut, sprachlichem Kontext und den konkreten Begleitumständen - hier nur so verstanden werden kann, dass der Begriff weiß" für Angehörige einer weißen Rasse" steht und somit Deutsche anderer Hautfarbe bzw. mit Migrationshintergrund in böswilliger und verächtlich machender Weise als nicht zur deutschen Nation gehörend ausgrenzen will.

Eine andere Deutung scheidet unter den vorliegenden Umständen aus. Der Zusammenhang mit dem am 26. März stattfindenden Fußball-Länderspiel Deutschland-Kasachstan in Kaiserslautern, der Umstand, dass derzeit in der Öffentlichkeit keine aktuellen Korruptions-Skandale im Fußballsport diskutiert werden und vor allem die Angaben des für die Versammlung auf Antragstellerseite Verantwortlichen im Kooperationsgespräch mit der Antragsgegnerin lassen an der rassistisch-diskriminierenden Absicht des Mottos, das außerdem auch eine echte" deutsche Nationalmannschaft fordert und damit zusätzlich deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund ausgrenzen will, keine Zweifel aufkommen. Auf die ausführlichen zutreffenden Gründe des Bescheides, die die Kammer sich zu Eigen macht, wird daher Bezug genommen.

Dass das Landgericht Berlin den Bundesvorsitzenden der NPD in Bezug auf die Verwendung eines ähnlichen Mottos in einem Druckwerk, - einem sog. WM-Planer anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 - kürzlich vom Vorwurf der Volksverhetzung - noch nicht rechtskräftig - freisprach, stellt die Richtigkeit der Deutung des Versammlungsmottos und der damit verbundenen Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB im vorliegenden Fall nicht in Frage, denn die maßgebenden Umstände sind nicht vergleichbar. Der Veranstaltungsleiter des Antragstellers hat es im Übrigen im Kooperationsgespräch abgelehnt, den Inhalt des bei der Versammlung auch geplanten Redenbeitrags dieses Bundesvorsitzenden näher zu beschreiben, und damit die Gelegenheit versäumt, die berechtigten Befürchtungen der Antragsgegnerin in Bezug auf volksverhetzende, rassistische Äußerung zu zerstreuen.

Die Verbotsverfügung steht somit in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und missachtet nicht den hohen Rang, der dem Schutz der Grundrechte auf Meinungsfreiheit und auf Versammlungsfreiheit (Art. 5 und Art. 8 Grundgesetz) im Rechtsstaat zukommt. Der Staat schützt die Versammlungsfreiheit als Bürgerrecht, um Bürgerfreiheiten zu sichern und die Demokratie funktionsfähig zu halten. Die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit gilt gerade auch für Minderheiten und ihre Meinung, solange die Meinungsäußerung nicht gegen Strafrechtsnormen verstößt. Daher weist das Bundesverfassungsgericht zur Auslegung des Art. 5 Abs. 1 und 2 GG immer unmissverständlich darauf hin, dass auch im Rahmen von Versammlungen für den Inhalt von Aussagen - u. a. das Motto einer Versammlung und etwa zu erwartende Äußerungen von Versammlungsteilnehmern - gilt, dass die Bürger grundsätzlich auch frei sind, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern, und dass Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung ihre Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken finden, auch dann, wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt" (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 23. April 2004 - 1 BvQ 19/04-, BVerfGE 111, 147, Leitsatz 2; w. Nachw. zur Rechtsprechung des BverfG in den Gründen der Entscheidung).

Wenn aber - wie hier - durch die betroffenen Inhalte der zu erwartenden Meinungsäußerungen der Straftatbestand des § 130 StGB erfüllt wird, greifen diese Schranken ein und der Antragsteller kann sich demgegenüber nicht mehr auf den Schutz der Grundrechte des Art. 5 und Art. 8 GG berufen. Denn wenn die Meinungsäußerung die Menschenwürde eines anderen antastet, ist für eine Abwägung kein Raum mehr. In einem solchen Fall muss die Meinungsfreiheit stets zurücktreten (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2010, 1 BvR 369/04, NJW 2010, 2193).

Da das Motto für den Antragsteller unverzichtbar ist, wie sein Vertreter erklärt hat, kamen mildere Mittel wie etwa versammlungsrechtliche Auflagen nicht in Betracht. Auch das weiter in der Verfügung ausgesprochene Verbot von Ersatzveranstaltungen (d.h. Veranstaltungen unter dem gleichen oder einem ähnlichen, ebenfalls strafrechtlich relevanten Motto) an einem anderen Ort im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin ist nach alledem nicht zu beanstanden. ..."

***

... I. 1. Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragsteller entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragsteller gegen Ziffer 1., 2.9 und 2.11 des angegriffenen Bescheids mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Insoweit erweist er sich aller Voraussicht nach als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

2. Bei rechtsbeschränkenden Eingriffen bei Versammlungen gelten folgende Voraussetzungen: Erstens muss jede einzelne Anordnung eine Rechtsgrundlage haben, zweitens steht die Anordnung der Behörde, falls sie nicht schon zwingend von Gesetzes wegen zu treffen ist, im Ermessen der Behörde, drittens ist diese Ermessensentscheidung - wie jede Ermessensentscheidung - fehlerfrei zu treffen, aber auch zu begründen.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 18. März 2011 betreffend die Kürzung der beantragten Wegstrecke als rechtswidrig.

Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Dem dient die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten. Lässt ein angefochtener Bescheid entgegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG nicht erkennen, welche Gesichtspunkte für die Ermessensentscheidung maßgeblich waren, ist von einem materiellen Ermessensmangel auszugehen, denn Ermessen ist nicht zu beachten', sondern im Einzelfall auszuüben (BayVGH, B.v. 26.02.2009, Az: 4 CS 08.3123). Ausnahmen vom Begründungserfordernis, die sich nur aus dem Gesetz ergeben können, sind vorliegend nicht ersichtlich. Angesichts der hohen Bedeutung der Begründung einer Ermessensentscheidung ist erforderlich, dass jede einzelne konkrete Anordnung begründet wird, eine pauschale Begründung für die Gesamtheit der Beschränkungen reicht nicht aus.

Aufgrund dessen ist es bereits sehr fraglich, ob die angeordnete Routenänderung allein durch den Hinweis auf die erhebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Personennahverkehrs als ausreichend begründet angesehen werden kann. Jedenfalls genügt sie in der Sache nicht, um die Auflage gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG zu begründen. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 BayVersG vorliegt. Wegen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit gelten strenge Anforderungen für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose. Die mit der Formulierung der erkennbaren Umstände' bezeichnete Prognosebasis setzt tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus, bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht (BVerfG, B.v. 26.01.2001, NJW 2001, 1404). Der Prognosemaßstab der unmittelbaren Gefährdung' erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnis oder Tatsachen zu der nun geplanten Veranstaltung. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 01.05.2001, NJW 2001, 2078).

Vorliegend fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Zwar zählt die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Inwieweit hier aber, wie von Art. 15 Abs. 1 BayVersG gefordert, eine unmittelbare Gefährdung vorliegt, ist nicht konkret dargelegt. Auch in ihrer Stellungnahme vom 21. März 2011 beruft sich die Antragsgegnerin lediglich pauschal auf die zu befürchtenden Beeinträchtigungen des öffentlichen Personennahverkehrs, insbesondere angesichts der beabsichtigten Zeitschiene, die mit dem Berufsverkehr kollidiert. Es wird allerdings nicht nachvollziehbar dargelegt, worin diese Beeinträchtigungen im Einzelnen bestehen sollen (z.B. welche Linien betroffen sind oder mit welchen Verspätungen zu rechnen ist). Auch aus der E-Mail der ... ergibt sich hierzu nichts, die sich ebenfalls lediglich pauschal auf massive Beeinträchtigungen beruft.

Bei der Wahl ihres Vorgehens ist von der Versammlungsbehörde zudem zu beachten, dass dem Veranstalter durch Art. 8 Abs. 1 GG die grundsätzliche Befugnis eingeräumt ist, über Ort, Zeitpunkt, Dauer und Art der Veranstaltung selbst zu entscheiden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 27.01.2006, Az: 1 BvQ 4/06, NVwZ, 2006, 586). Dieses Selbstbestimmungsrecht gilt zwar nicht uneingeschränkt. Bei der Beeinträchtigung öffentlicher Straßen und Flächen durch eine Versammlung ist allerdings auch maßgeblich auf den Widmungszweck derselben abzustellen. Bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt, kommen Einschränkungen aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Vorsaussetzungen in Betracht (vgl. VGH Kassel, B.v. 31.07.2008, Az: 6 B 1629/08). Dies gilt hier umso mehr, als hier wohl vornehmlich nicht die Sicherheit, sondern lediglich die Leichtigkeit des Straßenverkehrs beeinträchtigt wird. Verkehrsbeeinträchtigungen, die sich zwangsläufig aus der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke ergeben, sind grundsätzlich hinzunehmen. Derartige Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeiden lassen, werden Dritte grundsätzlich zu ertragen haben. Die zuständige Behörde hat im Sinne praktischer Konkordanz für einen möglichst schonenden Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu sorgen.

Soweit die Antragsgegnerin auf Erfahrungen aufgrund der Montagsspaziergänge' abstellt, so ist bereits nicht dargelegt, ob es sich hierbei um eine mit der vorliegenden vergleichbare Versammlung handelt. So ist insbesondere nicht dargelegt, welche Teilnehmerzahlen bei den Montagsspaziergängen' vorherrschen und für welche Dauer die Straßenbahnstrecke in Anspruch genommen wird.

3. Auch die Ziffer 2.9 des angegriffenen Bescheids erweist sich als voraussichtlich rechtswidrig. Unabhängig davon, dass die geforderte Ordnerzahl von sieben Ordnern bis zu einer Teilnehmerzahl von 100 Personen sowie ein weiterer Ordner pro zusätzlich angefangener 20 Teilnehmer vom Üblichen deutlich nach oben abweicht (vgl. z.B. Urteil der erkennenden Kammer vom 12.03.2009, Az: W 5 K 08.1758; BayVGH, B.v. 23.10.2008, Az: 10 ZB 07.2665) enthält der Bescheid bezüglich dieser Anordnung keinerlei Begründung. Weder ist dargelegt, warum überhaupt Ordner erforderlich sein sollen, noch warum sie in einer derart hohen Zahl notwendig sein sollen. Damit liegt in formeller Hinsicht ein Verstoß gegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG vor, wobei wohl zudem von einem Ermessensausfall auszugehen ist.

4. Gleiches gilt für die Anordnung in Ziffer 2.11 des Bescheids der Antragsgegnerin.

Darüber hinaus ist hier bereits problematisch, ob für diese Anordnung die Rechtsgrundlage des Art. 13 Abs. 6 BayVersG herangezogen werden kann. Denn danach hat der Veranstalter der zuständigen Behörde auf Anforderung die persönlichen Daten eines Ordners nur dann mitzuteilen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Zudem besteht im Hinblick auf die bundesrechtliche Lage, bei der die Nennung von Name und Anschrift grundsätzlich als zulässig angesehen wird, keine Vergleichbarkeit. Denn auf Bundesebene verlangt § 18 Abs. 2 VersG eine Genehmigung für die Ordner. Eine vergleichbare Regelung gibt es im Bayerischen Versammlungsgesetz nicht. Unabhängig davon ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fraglich, ob die Versammlungsbehörde auch das Geburtsdatum der Ordner verlangen kann. ..." (VG Würzburg Beschluss vom 21.03.2011 - W 5 S 11.219)

***

... Beschränkungen der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung greifen regelmäßig in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ein. Das gilt insbesondere wenn, wie vorliegend, versammlungstypische Äußerungsformen, wie Aufrufe, gemeinsame Lieder oder Transparente oder die Verwendung von öffentlichkeitswirksamen Symbolen wie Fahnen behindert bzw. untersagt werden. Beschränkungen in der Kombination des Inhalts und der versammlungsspezifischen Ausdrucksformen von Meinungen greifen zudem in die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG ein.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671 und juris, RdNr. 14 ff. ...

Der unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit ist inhaltsgleich mit dem des allgemeinen Polizeirechts; er umfasst die Individualrechtsgüter Dritter, die Integrität der Rechtsordnung, Bestand- und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie die tragenden Prinzipien seiner verfassungsmäßigen Ordnung.

Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Mehrheitsanschauungen allein reichen zur Bestimmung des Gehalts der öffentlichen Ordnung nicht. Art. 8 GG ist für die Freiheitlichkeit der demokratischen Ordnung besonders wichtig als Minderheitenschutzrecht. Die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG ist daher auch bei der Bestimmung der Reichweite des Begriffs der öffentlichen Ordnung zu berücksichtigen.

Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es hiernach, dass § 15 VersG gemäß § 20 VersG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, darunter auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung, erlaubt, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen. So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, die ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Die öffentliche Ordnung kann auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag/Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen. Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. In solchen Fällen ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu klären, durch welche Maßnahmen die Gefahr abgewehrt werden kann. Dafür kommen in erster Linie Auflagen in Betracht. Reichen sie zur Gefahrenabwehr nicht aus, kann die Versammlung verboten werden.

In Übereinstimmung mit der (strafgerichtlichen) Rechtsprechung stellen allein Aussagen wie Deutschland den Deutschen' bzw. Deutschland uns Deutschen' regelmäßig selbst dann keinen Angriff auf die Menschenwürde der in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Ausländer dar, wenn sie im Kontext mit der weiteren - vorliegend mangels Anfechtung nicht streitbefangenen - Aussage Ausländer raus' stehen. ...

Wie ausgeführt entspricht es gesicherter verfassungsrechtlicher Rechtsprechung, dass die öffentliche Ordnung als Grundlage beschränkender Verfügungen ausscheidet, soweit sie im Inhalt von Äußerungen gesehen wird. Überschreiten - wie hier - die zu erwartenden Meinungsäußerungen nicht die Schwelle der Strafbarkeit, sind beschränkende Verfügungen nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich die prognostizierte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, a.a.O, juris, RdNr. 30 ff. ...

Denn das gemeinsame laute Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische Ausdrucksform, die am Schutz der Versammlungsfreiheit teilhat. Mit der Bedeutung der Versammlungsfreiheit wäre es zu Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar, bereits aus derartigen Formen gemeinsamer Meinungskundgabe, wie dem lauten gemeinsamen Rufen oder Skandieren sowie der Verwendung von Transparenten oder Flugblättern, jene versammlungsspezifischen Wirkungen ableiten zu wollen, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die öffentliche Ordnung zu rechtfertigen. Von Verfassungs wegen muss für die Zulässigkeit der Beschränkung durch Auflagen das in § 15 Abs. 1 VersG formulierte Erfordernis erfüllt sein, dass die öffentliche Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren, zu der Nutzung versammlungstypischer Kundgabeformen hinzutretenden Umständen durch die Art und Weise der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, a.a.O., juris, RdNr. 38. ...

Die Kammer folgt allerdings der vom OVG Berlin wiederholt

vgl. Beschluss vom 30. April 2004 - OVG 1S 27.04 -

vertretenen Auffassung, dass eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Ordnung bei einem massenweisen Verwenden von Fahnen bei öffentlichen Aufzügen besteht, wenn dadurch die Erinnerung an nationalsozialistische Aufmärsche hervorgerufen wird. Denn ebenso wie das Tragen von Waffen und Uniformen als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung wegen ihrer damit demonstrierten organisierten Gewaltbereitschaft verboten sind (§§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 1 VersG), sind auch andere Formen martialischen Auftretens wegen des dadurch erzeugten Klimas der Gewaltbereitschaft und der damit verbundenen, den inneren Frieden gefährdenden Einschüchterung der Bevölkerung nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt

OVG Berlin, Beschlüsse vom 11. März 2000 - OVG 1 SN 20.00/OVG 1 S 3.00 - und vom 30. April 2003 - OVG 1 S 30.03 -.

Gerade aber das Mitführen einer größeren Zahl von Fahnen, die nicht Länder-, Bundes- oder EU-Flaggen sind, sondern Symbole nichtstaatlicher Organisationen oder Gruppierungen, erscheint unter Berücksichtigung der sonstigen äußeren Umstände eines Demonstrationszuges wie des vorliegend streitigen geeignet, den martialischen Eindruck auf Dritte besonders zu betonen. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie hier - schwarz-weiß-rote Fahnen neben NPD-Fahnen als eindeutigen Symbolen rechtsextremistischen Gedankengutes mitgeführt werden sollen und jedenfalls aus dieser Kombination heraus Assoziationen zu nationalsozialistischen Aufmärschen erwachsen. Dieser Gefahr kann durch die vom Antragsgegner ausgesprochene Beschränkung der Zahl der mitgeführten Fahnen begegnet werden. Durch die Beschränkung auf drei Fahnen für eine Demonstration von bis zu 150 Teilnehmer sowie eine weitere Fahne für jeweils 50 weitere Teilnehmer ist aber auch hinreichend gewährleistet, dass die Antragstellerin ihr Demonstrationsanliegen zum Ausdruck bringen kann.'

Mit einer solchen Situation ist die vorliegend in Rede stehende, eher unbedeutende stationäre Kundgabe vom 8. Oktober 2008 nicht vergleichbar.

Angesichts der nicht dargelegten Gefährdung der öffentlichen Ordnung/Sicherheit ist unerheblich, ob das Versammlungsanliegen des Klägers auch mit nur einer Fahne verwirklicht werden konnte. Vielmehr ist angesichts des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters unter den hier gegebenen Umständen eine zahlenmäßige Beschränkung auf faktisch nur eine Fahne des Klägers verfassungsrechtlich nicht haltbar.

(Auch) die Frage, unter welchen Umständen und in welcher Form eine (andere) zahlenmäßige Beschränkung der Fahnen des Klägers rechtmäßig verfügt werden könnte, ist nur unter Würdigung der jeweiligen spezifischen Besonderheiten einer jeden Versammlung einzelfallbezogen zu beurteilen und vorliegend nicht abstrakt zu entscheiden.

3. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist schließlich nicht hinreichend belegt, soweit unter Ziff. 3 Abs. 5 des Bescheides der Gebrauch nationalsozialistischen Propagandajargons' u.a. verboten worden ist.

Diese Auflage wurde in dem Bescheid vom 6. Oktober 2008 nicht konkret begründet. Soweit der Beklagte diese in der Klageerwiderung - nachvollziehbar - in Zusammenhang mit den übrigen in Ziff. 3 verfügten Auflagen stellt und damit wiederum als zur Verhinderung eines Einschüchterungs-/Provokationseffekts notwendig gewertet wissen will, fehlt es auch insoweit an einer entsprechenden Tatsachengrundlage, dass ein solcher Effekt angesichts der hier in Rede stehenden Versammlung eintreten könnte, also derartige Gefahren konkret zu befürchten waren.

Die spezifischen Umstände der vorliegenden Veranstaltung sprechen wiederum eindeutig gegen die Tragfähigkeit eine solchen Prognose.

Darüber hinaus bestehen durchgreifende Bedenken an der Bestimmtheit der Regelung.

Das Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG erfordert, dass die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung in der Sache selbst hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei sein muss. Der Entscheidungsinhalt muss in diesem Sinne für den Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich sein und den Adressaten in die Lage versetzen, zu erkennen, was genau von ihm gefordert wird bzw. was in der ihn betreffenden Sache geregelt oder verbindlich durch den Verwaltungsakt gefordert wird.

Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. März 2006 a.a.O., juris, RdNr. 8.

Was im Einzelfall unter einem nationalsozialistischen Propagandajargon' bzw. unter nationalsozialistisch geprägter Begriffe' und einer sinnunterstützende Sprechweise, die an nationalsozialistische Demagogen erinnert', konkret zu verstehen ist, ist schwerlich in diesem Sinne hinreichend eindeutig, auch wenn dem Beklagten darin zuzustimmen ist, dass bei dem Kläger bzw. seinem Vorsitzenden als Versammlungsleiter ein entsprechendes Wissen über den einschlägigen Propagandajargon' und über die Sprechweise der Nazidemagogen vorausgesetzt werden kann.

Insoweit muss zudem wiederum beachtet werden, dass die Grenze für Meinungsäußerungen allein die allgemeinen (Straf-) Gesetze bilden. Solche Meinungskundgaben können nach den oben (unter 1.) aufgezeigten Grundsätzen im Vorfeld einer Versammlung nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen untersagt werden. Soweit nicht ausnahmsweise durch die Art und Weise der Art der Äußerungen Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung begründbar sind - was hier nicht hinreichend belegt ist -, ist es um so weniger möglich, im Vorfeld einer Versammlung tatsachengestützt zu beurteilen, ob bestimmte Äußerungen einen strafbaren nationalsozialistischen Propagandajargon' beinhalten oder eine sinnunterstützende Sprechweise' strafrechtsrelevant an Nazi-Demagogen erinnert', zumal es gerade auf die konkrete Äußerungsweise in der Versammlung ankommt.

Da der Beklagte mithin keine hinreichenden Tatsachen oder sonstige Erkenntnisse benannt hat, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit erwarten ließen, durften (auch) derartige unkonkretisierte Äußerungen nicht vorab durch Auflagen untersagt werden und ist der Beklagte bei einem etwaigen Tätigen derartiger Äußerungen in der Versammlung ggf. auf eine nachträgliche Strafverfolgung und/oder auf eine Auflösung der Versammlung zu verweisen. Wegen der Rechtswidrigkeit der Auflage in Ziff. 3. Abs. 5 kann offen bleiben, ob dadurch auch bestimmte Gestiken' von Nazidemagogen verboten worden sind, oder nicht. ..." VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.05.2010 - 14 K 5459/08

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Nach der gegenwärtigen Rechtslage besteht in Hessen für das Verlangen der Versammlungsbehörde, der Versammlungsleiter möge ihr innerhalb einer bestimmten Frist personenbezogen Daten derjenigen, die als Ordner bestellt werden sollen, mitteilen, keine Ermächtigung ( VG Gießen, Beschluss vom 30.07.2009 - 10 L 1583/09.GI zu §§ 15 I , 18 II, 9 VersammlG):

... I. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen versammlungsrechtliche Auflagen.

Mit Schreiben an die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2009 meldete der stellvertretende Landesvorsitzende des Antragstellers für diesen eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel als Aufzug unter dem Motto Deutsche wehrt euch gegen Islamisierung und Überfremdung!' für Sonnabend, den 1. August 2009, 15.00 bis 19.00 Uhr, im Stadtgebiet der Antragsgegnerin an (Bl. 11 f. d.A.). Hierbei wurde, ausgehend von etwa 150 Teilnehmern, die Verwendung von sechs bis acht Ordnern (ein Ordner je 25 Teilnehmer) beantragt; zu diesen hieß es weiter, sie würden gemäß den gesetzlichen Bestimmungen weiße Armbinden mit schwarzem Aufdruck Ordner' tragen, ... sind volljährig und unbewaffnet und nur ehrenamtlich tätig'.

Am 8. Juli 2009 fand ein Kooperationsgespräch zwischen den Beteiligten statt.

Die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin ordnete durch Verfügung vom 17. Juli 2009 (Bl. 13 - 25 d.A.) verschiedene Auflagen an, darunter:

6. Das Tragen von dunklen Springerstiefeln, Bomberjacken (schwarz, blau, militärgrün, dunkelblau) und militärischer Kopfbedeckung einzeln oder in Verbindung sowie sonstiger einheitlicher Kleidungsstücke ist als Tragen uniformähnlicher Kleidungsstücke zum Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung anzusehen und somit untersagt. Das gleichzeitige Tragen von Sonnenbrillen und Kapuzen ist untersagt. ...

12. Der Versammlungsbehörde sind bis spätestens Freitag, den 31.07.2009, 10.00 Uhr, vorgesehene Musikgruppen, Liedermacher oder Tonträger und Redner namentlich zu benennen. Weiterhin sind zum genannten Termin die zum Vortrag kommenden Liedtexte der Musikgruppen/Liedermacher/Tonträger zur inhaltlichen Prüfung zu übergeben. ...

14. Durch den Veranstalter ist pro zwanzig Teilnehmer ein Ordner einzusetzen. Die zum Einsatz kommenden Ordner sind entsprechend den Bestimmungen des Versammlungsgesetzes zu kennzeichnen (weiße Armbinde mit der Aufschrift Ordner'). Die Ordner sind durch den Versammlungsleiter in Anwesenheit der Polizei und der Versammlungsbehörde vor Ort in ihre Aufgaben einzuweisen und über ihre Rechte und Pflichten zu belehren. Die Ordner müssen volljährig und im Besitz eines gültigen Personalausweises sein, der auf Verlangen vorzulegen ist. Zur Überprüfung der Zuverlässigkeit der zum Einsatz kommenden Ordner ist bis zum 31.07.2009, 10.00 Uhr, eine Liste mit den tatsächlich zum Einsatz kommenden Ordnern mit Angabe der Namen, Vornamen und Wohnanschrift zu übergeben.'

Zugleich wurde die sofortige Vollziehung angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen angeführt, andernfalls könnten die Auflagen wegen der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs unterlaufen werden.

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 24. Juli 2009 (Bl. 3 f. d.A.) ließ der Antragsteller Widerspruch gegen die Auflagen Nr. 6, 12 und 14 einlegen und zugleich begründen.

Am 29. Juli 2009 ist bei dem Verwaltungsgericht Gießen die Antragschrift vom 28. Juli 2009 in vollständiger Fassung einschließlich Unterschrift eingegangen, mit der der Antragsteller sinngemäß die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beantragt. Gegenüber dem Gericht hat der Bevollmächtigte des Antragstellers am 29. Juli 2009 telefonisch klargestellt, dass der Widerspruch sich hinsichtlich der Auflage Nr. 6 nur auf deren Satz 2 beziehe (Vermerk auf Bl. 33R d.A.).

Durch Verfügung vom 29. Juli 2009 (Bl. 37 f. d.A.) änderte die Antragsgegnerin die Nr. 6 ihrer Verfügung wie folgt:

Zu 6. Der letzte Satz Das gleichzeitige Tragen von Sonnenbrillen und Kapuzen ist untersagt' wird gestrichen. Bei dieser Entscheidung geht die Versammlungsbehörde davon aus, dass die Teilnehmer der Demonstration bemüht sind, einen Vermummungscharakter zu vermeiden.'

Zugleich wurde in den Auflagen Nr. 12 und 14 der Zeitpunkt auf Sonnabend, 1. August 2009, 10.00 Uhr, geändert.

Der Antragsgegnerin ist vom Gericht Gehör gewährt worden.

II. Auf den Antrag des Antragstellers ist die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs - soweit ihm nicht abgeholfen wurde, also gegen die Auflagen Nr. 12 und 14 in der Verfügung der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2009 in der Fassung der Änderungen vom 29. Juli 2009 - wiederherzustellen (1.), wobei die Kosten der Antragsgegnerin zur Last fallen (2.) und der Streitwert auf die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts festzusetzen ist (3.).

1. Der Antrag, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragsstellers vom 24. Juli 2009 gegen die Auflagen Nr. 12 und 14 der ordnungsbehördlichen Verfügung der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2009 wiederherzustellen, ist begründet, denn diese Verfügung erweist sich nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Betrachtung und unter Orientierung an den - mangels anderer gesetzlicher Vorgaben hier entsprechend heranzuziehenden - Kriterien des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO als offensichtlich rechtswidrig.

a. Die Auflage Nr. 12, durch die Mitteilungspflichten begründet werden sollen, verkennt das von Verfassungs wegen bestehende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters zu denjenigen Vorkehrungen, mit denen er die beabsichtigte kommunikative Wirkung zu erreichen gedenkt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2007 - 1 BvR 1423/07 -, Absatz-Nr. 23 m.w.N.). Irgendwelche Umstände dafür, dass der Antragsteller beabsichtige, musikalische oder sonstige Darbietungen strafbaren Inhalts zu präsentieren, trägt die Antragsgegnerin nicht vor. Soweit die Antragsgegnerin eine Vorfeldüberprüfung des beabsichtigen Programms durchführen möchte, fehlt dafür die notwendige gesetzliche Grundlage und intendiert die Verfügung ein Genehmigungserfordernis, das schlicht nicht besteht.

b. Die Auflage Nr. 14 beruht auf einem Fehlverständnis von Aufgaben und Funktion von Ordnern.

Ordner dienen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 1 VersammlG dem Versammlungsleiter - nicht der Versammlungsbehörde oder der Polizei - zur Durchführung seiner Rechte aus § 8 VersammlG. Die allgemeinen Anforderungen an ihre Personen bestimmt § 9 Abs. 1, § 2 Abs. 3 VersammlG; werden darüber hinaus anlassbezogen besondere Voraussetzungen aufgestellt, bedürften diese einer spezifizierten Begründung. Kann der Versammlungsleiter eine unmittelbar Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung des Aufzugs auch mit Hilfe seiner Ordner nicht abwenden, bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, die Versammlung oder den Aufzug nach § 15 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 VersammlG aufzulösen. Eine Rechtspflicht, personenbezogene Daten derjenigen, die - in dem erforderlichen Umfang - als Ordner bestellt werden sollen, der Versammlungsbehörde zu übermitteln, um dieser eine Überprüfung dieser Personen im Wege des Datenabgleichs o.ä. zu ermöglichen, enthält das -ungeachtet des Übergangs der Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Gesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034) in Hessen fortgeltende - Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789) mit nachfolgenden Änderungen - FNA 2180-4 - nicht. Bezeichnenderweise besteht nach § 9 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 VersammlG auch nur die Verpflichtung, die Zahl der ... bestellten Ordner ... auf Anfordern mitzuteilen' und kann die Polizei die Zahl ... angemessen beschränken'; abgestellt wird damit auf das Quantum, nicht die Qualität. Umstände, die es im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung vom 17. Juli 2009 oder ihrer Änderung am 29. Juli 2009 ausnahmsweise hätten rechtfertigen können, über die vom Antragsteller in seiner Anmeldung vom 7. Mai 2009 gemachten Angaben hinaus weitere Angaben zu den Personen der Ordnern zu verlangen, sind weder von der Antragsgegnerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Hierzu bedürfte es konkreter Tatsachen, die annehmen ließen, die Ordner seien nicht ehrenamtlich tätig oder entsprächen nicht den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 VersammlG. Für derartige Feststellungen ist indes derzeit nichts erkennbar.

Soweit andere gesetzliche Befugnisse unter den dort bestimmten Voraussetzungen eine Identitätsfeststellung der Ordner ermöglichten, bliebe es diesen Personen ebenso unbenommen, sich hierzu ihrer Personalausweise zu bedienen, wie sie auf Verlangen einer zur Prüfung der Personalien ermächtigten Behörde vorzulegen wären. Eine Rechtspflicht zum ständigen Mitführen von Personalausweisen besteht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über Personalausweise aber gerade nicht und darf auch nicht zum Zwecke der Vereinfachung des Verwaltungshandelns angeordnet werden.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, weil sie unterlegen ist.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, 2 GKG. Dabei legt das Gericht den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5 000 Euro zugrunde, ermäßigt diesen aber in Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes handelt, auf die Hälfte. ..."

***

... Der Kläger wehrt sich gegen einen erledigten Verwaltungsakt. Denn die vom Beklagten erteilten Auflagen entfalten nach Durchführung der Versammlung, für die die Auflagen bestimmt waren, aufgrund Zeitablaufs keine Rechtswirkung mehr.

In diesen Fällen der vorprozessualen Erledigung ist in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 1245/00 - , NJW 2000, 3051 [BVerfG 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00] ; BVerwG, Urteil vom 23. März 1999 - 1 C 12/97 -, NVwZ 1999, 991.

Der Kläger zu 2. hat auch ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflagen bzw. von Teilen der Auflagen, die er mit der Klage angreift. Das Feststellungsinteresse ist bereits wegen der vom Kläger geltend gemachten Wiederholungsgefahr zu bejahen, nachdem der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich dargelegt hat, dass er - abgesehen von geringfügigen Abweichungen, die sich aus den jeweils angemeldeten Hilfsmitteln ergeben könnten - bei Aufzügen des Klägers zu 2. die mit dem Auflagenbescheid vom 30. Januar 2008 verfügten Auflagen - also auch die vom Kläger zu 2. für rechtswidrig gehaltenen Auflagen - im Prinzip stets wieder anordnen wird.

Dem Kläger kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass er es unterlassen hat, vor Durchführung der Versammlung um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen. Denn ungeachtet der auch im Eilverfahren gebotenen Prüfungsdichte, vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, und vom 3. März 2004 - 1 BvR 233, 461/03 -, BVerfGE 110, 77 ff. [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03] , kann der einstweilige Rechtsschutz ein Hauptsacheverfahren nicht ersetzen.

Schließlich ist die Klage des Klägers zu 2. nicht mit Blick auf § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig. Die nach dieser Norm erforderliche Klagebefugnis ist zwar nach allgemeiner Auffassung wie bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Sachurteilsvoraussetzung auch der Fortsetzungsfeststellungsklage.

Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Auflage, § 113 Rdnr. 125 m.w.N.

Der Kläger zu 2. ist als Adressat belastender Ordnungsverfügungen - als solche sind die beanstandeten Auflagen ausnahmslos zu qualifizieren - indessen zweifelsfrei klagebefugt, und zwar auch, soweit er bekundet hat, er habe einige der ihm untersagten Handlungen und Meinungsäußerungen ohnehin nicht beabsichtigt. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten, der Kläger zu 2. werde durch Auflagen, die er ohnehin befolgen wolle, selbst dann nicht beschwert', wenn sie rechtswidrig wären, entfällt durch das Bekunden des Adressaten einer Ordnungsverfügung, er habe die ihm durch die Ordnungsverfügung untersagten Handlungen und Meinungsäußerungen ohnehin nicht vornehmen wollen, weder die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO noch etwa das allgemeine Rechtsschutzinteresse für eine Klage. Nach allgemein anerkannter Auffassung führt der aus den Grundrechten als Freiheits- oder Abwehrrechte abzuleitende Anspruch auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang im Fall seiner Verletzung zu einem Anspruch des Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts auf Beseitigung des rechtswidrigen Eingriffs.

Vgl. von Albedyll in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 4. Auflage, § 42 Rdnr. 98.

Die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes in der Sache ist mit dem dargelegten Anspruch des Adressaten eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts unvereinbar und somit abzulehnen, und zwar insbesondere mit Blick auf versammlungsrechtliche Auflagen wie im vorliegenden Fall. Der Veranstalter einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG hat ein nachvollziehbares Interesse, sich gerichtlich gegen einschränkende Auflagen auch dann zu wehren, wenn sie keine der vom Veranstalter geplanten Meinungsäußerungen verbieten. Auch ein solches- aus der Sicht des Veranstalters der Versammlung überflüssiges - Verbot greift in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit des Veranstalters ein. Von versammlungsrechtlichen Auflagen, zu deren Anordnung die konkrete Versammlung keinen Anlass bietet, geht nämlich eine einschüchternde Wirkung aus. Potenzielle Versammlungsteilnehmer können durch die - unterstellt: unberechtigte - Auflagen von der Teilnahme an der Versammlung abgehalten werden. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, bleibt zugunsten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen, dass jede versammlungsrechtliche Auflage in Bezug auf den Leiter der Versammlung gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 2 VersG strafbewehrt und in Bezug auf die Versammlungsteilnehmer gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG bußgeldbewehrt. Je mehr Auflagen ergehen, deren Erlass durch die Versammlung nicht veranlasst ist, desto mehr werden der Versammlungsleiter, aber auch die Versammlungsteilnehmer - auch wegen der Befürchtung, dass ihnen später vielleicht zu Unrecht unterstellt wird, sie hätten gegen eine von Ihnen als unbestimmt empfundene Auflage verstoßen - in der freiheitlichen Ausübung ihrer Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit faktisch eingeschränkt. Schließlich beeinträchtigen unberechtigte Auflage die Außendarstellung des Veranstalters nachteilig, weil ein Durchschnittsbetrachter unterstellen wird, die Versammlungsbehörde habe sicherlich mit gutem Grund die Auflagen zur Verhinderung tatsächlich mit der Durchführung der Versammlung verbundener Gefahren angeordnet. Weil damit die Möglichkeit der Verletzung von Rechten des Veranstalters einer Versammlung durch rechtswidrige Auflagen aus den vorstehenden Gesichtspunkten immer gegeben ist, kann auch dem Kläger zu 2. nicht das Recht abgesprochen werden, in der Sache gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die von ihm für nicht erforderlich - weil nicht durch die konkrete Versammlung veranlasste - Auflage 9 rechtswidrig gewesen ist, soweit mit ihr das Absingen/Abspielen von Märschen oder Marschliedern verboten worden ist.

Die Klage ist auch begründet.

Die mit der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 30. Januar 2008 angeordneten Auflagen sind rechtswidrig gewesen, soweit der Kläger zu 2. sie mit der Klage beanstandet.

Bei dieser Entscheidung orientiert sich die Kammer an den vom Bundesverfassungsgericht zur Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit und zur Auslegung des § 15 VersG entwickelten Grundsätze

Vgl. VG Köln, Beschluss vom 9. November 2005 - Az. 20 L 1794/05 - , [...], m.N. der Rechtsprechung des BVerfG für die Zeit bis August 2005; vgl. ferner für den anschließenden Zeitraum: BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 2006 - 1 BvQ 4/06 -, NVwZ 2006, 586-588; vom 26. Januar 2006 - 1 BvQ 3/06 -, NVwZ 2006, 585- 586; vom 01. Dezember 2007 - 1 BvR3041/07 -, [...]; vom 25. März 2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907-2909; vom 7. November 2008 1 BvQ 43/08 -, [...].

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Der Begriff der unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. fast mit Gewissheit' zu erwarten ist.

Vgl. BVerwG, Urteil 25. Juni 2008 - Az. 6 C 21/07 -, DVBl 2008, 1248 -1251, und [...].

Auch wegen der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind deshalb konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnr. 20.

Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zu Grunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, [...], Rdnr. 17.

Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG außerdem im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.

Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die öffentliche Ordnung durch die Art und Weise der Kundgabe einer Meinung verletzt werden, etwa durch ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. Art. 8 GG schützt zwar Aufzüge, nicht aber Aufmärsche mit paramilitärischen oder in vergleichbarer Weise aggressiven und einschüchternden Begleitumständen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90- 93, und [...], Rdnr. 24; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnr. 31.

Die vorstehenden Ausführungen bedürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings einer einschränkenden Auslegung dahingehend, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung als Grundlage beschränkender Verfügungen ausscheidet, soweit sie im Inhalt von Meinungsäußerungen gesehen wird.

Meinungsäußerungen sind in der pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes grundsätzlich frei, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Interesse des Rechtsgüterschutzes im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG Schranken der Meinungsfreiheit festgelegt. Das für ein demokratisches Gemeinwesen konstituierende Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein Recht insbesondere zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen.

Ermächtigungen zur Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten knüpfen n i c h t a n d i e G e s i n n u n g, s o n d e r n a n G e f a h r e n f ü r R e c h t s g ü t e r a n, die aus konkreten Handlungen folgen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in der Rechtsordnung, insbesondere in den Strafgesetzen, Meinungsäußerungen nur dann beschränkt, wenn sie zugleich sonstige Rechtsgüter - etwa die Menschenwürde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht - verletzen. Die Strafrechtsordnung ermöglicht die Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die etwa durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit, sodass die Ordnungsbehörden eine so begründete Gefahr regelmäßig wegen einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit - also gestützt auf § 15 Abs. 1 Alternative 1 VersG - abwehren dürfen, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen.

Vgl. zum Vorstehenden nochmals BVerfG, Beschlüsse vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90-93, und vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...].

Überschreiten die zu erwartenden Meinungsäußerungen nicht die Schwelle der Strafbarkeit, sind beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung - also auf § 15 Abs. 1 Alternative 2 VersG gestützt Verfügungen - jedoch nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich - wie bereits dargelegt wurde - die prognostizierte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der A r t u n d W e i s e d e r D u r c h f ü h r u n g d e r V e r s a m m l u n g ergibt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnrn. 20.

Davon ausgehend sind die vom Kläger zu 2. beanstandeten Auflagen bzw. Teile einzelner Auflagen im Auflagenbescheid des Beklagten vom 30. Januar 2008 rechtswidrig gewesen, weil der Beklagte - der seinen Auflagenbescheid auf die Prognose einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestützt hat - keine Tatsachen bezeichnet hat, die diese Prognose belegen.

Mit der Klageerwiderung hat der Beklagte klargestellt, dass die Mehrzahl der vom Kläger zu 2. beanstandeten Auflagen im Kern angeordnet worden sei, um die Wahrnehmung des Aufzugs als rechter Aufmarsch sowie das Eintreten der zu befürchtenden Einschüchterungseffekte bei Andersdenkenden zu verhindern.

Die Kammer neigt zu der Einschätzung, dass der Beklagte an einer Klarstellung und gegebenenfalls auch an der Ergänzung der Begründung des durch Zeitablauf erledigten Bescheids vom 30. Januar 2008 im Klageverfahren nicht unter dem Gesichtspunkt des Nachschiebens von Gründen gehindert ist, sofern das Wesen des Verwaltungsakts vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses nicht verändert wird, neue Tatsachen, die erst nach Erledigung entstanden sind, nicht zur Begründung herangezogen werden und der Kläger zu 2. durch die nachträgliche Begründung nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.

A.A. Kuntze in in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung , Kommentar anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 4. Auflage, § 114 Rdnr. 50.

Sie lässt letztlich jedoch offen, ob der Beklagte mit der Klageerwiderung in unzulässiger Weise Gründe nachgeschoben hat, weil die in der Klageerwiderung mitgeteilten Gründe nicht zu einer veränderten Beurteilung der Rechtmäßigkeit der mit der Klage beanstandeten Auflagen führen.

Dies vorausgeschickt hat der Beklagte auch bei Berücksichtigung der Klageerwiderung seine zentrale Prognose - auf die er den Bescheid vom 30. Januar 2008 ganz wesentlich gestützt hat -, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei gegeben, weil der vom Kläger zu 2. angemeldete Aufzug als rechter Aufmarsch wahrgenommen und der zu befürchtende Einschüchterungseffekt bei Andersdenkenden mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit eintreten werde, nicht durch konkrete Tatsachen nachvollziehbar belegt.

In der Klageerwiderung führt er hierzu aus, die Auflagen 9 bis 13, 16 und 17 seien als Gesamtheit zu sehen, weil auch das Erscheinungsbild des Aufzuges sich nicht in einzelne harmlose' Verhaltensweisen zerlegen lasse, sondern seine Wirkung auf die Öffentlichkeit in der Bündelung aller Einzelaktivitäten entfalte. Hier sei das Ganze eben mehr als die Summe der Teile. Das Marschieren in Blöcken, Zügen und Reihen, das Mitführen von Fackeln und Fahnen, das Schlagen von Trommeln, das Verwenden von Aufschriften mit Bezug zum Nationalsozialismus und insbesondere das Skandieren ausländerfeindlicher Parolen verdichte sich zu einem Gesamtbild, das einen Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeuge. Dieser nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Gefahr für die öffentliche Ordnung begründende herausgehobene Aspekt der Gesamtbetrachtung der einzelnen Verhaltensweisen sei bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auflagen 9 bis 13 sowie 16 und 17 zu Grunde zu legen.

Es fehlen jedoch belastbare Tatsachen dafür, dass mit dem vom Beklagten befürchteten worst-case-Szenario' tatsächlich zu rechnen war. Aus dem Bündel von Einzelaktivitäten, die im Zusammenwirken einen Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeugen würden, war konkret lediglich zu erwarten, dass schwarze Fahnen, Fackeln und Trommeln mitgeführt würden; dies war mit Sicherheit anzunehmen, weil der Kläger zu 2. diese Hilfsmittel im Anmeldungsschreiben vom 15. Januar 2008 angegeben hatte. Allerdings war der Kläger zu 2. bereit - und dies ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen -, die Zahl der Fackeln auf vier zu beschränken. Nach seiner hierzu erfolgten und unwidersprochen gebliebenen Klarstellung in der mündlichen Verhandlung hat er im Kooperationsgespräch den Vertretern des Beklagten erklärt, die vier Träger des Sarges sollten mit jeweils einer Hand den Sarg und mit der jeweils anderen Hand je eine Fackel tragen. Die Gewissheit, dass somit als Hilfsmittel vier Fackeln, schwarze Fahnen und Trommeln mitgeführt werden sollten, rechtfertigt für sich nicht die Prognose, diese Hilfsmittel erzeugten einen Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft.

Soweit der Beklagte bei Versammlungen des NPD-Kreisverbandes Düren generell das Zeigen schwarzer Fahnen untersagt, ignoriert er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das hierzu - bezogen auf eine vergleichbare Demonstration der NPD in Lübeck - schon im Jahr 2002 ausgeführt hat:

Das in der nach § 15 Abs. 1 VersG ergangenen Auflage enthaltene Verbot des Mitführens einer angemessenen Anzahl schwarzer Fahnen stellt einen offensichtlichen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG dar. Nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte für das Gefahrenpotential des Mitführens der Fahnen werden nicht angegeben. Dass schwarze Fahnen eine eindeutig auf den Nationalsozialismus bezogene Symbolik haben, ist allgemein ebenso wenig nachvollziehbar wie im konkreten Fall die Annahme, sie erhielten diesen Aussagengehalt durch das spezifische Erscheinungsbild des Aufzuges.

Tatsächliche Anhaltspunkte für die angenommene einschüchternde Wirkung des Mitführens der Fahnen oder für sonstige Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung werden ebenfalls nicht benannt. ........ Mit der von der Behörde und den Gerichten gegebenen Begründung könnte praktisch jede Versammlung rechtsextremistischer Veranstalter ohne konkreten Nachweis einer Gefahr unter Berufung auf § 15 VersG mit Auflagen versehen werden, selbst wenn diese das Versammlungsanliegen weitestgehend vereiteln. Die Auflage der Versammlungsbehörde beruht ohne nähere Begründung im Tatsächlichen auf der Behauptung einer Verletzung der öffentlichen Ordnung bei rechtsextremistischen Aufzügen. Könnten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit stets auf solche Weise gerechtfertigt werden, wären Inhalt und Anzahl der Auflagen keine Grenzen gesetzt und das Versammlungsrecht derartiger Veranstalter wäre generell weitgehend ausgehöhlt.'

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. März 2002 - Az. 9/02 -, NVwZ 2002, 983 [BVerfG 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02] -984, und [...], Rdnrn. 9 und 11.

So liegt der Fall auch hier. Dass schwarze Fahnen eine eindeutig auf den Nationalsozialismus bezogene Symbolik haben, ist allgemein ebenso wenig nachvollziehbar wie im konkreten Fall die Annahme, sie erhielten diesen Aussagengehalt durch das spezifische Erscheinungsbild des Aufzuges. Mit Gegenindizien, etwa dem Versammlungsmotto, der Zahl der Versammlungsteilnehmer und der Abschirmung der Versammlungsteilnehmer durch zahlenmäßig überlegene Polizeikräfte setzt sich der Beklagte nicht auseinander. Auch zieht er nicht in Erwägung - wozu er in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet gewesen wäre -, ob die angenommene Gefahr durch eine Begrenzung der Zahl der schwarzen Fahnen und etwa die - mildere - Anordnung, die Fahnen als Zeichen der Trauer nur abgesenkt zu tragen, hätte ausgeräumt werden können. Auch bleibt bei der Prognoseentscheidung des Beklagten gänzlich unberücksichtigt, dass der Kläger zu 2. im Rahmen der Kooperation der Änderung des ursprünglichen Aufzugsweges zugestimmt hat, um ein Aufeinandertreffen mit Gegendemonstranten zu vermeiden und dadurch die Gesamtgefahrenlage zu entspannen.

Entsprechendes gilt für den beabsichtigten Einsatz von vier Fackeln und Trommeln als Hilfsmittel der Meinungsäußerung und ein Mittel, die mit der Demonstration beabsichtigte Botschaft optisch und akustisch zu unterstreichen. Auch insoweit versäumt es der Beklagte, die gegen das Erzeugen eines Einschüchterungseffekts sowie eines Klimas der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft sprechenden Indizien (Versammlungsmotto, geringe Zahl der Versammlungsteilnehmer und Anwesenheit zahlenmäßig überlegener Polizeikräfte, deren Anwesenheit in den Augen des nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Maßstab in den Blick zu nehmenden Durchschnittsbürgers jedem Einschüchterungseffekt wesentlich entgegenwirkt) in die mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz vorzunehmende Güterabwägung einzubeziehen. Auch zieht er nicht in Erwägung - wozu er in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet gewesen wäre -, ob der von Trommeln ausgehenden angenommenen Gefahr (Gefahr des Marschierens) etwa durch die - mildere - Anordnung hätte begegnet werden können, eine begrenzte Anzahl von Trommeln nur während der geplanten Kranzzeremonie einzusetzen. Ebenso verkennt der Beklagte, dass bei Dunkelheit eingesetzte Fackeln nicht per se eine eindeutig auf den Nationalsozialismus bezogene Symbolik haben.

Vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 16. November 2007 - Az. 3 B 447/07 -, [...].

Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass (1.) der vom Beklagten seiner Gefahrenprognose zugrunde gelegte Symbolgehalt des Mitführens von Fackeln und schwarzen Fahnen auf einer Versammlung der NPD so nicht nachzuvollziehen ist und (2.) außerdem die vom Kläger zu 2. geplante Verwendung von Trommeln, Fackeln und schwarzen Fahnen das verfügte vollständige Verbot dieser Hilfsmittel nicht tragen konnte, weil die angenommene Gefahr der Einschüchterung Andersdenkender und der Erzeugung eines Klimas der Gewalt jedenfalls durch mildere Auflagen als ein vollständiges Verbot dieser Hilfsmittel hätte beseitigt werden können.

Soweit der Beklagte die Prognose einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Wahrnehmung des angemeldeten Aufzugs als rechter Aufmarsch und die Erzeugung eines Einschüchterungseffekts bei Andersdenkenden darüber hinaus auf die Annahme gestützt hat, es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass in Blöcken, Zügen und Reihen marschiert werde (Auflage 9), Marschlieder und Märsche abgespielt oder gesungen würden (Auflage 9), Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts mit leicht abgewandelten, aber ihrem Gesamteindruck nach deutlich an die nationalsozialistische Zeit erinnernden nationalsozialistischen Symbolen und Gegenständen ihre Zugehörigkeit zu dieser politischen Richtung dokumentieren und ihre verfassungsfeindlichen Ansichten verbreiten würden (Auflage 10), die in Auflage 12 bezeichneten, ihrem Gesamteindruck nach deutlich an die nationalsozialistische Zeit erinnernden Buchstabenfolgen und Abkürzungen sichtbar getragen würden, die mit der Auflage 16 verbotenen Parolen verbreitet würden und durch den durch die Auflage 17 verbotenen nationalsozialistischen Propagandajargon und typische nationalsozialistische Bekleidungsstücke dazu beigetragen würde, Einschüchterungseffekte und ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft zu verhindern, hat er schlichtweg keinerlei Tatsachen bezeichnet, die diese Prognose belegen. Es fehlt insoweit an jeglicher Begründung der angenommenen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das Gericht ist als Folge der bestehenden Gewaltenteilung nicht befugt, anstelle der Versammlungsbehörde zu begründen, dass die angenommenen Gefahren unmittelbar bevorstanden. Entgegen der von dem im Termin zur mündlichen Verhandlung bevollmächtigten Rechtsanwalt des Beklagten geäußerten Rechtsauffassung war die Entscheidung, ob und welche Auflagen zu erlassen waren, nicht als gebundene Entscheidung, sondern als Ermessensentscheidung zu treffen. Dementsprechend ist die Kammer nur befugt zu überprüfen, ob der vom Beklagten seiner Auflagenentscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt ihn zu einem Einschreiten berechtigte (so genanntes Entschließungsermessen) und er bei der Ausübung seines Handlungsermessens die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder nicht zweckentsprechend von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat, vgl. § 114 Satz 1 VwGO . Deshalb hätte der Beklagte begründen müssen, weshalb unter Berücksichtigung des Versammlungsmottos und der sonstigen Begleitumstände im konkreten Einzelfall mit den in den Auflagen 9, 10, 12, 16 und 17 bezeichneten Gefahren unmittelbar zu rechnen war. Weil der Beklagte seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen ist, sondern seine Gefahrenprognose bezüglich der hier in Rede stehenden Auflagen nur auf bloße Behauptungen und Vermutungen gestützt hat, genügt sie nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen mit der Folge der Rechtswidrigkeit dieser Auflagen.

#Dies gilt insbesondere auch für die Annahme, es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass im Verlauf der Demonstration die mit der Auflage 16 verbotenen Parolen Deutschland den Deutschen', Deutschland uns Deutschen', Ausländer raus', 180 Nationalitäten in Düren sind 179 zu viel', Ali, Mehmet, Mustafa - geht zurück nach Ankara', Wir sind wieder da!', Trotz Verbot sind wir nicht tot!', Frei, sozial und national!', alle Variationen der Wortfolgen 'hier marschiert ...!' bzw. 'hier spaziert ...!'' und nationaler Widerstand!' verbreitet und damit das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit unter dem Gesichtspunkt der von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG erfassten Menschenwürde verletzt würde. Wie bereits dargelegt wurde (vgl. die Seiten 25 und 26 des Urteilsabdrucks), hat der Gesetzgeber in der Rechtsordnung, insbesondere in den Strafgesetzen, Meinungsäußerungen zum Schutz u.a. des Rechtsguts der Menschenwürde Dritter beschränkt. Die Strafrechtsordnung ermöglicht die Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die etwa durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Überschreiten die zu erwartenden Meinungsäußerungen nicht die Schwelle der Strafbarkeit - davon geht der Beklagte in Bezug auf die in Rede stehenden Parolen aus -, so verlieren sie nicht allein wegen rechtsextremistischer Inhalte den Schutz der Art. 8 und 5 Abs. 1 GG . Dementsprechend dürfen Meinungsäußerungen unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit nicht wegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden, um das Rechtsgut der Menschenwürde zu schützen.

Vgl. nochmals BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnrn. 26-29, und 29. März 2002, - 1 BvQ 9/02 -, [...], Rdnr. 11.

Der Beklagte durfte das Verbot der in Rede stehenden, vom Beklagten für sich genommen nicht als strafbar eingestuften Parolen allenfalls zum Schutz der öffentlichen Ordnung erlassen. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit zum Schutz der öffentlichen Ordnung aber nur, wenn sich - wie bereits dargelegt wurde - die prognostizierte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt. Das laute Skandieren einzelner Parolen rechtfertigt nicht die Annahme, wegen dieser Art und Weise der Kundgabe einer Meinung werde die öffentliche Ordnung so sehr gestört, dass die Meinungsäußerung durch eine versammlungsrechtliche Auflage untersagt werden dürfe. Erforderlich ist vielmehr eine nachvollziehbare Begründung, dass durch das laute Skandieren und durch das Hinzutreten weiterer die Versammlung prägender Umstände zum Beispiel eine militante, aggressive und fremdenfeindliche Stimmung entsteht, durch die Andersdenkende eingeschüchtert werden.

Vgl. nochmals BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnrn. 30 ff.-

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung genügt die Gefahrenprognose des Beklagten nicht. Er stützt die Annahme, dass durch das laute Skandieren der in Rede stehenden Parolen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein agressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Klima entstehen würde, erkennbar im Wesentlichen auf die Wirkung des Inhalts der Parolen. Er versäumt es hingegen, nachvollziehbar und gestützt auf Tatsachen darzulegen, dass durch die Art und Weise des Auftretens der Versammlungsteilnehmer zum Beispiel ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft entstehen würde. Damit genügt die Auflage 16 nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Beschränkungen von Meinungsäußerungen im Rahmen einer Versammlung.

Das Verbot durch Auflage 15, während des Aufzuges mehr als eine Fahrspurbreite in Anspruch zu nehmen und keine Transparente von mehr als 2,50 m Breite oder mehr als 1,0 m Höhe zu verwenden, wird ebenfalls nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise begründet. In der Klageerwiderung hat der Beklagte hierzu erstmals vorgetragen, die Auflage 15 sei das Ergebnis hergestellter praktischer Konkordanz. Bei einer Teilnehmerzahl von 50 bis 80 Personen könne der Aufzug seine Route auf einer Fahrspur verfolgen.

Breitere Transparente hätten auf einer Fahrspur nicht gefahrlos mitgeführt werden können. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass aus Rücksichtnahme auf die Bewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer nicht zugunsten des Rechts des Klägers zu 2. aus Art. 8 GG , selbst zu bestimmen, mit welchen Mitteln er Aufmerksamkeit für sein Anliegen erregt, zumindest auf einem Teilstück des Aufzugsweges oder während der geplanten Standkundgebungen gefahrlos hätten zugelassen werden können, benennt der Beklagte jedoch nicht. Die vom Kläger zu 2. angemeldete Transparentbreite wich mit 3,0 m nur 50 cm von der erlaubten Breite ab. Die Höhe der angemeldeten Transparente wich ebenfalls nur 50 cm von der Höhe ab; sie war ohnehin unerheblich für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer. Vor diesem Hintergrund bedurfte es näherer Angaben z.B. zu den Fahrbahnbreiten und eventuell zusätzlich zur Verfügung stehenden Bürgersteigen, um das strikte Bestehen des Beklagten auf einer maximalen Breite der Transparente von 2,50 m und einer Höhe von 1,0 m zu begründen. Auch die Gefahrenprognose zu der Auflage 15 erweist sich damit als nicht nachvollziehbar und als unzureichend für das strikte Verbot, größere Transparente einzusetzen und während des gesamten Aufzugs nur eine Fahrspur zu benutzen.

Schließlich rügt der Kläger zu 2. zu Recht auch die Rechtswidrigkeit der in der Auflage Nr. 7 getroffenen Anordnung, den Teilnehmenden seien die sie betreffenden Auflagen in kleinen Gruppen' in geeigneter Weise bekannt zu geben. Begründet wird die Maßnahme damit, dass die Bekanntgabe der beschränkenden Verfügung an die Teilnehmer/innen der Versammlung erforderlich sei, damit diese sich entsprechend den Auflagen verhielten und damit den Ablauf der Versammlung nicht stören oder gar deren Durchführung gefährden würden.

Diese Begründung ist im Ansatz verfehlt. Versammlungsrechtliche Auflagen sind ein Mittel, den gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen.

Vgfl. BVerfG, Urteil vom 5. September 2003 - Az. 1 BvQ 32/03 -, [...], Rdn. 29. 155 Die Auflage 7 dient aber nicht - wie erforderlich - anderen' verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern, sondern dem Schutz der Versammlung selbst, also dem Schutz des Veranstalters vor den Versammlungsteilnehmern. Dass die Auflage 7 darüber hinaus auch dem mit § 15 Abs. 1 VersG bezweckten Rechtsgüterschutz dient, wird mit keinem Wort begründet. Unabhängig davon wird mit keinem Wort dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass tatsächlich mit mehr Sicherheit zu erwarten ist, dass alle Versammlungsteilnehmer den Inhalt des Auflagenbescheids zur Kenntnis nehmen, wenn er ihnen in kleinen Gruppen' bekannt gegeben wird, denn zur Bekanntgabe der sie betreffenden Auflagen an die Teilnehmenden in geeigneter Weise war der Kläger zu 2. ohnehin verpflichtet.

Da die Klage ohnehin Erfolg hat, lässt die Kammer offen, ob die Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Auflagen sich aus weiteren Gesichtspunkten ergibt.

Die Klage des Klägers zu 1. ist abzuweisen. Sie ist unzulässig, weil dem Kläger zu 1. die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO fehlt, die nach allgemeiner Auffassung wie bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Sachurteilsvoraussetzung auch der Fortsetzungsfeststellungsklage ist.

Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Auflage, § 113 Rdnr. 125 m.w.N.

Der ausdrücklich nur an den Veranstalter der Versammlung gerichtete Auflagenbescheid vom 30. Januar 2008 hat den Kläger zu 2., nicht aber den Kläger zu 1. beschwert, weil er das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Kläger zu 2., nicht aber eine Rechtsposition des Kläger zu 1. einschränkte.

Der vom Kläger zu 1. für erforderlich gehaltenen Geltendmachung der Rechte des Klägers zu 2. im eigenen Namen in so genannter Prozessstandschaft bedarf es nicht, weil der Kläger zu 2. - wie bereits dargelegt - im gerichtlichen Verfahren beteiligungsfähig ist und somit gegen eine Verletzung seiner Rechte selbst klagen kann. ..." (VG Aachen, Urteil vom 14.01.2009, 6 K 374/08)

§ 16

(1) Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge sind innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane der Länder verboten. Ebenso ist es verboten, zu öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder Aufzügen nach Satz 1 aufzufordern.

(2) Die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane der Länder werden durch Landesgesetze bestimmt.

(3) Das Weitere regeln die Bannmeilengesetze der Länder.

Leitsätze/Entscheidungen:

Eine öffentliche Versammlung bzw. Demonstration unter freiem Himmel innerhalb des befriedeten Bannkreises des BVerfG ist kraft Gesetzes verboten, wenn nicht das Bundesinnenministerium sie ausdrücklich zulässt. Soll eine öffentliche Versammlung bzw. Demonstration gezielt im befriedeten Bezirk des BVerfG stattfinden, so ist es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, etwa durch Auflagen hinsichtlich des Demonstrationsweges die Einhaltung des geschützten Bezirkes zu sichern (VGH Mannheim, Beschluss vom 11.08.2000 - 1 S 1750/00, Die Justiz 2001, 180).

Zur Ausnahme von dem Verbot, innerhalb der Bannmeile eine Demonstration durchführen zu dürfen (OVG Münster, Entscheidung vom 22.12.1993 - 23 A 865/91, NVwZ-RR 1994, 391).

Schutzgut des Bannkreisgesetzes ist die Arbeitsfähigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments. Es soll unbeeinflußt vom Druck, der von Versammlungen unmittelbar vor seinen Toren ausgehen kann, seine Entscheidung treffen können. Zu den Voraussetzungen der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach dem Bannkreisgesetz (VG Hamburg, Entscheidung vom 12.10.1984 - 1 2930/84, NVwZ 1985, 678, 634).

§ 17

Die §§ 14 bis 16 gelten nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 17a

(1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.

(2) Es ist auch verboten,

1. an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen.
2. bei derartigen Veranstaltungen oder auf dem Weg dorthin Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.

(3) Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn es sich um Veranstaltungen im Sinne des § 17 handelt. Die zuständige Behörde kann weitere Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 2 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist.

(4) Die zuständige Behörde kann zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 Anordnungen treffen. Sie kann insbesondere Personen, die diesen Verboten zuwiderhandeln, von der Veranstaltung ausschließen.

Leitsätze/Entscheidungen:

Zur Auslegung einer das gesetzliche Verbot des Mitführens von Vermummungsgegenständen (§ 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) wiederholenden "Auflage". Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, für die Einhaltung des - gesetzeswiederholend - verfügten Verbots des Mitführens von Vermummungsgegenständen zu sorgen, kann allenfalls unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint;VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12):

.. Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als Auflage" bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 (496) = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).

Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als Auflage", die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).

Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle nachstehenden Auflagen" angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage direkt" aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.

Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als standardisierte Auflage" bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie Grundsätzlich gilt " eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).

Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.

Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.

Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 (190); Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).

b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).

c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 (208 f.); Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.

d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).

Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 (89 ff.)).

Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.

Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).

Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).

a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).

Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.

b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.

aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 (352 ff.); BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 (218)).

Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.

Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.

bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden. ..."

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Mit Inkrafttreten des NVersG am 01.02.2011 wurde, bezogen auf das Land Niedersachsen, das bis dahin geltende VersG (Bund) ersetzt. Die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen das Vermummungsverbot nach dem NVersG setzt voraus, dass die Rechtswidrigkeit der Vermummung zuvor durch einen die Verhaltenspflicht konkretisierenden Verwaltungsakt festgestellt worden ist (OLG Celle, Beschluss vom 04.05.2011 - 32 Ss 6/11 zu NVersG §§ 9 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; VersG § 17a Abs. 2 Nr. 1).

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Zur Strafbarkeit des Beisichführens sog. Schlagschutzhandschuhe bei öffentlichen Versammlungen (OLG Dresden, Beschluss vom 17.06.2008 - 1 Ss 401/08):

... I. Das AG Leipzig hat den Angekl. mit Urt. v. 13. 02. 2008 wegen Tragens von Schutzwaffen zu einer Geldstrafe von 30 TS zu je 26,00 EUR verurteilt. Gleichzeitig hat es die Einziehung der sichergestellten Schlagschutzhandschuhe angeordnet.

Hiergegen hat der Angekl. form- und fristgerecht Rechtsmittel eingelegt, das er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als (Sprung-) Revision bezeichnet hat. Er rügt mit der näher ausgeführten Sachrüge die Verletzung materiellen Rechts.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des AG.

Die Feststellungen des AG tragen eine Verurteilung nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 17a Abs. 1 VersG nicht.

Die vom Angekl. während der Teilnahme an einer Spontanversammlung bei sich geführten Handschuhe, die im Bereich der Fingerknöchel mit Quarzsand verstärkt waren, sind keine Schutzwaffen (im technischen Sinn) i.S.v. § 17a Abs. 1 1. Alt. VersG. Hierunter sind Gegenstände zu verstehen, die zur Verteidigung gegen Angriffe dienen und diese Zweckbestimmung i.d.R. bereits bei ihrer Herstellung beigelegt bekommen haben (vgl. Ott/Wächtler, Gesetz, über Versammlungen und Aufzüge, 6. Aufl., § 17a Rn. 7; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl., § 17a Rn. 14; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. § 17a Rn. 2). Ein solcher Gegenstand liegt hier - wie das AG zu Recht ausgeführt hat - nicht vor.

Zutreffend ist das AG vielmehr davon ausgegangen, daß hier ein Gegenstand vorliegt, der i.S.d. § 17a Abs. 1 2. Alt. VersG als Schutzwaffe geeignet ist. Hierunter sind alle Gegenstände zu verstehen, deren Zweckbestimmung nicht, wie die Schutzwaffen, ausschließlich im Schutz ihres Trägers vor polizeilichen Zwangsmaßnahmen liegt, mit denen die Versammlungsteilnehmer vielmehr auch andere Zwecke verfolgen können, die aber zum Schutz jedenfalls geeignet sind, weil sie denselben Zweck wie die Schutzwaffen erfüllen können (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998, 87; Köhler/Dürig-Friedl a.a.O. Rn. 3). Da die vom Angekl. bei sich geführten Handschuhe im Knöchelbereich mit Quarzsand verstärkt waren, sind diese objektiv geeignet, zur Verteidigung gegen Angriffe zu dienen. So kann der Träger der seine so geschützten Hände vor den Kopf hält, sich auf diese Weise auch gegen Schläge Richtung Kopfbereich schützen.

Zusätzlich zur objektiven Eignung als Schutzwaffe muß in Fällen des § 17a Abs. 1 2. Alt. VersG jedoch noch der erkennbare Wille des Versammlungsteilnehmers hinzukommen, den Gegenstand als Schutzwaffe zu verwenden, um der Anwendung unmittelberen Zwangs widerstehen zu können (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel a.a.O. Rn. 15). Ob der Versammlungsteilnehmer die entsprechende Absicht hat und der als Schutzwaffe geeignete Gegenstand dazu bestimmt ist, Vollstreckungsmaßnahmen eines Träger von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, muß sich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben, insbes. aus dem erklärten oder offenkundigen Willen des Trägers (Dietel/Gintzel/Kniesel a.a.O. Rn. 21). Derartige Umstände hat das AG nicht festgestellt. Es ist vielmehr der Aussage des Angekl. gefolgt, der angegeben hatte, er sei zu der Versammlung in Leipzig "als Sozius auf einem Motorrad angereist" und habe dabei die Handschuhe getragen. ..."

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Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert; das sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur Vermummung dienen. Ein Halstuch ist ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG) bestimmt, wenn es vom Betroffenen als solches verwendet wird, indem dieser durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begeht (OLG München, Beschluss vom 02.10.2008, 34 Wx 10/08):

... Der Antragsteller begehrt als Betroffener eines polizeilichen Gewahrsams die nachträgliche Feststellung, dass die Freiheitsentziehung durch die Polizei am Samstag, den 2.12.2006, in der Zeit vom 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr rechtswidrig war.

Am 2.12.2006 führten Anhänger der NPD einen Marsch durch die Augsburger Innenstadt mit anschließender Kundgebung durch. Der Betroffene, der Teilnehmer einer genehmigten Gegendemonstration war, hatte sich für die Zeit von 13.29 Uhr bis 13.34 Uhr ein schwarzes Tuch vor das Gesicht gebunden, das vom Kinnbereich bis unter die Augen reichte. Bei seiner vorläufigen Festnahme gegen 13.45 Uhr hatte der Betroffene, nach Aufforderung durch einen Polizeibeamten, das Tuch bereits wieder abgenommen. Er wurde zum Polizeipräsidium gebracht und dort bis gegen 15.15 Uhr als Beschuldigter wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vernommen. Anschließend wurde der Betroffene aufgrund polizeilicher Anordnung bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr in einer Arrestzelle festgehalten. Die Polizeibehörde stützte die Maßnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 PAG darauf, dass der Betroffene bereits am 27.5.2006 wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz durch Mitführen von Gegenständen zur Verhinderung der Identitätsfeststellung aufgefallen und deshalb davon auszugehen sei, der Betroffene werde nach einer sofortigen Entlassung an den Demonstrationsort zurückkehren und sich wieder vermummen. Eine richterliche Vorführung fand nicht statt.

Der Antragsteller hat am 20.12.2006 beim Amtsgericht beantragt, festzustellen, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an dem Grunde nach rechtswidrig war. Mit Beschluss vom 30.8.2007 stellte das Amtsgericht fest, dass die Ingewahrsamnahme sowohl dem Grunde als auch ihrer Ausgestaltung nach rechtmäßig war. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme für die Zeit von 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr beschränkt wurde, mit Beschluss vom 20.12.2007 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er wiederholte den beim Landgericht gestellten (beschränkten) Antrag. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg. ...

1. Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung ist statthaft, da sie vom Landgericht zugelassen wurde (Art. 18 Abs. 2 Satz 4 PAG), ist und auch im Übrigen zulässig (Art. 18 Abs. 2, Abs. 3 Sätze 2 und 3 PAG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, §§ 20 , 22 Abs. 1 , § 29 Abs. 1 und 4 FGG ).

Gegenstand der Rechtsbeschwerde bildet nach den gestellten Anträgen die Haft als solche, nicht deren konkrete Ausgestaltung, mag darauf auch in der Begründung erneut eingegangen sein. Auf die umstrittene Frage, ob die Rechtswegregelung des Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 PAG auf polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ingewahrsamnahme auszudehnen (BayVGH NJW 1989, 1754; Schmidbauer/Steiner Bayerisches Polizeiaufgabengesetz 2. Aufl. Art. 18 Rn. 13) und damit auch insoweit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, kommt es nicht an. Ebenso nicht angegriffen ist die Entscheidung des Amtsgerichts zur Zulässigkeit der Festhaltung bis zur Beendigung strafprozessualer Maßnahmen gegen 15.15 Uhr.

2. Das Landgericht hat zur Sache ausgeführt:

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen sei unbegründet.

a) Die ursprünglich von der Polizeibehörde herangezogene Norm des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG sei nicht anwendbar, da der Betroffene in der Vergangenheit nicht mehrfach aus vergleichbarem Anlass bei der Begehung von Straftaten betroffen worden sei. Vor seiner Ingewahrsamnahme sei der Betroffene nur in einem Fall wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz auffällig geworden.

b) Jedoch seien die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG erfüllt. Die von der Polizeibehörde getroffene Prognoseentscheidung, der Betroffene werde unmittelbar nach einer eventuellen Entlassung aus dem Polizeigewahrsam gegen 15.15 Uhr erneut Straftaten begehen, sei nicht zu beanstanden. Aufgrund des hohen Rangs des Freiheitsrechts müsse nach den konkreten Umständen eine Wiederholung der verbotenen Verhaltensweise erwartet werden. Der Betroffene habe vor seiner Festnahme gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, weil er mit einem Tuch vermummt an einer Demonstration teilgenommen habe. Bei dem Betroffenen sei ein sonstiger Gegenstand i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG aufgefunden worden, der erfahrungsgemäß zur Tatbegehung - der Vermummung - bestimmt gewesen sei. Bei der Prognoseentscheidung seien auch die konkreten örtlichen Verhältnisse und Umstände in die Überlegung mit einzubeziehen gewesen. Mittels der in kurzen Zeittakten verkehrenden Straßenbahn habe der Betroffene problemlos umgehend an den Demonstrationsort zurückkehren können und damit genügend Zeit für einen erneuten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zur Verfügung gehabt. Ein Tuch oder einen Schal zum Vermummen hätte sich der Betroffene ohne Probleme erneut besorgen können. Diese Gefahr habe trotz der erkennungsdienstlichen Maßnahmen bestanden. Das ergebe sich u.a. auch daraus, dass der Betroffene bereit am 27.5.2006 im gleichen Verhaltensspektrum auffällig geworden sei. Wenn der Betroffene vortrage, dass seine Vermummung nur zum Schutz gegen Nazi-Fotografen habe dienen sollen, so würde dies die polizeiliche Prognoseentscheidung nur stützen. Denn aus der Sicht des Betroffenen wäre eine Vermummung erforderlich und würde bei einer erneuten Teilnahme an der Gegendemonstration wieder notwendig.

Auch sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Schutz eines bedeutenden Rechtsgutes, nämlich des friedlichen Verlaufs von Demonstrationen zu gewährleisten gewesen sei. Vermummte Teilnehmer würden provozierend, eskalierend und einschüchternd auf andere wirken. Vor allem aber bestehe für vermummte Demonstrationsteilnehmer ein erhöhter Anreiz, sich nicht friedlich zu verhalten, da sie davon ausgehen könnten, dass sie aufgrund ihrer Vermummung bei strafrechtlich relevanten Aktionen nicht erkannt und zur Verantwortung gezogen werden könnten.

c) Die Beurteilung der Polizeibehörde, dass eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr nicht hätte herbeigeführt werden können, sei zutreffend gewesen. Für eine umfassende richterliche Würdigung der Prognoseentscheidung hätten Beweise wie die Vernehmung der Polizeibeamten und die Sichtung des gefertigten Film- und Videomaterials erhoben werden müssen. Mit einer richterlichen Entscheidung vor 18.00 Uhr wäre daher nicht zu rechnen gewesen.

d) Schließlich sei auch die Art und Weise des Gewahrsams rechtmäßig gewesen.

3. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung durch den Senat (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG , §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO ) stand.

a) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den polizeilichen Präventivgewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG lagen vor.

(1) Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit scheidet aus, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung über die polizeiliche Ingewahrsamnahme der Betroffene nicht mehr Teilnehmer einer Versammlung war. Vielmehr war er wegen einer Straftat ( § 17 a Abs. 2 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG ) aus der Versammlung rechtmäßig entfernt worden. Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen amtsgerichtlichen Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme von 13.45 bis 15.15 Uhr.

(2) Die in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG enthaltenen Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um Regelbeispiele, sondern um Prognosekriterien, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von einem unmittelbaren Bevorstehen der Straftat ausgegangen werden kann. Die erneute Begehung einer Straftat ist zu befürchten, wenn eines der Regelbeispiele des Art. 17 Abs. 1 PAG erfüllt ist. Bestimmte Verhaltensweisen indizieren dabei die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose ( OLG Rostock vom 30.8.2007, 3 W 107/07 Rn. 29 zitiert nach [...]). Nur ausnahmsweise kann im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalles ausreichen, wenn sich bereits daraus die sichere Prognose für das Vorliegen einer Gefahr ergibt (OLG Rostock aaO. Rn. 30 zitiert nach [...]).

aa) Zutreffend geht die Kammer davon aus, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG nicht erfüllt sind. Denn mindestens zwei vorausgegangene Fälle aus vergleichbarem Anlass (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 57) können dem Betroffenen nicht nachgewiesen werden. Ein bloß einmaliger Verstoß gegen das Versammlungsgesetz reicht in diesem Zusammenhang nicht aus.

bb) Demgegenüber hatte der Betroffene nach den tatrichterlichen Feststellungen das Kriterium von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG durch das Mitführen und Benützen des Halstuches als Vermummungsmittel erfüllt.

Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert. Dies sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur Vermummung dienen (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 49). Dies wird durch die amtliche Begründung (LT-Drs. 11/9078, S. 5) bestätigt, wonach die Polizei in die Lage versetzt werden soll, die ungehinderte Ausübung der Versammlungsfreiheit im Rahmen des Art. 8 GG zu ermöglichen.

Das Halstuch war nach den tatrichterlich festgestellten Umständen ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG), bestimmt, da es vom Betroffenen als solches verwendet worden war. Dieser hatte nämlich durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begangen.

cc) Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG vor, so folgt daraus nicht zwangsläufig die Befugnis zur Ingewahrsamnahme. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass die vorhandenen Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall befürchten lassen, der Betroffene werde im Fall seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen.

Die Auffassung des Landgerichts, die polizeiliche Prognoseentscheidung sei nicht zu beanstanden gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene bereits wenige Monate zuvor wegen eines gleichartigen Delikts während einer Versammlung aufgefallen war und dass nicht davon auszugehen ist, der Betroffene werde sich durch die vorangegangenen Polizeimaßnahmen davon abhalten lassen, zur Demonstration zurückzukehren, um daran erneut im vermummten Zustand teilzunehmen. Diesen Schluss konnte der Tatrichter auch aus dem Motiv des Betroffenen ziehen, der sein Verhalten damit erklärt hat, er habe sich zum Schutz vor Fotografen der NPD vermummt; dieser Grund hätte nämlich nach einer etwaigen Freilassung noch während der laufenden Demonstration unverändert fortgegolten. Darauf, dass die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht die einzig möglichen, d.h. nicht zwingend sind, oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte, kann die Rechtsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42 m.w.N.).

Nach den fehlerfreien Feststellungen des Landgerichts wäre es dem Betroffenen auch möglich gewesen, innerhalb kürzester Zeit wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren, so dass auch insoweit nichts gegen die Annahme spricht, die Begehung einer neuen, ähnlich strukturierten Straftat stehe unmittelbar bevor.

Beim Verstoß gegen das Vermummungsverbot handelt es sich um eine Straftat (vgl. § 27 Abs. 2 VersG ) in Form eines Vergehens ( § 12 Abs. 2 StGB ). Auf etwaige zu Gunsten des Betroffenen eingreifende Entschuldigungsgründe kommt es nicht an, da präventiv-polizeiliches Einschreiten kein Verschulden voraussetzt ( OLG Frankfurt vom 20.6.2007, 20 W 391/06 = NVwZ-RR 2008, 244). Polizeigewahrsam ist zur Verhinderung von Straftaten allgemein zulässig, nicht nur von Straftaten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit'. Diese Einschränkung bezieht sich nur auf Ordnungswidrigkeiten ( BayObLG vom 28.5.1998, 3 Z BR 66/98 = NVwZ 1999, 106). Darüber hinaus obliegt der Polizei der Schutz einer friedlichen Demonstration. Sie ist gehalten, den Teilnehmern die Ausübung dieses Grundrechts zu ermöglichen.

dd) Die Gewahrsamnahme war auch unerlässlich und der angestrebte Zweck nicht mit einfacheren Mitteln zu erreichen. Ein Platzverweis (Art. 16 PAG) als milderes Mittel hätte nicht ausgereicht, um den Betroffenen davon abzuhalten, in wenigen Minuten wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren. Bei einem Halstuch handelt es sich zudem um einen Gegenstand, der unschwer sofort wieder beschafft werden könnte. Davon, dass der Betroffene allein durch die Identitätsfeststellung und Beschuldigtenvernehmung so beeindruckt war, um von der erneuten Begehung einer Straftat abgehalten zu sein, brauchte aus Rechtsgründen nicht ausgegangen zu werden. Die gegenteilige Annahme wird vielmehr durch die Tatsache gestützt, dass der Betroffene erst wenige Monate zuvor wegen einer ähnlichen Handlung aufgefallen war und selbst durch das damalige Ermittlungsverfahren nicht davon abzuhalten war, sich erneut zu vermummen.

Die vom Tatrichter bestätigte Prognose der Polizei ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Der Gewahrsam des Betroffenen war auch nicht wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (vgl. Art. 104 Abs. 2 GG , Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG), rechtswidrig.

Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in diesem Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (z.B. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ). Diese Verpflichtung wird in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG für die polizeiliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Gefahrenabwehr einfachrechtlich nachvollzogen.

Das Merkmal der Unverzüglichkeit' i.S. des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ; OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfG aaO.).

Eine Ausnahme von der in Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung wird allgemein angenommen, wenn die polizeiliche Prognose ergibt, dass eine richterliche Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist. Andernfalls würde die Regelung zu einer mit ihrem Rechtsschutzzweck nicht zu vereinbarenden Verlängerung der Freiheitsentziehung führen (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 540 m.w.N.). Demgemäß sieht Art. 18 Abs. 1 Satz 2 PAG, verfassungsrechtlich bedenkenfrei, eine Ausnahme von der Pflicht zur Vorführung vor, wenn eine richterliche Entscheidung voraussichtlich erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde.

Nach diesem Maßstab ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme gegen 15.15 Uhr stand bereits fest, dass der Betroffene gegen 18.00 Uhr, nämlich nach Beendigung der abgehaltenen Demonstration, entlassen würde. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Polizeibehörden davon ausgingen, innerhalb dieser Zeit werde eine richterliche Entscheidung nicht herbeizuführen sein. Die richterliche Entscheidung darf nur aufgrund konkreter nachgeprüfter Tatsachen ergehen. Dabei darf der Richter sich nicht allein auf das Vorbringen der Polizei stützen. Er hat vielmehr nach Art. 104 Abs. 2 GG selbst über die Zulässigkeit einer weiteren Freiheitsentziehung zu entscheiden und die Tatsachen festzustellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen (BVerfG NVwZ 2006, 579 [BVerfG 13.12.2005 - 2 BvR 447/05] /580; Senat vom 28.10.2005, 34 Wx 125/05 Rn. 12 zitiert nach [...]). Dafür ist es nicht nur erforderlich, dass die Polizei dem Richter mehr als nur einen kurzen Aktenvermerk vorlegt. Vielmehr benötigt der Richter wenigstens neben einer Sachverhaltsschilderung auch ggfs. schriftliche Zeugenaussagen sowie eine mündliche Anhörung des Betroffenen und eventuell auch der Zeugen. Zur Erstellung einer derartigen Akte bis zur Einschaltung des Richters muss der Polizei eine gewisse Zeit zugestanden werden; tagsüber reicht eine Zeit von zwei bis drei Stunden im Allgemeinen aus ( OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Da anschließend der Richter sowohl die Akten lesen und den Betroffenen persönlich anhören muss, um sodann eine schriftlich nachvollziehbar begründete Entscheidung zu treffen, ist der hier gezogene Schluss, dass in weniger als drei Stunden eine richterliche Entscheidung nicht habe erwartet werden können, nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene bereits gegen 13.45 Uhr aufgrund strafprozessualer Befugnisse festgenommen wurde. Die Einschaltung eines Richters zu diesem Zeitpunkt war noch nicht erforderlich, da über die Gewahrsamnahme erst nach Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen und der dabei gewonnenen Erkenntnisse entschieden wurde.

c) Die Ingewahrsamnahme wurde auch nicht durch die Art und Weise ihres Vollzugs dem Grunde nach rechtswidrig. Der Betroffene trägt dazu vor, dass er in der Zelle wegen (zur polizeilichen Eigensicherung erfolgter) Wegnahme von Pullover und Stiefeln gefroren habe. Zwar kann die Art und Weise der Ingewahrsamnahme, wenn auf Grund einer Gesamtschau aller Umstände schwerwiegende Verstöße gegen verfassungsrechtlich geschützte Grundwerte vorliegen, dazu führen, dass die Maßnahme dem Grunde nach auch bei ursprünglicher Befugnis aus Art. 17 PAG rechtswidrig wird. Dies ist hier nach den Feststellungen des Landgerichts ersichtlich nicht der Fall. Dass gesundheitliche Schäden gedroht hätten, wurde nicht einmal vorgetragen. Bloße Unbequemlichkeiten oder Beschwernisse stellen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme jedoch nicht in Frage ( BVerfG vom 13.12.2005, 2 BvR 447/05 = NVwZ 2006, 579/580).

d) Schließlich beruhen die nach § 12 FGG ausreichenden Feststellungen des Tatrichters auch auf einer im Übrigen verfahrensfehlerfreien Grundlage.

Das Amtsgericht wie das Landgericht haben von einer mündlichen Anhörung des anwaltlich vertretenen Betroffenen, der sich umfassend zur Sach- und Rechtslage eingelassen hat, abgesehen. Eine weitergehende Sachaufklärung versprach die mündliche Anhörung nicht. Zwar hat das - inzwischen aufgelöste - Bayerische Oberste Landesgericht entschieden (BayObLG NVwZ 1990, 194/196; siehe auch Berner/Köhler PAG 19. Aufl. Art 18 Rn. 12; Schmidbauer Art. 18 PAG Rn. 20; offen gelassen in BayVerfGH NJW 1992, 1499), dass auch bei der Nachprüfung einer vor gerichtlicher Entscheidung beendeten Freiheitsentziehung der Betroffene grundsätzlich in allen Tatsacheninstanzen mündlich anzuhören ist, und dies mit § 13 Abs. 2, § 5 Abs. 1 FreihEntzG begründet. Jedoch verlangt § 5 Abs. 1 FreihEntzG zwingend eine mündliche Anhörung (nur) vor der Anordnung einer Freiheitsentziehung (BVerfG InfAuslR 1996, 198). Sinn der Vorschrift ist es u.a., dass sich der entscheidende Richter einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen kann. Bei nachträglichen Entscheidungen über eine bereits beendete Freiheitsentziehung kann sich der Richter einen Eindruck über die Verfassung und den Zustand des Betroffenen gerade zur Zeit der Polizeihaft aber im Allgemeinen nicht mehr verschaffen. Aus § 13 Abs. 2 FreihEntzG lässt sich für die Anhörungspflicht Entscheidendes nicht entnehmen. Insbesondere ist es nicht zwingend, dass wegen der Verweisung auf das Verfahren nach dem FreihEntzG über den eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 FreihEntzG hinaus eine mündliche Anhörung auch bei einer nachträglichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit grundsätzlich (Ausnahme: § 5 Abs. 2 FreihEntzG) unerlässlich wäre (ebenso OLG Celle FGPrax 2005, 48 [OLG Celle 25.10.2004 - 16 W 145/04] /49). Vielmehr erschiene es unangemessen und verfassungsrechtlich bedenklich, eine Person, die gerade um ihre Rehabilitierung wegen einer Freiheitsentziehung kämpft, nur aus formalen Gründen, erneut einer Einschränkung ihrer Freiheitsrechte durch richterliche Vorladung, ggf. mit der in § 5 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG verbundenen Sanktion, auszusetzen. Auch eine Parallelbetrachtung des Verwaltungsgerichtsverfahrens führt zu keinem anderen Ergebnis, weil dieses nicht in allen Fällen zwingend die mündlichen Anhörung eines Beteiligten erfordert (vgl. §§ 83 , 95 VwGO ). Zum anderen besteht kein grundrechtlich abgesicherter Anspruch auf eine mündliche Anhörung (vgl. BayVerfGH NVwZ 1991, 664/669). Art. 103 Abs. 1 GG begründet nur einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor einer gerichtlichen Entscheidung. Dieses kann auch schriftlich erfolgen (vgl. Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 152 m.w.N.).

Auch wenn danach eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1 FreihEntzG im Fortsetzungsfeststellungsverfahren nicht zwingend ist, so ist eine persönliche Anhörung des Betroffenen, sei es in einer oder auch in beiden Tatsacheninstanzen, nicht ausgeschlossen. Wegen § 12 FGG wird sie sogar im Allgemeinen unerlässlich sein. ..."

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Zur Begriffsbestimmung des als Schutzwaffe geeigneten Gegenstands". § 27 II VersG verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffe geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Die Tat kann in einem solchen Fall nur durch Notwehr gerechtfertigt sein (OLG Hamm, Urteil vom 22.10.1997 - 2 Ss 735/97, NStZ-RR 1998, 87):

... Der Angekl. befand sich unter Demonstranten, die am 16. 3. 1996 in der Innenstadt von D. an einer vom Polizeipräsidenten in D. verbotenen Demonstration kurdischer Volkszugehöriger für die Belange der Kurden in der Türkei teilnahmen. Gegen 15.45 Uhr waren Gruppen von gewalttätigen Demonstranten auf dem W-Weg verteilt. Dabei wurde von einem Unbekannten ein ca. 3 kg schwerer Türgriff aus Messing auf den Polizeibeamten und Zeugen K geworfen. Der Zeuge K beobachtete ferner, daß Demonstranten auf dem W-Weg Holzlatten ergriffen, die neben einem Container mit Bauabfällen lagen. Der Zeuge K, der sich anschließend über den W-Weg in östlicher Richtung bewegte, sah mehrere zerstörte Schaufensterscheiben. Der Angekl. nahm eine Holzlatte mit einer Länge von mindestens einem halben bis einem Meter an sich und hielt sie eine Zeit lang in der Hand. Dann warf er sie weg. Anschließend wurde er von Polizeibeamten festgenommen. Das AG verurteilte den Angekl. wegen unerlaubter Waffenführung bei einer öffentlichen Versammlung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Das LG sprach ihn unter Aufhebung des Urteils frei. Die dagegen gerichtete Revision der StA hatte Erfolg. ...

II. Nach den getroffenen Feststellungen ist der Freispruch des Angekl. nicht gerechtfertigt. Sein Verhalten erfüllt zumindest den Tatbestand des § 27 II Nr. 1 VersG. Nach dieser Vorschrift macht sich derjenige strafbar, der bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel Schutzwaffen oder Gegenstände mit sich führt, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Die von dem Angekl. nach den Urteilsfeststellungen mitgeführte Holzlatte ist sowohl ein i.S. von § 27 I 1 VersG zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeigneter Gegenstand als auch ein als Schutzwaffe i.S. von § 27 II Nr. 1 VersG geeigneter Gegenstand. Als Schutzwaffen geeignete Gegenstände sind nämlich solche, deren Zweckbestimmung nicht, wie bei Schutzwaffen, ausschließlich im Schutz ihres Trägers vor polizeilichen Zwangsmaßnahmen liegt, die aber zum Schutz jedenfalls geeignet sind, weil sie denselben Zweck wie die Schutzwaffen erfüllen können (vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 17a VersG Rdnr. 4). Hierzu gehören auch Holzlatten, die beispielsweise wie ein Schutzschild zur Abwehr eingesetzt werden können.

Für das Vorliegen einer Straftat gem. § 27 VersG kommt es mithin darauf an, mit welcher Zweckbestimmung der Angekl. die Holzlatte mitgeführt hat. In den Feststellungen des LG heißt es hierzu, daß der Angekl. die Holzlatte zumindest zu dem Zweck mitgeführt hat, sich gegen die Polizeibeamten verteidigen zu können. Soweit es in den Urteilsgründen weiter heißt, es stehe nicht fest, daß der Angekl. die Latte mit der Zweckbestimmung mit sich führte, Vollstreckungsmaßnahmen von Polizeibeamten abzuwehren, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß nicht festgestellt werden konnte, daß der Angekl. die Latte zur Abwehr rechtmäßiger Vollstreckungsmaßnahmen mit sich führte. Die Erwägungen der Kammer zur mangelnden Tatbestandsmäßigkeit des Mitführens der Holzlatte aufgrund der vom Angekl. vorgebrachten rechtswidrigen Übergriffe der Polizeibeamten halten einer rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Zu Unrecht hat das LG eine Strafbarkeit gem. § 27 II Nr. 1 VersG von der Rechtmäßigkeit der abzuwehrenden Vollstreckungsmaßnahmen abhängig gemacht. Zwar ist das Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände verboten, wenn der Teilnehmer die Absicht hat, sie auch zum Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen zu verwenden (vgl. Wache, § 17a VersG Rdnr. 4), auf die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen kommt es in diesem Zusammenhang jedoch nicht an. Da das Mitführen von Schutzwaffen selbst bereits grundsätzlich ohne Rücksicht darauf verboten ist, zu welchem Zweck sich die Versammlungsteilnehmer mit ihnen ausgerüstet haben (vgl. Wache, § 17a VersG Rdnr. 3), ist die zusätzliche Zweckbestimmung Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen" bei (bloß) als Schutzwaffen geeigneten Gegenständen nach Auffassung des Senats nur insoweit von Bedeutung, als damit die Straffreiheit des Mitführens zu anderweitigen Zwecken klargestellt wird.

Auf die Frage, ob der Angekl. - wie er sich eingelassen hat - rechtswidrige Übergriffe von Polizeibeamten beobachtet und infolge dieser Beobachtung die Holzlatte ergriffen hat - kommt es mithin nach den bisherigen Feststellungen nicht an. § 27 II Nr. 1 VersG verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Das Mitführen der Holzlatte wäre danach lediglich dann gem. § 32 StGB gerechtfertigt gewesen, wenn dies zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderlich gewesen wäre. Feststellungen hierzu sind im angefochtenen Urteil jedoch nicht getroffen worden. Dort heißt es lediglich, daß der Angekl. die Holzlatte eine Zeit lang in der Hand gehalten und dann weggeworfen habe. Gegen die Absicht des Angekl., die Holzlatte zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs zu benutzen, spricht zudem die Einlassung des Angekl., er habe eine Holzlatte ergriffen und sei aus Angst vor den Polizeibeamten davongelaufen.

Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen mithin die Freisprechung des Angekl. nicht, das angefochtene Urteil war deshalb im Ganzen aufzuheben. Insoweit kann dahinstehen, ob die Ausführungen des LG zum Freispruch vom Vorwurf einer in Tateinheit zum Verstoß gegen das Versammlungsgesetz stehenden Sachbeschädigung einer revisionsrechtlichen Nachprüfung standhalten. Die Frage, ob der Angekl. - sofern kein Notwehr- oder Nothilferecht gegeben war - die Latte nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen mitgeführt hat, muß der Beweiswürdigung des Tatrichters aufgrund der erneuten Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. ..."

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Es reicht aus, daß die Vermummung objektiv geeignet und den objektiven Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität des so aufgemachten Demonstrationsteilnehmers zu verhindern. Es bedarf nicht der zusätzlichen Feststellung, daß die Vermummung auch zur Friedenstörung geeignet ist. Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG (KG, Urteil vom 20.09.1996 - (5) 1 Ss 207/93 (38/93), NStZ-RR 1997, 185).

Auf dem Wege zu einer öffentlichen Versammlung führt Waffen oder Schutzwaffen, wer sich von dem Ort, an dem sich diese bisher befunden haben, mit ihnen zielgerichtet auf den Versammlungsort zubewegt. Nicht erforderlich ist, daß sich der Täter räumlich oder zeitlich unmittelbar zum Versammlungsort begibt (BayObLG, Entscheidung vom 10.05.1994 - 4 St RR 57/94, NStZ 1994, 497).

*** (LG, VG)

Zum Verbot des Tragens und Mitsichführens von sog. Guy-Fawkes-Masken" bei einer Versammlung (VG Regensburg, Beschluss vom 10.02.2012 - RO 9 E 12.257):

... Das Verfahren ist demnach einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Der Billigkeit entsprach es, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen, der Antragstellerseite brauchte daher keine weitere Frist für eine Stellungnahme zur zu treffenden Kostenentscheidung eingeräumt werden.

a) Dem liegt folgender bisheriger Sachstand zugrunde:

Der Antragsteller zu 2) hat bei der Antragsgegnerin für Samstag, 11. Februar 2012, eine Versammlung unter dem Motto Stop Acta!' angemeldet. Als Versammlungsgegenstände wurden im Laufe des Verfahrens u.a. sog. Guy-Fawkes-Masken' genannt.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2012 bestätigte die Antragsgegnerin den Eingang der Anzeige der geplanten Versammlung und traf verschiedene Festlegungen. Im Sachverhalt ist angemerkt, dass das Bayerische Staatsministerium des Innern zur Problematik der Guy-Fawkes-Masken' dahingehend Stellung genommen habe, dass die Masken unter das Vermummungsverbot fielen. Am Bescheidsende ist unter Hinweise' angemerkt, dass auf das Vermummungsverbot des Art. 16 Abs. 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) hingewiesen werde.

Mit am 10. Februar 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begehren die Antragsteller Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag (Ziffer 1), im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, hinsichtlich der von der Antragstellerin zu 1) organisierten Kundgebung am 11.02.2012 in Regensburg beginnend um 14.00 Uhr, eine Ausnahme von Artikel 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG dahingehend zuzulassen, dass auf der Kundgebung das Mitsichführen und Tragen von Guy-Fawkes-Masken vor dem Gesicht erlaubt ist. Daneben wurden insgesamt vier weitere Anträge hilfsweise gestellt. Wegen der vorgetragenen Gründe wird auf den Inhalt des Schriftsatzes Bezug genommen.

Hierzu gehört, teilte die Antragsgegnerin dem Gericht mit Telefax vom 10. Februar 2012 mit, dass sie die unter Ziffer 1 des Schriftsatzes der Antragsteller vom 10. Februar 2012 begehrte Ausnahme von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zulasse.

b) Auf Grundlage dieses Sachverhalts hat die Antragsgegnerin dem Begehren aus Gründen abgeholfen, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Schon dies spricht nach Billigkeitsgesichtspunkten dafür, die Kosten des Verfahrens ihr aufzuerlegen.

c) Ungeachtet dessen ist nach dem zugrunde zu legenden Streitstand davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin voraussichtlich unterlegen wäre und ihr auch deshalb die Kosten aufzuerlegen sind. Der Antrag wäre nämlich nicht nur nach § 123 VwGO in Form einer Regelungsanordnung statthaft und auch sonst zulässig gewesen, sondern zumindest bei summarischer Prüfung voraussichtlich auch begründet. Es spricht nämlich einiges dafür, dass ein Anordnungsanspruch hinsichtlich des Hauptantrags gegeben gewesen wäre.

Auch wenn die Antragstellerseite keinen schriftförmlichen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG gestellt hatte, hatte die Antragsgegnerin über eine solche zu entscheiden. Im Laufe des Verfahrens war von Veranstalterseite offenbar ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass als Versammlungsgegenstände Guy-Fawkes-Masken' geplant sind. Zwar müssen Masken nicht zwangsläufig vor dem Gesicht getragen werden, nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG ist aber bereits das Mitsichführen von Gegenständen verboten, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Bereits deshalb hätte für die Antragsgegnerin Anlass bestanden, die Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG von Amts wegen zu prüfen, ein Antragsvorbehalt ist im Gesetz nicht enthalten (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34).

Bei summarischer Prüfung wäre wohl auch davon auszugehen gewesen, dass die von Antragstellerseite vorgesehenen Masken beim Tragen vor dem Gesicht unter das Vermummungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG fallen und daher nicht ohne Erteilung einer Ausnahme getragen werden dürfen. Danach ist es kraft Gesetzes verboten, an Versammlungen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Unter Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG fällt grundsätzlich jedes Mittel, mit dem die Unkenntlichmachung oder das Verbergen der Gesichtszüge erreicht wird. Dies kann durch Bemalen, Aufkleben falscher Bärte, Tragen von Pappnasen und in ähnlicher Weise geschehen. Das Verbergen der Gesichtszüge wird durch Verkleidung oder Maskierung, insbesondere durch Aufsetzen von Gesichtsmasken ( ) erreicht' (so zu § 17a Abs. 2 Nr. 2 des Versammlungsgesetzes des Bundes als vergleichbarer Regelung Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 17a VersG, Rn. 7, zitiert nach BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2006, Az. 24 CS 06.314 ). Die Vermummung ist gesetzlich grundsätzlich verboten, weil das Auftreten vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten erfahrungsgemäß durchaus in Zusammenhang stehen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) zu den Motiven des Bundesgesetzgebers für die vergleichbare Regelung in § 17a Abs. 2 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes, die auch für die entsprechende Regelung im BayVersG angenommen werden können). Die zuständige Behörde kann aber nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG Ausnahmen von diesen Verboten zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zu besorgen ist.

Die streitgegenständlichen Masken haben offenbar eine Größe, mit der der gesamte Gesichtsbereich verdeckt werden kann; die Masken sind damit zumindest im Falle des Tragens vor dem Gesicht geeignet, dieses so zu verhüllen, dass eine Identifizierung des einzelnen Teilnehmers nicht mehr möglich ist. Neben dieser objektiven Eignung muss allerdings die Aufmachung den Umständen nach auch darauf gerichtet sein, die Identifizierung zu verhindern. Davon ist bei den sog. Guy-Fawkes-Masken' auszugehen, die offenbar zum Sinnbild der Anonymität als Deckmantel für revolutionäre Aktionen wurden und speziell bei der Anonymous-Bewegung gerade dazu dienen, die Forderung nach Anonymität und entsprechender Bewegungsfreiheit im Internet symbolhaft auszudrücken. Mit den Masken soll daher bei der beabsichtigten Versammlung gerade auch eine Anonymität der Versammlungsteilnehmer hergestellt, mithin eine Identifizierung verhindert werden. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass die Verhinderung der Identifikation durch die Strafverfolgungsbehörden alleinige oder vorrangige Motivation sein muss (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) m.w.Nachw.).

Wenn man davon ausgeht, dass das Tragen der Guy-Fawkes-Masken' dem Vermummungsverbot unterfällt, so wäre die Versagung eines dann erforderlichen Dispenses angesichts der verfassungsrechtlichen Dimension nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig gewesen; eine derartige Entscheidung muss die verfassungsrechtlichen Positionen der Antragsteller insbesondere in Bezug auf die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit in besonderer Weise würdigen und mit den von der Antragsgegnerin zu vertretenden öffentlichen Sicherheitsbelangen miteinander und untereinander gerecht abwägen. Die Prognose, ob eine die Erteilung einer Ausnahme ausschließende Gefährdung gegeben sein kann, ist auf hinreichend sichere Tatsachen zu stützen; fehlen solche Erkenntnisse, wird das Ermessen regelmäßig in Richtung auf Erteilung des Dispenses reduziert sein, hiervon abweichender Ermessensgebrauch wäre nicht grundrechtsfreundlich (vgl. Schaden/Beckmann/Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung, Versammlungsgesetz, Erläuterungen zu § 17a, 6 ). Die zuständige Behörde hat nach Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34 immer dann eine Befreiung vom Verbot zu bewilligen, wenn sie keine ausreichend sicheren Erkenntnisse für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hat.

Das Tragen der Masken dürfte hier durchaus als künstlerisches Kundgebungsmittel einzuordnen gewesen sein, das gerade die politische Aussage der Versammlung transportieren und einen wesentlichen Kern der Forderungen vermitteln soll. Vorliegend mag zwar nicht auszuschließen sein, dass öffentliche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt werden, ein mehr als nur geringer Umfang war im maßgeblichen Zeitpunkt aber nicht erkennbar. Eine hinreichend belastbare, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose durch die Polizei, die auf eine andere Beurteilung hinführen würde, ist nicht vorgelegt worden. Vielmehr hat die Polizei im Rahmen des Kooperationsgesprächs offenbar zu erkennen gegeben, vorliegend keine sicherheitsrechtlichen Bedenken gegen die Masken zu haben. Auch die Antragsgegnerin selbst hat offenbar anerkannt, dass die im die Versammlung tragenden Bündnis zusammengefassten Organisationen und Gruppierungen vor Ort nicht durch Gewalt oder Ähnliches aufgefallen seien. Zwar ist zuzugeben, dass mit den Masken eine Identifizierung verhindert bzw. es zumindest erleichtert werden kann, das Gesicht schnell zu verhüllen, und so womöglich Straftaten zu begehen, ohne identifiziert werden zu können; auf der anderen Seite könnte - wer es darauf anlegen wollte - auch ohne weiteres andere geeignete Gegenstände mit sich führen, um dann sein Gesicht zu verhüllen; dabei ist es unerheblich, ob derartige Gegenstände zunächst verdeckt oder angesichts der im Versammlungszeitpunkt voraussichtlich herrschenden Temperaturen auch offen mitgeführt werden, Schals, Mützen oder ähnliche wärmende Kleidungsstücke sind von der Versammlungsbehörde ja nicht verboten worden. Daher scheint es vorliegend angesichts der Gefahrenprognose für die konkrete Veranstaltung nicht gerechtfertigt gewesen zu sein, das Kundgebungsmittel des Tragens und Mitsichführens von Guy-Fawkes-Masken' verboten sein zu lassen. Dies hat die Antragsgegnerin offenbar inzwischen erkannt und dementsprechend tatsächlich noch Ausnahmen von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zugelassen.

Zusammenfassend ist damit zumindest bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass vorliegend bei der gegebenen Erkenntnislage ein Aufrechthalten der Verbote des Tragens der Masken vor dem Gesicht und des Mitsichführens einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dargestellt und somit ein Anordnungsanspruch im Umfang des Hauptantrags bestanden hätte (über die weiterhin gestellten Hilfsanträge wäre daher nicht mehr zu entscheiden gewesen). Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass dies freilich nicht bedeutet, dass diese Ausnahmen vorbehaltlos erteilt werden müssten. Vielmehr ist etwa an einen Widerrufsvorbehalt für den Fall zu denken, dass die friedliche Qualität der Versammlung verloren geht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34), unabhängig davon, ob dies aus Gründen erfolgt, die im Tragen oder Mitsichführen der Masken ihre Ursache haben, oder aus anderen Gründen.

Ein Anordnungsgrund bestand angesichts des für den 11. Februar 2012 geplanten Versammlungstermins ohne Weiteres. Auch eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre hier im Lichte des sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ausnahmsweise zulässig gewesen, weil anderenfalls ein endgültiger Rechtsverlust gedroht hätte.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 des Gerichtskostengesetzes unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff). ..."

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Nach Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes ist es erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll. Diese Absicht ist nicht nachzuweisen, wenn durch die Vermummung allein das Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners verhindert werden soll, um späteren Repressalien zu entgehen (LG Hannover, Urteil vom 20.01.2009 - 62c 69/08 zu VersG §§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1):

... Am 19. 01. 2008 gegen 16.06 Uhr befand sich die Angekl. im Demonstrationszug gegen Neonazis in B. in der ...straße und in einer Entfernung von 20 bis 30 m vom Café Rock Averne. Letzteres ist bekannt als Treffpunkt von Angehörigen der sog. rechten Szene. Als die Angekl. sich in Höhe des Cafés befand, wurde sie von dem Zeugen PK W. gefilmt, wie sie eine Sonnenbrille und ein Baseballcap mit der Aufschrift "Lonsdale" tragend und einen Schal über ihren Mund gezogen dort stand und nach einer kürzeren Ansprache über den in wenigen Metern Entfernung vor ihr befindlichen Lautsprecherwagen an den Kameraleuten - immer noch vermummt - weiterzog.

Die Kammer konnte nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. die Vermummung erst kurz bevor sie gefilmt wurde, angelegt hatte und diesem Hinweise auch über Lautsprecher vorausgegangen waren, Demonstrationsteilnehmer würden von Mitgliedern der sog. rechten Szene aus dem Bereich des Cafés Rock Avenue heraus fotografiert und gefilmt. Die Kammer konnte des weiteren nicht mit einer für die Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. mit dem Bedecken weiter Teile ihres Gesichts lediglich verhindern wollte, daß die Mitglieder der sog. rechten Szene und Gegner der Demonstration, an der sie teilnahm, Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht anfertigen könnten, um diese dann zwecks weiterer Diffamierungen zu verwenden. Vielmehr erscheint die Möglichkeit als naheliegend, daß es ihr darum ging, zu verhindern, daß Mitglieder der rechtsradikalen Szene in den Besitz von Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht gelangen und durch die Vermummung den Anreiz, sie zu fotografieren, vermindern wollte.

Während der Demonstration fotografierte ein älterer Herr mit Bart, der Gerüchten zufolge nach ebenfalls der rechten Szene angehörte, mit einer Kamera und zwei Beobachter der Demonstration mit Handys in den Demonstrationszug hinein. Diese Fotografierenden befanden sich im Bereich des Cafés Rock Avenue. ...

IV. Von dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 27 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz war die Angekl. aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Es fehlt an der nach § 27 Abs. 2 Ziff. 2 Versammlungsgesetz geforderten Absicht, die Feststellung der Identität zu verhindern. Zwar ist dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz nach nur allgemein gefordert, daß die Vermummung den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Jedoch ist nach dem Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes gem. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll (so auch AG Rothenburg/Wümme in NSDZ 2006, 358, AG Tiergarten, Urteil v. 21. 04. 2005, Az. 256 Cs 81 Js 1217/04 (947/04), zitiert nach Juris). Diese Absicht ist der Angekl. gerade nicht nachzuweisen gewesen.

Die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz im o.g. Sinne ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend. Würde die Vorschrift nicht in dem genannten Sinne teleologisch reduziert werden, so würde die Strafvorschrift de facto zu einer Bestrafung der Teilnahme an einer genehmigten Versammlung und damit einem Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG führen. Das systematische Hineinfotografieren in Demonstrationszüge des jeweiligen politischen Gegners würde so nämlich dazu führen, daß im Falle nachfolgender Repressalien mit Hilfe dieser Fotos die Demonstrationsteilnehmer vor der Alternative stünden, entweder Repressalien seitens der politischen Gegner hinzunehmen oder aber eine Bestrafung seitens der Strafverfolgungsbehörden wegen Verstoßes gegen das sog. Vermummungsverbot. Die einzig noch verbleibende Alternative bestünde in einem Verzicht auf Teilnahme an einer solchen Demonstration. Damit aber würde die Gefahr bestehen, daß politische Demonstrationen linker und rechter Gruppierungen auf Dauer de facto durch das systematische Fotografieren in diese Demonstrationszüge hinein durch politische Gegner unterbunden würden, gegen das es - so lange der Gesetzgeber das Fotografieren von Demonstrationszügen und einzelner Demonstrationsteilnehmer während der Demonstration sowie die Verwendung oder Weitergabe solcher Fotos nicht sanktioniert - keinen anderen Schutz als die Vermummung geben kann. Letztlich würde so die strafrechtliche Verfolgung von Vermummungen einzig mit dem Ziel, das Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners zu verhindern dazu führen, daß sich die Strafverfolgungsbehörden unwillentlich zum Werkzeug der jeweiligen politischen Gegner machen, deren Ziel das Verhindern solcher Demonstrationen ist. ..."

***

Ein innerhalb des Mundes zu tragender Mundschutz (Beißschiene) ist weder eine Schutzwaffe noch ein Gegenstand, der als Schutzwaffe geeignet ist, im Sinne von §§ 17a I, 27 II Nr. 1 VersG (LG Cottbus, Beschluss vom 22.12.2006 - 24 jug Qs 61/06, NStZ-RR 2007, 282).

Der Begriff der Aufmachung in § 17a II Nr. 1 VersG enthält seiner Wortbedeutung nach das Element der Künstlichkeit i. S. einer inadäquaten Veränderung des gewöhnlichen Erscheinungsbilds. Nicht erfasst wird daher die bloße identitätsverdeckende Wirkung eines den Umständen nach adäquaten Verhaltens, wie das Hochhalten eines großflächigen Transparents bei einer Demonstration (KG, Urteil vom 12.06.2002 - (5) 1 Ss 424/00 (6/01), NJW 2002, 3789).

*** (AG)

Wer als Teilnehmer einer Gegendemonstration unter freiem Himmel mit seiner Aufmachung die Anfertigung von Lichtbildern durch gewaltbereite Mitglieder der rechten Szene erschweren bzw. vereiteln will, verhindert damit nicht die Feststellung seiner Identität durch die Strafverfolgungsbehörden (AG Rotenburg (Wümme), Urteil vom 12.07. 2005 - 7 Cs 523 Js 23546/04 (9/05), NStZ 2006, 358):

... Mit Strafbefehl des AG ist dem Angekl. vorgeworfen worden, entgegen § 17a II Nr. 1 VersG an einer Versammlung unter freiem Himmel in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilgenommen zu haben, indem er als Teilnehmer einer Demonstration gegen eine NPD-Kundgebung sich mittels eines dunklen Schals, den er über Mund und Nase gezogen hatte und einer bis über die Augenbauen gezogenen Mütze derart vermummte, dass sein Gesicht nicht mehr erkennbar war. Der Angekl. wurde aus rechtlichen Gründen freigesprochen. ...

Während der Demonstration wurden von Demonstrationsteilnehmern der NPD, u.a. von J.R, mit Teleobjektiven und Digitalkameras in die Gegenkundgebung hinein Porträtaufnahmen von den Gegendemonstranten gefertigt. Bilder von Gegendemonstranten gegen die rechte Szene werden auf Websites der rechten Szene veröffentlicht. Auf diesen Websites wird zum Teil ausdrücklich zur Ausübung von Gewalt gegen die von der rechten Szene porträtierten Personen aufgerufen. Der Angekl. hat sich wie oben beschrieben mittels Schal und Mütze zeitweise vermummt, um seine Identität vor den Parteimitgliedern der NPD und Sympathisanten der rechten Szene geheim zu halten. Der Angekl. ist lediglich auf dem Bild 3 vollständig vermummt. Wenn der Angekl. die Feststellung seiner Identität gegenüber den Einsatzkräften der Polizei hätte vereiteln wollen, hätte es nahegelegen, während der Anfertigung des gesamten Videobandes dauerhaft vermummt aufzutreten, was nicht geschehen ist. Die Lichtbildaufnahmen durch die Polizei sind jedenfalls auch nicht im Geheimen vorgenommen worden und waren für den Angekl. auch ersichtlich.

Letztendlich bestand für den Angekl. auf Grund seiner friedlichen Teilnahme an der Gegendemonstration auch kein Grund, seine Identität vor den Strafverfolgungsbehörden zu verheimlichen.

Nach Auffassung des Gerichts ist deshalb der objektive Tatbestand des § 17a II Nr. 1 VersG nicht erfüllt. Zweck dieser Vorschrift ist die Verhinderung der Feststellung der Identität durch die Strafverfolgungsbehörden (vgl. dazu AG Tiergarten (256 Cs 947/04). Solange ein Angekl. jedoch mit seiner Aufmachung die Anfertigung von Lichtbildern von gewaltbereiten Mitgliedern der rechten Szene erschweren bzw. vereiteln will, liegt damit eine Verhinderung der Feststellung der Identität durch die Strafverfolgungsbehörden nicht vor und war subjektiv vom Angekl. auch nicht beabsichtigt. ..."

§ 18

(1) Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 2, §§ 12 und 13 Abs. 2 entsprechend anzuwenden.

(2) Die Verwendung von Ordnern bedarf polizeilicher Genehmigung. Sie ist bei der Anmeldung zu beantragen.

(3) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.

Leitsätze/Entscheidungen:

Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, die Personalien der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die auf Anforderung der Polizei oder der Versammlungsbehörde vorzulegen ist, kann grundsätzlich unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint). Die Anordnung, mit der der Versammlungsleiter und die Ordner verpflichtet werden, die Polizei über versammlungsrechtliche und strafrechtliche Verstöße zu informieren, die von dem Versammlungsleiter oder den Ordnern nicht unterbunden werden können, ist rechtswidrig (VGH Ba-Wü, Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10).

***

Ein Versammlungsausschluss muss bestimmt und unmissverständlich ausgesprochen werden. Er kann nicht konkludent erfolgen und nicht mit nach außen wirkenden Ordnungsverstößen von Versammlungsteilnehmern begründet werden, die inhaltlich mit dem Zweck der Versammlung übereinstimmen. Das in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit steht nicht im Gegensatz zur Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG, sondern stellt eine ergänzende Verstärkung in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung einer Veranstaltung dar. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nicht objektiv, sondern unter Zugrundelegung eines weiten Kunstbegriffs aus der Sicht der "Kunstszene" einschließlich des Künstlers selbst zu bestimmen und erfasst auch politisches Straßentheater. Der Begriff "Theateraufführung" in der Ausnahmevorschrift des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WaffG lässt im Wege verfassungskonformer Auslegung das öffentliche Führen sog. Anscheinswaffen zu, wenn sie nach den Gesamtumständen ersichtlich zweckentfremdet als Hilfsmittel einer szenischen Darstellung verwendet werden (HessVGH, Urtei vom 17.03.2011 - 8 A 1188/10 zu Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 8 GG, § 15 VersG, § 18 VersG, § 12 VersG u.a.).

***

Ein Ausschluss von der Versammlung liegt erst dann vor, wenn die zuständige Behörde dem einzelnen Versammlungsteilnehmer klar und unmissverständlich zu erkennen gibt, dass er sich nicht mehr auf die Versammlungsfreiheit berufen kann und sich aus der Versammlung zu entfernen hat. Die für das Vorliegen einer Störung nach § 18 III VersG erforderliche schwere Beeinträchtigung des Verlaufs der Versammlung liegt dann nicht vor, wenn das "störende" Verhalten Kern der Versammlung ist und in Übereinstimmung mit dem Zweck der Versammlung steht (OVG Schleswig, Urteil vom 14.02.2006 - 4 LB 10/05, NordÖR 2006, 166).

***

... Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig, wonach vorläufiger Rechtsschutz nicht gegen die Anordnung des Sofortvollzugs zur Benennung der Ordner bis zum 02.04.2002, 12.00 Uhr gewährt werde, ist dagegen begründet. Hinzuweisen ist darauf, dass nach § 18 Abs. 2 VersG die Verwendung von Ordnern für Versammlungen unter freiem Himmel der polizeilichen Genehmigung bedarf, die bei der Anmeldung zu beantragen ist. Aus dieser Regelung, die nach § 19 Abs. 1 VersG auch auf Aufzüge entsprechend anzuwenden ist, folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Polizei auch die Zuverlässigkeit der Ordner überprüfen kann (a.A.: Ridder/ Breitbach/ Rühl/ Steinmeier, Versammlungsrecht, § 18 RdNr. 13 m. w. N.). Der Senat hält es bei der gegebenen Sachlage für ausreichend, dass zum Zwecke dieser Überprüfung eine Benennung der Ordner unter Angabe des Namens und Wohnanschrift durch den Antragsteller gegenüber dem Einsatzleiter der Polizei vor Ort bis spätestens eine Stunde vor Beginn der Versammlung zu erfolgen hat. Dies dürfte ausreichend sein. ..." (OVG Sachsen, Beschluss vom 04.04.2002, 3 BS 103/02)

***

Die Untersagung der Teilnahme von störenden Personen des eigenen Anhangs des Veranstalters an einer Versammlung unter freiem Himmel ist zulässig (VGH München, Beschluss vom 24.02.1995 - 21 CS 95.683, BayVerwBl 1995, 403).

Bei der Errichtung und dem Betrieb eines Informationsstandes, an dem politische Schriften verteilt und Passanten in Gespräche verwickelt werden sollen, handelt es sich nicht um eine Versammlung, weil eine solche Veranstaltung auf Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen, nicht aber auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform abzielt. Aus der Stellung als Leiter einer öffentlichen Versammlung läßt sich nicht ohne weiteres die Verantwortlichkeit für eine durchgeführte Sammlung herleiten (OLG Koblenz, Beschluß vom 29.06.1981 - 1 Ss 298/81, NStZ 1981, 484).

*** (VG)

... 1. Der - sinngemäß gestellte - Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin - 6 K 1459/12 - gegen Ziffer 5. des Auflagenbescheides des Landrates als Kreispolizeibehörde E. vom 7. Mai 2012, mit der der Antragstellerin für die Veranstaltung mit dem Thema Freiheit statt Islam!' am 8. Mai 2012 in E. das Zeigen der Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' untersagt worden ist, wiederherzustellen, hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zunächst in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Namentlich entspricht sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist.

Erforderlich ist insoweit eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses daran, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden, zurücktreten muss,

vgl. statt Vieler: Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 Rdnr. 85.

Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner. Mit seiner Argumentation, die beschränkende Verfügung stelle sicher, dass die geplante Veranstaltung einen störungsfreien Verlauf nehme und Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit auf ein Mindestmaß reduziert würden, und sie erfolge, um den Anspruch der Allgemeinheit auf Erhaltung der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten, zeigt er nachvollziehbar die besondere Dringlichkeit des Sofortvollzugs des streitigen Auflagenbescheides zum Schutz der Teilnehmer an der Demonstration der Antragstellerin wie auch der Teilnehmer der Gegendemonstration auf. Die Erwägungen des Antragsgegners lassen damit erkennen, dass er sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Erwägungen zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt es demgegenüber nicht an. Vielmehr trifft das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine in Würdigung aller einschlägigen Gesichtspunkte vorzunehmende eigene Entscheidung über die Rechtfertigung des Sofortvollzugs,

vgl. Verwaltungsgericht (VG) Aachen, zuletzt Beschluss vom 3. Februar 2012 - 6 L 40/12 -.

Der Eilantrag ist gleichwohl begründet, weil die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung insgesamt zu Lasten des Antragsgegners ausfällt.

Hat die Behörde - wie hier - einen belastenden Verwaltungsakt unter Hinweis auf ein überwiegendes öffentliches Interesse für sofort vollziehbar erklärt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag des Betroffenen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers daran, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht auf das hohe Gewicht der in Art. 8 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Versammlungsfreiheit den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zu,

vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), u.a. Beschluss vom 14. Mai 1985 - l BvR 233, 341/81 -, Amtliche Entscheidungssammlung (BVerfGE) Band 69, 315.

Dementsprechend hat ein solcher Antrag Erfolg, wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und demnach ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht bestehen kann oder wenn auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der Rechtmäßigkeit des Demonstrationsverbots ausgegangen werden kann.

Hiervon ausgehend ist der gestellte Eilantrag begründet, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung des Antragsgegners spricht.

Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder - hier relevant - von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot oder eine beschränkende Verfügung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.

Der Begriff der unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. fast mit Gewissheit' zu erwarten ist,

vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil 25. Juni 2008 - 6 C 21.07 -, DVBl 2008, 1248-1251, und .

Zur Annahme einer Gefährdung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG genügt deshalb auch nicht eine abstrakte Gefahr. Die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Die Prognose muss dabei auf erkennbaren Umständen' beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen.

Unter Zugrundelegung der dargelegten Maßstäbe ist nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (§ 15 Abs. 1 VersG) für den Fall, dass bei der angemeldeten Versammlung die Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' gezeigt wird, nicht glaubhaft belegt ist.

Der Antragsgegner begründet das mit der Auflage Nr. 5 verfügte Verbot, eine - nicht näher bezeichnete - Karikatur von Kurt Westergaard zu zeigen, zwar nicht ausdrücklich. Aus dem Sachzusammenhang, insbesondere der Weisung im Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) vom 7. Mai 2012 (Az. 402 - 57.02.01) sowie der unter dem gleichen Datum verfassten und an die Verwaltungsgerichtsbarkeit NRW gerichteten Schutzschrift' des IM NRW (gleiches Az.), folgt jedoch, dass das streitgegenständliche Verbot im Wesentlichen auf den Vorfällen anlässlich der Veranstaltungen der Antragstellerin in Solingen am 1. Mai 2012 und insbesondere in Bonn am 5. Mai 2012 fußt. Bei diesen Veranstaltungen hatte das Zeigen der Mohammed-Karikaturen von Kurt Westergaard zu gewalttätigen Reaktionen seitens der Gegendemonstranten geführt, in deren Verlauf Steine geworfen und Polizisten attackiert wurden. Im Verlauf der Ausschreitungen in Bonn wurden durch Gewalttäter, die den Salafisten zugeordnet wurden, 29 Polizisten - zum Teil schwer - verletzt.

Damit hat der Antragsgegner zwar aufgezeigt, dass es im Verlauf der beiden genannten Veranstaltungen zu unmittelbaren Gefahren für erhebliche Rechtsgüter gekommen ist. Es fehlt aber an einem Nachweis, dass der Eintritt des befürchteten Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. fast mit Gewissheit', auch für die konkrete Veranstaltung in E. zu erwarten ist.

Der Hinweis, die in Bonn von der Polizei festgenommenen 111 Salafisten stammten aus dem gesamten Bundesgebiet, was den Schluss darauf zulasse, dass die auch jetzt noch andauernde Mobilisierung Salafisten bundesweit zur Teilnahme an den heute und morgen stattfindenden Versammlungen bewegen' werde, ist erkennbar unkonkret und spekulativ. Der Antragsgegner hat keine Tatsachengrundlage aufgezeigt, die zumindest Anhaltspunkte dafür bieten könnte, dass die gewaltbereite Salafisten-Szene etwa der Tour' der Antragstellerin durch Nordrhein-Westfalen folgt und deswegen auch in E. mit einem Zusammentreffen und vergleichbaren Ausschreitungen wie in Bonn zu rechnen sein könnte. Es fehlt auch an Indizien dafür, dass die vom IM NRW mehrfach zitierten gegenwärtigen Aufrufe im Internet' gerade auch die Veranstaltung in E. betreffen; erwähnt wird hier allein die in Internetforen erfolgte Aufforderung von mehr als 2.000 Personen, an der Abschlussveranstaltung am Nachmittag des 8. Mai 2012 in Köln teilzunehmen. Allein der Hinweis auf die räumliche und zeitliche Nähe der E1. Veranstaltung zu der in Köln ist erkennbar unzureichend, eine unmittelbare Gefährdung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG zu belegen.

Gegen das tatsächliche Bestehen einer unmittelbaren Gefährdung spricht auch der Verlauf der zeitlich nach der gewalttätig verlaufenen Veranstaltung in Bonn durchgeführten Veranstaltungen in Bielefeld, Münster und Hagen. Für die Veranstaltung in Münster wurde nach Kenntnis der Kammer kein Verbot, Mohammed-Karikaturen zu zeigen, verfügt. Derartige Verbote für die Veranstaltungen in Bielefeld und Hagen wurden durch die Verwaltungsgerichte Minden und Arnsberg im vorläufigen Rechtsschutzverfahren für rechtswidrig gehalten, weshalb den auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der eingereichten oder noch einzureichenden Klagen gerichteten Anträgen mit - den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens bekannten - Beschlüssen vom 7. Mai 2012 stattgegeben wurde,

vgl. VG Minden, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 11 L 302/12 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 3 L 336/12 -.

Obwohl damit davon ausgegangen werden kann, dass bei diesen Veranstaltungen die fraglichen Karikaturen gezeigt worden sind, ist es - möglicherweise auch zurückzuführen auf eine deutlich höhere Polizeipräsenz - nicht zu den befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den auch in Bielefeld, Münster und Hagen vor Ort anwesenden Gegendemonstranten gekommen,

vgl. zu den insoweit im Internet aufrufbaren Presseberichten: (allgemein) www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html; Bielefeld: www.westfalen-blatt.de/nachricht/2012-05-07-pro-nrw-demo-karrikaturen-duerfen-gezeigt-werden/613/c48d92873e 56a09a782644183e54a24e/; Münster: www.wn.de/Muenster/ Kundgebung-Pro-NRW-verlaeuft-friedlich-Ein-Dutzend-Rechtsex-tremer-demonstriert-vor-Hiltruper-Moschee; Hagen: www.lo-kalkompass.de/hagen/leute/pro-nrw-in-hagen-d164703.html; (alle abgerufen am 7. Mai 2012).

Auch bei der überwiegenden Mehrzahl der früheren Veranstaltungen seit Beginn der Tour' durch NRW am 28. April 2012 ist es ausweislich der zur Gerichtsakte gelangten Pressemitteilungen der Polizei zu den Veranstaltungen in Oberhausen, Herten und Hamm am 2. Mai 2012 und in Krefeld und Düsseldorf am 4. Mai 2012 nicht zu Ausschreitungen gekommen,

vgl. zu den Veranstaltungen von Pro NRW auch: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30. April 2012 - 5 B 546/12; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2012 - 18 L 760/12 -; VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -.

Lediglich die Veranstaltungen in Solingen und Bonn bilden die - unrühmliche und traurige - Ausnahme. Dafür aber, dass die Rahmenbedingungen in E. mit den Umständen dieser beiden Veranstaltungen vergleichbar wären, fehlt es an begründeten Anhaltspunkten. Insbesondere fehlt es an verlässlichen Indizien dafür, dass Anhänger der gewaltbereiten Salafisten-Szene überhaupt zu der Veranstaltung nach E. kommen werden. Auch die mögliche Annahme, dass Salafisten, für die mit Blick auf die Veranstaltung in Köln ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden ist,

vgl. www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html (abgerufen am 7. Mai 2012),

die E1. Veranstaltung als Ausweichveranstaltung' nutzen könnten, bleibt erkennbar spekulativ. Sollte es tatsächlich hierauf gerichtete Aufrufe im Internet oder über andere Medien geben, ist vielmehr davon auszugehen, dass dies den Verfassungsschutzbehörden, die die Salafisten auch in Nordrhein-Westfalen überwachen,

vgl. Verfassungsschutzbericht NRW für das Jahr 2010, S. 216 - 219,

bekannt ist und im vorliegenden Verfahren dann auch vorgetragen worden wäre. Dass dies nicht geschehen ist, spricht dafür, dass es diese Erkenntnisse tatsächlich nicht gibt.

Letztlich fehlt es im angefochtenen Bescheid auch an einer Auseinandersetzung damit, ob die Polizei nicht in der Lage ist, mit ihren Mitteln Vorfälle, wie sie in Bonn geschehen sind, bei künftigen Veranstaltungen auszuschließen. Zum einen dürfte die Polizei aufgrund der Vorfälle mit einer erhöhten Polizeistärke vor Ort sein. Zum anderen hat der Antragsgegner die Gefahr eines unmittelbaren Aufeinandertreffens der Antragstellerin mit Gegendemonstranten durch eine Verlagerung des Kundgebungs-ortes und eine Vergrößerung des Abstandes zwischen beiden Gruppen zusätzlich entschärft. Auch diese Maßnahmen dürften dazu beitragen, dass das hier streitgegenständliche Zeigen der Mohammed-Karikaturen nicht zu einer unmittelbaren Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG führt. Sollte sich eine derartige Gefahr gleichwohl im Verlauf der Veranstaltung wider Erwarten ergeben, bleiben dem Antragsgegner die sich aus dem Versammlungsgesetz ergebenden Eingriffsmöglichkeiten. Die angefochtene Auflage erweist sich hingegen als rechtswidrig. ..." ( VG Aachen, Beschluss vom 08.05.2012 - 6 L 220/12)

***

Die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls (hier: des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes) legitimiert nicht dessen Verletzung. Zur Frage, welche Art von Versammlung dem ernsten Charakter des Karfreitags widerspricht (VG Gießen, Beschluss vom 05.04.2012 - 4 L 745/12.GI):

... I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Untersagung der für Karfreitag, den 6. April 2012, angemeldeten Kundgebung Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen'.

Am 16. März 2012 meldete der Antragsteller bei der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Gießen eine Demonstration für den 6. April 2012, 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr, auf dem Kirchenplatz in Gießen an, die unter dem Motto Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' stehen sollte, in den Medien aber auch unter den Mottos Tanzen gegen das Tanz-Verbot', Kommet und tanzet zuhauf' und Kommt tanzend vorbei' angeführt wurde. Am 29. März 2012 fand ein Kooperationsgespräch statt, bei dem außer dem Kirchenplatz - auf dem sich außer einem Kirchturm nur noch die Silhouette einer im zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche findet - noch der Berliner Platz vor dem Rathaus sowie die Fußgängerüberführung Seltersweg als Veranstaltungsort in Erwägung gezogen wurden. Nach internen Abstimmung(sschwierigkeit)en zwischen der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Gießen als örtlicher Ordnungsbehörde und dem Regierungspräsidium Gießen als Bezirksordnungsbehörde übte das Regierungspräsidium Gießen sein Selbsteintrittsrecht aus und untersagte durch Verbotsverfügung vom 3. April 2012 die angemeldete Kundgebung ebenso wie Ersatzveranstaltungen an anderen Orten in Gießen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung (Blatt 5 bis 13 d. A.).

Am 4. April 2012 hat der Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und vorsorglich am selben Tag beim Regierungspräsidium Gießen Widerspruch eingelegt. Das Regierungspräsidium Gießen verteidigt seine Verbotsverfügung.

II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss erfolglos bleiben [A.], so dass die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller zur Last fallen [B.] und wobei der Streitwert auf den gesetzlichen Auffangstreitwert festzusetzen ist [C.].

A. Der Antrag, die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung des Regierungspräsidiums Gießen vom 3. April 2012 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auszusetzen, ist zulässig [1.], aber unbegründet [2.].

1. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob als Rechtsbehelf, der den Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO herbeizuführen geeignet ist, dem Antragsteller allein die Anfechtungsklage zur Verfügung steht, oder ob im Hinblick auf den auslegungsfähigen Wortlaut des § 16a Abs. 2 Satz 1 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (HessAGVwGO) in der Fassung vom 27. Oktober 1997 (GVBl. I S. 381), geändert durch Gesetz vom 17. Oktober 2005 (GVBl. I S. 674) - FFN 212-5 -, derzufolge es dann, wenn das Regierungspräsidium einen Verwaltungsakt erlassen hat, eines Vorverfahrens nicht bedarf', i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO auch der kostengünstigere Widerspruch eröffnet ist, da von einer materiellen Erledigung der angegriffenen Verfügung während der Rechtsbehelfsfrist auszugehen ist und im Hinblick auf die Erfolglosigkeit des Begehrens offenbleiben kann, ob die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs oder die einer noch zu erhebenden Klage wiederherzustellen sei. Da die Anmeldung aufrechterhalten bleibt, kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller im Internet verbreitet hat, die Demo am Karfreitag in Gießen (finde) nicht statt.'

2. Der Antrag erweist sich jedoch als unbegründet. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung unter Ausrichtung an den - mangels anderer gesetzlicher Vorgaben hier entsprechend heranzuziehenden - Kriterien des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 3. April 2012. Das Regierungspräsidium Gießen war sachlich und örtlich zuständig [a.] und hat - bezogen auf das Begehren des Antragstellers - materiell zutreffend entschieden [b.]

a. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14) - FFN 310-63 - war das Regierungspräsidium Gießen als Bezirksordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HSOG ermächtigt, die Befugnisse der ihm unterstellten Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Gießen als örtlicher Ordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HSOG auszuüben und damit selbst eine Anordnung zu treffen. Das Versammlungswesen fällt nach § 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Durchführung des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetzes (HSOG-DVO) vom 12. Juni 2007 - FFN 310/105 - i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 1 HSOG in den Aufgabenbereich der allgemeinen Ordnungsbehörden. Auf Seite 3, zweiter und letzter Absatz, der angegriffenen Verfügung hat das Regierungspräsidium Gießen nachvollziehbar die Umstände dargelegt, die aus seiner Sicht den Selbsteintritt erforderten.

b. Der Ansicht des Regierungspräsidiums Gießen, der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes in der Fassung vom 29. Dezember 1971 (GVBl. I S. 343) - FFN 17-6 - stehe der geplanten Kundgebung entgegen, ist zu folgen. Danach sind am Karfreitag von 0.00 Uhr an öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge und Umzüge aller Art, wenn sie nicht den diesem Feiertag entsprechenden ernsten Charakter tragen, verboten. Diesem Verbot ist über die versammlungsrechtliche Ermächtigung des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789) - FNA 2180-4 -, das in Hessen nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) als Bundesrecht fortgilt, Geltung zu verschaffen, denn jede Veranstaltung - auch unter dem Privileg einer Versammlung -, die diesem ernsten Charakter des Karfreitags nicht Rechnung trüge, stellte sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände so als Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Zwar handelt es sich bei der angemeldeten Kundgebung ohne Zweifel um eine Versammlung [(1)], doch ist sie - jedenfalls in der angemeldeten Form - nicht durchzuführen [(2)].

(1) Eine Kundgebung unter dem Motto Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' ist auch dann eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, wenn sie als Ausdrucksmittel Tanzelemente zu integrieren beabsichtigt, da die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung - und zwar hinsichtlich einer vom Antragsteller für geboten erachteten Novellierung des Hessischen Feiertagsgesetzes - gerichtet ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, BVerfGE 104, 92 (104)). Wegen dieser Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung geht sie damit über eine öffentliche Tanzveranstaltung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Feiertagsgesetzes hinaus, die mehr auf Tanzlustbarkeiten im Sinne von § 33b der Gewerbeordnung zielen dürfte, deren Abhaltung indes landesrechtlichen Bestimmungen vorbehalten bleibt.

(2) Diese Versammlung unterfällt indes dem Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, nach dem für Versammlungen unter freiem Himmel das Versammlungsrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann. In der angemeldeten Art und Weise verbleibt nur die Möglichkeit des Verbots [(a)], während Auflagen als milderes Mittel ausscheiden [(b)].

(a) Das Kundgabemittel des Tanzes als Ausdruck des Protests gegen den Normbefehl des § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes ist - jedenfalls in der beabsichtigten Form - mit dem gesetzlich normierten ernsten Charakter des Karfreitags nicht zu vereinbaren. Unerheblich ist dabei, dass der Antragsteller die Motive des Gesetzgebers, die insbesondere den Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes tragen, offenbar nicht teilt. Denn zum einen folgt aus dem Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eine Schutzverpflichtung des Gesetzgebers, die durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage aus Art. 139 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383), der nach Art. 140 GG Bestandteil dieses Grundgesetzes ist, konkretisiert wird und demzufolge der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt' bleiben (siehe auch Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 -, BVerfGE 125, 39 (84 ff.); Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 6 B 35.09 -, juris, Abs.-Nr. 16), zum anderen legitimiert die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls nicht dessen Verletzung. Auch wenn dem Tanz gesellschaftlich verschiedene Funktionen zuzubilligen sind, überwiegt doch typischerweise eine ausgelassene, freudige Grundeinstellung und stellt der Antragsteller genau hierauf ab. Diese Grundeinstellung ist typischerweise mit dem ernsten Charakter des Karfreitags, an den der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes anknüpft, nicht in Einklang zu bringen.

(b) Möglichkeiten, durch geeignete Auflagen nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes das kommunikative Anliegen des Antragstellers mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit eines jedenfalls nicht unerheblichen Bevölkerungsanteils vor dem objektivrechtlich bestehenden staatlichen Schutzauftrag in praktische Konkordanz zu bringen, sind nicht erkennbar. Soweit eine Auflage des Inhalts, die Versammlung nicht am Karfreitag, dem 6. April 2012, sondern am Karsamstag, dem 7. April 2012, abzuhalten, in Erwägung zu ziehen ist (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, zu einer Versammlung an dem durch Proklamation des Bundespräsidenten vom 3. Januar 1996, BGBl. I S. 17, eingeführten Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als einer Verwaltungs-, nicht Rechtsvorschrift), ist nichts dafür erkennbar, dass dies dem auf Protest gegen das Hessische Feiertagsgesetz durch dessen Zuwiderhandlung gerichteten Anliegen des Antragstellers entsprechen könnte. Auch andere Auflagen, durch die die vom Antragsteller beabsichtigte Kundgabe mit dem äußeren Erscheinungsbild des Karfreitags, wie es aus § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes folgt, in Einklang zu bringen sein könnte, sind nicht erkennbar: Der Normgeber will die Bevölkerung am Karfreitag nicht mit einer Kundgabe wie der vom Antragsteller beabsichtigten konfrontieren. Der Hinweis des Antragstellers darauf, dass in Fortführung der vom Regierungspräsidium Gießen vertretenen Ansicht eine Christopher-Street-Demonstration' in einem konservativen Dorf nicht erlaubt sei, geht fehl, da insoweit mangels einer dem § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes entsprechenden konkreten Normierung auf die in § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes zwar auch angeführte öffentliche Ordnung', mithin bloße Sozialnormen, abgestellt werden müsste, die freilich im Allgemeinen weder Verbote noch Auflösungen, sondern nur Auflagen zu rechtfertigen vermöchte (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschl. des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (353)). ..."

***

... I. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Auflage bezüglich einer in Berlin-Schöneweide geplanten Versammlung.

Unter dem 06.02.2012 meldete der Antragsteller über die Internetwache der Polizei eine Versammlung zum Thema Gegen organisierte Nazi-Strukturen in Schöneweide' für den 02.03.2012, 18 Uhr an. Der Aufzug sollte ausweislich der Anmeldung schließlich von Norden kommend über die E durch die B zum M führen und dort mit einer Abschlusskundgebung enden.

Am 06.02.2012 wurde auf der Website www.antifa-berlin.info ein Aufruf zu der Versammlung unter der Überschrift Antifa-Demo in Schöneweide' veröffentlicht, dessen Untertitel 'Was zuviel ist, ist zuviel' - 3 Jahre Nazikneipe Z ', sind 3 Jahre zuviel! Nazinetzwerke aufdecken und zerschlagen' lautete. In der in dem Aufruf verlinkten Langfassung finden sich unter anderem Ausführungen zu der Kneipe Z ' in der B und zu dem von dem Landesvorsitzenden der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), S , in der B betriebenen Ladenlokal H ' sowie zu Herrn S selbst. Ein Hinweis auf seine private Wohnanschrift findet sich darin nicht. Auch in den weiteren der Gerichtsakte und dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden Mobilisierungsaufrufen ist eine Nennung der Privatanschrift von Herrn S nicht vorzufinden. Die Mobilisierungsaufrufe enthalten auch keine Bezugnahmen auf die private Wohnanschrift des Herrn S .

Unter dem 22.02.2012 wurde auf der Website de.indymedia.org ein Artikel unter der Überschrift Schöneweide bei Nazis weiter hoch im Kurs' veröffentlicht, in dem unter anderem steht: Hier wohnen maßgebliche Akteure wie S (unter seinem falschen Namen M ' in der B ) und hier haben sie ihre Infrastruktur und Rückzugsräume.'

Am 29.02.2012 führte die Versammlungsbehörde telefonisch ein Kooperationsgespräch mit dem Antragsteller. Dabei wurden ausweislich des in dem Verwaltungsvorgang befindlichen Vermerks unter anderem die Reizobjekte, wie: H ', H , der G , H ' und die Wohnanschrift des Herrn S ' thematisiert. Der Antragsteller habe bekannt gegeben, dass ihm die Wohnanschrift des Herrn S nicht persönlich bekannt gewesen sei.

Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 01.03.2012 bestätigte der Polizeipräsident in Berlin die Anmeldung der Versammlung und erließ zu Ziff. 1 folgende Auflage: Der Aufzug ist nach der E nicht über die B sondern über die S zum angemeldeten Abschlusskundgebungsort M zu führen und dort zu beenden. Es wird untersagt, den Aufzug durch die B zu führen.' Es wurde zudem festgelegt, dass auf dem Schnittstellenbereich von E - und S eine Zwischenkundgebung mit dem Blick auf das Lokal Z ' stattfinden solle. Zur Begründung führte die Versammlungsbehörde insbesondere an, dass der Antragsteller bereits Anmelder eines Aufzuges am 08.07.2011 gewesen sei, der durch die B geführt habe und bei dem es zu Flaschenwürfen und einem Landfriedensbruch gekommen sei. Für den jetzigen Aufzug würde auf verschiedenen Internetplattformen mobilisiert. Durch die Veröffentlichung auf de.indymedia.org bestünde eine Kenntnis der Teilnehmer von dem Wohnort des Herrn S . In dem auf www.antifa-berlin.info veröffentlichten Aufruf, der zwar nicht von dem Antragsteller stamme, diesem aber zuzurechnen sei, werde zudem deutlich gemacht, dass die verantwortlichen Ladenbesitzer aus der Anonymität gezogen werden müssten. Aufgrund dessen sei eine direkte Einwirkung auf das unmittelbare private Wohnumfeld des Herrn S zu besorgen, die wegen dessen Recht auf Privatsphäre eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit erfordere. Die Auflage sei auch verhältnismäßig, da der Aufzug im Übrigen durchgeführt werden dürfe und ein Sichtkontakt zu den in den Aufrufen thematisierten Objekten durch den Zwischen- und Abschlusskundgebungsort gewährleistet sei.

Mit Schreiben vom 01.03.2012 hat der Antragsteller Widerspruch gegen die Auflage zu Ziff. 1 beim Beklagten eingelegt.

Mit seinem am gleichen Tag bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Er trägt vor, die Gefahrenprognose des Antragsgegners entbehre einer tatsächlichen Grundlage, da frühere Veranstaltungen, auch die Versammlung vom 08.07.2011, ohne größere Störungen verlaufen seien. Thema der jetzigen Versammlung seien zudem ausschließlich die Kneipe Z ' und der Laden H ', eine Thematisierung von Herrn S oder dessen Privatwohnung sei nicht beabsichtigt. Insofern sei die vorliegende Versammlung auch nicht mit Versammlungen vor dem Wohnhaus des Regierenden Bürgermeisters vergleichbar, da bei jenen die Person und die Politik des Regierenden Bürgermeisters gerade Versammlungsgegenstand gewesen seien. Herr S suche zudem auch in seinem Laden H ' die Öffentlichkeit, weshalb er keines entsprechenden Schutzes bedürfe. Eine Verlegung der Aufzugroute sei darüber hinaus unverhältnismäßig, da sie das zentrale Anliegen der Versammlung, nämlich den Protest gegen die rechten Lokalitäten' in der B verhindere.

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 01.03.2012 gegen die Auflage zu Ziff. 1 des Bescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom selben Tag wiederherzustellen.

Der gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist begründet.

Im Rahmen der zur Prüfung des Begehrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt das private Aus-setzungsinteresse. Die Interessenabwägung richtet sich dabei in erster Linie nach der in summarischer Prüfung festzustellenden Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes, mithin den voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Lediglich an einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt kann auf Grund der Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG ein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen.

Nach diesen Maßstäben bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Auflage. Eine Hauptsacheklage des Antragstellers wäre gemessen an dem Maßstab des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO voraussichtlich erfolgreich.

Zwar dürfte die Anordnung der sofortigen Vollziehung angesichts der im Gefahrenabwehrrecht insofern herabgesetzten Anforderungen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss v. 24.01.2012 - 10 S 3175/11; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.06.2009 - OVG 1 S 97.09, jeweils zit. nach juris) noch im Einklang mit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO stehen. Die auf § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) basierende, formell rechtmäßige Auflage erweist sich bei summarischer Prüfung aber als materiell rechtswidrig. Denn sie stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 des Grundgesetzes (GG) verbürgte Recht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit dar.

Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396). Staatliche Eingriffe in dieses Recht müssen daher gerechtfertigt sein. Als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG fungiert insofern das VersammlG, insbesondere § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann eine Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Insofern bestehen schon Zweifel, ob eine derartige Gefährdung der hier allein in Betracht kommenden öffentlichen Sicherheit hinreichend erkennbar ist.

Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 25.06.2008 - 6 C 21/07, NJW 2009, 98, 99). Dies umfasst auch das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Herrn S . Wie die Kammer bereits in mehreren Verfahren entschieden hat (vgl. zuletzt VG Berlin, Beschluss v. 21.02.2012 - VG 1 L 37.12 m.w.N.), gewährt Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen einen Innenraum", in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat und in dem er in Ruhe gelassen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.07.1969 - 1 BvL 19/63, zit. nach juris).

Nach diesen Maßstäben steht Herrn S als Landesvorsitzendem der NPD zwar grundsätzlich der Schutz seiner Privatsphäre, d.h. insbesondere seines unmittelbaren privaten Wohnumfelds zu. Aus der Gerichtsakte und insbesondere dem eingereichten Verwaltungsvorgang ist aber nicht mit der notwendigen Prognosesicherheit zu erkennen, dass es im Verlauf der Versammlung zu einer Verletzung dieses Rechtes kommen wird. Die darin enthaltenen Mobilisierungsaufrufe enthalten keinerlei Bezugnahme auf die Privatwohnung von Herrn S , sondern beziehen sich sämtlich auf das von ihm betriebene Geschäft H ' und die Gaststätte Z '. Allein aus dem Umstand, dass sich einer dem linken Spektrum zuzuordnenden Website die private Anschrift von Herrn S entnehmen lässt, ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit der Schluss abzuleiten, dass es auch zu einer Störung des Rechts auf Privatsphäre kommen wird. Denn allen Versammlungsaufrufen ist die Fokussierung auf die Kneipe Z ' und das Geschäft H ' deutlich zu entnehmen.

Anders als bei Versammlungen, in denen - wie etwa im Verfahren VG 1 L 37.12 - die Ansprache der Person des öffentlichen Lebens ausdrücklich Zweck der Versammlung ist, geht es dem Antragsteller als Anmelder vorliegend insbesondere darum, die Häufung von Gewerbebetrieben, die bestimmte politische Ansichten bedienen, auf der Versammlung zu thematisieren. Die mit einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Herrn S einhergehende Thematisierung seiner persönlichen Beteiligung daran wäre daher allenfalls ein Thema unter vielen. Hinzu kommt, dass vorliegend keine Zwischenkundgebung vor dem privaten Wohnhaus von Herrn S geplant ist. Eine solche wäre ebenso wie vergleichbare Aktionen während des Aufzugs nach Auffassung der Kammer auch nicht zulässig und rechtfertigte gegebenenfalls eine Auflösung der Versammlung. Der Aufzug soll sein Wohnhaus aber passieren, da es sich - unter Umständen aus Zufall - in der gleichen Straße wie Z H ' und H ' befindet und daher zwangsläufig auf der Aufzugsroute liegt.

Unter diesen Umständen muss die Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz der Grundrechte zugunsten der Versammlungsfreiheit ausfallen. Das durch Art. 8 GG geschützte Versammlungsanliegen würde durch eine Sperrung der gesamten B zunichte gemacht. Denn anders als vom Antragsgegner im angegriffenen Bescheid dargestellt, ist die Kammer der Auffassung, dass ein hinreichender kommunikativer Kontakt jedenfalls zu dem Geschäft H ' - anders als zu der Kneipe Z ' - durch eine Zwischenkundgebung noch vor der Einmündung in die B gerade nicht sichergestellt wäre.

Die Versammlungsfreiheit als kollektive Seite der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396) schützt aber auch das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfG, Beschluss v. 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2167, 2169). Die Freihaltung der nach Auffassung des Antragstellers besonders von der rechten Szene' besetzten B stände zu diesen Maßstäben in deutlichem Gegensatz und wäre nur durch einen entsprechend schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Herrn S... zu rechtfertigen. Ein solcher ist aus den vorgenannten Gründen aber nicht mit hinreichender Gewissheit zu erwarten. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 02.03.2012 - 1 L 49.12)

***

Einschließung von Versammlungsteilnehmern zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten (VG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.2010 - 18 K 3033/09 zu §§ 18 III, 19 IV VersammlG, Art 8 Abs 1 GG - Kessel):

... A. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Ausweislich des polizeilichen Verlaufsberichtes erfolgte die Einschließung der Versammlungsteilnehmer zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten und zur Einleitung von Strafermittlungsverfahren (siehe Seite 18 oben des Verwaltungsvorgangs). Bei einer derartigen doppelfunktionalen Maßnahme, die sich von ihrer Zielrichtung her sowohl dem Recht der präventiven Gefahrenabwehr als auch dem Gebiet der Strafverfolgung zuordnen lässt, kommt es für die Abgrenzung des Rechtswegs darauf an, auf welcher Seite aus der Sicht des Betroffenen das Schwergewicht des polizeilichen Handelns lag.

Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 27. November 2008 - Au 5 K 08.547 -, .

Aus Sicht der Kläger handelte es sich bei der Einschließung in erster Linie um eine dem öffentlichen Recht zuzuordnende Maßnahme der Gefahrenabwehr. Denn der Beklagte bezeichnete die Einschließung gegenüber den Versammlungsteilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage ausdrücklich als Ausschluss aus der Versammlung, also als Maßnahme auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes (vgl. §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG). Die anschließend getroffenen Folgemaßnahmen, für die ebenfalls sowohl gefahrenabwehrrechtliche als auch strafverfahrensrechtliche Befugnisnormen in Betracht kommen (vgl. etwa für die Identitätsfeststellung § 12 PolG NRW einerseits, § 163b StPO andererseits), teilen schwerpunktmäßig die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Ausschlusses. Dieser war von vornherein auf die Ermöglichung weiterer polizeilicher Maßnahmen gerichtet. Auf Grund der übergreifenden Klammer' des Art. 8 GG stehen die Folgemaßnahmen in einem derart engen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit dem zu Grunde liegenden Ausschluss, dass eine unterschiedliche Rechtswegzuordnung auf die künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts hinausliefe. Dies bedeutet nicht, dass Befugnisnormen der StPO hier keine Rolle spielen. Hinsichtlich der strafverfahrensrechtlichen Komponente der angegriffenen Maßnahmen greift vielmehr § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ein, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden - also auch rechtswegfremden - rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat.

Ob die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) kombiniert mit - soweit Realakte in Streit stehen - einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 VwGO) statthaft ist, oder ob es sich insgesamt um eine allgemeine Feststellungsklage handelt, weil sich alle angegriffenen Maßnahmen bereits vor Klageerhebung erledigt hatten,

vgl. zur statthaften Klageart bei vorprozessual erledigtem Verwaltungsakt: BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, NVwZ 2000, 63 ff.,

kann dahinstehen. Denn die Zulässigkeitsvoraussetzungen beider Klagearten unterscheiden sich nicht. In jedem Fall ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse erforderlich, das bei den Klägern wegen ihrer Grundrechtsbetroffenheit durch den Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) sowie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und in Gestalt eines Rehabilitationsinteresses gegeben ist. Eine Klagefrist ist weder bei der allgemeinen Feststellungsklage noch bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen einen vorprozessual erledigten Verwaltungsakt zu wahren.

Vgl. zu letzterem BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, a.a.O.

B. Die Klage ist auch begründet. Sämtliche streitgegenständliche Maßnahmen des Beklagten sind rechtswidrig.

I. Das gilt zunächst für die Einschließung. Diese stellt einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit der Kläger dar, der nicht durch eine gesetzliche Ermächtigungsnorm gedeckt ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden (Abs. 2 der Vorschrift).

1. Das Verhalten der Kläger fiel in den Schutzbereich des Art. 8 GG. Die Kläger haben an einer Versammlung teilgenommen. Versammlung i.S. des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 f.

Dass diese Voraussetzungen hier vorlagen, ist nicht zweifelhaft. Zwar war die Versammlung entgegen § 14 VersG nicht angemeldet. Der Schutz des Art. 8 GG besteht aber unabhängig von einem Verstoß gegen die gesetzliche Anmeldepflicht. Der Verstoß hat lediglich zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 3 VersG die Auflösung der Versammlung in Betracht kommt, nicht jedoch, dass es sich von vornherein um ein nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG fallendes Verhalten handelt. Bis zu einer Auflösung besteht der versammlungsrechtliche Schutz fort.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, a.a.O.

Allerdings ist die Teilnahme an einer Versammlung nur geschützt, wenn sie friedlich und ohne Waffen erfolgt. Insoweit ist bereits der Schutzbereich der Grundrechtsnorm zurückgenommen. Friedlich ist eine Versammlung, die keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden oder ein gewalttätiger Verlauf unmittelbar bevorsteht; eine Vermummung kann die Erwartung unfriedlichen Verhaltens stützen.

Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 10. Aufl. 2009, Art. 8 GG Rz. 8 ff.

Bei der Beurteilung ist grundsätzlich auf den einzelnen Teilnehmer abzustellen, nicht auf die Versammlung insgesamt. Für die friedlichen Teilnehmer muss der Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Versammlung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, die Demonstration umzufunktionieren' und gegen den Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - (Brokdorf), BVerfGE 69, 315 ff. (361).

Grundsätzlich muss daher gegen die störende Minderheit vorgegangen werden. Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, kann unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gegen die Versammlung als solche eingeschritten und durch Auflösung auch den friedlichen Teilnehmern der Schutz des Art. 8 GG genommen werden.

Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, a.a.O., Rz. 10.

Ferner darf die Demonstrationsfreiheit nicht dadurch unterlaufen werden, dass an die Bejahung der Teilnahme an Gewaltakten zu geringe Anforderungen gestellt werden. Deshalb reicht es für die Annahme einer Mittäterschaft oder Beihilfe an solchen Ausschreitungen nicht schon aus, dass der an ihnen nicht aktiv beteiligte Demonstrant an Ort und Stelle verharrt, auch wenn er, wie es die Regel sein wird, von vornherein mit Gewalttätigkeiten einzelner oder ganzer Gruppen rechnet und weiß, dass er allein schon mit seiner Anwesenheit den Gewalttätern mindestens durch Gewährung von Anonymität Förderung und Schutz geben kann. Für eine Teilnahme ist mehr erforderlich, nämlich die Feststellung, dass Gewährung von Anonymität und Äußerung von Sympathie darauf ausgerichtet und geeignet sind, Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten zu fördern und zu bestärken, etwa durch Anfeuerung oder ostentatives Zugesellen zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalt geübt wird. Eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf passiv' bleibende Sympathisanten wäre verfassungswidrig, weil sie das Gebrauchmachen von der Versammlungsfreiheit mit einem unkalkulierbaren Risiko verbinden und so das Grundrecht faktisch unzulässig beschränken würde.

Vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. (zur zivilrechtlichen Haftung für Demonstrationsschäden).

Bezogen auf die Kläger folgt hieraus, dass ihre Teilnahme an der Versammlung nicht von vornherein wegen Unfriedlichkeit aus dem Schutzbereich des Art. 8 GG herausfiel. Zwar haben sich einzelne Versammlungsteilnehmer (vom Beklagten als polizeilich relevante Spitzengruppe' bezeichnet, vgl. den Verlaufsbericht, Seite 18 unten des Verw.vorgangs) gewalttätig verhalten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger über die bloße Anwesenheit hinaus aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten, so dass ihnen deren Verhalten zuzurechnen wäre, sind aber weder von dem Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Schlussvermerk des Verfahrens StA X, 50 Js 191/09 betreffend die Klägerin zu 1. heißt es, der Beschuldigten könne keine Tathandlung konkret zugeordnet werden (Bl. 18 der Strafakte). Soweit sich in der Akte (Bl. 8) ein Foto der Klägerin mit vor das Gesicht gezogenem Schal befindet, handelt es sich offenbar um eines der Fotos, die von der Polizei unmittelbar nach dem Verlassen der Einschließung zwecks Beweissicherung vor Verbringung der jeweiligen Person zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gemacht wurden; die Klägerin zu 1. dürfte dabei von dem Fotografen gebeten worden sein, den Schal vor das Gesicht zu ziehen, um bei einem Abgleich mit aufgenommenem Videomaterial ihre eventuelle Täterschaft belegen zu können. Auch der Klägerin zu 2. ließ sich nach Auswertung des Beweismaterials keine Tathandlung konkret zuordnen (siehe Bl. 19 der Strafakte 50 Js 151/09). Hinsichtlich des Klägers zu 3. heißt es im Schlussvermerk zu dem Verfahren 50 Js 7765/08, auf den gefertigten Videoaufnahmen sei er nicht zu identifizieren; es hätten sich auch sonst keine konkreten Hinweise ergeben, dass er sich in irgendeiner Form aktiv an Aktionen aus dem Aufzug beteiligt habe; bei seiner Einlieferung seien keine beweisrelevanten Gegenstände gefunden worden (Bl. 21 der Strafakte).

2. Die Einschließung griff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. Die Kläger wurden durch sie daran gehindert, weiter an der Versammlung teilzunehmen.

a) Dieser Eingriff ist nicht auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes gerechtfertigt.

aa) Gemäß § 15 Abs. 3 VersG kann eine Versammlung aufgelöst werden, und zwar (u.a.) dann, wenn sie - wie hier nicht angemeldet ist oder wenn die Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind, etwa weil eine nicht anders abwendbare unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht (§ 15 Abs. 1 VersG). Eine solche gegen die gesamte Versammlung - also auch die friedlichen Teilnehmer - gerichtete Maßnahme hat der Beklagte ausdrücklich nicht getroffen. Nach seinem eigenen Vorbringen wollte er von einer Auflösung absehen, um den friedlichen Teilnehmern die Fortführung des Aufzugs zu ermöglichen.

bb) Der Beklagte hat die Einschließung vielmehr auf §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4, 17a Abs. 3 VersG gestützt. Nach diesen Vorschriften kann die Polizei Teilnehmer an einer Versammlung unter freiem Himmel (§ 18 Abs. 3 VersG) und Teilnehmer an einem Aufzug (§ 19 Abs. 4 VersG), welche die Ordnung gröblich stören, sowie Teilnehmer, die gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot des § 17a VersG verstoßen (§ 17a Abs. 4 Satz 2 VersG), von der Veranstaltung ausschließen.

Die Einschließung der Kläger war jedoch von den o.g. Vorschriften nicht gedeckt. Diese waren hier weder von den tatbestandlichen Voraussetzungen noch von der Rechtsfolge her einschlägig:

(1) Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger bei ihrer Teilnahme an der Versammlung gröblich die Ordnung störten oder gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot verstießen.

Der Begriff der Ordnung i.S. der §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG stellt auf die innere und äußere Ordnung der Versammlung ab. Versammlungen sollen geordnet ablaufen, damit sich alle Teilnehmer entfalten und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verwirklichen können. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Versammlungsrechtes ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung erforderlich. Nur erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzgüter erlauben einen so schwer wiegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit wie den Ausschluss. Entgegen der Ansicht der Kläger sind dabei sowohl Aktionen innerhalb der Versammlung als auch das Verhalten der Teilnehmer nach außen, z.B. gegen Nichtteilnehmer oder Sachen gerichtete Handlungen, in den Blick zu nehmen. Nach außen hin können z.B. Meinungskundgaben in beleidigender Form oder mit verfassungsfeindlichem Inhalt, Sachbeschädigungen oder gar Landfriedensbruch unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Ordnung sein. Adressat des Ausschlusses ist stets der konkrete Teilnehmer, der durch sein Verhalten die Ordnung gröblich stört.

Vgl. zu alledem Kay/Böcking, Versammlungsrecht, 1994, Rz. 266 ff.

Zwar kam es hier im Verlauf des Aufzuges zu nicht unerheblichen gewalttätigen Ausschreitungen, die wohl einen Ausschluss der jeweiligen Täter rechtfertigten. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass die gröbliche Störung der Ordnung gerade (auch) von dem Verhalten der Kläger ausging. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese sich an den Übergriffen gegen Polizeibeamte etc. beteiligten, bestehen nicht; auch liegen keine Erkenntnisse vor, dass sie gegen die Verbote des § 17a Abs. 1 oder 2 VersG verstießen. Die Ausschreitungen anderer Versammlungsteilnehmer müssen sie sich nicht zurechnen lassen. Es liegt auf der Hand, dass hierfür die bloße Teilnahme an der Versammlung nicht ausreicht. Sonstige Gründe für eine Zurechnung, etwa wegen einer nach außen wahrnehmbaren Solidarisierung mit den Gewalttätern oder sonstiger Unterstützungsleistungen, sind nicht erkennbar und werden auch von dem Beklagten nicht geltend gemacht.

(2) Als Rechtsfolge des Ausschlusses sieht das Gesetz vor, dass die betroffene Person die Versammlung sofort zu verlassen hat (vgl. §§ 18 Abs. 1, 11 Abs. 2 VersG). Damit stimmte die Zielrichtung der vom Beklagten vorgenommenen Einschließung nicht überein. Der Beklagte wollte mit dieser Maßnahme nicht erreichen, dass die Kläger sich entfernten; im Gegenteil ging es ihm darum, sie am Ort festzuhalten, damit sie zwecks Aufnahme der Personalien sowie Fertigung von Fotos zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gebracht werden konnten; dort sollten sie (bei freien Kapazitäten) erkennungsdienstlich behandelt und vernommen werden. Die Pflichten ausgeschlossener Versammlungsteilnehmer stehen jedoch nicht zur Disposition der Polizei. Diese darf das Instrument des Ausschlusses sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind - nur mit der vom Gesetz vorgegebenen Zielrichtung (Verlassen der Versammlung), also zu versammlungsrechtlichen Zwecken anwenden, nicht jedoch in den Dienst der Strafverfolgung stellen. Ist - wie hier - letzteres der Fall, liegt eine Zweckentfremdung des Ausschlusses vor. Der Beklagte bezeichnete die Einschließung nur verbal als Ausschluss; der Sache nach handelte es sich um eine Ingewahrsamnahme zwecks Durchführung weiterer polizeilicher Maßnahmen.

b) Mit einer Ermächtigungsnorm außerhalb des Versammlungsgesetzes, etwa nach allgemeinem Polizeirecht oder Strafprozessrecht, lässt sich der durch die Einschließung erfolgte Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ebenfalls nicht rechtfertigen.

aa) Der Beklagte hat die Einschließung ausdrücklich als Ausschluss bezeichnet und sie als solche gegenüber den Teilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage bekannt gegeben. Daran muss er sich festhalten lassen. Ein Auswechseln der Ermächtigungsgrundlage durch das Gericht kommt bei Ermessensentscheidungen (um eine solche handelt es sich hier) nicht in Betracht.

bb) Abgesehen davon schließt das Versammlungsgesetz als lex specialis für versammlungsbezogene Eingriffe die subsidiäre Anwendung allgemeiner polizeirechtlicher Ermächtigungsnormen aus. In den durch Art. 8 GG polizeifest' geschützten Rechtsstatus der Versammlungsteilnehmer kann zum Zwecke der Gefahrenabwehr ausschließlich nach Maßgabe des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, DVBl 2001, 839 ff.; ferner VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.

cc) Ein repressives polizeiliches Tätigwerden gegenüber Teilnehmern an einer nicht aufgelösten Versammlung kommt mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit und den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, , Rz. 23.

Dafür, dass ein solcher hier vorliegt, ist nichts ersichtlich. Ungeachtet dessen scheiden Vorschriften der StPO als Ermächtigungsgrundlage für die Einschließung jedoch auch deshalb aus, weil ihre rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. In Betracht kommen lediglich die Festhaltung zum Zwecke der Identitätsfeststellung (§ 163b Abs. 1 Satz 2 StPO) und die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO).

(1) Gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen treffen, wenn jemand einer Straftat verdächtig ist. Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann (Satz 2 der Vorschrift). Ein Verdacht im Sinne dieser Vorschrift besteht, wenn der Schluss auf die Begehung einer Straftat gerechtfertigt ist und Anhaltspunkte vorliegen, die die Täterschaft als möglich erscheinen lassen.

Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 163b Rz. 4.

Solche Anhaltspunkte sind indessen nicht schon dann gegeben, wenn jemand an einer Versammlung teilnimmt, aus der heraus durch einzelne andere oder eine Minderheit Gewalttaten begangen werden. Auch insoweit kommt es vielmehr auf den konkreten Versammlungsteilnehmer an; der Tatverdacht muss individuell bestehen. Auf die oben (unter I.1.) wiedergegebenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs

- Urteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. -

zur Mittäterschaft oder Beihilfe passiv' bleibender Versammlungsteilnehmer wird verwiesen. Da sich Gewalttätigkeiten kaum jemals ganz ausschließen lassen, liefe sonst nahezu jeder Versammlungsteilnehmer Gefahr, allein wegen des Gebrauchmachens vom Grundrecht des Art. 8 GG mit Strafverfolgungsmaßnahmen überzogen zu werden. Im Fall der Kläger lagen, wie dargelegt, im Zeitpunkt des Einschreitens keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie über ihre bloße Anwesenheit hinaus aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten. Insbesondere gehörten sie nicht zu den 33 qualifizierten' Straftätern, die bereits während des Aufzugs individuell von der Polizei (wohl durch Videoüberwachung) in den Blick genommen worden waren und letztlich den Anlass für die Einschließung gegeben hatten.

Dass die Polizei im Zeitpunkt des Einschreitens selbst nicht jeden einzelnen im vorderen Bereich des Aufzugs aufhältigen und dann eingeschlossenen Teilnehmer für tatverdächtig hielt, geht in aller Deutlichkeit aus dem Einsatztagebuch hervor. In dem Eintrag für 15.22 Uhr (Bl. 144 des Verw.vorgangs) heißt es:

Ein Zug der 9. BPH wird herangeführt, um den harten Kern (ca. 20 Personen) aus dem Aufzug herauszutrennen und zu separieren'.

Der Eintrag für 15.42 Uhr (Bl. 148 des Verw.vorgangs) lautet:

Die VT, die aus dem Aufzug separiert werden sollen, haben sich weiter in die Mitte begeben, da sie zuvor mit Pfefferspray bedacht worden waren. Es ist beabsichtigt, diese dort herauszutrennen, und die übrigen VT in den ursprünglichen Aufzugsweg zu drängen, um ihnen nach wenigen Metern eine Alternativstrecke anzubieten.'

Demnach war ein Einschreiten nur gegen den harten Kern, bestehend aus ca. 20 Personen, beabsichtigt. Diese sollten von den anderen Versammlungsteilnehmern separiert werden. Aus welchem Grund die Polizei dann ihr Vorhaben so nicht durchführte, sondern pauschal Zugriff auf 194 Personen (über die Hälfte aller Versammlungsteilnehmer) nahm, ist nach Aktenlage unklar. Auf eine kurzfristige Änderung des Lagebildes mit der Folge eines plötzlich festgestellten individuellen Tatverdachts gegen jede einzelne im vorderen Bereich aufhältige Person dürfte die spontane Ausweitung der Maßnahme jedenfalls nicht zurückzuführen sein. Dagegen spricht zum einen der zuletzt zitierte Eintrag in Einsatztagebuch, der die Situation unmittelbar vor Durchführung der Maßnahme wiedergibt, und zum anderen der polizeiliche Vermerk vom 3. August 2008, in dem auf Seite 3 (Bl. 66 der Gerichtsakte) ausgeführt ist:

Letztlich fand, noch bevor die Personen innerhalb des Demonstrationszuges getrennt werden konnten, teilweise eine Vermengung der einzelnen Gruppen statt, d.h. Personen, die zuvor noch in der 1. Reihe waren, gingen dann in den hinteren Teil des Demonstrationszuges und umgekehrt'.

Angesichts dieser Vermischung hing es offensichtlich nicht von einem individuellen Tatverdacht, sondern mehr oder weniger vom Zufall ab, ob ein Versammlungsteilnehmer zu der eingeschlossenen Gruppe gehörte oder nicht. Nahe liegend erscheint es daher, dass taktische Erwägungen und faktische Gegebenheiten - etwa die örtliche Möglichkeit eines Einschnitts' in den Aufzug - zu der Ausweitung des polizeilichen Zugriffs führten, und dass sich die Maßnahme anschließend zum Selbstläufer' entwickelte.

(2) Allerdings kann gemäß § 163b Abs. 2 StPO auch eine solche Person zur Feststellung der Identität festgehalten werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist, wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist und nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Eine solche Maßnahme hat der Beklagte indessen nicht getroffen. Die Kläger wurden nicht als Zeugen festgehalten, sondern als potenzielle Beschuldigte. Nach dem Vorbringen des Beklagten bestand gegen alle eingeschlossenen Personen der dringende Verdacht, Täter oder Teilnehmer eines Landfriedensbruchs zu sein.

Vgl. den Bericht der Bereitschaftspolizei vom 3. Juni 2009 zur Fertigung der Klageerwiderung (Bl. 6 des Verw.vorgangs).

Demgemäß sind Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden.

(3) Die vorläufige Festnahme setzt gemäß § 127 Satz 1 StPO voraus, dass jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, lagen auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Zeitpunkt des Einschreitens nicht vor.

II. Die Folgemaßnahmen (weiteres Festhalten der Kläger innerhalb der Einschließung, Identitätsfeststellung, Fertigung von Fotos, Verbringung zum Polizeipräsidium, Festhalten in Bussen im Hof des Präsidiums, erneute Fertigung von Fotos im Präsidium, weiteres Festhalten der Klägerin zu 2. im Präsidium) teilen die rechtliche Bewertung der Einschließung, sind also ebenfalls rechtswidrig. Sämtlichen Folgemaßnahmen stand entgegen, dass die Kläger als nicht rechtmäßig ausgeschlossene Teilnehmer an einer Versammlung unter dem Schutz des Art. 8 GG standen und in strafprozessualer Hinsicht kein individueller Tatverdacht gegen sie bestand.

1. Gefahrenabwehrrechtlich gilt auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen die Polizeifestigkeit' der Versammlungsfreiheit. Eine Aufspaltung dahingehend, dass die Einschließung als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG rechtswidrig war, die zwar später getroffenen, aber an die Einschließung anknüpfenden, durch sie erst ermöglichten Maßnahmen dagegen nicht mehr an Art. 8 GG zu messen sind, würde der Bedeutung des Grundrechts nicht gerecht. Die Versammlungsfreiheit schützt das freie Zusammenkommen, die eigentliche Versammlung und das freie Auseinandergehen der Teilnehmer gleichermaßen.

Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.

Ohne Gewährleistung des freien Zu- und Abgangs bestünde die Möglichkeit, die Ausübung des Freiheitsrechts systemwidrig mittels dafür nicht vorgesehener allgemeiner polizeirechtlicher Eingriffsermächtigungen zu beeinträchtigen und faktisch auszuschließen. Wer damit rechnen muss, dass er nach seiner Teilnahme an einer nicht verbotenen und auch nicht aufgelösten Versammlung einer Identitätsfeststellung unterzogen, fotografiert und zum Polizeipräsidium gebracht wird, dürfte es sich genau überlegen, ob er tatsächlich von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen will.

2. Einem repressiven Vorgehen auf Grundlage der StPO stand auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen das Fehlen eines individuell gegen die Kläger gerichteten Tatverdachts entgegen. Ob darüber hinaus das Verbringen zum Polizeipräsidium und die dort folgenden Maßnahmen gegen das Übermaßverbot verstießen, nachdem bereits am Ort der Versammlung die Personalien der Kläger aufgenommen und Fotos gefertigt worden waren, kann nach alledem aus sich beruhen. ..."

***

Nach der gegenwärtigen Rechtslage besteht in Hessen für das Verlangen der Versammlungsbehörde, der Versammlungsleiter möge ihr innerhalb einer bestimmten Frist personenbezogen Daten derjenigen, die als Ordner bestellt werden sollen, mitteilen, keine Ermächtigung ( VG Gießen, Beschluss vom 30.07.2009 - 10 L 1583/09.GI zu §§ 15 I , 18 II, 9 VersammlG).

§ 19

(1) Der Leiter des Aufzuges hat für den ordnungsmäßigen Ablauf zu sorgen. Er kann sich der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen, für welche § 9 Abs. 1 und § 18 gelten.

(2) Die Teilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen.

(3) Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, so ist er verpflichtet, den Aufzug für beendet zu erklären.

(4) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von dem Aufzug ausschließen.

Leitsätze/Entscheidungen:

... Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig, wonach vorläufiger Rechtsschutz nicht gegen die Anordnung des Sofortvollzugs zur Benennung der Ordner bis zum 02.04.2002, 12.00 Uhr gewährt werde, ist dagegen begründet. Hinzuweisen ist darauf, dass nach § 18 Abs. 2 VersG die Verwendung von Ordnern für Versammlungen unter freiem Himmel der polizeilichen Genehmigung bedarf, die bei der Anmeldung zu beantragen ist. Aus dieser Regelung, die nach § 19 Abs. 1 VersG auch auf Aufzüge entsprechend anzuwenden ist, folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Polizei auch die Zuverlässigkeit der Ordner überprüfen kann (a.A.: Ridder/ Breitbach/ Rühl/ Steinmeier, Versammlungsrecht, § 18 RdNr. 13 m. w. N.). Der Senat hält es bei der gegebenen Sachlage für ausreichend, dass zum Zwecke dieser Überprüfung eine Benennung der Ordner unter Angabe des Namens und Wohnanschrift durch den Antragsteller gegenüber dem Einsatzleiter der Polizei vor Ort bis spätestens eine Stunde vor Beginn der Versammlung zu erfolgen hat. Dies dürfte ausreichend sein. ..." (OVG Sachsen, Beschluss vom 04.04.2002, 3 BS 103/02)

***

... Unbegründet ist die Beschwerde auch, soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Be-schluss dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug der Untersagung der Leitung des Aufzugs durch den Antragsteller gewährt hat. Denn diese Untersagung dürfte rechtswidrig sein, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG nicht vorliegen.

Zu bemerken ist hierbei zunächst, dass sich insoweit die Frage erheben könnte, ob für die Untersagung der Leitung eines Aufzugs durch eine Auflage § 15 Abs. 1 VersG überhaupt eine Rechtsgrundlage sein kann. § 19 Abs. 1 VersG , wonach der Leiter des Aufzugs für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen hat, verweist insoweit zunächst nicht auf § 7 Abs. 1 VersG, worin geregelt ist, dass jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben muss. Aus dem Sinn der Regelung in § 19 Abs. 1 VersG dürfte jedoch folgen, dass ungeachtet dieser fehlenden Verweisung auch Aufzüge einen Leiter haben müssen. Insoweit könnte sich allerdings die Fra-ge erheben, ob dieses Leitungsrecht nicht ebenso wie das nach § 7 Abs. 1 VersG eine allein grundrechtssichernde Funktion zugunsten des Veranstalters hat und mit diesem Sinn eine nicht zwangsweise durchsetzbare Ordnungsvorschrift ist. Dies könnte zur Folge haben, dass eine Durchsetzung sowohl dahingehend, dass eine bestimmte Person als Leiter eingesetzt wird wie auch umgekehrt, dass eine Person als Leiter ausgeschlossen wird, auch durch eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht durchgesetzt werden kann. Hinzu kommt, dass der Antragsteller vorliegend nicht nur Leiter, sondern auch Veranstalter des Aufzugs ist. Wenn aber dem Leiter, der zugleich Veranstalter eines Aufzugs ist, von der Versammlungsbehörde abgesprochen wird, die Leitung der Veranstaltung zu übernehmen, weil von ihm in dieser Funktion eine un-mittelbare Gefährdung ausgehe, hätte die Antragsgegnerin - ausgehend von ihrer Sichtweise - ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG verfügen müssen.

Auch wenn der Senat jedoch im Rahmen dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ungeachtet dessen davon ausgehen würde, dass gleichwohl die in Rede stehende Untersagung der Aufzugsleitung durch eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG erfolgen könnte, lägen die Voraussetzungen dieser Norm jedenfalls nicht vor, weil die darin angesprochene Gefährdungslage nicht gegeben sein dürfte.

Die Antragsgegnerin hat insbesondere auf Vorfälle vom 01.09.2001 (dem Antragsteller wird zum Vorwurf gemacht, auf einer Versammlung Ruhm und Ehre der Waffen-SS' gerufen zu haben), vom 03.11.2001 (dem Antragsteller wird vorgeworfen, ein Uniformverbot zögerlich durchgesetzt zu haben) und vom 02.02.2002 (dem Antragsteller wird vorgeworfen, entgegen einer versammlungsrechtlichen Auflage die Parole Hier marschiert der nationale Widerstand!' gerufen zu haben) abgestellt. Auf Grund dieser Erkenntnisse vermag der Senat eine konkrete Gefährdungslage noch nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat diese Vorfälle weder in den Gründen ihres Auflagenbescheides vom 18.03.2002 noch in ihrer Beschwerdebegründung so substanziiert geschildert, dass dem Senat in der Kürze der Zeit eine hinreichende Prüfung der Vorwürfe - zu der die Antragsgegnerin als Versammlungsbehörde verpflichtet gewesen wäre - möglich ist. Insbesondere ist es dem Senat - im Gegensatz zur Antragsgegnerin - nicht möglich gewesen, die Straf- und Ermittlungsakten beizuziehen. In Anbetracht der hohen Bedeutung von Art. 8 GG kann dieses Versäumnis nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. ..." (OVG Sachsen, Beschluss vom 04.04.2002, 3 BS 105/02)

*** (VG)

Einschließung von Versammlungsteilnehmern zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten (VG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.2010 - 18 K 3033/09 zu §§ 18 III, 19 IV VersammlG, Art 8 Abs 1 GG - Kessel):

... A. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Ausweislich des polizeilichen Verlaufsberichtes erfolgte die Einschließung der Versammlungsteilnehmer zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten und zur Einleitung von Strafermittlungsverfahren (siehe Seite 18 oben des Verwaltungsvorgangs). Bei einer derartigen doppelfunktionalen Maßnahme, die sich von ihrer Zielrichtung her sowohl dem Recht der präventiven Gefahrenabwehr als auch dem Gebiet der Strafverfolgung zuordnen lässt, kommt es für die Abgrenzung des Rechtswegs darauf an, auf welcher Seite aus der Sicht des Betroffenen das Schwergewicht des polizeilichen Handelns lag.

Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 27. November 2008 - Au 5 K 08.547 -, .

Aus Sicht der Kläger handelte es sich bei der Einschließung in erster Linie um eine dem öffentlichen Recht zuzuordnende Maßnahme der Gefahrenabwehr. Denn der Beklagte bezeichnete die Einschließung gegenüber den Versammlungsteilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage ausdrücklich als Ausschluss aus der Versammlung, also als Maßnahme auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes (vgl. §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG). Die anschließend getroffenen Folgemaßnahmen, für die ebenfalls sowohl gefahrenabwehrrechtliche als auch strafverfahrensrechtliche Befugnisnormen in Betracht kommen (vgl. etwa für die Identitätsfeststellung § 12 PolG NRW einerseits, § 163b StPO andererseits), teilen schwerpunktmäßig die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Ausschlusses. Dieser war von vornherein auf die Ermöglichung weiterer polizeilicher Maßnahmen gerichtet. Auf Grund der übergreifenden Klammer' des Art. 8 GG stehen die Folgemaßnahmen in einem derart engen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit dem zu Grunde liegenden Ausschluss, dass eine unterschiedliche Rechtswegzuordnung auf die künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts hinausliefe. Dies bedeutet nicht, dass Befugnisnormen der StPO hier keine Rolle spielen. Hinsichtlich der strafverfahrensrechtlichen Komponente der angegriffenen Maßnahmen greift vielmehr § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ein, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden - also auch rechtswegfremden - rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat.

Ob die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) kombiniert mit - soweit Realakte in Streit stehen - einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 VwGO) statthaft ist, oder ob es sich insgesamt um eine allgemeine Feststellungsklage handelt, weil sich alle angegriffenen Maßnahmen bereits vor Klageerhebung erledigt hatten,

vgl. zur statthaften Klageart bei vorprozessual erledigtem Verwaltungsakt: BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, NVwZ 2000, 63 ff.,

kann dahinstehen. Denn die Zulässigkeitsvoraussetzungen beider Klagearten unterscheiden sich nicht. In jedem Fall ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse erforderlich, das bei den Klägern wegen ihrer Grundrechtsbetroffenheit durch den Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) sowie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und in Gestalt eines Rehabilitationsinteresses gegeben ist. Eine Klagefrist ist weder bei der allgemeinen Feststellungsklage noch bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen einen vorprozessual erledigten Verwaltungsakt zu wahren.

Vgl. zu letzterem BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, a.a.O.

B. Die Klage ist auch begründet. Sämtliche streitgegenständliche Maßnahmen des Beklagten sind rechtswidrig.

I. Das gilt zunächst für die Einschließung. Diese stellt einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit der Kläger dar, der nicht durch eine gesetzliche Ermächtigungsnorm gedeckt ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden (Abs. 2 der Vorschrift).

1. Das Verhalten der Kläger fiel in den Schutzbereich des Art. 8 GG. Die Kläger haben an einer Versammlung teilgenommen. Versammlung i.S. des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 f.

Dass diese Voraussetzungen hier vorlagen, ist nicht zweifelhaft. Zwar war die Versammlung entgegen § 14 VersG nicht angemeldet. Der Schutz des Art. 8 GG besteht aber unabhängig von einem Verstoß gegen die gesetzliche Anmeldepflicht. Der Verstoß hat lediglich zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 3 VersG die Auflösung der Versammlung in Betracht kommt, nicht jedoch, dass es sich von vornherein um ein nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG fallendes Verhalten handelt. Bis zu einer Auflösung besteht der versammlungsrechtliche Schutz fort.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, a.a.O.

Allerdings ist die Teilnahme an einer Versammlung nur geschützt, wenn sie friedlich und ohne Waffen erfolgt. Insoweit ist bereits der Schutzbereich der Grundrechtsnorm zurückgenommen. Friedlich ist eine Versammlung, die keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden oder ein gewalttätiger Verlauf unmittelbar bevorsteht; eine Vermummung kann die Erwartung unfriedlichen Verhaltens stützen.

Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 10. Aufl. 2009, Art. 8 GG Rz. 8 ff.

Bei der Beurteilung ist grundsätzlich auf den einzelnen Teilnehmer abzustellen, nicht auf die Versammlung insgesamt. Für die friedlichen Teilnehmer muss der Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Versammlung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, die Demonstration umzufunktionieren' und gegen den Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - (Brokdorf), BVerfGE 69, 315 ff. (361).

Grundsätzlich muss daher gegen die störende Minderheit vorgegangen werden. Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, kann unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gegen die Versammlung als solche eingeschritten und durch Auflösung auch den friedlichen Teilnehmern der Schutz des Art. 8 GG genommen werden.

Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, a.a.O., Rz. 10.

Ferner darf die Demonstrationsfreiheit nicht dadurch unterlaufen werden, dass an die Bejahung der Teilnahme an Gewaltakten zu geringe Anforderungen gestellt werden. Deshalb reicht es für die Annahme einer Mittäterschaft oder Beihilfe an solchen Ausschreitungen nicht schon aus, dass der an ihnen nicht aktiv beteiligte Demonstrant an Ort und Stelle verharrt, auch wenn er, wie es die Regel sein wird, von vornherein mit Gewalttätigkeiten einzelner oder ganzer Gruppen rechnet und weiß, dass er allein schon mit seiner Anwesenheit den Gewalttätern mindestens durch Gewährung von Anonymität Förderung und Schutz geben kann. Für eine Teilnahme ist mehr erforderlich, nämlich die Feststellung, dass Gewährung von Anonymität und Äußerung von Sympathie darauf ausgerichtet und geeignet sind, Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten zu fördern und zu bestärken, etwa durch Anfeuerung oder ostentatives Zugesellen zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalt geübt wird. Eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf passiv' bleibende Sympathisanten wäre verfassungswidrig, weil sie das Gebrauchmachen von der Versammlungsfreiheit mit einem unkalkulierbaren Risiko verbinden und so das Grundrecht faktisch unzulässig beschränken würde.

Vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. (zur zivilrechtlichen Haftung für Demonstrationsschäden).

Bezogen auf die Kläger folgt hieraus, dass ihre Teilnahme an der Versammlung nicht von vornherein wegen Unfriedlichkeit aus dem Schutzbereich des Art. 8 GG herausfiel. Zwar haben sich einzelne Versammlungsteilnehmer (vom Beklagten als polizeilich relevante Spitzengruppe' bezeichnet, vgl. den Verlaufsbericht, Seite 18 unten des Verw.vorgangs) gewalttätig verhalten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger über die bloße Anwesenheit hinaus aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten, so dass ihnen deren Verhalten zuzurechnen wäre, sind aber weder von dem Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Schlussvermerk des Verfahrens StA X, 50 Js 191/09 betreffend die Klägerin zu 1. heißt es, der Beschuldigten könne keine Tathandlung konkret zugeordnet werden (Bl. 18 der Strafakte). Soweit sich in der Akte (Bl. 8) ein Foto der Klägerin mit vor das Gesicht gezogenem Schal befindet, handelt es sich offenbar um eines der Fotos, die von der Polizei unmittelbar nach dem Verlassen der Einschließung zwecks Beweissicherung vor Verbringung der jeweiligen Person zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gemacht wurden; die Klägerin zu 1. dürfte dabei von dem Fotografen gebeten worden sein, den Schal vor das Gesicht zu ziehen, um bei einem Abgleich mit aufgenommenem Videomaterial ihre eventuelle Täterschaft belegen zu können. Auch der Klägerin zu 2. ließ sich nach Auswertung des Beweismaterials keine Tathandlung konkret zuordnen (siehe Bl. 19 der Strafakte 50 Js 151/09). Hinsichtlich des Klägers zu 3. heißt es im Schlussvermerk zu dem Verfahren 50 Js 7765/08, auf den gefertigten Videoaufnahmen sei er nicht zu identifizieren; es hätten sich auch sonst keine konkreten Hinweise ergeben, dass er sich in irgendeiner Form aktiv an Aktionen aus dem Aufzug beteiligt habe; bei seiner Einlieferung seien keine beweisrelevanten Gegenstände gefunden worden (Bl. 21 der Strafakte).

2. Die Einschließung griff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. Die Kläger wurden durch sie daran gehindert, weiter an der Versammlung teilzunehmen.

a) Dieser Eingriff ist nicht auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes gerechtfertigt.

aa) Gemäß § 15 Abs. 3 VersG kann eine Versammlung aufgelöst werden, und zwar (u.a.) dann, wenn sie - wie hier nicht angemeldet ist oder wenn die Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind, etwa weil eine nicht anders abwendbare unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht (§ 15 Abs. 1 VersG). Eine solche gegen die gesamte Versammlung - also auch die friedlichen Teilnehmer - gerichtete Maßnahme hat der Beklagte ausdrücklich nicht getroffen. Nach seinem eigenen Vorbringen wollte er von einer Auflösung absehen, um den friedlichen Teilnehmern die Fortführung des Aufzugs zu ermöglichen.

bb) Der Beklagte hat die Einschließung vielmehr auf §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4, 17a Abs. 3 VersG gestützt. Nach diesen Vorschriften kann die Polizei Teilnehmer an einer Versammlung unter freiem Himmel (§ 18 Abs. 3 VersG) und Teilnehmer an einem Aufzug (§ 19 Abs. 4 VersG), welche die Ordnung gröblich stören, sowie Teilnehmer, die gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot des § 17a VersG verstoßen (§ 17a Abs. 4 Satz 2 VersG), von der Veranstaltung ausschließen.

Die Einschließung der Kläger war jedoch von den o.g. Vorschriften nicht gedeckt. Diese waren hier weder von den tatbestandlichen Voraussetzungen noch von der Rechtsfolge her einschlägig:

(1) Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger bei ihrer Teilnahme an der Versammlung gröblich die Ordnung störten oder gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot verstießen.

Der Begriff der Ordnung i.S. der §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG stellt auf die innere und äußere Ordnung der Versammlung ab. Versammlungen sollen geordnet ablaufen, damit sich alle Teilnehmer entfalten und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verwirklichen können. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Versammlungsrechtes ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung erforderlich. Nur erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzgüter erlauben einen so schwer wiegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit wie den Ausschluss. Entgegen der Ansicht der Kläger sind dabei sowohl Aktionen innerhalb der Versammlung als auch das Verhalten der Teilnehmer nach außen, z.B. gegen Nichtteilnehmer oder Sachen gerichtete Handlungen, in den Blick zu nehmen. Nach außen hin können z.B. Meinungskundgaben in beleidigender Form oder mit verfassungsfeindlichem Inhalt, Sachbeschädigungen oder gar Landfriedensbruch unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Ordnung sein. Adressat des Ausschlusses ist stets der konkrete Teilnehmer, der durch sein Verhalten die Ordnung gröblich stört.

Vgl. zu alledem Kay/Böcking, Versammlungsrecht, 1994, Rz. 266 ff.

Zwar kam es hier im Verlauf des Aufzuges zu nicht unerheblichen gewalttätigen Ausschreitungen, die wohl einen Ausschluss der jeweiligen Täter rechtfertigten. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass die gröbliche Störung der Ordnung gerade (auch) von dem Verhalten der Kläger ausging. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese sich an den Übergriffen gegen Polizeibeamte etc. beteiligten, bestehen nicht; auch liegen keine Erkenntnisse vor, dass sie gegen die Verbote des § 17a Abs. 1 oder 2 VersG verstießen. Die Ausschreitungen anderer Versammlungsteilnehmer müssen sie sich nicht zurechnen lassen. Es liegt auf der Hand, dass hierfür die bloße Teilnahme an der Versammlung nicht ausreicht. Sonstige Gründe für eine Zurechnung, etwa wegen einer nach außen wahrnehmbaren Solidarisierung mit den Gewalttätern oder sonstiger Unterstützungsleistungen, sind nicht erkennbar und werden auch von dem Beklagten nicht geltend gemacht.

(2) Als Rechtsfolge des Ausschlusses sieht das Gesetz vor, dass die betroffene Person die Versammlung sofort zu verlassen hat (vgl. §§ 18 Abs. 1, 11 Abs. 2 VersG). Damit stimmte die Zielrichtung der vom Beklagten vorgenommenen Einschließung nicht überein. Der Beklagte wollte mit dieser Maßnahme nicht erreichen, dass die Kläger sich entfernten; im Gegenteil ging es ihm darum, sie am Ort festzuhalten, damit sie zwecks Aufnahme der Personalien sowie Fertigung von Fotos zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gebracht werden konnten; dort sollten sie (bei freien Kapazitäten) erkennungsdienstlich behandelt und vernommen werden. Die Pflichten ausgeschlossener Versammlungsteilnehmer stehen jedoch nicht zur Disposition der Polizei. Diese darf das Instrument des Ausschlusses sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind - nur mit der vom Gesetz vorgegebenen Zielrichtung (Verlassen der Versammlung), also zu versammlungsrechtlichen Zwecken anwenden, nicht jedoch in den Dienst der Strafverfolgung stellen. Ist - wie hier - letzteres der Fall, liegt eine Zweckentfremdung des Ausschlusses vor. Der Beklagte bezeichnete die Einschließung nur verbal als Ausschluss; der Sache nach handelte es sich um eine Ingewahrsamnahme zwecks Durchführung weiterer polizeilicher Maßnahmen.

b) Mit einer Ermächtigungsnorm außerhalb des Versammlungsgesetzes, etwa nach allgemeinem Polizeirecht oder Strafprozessrecht, lässt sich der durch die Einschließung erfolgte Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ebenfalls nicht rechtfertigen.

aa) Der Beklagte hat die Einschließung ausdrücklich als Ausschluss bezeichnet und sie als solche gegenüber den Teilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage bekannt gegeben. Daran muss er sich festhalten lassen. Ein Auswechseln der Ermächtigungsgrundlage durch das Gericht kommt bei Ermessensentscheidungen (um eine solche handelt es sich hier) nicht in Betracht.

bb) Abgesehen davon schließt das Versammlungsgesetz als lex specialis für versammlungsbezogene Eingriffe die subsidiäre Anwendung allgemeiner polizeirechtlicher Ermächtigungsnormen aus. In den durch Art. 8 GG polizeifest' geschützten Rechtsstatus der Versammlungsteilnehmer kann zum Zwecke der Gefahrenabwehr ausschließlich nach Maßgabe des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, DVBl 2001, 839 ff.; ferner VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.

cc) Ein repressives polizeiliches Tätigwerden gegenüber Teilnehmern an einer nicht aufgelösten Versammlung kommt mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit und den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, , Rz. 23.

Dafür, dass ein solcher hier vorliegt, ist nichts ersichtlich. Ungeachtet dessen scheiden Vorschriften der StPO als Ermächtigungsgrundlage für die Einschließung jedoch auch deshalb aus, weil ihre rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. In Betracht kommen lediglich die Festhaltung zum Zwecke der Identitätsfeststellung (§ 163b Abs. 1 Satz 2 StPO) und die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO).

(1) Gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen treffen, wenn jemand einer Straftat verdächtig ist. Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann (Satz 2 der Vorschrift). Ein Verdacht im Sinne dieser Vorschrift besteht, wenn der Schluss auf die Begehung einer Straftat gerechtfertigt ist und Anhaltspunkte vorliegen, die die Täterschaft als möglich erscheinen lassen.

Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 163b Rz. 4.

Solche Anhaltspunkte sind indessen nicht schon dann gegeben, wenn jemand an einer Versammlung teilnimmt, aus der heraus durch einzelne andere oder eine Minderheit Gewalttaten begangen werden. Auch insoweit kommt es vielmehr auf den konkreten Versammlungsteilnehmer an; der Tatverdacht muss individuell bestehen. Auf die oben (unter I.1.) wiedergegebenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs

- Urteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. -

zur Mittäterschaft oder Beihilfe passiv' bleibender Versammlungsteilnehmer wird verwiesen. Da sich Gewalttätigkeiten kaum jemals ganz ausschließen lassen, liefe sonst nahezu jeder Versammlungsteilnehmer Gefahr, allein wegen des Gebrauchmachens vom Grundrecht des Art. 8 GG mit Strafverfolgungsmaßnahmen überzogen zu werden. Im Fall der Kläger lagen, wie dargelegt, im Zeitpunkt des Einschreitens keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie über ihre bloße Anwesenheit hinaus aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten. Insbesondere gehörten sie nicht zu den 33 qualifizierten' Straftätern, die bereits während des Aufzugs individuell von der Polizei (wohl durch Videoüberwachung) in den Blick genommen worden waren und letztlich den Anlass für die Einschließung gegeben hatten.

Dass die Polizei im Zeitpunkt des Einschreitens selbst nicht jeden einzelnen im vorderen Bereich des Aufzugs aufhältigen und dann eingeschlossenen Teilnehmer für tatverdächtig hielt, geht in aller Deutlichkeit aus dem Einsatztagebuch hervor. In dem Eintrag für 15.22 Uhr (Bl. 144 des Verw.vorgangs) heißt es:

Ein Zug der 9. BPH wird herangeführt, um den harten Kern (ca. 20 Personen) aus dem Aufzug herauszutrennen und zu separieren'.

Der Eintrag für 15.42 Uhr (Bl. 148 des Verw.vorgangs) lautet:

Die VT, die aus dem Aufzug separiert werden sollen, haben sich weiter in die Mitte begeben, da sie zuvor mit Pfefferspray bedacht worden waren. Es ist beabsichtigt, diese dort herauszutrennen, und die übrigen VT in den ursprünglichen Aufzugsweg zu drängen, um ihnen nach wenigen Metern eine Alternativstrecke anzubieten.'

Demnach war ein Einschreiten nur gegen den harten Kern, bestehend aus ca. 20 Personen, beabsichtigt. Diese sollten von den anderen Versammlungsteilnehmern separiert werden. Aus welchem Grund die Polizei dann ihr Vorhaben so nicht durchführte, sondern pauschal Zugriff auf 194 Personen (über die Hälfte aller Versammlungsteilnehmer) nahm, ist nach Aktenlage unklar. Auf eine kurzfristige Änderung des Lagebildes mit der Folge eines plötzlich festgestellten individuellen Tatverdachts gegen jede einzelne im vorderen Bereich aufhältige Person dürfte die spontane Ausweitung der Maßnahme jedenfalls nicht zurückzuführen sein. Dagegen spricht zum einen der zuletzt zitierte Eintrag in Einsatztagebuch, der die Situation unmittelbar vor Durchführung der Maßnahme wiedergibt, und zum anderen der polizeiliche Vermerk vom 3. August 2008, in dem auf Seite 3 (Bl. 66 der Gerichtsakte) ausgeführt ist:

Letztlich fand, noch bevor die Personen innerhalb des Demonstrationszuges getrennt werden konnten, teilweise eine Vermengung der einzelnen Gruppen statt, d.h. Personen, die zuvor noch in der 1. Reihe waren, gingen dann in den hinteren Teil des Demonstrationszuges und umgekehrt'.

Angesichts dieser Vermischung hing es offensichtlich nicht von einem individuellen Tatverdacht, sondern mehr oder weniger vom Zufall ab, ob ein Versammlungsteilnehmer zu der eingeschlossenen Gruppe gehörte oder nicht. Nahe liegend erscheint es daher, dass taktische Erwägungen und faktische Gegebenheiten - etwa die örtliche Möglichkeit eines Einschnitts' in den Aufzug - zu der Ausweitung des polizeilichen Zugriffs führten, und dass sich die Maßnahme anschließend zum Selbstläufer' entwickelte.

(2) Allerdings kann gemäß § 163b Abs. 2 StPO auch eine solche Person zur Feststellung der Identität festgehalten werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist, wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist und nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Eine solche Maßnahme hat der Beklagte indessen nicht getroffen. Die Kläger wurden nicht als Zeugen festgehalten, sondern als potenzielle Beschuldigte. Nach dem Vorbringen des Beklagten bestand gegen alle eingeschlossenen Personen der dringende Verdacht, Täter oder Teilnehmer eines Landfriedensbruchs zu sein.

Vgl. den Bericht der Bereitschaftspolizei vom 3. Juni 2009 zur Fertigung der Klageerwiderung (Bl. 6 des Verw.vorgangs).

Demgemäß sind Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden.

(3) Die vorläufige Festnahme setzt gemäß § 127 Satz 1 StPO voraus, dass jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, lagen auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Zeitpunkt des Einschreitens nicht vor.

II. Die Folgemaßnahmen (weiteres Festhalten der Kläger innerhalb der Einschließung, Identitätsfeststellung, Fertigung von Fotos, Verbringung zum Polizeipräsidium, Festhalten in Bussen im Hof des Präsidiums, erneute Fertigung von Fotos im Präsidium, weiteres Festhalten der Klägerin zu 2. im Präsidium) teilen die rechtliche Bewertung der Einschließung, sind also ebenfalls rechtswidrig. Sämtlichen Folgemaßnahmen stand entgegen, dass die Kläger als nicht rechtmäßig ausgeschlossene Teilnehmer an einer Versammlung unter dem Schutz des Art. 8 GG standen und in strafprozessualer Hinsicht kein individueller Tatverdacht gegen sie bestand.

1. Gefahrenabwehrrechtlich gilt auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen die Polizeifestigkeit' der Versammlungsfreiheit. Eine Aufspaltung dahingehend, dass die Einschließung als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG rechtswidrig war, die zwar später getroffenen, aber an die Einschließung anknüpfenden, durch sie erst ermöglichten Maßnahmen dagegen nicht mehr an Art. 8 GG zu messen sind, würde der Bedeutung des Grundrechts nicht gerecht. Die Versammlungsfreiheit schützt das freie Zusammenkommen, die eigentliche Versammlung und das freie Auseinandergehen der Teilnehmer gleichermaßen.

Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.

Ohne Gewährleistung des freien Zu- und Abgangs bestünde die Möglichkeit, die Ausübung des Freiheitsrechts systemwidrig mittels dafür nicht vorgesehener allgemeiner polizeirechtlicher Eingriffsermächtigungen zu beeinträchtigen und faktisch auszuschließen. Wer damit rechnen muss, dass er nach seiner Teilnahme an einer nicht verbotenen und auch nicht aufgelösten Versammlung einer Identitätsfeststellung unterzogen, fotografiert und zum Polizeipräsidium gebracht wird, dürfte es sich genau überlegen, ob er tatsächlich von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen will.

2. Einem repressiven Vorgehen auf Grundlage der StPO stand auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen das Fehlen eines individuell gegen die Kläger gerichteten Tatverdachts entgegen. Ob darüber hinaus das Verbringen zum Polizeipräsidium und die dort folgenden Maßnahmen gegen das Übermaßverbot verstießen, nachdem bereits am Ort der Versammlung die Personalien der Kläger aufgenommen und Fotos gefertigt worden waren, kann nach alledem aus sich beruhen. ..."

§ 19a

Für Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen gilt § 12a.

Leitsätze/Entscheidungen:

Zur Videobeobachtung einer Versammlung von etwa 40 bis 70 Teilnehmern (OVG NRW, Beschluss vom 23.11.2010 - 5 A 2288/09 zu Art 8 I, 2 I, 1 I 1 GG, §§ 12a, 19a VersammlG):

... Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 in N. zum Thema: "Urantransporte stoppen" rechtswidrig war. Es ist zutreffend davon ausgegangen, das Richten einer aufnahmebereiten Kamera auf die Demonstrationsteilnehmer und das Übertragen der Bilder auf einen Monitor habe den Kläger in seinem Versammlungsgrundrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) und in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt.

Auch wenn die Bilder lediglich in Echtzeit übertragen und nicht gespeichert worden sind und dies dem Versammlungsleiter mitgeteilt worden ist, war die aufnahmebereite Kamera über die gesamte Dauer der Veranstaltung von einem ausgefahrenen Kameraarm eines unmittelbar vorausfahrenden Beweissicherungsfahrzeugs der Polizei auf die nur etwa 40 bis 70 Versammlungsteilnehmer gerichtet. Bei dieser Ausgangslage ist die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, die Videobeobachtung habe die grundrechtlich relevante Eingriffsschwelle überschritten und die innere Versammlungsfreiheit der Teilnehmer beeinträchtigt. Bürger hätten aus Sorge vor staatlicher Überwachung von der Teilnahme an der Versammlung abgeschreckt werden können. Durch die Kameraübertragung war auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner Versammlungsteilnehmer auf einem Monitor im Fahrzeuginnenraum möglich. Zudem war bei der aufnahmebereiten Kamera aus Sicht eines (verständigen) Versammlungsteilnehmers zu befürchten, die Aufnahme könne beabsichtigt oder versehentlich jederzeit ausgelöst werden.

Unter diesen Gesichtspunkten war der konkrete Einsatz der Kameraübertragung geeignet, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und Einschüchterungseffekten zu erzeugen. So unterschied sich der Einsatz signifikant sowohl von bloßen Übersichtsaufnahmen, die erkennbar der Lenkung eines Polizeieinsatzes namentlich von Großdemonstrationen dienen und hierfür erforderlich sind, als auch von einer reinen Beobachtung durch begleitende Beamte oder sonstige Dritte. Anders als solche Maßnahmen ohne Eingriffsqualität wäre der in Rede stehende Kameraeinsatz mit Blick auf den grundrechtlich geschützten staatsfreien Charakter von Versammlungen allenfalls auf der Grundlage einer auf das notwendige Maß beschränkten gesetzlichen Ermächtigung zulässig gewesen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 349; so ist wohl auch BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 f. zu verstehen; siehe ferner Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 12 a Rn. 14, und Söllner, Anmerkung zum Urteil des VG Berlin vom 5. Juli 2010 - 1 K 905.09 -, DVBl. 2010, 1248, 1249 f.

Einer gesetzlichen Ermächtigung hätte es ferner deshalb bedurft, weil die Videobeobachtung der Versammlung zugleich in das Recht der Teilnehmer auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG. i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingriff. Diesbezüglich war die Eingriffsschwelle unabhängig von einer Speicherung der Bilder überschritten, weil die die Versammlung begleitende Beobachtung eine Individualisierung von Versammlungsteilnehmern ermöglichte, von großer Streubreite war und der Beklagte mit ihr zudem eine gewisse Beeinflussung der inneren Versammlungsfreiheit beabsichtigt hatte. Hiervon waren zahlreiche Personen betroffen, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten standen.

Vgl. zu diesen Kriterien für einen Eingriff BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05, 1254/07 -, BVerfGE 120, 378, 397 ff., 402 f. sowie Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497, 501; siehe ferner BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16 f.; OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 -, OVGE 52, 122 = juris, Rn. 39 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498, 500.

Für die allein an den Grundrechten auszurichtende Bewertung der Eingriffsqualität ist es im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, welche Gründe dafür maßgeblich waren, dass der Gesetzgeber mit Geltung für Nordrhein-Westfalen (anders z. B. in Bayern nach Art. 9 BayVersG) neben den §§ 19 a, 12 a VersG keine weiteren Ermächtigungen mit niedrigeren Eingriffsvoraussetzungen geschaffen hat. Entscheidend ist nur, dass die Voraussetzungen dieser als Ermächtigungsgrundlage allein in Betracht kommenden Vorschriften nicht vorlagen. Hiernach wären Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungsteilnehmern nur zulässig gewesen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme gerechtfertigt hätten, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Diese qualifizierten Voraussetzungen waren aus den vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend genannten Gründen (S. 8, dritter Absatz bis S. 10, erster Absatz) nicht gegeben. Hierfür genügte entgegen der Auffassung des Beklagten insbesondere nicht, dass nach Erfahrungen von früheren Urantransporten Restrisiken und Störungen des Transports am 4. Juni 2008 nicht von vornherein mit Sicherheit auszuschließen waren. Auch wenn sich die Rechtmäßigkeit der Gefahrenprognose des Beklagten nach der maßgeblichen ex-ante-Sicht der eingesetzten Beamten richtet, ergibt sich daraus kein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum, der allein auf Grund der Unberechenbarkeit von Versammlungsverläufen eine andere Einschätzung rechtfertigen könnte.

Vgl. zu den ähnlichen Anforderungen an beschränkende Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671, 672.

Der in Rede stehende Kameraeinsatz stellt sich auch nicht gegenüber zulässigen Maßnahmen nach §§ 19 a, 12 a VersG als reine Vorbereitungshandlung dar. Insbesondere greift der Einwand des Beklagten nicht durch, das Aufzeichnungssystem habe lediglich in einen jederzeit arbeitsfähigen Zustand versetzt werden sollen. Zum einen sind Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf die Ermächtigung in §§ 19 a, 12 a VersG erst dann veranlasst, wenn einzelne Versammlungsteilnehmer ein Verhalten erkennen lassen, das den Eintritt erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung konkret erwarten lässt. Hierzu ist es unstrittig im gesamten Versammlungsverlauf nicht gekommen. Zum anderen hätte sich der Eingriff in Grundrechte von Versammlungsteilnehmern ohne wesentliche Einschränkung des polizeilichen Vorsorgekonzepts vermeiden lassen, indem eine im Stand-by-Modus geschaltete Kamera erkennbar von der Versammlung abgewendet worden wäre. Bereits hierdurch wären die eingesetzten Beamten innerhalb weniger Sekunden in der Lage gewesen, etwaige von ihnen wahrgenommene Gefahrenlagen im Bild einzufangen, ohne dass hierfür anlasslos durchgehend Bilder der Versammlung auf einen Monitor hätten übertragen werden müssen. Um einen Grundrechtseingriff zu vermeiden, hätte der Beklagte insbesondere nicht auf veraltete Systeme zurückgreifen oder den Kamerawagen im Bedarfsfall erst herbeiholen müssen.

Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachte grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob schon eine reine Videobeobachtung unmittelbar am Ort des Geschehens - ohne Aufzeichnung und ohne Weiterleitung an eine Zentralstelle - bei einer Versammlung unter Anwesenheit bzw. Begleitung von Polizeivollzugsbeamten einen Grundrechtseingriff begründen kann,
lässt sich bereits ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts im bejahenden Sinne beantworten. Danach ist jeweils durch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, ob eine Videobeobachtung ein Betroffensein in einer den Grundrechtsschutz auslösenden Qualität zur Folge hat. Dabei ist maßgeblich auch zu berücksichtigen, ob die Videobeobachtung in ihrer konkreten Ausgestaltung geeignet ist, einzelne Bürger von der rechtmäßigen Ausübung ihrer Grundrechte wie z. B. der Versammlungsfreiheit abzuhalten, weil sie nicht übersehen können, ob ihnen daraus Risiken entstehen können.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1, 43. ..."

*** (VG)

Es wird festgestellt, dass die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen, die anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin durch den Beklagten erfolgt ist, rechtswidrig war (VG Berlin, Urteil vom 26.04.2012 - VG 1 K 818.09):

... Der Kläger begehrt die Unterlassung von polizeilichen Maßnahmen der Bild- und Tonaufnahmen und -aufzeichnung im Zusammenhang mit Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung bzw. die Feststellung deren Rechtswidrigkeit.

Der Kläger ist Mitglied des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, der sich mit Fragen der Innen- und Rechtspolitik befasst und zu diesem Zweck u.a. jährlich in den Monaten September oder Oktober eine Versammlung mit bundesweiter Mobilisierung unter dem Motto Freiheit statt Angst' in Berlin organisiert. Die Versammlungen fanden bisher am 22. September 2007, am 11. Oktober 2008, am 12. September 2009, am 11. September 2010 und zuletzt am 10. September 2011 statt, wobei der Kläger nach seinen Angaben an allen diesen Aufzügen teilnahm.

Bei den Aufzügen 2009 und 2010 fertigte der Beklagte von einem an der Spitze der Versammlungen fahrenden Fahrzeug Übersichtsaufnahmen der Demonstrationszüge an. Im Vorfeld des Aufzugs 2009 hatte der Beklagte eine Gefahrenprognose erstellt, wonach bei der Versammlung mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu rechnen sei. So hätten an den Versammlungen in den Jahren 2007 und 2008 Personen aus der linksradikalen und linksextremistischen Szene teilgenommen, die mit Polizeikräften und anderen Versammlungsteilnehmern zusammengestoßen seien. Zudem hätte die Erkenntnis vorgelegen, dass Mitglieder des Antikapitalistischen Blocks' an der Versammlung teilnehmen wollten, die zuvor im März 2009 bei einem anderen Aufzug durch massive Gewalttätigkeiten aufgefallen seien. Nach Polizeiangaben nahmen im September 2009 am Aufzug etwa 700 Angehörige des Antifaschistischen Blocks' teil, aus deren Bereich es zu Flaschenwürfen in Richtung eingesetzter Polizeibeamter kam.

Vom Kläger gestellte Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen zur Verhinderung von polizeilichen Film- und Fotoaufnahmen bei den Aufzügen in den Jahren 2010 und 2011 blieben erfolglos (Beschlüsse der Kammer vom 8. September 2010 - VG 1 L 226.10 - und vom 7. September 2011 - VG 1 262.11 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. September 2011 - OVG 1 S 157.11 -).

Mit seiner am 24. September 2009 erhobenen Klage begehrt der Kläger vom Beklagten, es künftig zu unterlassen, im Zusammenhang mit diesen Versammlungen Bild- und Tonaufnahmen von ihm zu fertigen oder fertigen zu lassen oder entsprechende Aufnahmegeräte auf ihn zu richten oder richten zu lassen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 12a VersammlG vorliegen.

Zur Begründung seiner Klage führt er aus, er sei auf diesen Versammlungen von der Polizei wiederholt, pauschal und ohne äußeren Anlass gefilmt und fotografiert worden. Er sei dabei sowohl von auf Fahrzeugen montierten Kameras als auch von tragbaren Geräten erfasst worden. Dies zeige z.B. eine von ihm gefertigte Filmaufnahme des Aufzugs vom 12. September 2009, welche einen friedlichen Versammlungsverlauf belege, bei der er aber dennoch von einer Kamera auf einem Polizeifahrzeug gefilmt worden sei. Zudem habe er zeitweise das Transparent an der Spitze des Aufzugs getragen und sei daher der Aufnahme durch das voranfahrende Polizeifahrzeug ausgesetzt gewesen. Auch beim Aufzug vom 11. September 2010 sei er wiederholt - nach seiner Beobachtung viermal - z.T. auch verdeckt anlasslos gefilmt worden. Außerdem habe er erneut das Fronttransparent getragen. Er sei hiernach betroffen gewesen. Da der Beklagte im Übrigen im Bezug auf den Aufzug vom 12. September 2009 einräume, seine Kamerawagen an strategischen Stellen entlang der Wegstrecke des Aufzugs aufgestellt zu haben, sei es für ihn schlechterdings nicht möglich gewesen, nicht von einer Filmaufnahme betroffen zu sein.

Die anlassunabhängige Überwachung von Versammlungen durch Bild- und Tonaufnahmen greife in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ein. Wer bei der Ausübung dieses Grundrechts mit einer staatlichen Überwachung rechnen müsse, verzichte möglicherweise aufgrund der Einschüchterungswirkung auf seine Teilnahme. Zudem sei das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Ferner entstünden für die Versammlungsteilnehmer weitere Risiken (z.B. das einer ungerechtfertigten Strafverfolgung) durch die Möglichkeit einer automatischen Gesichtserkennung oder einem etwaigen missbräuchlichen oder fahrlässigen Umgang mit den Aufzeichnungen bei den Polizeibehörden. Ein solcher Grundrechtseingriff sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei § 19a VersammlG i. V. m. § 12a VersammlG nicht einschlägig, da hierfür eine gesicherte Gefahrenprognose erforderlich sei, die es in seinem Falle nicht gegeben habe. Für § 12a VersammlG sei gerade erforderlich, dass die erhebliche Gefahr von der Versammlung ausginge. Dies sei bei der Versammlung von 2009 nicht der Fall gewesen. Dem Vorbringen des Beklagten, es sei in 2009 zu Straftaten gekommen, könne nicht gefolgt werden, da eine derartige Feststellung einer strafgerichtlichen Entscheidung bedürfe. In jedem Falle habe sich der Kläger weder an Störungen beteiligt noch habe es in seiner Umgebung derartige Vorfälle gegeben. Außerdem stehe er nicht in Verbindung mit radikalen oder extremistischen Gruppen. Gleichfalls könne die Gefahrenprognose des Beklagten die Voraussetzungen nicht stützen. Geschehnisse aus der Vergangenheit könnten keine Anhaltspunkte für eine Gefahr darstellen. Der Kläger bestreitet zudem eine nennenswerte Teilnahme von Anhängern des antikapitalistischen Blocks bei der Versammlung. Es könne in diesem Zusammenhang auch nicht angehen, dass die Teilnahme einer Minderheit Eingriffe in die Grundrechte der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer bedinge. In Bezug auf den Aufzug von 2010 habe der Beklagte sogar gegenüber der Presse erklärt, dieser sei ohne Zwischenfälle verlaufen. Ein Rückgriff auf die Normen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts sei wegen der Spezialität des Versammlungsrechts nicht möglich.

Auch seien bloße Übersichtsaufnahmen nicht zulässig, da damit § 12a VersammlG umgangen werde, zumal der Aufnahmezweck für den einzelnen Versammlungsteilnehmer nicht erkennbar sei und gleichfalls eine abschreckende Wirkung eintrete. Im Übrigen seien Übersichtsaufnahmen auch unnötig, da eine Abstimmung der Polizeikräfte auch mit Polizei- oder Mobilfunk möglich sei. Eine Notwendigkeit, die Aufnahmen zur Beweissicherung zu verwenden, sei nicht gegeben, da es jedenfalls in der Person des Klägers an entsprechenden Vorfällen fehle. Auch der Verweis auf die erwartete hohe Teilnehmerzahl sei untauglich. Würde man ab einer bestimmten Teilnehmerzahl stets eine abstrakte Gefahr annehmen, würden die strengen Voraussetzungen des § 12a VersammlG fast immer vorliegen. Außerdem seien auch im Rahmen von Übersichtsaufnahmen Einzelpersonen individualisierbar, sodass hierin auch ein Grundrechtseingriff liege. Dieser entfalle im Übrigen auch nicht deshalb, weil sich der Betroffene im öffentlichen Raum bewege oder von der Maßnahme wisse. Es sei auch unerheblich, dass die gemachten Aufnahmen nicht dauerhaft gespeichert würden, sondern nur nach dem Kamera-Monitor-Prinzip übertragen worden seien. Es trete der gleiche Einschüchterungseffekt ein, zumal ein Versammlungsteilnehmer die Art der Aufnahme von außen nicht erkennen könne. Auch bei Echtzeitübertragungen ohne dauerhafte Aufzeichnung bestehe eine Missbrauchsgefahr, da diese mit Funksignalen übertragen würden, die ohne Verschlüsselung mit geringem technischen Aufwand von Unbefugten eingesehen und mitgeschnitten werden könnten. Schließlich würde aus ähnlichen Erwägungen bereits vom Richten einer ausgeschalteten Kamera auf Versammlungsteilnehmer eine einschüchternde Wirkung und damit ein Grundrechtseingriff ausgehen. Der Kläger bezweifelt, dass eine generelle Weisung des Polizeipräsidenten in der Einsatzrealität wirklich umgesetzt werde.

Nachdem der Kläger verschiedene Klageanträge angekündigt hat, beantragt er nunmehr,
1. den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger auf rechtmäßigen Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, die anlassunabhängige Überwachung durch Staat und Wirtschaft zum Thema haben, unter freiem Himmel in Berlin zu filmen, zu fotografieren, akustisch aufzuzeichnen oder eine Kamera auf diesen zu richten, solange nicht tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger oder in dessen unmittelbarem räumlichen Umfeld befindliche Personen, Tiere oder Sachen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblicher Weise gefährden,
2. hilfsweise festzustellen, dass Übersichtsaufnahmen anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin rechtswidrig gewesen sind.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, die Klage sei bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Der Kläger habe schon nicht schlüssig dargelegt, dass er von einer Übersichtsaufnahme betroffen gewesen sei oder es alsbald und beliebig sein könne. Auch habe es Bild- und Tonaufnahmen zu den vom Kläger angegebenen Orten und Zeiten nicht gegeben. Übersichtsaufnahmen habe es nur an der Spitze des Aufzugs gegeben, wovon der Kläger bereits nach seinem eigenen Vortrag gar nicht hätte betroffen sein können. Es sei auch sonst nicht festzustellen, dass er durch die Bilddokumentation tatsächlich betroffen wäre. Der Kläger habe vielmehr nicht substantiiert vorgetragen, dass er bei der Versammlung am 12. September 2009 aufgenommen worden sei. Er müsse die fraglichen, seine Grundrechte beeinträchtigenden Maßnahmen nach Art, Zusammenhang, Zeitpunkt und Ort konkret benennen. Allein die Tatsache der Teilnahme an der Versammlung rechtfertige die Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung noch nicht. Aus dem gleichen Grunde fehle dem Kläger auch im Falle einer etwaigen Umstellung auf eine Feststellungsklage dahin, dass die Maßnahmen des Beklagten beim Aufzug am 12. September 2009 rechtswidrig gewesen seien, das erforderliche Feststellungsinteresse.

Da dem Kläger durch die Anfertigung von Bildaufnahmen nicht von vornherein eine Beeinträchtigung seiner Grundrechte drohe, sei die Klage überdies auch unbegründet. Würde man dennoch von einer Grundrechtsbetroffenheit des Klägers ausgehen, so wäre dieser Eingriff in jedem Falle gerechtfertigt, denn er könne wegen der gesicherten Gefahrenprognose auf § 12a VersammlG gestützt werden. Der tatsächliche Verlauf des Aufzugs im September 2009 habe die getroffene Prognose bestätigt. Daher seien bei der Versammlung sowohl situativ, etwa im Zusammenhang mit Einzelmaßnahmen zur Aufklärung von Straftaten, als auch in Form von Überblicksaufnahmen Videoaufnahmen gefertigt worden. Der Anfertigung von Übersichtsaufnahmen komme dabei eine weniger einschneidende Wirkung zu. Zudem komme dem Einschüchterungseffekt durch die Präsenz einer Kamera nur dann durchschlagende Kraft zu, wenn eine durch die Übersichtsaufnahmen zentralisierte Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nach den Umständen nicht erforderlich sei. Umgekehrt seien Übersichtsmaßnahmen zur Durchführung des Polizeieinsatzes bei einer entsprechenden Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung erforderlich, wovon man bei einer erwarteten Teilnehmerzahl von 20.000 Personen ausgehen müsse. Die Übersichtsaufnahmen seien daher - auch im Sinne einer versammlungsfreundlichen Einsatzbewältigung - rechtmäßig. Zudem mache es objektiv keinen Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Versammlung durch eine Sehhilfe beobachte oder ob die Bilder in Echtzeit und ohne Aufzeichnung in eine Befehlsstelle übertragen würden.

Der Beklagte verweist abschließend darauf, dass nach aktueller Weisungslage des Polizeipräsidenten in Berlin, basierend auf dem Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010, derzeit durch die Polizei keine Filmaufnahmen, auch keine Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen angefertigt würden. Diese generelle Weisung werde in jeden einzelnen Einsatzbefehl bei Versammlungen aufgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakten VG 1 L 226.10 und VG 1 L 262.11 sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten, der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen. ...

Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1. unzulässig. Für die Verurteilung zur vorbeugenden Unterlassung der benannten Film- und Fotoaufnahmen fehlt es an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der für den Erfolg einer Unterlassungsklage erforderlichen Wiederholungsgefahr. Aufgrund der im Blick auf das Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010 (VG 1 K 905.09, juris) aktuell bestehenden Anordnungslage des Polizeipräsidenten in Berlin durch dessen generelle Weisung vom 3. August 2010 ist nicht davon auszugehen, dass derzeit bei Versammlungen in Berlin durch die Polizei Film- und Fotoaufnahmen gefertigt werden, sofern nicht die Voraussetzungen der §§ 19a, 12a VersammlG vorliegen. Der Polizeipräsident hat in seiner generellen Weisung klargestellt, dass Übersichtsaufnahmen, die nicht an tatsächliche Anhaltspunkte hinsichtlich einer bevorstehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gebunden sind, bei der gegebenen Rechtslage nicht mehr angefertigt werden' können und deshalb unzulässig sind. Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte dürfen zwar nach wie vor mitgeführt werden, weil ein Einsatz im Rahmen der §§ 19a, 12a VersammlG erforderlich sein könnte, allerdings sei darauf zu achten, dass dieses Mitführen/Begleiten der Versammlung so geschieht, dass nicht der Eindruck entstehen kann, es werde bereits aufgezeichnet.'

Die Kammer hat keine Veranlassung anzunehmen, diese Weisung des Polizeipräsidenten werde bei konkreten Versammlungen, so auch des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, nicht beachtet. Bei der durch eine klare Befehlsstruktur gekennzeichneten Polizeibehörde muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass eine solche generelle Weisung des Behördenleiters von allen nachgeordneten Einsatzkräften beachtet wird, noch dazu wird nach Darstellung des Beklagten diese Weisung auch zum Bestandteil der jeweils konkreten Einsatzbefehle gemacht. Dass eventuell einzelne Beamte weisungswidrig doch Film- und Fotoaufnahmen fertigen und dadurch ein disziplinarrechtlich relevantes Verhalten zeigen, rechtfertigt nicht die Annahme einer Wiederholungsgefahr, denn hierfür muss vom rechtmäßigen Handeln der Polizeibeamten, also aufgrund der Weisungslage, ausgegangen werden.

Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Klageantrags zu 2. ist die Klage zulässig und begründet.

Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig. Die Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung durch Einsatzkräfte der Polizei stellte einen Realakt dar. Da dieser sich bereits erledigt hat, kann das diesbezügliche staatliche Handeln zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Das feststellungsfähige und konkrete Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO ergibt sich aus der durchgeführten polizeilichen Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlung. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Kläger, der an den Versammlungen des Arbeitskreises teilgenommen und nach seinen Darlegungen mehrfach in den vorderen Reihen der jeweiligen Aufzüge gelaufen ist, der unstreitig erfolgten polizeilichen Beobachtung ausgesetzt war. Das berechtigte Interesse des Klägers nach § 43 Abs. 1 VwGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten polizeilichen Maßnahmen ist bereits durch die Möglichkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG begründet. Die entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis folgt ebenfalls aus der Möglichkeit eines Eingriffs in die Grundrechte des Klägers. Nach Vortrag des Klägers hat dieser auch an den Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung teilgenommen; Zweifel an der Richtigkeit dieser Darlegung sind weder ersichtlich noch konkret dargetan.

Die Klage ist mit dem Hilfsantrag auch begründet. Die Überwachung der bisherigen Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in den Jahren 2010 und früher durch den Beklagten mittels Bild- und Tonaufnahmegeräten war rechtswidrig.

In ihrem Urteil vom 5. Juli 2010 hat die Kammer zu einem vergleichbaren Sachverhalt folgendes ausgeführt:

Die Beobachtung der Versammlung am 5. September 2009 mittels eines Video-Wagens der Polizei und die Übertragung der so gewonnen Bilder in Echtzeit im sog. Kamera-Monitor-Prinzip - ohne Einverständnis der Teilnehmer - stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) dar und bedurfte somit einer Rechtsgrundlage. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist jedes staatliche Handeln, dass die Ausübung bzw. Wahrnehmung des Grundrechts zumindest erschwert. Zwar wird nach dem klassischen Eingriffsbegriff unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 300). Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, ist jedoch ein moderner Eingriffsbegriff zu Grunde zu legen. Dieser moderne Eingriffsbegriff, der sich jedenfalls für die speziellen Grundrechte durchgesetzt hat, lässt für einen Eingriff jedes staatliche Handeln genügen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 299 - 301).

Daran gemessen stellt die Beobachtung der Versammlung im Kamera-Monitor-Verfahren einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Denn wenn der einzelne Teilnehmer der Versammlung damit rechnen muss, dass seine Anwesenheit oder sein Verhalten bei einer Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte ihn dies von einer Teilnahme abschrecken oder ihn zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl 2007, 497 - 502). Durch diese Einschüchterung der Teilnehmer könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden (VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 13). Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 43 - Volkszählung; BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 369).

Es macht hier keinen Unterschied, ob die durch die Polizei gefertigten Aufnahmen auch gespeichert wurden, denn das Beobachten der Teilnehmer stellt bereits einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Das polizeiliche Handeln knüpft einzig und allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts durch die Teilnehmer an. Demnach ist die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip auch geeignet, bei den Teilnehmern ein Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen und diese - wenn auch ungewollt - in ihrem Verhalten zu beeinflussen oder von der Teilnahme an der Versammlung abzuhalten. Ob die Aufnahmen tatsächlich auch gespeichert wurden, kann der einzelne Versammlungsteilnehmer nicht wissen.

Die Tatsache, dass die Einsatzkräfte der Polizei in dem Übertragungswagen dem Kläger zu 2.) erklärten, es fände keine Aufzeichnung der Bilder statt, ändert nichts an der Beurteilung der Sachlage. Zum einen wurde dies nicht allen Versammlungsteilnehmern kundgetan. Zum anderen bleibt die einschüchternde Wirkung des für alle Teilnehmer deutlich sichtbaren und ständig vorausfahrenden Übertragungswagens erhalten. Der einzelne Versammlungsteilnehmer muss ständig damit rechnen, durch eine Vergrößerung des ihn betreffenden Bildausschnittes (Heranzoomen) individuell und besonders beobachtet zu werden. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist dies generell möglich, so dass ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufnahmen und personenbezogenen Aufnahmen nicht mehr besteht (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369; VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 16). Hinzu kommt, dass die technische Möglichkeit, die Übersichtsaufnahmen auch zu speichern, dem Grunde nach besteht und jederzeit mittels Knopfdruck erfolgen kann - auch versehentlich. Insofern verweist der Beklagte zu Unrecht darauf, dass hier kein Unterschied zu einem die Sachlage beobachtenden Polizeibeamten vor Ort vorliege. Dieser würde die Versammlungsteilnehmer - in der Regel abseits stehend - wohl kaum in derselben Weise irritieren, wie ein nur wenige Meter vor ihnen herfahrender Übertragungswagen, der fortlaufend mehrere Kameras auf sie gerichtet hat.

Das Beobachten der Versammlungsteilnehmer stellt ferner einen Eingriff in deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dieses Grundrecht umfasst die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 41 - 42 - Volkszählung). Ob sich die Klägerin zu 1.) als juristische Person auf die informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht berufen kann (Art. 19 Abs. 3 GG), kann dahingestellt bleiben, da zumindest der Kläger zu 2.) die Verletzung dieses Grundrechts erfolgreich rügen kann. Bereits die Beobachtung der Versammlungsteilnehmer im Kamera-Monitor-Verfahren, ohne eine Speicherung der Daten, stellt einen Eingriff dar, denn die Beobachtung, Auswertung und Speicherung der Daten stellt aus der Sicht der betroffenen Versammlungsteilnehmer einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 - juris Rn. 39 - Videoüberwachung einer Universitätsbibliothek). Es besteht jederzeit die Möglichkeit, ohne weiteres von der Übersichtsaufnahme in die Nahaufnahme überzugehen und somit den Einzelnen individuell zu erfassen. Durch die so aufwandslose Möglichkeit der Erhebung personenbezogener Daten liegt eine faktische Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgegenstandes vor, die einer Grundrechtsgefährdung als Eingriff gleichkommt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498 - 507 (500) - Videoüberwachung im öffentlichen Verkehrsraum; VG Sigmaringen, Beschluss vom 2. April 2004 - 3 K 1344/04 - juris Rn. 27 - Videoüberwachung eines Volksfestes; Roggan, Die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen - Oder: Immer mehr gefährliche Orte für Freiheitsrechte, NVwZ 2001, 134, 136; zur Grundrechtsgefährdung als Eingriff vgl. Sachs in: ders., GG, 5. Aufl. 2009, Vor Art. 1 RdNr. 95 m.w.N.).

Da die Beobachtung der Versammlung vom 5. September 2009 sowohl einen Eingriff in den Schutzbereichs der vorrangigen Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG als auch in den der informationellen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt, bedurfte es zu dessen Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage, aus der nachvollziehbar und klar der Umfang der Beschränkungen erkennbar ist. Eine solche Rechtsgrundlage ist nicht vorhanden.

Von der im Zuge der Föderalismusreform auf die Länder übergegangenen Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht (vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034) hat das Land Berlin bisher keinen Gebrauch gemacht. Als Rechtsgrundlage für die Videobeobachtung der Versammlung am 5. September 2009 kommt somit lediglich § 12a Abs. 1 S. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) i.V.m. § 19a VersG in Betracht. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Nach § 12a Abs. 1 S. 2 VersG dürfen die Maßnahmen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da zum Zeitpunkt des Aufzuges keine tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar waren, dass von den Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen. Eine Gefahrenprognose im Vorfeld des Aufzuges am 5. September 2009 in Berlin, welche ein polizeiliches Eingreifen erforderlich gemacht hätte, ist nicht ersichtlich. Der Beklagte selbst trägt vor, der Aufzug sei friedlich und störungsfrei verlaufen. Dass es im Voraus zu einigen Zusammenstößen mit der Polizei am Schacht Asse oder in Morsleben kam, ändert hieran nichts. Ob dies der Klägerin zu 1.) zugerechnet werden kann, mag dahingestellt bleiben. Diese Zusammenstöße mit der Polizei betrafen - wie von dem Beklagten zutreffend formuliert - Reizobjekte.' Eine derartige Gefährdungslage bestand innerhalb Berlins ohnehin nicht. Der von dem Beklagten dokumentierte und mittels Videokamera aufgezeichnete Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal, wo eine unbekannte Person selbiges bestiegen hatte, datierte vom 29. August 2009 und betraf offenbar eine andere Veranstaltung. Ein möglicher Hausfriedensbruch durch eine Einzelperson wäre überdies nicht geeignet, ein polizeiliches Einschreiten gegen die gesamte Versammlung zu rechtfertigen. Auch der Beklagte selbst sieht den Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal nicht im Zusammenhang mit dem Aufzug der Klägerin zu 1.). Darüber hinaus war die Beobachtung des Aufzuges durch die Polizei nicht auf Gefahrenabwehr gerichtet. Der Beklagte selbst trägt vor, keine Gefahrenlage erkannt zu haben, sondern lediglich Übersichtsaufnahmen zum Zwecke der Lenkung und Leitung in die Einsatzleitstelle übertragen zu haben. Daran muss er sich messen lassen.

Andere Rechtsgrundlagen für das polizeiliche Handeln sind nicht ersichtlich. Der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht des Landes Berlin zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nicht möglich (BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 - 81; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34, 38; VGH Mannheim, Urteil vom 26. Januar 1998 - 1 S 3280/96 -, DVBl 1998, 837, 839). Ein Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht wäre lediglich zum Schutz der Versammlung oder als milderes Mittel gegenüber einer tatbestandlich zulässigen Auflösung möglich. Diese Fälle liegen indes nicht vor.

Aufgrund des Eingriffscharakters des polizeilichen Handelns bedurfte dieses gemäß Art. 8 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Die durch den Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des § 12a VersG geäußerte Auffassung, die bloße Videobeobachtung einer Versammlung - ohne eine Speicherung der Aufnahmen - sei wohl kein Grundrechtseingriff, da der Einzelne aufgrund mangelnder technischer Möglichkeiten nicht individualisierbar gemacht werden könne (BT-Drs. 11/4359, S. 17), ist mittlerweile überholt (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369). Die gegenteilige Ansicht des Beklagten ist nicht zutreffend. Sein Hinweis, das polizeiliche Handeln habe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestanden, da die vorliegende Versammlung aufgrund ihrer Größe und Unübersichtlichkeit zur Lenkung und Leitung habe überwacht werden können (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 - 373), geht fehl. Denn der maßgebliche Unterschied zu dem dort entschiedenen Fall ist der, dass das betroffene Land Bayern eine eigens die Übersichtsaufnahmen einer Versammlung gestattende gesetzliche Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz des Landes Bayern geschaffen hatte. Dessen Anwendbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht sodann einstweilen auf die Fälle unübersichtlicher Großdemonstrationen beschränkt. An einer derartigen Rechtsgrundlage fehlt es jedoch im Land Berlin. Das Bundesverfassungsgericht selbst scheint die grundsätzliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ebenfalls vorauszusetzen.'

An diesen Ausführungen hält die Kammer auch im hier zur Entscheidung stehenden Verfahren fest. Es fehlt weiterhin an einer Rechtsgrundlage für die bis zum Jahr 2010 erfolgten anlassunabhängigen Beobachtungen der vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veranstalteten Versammlungen in Berlin. Nach dem im Land Berlin weiterhin geltenden Versammlungsgesetz des Bundes sind die §§ 19 a und 12 a VersammlG die einzigen Normen, aufgrund derer Bild- und Tonaufnahmen angefertigt werden dürfen. Deren Voraussetzungen lagen bei den hier streitigen Aufnahmen aber offensichtlich nicht vor. Ein gesondertes Versammlungsgesetz nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen hat das Land Berlin noch nicht erlassen. ..."

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Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dies gilt auch, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt. Das bloße Beobachten und Anfertigen von Übersichtsaufnahmen durch die Polizei, verbunden mit der technischen Möglichkeit des gezielten Heranzoomens einzelner Teilnehmer einer Versammlung, überschreitet die Schwelle zum Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Der einzelne Versammlungsteilnehmer könnte durch das Gefühl des Beobachtetseins ungewollt eingeschüchtert und zu bestimmten, aus seiner Sicht den beobachtenden Polizeibeamten gerecht werdenden Verhaltensweisen veranlasst oder sogar von der Teilnahme an der Versammlung abgehalten werden. Für den Teilnehmer ist es nicht erkennbar, ob neben der Übertragung der Bilder in Echtzeit auch eine Speicherung der Daten erfolgt. Die §§ 12a und 19a des Versammlungsgesetzes stellen keine Rechtsgrundlage für das Anfertigen von Übersichtsaufnamen zur Lenkung und Leitung während einer Versammlung dar, sofern nicht eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt. Das Anfertigen von Übersichtsaufnahmen während einer Versammlung bedarf einer gesetzlichen Grundlage (VG Berlin, Urteil vom 05.07.2010 - 1 K 905.09).

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Zur Zulässigkeit polizeilicher Maßnahmen im Vorfeld einer öffentlichen Versammlung (VG Lüneburg, Urteil vom 30.03.2004 - 3 A 116/02, NVwZ-RR 2005, 248).

§ 20

Das Grundrecht des Artikels 8 des Grundgesetzes wird durch die Bestimmungen dieses Abschnitts eingeschränkt.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 21

Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

... Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin bis zum Erlass eines rechtskräftigen Urteils zu verpflichten, es im Internet zu unterlassen, die Potsdamerinnen und Potsdamer zum Protest gegen den geplanten Aufmarsch der NPD am 15. September 2012 in Potsdam aufzufordern, mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO lägen nicht vor, weil Bedenken gegen das Bestehen eines Anordnungsgrundes gegeben seien und die Antragstellerin dessen ungeachtet einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Ein Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB analog stehe ihr nicht zu. Der Standort des streitigen Aufrufs auf der Internetseite der Antragstellerin (Potsdam Aktuell) wie seine Aufmachung und seine Formulierung ließen ihn für einen objektiven Betrachter zunächst nicht als eine amtliche Äußerung der Antragsgegnerin erkennen. Es handele sich um einen gemeinsamen Aufruf mit dem Bündnis Potsdam bekennt Farbe' und zahlreichen namentlich aufgeführten Unterzeichnern im Rahmen der Aktionen des vorgenannten Bündnisses. Dessen ungeachtet erfasse der Aufruf den örtlichen Wirkungskreis der Antragsgegnerin, insbesondere, weil dieser gemeinsame Aufruf die Ideen und Forderungen des von Potsdamerinnen und Potsdamern formulierten und veröffentlichten Neuen Potsdamer Toleranzedikts 2008' aufgreife. Ungeachtet der Einstufung des streitigen Aufrufs verstoße dieser auch nicht gegen das Sachlichkeitsgebot. Toleranz und friedlicher Protest gegen Meinungsäußerungen anderer sei vornehmlich unter Berücksichtigung des vorgenannten Neuen Potsdamer Toleranzedikts' ein für Jedermann gerechtfertigtes Anliegen und müsse im Übrigen auch ganz im Sinne der Antragstellerin selbst sein. Da der Aufruf nicht zum Zwecke einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Rechts auf Versammlungsfreiheit der Antragstellerin erfolgt sei, verstoße er auch nicht gegen die Grundsätze der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit, zumal die Antragsgegnerin auch nicht für das Versammlungsrecht zuständig sei.

Das für die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen enthält nichts, was diese Begründung durchgreifend in Frage stellen würde.

Es kann zunächst offen bleiben, ob es sich - wie die Antragsgegnerin meint - bei der in der Beschwerdeschrift (Seite 3) formulierten Änderung des Antragsbegehrens, wonach dieser sich nunmehr nicht mehr gegen den Aufruf als solchen, sondern gegen seine Veröffentlichung im Internet auf der offiziellen Seite der Antragsgegnerin richten soll, um eine im Beschwerdeverfahren unzulässige Antragsänderung handelt. Denn der für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung notwendige Anordnungsanspruch ist sowohl mit der bisherigen als auch mit der jetzt formulierten Zielrichtung auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Insoweit macht die Beschwerde - in weiten Passagen lediglich unter Wiederholung ihrer Ausführungen in der Antragsschrift und damit schon ohne die nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gebotene Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung - im Kern geltend, die Ausführungen auf der Internetseite der Antragsgegnerin (www.potsdam.de/cms/beitrag/10098215/31478 unter Potsdam Aktuell'), die diese sich (jedenfalls) zu eigen mache, verletzten sie in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie in ihren Rechten aus § 5 PartG und verstießen gegen den Neutralitätsgrundsatz sowie das Sachlichkeitsgebot. Denn die Antragsgegnerin dürfe sich als Hoheitsträgerin zwar durchaus für Toleranz und friedliche Ausübung von Meinungsäußerungen einsetzen, müsse es aber auch dulden, dass eine kleine politische Partei ihr Versammlungsgrundrecht wahrnehme, und sie sei nicht zuständig für das Aufrufen zu Protesten gegen eine Versammlung; dazu seien andere politische Parteien berufen, mit denen die Antragstellerin im Wettbewerb stehe. Mit ihrem Aufruf bezwecke die Antragsgegnerin indes, die politischen Aktivitäten, hier also die Versammlung der Antragstellerin, zu behindern oder mindestens Stimmung dagegen zu machen.

Dieses Vorbringen greift nicht durch. Die Antragstellerin kann sich für den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache mit Erfolg weder auf eine Verletzung ihrer Rechtspositionen aus § 5 PartG noch aus Art. 3 Abs. 1 GG, hier insbesondere in der Ausprägung des Neutralitätsgrundsatzes, berufen; Gleiches gilt hinsichtlich des Sachlichkeitsgebots sowie hinsichtlich der Rechtsposition der Antragstellerin als Anmelderin der für den 15. September 2012 beabsichtigten Versammlung. Dazu im Einzelnen:

Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von § 5 PartG geltend macht, greift diese Bestimmung hier schon tatbestandlich nicht ein. Nach der genannten Norm (hier: Satz 1) sollen alle Parteien gleichbehandelt werden, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt. Um einen solchen Fall der Zurverfügungstellung von Einrichtungen oder der Gewährung öffentlicher Leistungen geht es hier ersichtlich nicht.

Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in der Form des sog. Neutralitätsgrundsatzes beanstandet, ist auch für den Senat schon nicht hinreichend deutlich, dass es sich aus der Sicht eines objektiven Beobachters um zuvörderst der Antragstellerin zurechenbare Inhalte handelt. Richtig ist zwar, dass auf Seite 2 der Internetveröffentlichung im Text derselben namentlich auch die Landeshauptstadt Potsdam zu dem inmitten stehenden Protest aufruft. Dennoch erschließt sich eine Urheberschaft der Antragsgegnerin nicht ohne Weiteres. Denn auf der zunächst erscheinenden Seite 1 des Aufrufs heißt es im Text erst einmal wie folgt: Das Bündnis 'Potsdam bekennt Farbe' ruft für den 15. September zu einem Schulterschluss in einem stadtweiten Bündnis 'Potsdam nazifrei' auf '. Auf Seite 2 heißt es im Zusammenhang mit der Erwähnung der Antragsgegnerin vollständig wie folgt: Die Landeshauptstadt Potsdam, das Bündnis 'Potsdam bekennt Farbe' und die Unterzeichner dieses Aufrufes fordern alle Potsdamerinnen und Potsdamer zum friedlichen, gewaltfreien und kreativen Protest gegen den geplanten Aufmarsch auf'; im Anschluss an den Text werden - in hervorgehobener Weise abgesetzt - die genannten Unterzeichner im Einzelnen aufgeführt, darunter etwa der Oberbürgermeister der Stadt, und zwar - aufgrund seiner namentlichen Nennung - mutmaßlich als Privatperson, sowie eine Reihe weiterer Repräsentanten und Mitglieder aus dem zivilgesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Raum, darunter mehrere Fraktionen. In der Zusammenschau dürfte sich dies - unbeschadet des Umstandes, dass sich der fragliche Internetauftritt auf einer Seite der Antragsgegnerin findet - aus Sicht eines objektiven Beobachters eher als ein Aufruf des dem gesellschaftlichen Raume zuzuordnenden Bündnisses Potsdam bekennt Farbe' darstellen als zuvörderst der Antragsgegnerin zuzuordnen sein.

Unabhängig hiervon ist auch alles andere als klar, ob der auf dem Gedanken der Chancengleichheit beruhende Neutralitätsgrundsatz (insofern als spezielle Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG) in der vorliegenden Konstellation - also vor dem Hintergrund einer Meinungskundgabe zu einer Versammlung - als solcher überhaupt geeignet ist, Grenzen von staatlichen Hoheitsträgern bei Äußerungen zu Versammlungen zu ziehen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2009 - 6 B 4/09 -, Juris, Rdn. 5, zum Urteil des Senats vom 20. November 2008 - OVG 1 B 5.06 -, OVGE 29, S. 170 ff., 182); diese Frage kann im vorliegenden (Eil-)Verfahren auch nicht abschließend geklärt werden. Es gilt hier aber jedenfalls soviel: Der auf dem Gedanken der Chancengleichheit der Parteien beruhende Grundsatz staatlicher Neutralität knüpft an den Gedanken an, dass der Staat - insbesondere durch Leistungsgewährung wie etwa bei der Parteienfinanzierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 -, BVerfGE 111, 54, 104 ff.) oder durch öffentliche Äußerungen im Vorfeld von Wahlen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 1977 - 2 BvR 424/75 -, BVerfGE 44, 124, 138 ff., 144 ff.) - in den Wettbewerb der politischen Willensbildung nicht eingreifen soll und in diesem Sinne insbesondere die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen darf. Vorliegend geht es freilich nicht um eine Ressourcenverteilung in diesem Sinne oder um etwaige staatliche Äußerungen im Vorfeld von Wahlen, sondern um öffentlichen Meinungskampf und -austausch im Umfeld einer öffentlichen Versammlung, der schon seiner Natur nach auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung und in diesem Sinne auf Rede' und Gegenrede' abzielt (vgl. dazu - entsprechend bei Bürgerbegehren - OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - 15 B 2455/03 -, Juris, Rdn. 16 ff.). Dass sich die Antragsgegnerin an einem solchen öffentlichen Meinungsaustausch und den diesbezüglich diskutierten Themen überhaupt nicht beteiligen dürfte, behauptet auch die Antragstellerin nicht und findet auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Stütze (s. dazu - im Zusammenhang mit Art. 4 GG - etwa BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - Juris, Rdn. 54).

Soweit als Grenze solcher - ggf. auch kritischer (vgl. BVerfG, a.a.O.) - Äußerungen das sog. Sachlichkeitsgebot heranzuziehen ist (s. dazu insb. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.), hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt, dass die diesbezüglichen Grenzen vorliegend nicht überschritten seien; mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde schon entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht auseinander. Dass die Antragsgegnerin hier außerhalb ihrer kommunalverfassungsrechtlichen Kompetenzen und ggf. in unsachlicher Art und Weise tätig geworden wäre, vermag auch der Senat dem Vorbringen der Antragstellerin nicht zu entnehmen.

Soweit die Antragstellerin schließlich eine Verletzung ihrer Rechtsposition als Anmelderin der für den 15. September 2012 beabsichtigten Versammlung und damit der Sache nach eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 8 GG geltend macht, greift auch dies nicht durch. Zwar muss es staatlichen Repräsentanten an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des demokratischen Rechtsstaats in besonderer Weise gelegen sein (vgl. bereits Urteil des Senats vom 20. November 2008, a.a.O., OVGE 29, 170, 182). Es ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass die dafür maßgebliche Grenze, die einfachrechtlich in § 21 VersammlG (hier in Zusammenschau mit § 111 StGB) nachgezeichnet ist, hier überschritten wäre. Nach den genannten Bestimmungen ist es unter Strafe gestellt, in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen; nach § 111 StGB darf hierzu auch nicht öffentlich aufgefordert werden. Eine derartige öffentliche Aufforderung lässt sich dem inmitten stehenden Internetaufruf freilich nicht entnehmen. Darin ist zwar von Protest' und dem Ziel' die Rede, den fraglichen Aufmarsch zu verhindern'; zugleich findet sich aber die Betonung, dass es sich um einen friedlichen' und gewaltfreien' Protest handeln solle. Irgendwelche konkreten Handlungsempfehlungen (etwa eine Sperrung der Aufzugsstrecke o.ä.), die eine Würdigung des Aufrufs nach Maßgabe der vorgenannten Strafbestimmungen zuließen, enthält dieser ersichtlich nicht. Abgesehen davon wird aus dem Gesamtzusammenhang der auf dem weiterführenden Link des Bündnisses Potsdam bekennt Farbe' wiedergegebenen Lokalen Aktionsplan' veröffentlichten Informationen deutlich, dass dem Aktionsbündnis daran gelegen ist, für die vielfältigen unter dem Toleranz-Motto stehenden Veranstaltungen, insbesondere für eine Teilnahme an dem 5. Fest für Toleranz sowie an weiteren Veranstaltungen zu werben. ..." (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.09.2012 - OVG 1 S 127.12)

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Das öffentliche Gelöbnis zur Vereidigung neu einberufener Rekruten der Bundeswehr stellt keine Versammlung" i.S. von § 21 VersammlG dar. Zu den Voraussetzungen der Anwendung unmittelbaren Zwangs (§ 9 UZwGBw) gegen die Störer eines öffentlichen Gelöbnisses (KG, Beschluss vom 12.06.2003 - (4) 1 Ss 270/02 (153/02), NStZ 2004, 45).

Gewalt i. S. des § 240 I StGB wird angewandt, wenn eine Straße durch in mehreren Reihen zum Teil eingehakt sitzende Demonstranten für Fußgänger blockiert und dadurch ein angemeldeter Demonstrationszug für zehn Minuten zum Halten gezwungen wird. Ein solches Verhalten stellt auch eine grobe Störung eines Aufzugs i. S. des § 21 VersammlG dar (BayObLG, Urteil vom 16.10.1995 - 4 St RR 186/95, BayObLGSt 1995, 167).

*** (VG)

Klagegegenstand ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Begehren der Feststellung der Rechtswidrigkeit mehrerer Auflagen eines Auflagenbescheids, durch den im Wesentlichen einem Veranstalterbündnis untersagt worden ist, im Rahmen eines so genannten Blockadetrainings den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken - etwa durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - zu vermitteln, die sie befähigen sollten, durch grobe Störungen nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge des politischen Gegners zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln. Die Klage hat keinen Erfolg, weil während des Blockadetrainings mit hoher Wahrscheinlichkeit in nach § 111 StGB strafbarer Weise - unter anderem durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - dazu aufgerufen werden sollte, durch massenhafte Sitzblockaden bestimmte bereits angemeldete und nicht verbotene Demonstrationen politischer Gegner zu verhindern. Zur Berechtigung der Versammlungsbehörde, dem Veranstalter die Einsetzung von Ordnern und die Übermittlung der Personalien der Ordner, so genannter Trainer und zu erwartender Redner durch Auflage aufzugeben (VG Aachen, Urteil vom 01.06.2011 - 6 K 363/11 zu Art 8 GG, Art 5 Abs 3 GG, Art 5 Abs 1 GG, §§ 21, 2 Abs 2 VersammlG u.a.):

... Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.

Der Begriff der unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. fast mit Gewissheit' zu erwarten ist.

Vgl. BVerwG, Urteil 25. Juni 2008 - Az. 6 C 21/07 -, DVBl 2008, 1248-1251, und juris.

Davon ausgehend hat das Polizeipräsidium Aachen zutreffend prognostiziert, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit unmittelbar bestanden hätte, wenn die vom Kläger geleitete Versammlung wie angemeldet hätte durchgeführt werden dürfen, wenn also dem Kläger, Ordnern, so genannten Trainern oder anderen Personen, die sich in der Versammlung am 5. Februar 2011 unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer hätten wenden können, nicht untersagt worden wäre, den Versammlungsteilnehmern - etwa durch das Einüben von Sitzblockaden und sogenannte szenische Wegtrageübungen - Taktiken und Techniken zu vermitteln, die sie befähigen sollten, durch grobe Störungen nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln.

Nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen ist das Polizeipräsidium Aachen nämlich zutreffend davon ausgegangen, dass bei Durchführung der Versammlung am 5. Februar 2011 ohne das Unterlassen der durch die Auflage 4 untersagten Handlungen die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG unmittelbar gefährdet war, weil fast mit Gewissheit' davon auszugehen war, dass dann im Rahmen des beabsichtigten Blockadetrainings' von Trainern, dem Kläger, Ordnern oder anderen Personen, die sich in der Versammlung am 5. Februar 2011 unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer hätten wenden können, zentrale Rechtsgüter - nämlich die grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit des Veranstalters und der Teilnehmer der für den 8. und 9. April 2011 angemeldeten Naziaufmärsche' in Stolberg - dadurch verletzt worden wären, dass in der Versammlung am 5. Februar 2011 konkret dazu aufgerufen worden wäre, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, und dass darüber hinaus im Sinne des Veranstalters einige für die Verhinderung der Naziaufmärsche' am 8. und 9. April 2011 hilfreiche Taktiken und Techniken vermittelt bzw. eingeübt und - vom Veranstalter beabsichtigt - über die Berichterstattung in den Medien als legal, zumindest aber legitim (weil von der anwesenden Polizei geduldet) verbreitet worden wären.

Dabei kann dahinstehen, ob bereits das Einüben und Vermitteln von Techniken, die zur der Verhinderung einer erst zwei Monate später stattfindenden rechtmäßigen Versammlung eines politischen Gegners geeignet sind, eine Störung der öffentlichen Sicherheit durch die Versammlung am 5. Februar 2011 im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG auch dann darstellt, wenn das Einüben und Vermitteln der Techniken am 5. Februar 2011 als bloße Vorbereitungshandlung (noch) nicht strafbar ist, weil damit doch konkret daran gearbeitet und auch bezweckt wird, unter Missachtung und damit Verletzung der §§ 21 und § 2 Abs. 2 VersG bestimmte fest geplante und nicht verbotene Versammlung politischer Gegner - hier die Naziaufmärsche' am 8. und 9. April 2011 in Stolberg - durch massenhafte Sitzblockaden grob zu stören und möglichst zu verhindern

- vgl. hierzu VG Hannover, Beschluss vom 28. August 2009 - Az. 10 B 3436/09 - unveröffentlicht; Sächsisches OVG, Beschluss vom 31. Januar 2010 - Az. 3 B 37/10 / 6 L 32/10 -, unveröffentlicht; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Februar 2000 - 1 S 414/00 -, -,

kann hier offen bleiben. Denn ein solches szenisches, mimisches und gestisches Blockadetraining' ist jedenfalls dann als eine schwerwiegende Verletzung der Rechtsordnung und damit als Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG zu werten, wenn es - wie hier - (1.) untrennbar mit einem Aufruf verbunden ist, eine rechtmäßige Demonstration eines politischen Gegners durch grobe Störungen der Versammlung des politischen Gegners zu verhindern, und (2.) dieser Aufruf als eine Straftat im Sinne des § 111 StGB zu werten ist. So liegt der Fall hier.

Das Polizeipräsidium Aachen hat in der Begründung der Auflagenverfügung vom 31. Januar 2011 und in dem Bescheid vom 5. Februar 2011, mit dem es den undatierten und nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung abgelehnt hat, erkennbare Umstände dargelegt, aus denen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Schlussfolgerung zu ziehen war, dass das Blockadetraining am 5. Februar 2011 als Teil eines Mobilisierungsplans des Veranstalterbündnisses einzuordnen ist, durch dessen Vollzug die Menschenmassen aktiviert und zur Teilnahme an Blockadeaktionen bewegt werden sollten, die notwendig gewesen wären, um durch friedliche Blockaden die rechtmäßigen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu verhindern.

Dies folgt zwar nicht bereits zwingend aus dem vom Kläger bei der Anmeldung der Versammlung angegebenen Versammlungsthema Blockadetraining', das isoliert und ohne Bezug zu den Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg betrachtet auch als schlichte Meinungskundgabe mit dem Ziel, durch szenische, mimische und gestische Vorführen der eingeladenen Öffentlichkeit zu vermitteln, es sei eine demokratische Bürgerpflicht, Naziaufmärsche zu verhindern, verstanden werden kann.

Das Polizeipräsidium Aachen hat indessen zutreffend erkannt und dargelegt, dass ein solches Verständnis des Versammlungsthemas zu kurz greifen würde. Es hat zu Recht bei der Bestimmung des Zwecks auch den Kontext einbezogen, in den Versammlung am 5. Februar 2011 eingebunden war, und dabei das öffentlich verkündete politische Ziel und das darauf ausgerichtete Aktionsprogramm des Veranstalterbündnisses maßgeblich berücksichtigt.

Ausgehend von dieser Betrachtungsweise hat das Polizeipräsidium Aachen überzeugend dargelegt, dass die Versammlung am 5. Februar 2011 Teil einer Kampagne des Veranstalterbündnisses war, die darauf ausgerichtet war, die rechtmäßigen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu verhindern. Dieses allem anderen übergeordnete Kampagneziel und die Einbindung des Blockadetrainings' in die Kampagne hat das Polizeipräsidium Aachen nachvollziehbar mit Internetaufrufen des Veranstalterbündnisses und Presseerklärungen aktiver Mitglieder und der Sprecherin des Bündnisses belegt. Aus diesen vom Kläger nicht bestrittenen und vom Polizeipräsidium Aachen durch Internetausdrucke und Kopien von Presseartikeln dokumentierten öffentlichen Äußerungen aus den Reihen des Veranstalter-Bündnisses ergeben folgendes Bild:

Nachdem die Veranstalter der rechtsextremen Aufmärsche ihre Versammlungen für den 08. und 09. April 2011 angemeldet hatten und diese im Internet bewarben, rief das Veranstalterbündnisses dazu auf, durch Massenblockaden und zivilen Ungehorsam die angemeldeten rechtsextremen Aufzüge im April 2011 zu verhindern. Es gelte: Stolberg 2011 - Sie werden nicht durchkommen!' Hierzu erklärte das Bündnis: Ziel aller in dem Bündnis vertretenen Gruppen und Personen ist es, Anfang April 2011 den rechten Aufmarsch mit einer Massenblockade zu verhindern.' Es gelte das Motto: Stolberg 2011 - Sie werden nicht durchkommen!' Weiter erklärte das Bündnis im Internet: Ziel aller in dem Bündnis vertretenen Gruppen und Personen ist es, Anfang April 2011 den rechten Aufmarsch mit einer Massenblockade zu verhindern.' Das Bündnis hat in seinem Internetauftritt weiter erklärt, dass durch die bisherigen Aktionen in Stolberg die Naziaufmärsche nicht aufgehalten worden seien. Nicht zuletzt die Blockaden in Dresden, Wunsiedel, Lübeck und Köln hätten aber bewiesen, dass es mit vielen Menschen möglich sei, Naziaufmärsche zu verhindern. Auch unterstützte das Bündnis das bundesweite Bündnis Dresden-Nazifrei' in der dort für den 19. Februar 2011 geplanten Blockade eines Naziaufmarsches.

Einer der Bündnissprecher und Mitglied des Veranstalterbündnisses, Herr K. Z., erklärte gegenüber der Aachener Zeitung, er sehe in Blockaden das einzig probate Mittel, solche Aufmärsche zu verhindern'. Weiter äußerte Herr Z. nach der Bekanntmachung des angefochtenen Auflagenbescheids durch das Veranstalterbündnis im Internet öffentlich: Wir werden das Blockade-Training wie geplant durchführen und lassen uns durch die Auflagen zunächst nicht stören'.

In seiner Pressemitteilung Nr. 2 vom 04. Februar 2011 ließ das Veranstalterbündnis durch die Sprecherin N. C. erklären: Wir werden uns von der Aachener Polizei nicht einschüchtern lassen, wir werden am kommenden Samstag unser Training auf dem Kaiserplatz durchführen und am 9. April den Nazi-Aufmarsch verhindern.'

Vor diesem Hintergrund hat das Polizeipräsidium Aachen nachvollziehbar die Schlussfolgerung gezogen, dass der erklärte maximale Erfolg für das Veranstalterbündnis die tatsächliche Verhinderung der rechtsextremen Aufmärsche in Stolberg durch Massenblockaden gewesen sei und dass sich dieser Erfolg aus der damaligen Sicht des Veranstalterbündnisses nur realisieren ließ, wenn zuvor die Massen tatsächlich mobilisiert würden und aktiv an Blockaden mitzuwirken bereit seien. Demzufolge sei die Durchführung öffentlicher Blockadetrainings aus der damaligen Sicht des Veranstalterbündnisses zur Zweckerreichung unverzichtbar gewesen.

Die Richtigkeit des vom Polizeipräsidium Aachen herausgearbeiteten Verständnisses des eigentlichen Zwecks der Versammlung am 5. Februar 2011 wird dadurch bestätigt, dass das Veranstalterbündnis selbst in dem undatierten und nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Auflagen einräumt, mit dem Blockadetraining solle offen gezeigt werden, dass die Teilnehmer/innen eine moralische Pflicht zum zivilen Ungehorsam und gewaltlosen Widerstand sähen, wenn Rechtsextreme demonstrierten und dieses vom Staat nicht unterbunden werde. Wer anderen Personen eine moralische Pflicht zum zivilen Ungehorsam und gewaltlosen Widerstand durch ein Blockadetraining in einer Stadt einsuggeriert, in der er gleichzeitig mit Internetaufrufen eine Massenblockade zu organisieren versucht, der stellt nicht nur eine innere Haltung, die der öffentlichen Auseinandersetzung und Debatte im Umgang mit Demonstrationen Rechtsextremer dienen soll, zu Schau, sondern der beabsichtigt gezielt, die Adressaten seiner Botschaft zu Teilnahme an der von ihm geplanten Massenblockade zu bewegen.

Für das erkennende Gericht steht damit fest, dass durch die Versammlung am 5. Februar 2011 als Teil einer Kampagne des Veranstalterbündnisses konkret dazu aufgefordert werden sollte, die für den 8. und 9. April 2011 angemeldeten Naziaufmärsche' in Stolberg zu verhindern.

Der dagegen vom Kläger erhobene Einwand, das Blockadetraining sei lediglich eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit Gesetzgebung und Rechtsprechung in Bezug auf rechte Versammlungen und die beabsichtigten Probeblockaden und szenischen Wegtrageübungen hätten lediglich als gemeinsame Meinungskundgabe ausdrücken sollen, Naziaufmärsche zu verhindern sei eine demokratische Bürgerpflicht, überzeugt nicht, sondern ist als der Versuch zu werten, durch Verharmlosung und Verschleierung der wahren Absichten des Veranstalterbündnisses zu erreichen, dass demnächst mit gerichtlicher Billigung auf öffentlichen Versammlungen dazu aufgerufen werden darf, rechtmäßige Demonstrationen eines politischen Gegners durch Massenblockaden zu verhindern und damit dem politischen Gegner dessen Demonstrationsrecht zu nehmen.

Einem solchen Begehren des Veranstalterbündnisses, für das im vorliegenden Klageverfahren der Kläger auftritt, darf das erkennende Gericht aus Rechtsgründen nicht entsprechen, weil der ohne das mit der angefochtene Auflage 4 ausgesprochene Verbot mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Versammlung am 5. Februar 2011 damals zu erwartende Aufruf, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, als Straftat nach § 111 StGB einzuordnen ist.

Der Einwand des Klägers, mit der Durchführung von Blockade- und Wegtrageübungen werde kein Straftatbestand verwirklicht, da bei einer Probeveranstaltung weder die Polizei herausgefordert noch Dritte in ihren Rechten verletzt würden, kann nicht überzeugen. Der Kläger verkennt insoweit die Regelungsweite des § 111 StGB.

Nach § 111 Abs. 1 StGB wird wie ein Anstifter (§ 26) bestraft, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 StGB macht sich auch derjenige strafbar, dessen Aufforderung ohne Erfolg bleibt; die Strafe darf in diesem Fall nicht schwerer sein als die, die für den Fall angedroht ist, dass die Aufforderung Erfolg hat. Dementsprechend bleibt ein nach § 111 Abs. 1 StGB strafbarer Aufruf auch dann eine Straftat, wenn die Aufforderung erfolglos bleibt.

Der ohne die Auflage 4 während des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 zu erwartende Aufruf, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, hätte den objektiven Tatbestand des § 111 Abs. 1 StGB erfüllt. Durch den Aufruf wäre auf andere Personen mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss hervorzurufen, strafbare Handlungen zu begehen, eingewirkt worden. Es wäre nämlich dazu aufgefordert worden, grobe Störungen durch massenhafte Sitzblockaden in der Absicht zu verursachen, die nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu verhindern und damit eine Straftat nach § 21 VersG zu begehen. Daran, dass die angestrebten massenhaften Sitzblockaden als grobe Störung' i.S.d. § 21 VersG einzuordnen sind, ändert der Umstand, dass die angestrebten massenhaften Sitzblockaden - wie schon der Kläger im Kooperationsgespräch betont hat - friedlich' ablaufen sollten, nichts; denn auch ein friedliches' Verhalten muss als grobe Störung' i.S.d. § 21 VersG nach Sinn und Zweck dieser Strafbestimmung qualifiziert werden, wenn es geeignet ist, eine nicht verbotene Versammlung zu verhindern. Dass während des Blockadetrainings am 5. Februar 2011, wie der Kläger einwendet, nicht dazu aufgerufen worden wäre, zu bestimmten Uhrzeiten an konkret benannten Örtlichkeiten am 8. und 9. April 2011 an Sitzblockaden in Stolberg teilzunehmen, steht der Wertung, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Aufruf zur Teilnahme an Sitzblockaden in Stolberg am 8. und 9. April 2011 einen Aufruf zur Begehung einer rechtswidrigen Tat darstellt, nicht entgegen. Denn dafür genügt es, dass der Wille des Täters erkennbar wird, dass von den Adressaten seiner Äußerung strafbare Handlungen als unmittelbare Konsequenz der Aufforderung begangen werden. Dass die Blockadeaktionen, zu denen aufgerufen wird, nach Zeit und Ort bereits festgelegt sind, ist nicht erforderlich. Bei § 111 StGB braucht die Aufforderung nämlich nicht mit gleicher Präzision, wie dies für § 26 StGB erforderlich wäre, auf bestimmte Taten und Täter ausgerichtet zu sein.

Vgl. dazu Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 28. Auflage 2010, § 111 Rdn. 3 bis 6, m.w.N.

Die weitere Voraussetzung für das Erfüllen des objektiven Tatbestands des § 111 Abs. 1 StGB, dass der Aufruf auf einer öffentlichen, eine Vielzahl von Personen umfassenden Versammlung erfolgt wäre, wäre ersichtlich auch erfüllt gewesen.

Ebenso wäre auch zum Begehen einer rechtswidrigen Tat aufgefordert worden. Dieser Feststellung steht die besondere Problematik, ob die durch den Aufruf angesprochenen Personen sich durch die Teilnahme an Sitzblockaden in Stolberg am 8. und 9. April 2011 wegen Nötigung strafbar gemacht hätten oder ob sie sich nicht wegen Nötigung strafbar gemacht hätten, weil ihre Teilnahme an der Sitzblockade mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Rechtsfrage nicht als verwerflich im Sinn des § 240 Abs. 2 StGB und damit nicht als rechtswidrig einzustufen gewesen wäre, nicht entgegen. Denn im vorliegenden Fall wäre jedenfalls auch dazu aufgerufen worden, eine Straftat nach § 21 VersG zu begehen. Diese Straftat enthält im Gegensatz zu § 240 StGB keine Verwerflichkeitsklausel und ist einer Abwägung zwischen kollidierenden Rechten von Teilnehmern an einer Sitzblockade und Teilnehmern an einer nicht verbotenen Versammlung, die an der Ausübung ihres Demonstrationsrechts gehindert werden sollen, nicht zugänglich. Die insoweit vom Gesetzgeber in § 21 VersG vorgenommene Grenzziehung ist - anders als in § 240 StGB - eindeutig und sie entspricht auch dem Kern des Grundrechtsschutzes der Versammlungsfreiheit mit folgender Konsequenz: Die Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung im Sinne des § 21 VersG ist in aller Regel strafbar und damit verboten. Wer dennoch im Sinne des § 111 StGB zur Begehung einer solchen Straftat aufruft, handelt rechtswidrig.

Vgl. dazu Eser a.a.O., § 111 Rdn. 11 bis 13a, m.w.N.

Schließlich hätte der ohne die Auflage 4 während des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 zu erwartende Aufruf, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, auch den subjektiven Tatbestand des § 111 Abs. 1 StGB erfüllt. Wäre im Rahmen des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 - sei es durch nicht verbale oder durch verbale Darstellungen bzw. Äußerungen zu dem Aufruf, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, gekommen, so hätten die für diese Appelle verantwortlichen Personen auch vorsätzlich gehandelt. Denn sie hätten - zumindest mit Eventualvorsatz, der insoweit ausreicht - zur Begehung von Straftaten nach § 21 VersG aufgerufen und zugleich beabsichtigt, einen entsprechenden Tatentschluss bei Versammlungsteilnehmern zu bewirken.

Vgl. dazu Eser a.a.O., § 111 Rdn. 16 bis 17a.

Den Eventualvorsatz bezogen auf den Aufruf, Straftaten nach § 21 VersG zu begehen, hätten sie nicht erfolgreich mit der Einlassung abstreiten können, nach ihrer eigenen rechtlichen Einschätzung sei die Verhinderung rechtsextremer Demonstrationen legal; denn im Kooperationsgespräch hatte das Polizeipräsidium Aachen den Kläger und damit auch das Veranstalterbündnis auf die Strafbarkeit der Verhinderung einer nicht verbotenen Demonstration nach § 21 VersG hingewiesen und damit die Organisatoren des und die während des Blockadetrainings verantwortlich als Versammlungsleiter, Ordner, Trainer oder Redner auftretenden Personen spätestens zu diesem Zeitpunkt bösgläubig' gemacht. Wer auch nach einem solchen kompetenten Hinweis auf die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens - hier von Verhinderungsblockaden' - zu Sitzblockaden zur Verhinderung einer nicht verbotenen Demonstration aufruft, kann sich nicht mit Erfolg auf einen Rechtsirrtum bezüglich der Strafbarkeit solcher Sitzblockaden berufen. Er handelt insoweit jedenfalls mit Eventualvorsatz, weil er um die Fragwürdigkeit seiner eigenen rechtlichen Beurteilung weiß und die Begehung einer Straftat dennoch billigend in Kauf nimmt.

Zusammenfassend bleibt damit nochmals festzustellen, dass das Polizeipräsidium Aachen zutreffend prognostiziert hat, dass bei Durchführung des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 in der vom Veranstalterbündnis gewollten Form nahezu mit Gewissheit die öffentliche Sicherheit gestört worden wäre, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass ein nach § 111 StGB strafbarer Appell an die Versammlungsteilnehmer ergehen sollte, an Sitzblockaden zu Verhinderung der für den 8. und 9. April angemeldeten und nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene in Stolberg teilzunehmen.

Die zur Abwehr dieser Gefahr in der Auflage 4 getroffenen Anordnungen erweisen sich als geeignet, erforderlich und insbesondere als angemessen.

Das mit der Auflage 4 verfügte Verbot, den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken - insbesondere durch das bei bereits andernorts durchgeführten öffentlichen Blockadetrainings praktizierte Einüben von Sitzblockaden und sogenannte szenische Wegtrageübungen - zu vermitteln, um die Versammlungsteilnehmer zu befähigen, nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln, indem zumindest eine grobe Störung verursacht wird, war geeignet, dem Blockadetraining den Charakter eines strafbaren Aufrufs zur Verhinderung der nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 durch massenhafte Sitzblockaden zu nehmen. Denn durch das Verbot des zentralen Stilmittels des beabsichtigten Aufrufs, nämlich der szenischen und gestischen Vermittlung von Blockadetechniken und -taktiken wie Sitzblockaden und Wegtrageübungen, wurde dem Veranstalterbündnis, dem Kläger, den Versammlungsteilnehmern und auch der durch die Berichterstattung der Medien hierüber unterrichteten breiteren Öffentlichkeit unmissverständlich mitgeteilt, dass Verhaltensweisen wie das Verhindern einer nicht verbotenen Demonstration, die grobe Störung einer Demonstration in der Absicht, sie zu verhindern, und der Aufruf zur Begehung solcher Straftaten in einer öffentlichen Versammlung nicht nur durch Gesetz verboten, sondern sogar strafbar sind.

Das mit der Auflage 4 verfügte Verbot war auch erforderlich, und zwar auch die Ausdehnung des Verbots auf Ordner und allen anderen Personen, die sich in der Versammlung unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer wenden würden. Das Polizeipräsidium Aachen hat in seinem Bescheid vom 5. Februar 2011, mit dem es einen nicht datierten und nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Auflagenbescheids vom 31. Januar 2011abgelehnt hat, nachvollziehbar, sachgerecht und zutreffend das Verbot damit begründet, dass Sprecher des Veranstalterbündnisses im Internet und in einer Presseerklärung öffentlich geäußert hatten, man werde sich durch die Auflagen zunächst nicht stören lassen' und das Training um 15 Uhr auf dem Kaiserplatz durchführen'. Vor diesem Hintergrund hat das Polizeipräsidium Aachen zu Recht erwartet, dass die erteilten Auflagen in der Versammlung missachtet werden würden. Auch hat es zu Recht erwartet, dass nicht nur der Kläger als Versammlungsleiter, sondern gegebenenfalls auch Ordner oder andere Personen, die als Trainer oder Redner gegenüber den Versammlungsteilnehmern auftreten würden, ernsthaft als Personen in Betracht kamen, das mit der Auflage 4 verfügte Verbot zu umgehen. Diese Erwartung haben das Veranstalterbündnis und der Kläger selbst maßgeblich dadurch genährt, dass der Kläger im Kooperationsgespräch nicht willens oder nicht in der Lage war, den geplanten Ablauf des von ihm angemeldeten Blockadetrainings konkret darzustellen.

Insbesondere hat der Kläger im Kooperationsgespräch den geplanten Ablauf des Blockadetrainings nicht in Bezug auf die vorgesehenen Trainer und deren Vermittlungsmethoden hinreichend substantiiert. Schon dieses Verhalten des Klägers im Kooperationsgespräch rechtfertigte die Prognose, dass Trainer die Auflage 4 umgehen würden. Schließlich war angesichts der öffentlich erklärten Entschlossenheit des Veranstalterbündnisses, die Versammlung am 5. Februar 2011 für einen Aufruf zu nutzen, die nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 durch massenhafte Sitzblockaden zu verhindern, auch die weitere Prognose gerechtfertigt, dass wegen des Verbots mimischer, gestischer und szenischer Darbietungen versucht werden würde, den geplanten Appell zumindest durch spontane' Redebeiträge in der Öffentlichkeit der Versammlung zu verbreiten. Ausgehend von dieser zutreffenden Prognose war es erforderlich, das mit der Auflage 4 verfügte Verbot auf Ordner, Trainer und alle anderen Personen, die sich in der Versammlung unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer wenden würden, auszudehnen.

Schließlich war das mit der Auflage 4 verfügte Verbot auch angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne.

Das Polizeipräsidium Aachen hat sich zu Recht verpflichtet gesehen, das durch die Grundrechte der Meinungsäußerungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit geschützte Recht der Veranstalter der nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg davor zu schützen, dass es durch den für den 5. Februar 2011 geplanten Aufruf des Veranstalterbündnisses, die Demonstrationen der rechtsextremen Szene durch massenhafte Sitzblockaden zu verhindern, tatsächlich verhindert oder zumindest grob beeinträchtigt würde. Die Verpflichtung des Polizeipräsidiums Aachen ergibt sich - wie dargelegt - aus dem strafrechtlichen Verbot des § 111 StGB i.V.m. dem strafrechtlichen Verbot des § 21 VersG. § 21 VersG schützt nicht verbotene Versammlungen wie die Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg vor groben Störungen, und zwar auch dann, wenn diese von friedlichen' Sitzblockaden ausgehen, die in der Absicht durchgeführt werden, eine nicht verbotene Versammlung zu verhindern, zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln. Durch § 111 StGB ist es verboten, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften auf andere Personen mit dem Ziel einzuwirken, in ihnen den Entschluss zur Begehung strafbare Handlungen hervorzurufen. Das in § 111 StGB normierte Verbot bezweckt, besonders gefährliche Formen der Anstiftung bzw. versuchten Anstiftung unter Strafe zu stellen. Es schützt nicht nur das durch die Straftat, zu deren Begehung aufgefordert wird, bedrohte Rechtsgut - hier konkret die Versammlungsfreiheit der Veranstalter der nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg und der Teilnehmer an diesen Demonstrationen -, sondern auch den inneren Frieden der Gemeinschaft, der durch die besondere Gefährlichkeit der in § 111 genannten Handlungen bedroht wird, weil durch den öffentlichen Aufruf zur Begehung von Straftaten die Gefahr einer Massenkriminalität entsteht.

Vgl. dazu Eser a.a.O., § 111 Rdn. 1, m.w.N.

Das Polizeipräsidium Aachen war dementsprechend grundsätzlich verpflichtet, strafbare öffentliche Aufrufe in einer öffentlichen Versammlung wie den vom Veranstalterbündnis für den 5. Februar 2011 geplanten Aufruf zur Verhinderung der nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu unterbinden.

Demgegenüber können sich das Veranstalterbündnis und der Kläger nicht mit Erfolg auf

- ihr Selbstbestimmungsrecht als Veranstalter einer öffentlichen Versammlung,
- ihre Meinungsäußerungsfreiheit oder
- die Freiheit der Kunst

berufen. Denn die Grundrechte, auf die sich das Veranstalterbündnis beruft, hat der Gesetzgeber durch § 111 Abs. 1 StGB und § 21 VersG in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahingehend eingeschränkt, dass weder das Selbstbestimmungsrecht als Veranstalter einer öffentlichen Versammlung noch dessen Meinungsäußerungsfreiheit noch die Freiheit der Kunst es erlauben dazu aufzurufen, eine nicht verbotene Demonstration des politischen Gegners in der Absicht, sie zu verhindern, durch massenhafte Sitzblockaden zumindest grob zu stören. In Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer öffentlichen Versammlung ergibt sich die Befugnis des Gesetzgebers, die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit durch einfaches Gesetz - hier die §§ 111 Abs. 1 StGB und 21 VersG - einzuschränken, aus der Grundrechtsschranke des Art. 8 Abs. 2 GG; in Bezug auf die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerungsfreiheit ergibt sie sich aus der Grundrechtsschranke des Art. 5 Abs. 2 GG, wobei die §§ 111 Abs. 1 StGB und 21 VersG als allgemeine Gesetze' einzuordnen sind, die nicht auf das Verbot der Äußerung einer bestimmten Meinung abzielen, sondern - wie bereits dargelegt - allgemein den Schutz der Versammlungsfreiheit und des inneren Friedens bezwecken; in Bezug auf die durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Kunstfreiheit folgt die Berechtigung des Gesetzgebers, die Kunstfreiheit durch einfaches Gesetz einzuschränken, aus der Befugnis, im Fall von Grundrechtskollisionen - hier der Kunstfreiheit des einen mit der Versammlungsfreiheit des anderen - auch schrankenlose Grundrechte zur Herstellung praktischer Konkordanz durch einfaches Gesetz einzuschränken, um sicherzustellen, dass durch die Ausübung eines schrankenlos gewährleisteten Grundrechts nicht die Ausübung eines anderen Grundrechts unangemessen eingeengt oder gar verhindert wird.

Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die Auflage 4 insgesamt rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Die Einwendungen gegen die Auflage 2, mit der das Veranstalterbündnis verpflichtet worden ist, für je 30 Teilnehmer/innen jeweils einen ehrenamtlichen Ordner einzusetzen, greifen nicht durch.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers und der von seinen Prozessbevollmächtigten für diese Rechtsauffassung in Bezug genommenen gerichtlichen Entscheidungen ist die Versammlungsbehörde nicht nur allenfalls' gemäß § 9 Abs. 1 i.V.m. § 18 Abs. 2 VersG berechtigt, den Einsatz von Ordnern zu verfügen, deren Einsetzung der Versammlungsleiter wünscht. Vielmehr ist die Versammlungsbehörde nach § 15 Abs. 1 VersG auch gegen den Wunsch des Veranstalters und des Leiters einer Versammlung berechtigt, durch Auflage den Einsatz von Ordnern anzuordnen, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit der im Ergebnis und der Begründung zutreffenden Rechtsauffassung des OVG Rheinland-Pfalz an.

Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10. Februar 2010 - Az. 7 A 11095/09 -, , Rdn. 28 bis 33, m.z.w.N. in Rdn. 28.

Die Voraussetzungen, unter denen die Verpflichtung zur Verwendung von Ordnern nach § 15 Abs. 1 VersG angeordnet werden kann, waren im vorliegenden Fall gegeben. Nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen ist das Polizeipräsidium Aachen nämlich zutreffend davon ausgegangen, dass bei Durchführung der Versammlung ohne die durch die Auflage 2 verfügte Verpflichtung des Veranstalterbündnisses und des Klägers, Ordner einzusetzen, die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG unmittelbar gefährdet war, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass die Auflage 4 von Versammlungsteilnehmern missachtet würde und mit Störungen durch Personen aus dem schwarzen Block' der autonomen linken (gewaltbereiten) Szene habe gerechnet werden müssen. Dass tatsächlich eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass versucht würde, die Auflage 4 etwa durch Redebeiträge von Versammlungsteilnehmern zu umgehen, ist im Einzelnen bereits im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auflage 4 dargelegt worden. Dass tatsächlich auch mit Störungen der öffentlichen Ordnung - insbesondere durch nach § 111 strafbare Aufrufe aus der Versammlung heraus - konkret zu rechnen war, hat das Polizeipräsidium Aachen ausreichend dadurch belegt, dass es bereits in dem Bescheid vom 5. Februar 2011, mit dem es den undatierten und nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung abgelehnt hat, unwidersprochen dargelegt hat, dass aufgrund der Tatsache, dass dem Veranstalterbündnis auch Gruppierungen aus dem autonomen antifaschistischen Spektrum angehörten, die überregional Unterstützung für eine Blockade der Naziaufmärsche im April in Stolberg zugesagt hatten, damit zu rechnen war, dass aus diesen Kreisen Personen an dem öffentlichen Blockadetraining teilnehmen würden. Davon ausgehend überzeugt die Einschätzung des Polizeipräsidiums Aachen, dass der Kläger bereits von sich aus eine Ordnerunterstützung hätte einplanen müssen, weil er alleine nicht in der Lage gewesen wäre, Störungen durch Personen aus dem schwarzen Block' der autonomen linken (gewaltbereiten) Szene abzuwehren und so die Ordnung der Versammlung aufrecht zu erhalten.

Letztlich ist auch die mit der Auflage 5 getroffene Anordnung, der Kläger habe die Personalien (Namen, Vornamen, Geburtsdaten und Wohnanschrift) der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer, Redner oder Ordner seiner Kenntnis nach auftreten würden, spätestens am Veranstaltungstag bis zum Versammeln am Versammlungsort an den polizeilichen Verbindungsbeamten zu übergeben, rechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen erhobenen Einwendungen des Klägers überzeugen nicht.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers und der von seinen Prozessbevollmächtigten für diese Rechtsauffassung in Bezug genommenen Entscheidung des VG Gießen - Beschluss vom 30. Juli 2009, Az. 10 L 1583/09 - ist die Versammlungsbehörde nach § 15 Abs. 1 VersG berechtigt, dem Versammlungsleiter durch eine Auflage - die als sogenannte Minus-Maßnahme' anstelle eines einschneidenderen Versammlungsverbots zu verstehen und von einer auf § 15 Abs. 3 VersG gestützten Minus-Maßnahme' zur Vermeidung einer Auflösungsverfügung gedanklich zu unterscheiden ist - aufzugeben, die Personalien der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer, Redner oder Ordner auftreten würden, vorab mitzuteilen, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit der im Ergebnis und der Begründung zutreffenden Rechtsauffassung des VGH München an.

Vgl. VGH München, Beschluss vom 12. September 1981 -Nr. 21 CE/CS 80 A.1680 -, JNW 1981, S. 2428 f.

Die Voraussetzungen, unter denen die Anordnung ergehen kann, die Personalien der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer, Redner oder Ordner auftreten, vorab mitzuteilen, waren bei Anordnung der Auflage erfüllt. Wie bereits dargelegt wurde, war mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass von Versammlungsteilnehmern, insbesondere aus den Reihen der als Teilnehmer zu erwartenden Personen aus dem schwarzen Block' der autonomen linken (gewaltbereiten) Szene, die Auflage 4 missachtet würde und es zu Störungen der öffentlichen Sicherheit kommen würde. Bei dieser Sachlage entsprach die Forderung des Polizeipräsidiums Aachen nach Mitteilung der Personalien der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer, Redner oder Ordner auftreten, pflichtgemäßer Ermessensausübung. Denn wenn - wie dargelegt - konkret damit zu rechnen ist, dass es aus dem in Rede stehenden Personenkreis (Ordner, Trainer, Redner) heraus mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Missachtung der Auflage 4 und damit auch zu Störungen der öffentlichen Sicherheit kommen wird, ist eine zur Gefahrenabwehr gebotene Überprüfung der Zuverlässigkeit der gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 VersG zu genehmigenden Ordner und der als Trainer oder Redner auftretenden Personen der Versammlungsbehörde verantwortungsvoll nur in Kenntnis der Personalien der betreffenden Personen möglich. ..."

***

... Nach § 21 VersG macht sich strafbar, wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht. Das gewaltlose räumliche Belegen einer Aufzugsstrecke in der Absicht, eine Versammlung zu verhindern, stellt keine grobe Störung im Sinne dieser Vorschrift dar, wäre allerdings gleichwohl rechtswidrig und berechtigt die Polizei zur Anwendung polizeilicher Zwangsmittel. Die zitierte Äußerung des Innensenators hält sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen, da sie nicht zur Blockade der Strecke aufgerufen hat, sondern lediglich das zulässige Sich-Aufhalten friedlicher Bürger in der Nähe der Versammlungsstrecke der Klägerin billigt. Die Äußerungen der Polizei im Vorfeld stellten keine Aufforderung zur Blockade dar, sondern verwiesen lediglich auf die Erfahrungen in früheren Jahren. Auch der Hinweis, dass man eine Demonstration nicht gegen Tausende friedlicher Demonstranten durchknüppeln' werde, stellt eine zulässige rechtlicher Ermessenerwägung im Vorfeld dar. ..." (VG Berlin, Urteil vom 08.03.2006, VG 1 A 98.05)

§ 22

Wer bei einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug dem Leiter oder einem Ordner in der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn während der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 23

Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder anderen Darstellungen zur Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug auffordert, nachdem die Durchführung durch ein vollziehbares Verbot untersagt oder die Auflösung angeordnet worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 24

Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges Ordner verwendet, die Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 25

Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges

1. die Versammlung oder den Aufzug wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben, oder
2. Auflagen nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachkommt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

... Die Annahme einer Tarnung einer Rudolf Heß-Gedenkveranstaltung durch die Art der Anmeldung kann nur zur Grundlage eines Versammlungsverbots genommen werden, wenn die Versammlungsbehörde konkrete, auf diese Versammlung bezogene Indizien der Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist. Bei der Deutung des geplanten inhaltlichen Anliegens muss das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 (343)) berücksichtigt werden. Die Prüfung der Voraussetzungen eines Versammlungsverbots hat von den Angaben der Anmeldung auszugehen, es sei denn, es dränge sich auch bei grundrechtskonformer Deutung des Vorhabens der Eindruck auf, in Wahrheit sei ein anderer Inhalt geplant und der Veranstalter werde trotz der gesetzlichen Strafdrohung ( § 25 Nr. 1 VersG ) eine Versammlung anderen Inhalts und damit anderen Gefahrenpotentials durchführen als angemeldet.

Diesen Anforderungen sind die Behörde sowie die Verwaltungsgerichte nicht gerecht geworden. Die Behörde hat sich mit den Gegenindizien nicht auseinander gesetzt und sie daher nicht in Gegenüberstellung mit den Indizien für einen Tarncharakter gedeutet. Das Verwaltungsgericht - dem sich das Oberverwaltungsgericht pauschal angeschlossen hat - hat sich die Argumentation der Behörde zu Eigen gemacht und speziell zu der verbalen Distanzierung des Antragstellers von einer auf das Rudolf Heß-Gedenken gerichteten Zielsetzung ausgeführt, dass es dem Antragsteller nicht zu glauben vermöge; sein persönlicher Werdegang und die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene sprächen dagegen. In dieser Argumentation verkennt das Verwaltungsgericht das Verhältnis zwischen der grundrechtlichen Garantie und der Beschränkungsmöglichkeit. Beschränkungen setzen eine hinreichende Rechtfertigung im Tatsächlichen voraus. Die Beweislast für die Tarnung eines das Verbot rechtfertigenden Inhalts und damit eine täuschende Anmeldung liegt bei der Verwaltung. Die Tatsachenfeststellung fehlender Glaubwürdigkeit bedarf auch im Eilverfahren konkreter Anhaltspunkte, etwa des Hinweises auf frühere Täuschungen durch den Antragsteller. Daran fehlt es. ..." (BVerfG, Beschluss vom18.08.2000, 1 BvQ 23/00)

*** (OLG)

Die Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Auflage für die Durchführung einer angemeldeten Versammlung oder eines Aufzuges ist objektive Bedingung der Strafbarkeit des Versammlungsleiters nach § 25 Nr. 2 VersG (OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.1981 - 5 Ss OWi 2225/80, StV 1982, 170).

Wird vor der Durchführung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel gegen Auflagen der Verwaltungsbehörde nach § 15 I VersG Widerspruch eingelegt, so kommt es für die Frage nach der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels entscheidend darauf an, ob sich der Widerspruch gegen alle Auflagen oder nur gegen bestimmte Auflagen richtet. Enthält dazu das mit der Revision angefochtene Urteil keine Feststellungen, so unterliegt die Entscheidung der Aufhebung und Zurückverweisung in die Vorinstanz (OLG Koblenz, Urteil vom 29.01.1981 - 1 Ss 535/80, NStZ 1981, 187).

Wer mit seiner Zustimmung ordnungsgemäß als Leiter einer Demonstrationsveranstaltung unter freiem Himmel benannt worden ist, kann sich den ihm nach dem Versammlungsgesetz obliegenden Aufgaben nicht einseitig dadurch entziehen, daß er die Aufgaben eines Leiters nicht mehr wahrnimmt. Zur Zulässigkeit beschränkender Auflagen bei Versammlungen unter freiem Himmel. Beschränkende Auflagen sind unwirksam, wenn sie den Leiter einer Versammlung zu einem über den Zeitpunkt der Beendigung oder Auflösung der Veranstaltung hinausgehenden Tun verpflichten. Wer mit seiner Zustimmung ordnungsgemäß als Leiter einer Demonstrationsveranstaltung unter freiem Himmel benannt worden ist, kann sich der ihm nach dem Versammlungsgesetz obliegenden Aufgaben nicht einseitig dadurch entziehen, daß er die Aufgaben eines Leiters nicht mehr wahrnimmt (OLG Köln, Entscheidung vom 06.12.1980 - 3 Ss 300/80, NJW 1981, 1680).

§ 26

Wer als Veranstalter oder Leiter

1. eine öffentliche Versammlung oder einen Aufzug trotz vollziehbaren Verbots durchführt oder trotz Auflösung oder Unterbrechung durch die Polizei fortsetzt oder
2. eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne Anmeldung (§ 14) durchführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 26 Nr. 2 VersG genügt auch für Eilversammlungen den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 II 2 GG; BVerfG, Entscheidung vom 23.10.1991 - 1 BvR 850/88):

... Der Beschwerdeführer ist wegen Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung unter freiem Himmel bestraft worden. Dagegen wendet sich seine Verfassungsbeschwerde.

A. 1. Der Beschwerdeführer war Unterzeichner eines Schreibens vom Mittwoch, dem 29. Januar 1986, das sich An die Apartheidgegner - politische und kulturelle Organisationen in Mannheim' richtete und mit dem der Mannheimer Arbeitskreis gegen Apartheid' zu einer Protestversammlung gegen eine am 3. Februar 1986 beginnende Reise deutscher Polizeibeamter nach Südafrika aufrief. Auf dem Schreiben war die private Telefonnummer des Beschwerdeführers angegeben, ferner die Telefonnummer der Grünen im Rat', zu denen der Beschwerdeführer gehörte. Die Versammlung wurde nicht angemeldet. Am 3. Februar 1986 fanden sich um die Mittagszeit etwa 20 Personen, darunter der Beschwerdeführer, am Mannheimer Hauptbahnhof ein. Einige waren mit Trommeln, Trillerpfeifen und Transparenten ausgerüstet. Die Versammlung verlief friedlich und ohne Zwischenfälle. Nach Abfahrt der Polizeibeamten löste sich die Gruppe der Demonstranten auf.

2. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer für schuldig befunden, als Veranstalter und Leiter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung durchgeführt zu haben ( § 26 Nr. 2 , § 14 VersG), und ihn zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 35 DM verurteilt. In den Gründen hat es ausgeführt, daß der Beschwerdeführer zumindest Mitveranstalter der Versammlung gewesen sei und sie geleitet habe. Auf die Frage, ob die Versammlung unter Wahrung der Frist des § 14 Abs. 1 VersG hätte angemeldet werden können, komme es nicht an. Entscheidend sei allein, daß überhaupt keine Anmeldung stattgefunden habe.

Das Landgericht hat den Schuldspruch des Amtsgerichts insoweit aufgehoben, als dieses den Beschwerdeführer auch als Leiter der Versammlung verurteilt hatte, und die Höhe des Tagessatzes auf 25 DM herabgesetzt. Der Beschwerdeführer sei für den Aufruf verantwortlich und für die Anmeldung mitverantwortlich gewesen. Er habe zumindest damit gerechnet, daß die Versammlung auch von keinem anderen Mitglied des Arbeitskreises angemeldet worden sei. Er habe dies jedoch um der Protestaktion willen billigend in Kauf genommen. Die Strafvorschrift des § 26 Nr. 2 VersG hat das Landgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23, 59 [BGH 08.08.1969 - 2 StR 171/69] ) für verfassungsmäßig erachtet.

Das Oberlandesgericht hat die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 , Art. 8 und Art. 103 Abs. 2 GG durch die angegriffenen Entscheidungen. Er hält § 26 Abs. 2 VersG für verfassungswidrig. Zumindest hätten die Strafgerichte bei seiner Auslegung die Bedeutung von Art. 8 GG verkannt. Es sei allgemein anerkannt, daß ein uneingeschränktes Verbot von sogenannten Spontanversammlungen in den Wesensgehalt der Versammlungsfreiheit eingreife. § 14 VersG sei deshalb verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß die Anmeldefrist von 48 Stunden nur dann eingehalten werden müsse, wenn dies nach den objektiven Umständen unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Versammlung möglich sei. Die Durchführung einer nicht angemeldeten Spontanversammlung könne deshalb nicht strafbar sein. Dagegen komme bei § 26 Nr. 2 VersG eine verfassungskonforme Interpretation nicht in Betracht, weil dessen Wortlaut eindeutig sei. Eine Auslegung gegen den Wortlaut dürfe nicht vorgenommen werden, so daß die Norm im ganzen nichtig sei. Im übrigen laufe sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit leer, wenn man das ihm vorgeworfene Verhalten als strafwürdig ansehe. Es sei nicht nachgewiesen worden, daß er für die Verbreitung des Aufrufs gesorgt habe; es sei nicht einmal festgestellt, daß der Aufruf überhaupt verbreitet worden sei. Das ihm vorgeworfene Verhalten beschränke sich darauf, daß er auf eine entsprechende Anfrage eines Polizeibeamten die Verantwortung für die Versammlung nicht von sich gewiesen habe.

4. Der Bundesminister des Innern ist der Auffassung, daß sich die Frage der Anwendbarkeit von § 26 Nr. 2 VersG auf Spontanversammlungen im vorliegenden Fall nicht stelle, weil die Versammlung entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Spontanversammlung gewesen sei.

Das Justizministerium Baden-Württemberg hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Zwar rüge der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des § 26 Nr. 2 VersG , weil diese Strafbestimmung auch Spontanversammlungen erfasse. Er habe jedoch keine konkreten Umstände dafür vorgetragen, daß es sich bei der Versammlung um eine Spontanversammlung gehandelt habe und daß ihm eine Anmeldung nicht möglich gewesen sei.

B. I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Entgegen der Auffassung des Baden-Württembergischen Justizministeriums scheitert ihre Zulässigkeit nicht daran, daß die Protestaktion keine Spontanversammlung war. Wenn § 26 Nr. 2 VersG verfassungswidrig und nichtig ist, verletzt eine Bestrafung, die auf dieser Vorschrift beruht, den Beschwerdeführer zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG , ohne daß es auf die Eigenart der Versammlung ankäme. Eine Verfassungswidrigkeit von § 26 Nr. 2 VersG liegt nicht von vornherein außerhalb des Möglichen.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist aber nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten. § 26 Nr. 2 VersG , der seiner Verurteilung zugrunde liegt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Auslegung und Anwendung durch die Strafgerichte lassen sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden.

1. § 26 Nr. 2 VersG genügt dem Bestimmtheitsgebot von Art. 103 Abs. 2 GG und ist nach seinem Regelungsgehalt bei verfassungskonformer Auslegung des § 14 VersG auch mit Art. 8 GG vereinbar. ...

Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dabei erschöpft sich die Bedeutung dieses grundrechtsgleichen Rechts nicht in dem Erfordernis, daß zur Tatzeit überhaupt eine gesetzliche Strafbestimmung für die Tat vorhanden ist. Diese muß vielmehr auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreiben, daß der Einzelne die Möglichkeit hat, das durch die Strafnorm ausgesprochene Verbot eines bestimmten Verhaltens zu erkennen und die staatliche Sanktion im Fall der Übertretung vorherzusehen. Art. 103 Abs. 2 GG will damit zum einen sicherstellen, daß jedermann sein Verhalten auf die Rechtslage einrichten kann und keine willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten muß. Zum anderen soll gewährleistet werden, daß über die Strafbarkeit eines Verhaltens der Gesetzgeber und nicht der Richter entscheidet (vgl. BVerfGE 25, 269 (285); 47, 109 (120) [BVerfG 02.01.1978 - 2 BvR 33/77] ).

Dadurch wird allerdings nicht die Verwendung auslegungsfähiger Begriffe ausgeschlossen. Es genügt vielmehr, wenn sich deren Sinn im Regelfall mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden ermitteln läßt und in Grenzfällen dem Adressaten zumindest das Risiko der Bestrafung erkennbar wird. Dabei zieht der Wortlaut der Norm der Auslegung die äußerste Grenze. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens, so kann dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen (vgl. BVerfGE 45, 363 (371 f.) [BVerfG 21.06.1977 - 2 BvR 308/77] ; 47, 109 (121) [BVerfG 02.01.1978 - 2 BvR 33/77] ; 71, 108 (114) [BVerfG 22.10.1985 - 1 BvL 44/83] ). Damit wird jede Auslegung einer Strafbestimmung ausgeschlossen, die den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm erweitert und damit Verhaltensweisen in die Strafbarkeit einbezieht, die die Tatbestandsmerkmale der Norm nach deren möglichem Wortsinn nicht erfüllen. Dagegen sind restriktive Interpretationen unter Bestimmtheitsgesichtspunkten unbedenklich, wenn gewährleistet ist, daß für die Normadressaten erkennbar bleibt, welches Verhalten eine Bestrafung nach sich ziehen kann und welches nicht.

Gemessen an diesen Grundsätzen läßt sich § 26 Nr. 2 VersG verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Die Vorschrift gehört zum Nebenstrafrecht. Sie weicht allerdings von typischen Normen des Nebenstrafrechts insofern ab, als sie nicht schon einen Verstoß gegen die Anmeldepflicht des § 14 VersG , sondern erst die Durchführung einer unangemeldeten Versammlung unter Strafe stellt. Diese Abweichung hat ihren Grund aber darin, daß die Unterlassung der Anmeldung nur dann Bedeutung erlangt, wenn die Versammlung tatsächlich stattfindet. Der Bezug zu der Anmeldepflicht selbst, den die Vorschrift durch den eingeklammerten Hinweis auf § 14 VersG herstellt, wird dadurch nicht aufgehoben. Insofern läßt sich die Strafvorschrift nicht ohne die verwaltungsrechtliche Bestimmung verstehen. Die Verfassungsmäßigkeit von § 26 Nr. 2 VersG kann daher nur unter Einbeziehung von § 14 VersG beurteilt werden.

§ 14 VersG ist seinerseits bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, verstößt die Rechtspflicht, Versammlungen unter freiem Himmel vor ihrer Bekanntgabe anzumelden, grundsätzlich nicht gegen Art. 8 GG . Die Vorschrift hat den Sinn, den Behörden diejenigen Informationen zu vermitteln, die sie benötigen, um Vorkehrungen zum störungsfreien Verlauf der Veranstaltung und zum Schutz von Interessen Dritter oder der Gesamtheit treffen zu können (vgl. BVerfGE 69, 315 (350)). Sie soll überdies auf eine Verständigung zwischen Veranstaltern und Ordnungsbehörden hinwirken, die eine kooperative Festlegung von Veranstaltungsplan und Ordnungsvorkehrungen begünstigt, und damit dem störungsfreien Verlauf der Versammlung dienen. Insofern behält die Anmeldepflicht auch bei Versammlungen ihren Sinn, die den Ordnungsbehörden bereits aus anderen Quellen bekannt geworden sind (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 358 f.).

Auch die in § 14 VersG vorgesehene Anmeldefrist von 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlung läßt sich für den Regelfall verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Sie gibt der Verwaltung die Möglichkeit, erforderlichenfalls Auflagen zu Ort und Zeit der Versammlung anzuordnen, die dann bereits bei der Bekanntgabe berücksichtigt werden können. Sehen sich die Ordnungsbehörden zu einem Verbot der Versammlung gezwungen, so kann dieses ausgesprochen werden, bevor noch öffentlich für die Teilnahme an der Versammlung geworben worden ist. Das rechtfertigt die Frist unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 GG .

Allerdings bedarf § 14 VersG der Einschränkung. Die Anmeldepflicht erstreckt sich nach seinem Wortlaut unterschiedslos auf sämtliche Versammlungen unter freiem Himmel. Das kann jedoch, wie das Bundesverfassungsgericht schon früher festgestellt hat, nicht für Spontanversammlungen gelten. Darunter sind Versammlungen zu verstehen, die sich aus einem momentanen Anlaß ungeplant und ohne Veranstalter entwickeln. Eine Anmeldung ist hier aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Ein Beharren auf der Anmeldepflicht des § 14 VersG müßte folglich zur generellen Unzulässigkeit von Spontanversammlungen führen. Das wäre mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht vereinbar (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 350 f.).

Dagegen ist bisher nicht entschieden worden, wie es sich mit sogenannten Eilversammlungen verhält. Darunter werden Versammlungen verstanden, die im Unterschied zu Spontanversammlungen zwar geplant sind und einen Veranstalter haben, aber ohne Gefährdung des Demonstrationszwecks nicht unter Einhaltung der Frist des § 14 VersG angemeldet werden können. Würde gleichwohl auf der in § 14 VersG vorgeschriebenen Frist beharrt, so hätte das zur Folge, daß auch Eilversammlungen von vornherein unzulässig wären. Dieses Ergebnis wäre aber gleichfalls mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbar.

Anders als bei Spontanversammlungen ist bei Eilversammlungen allerdings nicht die Anmeldung überhaupt, sondern lediglich die Fristwahrung unmöglich. Daher bedarf es hier keines Verzichts auf die Anmeldung, sondern nur einer der Eigenart der Versammlung Rechnung tragenden Verkürzung der Anmeldefrist. Eilversammlungen sind bei verfassungskonformer Interpretation von § 14 VersG folglich anzumelden, sobald die Möglichkeit dazu besteht. Regelmäßig wird das etwa zeitgleich mit dem Entschluß, eine Versammlung zu veranstalten, spätestens mit dessen Bekanntgabe der Fall sein.

Dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit droht durch diese Auslegung keine Schmälerung. Die Gefahr, daß sich bei einer verfassungskonformen Interpretation von § 14 VersG , die am Wortlaut der Vorschrift nichts ändert, potentielle Veranstalter aus Furcht vor strafrechtlichen Sanktionen von der Organisation einer Eilversammlung abschrecken lassen, ist gering zu veranschlagen. Sie zwingt nicht dazu, auf die verfassungskonforme Interpretation zu verzichten und § 14 VersG statt dessen für teilweise unvereinbar mit Art. 8 GG zu erklären.

Daß § 14 VersG einer verfassungskonformen Auslegung bedarf, nimmt der Strafvorschrift des § 26 Nr. 2 VersG , die sich auf ihn bezieht, nicht die erforderliche Bestimmtheit. Die verfassungskonforme Interpretation von § 14 VersG zieht den Kreis strafbaren Verhaltens nicht weiter, sondern enger. Für Spontanversammlungen entfällt die Anmeldepflicht. Für Eilversammlungen verkürzt sich die Anmeldefrist. In diesem Fall kann eine Bestrafung folglich nicht auf die Versäumung der gesetzlichen Frist gestützt werden. Strafrechtlich relevant ist die versäumte Anmeldung vielmehr nur noch, soweit die Möglichkeit der Anmeldung bestand. Damit wird der Vorschrift kein neues Tatbestandsmerkmal hinzugefügt, sondern nur ein vorhandenes, die Fristbestimmung, gemildert. Die Norm bringt aber gleichwohl hinreichend zum Ausdruck, daß Versammlungen, bei denen sich die Frist des § 14 VersG nicht einhalten läßt, deswegen nicht von der Anmeldepflicht überhaupt befreit sind. Für den Normadressaten ist damit das Risiko der Strafbarkeit bei Nichtanmeldung mit der von Art. 103 Abs. 2 GG geforderten Klarheit erkennbar.

2. Auslegung und Anwendung des Versammlungsgesetzes durch die Strafgerichte begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Anwendung der Strafnorm des § 26 Nr. 2 VersG auf den Beschwerdeführer ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Bei der Versammlung, zu der der Beschwerdeführer aufgerufen hat, handelte es sich nicht um eine Spontanversammlung, sondern um eine geplante Versammlung mit einem Veranstalter, wie sich aus seinem Aufruf ergibt. Selbst wenn die Protestaktion als Eilversammlung anzusehen wäre, weil die Wahrung der Frist des § 14 VersG wegen des zwischen der Bekanntgabe und dem Aktionstag liegenden Wochenendes das Demonstrationsziel gefährdet hätte, wären der Beschwerdeführer oder der Arbeitskreis, in dessen Namen er auftrat, doch nicht daran gehindert gewesen, die Versammlung überhaupt anzumelden.

Anhaltspunkte dafür, daß die Gerichte bei der Auslegung von § 26 Nr. 2 VersG das Recht aus Art. 8 GG grundsätzlich verkannt hätten, sind nicht ersichtlich. Im übrigen unterliegen ihre tatsächlichen Feststellungen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlüsse nicht der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 18, 85 (92) [BVerfG 10.06.1964 - 1 BvR 37/63] ). ...

Abweichende Meinung der Richterin Seibert und des Richters Henschel zu der Senatsentscheidung vom 23. Oktober 1991 - 1 BvR 850/88 -

Mit der Senatsmehrheit sind wir der Auffassung, daß die in § 14 VersG vorgesehene 48-Stunden-Frist im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG für Eilversammlungen nicht gilt. Die von der Mehrheit in die Vorschrift hineininterpretierte Verkürzung der Anmeldefrist überschreitet aber die Grenzen verfassungskonformer Auslegung und trägt vor allem dem wegen der Strafbewehrung durch § 26 Nr. 2 VersG zu beachtenden Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht Rechnung.

1. § 14 VersG verpflichtet jeden, der die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe' der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes anzumelden. Eine Aussnahme für Eilversammlungen ist nicht vorgesehen. Der Wortlaut der Vorschrift gibt auch keinerlei Ansatz dafür, Eilversammlungen aus ihrem Anwendungsbereich auszunehmen oder die Anmeldefrist für sie zu verkürzen. Während aus dem Begriff veranstalten' geschlossen werden kann, daß Spontanversammlungen von der Vorschrift nicht erfaßt werden, weil sie keinen Veranstalter haben, sind bei Eilversammlungen alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt, so daß sich die fristgebundene Anmeldepflicht auch auf sie erstreckt.

Da dies zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Versammlungsfreiheit führen würde, ist die Vorschrift verfassungswidrig, soweit sie für Eilversammlungen keine Ausnahme vorsieht oder abweichende Regelungen enthält. Einer verfassungskonformen Auslegung steht der klare Wortlaut entgegen (vgl. BVerfGE 72, 278 (295) [BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 19/84] m.w.N.).

2. Unabhängig davon muß die verfassungskonforme Auslegung jedenfalls dort ihre Grenzen finden, wo sie der Sache nach auf eine richterrechtliche Ergänzung des Straftatbestandes hinausläuft.

Auch wenn man nicht der Auffassung folgt, daß § 14 Abs. 1 VersG teilweise verfassungswidrig ist, entsteht bei Beachtung der Versammlungsfreiheit eine Regelungslücke. Eine besondere Fristbestimmung für Eilversammlungen enthält § 14 Abs. 1 VersG nicht. Die Annahme, daß die Anmeldung in diesen Fällen so früh wie möglich, spätestens gleichzeitig mit der Bekanntgabe zu erfolgen habe, läßt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht herleiten. Der Sache nach handelt es sich bei der Verkürzung der Anmeldefrist um eine richterrechtliche Ergänzung der Tatbestandsvoraussetzungen, die zwar dem Gesetzeszweck und dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entsprechen mag, sich aber nicht mehr im Rahmen des Wortlautes hält.

Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet nicht nur den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes erkennbar sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen, sondern setzt auch der Auslegung Grenzen. Für die Bestimmtheit einer Strafnorm ist in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgebend. Das Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit schließt eine Strafbegründung durch Analogie oder aufgrund Gewohnheitsrecht aus. Der Begriff Analogie' ist dabei nicht im engeren, technischen Sinne zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechts-Anwendung', die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (BVerfGE 71, 108 (115) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82] m.w.N.).

Die von der Senatsmehrheit vorgenommene Auslegung überschreitet diese Grenzen. Sie läßt sich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, daß sie den Kreis strafbaren Verhaltens nicht weiter, sondern enger fasse. Die im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG gebotene Erleichterung der Vorausetzungen für Eilversammlungen führt zwar zwangsläufig zu einer Reduzierung möglicher Verstöße, nicht aber zu einer hinreichenden Bestimmtheit des Straftatbestandes für Eilversammlungen.

Zwar schließt Art. 103 Abs. 2 GG die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe in Strafnormen und deren richterrechtliche Konkretisierung nicht aus. Hier geht es jedoch nicht darum, daß der Gesetzgeber auslegungsbedürftige Begriffe verwendet hat. Die Strafnorm des § 26 Nr. 2 VersG in Verbindung mit § 14 VersG ist vielmehr in ihrer Tragweite für Eilversammlungen deshalb unklar, weil der Gesetzgeber bei der Formulierung des - insoweit eindeutigen - Gesetzestextes der Versammlungsfreiheit nicht ausreichend Rechnung getragen hat und die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur zu einer Regelungslücke führt.

Diese vom Gesetzgeber verschuldete Unklarheit darf nicht zu Lasten des Normadressaten gehen. Seinem rechtsstaatlichen Schutz dient der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG . Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten strafbar ist (vgl. BVerfGE 71, 108 (114) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82] ). Wer eine Eilversammlung plant, kann aber dem Wortlaut der §§ 26 Nr. 2 und 14 Abs. 1 VersG nicht entnehmen, wann er sich strafbar macht. Nimmt er den Gesetzestext beim Wort', kann er die Versammlung überhaupt nicht durchführen, da ihm die Einhaltung der vorgeschriebenen Anmeldefrist nicht möglich ist. Läßt er sich durch den Wortlaut der Vorschrift nicht abschrecken, weil er die Verfassungswidrigkeit einer so weitgehenden Regelung erkennt, kann er im Gesetz keine Aussage darüber finden, ob und gegebenenfalls wann er die Eilversammlung anmelden muß. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die erforderliche Klarheit zu schaffen. ..."

*** (BGH)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Aufruf zur Teilnahme an einer verbotenen Demonstration den Täter zum (Mit-)Veranstalter des Aufzuges macht (BGH, Urteil vom 27.09.1983 - 5 StR 294/83):

... Nachdem der Landrat des Kreises Steinburg mit Verfügung vom 23. 2. 1981 die für den 28. 2. 1981 geplante Demonstration gegen die Errichtung des Kernkraftwerkes Brokdorf am Baugelände und in seiner näheren und weiteren Umgebung verboten und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung angeordnet hatte, traten Reporter von Funk, Fernsehen und Presse an die Geschäftsstelle des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU) in Karlsruhe heran, um eine Stellungnahme des Verbandes zu erhalten. Die Vorstandsmitglieder des BBU, zu denen auch der Angekl. gehörte, kamen darauf überein, daß dieser wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten die gewünschten Stellungnahmen abgeben sollte. Er gab dann mehrere Interviews, die in den zweiten Programmen des Westdeutschen Rundfunks und des Norddeutschen Rundfunks, in der ARD-Fernsehsendung Tagesschau' und im Politisch-Parlamentarischen Pressedienst (PPP) auszugsweise veröffentlicht wurden, ohne daß er auf die Auswahl der verbreiteten Abschnitte Einfluß gehabt hätte.

Der Angekl. äußerte sich in den veröffentlichten Interviews ausdrücklich oder sinngemäß dahin, daß die Demonstration trotz des Verbots stattfinden würde. In der Tagesschau' am 23. 2. 1981 erklärte er wörtlich: Wir bereiten uns weiterhin vor auf kommenden Samstag, in Brokdorf zu demonstrieren. Wir haben keinerlei Veranlassung, unsere Absicht friedlich gegen das Atomkraftwerk zu demonstrieren, diese Absicht fallen zu lassen, und wir rufen auch alle Atomenergiegegner auf, am kommenden Wochenende zur Demonstration mitzukommen'.

Das LG hat den Angekl. wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt und ihn von dem Vorwurf freigesprochen, als Veranstalter und Leiter einen öffentlichen Aufzug trotz vollziehbaren Verbots durchgeführt zu haben (§ 26 Nr. 1 VersG). Die allein den Freispruch angreifende Revision der StA hatte Erfolg. ...

Jedoch schließt die Annahme, der Angekl. habe sich in den Interviews hauptsächlich mit der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung auseinandergesetzt, entgegen der Ansicht des LG nicht aus, daß seine Äußerungen geeignet waren, von der Öffentlichkeit und insb. von den Personen, die eine Teilnahme an der Demonstration erwogen, als Aufruf verstanden zu werden, sich auf jeden Fall (also auch bei fortbestehender Vollziehbarkeit des Verbots) an dem Aufzug zu beteiligen, und auch tatsächlich so verstanden worden sind. Das hätte den Angekl. (objektiv) zum (Mit-) Veranstalter der trotz vollziehbaren Verbots durchgeführten Demonstration gemacht.

Der Freispruch kann daher keinen Bestand haben. Der Senat verweist die Sache gemäß § 354 II StPO an ein anderes LG zurück. Dieses wird die innere Tatseite sorgfältig zu prüfen haben. Hierbei kann bedeutsam sein, ob der Angekl. damit gerechnet hat, daß seine Ausführungen nur auszugsweise veröffentlicht würden. ..."

*** (OLG)

Als Veranstalter i. S. des § 26 Nr. 2 VersG ist der Urheber in bezug auf die Versammlung und ihre Durchführung, der Veranlasser der spezifischen Gruppenbildung oder derjenige zu bezeichnen, der die Versammlung eigenverantwortlich ins Werk setzt oder bewirkt, daß die Versammlung stattfindet (BayObLG, Entscheidung vom 08.09.1982 - RReg. 4 St 125/82, StV 1983, 243).

Eine Demonstration durch nur zwei Personen stellt noch keine Versammlung unter freiem Himmel i. S. des § 14 I VersG dar (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.03.1981 - 5 Ss 74/81 I, NStZ 1981, 226).

*** (LG)

Veranstalter ist, wer die Versammlung oder den Aufzug organisatorisch vorbereitet und plant oder zu ihm einlädt. Daß eine Person dem Anschein nach tatsächlich die Führung der Demonstration übernommen hat, reicht für eine Strafbarkeit nach § 26 VersG nicht aus, soweit organisatorische Vorbereitungen und Planungen nicht vorliegen (LG Freiburg, Entscheidung vom 08.03.1988 - XI AK 71/87, StV 1988, 533).

§ 27

(1) Wer bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt, ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer ohne behördliche Ermächtigung Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne des Satzes 1 auf dem Weg zu öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen mit sich führt, zu derartigen Veranstaltungen hinschafft oder sie zur Verwendung bei derartigen Veranstaltungen bereithält oder verteilt.

(2) Wer

1. entgegen § 17a Abs. 1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich führt,
2. entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurücklegt oder
3. sich im Anschluß an oder sonst im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen mit anderen zusammenrottet und dabei
a) Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt,
b) Schutzwaffen oder sonstige in Nummer 1 bezeichnete Gegenstände mit sich führt oder
c) in der in Nummer 2 bezeichneten Weise aufgemacht ist,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

Neben dem Vergehen nach §§ 125, 125a StGB tritt der ebenfalls erfüllte Straftatbestand des § 27 Versammlungsgesetz zurück (BGH, Entscheidung vom 21.09.1984 - 3 StR 395/84).

*** (OLG)

Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert; das sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur Vermummung dienen. Ein Halstuch ist ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG) bestimmt, wenn es vom Betroffenen als solches verwendet wird, indem dieser durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begeht (OLG München, Beschluss vom 02.10.2008, 34 Wx 10/08):

... Der Antragsteller begehrt als Betroffener eines polizeilichen Gewahrsams die nachträgliche Feststellung, dass die Freiheitsentziehung durch die Polizei am Samstag, den 2.12.2006, in der Zeit vom 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr rechtswidrig war.

Am 2.12.2006 führten Anhänger der NPD einen Marsch durch die Augsburger Innenstadt mit anschließender Kundgebung durch. Der Betroffene, der Teilnehmer einer genehmigten Gegendemonstration war, hatte sich für die Zeit von 13.29 Uhr bis 13.34 Uhr ein schwarzes Tuch vor das Gesicht gebunden, das vom Kinnbereich bis unter die Augen reichte. Bei seiner vorläufigen Festnahme gegen 13.45 Uhr hatte der Betroffene, nach Aufforderung durch einen Polizeibeamten, das Tuch bereits wieder abgenommen. Er wurde zum Polizeipräsidium gebracht und dort bis gegen 15.15 Uhr als Beschuldigter wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vernommen. Anschließend wurde der Betroffene aufgrund polizeilicher Anordnung bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr in einer Arrestzelle festgehalten. Die Polizeibehörde stützte die Maßnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 PAG darauf, dass der Betroffene bereits am 27.5.2006 wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz durch Mitführen von Gegenständen zur Verhinderung der Identitätsfeststellung aufgefallen und deshalb davon auszugehen sei, der Betroffene werde nach einer sofortigen Entlassung an den Demonstrationsort zurückkehren und sich wieder vermummen. Eine richterliche Vorführung fand nicht statt.

Der Antragsteller hat am 20.12.2006 beim Amtsgericht beantragt, festzustellen, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an dem Grunde nach rechtswidrig war. Mit Beschluss vom 30.8.2007 stellte das Amtsgericht fest, dass die Ingewahrsamnahme sowohl dem Grunde als auch ihrer Ausgestaltung nach rechtmäßig war. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme für die Zeit von 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr beschränkt wurde, mit Beschluss vom 20.12.2007 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er wiederholte den beim Landgericht gestellten (beschränkten) Antrag. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg. ...

1. Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung ist statthaft, da sie vom Landgericht zugelassen wurde (Art. 18 Abs. 2 Satz 4 PAG), ist und auch im Übrigen zulässig (Art. 18 Abs. 2, Abs. 3 Sätze 2 und 3 PAG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, §§ 20 , 22 Abs. 1 , § 29 Abs. 1 und 4 FGG ).

Gegenstand der Rechtsbeschwerde bildet nach den gestellten Anträgen die Haft als solche, nicht deren konkrete Ausgestaltung, mag darauf auch in der Begründung erneut eingegangen sein. Auf die umstrittene Frage, ob die Rechtswegregelung des Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 PAG auf polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ingewahrsamnahme auszudehnen (BayVGH NJW 1989, 1754; Schmidbauer/Steiner Bayerisches Polizeiaufgabengesetz 2. Aufl. Art. 18 Rn. 13) und damit auch insoweit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, kommt es nicht an. Ebenso nicht angegriffen ist die Entscheidung des Amtsgerichts zur Zulässigkeit der Festhaltung bis zur Beendigung strafprozessualer Maßnahmen gegen 15.15 Uhr.

2. Das Landgericht hat zur Sache ausgeführt:

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen sei unbegründet.

a) Die ursprünglich von der Polizeibehörde herangezogene Norm des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG sei nicht anwendbar, da der Betroffene in der Vergangenheit nicht mehrfach aus vergleichbarem Anlass bei der Begehung von Straftaten betroffen worden sei. Vor seiner Ingewahrsamnahme sei der Betroffene nur in einem Fall wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz auffällig geworden.

b) Jedoch seien die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG erfüllt. Die von der Polizeibehörde getroffene Prognoseentscheidung, der Betroffene werde unmittelbar nach einer eventuellen Entlassung aus dem Polizeigewahrsam gegen 15.15 Uhr erneut Straftaten begehen, sei nicht zu beanstanden. Aufgrund des hohen Rangs des Freiheitsrechts müsse nach den konkreten Umständen eine Wiederholung der verbotenen Verhaltensweise erwartet werden. Der Betroffene habe vor seiner Festnahme gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, weil er mit einem Tuch vermummt an einer Demonstration teilgenommen habe. Bei dem Betroffenen sei ein sonstiger Gegenstand i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG aufgefunden worden, der erfahrungsgemäß zur Tatbegehung - der Vermummung - bestimmt gewesen sei. Bei der Prognoseentscheidung seien auch die konkreten örtlichen Verhältnisse und Umstände in die Überlegung mit einzubeziehen gewesen. Mittels der in kurzen Zeittakten verkehrenden Straßenbahn habe der Betroffene problemlos umgehend an den Demonstrationsort zurückkehren können und damit genügend Zeit für einen erneuten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zur Verfügung gehabt. Ein Tuch oder einen Schal zum Vermummen hätte sich der Betroffene ohne Probleme erneut besorgen können. Diese Gefahr habe trotz der erkennungsdienstlichen Maßnahmen bestanden. Das ergebe sich u.a. auch daraus, dass der Betroffene bereit am 27.5.2006 im gleichen Verhaltensspektrum auffällig geworden sei. Wenn der Betroffene vortrage, dass seine Vermummung nur zum Schutz gegen Nazi-Fotografen habe dienen sollen, so würde dies die polizeiliche Prognoseentscheidung nur stützen. Denn aus der Sicht des Betroffenen wäre eine Vermummung erforderlich und würde bei einer erneuten Teilnahme an der Gegendemonstration wieder notwendig.

Auch sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Schutz eines bedeutenden Rechtsgutes, nämlich des friedlichen Verlaufs von Demonstrationen zu gewährleisten gewesen sei. Vermummte Teilnehmer würden provozierend, eskalierend und einschüchternd auf andere wirken. Vor allem aber bestehe für vermummte Demonstrationsteilnehmer ein erhöhter Anreiz, sich nicht friedlich zu verhalten, da sie davon ausgehen könnten, dass sie aufgrund ihrer Vermummung bei strafrechtlich relevanten Aktionen nicht erkannt und zur Verantwortung gezogen werden könnten.

c) Die Beurteilung der Polizeibehörde, dass eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr nicht hätte herbeigeführt werden können, sei zutreffend gewesen. Für eine umfassende richterliche Würdigung der Prognoseentscheidung hätten Beweise wie die Vernehmung der Polizeibeamten und die Sichtung des gefertigten Film- und Videomaterials erhoben werden müssen. Mit einer richterlichen Entscheidung vor 18.00 Uhr wäre daher nicht zu rechnen gewesen.

d) Schließlich sei auch die Art und Weise des Gewahrsams rechtmäßig gewesen.

3. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung durch den Senat (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG , §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO ) stand.

a) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den polizeilichen Präventivgewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG lagen vor.

(1) Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit scheidet aus, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung über die polizeiliche Ingewahrsamnahme der Betroffene nicht mehr Teilnehmer einer Versammlung war. Vielmehr war er wegen einer Straftat ( § 17 a Abs. 2 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG ) aus der Versammlung rechtmäßig entfernt worden. Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen amtsgerichtlichen Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme von 13.45 bis 15.15 Uhr.

(2) Die in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG enthaltenen Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um Regelbeispiele, sondern um Prognosekriterien, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von einem unmittelbaren Bevorstehen der Straftat ausgegangen werden kann. Die erneute Begehung einer Straftat ist zu befürchten, wenn eines der Regelbeispiele des Art. 17 Abs. 1 PAG erfüllt ist. Bestimmte Verhaltensweisen indizieren dabei die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose ( OLG Rostock vom 30.8.2007, 3 W 107/07 Rn. 29 zitiert nach [...]). Nur ausnahmsweise kann im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalles ausreichen, wenn sich bereits daraus die sichere Prognose für das Vorliegen einer Gefahr ergibt (OLG Rostock aaO. Rn. 30 zitiert nach [...]).

aa) Zutreffend geht die Kammer davon aus, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG nicht erfüllt sind. Denn mindestens zwei vorausgegangene Fälle aus vergleichbarem Anlass (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 57) können dem Betroffenen nicht nachgewiesen werden. Ein bloß einmaliger Verstoß gegen das Versammlungsgesetz reicht in diesem Zusammenhang nicht aus.

bb) Demgegenüber hatte der Betroffene nach den tatrichterlichen Feststellungen das Kriterium von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG durch das Mitführen und Benützen des Halstuches als Vermummungsmittel erfüllt.

Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert. Dies sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur Vermummung dienen (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 49). Dies wird durch die amtliche Begründung (LT-Drs. 11/9078, S. 5) bestätigt, wonach die Polizei in die Lage versetzt werden soll, die ungehinderte Ausübung der Versammlungsfreiheit im Rahmen des Art. 8 GG zu ermöglichen.

Das Halstuch war nach den tatrichterlich festgestellten Umständen ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG), bestimmt, da es vom Betroffenen als solches verwendet worden war. Dieser hatte nämlich durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begangen.

cc) Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG vor, so folgt daraus nicht zwangsläufig die Befugnis zur Ingewahrsamnahme. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass die vorhandenen Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall befürchten lassen, der Betroffene werde im Fall seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen.

Die Auffassung des Landgerichts, die polizeiliche Prognoseentscheidung sei nicht zu beanstanden gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene bereits wenige Monate zuvor wegen eines gleichartigen Delikts während einer Versammlung aufgefallen war und dass nicht davon auszugehen ist, der Betroffene werde sich durch die vorangegangenen Polizeimaßnahmen davon abhalten lassen, zur Demonstration zurückzukehren, um daran erneut im vermummten Zustand teilzunehmen. Diesen Schluss konnte der Tatrichter auch aus dem Motiv des Betroffenen ziehen, der sein Verhalten damit erklärt hat, er habe sich zum Schutz vor Fotografen der NPD vermummt; dieser Grund hätte nämlich nach einer etwaigen Freilassung noch während der laufenden Demonstration unverändert fortgegolten. Darauf, dass die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht die einzig möglichen, d.h. nicht zwingend sind, oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte, kann die Rechtsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42 m.w.N.).

Nach den fehlerfreien Feststellungen des Landgerichts wäre es dem Betroffenen auch möglich gewesen, innerhalb kürzester Zeit wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren, so dass auch insoweit nichts gegen die Annahme spricht, die Begehung einer neuen, ähnlich strukturierten Straftat stehe unmittelbar bevor.

Beim Verstoß gegen das Vermummungsverbot handelt es sich um eine Straftat (vgl. § 27 Abs. 2 VersG ) in Form eines Vergehens ( § 12 Abs. 2 StGB ). Auf etwaige zu Gunsten des Betroffenen eingreifende Entschuldigungsgründe kommt es nicht an, da präventiv-polizeiliches Einschreiten kein Verschulden voraussetzt ( OLG Frankfurt vom 20.6.2007, 20 W 391/06 = NVwZ-RR 2008, 244). Polizeigewahrsam ist zur Verhinderung von Straftaten allgemein zulässig, nicht nur von Straftaten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit'. Diese Einschränkung bezieht sich nur auf Ordnungswidrigkeiten ( BayObLG vom 28.5.1998, 3 Z BR 66/98 = NVwZ 1999, 106). Darüber hinaus obliegt der Polizei der Schutz einer friedlichen Demonstration. Sie ist gehalten, den Teilnehmern die Ausübung dieses Grundrechts zu ermöglichen.

dd) Die Gewahrsamnahme war auch unerlässlich und der angestrebte Zweck nicht mit einfacheren Mitteln zu erreichen. Ein Platzverweis (Art. 16 PAG) als milderes Mittel hätte nicht ausgereicht, um den Betroffenen davon abzuhalten, in wenigen Minuten wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren. Bei einem Halstuch handelt es sich zudem um einen Gegenstand, der unschwer sofort wieder beschafft werden könnte. Davon, dass der Betroffene allein durch die Identitätsfeststellung und Beschuldigtenvernehmung so beeindruckt war, um von der erneuten Begehung einer Straftat abgehalten zu sein, brauchte aus Rechtsgründen nicht ausgegangen zu werden. Die gegenteilige Annahme wird vielmehr durch die Tatsache gestützt, dass der Betroffene erst wenige Monate zuvor wegen einer ähnlichen Handlung aufgefallen war und selbst durch das damalige Ermittlungsverfahren nicht davon abzuhalten war, sich erneut zu vermummen.

Die vom Tatrichter bestätigte Prognose der Polizei ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Der Gewahrsam des Betroffenen war auch nicht wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (vgl. Art. 104 Abs. 2 GG , Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG), rechtswidrig.

Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in diesem Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (z.B. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ). Diese Verpflichtung wird in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG für die polizeiliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Gefahrenabwehr einfachrechtlich nachvollzogen.

Das Merkmal der Unverzüglichkeit' i.S. des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ; OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfG aaO.).

Eine Ausnahme von der in Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung wird allgemein angenommen, wenn die polizeiliche Prognose ergibt, dass eine richterliche Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist. Andernfalls würde die Regelung zu einer mit ihrem Rechtsschutzzweck nicht zu vereinbarenden Verlängerung der Freiheitsentziehung führen (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 540 m.w.N.). Demgemäß sieht Art. 18 Abs. 1 Satz 2 PAG, verfassungsrechtlich bedenkenfrei, eine Ausnahme von der Pflicht zur Vorführung vor, wenn eine richterliche Entscheidung voraussichtlich erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde.

Nach diesem Maßstab ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme gegen 15.15 Uhr stand bereits fest, dass der Betroffene gegen 18.00 Uhr, nämlich nach Beendigung der abgehaltenen Demonstration, entlassen würde. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Polizeibehörden davon ausgingen, innerhalb dieser Zeit werde eine richterliche Entscheidung nicht herbeizuführen sein. Die richterliche Entscheidung darf nur aufgrund konkreter nachgeprüfter Tatsachen ergehen. Dabei darf der Richter sich nicht allein auf das Vorbringen der Polizei stützen. Er hat vielmehr nach Art. 104 Abs. 2 GG selbst über die Zulässigkeit einer weiteren Freiheitsentziehung zu entscheiden und die Tatsachen festzustellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen (BVerfG NVwZ 2006, 579 [BVerfG 13.12.2005 - 2 BvR 447/05] /580; Senat vom 28.10.2005, 34 Wx 125/05 Rn. 12 zitiert nach [...]). Dafür ist es nicht nur erforderlich, dass die Polizei dem Richter mehr als nur einen kurzen Aktenvermerk vorlegt. Vielmehr benötigt der Richter wenigstens neben einer Sachverhaltsschilderung auch ggfs. schriftliche Zeugenaussagen sowie eine mündliche Anhörung des Betroffenen und eventuell auch der Zeugen. Zur Erstellung einer derartigen Akte bis zur Einschaltung des Richters muss der Polizei eine gewisse Zeit zugestanden werden; tagsüber reicht eine Zeit von zwei bis drei Stunden im Allgemeinen aus ( OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Da anschließend der Richter sowohl die Akten lesen und den Betroffenen persönlich anhören muss, um sodann eine schriftlich nachvollziehbar begründete Entscheidung zu treffen, ist der hier gezogene Schluss, dass in weniger als drei Stunden eine richterliche Entscheidung nicht habe erwartet werden können, nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene bereits gegen 13.45 Uhr aufgrund strafprozessualer Befugnisse festgenommen wurde. Die Einschaltung eines Richters zu diesem Zeitpunkt war noch nicht erforderlich, da über die Gewahrsamnahme erst nach Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen und der dabei gewonnenen Erkenntnisse entschieden wurde.

c) Die Ingewahrsamnahme wurde auch nicht durch die Art und Weise ihres Vollzugs dem Grunde nach rechtswidrig. Der Betroffene trägt dazu vor, dass er in der Zelle wegen (zur polizeilichen Eigensicherung erfolgter) Wegnahme von Pullover und Stiefeln gefroren habe. Zwar kann die Art und Weise der Ingewahrsamnahme, wenn auf Grund einer Gesamtschau aller Umstände schwerwiegende Verstöße gegen verfassungsrechtlich geschützte Grundwerte vorliegen, dazu führen, dass die Maßnahme dem Grunde nach auch bei ursprünglicher Befugnis aus Art. 17 PAG rechtswidrig wird. Dies ist hier nach den Feststellungen des Landgerichts ersichtlich nicht der Fall. Dass gesundheitliche Schäden gedroht hätten, wurde nicht einmal vorgetragen. Bloße Unbequemlichkeiten oder Beschwernisse stellen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme jedoch nicht in Frage ( BVerfG vom 13.12.2005, 2 BvR 447/05 = NVwZ 2006, 579/580).

d) Schließlich beruhen die nach § 12 FGG ausreichenden Feststellungen des Tatrichters auch auf einer im Übrigen verfahrensfehlerfreien Grundlage.

Das Amtsgericht wie das Landgericht haben von einer mündlichen Anhörung des anwaltlich vertretenen Betroffenen, der sich umfassend zur Sach- und Rechtslage eingelassen hat, abgesehen. Eine weitergehende Sachaufklärung versprach die mündliche Anhörung nicht. Zwar hat das - inzwischen aufgelöste - Bayerische Oberste Landesgericht entschieden (BayObLG NVwZ 1990, 194/196; siehe auch Berner/Köhler PAG 19. Aufl. Art 18 Rn. 12; Schmidbauer Art. 18 PAG Rn. 20; offen gelassen in BayVerfGH NJW 1992, 1499), dass auch bei der Nachprüfung einer vor gerichtlicher Entscheidung beendeten Freiheitsentziehung der Betroffene grundsätzlich in allen Tatsacheninstanzen mündlich anzuhören ist, und dies mit § 13 Abs. 2, § 5 Abs. 1 FreihEntzG begründet. Jedoch verlangt § 5 Abs. 1 FreihEntzG zwingend eine mündliche Anhörung (nur) vor der Anordnung einer Freiheitsentziehung (BVerfG InfAuslR 1996, 198). Sinn der Vorschrift ist es u.a., dass sich der entscheidende Richter einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen kann. Bei nachträglichen Entscheidungen über eine bereits beendete Freiheitsentziehung kann sich der Richter einen Eindruck über die Verfassung und den Zustand des Betroffenen gerade zur Zeit der Polizeihaft aber im Allgemeinen nicht mehr verschaffen. Aus § 13 Abs. 2 FreihEntzG lässt sich für die Anhörungspflicht Entscheidendes nicht entnehmen. Insbesondere ist es nicht zwingend, dass wegen der Verweisung auf das Verfahren nach dem FreihEntzG über den eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 FreihEntzG hinaus eine mündliche Anhörung auch bei einer nachträglichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit grundsätzlich (Ausnahme: § 5 Abs. 2 FreihEntzG) unerlässlich wäre (ebenso OLG Celle FGPrax 2005, 48 [OLG Celle 25.10.2004 - 16 W 145/04] /49). Vielmehr erschiene es unangemessen und verfassungsrechtlich bedenklich, eine Person, die gerade um ihre Rehabilitierung wegen einer Freiheitsentziehung kämpft, nur aus formalen Gründen, erneut einer Einschränkung ihrer Freiheitsrechte durch richterliche Vorladung, ggf. mit der in § 5 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG verbundenen Sanktion, auszusetzen. Auch eine Parallelbetrachtung des Verwaltungsgerichtsverfahrens führt zu keinem anderen Ergebnis, weil dieses nicht in allen Fällen zwingend die mündlichen Anhörung eines Beteiligten erfordert (vgl. §§ 83 , 95 VwGO ). Zum anderen besteht kein grundrechtlich abgesicherter Anspruch auf eine mündliche Anhörung (vgl. BayVerfGH NVwZ 1991, 664/669). Art. 103 Abs. 1 GG begründet nur einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor einer gerichtlichen Entscheidung. Dieses kann auch schriftlich erfolgen (vgl. Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 152 m.w.N.).

Auch wenn danach eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1 FreihEntzG im Fortsetzungsfeststellungsverfahren nicht zwingend ist, so ist eine persönliche Anhörung des Betroffenen, sei es in einer oder auch in beiden Tatsacheninstanzen, nicht ausgeschlossen. Wegen § 12 FGG wird sie sogar im Allgemeinen unerlässlich sein. ..."

***

Die Polizei darf in der Gefahrengesamtschau darauf schließen, dass der Betroffene sich im Rahmen von Demonstrationen gegen den G 8- Gipfel gewalttätig verhalten werde, wenn seine Aufmachung (schwarz gekleidet, Sonnenbrille, Basecap, hochgebundene Hose, Stiefel und schwarzes Halstuch um die Hüften), derjenigen der Mitglieder des schwarzen Blocks' gleicht und er zur Vermummung und (aktiven oder passiven) Bewaffnung geeignete Gegenstände mit sich führt (hier: eine Faschingsbrille mit Nase, ein Paar Schlagschutzhandschuhe, gefüllt mit Sand bzw. Bleigranulat). Eine polizeiliche Sachbearbeitung in der GESA von 3 Stunden stellt vor dem Hintergrund von Masseningewahrsamnahmen anlässlich des G 8-Gipfels 2007 keinen Verstoss gegen das Unverzüglichkeitsgebot aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG dar. Daran ändert auch die Zuweisung eines Sachbearbeiters für den Betroffenen erst nach 2 1/2 Stunden nichts, da es auf die Gesamtbearbeitungszeit ankommt. Die Polizei ist über einen detaillierten GESA-Ablaufplan hinaus nicht verpflichtet, bei Masseningewahrsamnahmen die Reihenfolge der Abarbeitung zu dokumentieren (OLG Rostock, Beschluss vom 28.08.2007 - 3 W 109/07):

... Die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock vom 07.06.2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen. ...

I. Der Betroffene erstrebt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Freiheitsentziehung.

Am 06.06.2007 gegen 14.55 Uhr wurde der Betroffene im Rahmen einer Personenkontrolle aus Anlass von Demonstrationen anlässlich des G 8-Gipfels im Bereich der K. Str./S. von der Polizei angehalten und abgetastet. Dabei fand die Polizei in der Hüfttasche des Betroffenen ein Paar Schlagschutzhandschuhe, gefüllt mit Sand bzw. Bleigranulat, sowie eine Faschingsbrille mit Nase. Der Betroffene war schwarz gekleidet und trug eine Sonnenbrille sowie ein Basecap. Seine Hose war hochgebunden, dazu trug er Stiefel. Um die Hüften hatte er ein schwarzes Halstuch gebunden. Die Polizei nahm den Betroffenen, den sie aufgrund seines militanten Eindrucks optisch dem schwarzen Block' zuordnete, um 15.00 Uhr in Gewahrsam; Schlagschutzhandschuhe, Brille mit Nase und Halstuch beschlagnahmte sie wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz . Im polizeilichen Kurzbericht heißt es zum Sachverhalt: Der Beschuldigte war auf dem Weg aus dem Camp R. in Richtung S.'. Hinsichtlich des Verbleibes des Betroffenen geht aus dem Kurzbericht hervor, dass er um 15.30 Uhr vom aufnehmenden Beamten an einen Kollegen übergeben wurde, der ihn wiederum um 16.10 Uhr - zum Transport - weiterleitete. Um 19.38 Uhr wurde der Betroffene an die GESA in R. übergeben. Nach dem GESA-Ablaufplan wurden zunächst seine Daten aufgenommen; anschließend wurde ihm um 20.04 Uhr eine Zelle zugewiesen. Weiter sind im Ablaufplan u.a. folgende Ereignisse dokumentiert:

Zeitpunkt Ereignis Bemerkungen

20.06 Uhr Sonstiges KEIN Rechtsanwalt gewünscht; wünscht einen Psychologen

21.58 Uhr Zuweisung Sachbearbeiter

22.46 Uhr Sonstiges GESA Akte zwecks Vorführung an die Geschäftsstelle AG Rostock, um 22.35Uhr abgegeben

23.29 Uhr Anforderung Transport Bitte Person auf Zimmer 450, da Vorführung sofort sein soll - eilt -

01.38 Uhr Sonstiges Telefonat des UA 4, dass der Proband einen Rechtsbeistand haben möchte sowie dringend Psychopharmaka benötigt/ 00.50 Uhr

01.40 Uhr Sonstiges Richterl. Vorführung war um 00.50 Uhr beendet.

Im Protokoll des Amtsgerichts Rostock über die mündliche Anhörung des Betroffenen am 07.06.2007 ist als Beginn der Anhörung 00.37 Uhr, als ihr Ende 01.09 Uhr vermerkt.

Vor dem Amtsgericht erklärte der Betroffene, er sei auf dem Weg ins Camp gewesen. Die Brille mit Nase gehöre seinem Kumpel. Die Handschuhe seien gut zum Motorradfahren, bei Stürzen werde man weniger verletzt. Er habe sich von den großen Menschenmassen entfernt, weil ihm die Situation zu unheimlich geworden sei und er zum Konzert gewollt habe.

Mit Beschluss vom selben Tag ordnete das Amtsgericht Rostock die Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams bis zum 08.06.2007, 22.00 Uhr, sowie die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung an. Es hielt die polizeiliche Ingewahrsamnahme für rechtmäßig, da der Betroffene mit Sand gefüllte Schlagschutzhandschuhe sowie zur Vermummung geeignete Gegenstände mit sich geführt habe. Der Amtsrichter schätzte ein, dass der Betroffene weiterhin beabsichtige, Straftaten zu begehen oder zu deren Begehung beizutragen. Der Betroffene sei wegen Landfriedensbruch und Bedrohung bereits in Erscheinung getreten. Seinem äußeren Auftreten nach gehöre er dem sogenannten schwarzen Block' an, von dem bereits am 02.06.2007 im Zusammenhang mit dem G 8- Gipfel erhebliche Gewalt ausgegangen sei.

Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein. Er habe nichts Verbotenes getan. Es gäbe keinen Bezug zu einer Versammlung. Die Zuordnung zum schwarzen Block' sei absurd. Jedem sei es erlaubt, sich so zu kleiden, wie er es wolle.

Das Landgericht Rostock wies die Beschwerde mit dem angefochtenen Beschluss vom 07.06.2007 zurück. Die Kammer ist der Ansicht, die Ingewahrsamnahme des Betroffenen sei rechtmäßig gewesen. Zur Begründung führt sie aus, der Beschwerdeführer sei auf der K. Straße in S. festgenommen worden. R. und S. seien durch die K. Straße verbunden. Von der Kreuzung hinter S. führe eine Straße nach K., die andere nach H. Es sei gerichtsbekannt, dass am 06.06.2007 heftige Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten rund um H. mit zahlreichen Verletzten auf beiden Seiten stattgefunden hätten. Zu diesem Zeitpunkt habe der G 8- Gipfel in H. begonnen. Nach Überzeugung der Kammer habe es für den Beschwerdeführer nur ein Ziel, H., gegeben, um an den Auseinandersetzungen als Demonstrant teilzunehmen. Entscheidend sei für die Kammer, dass der Beschwerdeführer sich mit der Brille und der dazugehörigen Nase habe vermummen wollen. Die mit Bleigranulat gefüllten schwarzen Lederhandschuhe seien sehr schwer und nicht mit Motorradhandschuhen vergleichbar. Sie dienten nach Überzeugung des Gerichts nur als Schlagwaffe. Bei diesem Sachverhalt liege eine akute Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vor. Die Polizei habe nicht mehr länger abwarten müssen, bis der Beschwerdeführer direkt in die Kämpfe eingreifen würde. Diese Feststellungen werden auch durch § 55 Abs. 1 Nr. 2 b SOG M-V unterstützt. Die Kammer gehe davon aus, dass es sich bei den Schlaghandschuhen um eine Waffe handele. Eine bloße Beschlagnahme derselben wäre nicht ausreichend gewesen. Die Schlaghandschuhe würden eine hohe Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers dokumentieren. Ihm sei jederzeit zuzutrauen, sich wieder in den Besitz solcher Schlaghandschuhe oder ähnlicher Gegenstände, die zu Gewaltzwecken eingesetzt werden, zu begeben. Die Fortsetzung der Ingewahrsamnahme sei unerlässlich. Die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers dauere noch an. Aufgrund der gewalttätigen Energie sei er auch in Zukunft bereit, zumindestens im Zusammenhang mit den noch anstehenden Demonstrationen Gewalt auszuüben.

Mit der am 20.06.2007 beim Oberlandesgericht eingereichten sofortigen weiteren Beschwerde rügt der Betroffene eine Rechtsverletzung. Ihm sei zu Unrecht der Kontakt zu einem Rechtsbeistand verweigert worden. Er habe bereits vor seiner Vorführung vor das Amtsgericht den Wunsch geäußert einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen, wie aus dem Ereignisprotokoll ersichtlich sei. Die richterliche Vorführung sei nicht unverzüglich erfolgt. Zwischen der Ingewahrsamnahme gegen 15.00 Uhr und seiner Erfassung in der GESA gegen 19.14 Uhr liege eine Verzögerung von knapp 5 Stunden. Ein sachlicher Grund dafür sei aus den Akten nicht ansatzweise zu erkennen. Auch das weitere Verfahren in der Sammelstelle sei äußerst zögerlich verlaufen. Die Gefahrenprognose der Vorinstanzen sei rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen entsprächen nicht den geographischen Gegebenheiten. Es fehle deshalb an jeder Tatsachengrundlage für die Überzeugung des Landgerichtes, er, der Betroffene, habe allein das Ziel H. gehabt. Vielmehr habe er sich auf der K. Straße Richtung B. D. befunden. Zudem bewerte das Landgericht die Handschuhe ausschließlich als Schlagwaffe. Nach einem Feststellungsbescheid des Bundeskriminalamtes vom 12.07.2006 seien diese Handschuhe mit Motorradhandschuhen vergleichbar. Durch die Verstärkung mit der Füllung sei die Verletzungsgefahr eines Gegners nicht signifikant erhöht. Vielmehr diene die Füllung dem Schutz vor eigenen Verletzungen. Soweit das Amtsgericht darauf abgestellt habe, dass der Betroffene bereits wegen Landfriedensbruch und Bedrohung aufgefallen sei, habe die Datenabfrage zum Zeitpunkt der Festnahme des Betroffenen noch überhaupt nicht vorgelegen. Zudem stammten die vorhandenen Einträge aus den Jahren 1999 und 2000 und lägen damit bereits lange zurück. Zu diesem Zeitpunkt sei der Betroffene noch Jugendlicher bzw. Heranwachsender gewesen. Die weitere Beteiligte verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist trotz der Freilassung des Betroffenen nach Ablauf des angeordneten Gewahrsams zulässig. Wird mit einer gerichtlichen Entscheidung tiefgreifend in ein Grundrecht eingegriffen, so gebietet der aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete effektive Rechtsschutz auch nach Beendigung der freiheitsentziehenden Maßnahme vor Erschöpfung des Rechtsmittelweges, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, den Grundrechtseingriff auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (BVerfG NJW 2002, 206 [BVerfG 02.08.2001 - 1 BvR 618/93] ).

III. Die sofortige weitere Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Zwar hat das Landgericht bei seiner Überprüfung nicht ausdrücklich auf den Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung abgestellt. Es hat seiner Entscheidung jedoch den bei der Ingewahrsamnahme und amtsrichterlichen Anhörung festgestellten Sachverhalt zugrundegelegt. Andere nachträgliche tatsächliche Feststellungen, die nach Auffassung des Senats weder die Rechswidrigkeit der richterlichen Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme rückwirkend beseitigen noch feststellen können, tragen die Entscheidung hierzu nicht.

Gegen die Begründung des Landgerichts, die die erstinstanzliche Entscheidung stützt, ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Die amtsrichterliche Entscheidung gemäß § 56 Abs. 5 SOG M-V erfasst zum einen die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des vorangegangenen polizeilichen Zugriffs (a.) und hat auch und insbesondere über die Erforderlichkeit der Fortdauer des Gewahrsams zu befinden. Dies erfordert die Prüfung, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Abwehr der fortbestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten ist (b.).

a) Hierbei hat sich der Richter zunächst damit auseinanderzusetzen, ob die Polizeibeamten den Betroffenen zu Recht in Gewahrsam genommen haben. War die Ingewahrsamnahme bereits rechtswidrig, so lässt sich ihre Fortdauer allenfalls dann rechtfertigen, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen.

Bei der Beurteilung der Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist auf die Situation unmittelbar vor dem Zugriff abzustellen. Für die Annahme einer polizeilichen Gefahr genügt es, dass bei objektiver Sicht zur Zeit des polizeilichen Einschreitens die Tatsachen auf eine drohende Gefahr hindeuten, ohne dass sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann ( BGH, Beschl. vom 27.10.1988 - III ZR 256/87 , BGHR Verwaltungsrecht, Allg. Grundsätze, Polizeirecht 1; OLG Hamm, Urt. v. 07.06.1978 - IV A 330/77 , NJW 1980, 138). Spätere Erkenntnisse nach eingehender Beweisaufnahme sind nicht zu berücksichtigen, da diese den vollziehenden Polizeibeamten vor Ort nicht zur Verfügung standen.

Die auf eine polizeiliche Gefahr deutenden Tatsachen waren vorliegend gegeben. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war unerlässlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat zu verhindern (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V). Es muss eine akute Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vorliegen. Angesichts der Intensität des Eingriffs ist es erforderlich, dass im konkreten Fall nachvollziehbare Tatsachen vorliegen, die zu der Gewissheit führen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit eintritt. Der bloße Eindruck' reicht nicht aus (Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., F, Rn. 570; vgl. auch Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., E, Rn. 50). Der Gefahrenmaßstab der Unmittelbarkeit des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V unterscheidet sich nicht von einer gegenwärtigen Gefahr (vgl. Heyen, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, in: Manssen, Staats- und Verwaltungsrecht für Mecklenburg-Vorpommern, S. 255). Die gegenwärtige Gefahr ist in § 3 Abs. 3 Nr. 3 SOG M-V als eine Sachlage, bei der das die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigende Ereignis bereits eingetreten ist (Störung) oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht, legal definiert (vgl. auch BVerfGE 115, 320, 363 zu § 31 PolG NW 1990). Das bedeutet, dass ein Schaden für Rechtsgüter in unmittelbarer Zukunft, in allernächster Zeit zu erwarten ist, wenn nicht in die Entwicklung eingegriffen wird (LVerfG M-V, LKV 2000, 345, 349 großer Lauschangriff').

Die Polizei durfte aus der Aufmachung des Betroffenen, die derjenigen der Mitglieder des schwarzen Blocks' gleicht, den zur Vermummung geeigneten Gegenständen (schwarzes Halstuch und Faschingsbrille mit Nase) sowie den verstärkten, gefüllten Handschuhen, die geeignet sind, bei gewalttätigen Auseinandersetzungen anlässlich von Demonstrationen eingesetzt zu werden, in der Gefahrengesamtschau darauf schließen, dass der Betroffene sich im Rahmen von Demonstrationen gegen den G 8- Gipfel gewalttätig verhalten werde.

Am 06.06.2007 fanden im größeren Umkreis von H., dem Ort des G 8- Gipfeltreffens, eine Vielzahl von angemeldeten und unangemeldeten Demonstrationen und Straßenblockaden zum Auftakt des Gipfels statt. Diese Veranstaltungen waren jedermann zugänglich und folglich öffentlich im Sinne des Versammlungsrechts. Deshalb und aufgrund der Aufmachung des Betroffenen sowie der von ihm mitgeführten Gegenstände durfte die Polizei annehmen, dass der Betroffene an einer Demonstration teilnehmen wollte und sich auf dem Weg dorthin befand. Auf die Frage, ob er zu einer angemeldeten oder unangemeldeten Demonstration wollte, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Bei der Gefahrenschau durfte die Polizei mitberücksichtigen, dass es sich bei den Handschuhen versammlungsrechtlich um Schutzwaffen als passive Bewaffnung ( § 17a Abs. 1 VersG ) handelt. Schon das Mitführen solcher Waffen auf dem Weg zu einer Versammlung erfüllt den Straftatbestand des § 27 Abs. 2 Nr. 1 VersG . Die Ingewahrsamnahme konnte deshalb zutreffend gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 2 lit. b.) SOG M-V bereits zur Verhinderung der Fortsetzung einer Straftat (2. Alternative) erfolgen. Denn es war bereits eine Störung der öffentlichen Sicherheit eingetreten, da ein Strafgesetz verletzt wurde. Eine Gefahrenprognose, hier die Frage, ob die Begehung einer Straftat unmittelbar bevorsteht (1. Alternative) war daneben nicht mehr erforderlich.

Daraus folgt, dass die Ingewahrsamnahme erst recht auch gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SOG M-V zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit rechtmäßig war.

Aus Rechtsgründen ist auch nicht zu beanstanden, dass die Polizei zum Zeitpunkt der Vornahme der Ingewahrsamnahme aufgrund der oben beschriebenen Gefährlichkeit deren Unerlässlichkeit bejaht hat.

b) Erfolgte die Ingewahrsamnahme rechtmäßig, hat der Richter weiter festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V weiterhin gegeben sind, d. h. die Fortdauer der Ingewahrsamnahme zur Beseitigung der Störung bzw. Abwehr einer Straftat unerlässlich ist. Denn die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Ingewahrsamnahme durch die Polizeibeamten allein indiziert nicht schon die Rechtmäßigkeit der richterlich angeordneten Fortdauer der Ingewahrsamnahme. Vielmehr hat das Amtsgericht zu prüfen, ob im Falle der Freilassung weiterhin die Gefahr besteht, dass der Betroffene seine Straftat fortsetzen bzw. eine weitere Straftat begehen wird. Feststellungen zum Fortbestehen der Störung oder einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung sind in dem nach den Umständen des Einzelfalles möglichen Umfang erforderlich. Der Senat verkennt nicht, dass in dem Anhörungstermin der Richter nicht aufwändig Beweis erheben kann. Insbesondere kann er nicht die Polizeibeamten vernehmen, die weiterhin auf der Straße benötigt werden; kann er jedoch auf deren schriftlich niedergelegten Zeugenangaben zurück greifen. Er ist im Weiteren vor allem auf den Akteninhalt und auf seine persönliche Überzeugung angewiesen. Es ist aber unerlässlich, dass der Richter zu der Überzeugung gelangt, dass von dem Betroffenen weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine solche Prognose ist bei der richterlichen Entscheidungsfindung, namentlich bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht ungewöhnlich. So hat der Richter bei Anordnung der Untersuchungshaft nach § 112 StPO auszuführen, aus welchen tatsächlichen Anhaltspunkten er Flucht- oder Verdunkelungsgefahr ableitet. Bei Anordnung der Abschiebehaft gem. § 62 AufenthG ist zu begründen, welche tatsächlichen Umstände die Gefahr begründen, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen wird. Vielfach indizieren bestimmte Verhaltensweisen die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose.

Bei der richterlichen Entscheidung gem. § 56 Abs. 5 SOG M-V über die Erforderlichkeit der Fortdauer des Gewahrsams reicht es grundsätzlich nicht aus, dass einer der Regelfälle des § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz lit. a.) -c.) SOG M-V erfüllt ist, da diese als Beweisanzeichen sich auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ingewahrsamsnahme selbst beziehen, also dass der Betroffene eine solche zu verhindernde Straftat begehen wird. Daraus lässt sich nicht ohne weiteres ableiten, dass zu befürchten ist, der Betroffene werde im Falle seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen. Vielmehr kann auf diese Regelfälle nur insoweit zurückgegriffen werden, als der Richter im Rahmen seiner Entscheidung über die Erforderlichkeit der Fortdauer darin Anhaltspunkte für die Prognose finden kann. Diese Anhaltspunkte muss er aber mit den besonderen Umständen im konkreten Einzelfall verknüpfen und daraus eine Gefahrenschau entwickeln. Nur ausnahmsweise kann deshalb im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalls ausreichen, wenn sich bereits daraus die hinreichend sichere Gefahrenprognose ergibt.

Liegen die Voraussetzungen des Freiheitsentzugs anfänglich vor, so ist für die Bestimmung der Dauer des Einsperrens vor allem maßgeblich, ob die Tatbereitschaft fortbesteht (vgl. Rachor in: Lisken/Denninger: Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., F, Rn. 631). Dies ist zuallererst ein Erkenntnisproblem. Pläne, Absichten, Geistes- oder Seelenzustände sind innere Tatsachen und der Beurteilung durch Dritte im Allgemeinen nur schwer zugänglich. Die Fortdauer ist deshalb nicht am Merkmal der Unerlässlichkeit zu prüfen, die bereits als Tatbestandsmerkmal zur Kennzeichnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ingewahrsamnahme vorliegen muss. Vielmehr ist eine Prognose anzustellen, ob zu befürchten ist, dass der Betroffene sich im Falle seiner Freilassung erneut so verhalten wird, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht. Auf das Merkmal der Gegenwärtigkeit kann es bei dieser Prognose schon deshalb nicht ankommen, weil die akute Situation, die zur Ingewahrsamnahme des Betroffenen führte, durch die Freiheitsentziehung beendet worden ist. Entscheidend ist, ob der Betroffene sich an entsprechenden zukünftigen - auch zur Zeit noch unbekannten Aktionen - beteiligen würde.

Der Amtsrichter hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene bereits wegen Landfriedensbruch und Bedrohung in Erscheinung getreten war. Auch ist nichts dagegen zu erinnern, dass der Amtsrichter von dem äußeren Auftreten des Betroffenen und dem bereits am 02.06.2007 vom schwarzen Block' ausgehenden Gewalttätigkeiten darauf geschlossen hat, dass der Betroffene weiterhin Straftaten begehen oder dazu beitragen werde.

2. Zu Recht hat das Landgericht als Tatsacheninstanz festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Gewahrsams vorlagen. Es hat seine Überzeugung insbesondere auf die beim Betroffenen gefundenen Handschuhe und die Faschingsmaske gestützt. Zutreffend weist die Kammer daraufhin, dass der Betroffene auch nicht im Ansatz eine glaubhafte Erklärung dafür abgegeben habe, warum er diese Handschuhe bei sich führte.

Zwar wendet der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde richtig ein, dass das Landgericht die örtlichen Zusammenhänge fehlerhaft festgestellt hat, wenn es annimmt, die K. Straße verbinde die Orte R. und S.. Diese Falschbezeichnung führt jedoch entgegen seiner Auffassung ebensowenig zu einer fehlerhaften Gefahrenprognose der Kammer, wie die unrichtige Feststellung, der Betroffene sei in S. festgenommen worden. Die Personenkontrolle fand - wie sich unschwer dem Kurzbericht der Polizei entnehmen lässt - am Abzweig der K. Straße in Richtung S. statt. Ob der Betroffene zu diesem Zeitpunkt in Richtung S, oder, wie er behauptet, in Richtung B. D. unterwegs war, kann für die Gefahrenprognose dahingestellt bleiben. Denn seine Gefährlichkeit ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass er sich im weiteren Umkreis von H. in der festgestellten schwarzen' Aufmachung und mit den genannten Gegenständen, Schlagschutzhandschuhen und Faschingsmaske, unterwegs befand und - auf welchem Weg auch immer - an öffentlichen Versammlungen gegen den G 8- Gipfel teilnehmen wollte, um sich dort zu vermummen und an Gewalttätigkeiten unter Verwendung der mitgeführten Handschuhe zu beteiligen.

3. Mit seinem Einwand, es liege ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2 GG vor, dringt der Betroffene nicht durch. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 SOG M-V, der Art. 104 Abs. 2 GG einfachrechtlich umsetzt, ist bei einer polizeilichen Ingewahrsamnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen. Dies geschah im vorliegenden Fall.

Grundsätzlich sollte für das Einschalten des Richters tagsüber eine Zeit von 2 - 3 Stunden ausreichend sein (vgl. Jarass/Pieroth, GG a.a.O., Rn. 21; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl. E, Rn. 56). Obwohl hier diese Zeitspanne erheblich überschritten wurde - zwischen der Ingewahrsamnahme um 15.00 Uhr und der richterlichen Vorführung um 00.37 Uhr verstrichen über 9 1/2 Stunden - entsprach die Sachbehandlung noch dem Gebot der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung.

Unverzüglich' i. S. v. Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, herbeigeführt werden muss (BVerfG a. a. O.; BVerfGE 105, 239, 249) [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] . Die Verzögerung muss bei Anlegung eines objektiven Maßstabes sachlich zwingend geboten sein (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 104, Rn. 21). Sachliche Gründe können insoweit etwa sein die Länge des Weges vom Ort der Ingewahrsamnahme bis zur Protokollierungsstelle, das Verhalten der Betroffenen selbst oder aber Verzögerungen, die sich infolge von Massenfestnahmen aus organisatorischen Gründen ergeben (so VG Gera, Beschluss vom 03.07.2004 - 1 K 1071/00 ).

Derartige sachliche Gründe liegen vor.

Zunächst verzögerte sich der Abtransport des Betroffenen zur GESA. Dort traf er erst um 19.38 Uhr also etwa 4 1/2 Stunden nach seiner Ingewahrsamnahme um 15.00 Uhr ein. Eine solche Verzögerung stellt zwar unter alltäglichen Bedingungen einen Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot dar. Am 06.06.2007, dem ersten Tag des dreitägigen G 8- Gipfels können jedoch diese Maßstäbe ausnahmsweise nicht angelegt werden. Dem Senat ist aus anderen anhängigen weiteren Beschwerdeverfahren wegen Ingewahrsamnahmen im Zuammenhang mit Demonstrationen gegen den G 8-Gipfel gerichtsbekannt (so aus den Verf. 3 W 83/07 u. 3 W 102/07), dass am 06.06.2007 G 8-Gegner eine Vielzahl von spontanen, unangemeldeten Demonstrationen durchgeführt haben, bei denen es u.a. zu Straßenblockaden kam, was die polizeilichen Transporte erschwerte. Letzteres ist auch offenkundig. Der G 8-Gipfel und die dagegen gerichteten Demonstrationen haben in diesem Zeitraum die allgemein zugänglichen Medien beherrscht. Täglich wurde mehrmals über die aktuelle Sachlage berichtet. Darüber hat sich auch der Senat informiert. Bestehen jedoch im Großraum R.-H.-K. Straßensperren und wird durch Demonstrationen und auch durch Straftaten die Befahrbarkeit der Straßen massenhaft eingeschränkt, so muss ein Ingewahrsamgenommener grundsätzlich gewisse Verzögerungen hinnehmen. Das gilt umso mehr, als die Polizei mit Rücksicht auf wichtige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Demonstranten und Polizeibeamten eine offiziell bekanntgegebene Deeskalationsstrategie bei den Demonstrationen verfolgte. Ihr kann deshalb grundsätzlich eine fehlende Unverzüglichkeit der richterlichen Vorführung eines Betroffenen wegen Transportverzögerungen nicht vorgeworfen werden, denn um eine solche zu vermeiden, hätte sie jeweils die sofortige Räumung von Straßensperren bewerkstelligen müssen.

Die weitere Verzögerung von 3 Stunden bis zur Abgabe der Akte an das Amtsgericht um 22.35 Uhr ist auch vor dem Hintergrund der gerichtsbekannten Masseningewahrsamnahmen am 06.06.2007 nicht zu beanstanden. Dem Senat ist bekannt, dass Polizei und Justiz im Vorfeld des G 8-Gipfels umfangreiche Vorbereitungen getroffen haben. So wurde bei der Polizeidirektion R., die K., als Sonderabteilung eingerichtet, Polizeikräfte aus anderen Bundesländern angefordert und mehrere Sammelstellen vorbereitet. Seitens der Justiz wurden alle Amtsrichter des Landgerichtsbezirks R. im Vorfeld des G 8-Gipfels für den Bereitschaftsdienst in dieser Zeit an das Amtsgericht Rostock abgeordnet und durch Abänderung der gerichtlichen Konzentrationsverordnung die alleinige Zuständigkeit dieses Amtsgericht für den Zeitraum 25.05. - 10.06.2007 im Bezirk des Landgerichts Rostock in erster Instanz für gerichtliche Entscheidungen nach § 55 Abs.1 Nr. 2 bis 5 SOG M-V begründet (Verordnung über die zeitweilige Zuständigkeit für bestimmte Entscheidungen in Straf- und Freiheitsentziehungssachen vom 08. Mai 2007; GVOBl. M-V 2007, 205). Polizeibeamte und Richter waren im Schichtdienst Tag und Nacht im Einsatz. Zusätzlich befanden sich weitere Richter aus anderen Landgerichtsbezirken in Bereitschaft. Wenn es trotz dieses erheblichen organisatorischen Aufwandes zu zeitlichen Verzögerungen kommt, sind solche dann hinzunehmen, wenn festgestellt werden kann, dass entweder mit einem solchen Ausmaß von gleichzeitigen Ingewahrsamnahmen nicht gerechnet werden konnte und brauchte oder bei einem zu erwartenden Ausmaß, die als hinreichend eingeplanten Kräfte tatsächlich dennoch nicht ausreichten, die Ingewahrsamnahmen bei der Polizei und dem Amtsgericht abzuarbeiten.

Dem Senat ist zwar nicht im Einzelnen bekannt, wieviele Polizeibeamte in dieser Nacht in der GESA zur Abarbeitung und zum Transport tatsächlich vor Ort waren (vgl. zum Umfang der Aufklärung des konkreten Sachverhaltes BVerfG NVwZ 2006, 579, 581 [BVerfG 13.12.2005 - 2 BvR 447/05] Castor-Transport'). Es kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben, ob sich die Polizei auf die Bewältigung dieser konkret zu erwartenden Situation personell hinreichend eingestellt hat, weil sich unter Berücksichtigung aller Umstände insbesondere der Masseningewahrsamnahmen an diesem Tag die Bearbeitungszeit in der GESA von 3 Stunden noch im verfassungsmäßigen Rahmen hält. Bedenklich erscheint zwar auf den ersten Blick die große Zeitdauer von 2 1/2 Stunden bis der Betroffene um 21.58 Uhr einem Sachbearbeiter zugewiesen wurde. Es würde jedoch die Dokumentationspflicht der Polizei überspannen, über den detaillierten GESA-Ablaufplan hinaus noch die Gründe hierfür darzulegen, insbesondere bei Masseningewahrsamnahmen die Reihenfolge der Abarbeitung zu dokumentieren. Letztlich kann es für den Eingriff in das Verfahrensgrundrecht des Betroffenen aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nur auf die Gesamtzeit der Bearbeitung ankommen. Vorliegend wurde die lange Zeitdauer bis zum Beginn der Sachbearbeitung durch die folgende, dann schnelle, weitere Barbeitung bis zur Abgabe der Akte an das Amtsgericht um 22.35 Uhr aufgeholt.

Nach dem Eingang der Akte hat das Amtsgericht etwa eine Stunde später die sofortige Vorführung des Betroffenen angeordnet, wie sich aus dem Eintrag um 23.29 Uhr im GESA-Ablaufplan (Anforderung zum Transport) ersehen lässt. Gegen die Verzögerung ist nichts einzuwenden, schon weil sich auch der Richter mit dem Fall vertraut machen muss. Die richterliche Vorführung begann jedoch dann erst eine weitere Stunde später um 00.37 Uhr am 07.06.2007. Grund dieser weiteren Verzögerung ist zunächst der Transport des Betroffenen zum Richter. Sollte die Verzögerung teilweise auch darauf beruhen, dass die richterliche Vorführung nicht sofort beginnen konnte, so wäre deshalb das Unverzüglichkeitsgebot nicht verletzt. Vielmehr ist auch der Justiz - wie der Polizei - bei der Bewältigung von Massenverfahren ein Zeitraum für die Organisation zuzubilligen, der durch solche Verzögerungen wie vorliegend jedenfalls nicht überschritten wird.

Der Senat verkennt nicht, dass sich im Ergebnis die Verzögerungen aus Transport, polizeilicher Bearbeitung in der GESA und justizieller Tätigkeit beim Amtsgericht aufsummieren. Eine Gesamtbearbeitungszeit bis zum Beginn der richterlichen Anhörung von 5 Stunden (19.38 Uhr bis 00.37 Uhr) - ohne Transportzeit - ist in der Gesamtsicht auch nicht unverhältnismäßig.

Nach der ersten richterlichen Anordnung der Fortdauer der Gewahrsamnahme gilt dieses strikte Unverzüglichkeitsgebot nach Auffassung des Senats nicht für das weitere Verfahren fort (vgl. Senatsbeschl. vom 07.06.2007 - 3 W 83/07 -). Zwar sind Beschwerden gegen Freiheitsentziehungsmaßnahmen im Rahmen des gerichtlichen Geschäftsganges vorrangig und eilig zu behandeln. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Entscheidung des Beschwerdegerichtes unverzüglich im Sinne von Art. 104 GG herbeizuführen ist. Vielmehr ist auch hierbei auf den Geschäftsgang des betreffenden Gerichts Rücksicht zu nehmen. Der Betroffene hat noch in der Anhörung vor dem Amtsgericht Rechtsmittel eingelegt. Das Landgericht hat den Betroffenen am 07.06.2007, um 18.00 Uhr angehört.

Eine verzögerliche Behandlung des Verfahrens kann dem Landgericht nicht vorgeworfen werden.

4. Auch ein Verstoß gegen ein faires Verfahren liegt nicht vor. Der Betroffene hat in seiner sofortigen Beschwerde nicht erklärt, wann er tatsächlich um einen Rechtsbeistand gebeten hat. Sein Verfahrensbevollmächtigter hat vielmehr nur aus dem GESA- Ablaufplan geschlussfolgert, dass dieser Wunsch bereits vor der richterlichen Vorführung geäußert worden sein müsse. Das ist jedoch nach den vorliegenden Unterlagen nicht der Fall. Nach dem amtsgerichtlichen Anhörungsprotokoll dauerte die Anhörung von 00.37 Uhr bis 01.09 Uhr. Die Erklärung des Betroffenen, dass er einen Rechtsbeistand haben möchte, ist im amtsgerichtlichen Protokoll nicht enthalten. Der GESA- Ablaufplan kann deshalb insoweit nur so verstanden werden, dass der Betroffene mit der Beendigung der richterlichen Vorführung, die zeitlich ebenfalls im Ablaufplan mit 00.50 Uhr angegeben wird, um einen Rechtsbeistand ersuchte. Da beide Angaben erst etwa eine knappe Stunde später, im Zusammenhang mit der Rückkehr des Betroffenen, und deshalb nicht zeitgleich mit der Äußerung des Betroffenen eingetragen wurden - als Zeitpunkt der Eintragungen sind 1:38 und 1:40 vermerkt -, ist der Senat davon überzeugt, dass es sich bei der Zeitangabe 00.50 Uhr entweder um einen Übermittlungsfehler handelt oder die eigentliche Anhörung des Betroffenen zur Sache bereits um 00.50 Uhr beendet war, anschließend der Beschluss gefertigt wurde und die Anhörung sodann bis 01.09 Uhr mit Verkündung des Beschlusses fortgesetzt wurde. ..."

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Werden bei der Durchsuchung des Betroffenen eine Vielzahl und Menge von Gegenständen - insbesondere brennbaren Flüssigkeiten - aufgefunden, die nach Vermischung geeignet sind, auf Demonstrationen als Brandsätze verwendet zu werden, so erfüllt bereits das Mitführen dieser Gegenstände den Straftatbestand des § 27 I 2 VersG, sodass eine polizeirechtliche Störung der öffentlichen Sicherheit bereits gegeben ist. Die Polizei darf in ihrer Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung der Gefährlichkeit der aufgefundenen Gegenstände auch das Ausmaß des drohenden Schadens einbeziehen. Die Polizei muss deshalb mit ihrem Eingriff nicht bis zur Vermischung zuwarten. Aus dem Vorliegen eines Regelfalls des § 55 I Nr. 2 lit. a - c MVSOG lässt sich nicht ohne weiteres auch ableiten, dass zu befürchten ist, der Betroffene werde im Falle seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen. Vielmehr kann auf diese Regelfälle nur insoweit zurückgegriffen werden, als der Richter im Rahmen seiner Entscheidung über die Erforderlichkeit der Fortdauer darin Anhaltspunkte für die Prognose finden kann. Diese Anhaltspunkte muss er aber mit den besonderen Umständen im konkreten Einzelfall verknüpfen und daraus eine Gefahrenschau entwickeln. Nur ausnahmsweise kann deshalb im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalls ausreichen, wenn sich bereits daraus die hinreichend sichere Gefahrenprognose ergibt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier auf Grund der besonderen Gefährlichkeit der aufgefundenen Gegenstände vor. Verzögerungen der richterlichen Vorführung des Betroffenen wegen des Umfangs der Durchsuchung und Sicherstellung der bei ihm gefundenen erheblichen Anzahl von Gegenständen, die auf Grund ihrer Gefährlichkeit besonders umsichtig und damit zeitintensiv sicherzustellen waren, sind wie auch wegen der Erfassung dieser Gegenstände als Asservate, sachlich zwingend geboten i.S. von § 56 V MVSOG und Art. 104 II 2 GG. Eine richterliche Vorführung des Betroffenen erst 5 1/4 Stunden nach der Festnahme kann deshalb im Einzelfall noch unverzüglich sein (OLG Rostock, Beschluss vom 10.07.2007 - 3 W 92/07, OLGReport KG 2007, 882).

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Zur Begriffsbestimmung des "als Schutzwaffe geeigneten Gegenstands". § 27 II verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffe geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Die Tat kann in einem solchen Fall nur durch Notwehr gerechtfertigt sein (OLG Hamm, Urteil vom 22.10.1997 - 2 Ss 735/97, NStZ-RR 1998, 87):

... Der Angekl. befand sich unter Demonstranten, die am 16. 3. 1996 in der Innenstadt von D. an einer vom Polizeipräsidenten in D. verbotenen Demonstration kurdischer Volkszugehöriger für die Belange der Kurden in der Türkei teilnahmen. Gegen 15.45 Uhr waren Gruppen von gewalttätigen Demonstranten auf dem W-Weg verteilt. Dabei wurde von einem Unbekannten ein ca. 3 kg schwerer Türgriff aus Messing auf den Polizeibeamten und Zeugen K geworfen. Der Zeuge K beobachtete ferner, daß Demonstranten auf dem W-Weg Holzlatten ergriffen, die neben einem Container mit Bauabfällen lagen. Der Zeuge K, der sich anschließend über den W-Weg in östlicher Richtung bewegte, sah mehrere zerstörte Schaufensterscheiben. Der Angekl. nahm eine Holzlatte mit einer Länge von mindestens einem halben bis einem Meter an sich und hielt sie eine Zeit lang in der Hand. Dann warf er sie weg. Anschließend wurde er von Polizeibeamten festgenommen. Das AG verurteilte den Angekl. wegen unerlaubter Waffenführung bei einer öffentlichen Versammlung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Das LG sprach ihn unter Aufhebung des Urteils frei. Die dagegen gerichtete Revision der StA hatte Erfolg. ...

II. Nach den getroffenen Feststellungen ist der Freispruch des Angekl. nicht gerechtfertigt. Sein Verhalten erfüllt zumindest den Tatbestand des § 27 II Nr. 1 VersG. Nach dieser Vorschrift macht sich derjenige strafbar, der bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel Schutzwaffen oder Gegenstände mit sich führt, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Die von dem Angekl. nach den Urteilsfeststellungen mitgeführte Holzlatte ist sowohl ein i.S. von § 27 I 1 VersG zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeigneter Gegenstand als auch ein als Schutzwaffe i.S. von § 27 II Nr. 1 VersG geeigneter Gegenstand. Als Schutzwaffen geeignete Gegenstände sind nämlich solche, deren Zweckbestimmung nicht, wie bei Schutzwaffen, ausschließlich im Schutz ihres Trägers vor polizeilichen Zwangsmaßnahmen liegt, die aber zum Schutz jedenfalls geeignet sind, weil sie denselben Zweck wie die Schutzwaffen erfüllen können (vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 17a VersG Rdnr. 4). Hierzu gehören auch Holzlatten, die beispielsweise wie ein Schutzschild zur Abwehr eingesetzt werden können.

Für das Vorliegen einer Straftat gem. § 27 VersG kommt es mithin darauf an, mit welcher Zweckbestimmung der Angekl. die Holzlatte mitgeführt hat. In den Feststellungen des LG heißt es hierzu, daß der Angekl. die Holzlatte zumindest zu dem Zweck mitgeführt hat, sich gegen die Polizeibeamten verteidigen zu können. Soweit es in den Urteilsgründen weiter heißt, es stehe nicht fest, daß der Angekl. die Latte mit der Zweckbestimmung mit sich führte, Vollstreckungsmaßnahmen von Polizeibeamten abzuwehren, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß nicht festgestellt werden konnte, daß der Angekl. die Latte zur Abwehr rechtmäßiger Vollstreckungsmaßnahmen mit sich führte. Die Erwägungen der Kammer zur mangelnden Tatbestandsmäßigkeit des Mitführens der Holzlatte aufgrund der vom Angekl. vorgebrachten rechtswidrigen Übergriffe der Polizeibeamten halten einer rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Zu Unrecht hat das LG eine Strafbarkeit gem. § 27 II Nr. 1 VersG von der Rechtmäßigkeit der abzuwehrenden Vollstreckungsmaßnahmen abhängig gemacht. Zwar ist das Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände verboten, wenn der Teilnehmer die Absicht hat, sie auch zum Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen zu verwenden (vgl. Wache, § 17a VersG Rdnr. 4), auf die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen kommt es in diesem Zusammenhang jedoch nicht an. Da das Mitführen von Schutzwaffen selbst bereits grundsätzlich ohne Rücksicht darauf verboten ist, zu welchem Zweck sich die Versammlungsteilnehmer mit ihnen ausgerüstet haben (vgl. Wache, § 17a VersG Rdnr. 3), ist die zusätzliche Zweckbestimmung Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen" bei (bloß) als Schutzwaffen geeigneten Gegenständen nach Auffassung des Senats nur insoweit von Bedeutung, als damit die Straffreiheit des Mitführens zu anderweitigen Zwecken klargestellt wird.

Auf die Frage, ob der Angekl. - wie er sich eingelassen hat - rechtswidrige Übergriffe von Polizeibeamten beobachtet und infolge dieser Beobachtung die Holzlatte ergriffen hat - kommt es mithin nach den bisherigen Feststellungen nicht an. § 27 II Nr. 1 VersG verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Das Mitführen der Holzlatte wäre danach lediglich dann gem. § 32 StGB gerechtfertigt gewesen, wenn dies zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderlich gewesen wäre. Feststellungen hierzu sind im angefochtenen Urteil jedoch nicht getroffen worden. Dort heißt es lediglich, daß der Angekl. die Holzlatte eine Zeit lang in der Hand gehalten und dann weggeworfen habe. Gegen die Absicht des Angekl., die Holzlatte zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs zu benutzen, spricht zudem die Einlassung des Angekl., er habe eine Holzlatte ergriffen und sei aus Angst vor den Polizeibeamten davongelaufen.

Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen mithin die Freisprechung des Angekl. nicht, das angefochtene Urteil war deshalb im Ganzen aufzuheben. Insoweit kann dahinstehen, ob die Ausführungen des LG zum Freispruch vom Vorwurf einer in Tateinheit zum Verstoß gegen das Versammlungsgesetz stehenden Sachbeschädigung einer revisionsrechtlichen Nachprüfung standhalten. Die Frage, ob der Angekl. - sofern kein Notwehr- oder Nothilferecht gegeben war - die Latte nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen mitgeführt hat, muß der Beweiswürdigung des Tatrichters aufgrund der erneuten Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. ..."

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Es reicht aus, daß die Vermummung objektiv geeignet und den objektiven Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität des so aufgemachten Demonstrationsteilnehmers zu verhindern. Es bedarf nicht der zusätzlichen Feststellung, daß die Vermummung auch zur Friedensstörung geeignet ist. Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG (KG, Urteil vom 20.09.1996 - (5) 1 Ss 207/93 (38/93), NStZ-RR 1997, 185):

... Am 27. 1. 1993 fand aus Anlaß des gewaltsamen Todes einer Frau eine angemeldete Demonstration statt, an der etwa tausend Menschen teilnahmen. Die Demonstration verlief friedlich; zu keiner Zeit gab es Ausschreitungen oder Hinweise auf Unfriedlichkeiten oder Gewalttätigkeiten. Auf Weisung ihres Einsatzleiters, vermummte Personen aus dem Demonstrationszug herauszuholen, nahmen zwei Polizeibeamte den Angekl. fest, nachdem zwischen 19.10 Uhr und 19.48 Uhr dreimal die Aufforderung aus dem an der Spitze des Zuges fahrenden Lautsprecherwagen der Polizei an die Teilnehmer ergangen war, Vermummungen abzulegen. Der Angekl. hatte eine Kapuze auf und ein schwarzweiß gemustertes Halstuch über Mund und Nase gezogen, so daß man nur seine Augen sehen konnte, während bei dem überwiegenden Teil der übrigen Demonstrationsteilnehmer das gesamte Gesicht erkennbar war. Er befand sich in der hinteren Hälfte des Zuges und war von seiner Festnahme, die er ruhig über sich ergehen ließ, sichtbar überrascht. Das AG sprach den Angekl. von dem Vorwurf eines Vergehens gem. §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG frei. Die Revision des StA hatte Erfolg. ...

1. Das AG führt zutreffend aus, daß der festgestellte Sachverhalt die äußeren Merkmale des § 17a II Nr. 1 VersG erfüllt. Der Angekl. hat als Demonstrant an einem öffentlichen Aufzug unter freiem Himmel teilgenommen. Die dabei getragene Kapuze und das soweit über Mund und Nase gezogene schwarz-weiß gemusterte Halstuch, daß nur noch die Augen frei blieben, verliehen ihm eine Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet war, die Feststellung seiner Identität zu verhindern. Denn eine Notwendigkeit, daß der Angekl. in der geschilderten Aufmachung an der Demonstration teilnahm, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Trotz des Wintertages ließ der überwiegende Teil der übrigen Demonstrationsteilnehmer das gesamte Gesicht erkennen.

2. Das AG ist trotzdem zum Freispruch gelangt, weil seiner Auffassung nach der Tatbestand der §§ 17a II Nr. 1 und 27 II Nr. 2 VersG verfassungskonform dahin zu reduzieren sei, daß die Vermummung auch zur Friedensstörung geeignet sein müsse. Das ist rechtsfehlerhaft, weil die Vorschriften diese Auslegung nicht zulassen.

a) Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 79, 106 (121) = NJW 1985, 1599). Der (noch) mögliche Wortsinn markiert die äußerste Grenze zulässiger Auslegung, das heißt der Wortsinn, wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 73, 206 (235); BVerfGE 71, 108 (115) = NJW 1986, 1671). Einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz durch verfassungskonforme" Auslegung einen anderen Inhalt zu geben, ist dem Richter versagt (vgl. BVerfGE 8, 28 = NJW 1958, 1227).

Nach Wortlaut und Sinn der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG genügt es für das Verbot, daß die Vermummung objektiv geeignet und den objektiven Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität des so aufgemachten Demonstrationsteilnehmers zu verhindern. Weitere Merkmale enthält der Tatbestand nicht. Insbesondere bedarf es nicht der zusätzlichen Feststellung, daß die Vermummung auch zur Friedensstörung geeignet ist. Das geht deutlich durch Umkehrschluß aus § 17 III 2 VersG hervor. Denn in dieser als Ausnahmeregelung zu verstehenden Bestimmung wird die zuständige Behörde für den Fall, daß eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist, ermächtigt, Ausnahmen vom Verbot unter anderem auch des § 17a II Nr. 1 VersG zuzulassen.

Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt, daß der Wille des Gesetzgebers auf diese Art der Regelung gerichtet war. Mit der Einführung des Vermummungsverbots als Straftat verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Demonstrationen einzudämmen und den damit verbundenen ernsthaften Störungen des Gemeinschaftsfriedens entgegenzuwirken. Die Vermummung sollte verboten werden, weil das Auftreten vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten nach der Überzeugung des Gesetzgebers in einem eindeutigen Zusammenhang steht (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 14). Die Regelung des § 17 III VersG wurde bewußt als Ausnahme gestaltet (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 14). Ausdrücklich war der Wille des Gesetzgebers im übrigen darauf gerichtet, daß das Tatbestandsmerkmal Aufmachung" grundsätzlich alle Mittel zur Unkenntlichmachung, wie zum Beispiel Verkleidung, Maskierung oder Bemalung, erfaßt. Die beabsichtigte und in der Strafvorschrift vorgeschriebene Weise, eine zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeignete Aufmachung von einer nicht verbotenen Aufmachung abzugrenzen, liegt allein in dem Tatbestandsmerkmal, wonach die Aufmachung den Umständen nach darauf gerichtet sein muß, die Feststellung der Identität zu verhindern. Die weitere Einschränkung, der Teilnehmer müsse außerdem die Eignung seiner Vermummung zur Friedensstörung in seinen Vorsatz mit aufgenommen haben, die das AG im Anschluß an den Aufsatz von Maatz (MDR 1990, 577 (584)) vorgenommen hat, entspricht gerade nicht dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Dr 10/3580, S. 4).

b) Den festgestellten Willen des Gesetzgebers anders, wenn auch vermeintlich verfassungskonform auszulegen, ist dem Richter verwehrt (vgl. BVerfGE 71, 108 (115f.) = NJW 1986, 1671). Insbesondere ist der Richter nicht dazu berufen, eine Entscheidung des Gesetzgebers aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen durch einen Rechtsprechungsakt zu ersetzen (vgl. BVerfGE 69, 316 (372) = NJW 1985, 2395; BVerfGE 82, 6 (12) = NJW 1990, 1593; BVerfG, NStZ 1995, 399). Das AG hat dies verkannt. Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des AG Tiergarten.

3. Der Senat hat ergänzend geprüft, ob es geboten ist, die Entscheidung des BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG gem. Art. 100 I 1 GG einzuholen. Der Senat hält diese Vorschrift jedoch nicht für verfassungswidrig.

a) § 27 II Nr. 2 VersG verletzt nicht das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG oder das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) abgeleitete Bestimmtheitsgebot. Der Senat kann die Bedenken, die in der Literatur gegen die Bestimmtheit der Vorschrift erhoben worden sind (vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 27 VersG Rdnr. 11 m.Nachw.), nicht teilen.

Art. 103 II GG verlangt für das Strafrecht, daß die Tatbestandsmerkmale so konkret zu umreißen und so genau zu bestimmen sind, daß Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen, so daß für jedermann vorhersehbar ist, welches Verhalten mit welcher Strafe bedroht ist, und er sein Verhalten entsprechend einrichten kann (vgl. BVerfGE 57, 250 (262) = NJW 1981, 1719; BVerfGE 78, 205 (212) = NJW 1988, 2593). Die Verwendung allgemeiner Begriffe, die einer gewissen Auslegung bedürfen, ist zulässig, weil der Gesetzgeber ohne die Verwendung solcher Begriffe nicht in der Lage wäre, der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse Herr zu werden. Das ist auch in der Rechtsprechung des EGMR anerkannt (vgl. EGMR, EuGRZ 1984, 147 (150)). Was unter einer Aufmachung zu verstehen ist, die geeignet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, kann nicht als mißverständlich angesehen werden. Es sind in Übereinstimmung mit dem oben dargelegten Willen des Gesetzgebers alle Mittel, wie zum Beispiel Verkleidung, Maskierung und Bemalung, deren Anwendung es nicht erlaubt, das zu seiner Identifizierung notwendige Gesicht des Versammlungsteilnehmers zu erkennen. Was es bedeutet, daß eine solche Aufmachung den Umständen nach darauf gerichtet sein muß, die Feststellung der Identität zu verhindern, ist ebenfalls in hinreichender Weise nachzuvollziehen. Maßgeblich ist, ob aus den Gesamtumständen zu schließen ist, daß der Teilnehmer die Feststellung seiner Person durch seine Aufmachung verhindern will (vgl. hierzu BT-Dr 10/3580, S. 4; vgl. auch Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, VersR, § 17a Rdnr. 21 und § 27 Rdnr. 121 m.Nachw.). Dementsprechend sieht auch das Schweizerische Bundesgericht in dem gesetzlichen Verbot, sich bei Versammlungen unkenntlich zu machen, das in der Schweiz im Kanton Basel-Stadt gilt, keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (BGer Lausanne, EuGRZ 1992, 137 (139)).

b) Das in § 27 II Nr. 2 VersG geregelte Vermummungsgebot verstößt auch nicht gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG). Das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, kann für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden (Art. 8 II GG). § 27 II Nr. 2 VersG hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber durch Art. 8 II GG eingeräumten Befugnis. Mit Art. 8 II GG trägt die Verfassung dem Umstand Rechnung, daß Versammlungen unter freiem Himmel Vorkehrungen notwendig machen, die einerseits die Voraussetzungen für die Ausübung des Grundrechts schaffen und andererseits kollidierende Interessen Dritter wahren. Einschränkende Bestimmungen müssen einem aus der Sicht des Grundrechts legitimen Zweck dienen und sich auf das beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muß (vgl. BVerfGE 69, 315 (349) = NJW 1985, 2395; BVerfGE 87, 399 (406f.) = NJW 1993, 581 = NStZ 1993, 190; BVerfGE 84, 209; BVerfGE 57, 250 (268) = NJW 1981, 1790).

Das Vermummungsverbot greift zwar in den Schutzbereich des Art. 8 I GG ein, weil nicht jeder Versammlungsteilnehmer, der seine Identität verbergen will, damit notwendig auch die Absicht unfriedlichen Verhaltens verbinden muß. Auch Zwecke, die sich im Rahmen der Gesetze halten, können damit verfolgt werden. Das Verbot greift jedoch nicht in den Kern des Grundrechts ein, was unzulässig wäre. Denn es gehört nicht zum Wesen der Versammlungsfreiheit, sich in einer die Identität verbergenden Aufmachung zu versammeln. Betreffen die Einschränkungen aber den Randbereich des Grundrechts, so hat der Gesetzgeber bei der Wahl der Mittel einen weiten Entscheidungsspielraum, sofern er sich im Rahmen der oben genannten Einschränkungen hält. Die Ziele, die der Gesetzgeber mit der Regelung verfolgt, sind legitim. Die Absicht besteht darin, gewälttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen zu verhindern und dadurch einen Beitrag für den friedlichen Ablauf von Demonstrationen zu leisten" (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 13). Die Sicherheit von Leib, Leben und bedeutenden Sachwerten Dritter, die durch gewalttätige Ausschreitungen im Rahmen öffentlicher Versammlungen beeinträchtigt werden können, soll gewährleistet werden. Ebenso wie das Uniformverbot des § 3 I VersG, das bereits verfassungsgerichtlich überprüft und für verfassungsmäßig erklärt worden ist (vgl. BVerfG, MDR 1983, 22), dient das Vermummungsverbot zugleich dem Zweck, Dritte in ihrem Recht auf freie Meinungsbildung und -äußerung, das mit dem Versammlungsrecht in Verbindung steht, vor suggestiver Beeinflussung zu schützen.

Zur Durchsetzung dieser gesetzgeberischen Ziele ist das Vermummungsverbot geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Im Bereich der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit hat der Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum. Die verfassungsrechtliche Überprüfung von Geeignetheit und Erforderlichkeit des Mittels, das der Gesetzgeber gewählt hat, beschränkt sich auf die Evidenzkontrolle. Das bedeutet, daß eine Regelung nur dann verfassungswidrig ist, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für die gesetzgeberische Maßnahme abgeben können (vgl. BVerfG, NJW 1988, 1195 (1196)). Der Annahme, daß die Vermummung kausal ist für das Entstehen gewaltsamer Auseinandersetzungen bei Versammlungen, liegen einschlägige Erfahrungen zugrunde, die sie einleuchtend und wahrscheinlich machen. Das wird selbst von Kritikern der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung eingeräumt (vgl. u.a. Maatz, MDR 1990, 577 (579)). Gleiche Erfahrungen, daß die Anwesenheit Vermummter die Gefahr von Ausschreitungen bei Versammlungen wesentlich erhöht, wurden auch in der Schweiz gemacht (vgl. BGer, EuGRZ 1992, 137 (140)). Daß eine mildere Maßnahme als die hier fragliche Regelung zur Erreichung des angestrebten Zwecks ausreichend wäre, läßt sich nicht feststellen. Dagegen spricht, daß die Regelung erst eingeführt wurde, nachdem sich die 1985 geschaffenen bußgeldbewehrten Verbote als unzureichend erwiesen hatten, gegen gewalttätige Vermummte und Bewaffnete vorzugehen (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 14).

c) Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Daß der Gesetzgeber dem öffentlichen Interesse, Gewalttätigkeiten und Straftaten unter dem Schutz der Anonymität zu verhindern und die Gefahr solcher Vorkommnisse möglichst gering zu halten, den Vorrang gegenüber dem Interesse eines Versammlungsteilnehmers eingeräumt hat, seine Identität zu verbergen, ist nicht zu beanstanden. Dies gilt erst recht unter dem Gesichtspunkt, daß der Gesetzgeber die zuständige Behörde in § 17a III 2 VersG ermächtigt hat, in Einzelfällen Ausnahmen von dem Vermummungsverbot zuzulassen, wenn hierdurch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist. Der Gesetzgeber hat damit gerade an besonders gelagerte Fälle eines überwiegenden berechtigten Interesses an dem Verbergen der Identität während einer Versammlung gedacht (vgl. BT-Dr 10/3580, S. 4 (5)). Diese Rechtsauffassung des Senats wird das AG seiner neuen Entscheidung zugrunde zu legen haben (§ 358 I StPO). ..."

***

Eine Versammlung, zu welcher nur Mitglieder einer politischen Partei und deren Ehegatten Zutritt haben, ist keine öffentliche Versammlung i. S. von § 27 I VersG (BayObLG, Entscheidung vom 25.11.1994 - 4 St RR 154/94, NStZ 1995, 242).

*** (LG)

Nach Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes ist es erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll. Diese Absicht ist nicht nachzuweisen, wenn durch die Vermummung allein das Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners verhindert werden soll, um späteren Repressalien zu entgehen (LG Hannover, Urteil vom 20.01.2009 - 62c 69/08 zu VersG §§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1):

... Am 19. 01. 2008 gegen 16.06 Uhr befand sich die Angekl. im Demonstrationszug gegen Neonazis in B. in der ...straße und in einer Entfernung von 20 bis 30 m vom Café Rock Averne. Letzteres ist bekannt als Treffpunkt von Angehörigen der sog. rechten Szene. Als die Angekl. sich in Höhe des Cafés befand, wurde sie von dem Zeugen PK W. gefilmt, wie sie eine Sonnenbrille und ein Baseballcap mit der Aufschrift "Lonsdale" tragend und einen Schal über ihren Mund gezogen dort stand und nach einer kürzeren Ansprache über den in wenigen Metern Entfernung vor ihr befindlichen Lautsprecherwagen an den Kameraleuten - immer noch vermummt - weiterzog.

Die Kammer konnte nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. die Vermummung erst kurz bevor sie gefilmt wurde, angelegt hatte und diesem Hinweise auch über Lautsprecher vorausgegangen waren, Demonstrationsteilnehmer würden von Mitgliedern der sog. rechten Szene aus dem Bereich des Cafés Rock Avenue heraus fotografiert und gefilmt. Die Kammer konnte des weiteren nicht mit einer für die Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. mit dem Bedecken weiter Teile ihres Gesichts lediglich verhindern wollte, daß die Mitglieder der sog. rechten Szene und Gegner der Demonstration, an der sie teilnahm, Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht anfertigen könnten, um diese dann zwecks weiterer Diffamierungen zu verwenden. Vielmehr erscheint die Möglichkeit als naheliegend, daß es ihr darum ging, zu verhindern, daß Mitglieder der rechtsradikalen Szene in den Besitz von Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht gelangen und durch die Vermummung den Anreiz, sie zu fotografieren, vermindern wollte.

Während der Demonstration fotografierte ein älterer Herr mit Bart, der Gerüchten zufolge nach ebenfalls der rechten Szene angehörte, mit einer Kamera und zwei Beobachter der Demonstration mit Handys in den Demonstrationszug hinein. Diese Fotografierenden befanden sich im Bereich des Cafés Rock Avenue. ...

IV. Von dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 27 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz war die Angekl. aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Es fehlt an der nach § 27 Abs. 2 Ziff. 2 Versammlungsgesetz geforderten Absicht, die Feststellung der Identität zu verhindern. Zwar ist dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz nach nur allgemein gefordert, daß die Vermummung den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Jedoch ist nach dem Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes gem. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll (so auch AG Rothenburg/Wümme in NSDZ 2006, 358, AG Tiergarten, Urteil v. 21. 04. 2005, Az. 256 Cs 81 Js 1217/04 (947/04), zitiert nach Juris). Diese Absicht ist der Angekl. gerade nicht nachzuweisen gewesen.

Die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz im o.g. Sinne ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend. Würde die Vorschrift nicht in dem genannten Sinne teleologisch reduziert werden, so würde die Strafvorschrift de facto zu einer Bestrafung der Teilnahme an einer genehmigten Versammlung und damit einem Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG führen. Das systematische Hineinfotografieren in Demonstrationszüge des jeweiligen politischen Gegners würde so nämlich dazu führen, daß im Falle nachfolgender Repressalien mit Hilfe dieser Fotos die Demonstrationsteilnehmer vor der Alternative stünden, entweder Repressalien seitens der politischen Gegner hinzunehmen oder aber eine Bestrafung seitens der Strafverfolgungsbehörden wegen Verstoßes gegen das sog. Vermummungsverbot. Die einzig noch verbleibende Alternative bestünde in einem Verzicht auf Teilnahme an einer solchen Demonstration. Damit aber würde die Gefahr bestehen, daß politische Demonstrationen linker und rechter Gruppierungen auf Dauer de facto durch das systematische Fotografieren in diese Demonstrationszüge hinein durch politische Gegner unterbunden würden, gegen das es - so lange der Gesetzgeber das Fotografieren von Demonstrationszügen und einzelner Demonstrationsteilnehmer während der Demonstration sowie die Verwendung oder Weitergabe solcher Fotos nicht sanktioniert - keinen anderen Schutz als die Vermummung geben kann. Letztlich würde so die strafrechtliche Verfolgung von Vermummungen einzig mit dem Ziel, das Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners zu verhindern dazu führen, daß sich die Strafverfolgungsbehörden unwillentlich zum Werkzeug der jeweiligen politischen Gegner machen, deren Ziel das Verhindern solcher Demonstrationen ist. ..."

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Ein innerhalb des Mundes zu tragender Mundschutz (Beißschiene) ist weder eine Schutzwaffe noch ein Gegenstand, der als Schutzwaffe geeignet ist, im Sinne von §§ 17a I, 27 II Nr. 1 VersG (LG Cottbus, Beschluss vom 22.12.2006 - 24 jug Qs 61/06, NStZ-RR 2007, 282).

Zum Mitführen eines Teleskop-Schlagstocks auf dem Weg zu und bei Veranstaltungen (LG Bad Kreuznach, Urteil vom 23.04.2001 - 1005 Js 9071/00 Cs Ns, GewA 2001, 383).

Eine Verurteilung wegen Führens von Waffen auf dem Wege zu einer Versammlung kommt nur dann in Betracht, wenn der Angeklagte tatsächlich an der Versammlung teilnehmen wollte und sich nicht nur auf dem Weg dorthin befand (LG Bochum, Entscheidung vom 03.06.1988 - Ns 28 Cs 33 Js 604/87, StV 1989, 22).

§ 28

Wer der Vorschrift des § 3 zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze/Entscheidungen:

Die eisenbahnrechtlichen Vorschriften der §§ 64b II Nr. 1 EBO, 28 I Nr. 6, II AEG schränken das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein. Ihre Anwendung hängt nicht von der Rechtmäßigkeit eines Versammlungsverbots ab (BVerfG, Beschluss vom 12.03.1998 - 1 BvR 222/97, NStZ 1998, 359):

... Die Bf. ist Atomkraftgegnerin. Sie wohnt im Landkreis Lüchow-Dannenberg, in dem sich ein Lager für radioaktive Abfälle befindet. Aus Anlaß eines Transports von Castor-Behältern mit atomaren Material in dieses Lager war für den 25. 4. 1995 eine Versammlung geplant, die von der zuständigen Behörde mit einer in der örtlichen Zeitung am 21. 4. 1995 bekanntgemachten Allgemeinverfügung untersagt wurde. Die Bf. nahm dessen ungeachtet an der Versammlung teil. Dabei befand sie sich an den Eisenbahnschienen der Bahnlinie Uelzen-Dannenberg, die nur noch für Castor-Transporte benutzt wird. Das Versammlungsverbot wurde später vom VG wegen unzureichender Gefahrenprognose für rechtswidrig erklärt. Auf ihren Einspruch gegen den an sie gerichteten Bußgeldbescheid sprach das AG die Bf. mit der Begründung frei, Verstöße gegen Versammlungsverbote dürften nicht ohne Rücksicht auf deren Rechtmäßigkeit geahndet werden. Ebenso wie das VG halte es das Versammlungsverbot für rechtswidrig, weil die Erwägungen zur Gefahrenprognose zu undifferenziert und zu pauschal gewesen seien. Mit dem angegriffenen Beschluß ließ das OLG die Rechtsbeschwerde der StA zu, hob das angefochtene Urteil auf und verurteilte die Bf. wegen vorsätzlichen unbefugten Betretens einer Bahnanlage zu einer Geldbuße von 400 DM. Die auf der Einlassung der Bf. beruhenden Feststellungen des AG belegten objektiv und subjektiv den Verstoß gegen § 64b EBO. Die Bf. habe zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt, als sie sich aus Protest gegen den Castor-Transport an die Bahnschienen angekettet habe. Ein etwaiger Verbotsirrtum wäre durch Einholung einer zuverlässigen Rechtsauskunft vermeidbar gewesen. Die auf das Versammlungsgesetz bezogene Auffassung des AG, die Bf. habe erlaubt gehandelt, sei rechtsfehlerhaft, für die Anwendbarkeit von § 28 (Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) und § 64b EBO jedoch nicht von unmittelbarer Bedeutung. Gegen deren Verfassungsmäßigkeit bestünden keine Bedenken. Eine Kollision mit Art. 8 GG komme nicht in Betracht. Die Geldbuße sei § 28 II AEG zu entnehmen. Bei der Zumessung sei zu berücksichtigen, daß die Bf. unbestraft sei, ihr Eingriff in den Bahnbetrieb nur kurzzeitig gewesen sei und nicht zu konkreten Behinderungen geführt habe. Überdies sei ein vermeindbarer Verbotsirrtum mildernd zu berücksichtigen. Mit ihrer nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde rügte die Bf. u.a. die Verletzung von Art. 8 I GG. ...

II. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung i.S. von § 93a II lit. a BVerfGG zu. Die von ihr aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des BVerfG geklärt. Eine Entscheidung des BVerfG ist auch nicht nach § 93a II lit. b BVerfGG zur Durchsetzung der von der Bf. geltend gemachten Rechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Zwar hat das OLG zu erkennen gegeben, daß es die Auffassung des AG mißbilligt, eine Ahndung der Tat aufgrund des Versammlungsgesetzes komme nicht in Betracht, weil das Versammlungsverbot rechtswidrig gewesen sei. Insoweit stehen die Ausführungen nicht im Einklang mit Art. 8 I GG (vgl. BVerfGE 87, 399 (406ff.) = NJW 1993, 581). Die angegriffene Entscheidung beruht aber nicht auf dieser Ansicht. Das OLG hat die Verurteilung der Bf. vielmehr allein auf die eisenbahnrechtlichen Vorschriften von § 64b II Nr. 1 EBO und § 28 I Nr. 6, II AEG gestützt. Diese schränken das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein. Da sie sich im Unterschied zu § 29 I Nr. 1 VersG nicht speziell auf ein Verhalten im Zusammenhang mit verbotenen Versammlungen beziehen, sondern einer generell bestehenden Gefahr entgegenwirken, hängt ihre Anwendung auch nicht von der Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots ab. Bei der Auslegung und Anwendung der eisenbahnrechtlichen Vorschriften hat das OLG Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht verkannt. Seine Auffassung, daß sich die Bf. nicht darauf berufen konnte, die Bahnstrecke sei von allen Seiten zugänglich und allein den Castor-Transporten vorbehalten, begegnet keinen Bedenken. Denn am Tag der Versammlung wurde auf der Strecke ein die Castor-Behälter transportierender Zug erwartet. Bei der Zumessung des Bußgeldes hat das OLG Gesichtspunkte der Versammlungsfreiheit ausreichend berücksichtigt.

Für eine Verletzung von Art. 101 I und Art. 103 I GG ist nichts hervorgetreten. Insoweit wird auf eine weitere Begründung verzichtet (§ 93d I 3 BverfGG). ..."

*** (OLG)

Das Uniformverbot gilt der Uniform als Symbol organisierter Gewalt. Uniformen und Kleidungsstücke, die Uniformen substituieren, symbolisieren die quasi-militärische Organisation einer Menge als "institutionelles Gehäuse" für Gewaltbereitschaft, Bedrohung und Einschüchterung und sind in der Regel geeignet, bei dem Beobachter suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Eindruck durch das Hinzutreten weiterer Umstände verstärkt wird (OLG Koblenz, Beschluss vom 11.01.2011 - 2 Ss 156/10):

... Das Amtsgericht St. Goar hat den Angeklagten N. mit Urteil vom 4. Mai 2010 wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot (§§ 3 Abs. 1, 28 VersammlG) zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 30 verurteilt und die bei ihm sichergestellte Jungenschaftsjacke mit HDJ-Abzeichen eingezogen. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten war als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung und der Gegenerklärung des Verteidigers vom 31. Dezember 2010 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO). Die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung tragen die Verurteilung wegen Vergehens nach den §§ 3 Abs. 1, 28 VersammlG.

Der Verteidigung ist zwar im Ansatz zuzugeben, dass das Tragen gleichartiger Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung für sich allein genommen dem Verbot aus § 3 Abs. 1 VersammlG noch nicht unterfällt. Eine abstrakte Gefährlichkeit des Tragens gleichartiger Kleidungsstücke gibt es nicht. Das Uniformverbot gilt vielmehr der Uniform als Symbol organisierter Gewalt. Uniformen und Kleidungsstücke, die Uniformen substituieren, symbolisieren aber die quasi-militärische Organisation einer Menge als institutionelles Gehäuse" für Gewaltbereitschaft, Bedrohung und Einschüchterung (vgl. Rühl in NJW 1995, 561) und sind in der Regel geeignet, bei dem Beobachter suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen (vgl. Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Versammlungsgesetz, § 3 Rdn 7; KG, Urteil vom 19. März 2001 - 1 Ss 344/00 (105/00) -). Das gilt um so mehr, wenn der Eindruck durch das Hinzutreten weiterer Umstände verstärkt wird (vgl. BVerfG in NJW 1982, 1803) wie die vom Amtsgericht festgestellte Durchführung eines Fahnenappells mit von Trommelschlägen begleitetem Marsch zum Fahnenmast und Hochziehen der Fahne bei halbkreisförmiger Aufstellung, die Aufstellung von mit Springerstiefeln, schwarzen Hosen und Koppeln bekleideten, um das Gelände des Turner- und Jugendheims patrouillierenden, dem Schutz vor linken oder antifaschistischen Gruppen dienenden Wachposten, das Tragen von Abzeichen und das teilweise als seltsam diszipliniert und appellmäßig empfundene, den Eindruck militärischen Drills erweckende Gebaren der Gruppe (vgl. BVerfG, a. a. O.). Hingegen sind Umstände, die der Annahme konkreter oder abstrakter Gefährlichkeit in obigem Sinne entgegenstehen würden (vgl. Wache, a. a. O.), den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen.

Dass das Amtsgericht keine ausdrücklichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen hat, wie die Verteidigung des Weiteren beanstandet, erweist sich nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe als unschädlich. Für die Zuwiderhandlung gegen § 3 VersammlG reicht bedingter Vorsatz aus, der in doppelter Hinsicht gegeben sein muss. So muss der Täter einmal das Bewusstsein haben, dass er eine Uniform oder gleichartige Kleidungsstücke trägt, die mit denen politisch Gleichgesinnter übereinstimmen, und zum Anderen durch das Tragen dieser Kleidungsstücke eine gemeinsame politische Gesinnung mit den Anderen zum Ausdruck bringen wollen (vgl. Wache, a. a. O., § 28 Rdn 5). Hieran kann im Fall des Angeklagten N. aufgrund des feststellten äußeren Geschehensablaufs indes kein Zweifel bestehen. Dasselbe gilt im Übrigen für die von dem Auftreten der Gruppe ausgehende mögliche massen-suggestive Wirkung. ..."

*** (LG)

Zur Auslegung des § 31 VersG (LG Hamburg, Urteil vom 07.03.1983 - (34) 172/81 Kls, NStZ 1983, 419):

... Die neun Angekl. wollten am 8. 2. 1981 eine Geländeübung durchführen, und zwar in dem Gebiet um den Truppenübungsplatz Höltigbau in Hamburg-Rahlstedt. Die Angekl. und zwar alle Gruppenmitglieder, trugen bei der Übung militärische Kleidung, und zwar - im freien Handel erhältliche - Bundeswehr- oder Bundesgrenzschutzkleidungsstücke (Hosen und Tarnjacken) sowie sog. Knobelbecher oder Springerstiefel.

Nachdem die Angekl. ihre Personenkraftwagen verlassen hatten, teilten sie sich in zwei Gruppen und begannen mit dem Geländespiel". Als Ziel war ein Angriff" auf einen in etlicher Entfernung auf dem Gelände stehenden alten Panzer ausersehen. Die StrK sprach die Angekl. vom Vorwurf eines Verstoßes gegen das Uniformverbot frei. ...

2. Mit der Feststellung der vorgenannten Merkmale ist dem Wortlaut nach der Tatbestand des § 3 VersG erfüllt. Die Kammer ist gleichwohl zu der Auffassung gelangt, daß eine Bestrafung der Angekl. aus dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt. Sie ist dabei von folgenden Überlegungen ausgegangen:

§ 3 des VersG verbietet - in Kombination mit § 28 VersG - unter Strafandrohung das Tragen von Uniformen in der Öffentlichkeit als Ausdruck einer politischen Gesinnung. Dabei wird weder nach der Art der Uniform noch der der Gesinnung differenziert. Erklärtes Ziel der Vorschrift (vgl. dazu die Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren, insb. die mündliche Begr. des Abgeordneten Dr. Becker als Berichterstatter des federführenden Bundestagsausschusses - Sitzung v. 26. 6. 1959, Sitzungsprot. der 220. Sitzung, S. 9736 ff.; Begr. des Bundesrates für die Anrufung des Vermittlungsausschusses, BT-Dr 1/4387; BVerfG, NJW 1982, 1803; Füßlein, VersG, § 3 Anm. 5) ist es, den freien politischen Meinungskampf vor Beeinträchtigungen in suggestiv-militanter Form durch einschüchternde militärische Uniformierung als Ausdruck politischer Gesinnung zu schützen (BVerfG, aaO). Dabei hat sich der Gesetzgeber ersichtlich von den historischen Erscheinungsbildern insb. faschistischer und nationalsozialistischer Verbände orientiert, wenn auch eine Einschränkung auf politisch verwandte oder - bezüglich der Uniformierung - gleichartig aussehende Gruppierungen nicht erfolgt ist.

Die Vorschrift beinhaltet damit eine Einschränkung des in Art. 5 I GG gewährten Rechts zur freien Meinungsäußerung, das neben den rein verbalen Äußerungen auch bildhafte und suggestiv-kollektive Meinungsbekundungen schützt (BVerfG, aaO). Der hohe Rang des in Art. 5 I GG geschützten Rechtsguts einerseits und die Weite hinsichtlich der vielfältigen Erscheinungsformen von Uniformierungen in diversen - auch politischen - Zusammenhängen andererseits erfordert es nach der Überzeugung der Kammer, den Tatbestand des § 3 VersG in dem Sinne einschränkend auszulegen, daß bereits durch die Auslegung der Tatbestandsmerkmale eine deutliche Abgrenzung der vom Gesetzeszweck erfaßten Verhaltensweisen zu denjenigen möglich ist, die lediglich äußerlich den Tatbestand erfüllen, aber eines strafrechtlichen Verbots nicht bedürfen (die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch bis zur Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat befürwortete Meinung, § 3 sei zu streichen, beruhte nicht zuletzt auf den schon damals befürchteten erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten in der Praxis - vgl. die Ausf. des Abgeordneten Dr. Becker, aaO).

3. Diese Überlegungen führen nach der Auffassung des Gerichts dazu, daß der Tatbestand des § 3 VersG so auszulegen ist, daß im konkreten Fall die massen-suggestive Wirkung des Auftretens, der mit dem Uniformverbot begegnet werden soll, entweder objektiv erreicht werden kann (wobei wegen des Charakters des § 3 VersG als eines Gefährdungsdelikts die abstrakte Gefahr genügt) oder zumindest subjektiv erreicht werden soll.

3. 1. Eine auf der objektiven Ebene der Tatbestandsmerkmale liegende Einschränkung ließe sich dadurch erreichen, daß man für die Verwirklichung des Tatbestands das Tragen von Uniformen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken fordert, die bereits für sich gesehen geeignet sind, die befürchtete massen-suggestive Wirkung zu erzeugen (z.B. Uniformen der ehemaligen SA/SS oder schwarze Uniformierung als Ausdruck faschistischer Gesinnungen). Derartige eindeutige Uniformen oder uniform-ähnliche Kleidungen erzeugen entweder aufgrund der Assoziation mit historisch bekannten politischen Kampfverbänden oder aufgrund der Tatsache, daß mangels Vorhandenseins einer legalen Uniform-Trägerschaft" die entsprechende Bekleidung sofort mit politischen Meinungsäußerungen in Verbindung gebracht wird, eine massen-suggestive Wirkung, ohne daß dafür zusätzlich die Gesinnung des Trägers bekannt sein muß bzw. durch weitere Verhaltensweisen erkennbar wird. Dagegen führt das Tragen sogenannter legaler" Uniformen (Bundeswehr, Polizei, oder ähnl.) für sich gesehen noch nicht zu einer solchen Wirkung, da der Betrachter zunächst davon ausgehen wird, es handele sich um einen echten" Soldaten, Polizisten usw. Erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände, (z.B. Formationsmarsch in der Innenstadt; Mit-sich-Führen von Spruchbändern; verbale Äußerungen) kann der Betrachter in diesen Fällen den Rückschluß auf den politischen Charakter des Uniformtragens ziehen (der Rechtsradikale, der in einer einwandfreien Bundeswehr-Uniform durch die Stadt geht, erzeugt damit allein keinerlei massen-suggestive Wirkung, selbst wenn er diese Uniform aufgrund und als Ausdruck seiner politischen Gesinnung trägt). Die Einbeziehung solcher Verhaltensweisen unter § 3 VersG würde - wenn keine weiteren Umstände im Einzelfall hinzutreten - zu einer unzulässigen Bestrafung lediglich der hinter dem - äußerlich unverfänglichen - Uniformtragen stehenden politischen Gesinnung führen.

3. 2. Die notwendige einschränkende Auslegung des Tatbestandes des § 3 VersG könnte allerdings auch über die subjektive Tatseite erfolgen, indem man für die Verwirklichung die Absicht, eine massen-suggestive Wirkung zu erzeugen, fordert. Diese Auslegung könnte sich auf das Tatbestandsmerkmal als Ausdruck einer politischen Gesinnung" in § 3 VersG stützen, in dem bereits sprachlich eine deutliche Tendenz zu einer zielgerichteten Verhaltensweise im Sinne von Absicht anklingt.

In der - ohnehin geringen - Rechtsprechung und Literatur ist dazu bisher nicht eindeutig Stellung genommen. Während teilweise Wendungen benutzt werden, die auf das Erfordernis einer solchen Absicht schließen lassen könnten (z.B. Füßlein, aaO -aber abw.- im Sinne eines dolus eventualis - in der Kommentierung zu § 28 Anm. 1; Dietel-Gintzel, VersG, 6. Aufl., S. 63, 64), ist an anderer Stelle (Meyer, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 28 Anm. 4) ohne weitere Begründung davon die Rede, daß ein bedingter Vorsatz ausreicht.

3. 3. Die Kammer neigt dazu, als restriktives Tatbestandsmerkmal dasjenige der Geeignetheit der Uniform" in dem oben näher erläuterten Sinn für erforderlich zu halten, wobei dann - wegen des Charakters des Delikts als eines abstrakten Gefährdungsdeliktes - subjektiv ein dolus eventualis als ausreichend zu erachten wäre. Dies würde zum einen die oben angesprochenen Gefahren des reinen Gesinnungsstrafrechts, zum anderen die erheblichen praktischen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der subjektiven Abgrenzung vermeiden.

Im vorl. Falle bedurfte es jedoch einer abschließenden Entscheidung insoweit nicht, weil nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer weder das eine noch das andere eben abgehandelte Tatbestandsmerkmal gegeben ist. ..."

*** (StA)

Das Tragen von Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di verstößt nicht gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersG (StA Osnabrück, Entscheidung vom 28.04.2006 - 730 UJs 12661/06, NStZ 2007, 183):

... Wie Ls. Die aus dünnem Plastikmaterial bestehenden Streikwesten sind keine Uniformen oder Uniformteile, weil die Streikenden Zivil- oder Arbeitskleidung tragen, die unter den Westen deutlich sichtbar bleibt.

Die Streikwesten sind auch keine gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.v. § 3 VersammlG, weil sie als dünne Plastikgebilde mit Einweg-Charakter schon keinen Bekleidungscharakter aufweisen, aber zumindest nicht Uniformen ähnlich sind.

Die Auslegung des Merkmals gleichartige Kleidungsstücke' anhand von Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt, dass hierunter nicht sämtliche gleichartigen zivilen Kleidungsstücke zu verstehen sind, sondern nur solche, die eine uniformähnliche Wirkung entfalten, also suggestiv-militante Effekte erzielen.

Das Bekenntnis zur Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft bei einem Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung ist Ausdruck der grundrechtlich verbürgten Koalitionsfreiheit und nicht Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' i.S.v. § 3 VersammlG. ...

Die StA stellte das aufgrund einer Anzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren ein. ...

Es ist bei der StA Osnabrück eine Strafanzeige eines privaten Anzeigeerstatters vom 3. 3. 2006 gegen namentlich unbekannte Streikende, die in der Zeitung abgebildet waren, eingegangen mit dem Tatvorwurf, durch das Tragen von Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersammlG verstoßen zu haben.

Gemäß § 3 I VersammlG ist es verboten, in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' zu tragen. Ein Verstoß ist nach § 28 VersammlG strafbar.

Da davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei den in der Strafanzeige bezeichneten gewerkschaftlichen Aktionen mit zahlreichen auf Zeitungsfotos abgebildeten Teilnehmern um Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes handelte, ist zur Prüfung einer Strafbarkeit nach den §§ 3, 28 VersammlG festzustellen, ob es sich bei den Plastikwesten mit aufgedrucktem Gewerkschafts-Logo, die von den Teilnehmern getragen werden, um Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke i.S.d. § 3 VersammlG handelt und ob diese als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen werden.

Bei den aus einem dünnen Plastikmaterial (ähnlich wie bei Müllsäcken) bestehenden Streikwesten handelt es sich offensichtlich nicht um Uniformen oder Uniformteile. Im Gegensatz zur Zivilkleidung handelt es sich bei einer Uniform um eine einheitliche Dienstkleidung z.B. von Soldaten, von Polizeibeamten oder früher von Eisenbahn- oder Postbeamten. Uniformen können sein einheitliche Hemden, Jacken, Hosen, Röcke, Kopfbedeckungen oder Gürtel (BayObLG v. 20. 1. 1987 - RReg. 4 St 209/86, NJW 1987, 1778 mwN). Stets muss die Kleidung nach Form, Farbe, Schnitt und sonstiger Aufmachung von der allgemein üblichen Bekleidung abweichen (KG v. 19. 3. 2001 - [3] 1 Ss 344/00 [105/00], juris). Die Streikenden tragen Zivil- oder Arbeitskleidung, über die sie die Plastikwesten gezogen haben. Die darunter getragene zivile Bekleidung bleibt weitgehend sichtbar und unterscheidet die einzelnen Personen deutlich.

Die Plastikwesten stellen auch kein Uniformteil dar. Uniformteile sind z.B. Waffenröcke, Mützen, Schulterstücke, Hemden mit aufgesetzten Brusttaschen und Schulterklappen oder Stiefel (BayObLG aaO). Uniformteile müssen unschwer von einem objektiven Betrachter wegen ihrer Gleichartigkeit als Bestandteil einer Uniform erkannt werden können, sie müssen ihrem Charakter nach Unformen oder Uniformteilen entsprechen (KG aaO). Das KG weiter: Das Verbot erfasst danach nur einen sehr engen Kreis gleichartiger Kleidungsstücke. Jede Form gleicher Kleidung darf gewählt werden, mit Ausnahme solcher, die den Eindruck von Uniformen oder Uniformteilen hervorrufen.' Die Streikwesten vermitteln optisch und vom Material her alles andere als den Eindruck eines Uniformteiles.

Es bleibt zu prüfen, ob diese Westen als gleichartige Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG anzusehen sind. Gleichartige Kleidungsstücke sind (nach dem Kommentar zu § 3 des VersammlG Dietel/Gintzel) Kleidung und Kleidungsbestandteile jeder Art, die sich durch Uniformität auszeichnen und damit ihrem Charakter nach Uniformen oder Uniformteilen entsprechen, beispielsweise die Roben von Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Geistlichen, die Bekleidung von Krankenschwestern und Nonnen, Sportbekleidung, Trachten, Kluften u.ä. Auch bestimmte Teile der Bekleidung (Krawatten, Kopfbedeckungen, u.U. auch gleichartige Masken oder Schutzhelme, eventuell auch Stiefel und Koppel) kommen in Betracht.

Die Plastikwesten können zwar bei reiner Wortauslegung das Merkmal des gleichartigen Kleidungsstücks noch erfüllen, wobei man jedoch auch die Auffassung vertreten kann, dass ein dünnes Plastikgebilde mit Einweg-Charakter kein Kleidungsstück sei, da sich niemand im Alltagsleben damit bekleiden würde und die Westen nicht einmal als Regenüberzug brauchbar sind. Danach würden die Streikwesten wegen der darauf befindlichen Aufdrucke ( Ver.di' und Streik') eher den Charakter eines vom Träger umgehängten Plakates haben, was keinen Verstoß gegen § 3 VersammlG darstellen würde.

Selbst wenn man eine Kleidungseigenschaft bejahen würde, sind die Westen keine gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG. Sie weisen nicht die gleiche Art wie eine Uniform auf. Sie zeigen keine Bezüge zu Uniformen oder zur Bekleidung historisch bekannter militanter Gruppen (vgl. dazu BVerfG v. 27. 4. 1982 - 1 BvR 1138/81, NJW 1982, 1803; KG aaO). Sie substituieren keine Uniform (KG aaO). Weiterhin ist im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Versammlungsgesetzes und den mit dem Uniformverbot verfolgten Gesetzeszweck, den freien politischen Meinungskampf vor Beeinträchtigungen in suggestiv-militanter Form durch einschüchternde militärische Uniformierung als Ausdruck politischer Gesinnung zu schützen (vgl. BT-Dr 1/4387), eine verfassungskonform eingeschränkte Auslegung des Merkmals der gleichartigen Kleidungsstücke' geboten (BVerfG NJW 1982, 1803; LG Hamburg NStZ 1983, 419).

Gleichartige Kleidungsstücke im Sinne dieser Vorschrift sind danach nicht alle zivilen Kleidungsstücke von gleichem Aussehen, sie müssen eine uniformartige Wirkung entfalten. Das Tragen speziell von Uniformen als Ausdruck politischer Gesinnung ist aber - wie historische Erfahrungen bestätigen - geeignet, nicht nur die Außenwirkungen kollektiver Äußerungen zu verstärken, sondern darüber hinaus suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen' (BVerfG NJW 1982, 1803).

Die Plastikwesten der Streikenden erfüllen diese Voraussetzungen nicht, da sie weder den Effekt einer einschüchternden Militanz (wie z.B. braune oder schwarze Hemden, insbesondere bei Stiefelträgern) haben noch kann ihnen eine Massensuggestivwirkung beigemessen werden. Hinzu kommt, dass es den Streikteilnehmern an einem militärischen Gebaren fehlte. Sie bewegten sich z.B. nicht als eine militärische Formation.

Weitere Voraussetzung für einen Verstoß gegen § 3 I VersammlG wäre außerdem, dass das gemeinsame Tragen eines einheitlichen Kleidungsstückes in der Öffentlichkeit als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung bewertet wird und dies auch von den Trägern dieser Kleidungsstücke erkannt wird.

Von politischen Veranstaltungen sind solche abzugrenzen, die nur der Förderung der Arbeit- und Wirtschaftsbedingungen dienen und den besonderen Schutz des Art. 9 III GG genießen. Zum verfassungsrechtlich geschützten Bereich der koalitionsmäßigen Betätigung einer Gewerkschaft gehört neben dem Recht auf Abschluss von Tarifverträgen u.a. das Recht, über Lohn und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in eigener Verantwortung und ohne staatliche Einflussnahme zu verhandeln (BVerfGE 44, 322, 340f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG). Ein gewerkschaftl. geführter Streik ist nur rechtmäßig, wenn es um Ziele geht, die tarifvertraglich regelbar sind, die tauglicher Inhalt eines Tarifvertrages sein können (zuletzt BAG Urt. v. 27. 6. 1989, BAGE 62, 171 = AP Nr. 119 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = DB 1989, 2229 unter Bezugnahme auf BAG Urt. v. 7. 6. 1988, BAGE 58, 343 = AP Nr. 106 zu Art. 9 GG, Arbeitskampf = DB 1988, 2102).

Im vorliegenden Fall handelte es sich eindeutig um einen Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung um längere Arbeitszeiten. Es handelt sich damit nicht um einen politischen Streik. Daher wird man bei den Streikteilnehmern das Tatbestandsmerkmal Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' i.S.d. § 3 VersammlG im vorliegenden Fall nicht annehmen können.

Der Tatbestand des § 3 VersammlG wird durch das Tragen der Plastik-Streikwesten nicht erfüllt, eine Strafbarkeit nach § 28 VersammlG ist dementsprechend nicht gegeben. ..."

***

Das öffentliche Tragen blau-gelb gefärbter Anoraks durch Abgeordnete der FDP verstößt nicht gegen das Uniformverbot des § 3 I VersG (StA Konstanz, Verfügung vom 23.02.1984 - 11 Js 16/84, NStZ 1984, 322).

§ 29

(1) Ordnungswidrig handelt, wer

1. an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug teilnimmt, deren Durchführung durch vollziehbares Verbot untersagt ist,
1a.entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 2 bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, mit sich führt.
2. sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt,
3. als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachkommt,
4. trotz wiederholter Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner fortfährt, den Ablauf einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges zu stören,
5. sich nicht unverzüglich nach seiner Ausschließung aus einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug entfernt,
6. der Aufforderung der Polizei, die Zahl der von ihm bestellten Ordner mitzuteilen, nicht nachkommt oder eine unrichtige Zahl mitteilt (§ 9 Abs. 2),
7. als Leiter oder Veranstalter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges eine größere Zahl von Ordnern verwendet, als die Polizei zugelassen oder genehmigt hat (§ 9 Abs. 2, § 18 Abs. 2), oder Ordner verwendet, die anders gekennzeichnet sind, als es nach § 9 Abs. 1 zulässig ist, oder
8. als Leiter den in eine öffentliche Versammlung entsandten Polizeibeamten die Anwesenheit verweigert oder ihnen keinen angemessenen Platz einräumt.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 5 mit einer Geldbuße bis tausend Deutsche Mark und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 bis 8 mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Deutsche Mark geahndet werden.

Leitsätze/Entscheidungen:

... Hinsichtlich der Möglichkeit nachträglicher Ahndung entnimmt das Bundesverfassungsgericht beispielsweise dem Art. 8 GG das Erfordernis, dass die Strafgerichte für die Weigerung, sich unverzüglich aus einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG eine Geldbuße nur dann verhängen dürfen, wenn feststeht, dass die Auflösung versammlungsrechtlich rechtmäßig war (vgl. BVerfGE 87, 399 (399, 407 ff. [BVerfG 24.11.1992 - 2 BvR 2033/89] )). Entsprechendes gilt für die Ahndung der Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug, welche durch vollziehbares Verbot untersagt sind, als Ordnungswidrigkeit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. März 1998 - 1 BvR 2165/96 , 1 BvR 2168/96 -, JURIS, Rn. 13). Eine vergleichbare Argumentation liegt der Annahme eines Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde, wenn die Verweigerung der Angabe der Personalien nach § 111 OWiG geahndet wird, ohne dass zuvor die Rechtmäßigkeit der Aufforderung in vollem Umfang überprüft worden ist (vgl. BVerfGE 92, 191 (191, 199 ff. [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR 1564/92] )).

bb) Daraus folgt jedoch nicht, dass auch eine Bestrafung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB stets nur mit den Grundrechten vereinbar wäre, wenn die Diensthandlung nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben rechtmäßig ist. Denn das ausnahmslose Erfordernis einer verwaltungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der jeweiligen Ausgangsmaßnahmen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf Erwägungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gestützt (vgl. BVerfGE 87, 399 (410); 92, 191 (201) [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR 1564/92] ), deren Übertragbarkeit anhand der jeweils zu beurteilenden Sanktionsnorm zu prüfen und im Falle des § 113 StGB zu verneinen ist.

(1) Der Bürger darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Grundrechtsschutz sich in einem Rechtsstaat über die Beachtung der maßgebenden Gesetze durch die eingreifende Staatsgewalt verwirklicht. Soll bei der nachträglichen Ahndung des Verhaltens eines Bürgers gleichwohl vom Erfordernis der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung abgesehen werden, bedarf dies besonderer Gründe. Ein solcher Grund kann in den präventiven, auf den Schutz des handelnden Amtsträgers gerichteten Wirkungen einer Sanktionsandrohung liegen. Diesem Schutzziel steht allerdings das Interesse des Bürgers gegenüber, nicht auch noch mit einer Strafsanktion überzogen zu werden, wenn er an seiner Grundrechtsausübung durch eine rechtswidrige Verwaltungsmaßnahme gehindert worden ist, der er sich widersetzt hat. Diese gegenläufigen Interessen bedürfen der angemessenen Zuordnung.

(2) Bei den von § 113 Abs. 1 StGB erfassten Tathandlungen des Widerstandleistens mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt oder des tätlichen Angriffs ist es danach weder dem Gesetzgeber noch der Rechtsprechung von Verfassungs wegen verwehrt, sie im Rahmen der Auslegung und Anwendung des § 113 StGB auch dann als strafbar zu bewerten, wenn sie auf nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben als rechtswidrig zu beurteilende Diensthandlungen reagieren.

Der entsprechende Grundrechtseingriff wiegt zwar schwerer als bei jenen Bußgeldtatbeständen, bei denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes ausscheidet. Das Gewicht der präventiven Schutzzwecke, die Gesetzgeber und Strafgerichte der Strafandrohung beimessen dürfen, ist jedoch im Falle des § 113 Abs. 1 StGB so hoch, dass auch dieser schwerwiegendere Eingriff gerechtfertigt ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 1999 - 1 BvR 2017/97 -, NJW 2000, S. 943 (944) [BVerfG 19.11.1999 - 1 BvR 2017/97] ). Denn die Vorschrift erfasst mit dem Widerstandleisten mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie dem tätlichen Angriff Verhaltensweisen, die sich nicht auf eine bloße Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen beschränken, sondern eigenständige Rechtsgutbeeinträchtigungen von erheblichem Gewicht bewirken. Zudem betrifft sie häufig Situationen, in denen der Amtsträger bereits zu Zwangsmaßnahmen gegriffen hat, und der Betroffene sich durch die Widerstandshandlung gerade entschlossen zeigt, sich auch hiergegen zur Wehr zu setzen. Soweit vollstreckungsrechtliche Duldungspflichten des Betroffenen bestehen, erweisen sich diese in solchen Situationen auch im Verbund mit der Drohung der Zwangsanwendung gerade als nicht ausreichend, um dem Behördenwillen Nachdruck zu verleihen und dessen Durchsetzung zu gewährleisten. Angesichts dessen genügt die Verwendung des so genannten strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs im Bereich des § 113 Abs. 3 StGB den grundrechtlichen Anforderungen, die an die Verhältnismäßigkeit einer zusätzlichen Strafbewehrung derartiger Duldungspflichten zu stellen sind.

cc) Die Strafgerichte haben jedoch bei der konkretisierenden Auslegung und Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB die Bedeutung und die Tragweite der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit zu beachten.

Vorliegend bedarf keiner allgemeinen Klärung, welche Anforderungen danach an die in § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB geforderte Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungshandelns zu stellen sind, gegen die die Widerstandshandlung sich richtet. Verfassungsrechtlich ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn solche Rechtsfehler der handelnden Hoheitsträger bei der Festsetzung einer Sanktion nach § 113 StGB außer Acht bleiben, die den Besonderheiten der Situation der konkreten Diensthandlungen, etwa einer erheblichen Unübersichtlichkeit oder einer spannungsreichen Lage, geschuldet sind (vgl. dazu auch BVerfGE 92, 191 (200) [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR 1564/92] ) und in der Folge in einer fehlerhaften Beurteilung der Tatsachenlage und darauf aufbauend in einer Fehleinschätzung etwa der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme bestehen. Andernfalls wäre der vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise durch § 113 StGB beabsichtigte Schutz der Amtsträger deutlich abgeschwächt.

Andererseits können bestimmte Rechtsfehler der handelnden Amtsträger, wie in der Rechtsprechung und Literatur trotz eines anhaltenden Meinungsstreits über einzelne der Voraussetzungen anerkannt ist, dazu führen, dass eine Verurteilung nach § 113 Abs. 1 StGB ausscheidet (dazu vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 54. Aufl. 2007, Rn. 11 zu § 113 m.w.N.; Eser in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Rn. 23 ff. zu § 113). So hängt die Rechtmäßigkeit jedenfalls von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Beamten zum Eingreifen sowie von den zum Schutz des Betroffenen wesentlichen Förmlichkeiten ab, soweit solche vorgeschrieben sind. Als wesentliche Förmlichkeiten werden in Rechtsprechung und Literatur beispielsweise angesehen: das Vorliegen eines vollstreckbaren Titels bei der Zwangsvollstreckung, die Eröffnung des zur Last gelegten Fehlverhaltens bei Identifizierungsmaßnahmen, das Eröffnen des Vorführungsbefehls nach § 134 StPO oder die Zuziehung von Zeugen zur Zwangsvollstreckung oder zur Durchsuchung (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn. 17; Eser, a.a.O., Rn. 26 jeweils m.w.N). Ferner wird in der Rechtsprechung eine pflichtgemäße Prüfung der sachlichen Eingriffsvoraussetzungen verlangt. Entscheidend ist, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (vgl. BGHSt 21, 334 (363) [BGH 10.11.1967 - 4 StR 512/66] ; BGH, Urteil vom 23. Februar 1962 - 4 StR 511/61 -, NJW 1962, S. 1020 (1021 [BGH 23.02.1962 - 4 StR 511/61] l. Sp.); KG, Urteil vom 11. Mai 2005 - (5) 1 Ss 61/05 (12/05) -, NStZ 2006, S. 414 (414 f.) [KG Berlin 11.08.2005 - 5 Ws 341/05 Vollz] ; vgl. auch die Formulierung, die Amtshandlung müsse sich objektiv im Rahmen des Vertretbaren' gehalten haben: OLG Köln, Urteil vom 17. Dezember 1985 - 1 Ss 318/85 -, NStZ 1986, 234 (235)).

Bei der Konkretisierung der nach dieser Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen der Wahrung wesentlicher Förmlichkeiten und der pflichtgemäßen Prüfung von Eingriffsvoraussetzungen haben die Strafgerichte der Bedeutung der durch die Diensthandlung betroffenen Grundrechte Rechnung zu tragen. Werden dem Amtsträger ohne Weiteres erkennbare rechtliche Voraussetzungen seiner Befugnisse nicht beachtet, überwiegt das in einem Rechtsstaat wichtige Interesse des Bürgers, darauf vertrauen zu dürfen, dass die Amtsträger die allgemeinen Anforderungen an ein rechtmäßiges Verhalten kennen und beachten. Werden entsprechende grundlegende rechtliche Anforderungen an Grundrechtseingriffe verletzt, darf der auf die Möglichkeit zur Ausübung seines Grundrechts gerichtete Widerstand des Grundrechtsträgers gegen die Diensthandlung - für den kein Anlass bestanden hätte, wenn ein verständiger Amtsträger die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Grundrechtseingriffs beachtet und ihn deshalb unterlassen hätte - nicht nach § 113 Abs. 1 StGB mit einer strafrechtlichen Sanktion geahndet werden. Unberührt bleibt davon allerdings die Frage der Strafbarkeit einer im Zuge der Widerstandshandlung begangenen weiteren Straftat.

b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

aa) Der Einsatzleiter hat Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer als Teilnehmer einer Versammlung durchgeführt, ohne diese zuvor aufgelöst oder den Beschwerdeführer aus der Versammlung ausgeschlossen zu haben. Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden - wie ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme - sind rechtswidrig, solange nicht die Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG aufgelöst oder der Teilnehmer auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen wurde (vgl. BVerfGK 4, 154 (158 ff.); OVG Bremen, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BA 15/86 -, NVwZ 1987, S. 235 (236) [OVG Bremen 04.11.1986 - 1 BA 15/86] ; OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 - 1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 31 ff.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, NVwZ 2001, S. 1315 [OVG Nordrhein-Westfalen 02.03.2001 - 5 B 273/01] ; VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 - 12 VG 2442/86 -, NVwZ 1987, S. 829 (831 f.) [VG Hamburg 30.10.1986 - 12 VG 2442/86 Sb] ).

Art. 8 GG gebietet, diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten nicht geringer zu gewichten als die Förmlichkeiten, deren Verletzung eine Bestrafung nach § 113 StGB in anderen Fällen ausschließt. Denn es handelt sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit wesentlich ist. In Versammlungen entstehen häufig Situationen rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Könnten Versammlungsteilnehmer nicht wissen, ab wann der Schutz der Versammlungsfreiheit endet und dürften sie gleichwohl wegen eines ihrer Ansicht nach von der Versammlungsfreiheit geschützten Verhaltens negativ sanktioniert werden, könnte diese Unsicherheit sie einschüchtern und von der Ausübung des Grundrechts abhalten.

(1) Die Festnahme und der Abtransport des Beschwerdeführers waren nach den gerichtlichen Feststellungen auf die Beendigung sowohl seiner Teilnahme an der von ihm initiierten Veranstaltung als auch dieser Veranstaltung insgesamt gerichtet. Die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers zielte nicht mehr allein auf die Verhinderung des Megaphoneinsatzes. Vielmehr sollte die weitere Teilnahme des Beschwerdeführers an der Versammlung unterbunden werden. Die abwehrenden Maßnahmen des Beschwerdeführers geschahen als Reaktion auf den Versuch, ihn in Verfolgung dieses Zwecks in Gewahrsam zu nehmen. Für einen die Mitwirkung an der Versammlung ausschließenden Gewahrsam hätte kein Anlass bestanden, wenn es nur darum gegangen wäre, die Megaphonnutzung zu unterbinden. Dass die Zielsetzung der Ingewahrsamnahme deutlich darüber hinausging, zeigte sich auch daran, dass sie bis zur Beendigung der CDU-Veranstaltung anhielt und dazu führte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr an der von ihm initiierten Versammlung teilnehmen konnte.

(2) Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich nach dem Versammlungsgesetz . Dieses Gesetz geht in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerfGK 4, 154 (158)). Daraus ergeben sich besondere Anforderungen für einen polizeilichen Zugriff auf Versammlungsteilnehmer. Eine auf allgemeines Polizeirecht gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an der Versammlung beschränkt wird, scheidet aufgrund der Sperrwirkung der versammlungsgesetzlichen Regelungen aus (vgl. BVerfGK 4, 154 (158, 160)). Für Beschränkungen der Versammlungsteilnahme stehen der Polizei lediglich die abschließend versammlungsgesetzlich geregelten teilnehmerbezogenen Maßnahmen zu Gebote, für die im Interesse des wirksamen Grundrechtsschutzes strengere Anforderungen bestehen als für polizeirechtliches Einschreiten allgemein. Diesen Anforderungen genügten die polizeilichen Maßnahmen nicht.

(a) Eine Auflösung der Versammlung ist nicht erfolgt.

Auflösung ist die Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen. Der Schutz der Versammlungsfreiheit erfordert, dass die Auflösungsverfügung eindeutig und nicht missverständlich formuliert ist und für die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Versammlung aufgelöst ist (vgl. BVerfGK 4, 154 (159); OVG Berlin, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - 8 N 129.02 -, NVwZ-RR 2003, S. 896 (897) [OVG Berlin 17.12.2002 - 8 N 129/02] ). Dieses Erfordernis soll den Beteiligten Klarheit darüber verschaffen, dass nunmehr der Grundrechtsschutz entfällt. Die Gerichte haben vorliegend nicht festgestellt, dass eine derartige Auflösungsverfügung erlassen worden ist. Auch wenn eine Auflösung nicht formgebunden ist, muss sie doch eigenständig erfolgen und eindeutig sein; sie ist insofern eine förmliche Voraussetzung der Rechtmäßigkeit darauf aufbauender Handlung, wie hier einer Entfernung des Versammlungsleiters aus der Versammlung.

(b) Der Beschwerdeführer wurde auch nicht auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen.

Der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers ist ein belastender Verwaltungsakt, durch den dem Betroffenen verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen. Auch die Ausschlussverfügung muss hinreichend bestimmt sein. Die Erklärung des Ausschlusses hat, wie diejenige der Auflösung (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 - 1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 32), besondere Bedeutung für die Sicherung der Versammlungsfreiheit. Ihre Notwendigkeit gibt der Polizei zum einen Anlass, sich über das Ziel ihrer Maßnahmen Rechenschaft zu geben und die rechtlichen Voraussetzungen des Ausschlusses zu bedenken. Vor allem aber dient sie dazu, dem Teilnehmer bewusst werden zu lassen, dass der versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme endet (vgl. BVerfGK 4, 154 (159)). Ihm soll damit auch Gelegenheit gegeben werden, die Grundrechtsausübung ohne unmittelbaren Polizeizwang zu beenden, indem er sich aus der Versammlung von sich aus entfernt. Dass eine diesen Anforderungen genügende Ausschlussverfügung vorliegend ergangen wäre, haben die Gerichte nicht festgestellt. Auch insofern hat es an einer wesentlichen Förmlichkeit der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer gefehlt.

(c) Es ist auch keine anderweitige - etwa als Platzverweis intendierte - an den Beschwerdeführer gerichtete Verfügung mit vergleichbarem Inhalt ergangen, so dass es keiner Entscheidung bedarf, ob auch eine derartige Verfügung ausreichen kann (vgl. BVerfGK 4, 154 (154, 159)).

bb) Die Kenntnis der Maßgeblichkeit versammlungsrechtlicher Regeln unter Einschluss der besonderen Voraussetzungen von Maßnahmen, die eine Versammlungsteilnahme unmöglich machen, kann von einem verständigen Amtsträger erwartet werden. Kennt er sie nicht und verweigert er in der Folge dem Grundrechtsträger die in der Rechtsordnung geforderte Klarheit über den Wegfall des Schutzes der Versammlungsfreiheit, darf dies nicht dem betroffenen Grundrechtsträger angelastet werden; Art. 8 Abs. 1 GG gebietet, eine derartige Vollstreckungshandlung grundsätzlich als rechtswidrig im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB anzusehen.

Anlass für eine Ausnahme bestand im vorliegenden Fall nicht. Dass der Einsatzleiter das Erfordernis einer versammlungsrechtlichen Auflösung oder des Ausschlusses des Beschwerdeführers aus der Versammlung vor der Durchführung von Vollstreckungshandlungen verkannt hat, war nicht den besonderen situativen Umständen seines Eingreifens geschuldet. Der bei der Ingewahrsamnahme aus der Versammlung heraus erfolgte Fehler prägte das Handeln des Einsatzleiters von Anfang an, nämlich schon vor Beginn der tumultartigen Umstände im weiteren Verlauf der Aktion. Er beruhte auf einer grundsätzlichen Verkennung der rechtlichen Voraussetzungen versammlungsbezogener Maßnahmen, also auch des Erfordernisses einer Versammlungsauflösung oder des Ausschlusses aus der Versammlung vor dem Eingreifen von Maßnahmen zur Realisierung von Auflösung oder Ausschluss.

3. Diese rechtlichen Voraussetzungen der gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen und in der Folge der Bejahung einer Rechtmäßigkeit der Amtshandlung im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB haben die Gerichte nicht erkannt; dieser Fehler hat sich auf die Anwendung des § 113 Abs. 1 StGB ausgewirkt. Die Gerichte haben den Verstoß gegen Art. 8 GG durch die strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten des Beschwerdeführers, der sich der Entfernung aus der Versammlung widersetzte, fortgesetzt.

Die Entscheidungen beruhen auf dieser Verletzung des Art. 8 GG . Bei Wahrung der grundrechtlichen Anforderungen hätten die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung gemäß § 113 Abs. 3 StGB nicht bejahen und auf dieser Grundlage nicht zu einer Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte beziehungsweise - im Falle des Oberlandesgerichts - zur Aufrechterhaltung der Verurteilung gelangen dürfen.

4. Dies bedeutet nicht, dass die Tätlichkeit des Beschwerdeführers strafrechtlich sanktionslos bleiben muss. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, Rechtsgutverletzungen, die über die Missachtung der behördlichen Maßnahme hinausgehen - etwa eine Körperverletzung - nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts zu ahnden. Vorliegend haben die Gerichte dementsprechend das Verhalten des Beschwerdeführers als gefährliche Körperverletzung eingeordnet.

Allerdings haben die Gerichte infolge der fehlerhaften Bewertung der Amtshandlung als rechtmäßig nicht prüfen müssen, ob und wie weit deren Rechtswidrigkeit Bedeutung für die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung haben musste. Insofern sei klarstellend darauf hingewiesen, dass die vorstehenden Ausführungen sich nur auf die Bestrafung nach § 113 StGB beziehen. Es ist von Verfassungs wegen nicht vorgegeben, dass die Rechtswidrigkeit der Diensthandlung auch eine Bestrafung allein wegen der gefährlichen Körperverletzung ausschließt, etwa unter dem Gesichtspunkt der Notwehr. Aus einer Einstufung der Diensthandlung als rechtswidriger Angriff im Sinne von § 32 StGB (vgl. BGHSt 4, 161 (163 f.) [BGH 31.03.1953 - 1 StR 670/52] ) folgt im Hinblick auf die dann sich weiter stellenden Fragen der Erforderlichkeit und Gebotenheit der Verteidigungshandlung (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 24. Dezember 2001 - 1 Ss 227/01 -, JURIS, Rn. 21 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, Rn. 36 f. zu § 113) keineswegs verfassungsrechtlich zwingend die Annahme einer Rechtfertigung durch Notwehr. Dies bedarf vielmehr eigenständiger Prüfung.

II. Im Übrigen ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt. Die Rüge der Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist unsubstantiiert und damit unzulässig. Auch hat der Beschwerdeführer nicht in einer den Substantiierungsanforderungen genügenden Weise dargelegt, dass die Aktion des Beschwerdeführers vom 23. August 2003 am Grundrecht der Kunstfreiheit ( Art. 5 Abs. 3 GG ) zu messen ist. Die Rüge der Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist zwar zulässig, hat aber keine Aussicht auf Erfolg. Die Handlung des Beschwerdeführers, die das Persönlichkeitsrecht der Oberbürgermeisterkandidatin verletzte, ist ohne Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Beleidigung im Sinne des § 185 StGB gewertet worden.

III. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 8 Abs. 1 GG , soweit seine Verurteilung wegen des am 11. Januar 2003 erfolgten Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte - hier: in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - erfolgt ist. Das Urteil des Landgerichts und der Beschluss des Oberlandesgerichts werden aufgehoben. Von einer Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts wird abgesehen. Das Landgericht, an welches die Sache zurückverwiesen wird, hat über die Bestrafung des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben neu zu entscheiden. ..." (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007, 1 BvR 1090/06)

***

Die Möglichkeit der Sanktionierung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit ist auf Auflagen i. S. des § 15 I VersG begrenzt, also auf solche beschränkenden Verfügungen, die speziell an unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung anknüpfen und unter Beachtung des Art. 8 GG mithelfen sollen, die konkret bevorstehende Verletzung von Rechtsgütern zu verhindern. Die in § 15 I VersG als Auflagen bezeichneten beschränkenden Verfügungen sind keine Nebenbestimmungen zu einem begünstigenden Verwaltungsakt. An diesem fehlt es im Versammlungsrecht angesichts der Erlaubnisfreiheit von Versammlungen (Art. 8 I GG). Sie enthalten vielmehr einen eigenständigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Wird die versammlungsrechtliche Gefahr mittels einer ein konkretes Verhaltensgebot oder Verbot festlegenden Auflage i. S. des § 15 I VersG bekämpft und verstößt ein Versammlungsteilnehmer gegen die Auflage, dann sind die Voraussetzungen für die spezifische versammlungsrechtliche Sanktion des § 29 I Nr. 3 erfüllt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei der Ahndung nicht berücksichtigt wird, wie die durch die Gefahrverwirklichung beeinträchtigte Einzelperson darauf reagiert hat (hier: kein Strafantrag wegen Beleidigung) oder wie ein Strafgericht strafrechtlich mit dem Geschehen umgehen würde (BVerfG, Beschluss vom 21.03.2007 - 1 BvR 232/04).

Es ist mit Art. 8 GG unvereinbar, wenn die Strafgerichte die Weigerung, sich unverzüglich von einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, ohne Rücksicht darauf, ob die Auflösung rechtmäßig war, gemäß § 29 I Nr. 2 VersG ahnden (BVerfG, Beschluß vom 01.12.1992 - 1 BvR 88/91 u. 1 BvR 576/91).

*** (OLG)

Von einer Versammlung kann erst gesprochen werden, wenn mindestens drei Personen zusammengekommen sind (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.09.1998 - Ss Z 225-98 (106-98), NStZ-RR 1999, 119):

... Durch Bescheid der Stadt S. vom 21. 10. 1997 war dem Betr. auf seinen Antrag die Durchführung einer Mahnwache für den 23. 10. 1997 unter Auflagen genehmigt worden. Am Vormittag, dem 22. 10. 1997, fand sich der Betr. zusammen mit einerweiteren Person vor der Beratungsstelle Pro Familia in S. ein. Sie gingen auf dem Gehweg des betreffenden Anwesens auf und ab, wobei sie Plakate trugen, auf denen die Ablehnung von Abtreibungen zumAusdruck gebracht und die Beratungsstelle Pro Familia als Tötungsambulanz bezeichnet wurde. Sie verteilten Handzettel ähnlichen Inhalts und sprachen Passanten an. Auf eine entsprechende Anzeige der Beratungsstelle Pro Familia erschienen ein Polizeibeamter und eine Verwaltungsinspektorin der Stadt an der Örtlichkeit. Sie wiesen den Betr. darauf hin, daß es sich um keine genehmigte Versammlung handele, erklärten sodann die Versammlung für aufgelöst und forderten den Betr. mehrfach auf, sich zu entfernen, was dieser hartnäckig verweigerte, so daß er schließlich in Gewahrsam genommenwurde. Das AG setzte gegen den Betr. wegen vorsätzlicher Verletzung der Pflicht, sich nach Auflösung einer öffentlichen Versammlung unverzüglich zu entfernen, eine Geldbuße in Höhe von 200 DM fest. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde führte zum Freispruch. ...

II. Der Betr. hat keine Ordnungswidrigkeit nach §§ 29 I Nr. 2, 15 II VersG begangen. Nach diesen Bestimmungen handelt ordnungswidrig, wer sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzugsdurch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt. Der Betr. und sein Begleiter bildeten jedoch keine Versammlung im Sinne dieser Vorschriften. Wie viele Teilnehmer zusammengekommen sein müssen, damit von einer Versammlung gesprochen werden kann, ist streitig (vgl. Wache, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 1 VersG Rdnr. 23 m.w. Nachw.). Dieheute herrschende Rechtsprechung geht davon aus, daß mindestens 3 Personen erforderlich sind (BayObLGSt 1965, 157; BayObLGSt 1979, 11; OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226; OLG Hamburg, MDR 1965, 319; OLG Köln, MDR 1980,1040; AG Tiergarten, JR 1979, 207). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.

Schon der Wortsinn spricht gegen die Annahme, bereits 2 Menschen könnten eine Versammlung bilden. Sich-Versammeln setzt begrifflich eine Zusammenkunft mehrerer voraus.Auch die historische Entwicklung der Versammlungsfreiheit, die das Zusammentreffen mehrerer Personen sichern wollte, legt dies nahe und schließlich sprechen sachliche Gründe dafür, eine Mindestteilnehmerzahl von 3 Personen zur Erfüllungdes Merkmals Versammlung zu verlangen. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes schränken das Grundrecht des Art. 8 GG ein mit dem Ziel, sowohl die Interessen anderer alsauch die Versammlung selbst zu schützen. Vor allem soll es den zuständigen Behörden ermöglicht werden, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewahrt bleiben. Solche behördlichen Maßnahmen kommen aber nur in Betracht bei Zusammenkünften einer größeren oder nicht allzu kleinen Anzahl von Personen (OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226). Eine Zusammenkunft von 2 Personen erfordert solche Sicherungsmaßnahmenin aller Regel nicht.

Da somit nach den getroffenen Feststellungen die Beschuldigung nicht erwiesen ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, war das Urteil des AG Saarbrücken aufzuheben und der Betr. freizusprechen. ..."

***

Zum Begriff der Ansammlung i.S. des § 113 OwiG. Die Bestimmung des § 113 OWiG tritt im Falle der - rechtmäßigen - Auflösung einer Versammlung hinter der spezielleren Vorschrift des § 29 I Nr. 2 VersG zurück. Zur Frage der Befugnis zur Auflösung von nicht angemeldeten Versammlungen, insbesondere von Eil- und Spontanversammlungen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.1984 - 5 Ss (OWi) 163/84 - 133/84 I, NStZ 1984, 513):

... Am Morgen des 7. 7. 1983 fand im AG K. ein Termin zur Überprüfung der U-Haft gegen einen anläßlich der Philadelphiade in K. Inhaftierten statt. Wegen dieses Haftprüfungstermins versammelten sich im Bereich des AG auf der S-Straße ca. 50 Personen, die mittels mitgeführter Transparente und verbal die Aufhebung des Haftbefehls forderten. Angemeldet war diese Veranstaltung nicht. Die Kundgebung fand im wesentlichen auf einem Bürgersteig der S-Straße statt. Gegen 11 Uhr forderte der Einsatzleiter der Polizei mittels Lautsprecher die Teilnehmer dreimal auf, die S-Straße in Richtung Norden zu räumen. Während der 3. Aufforderung formierten sich die Teilnehmer zu einem Demonstrationszug und marschierten zur JVA.

Die Betroffene gehörte zu den Teilnehmern der Kundgebung. Ob sie sich auch an dem Demonstrationszug zur JVA beteiligt hat, konnte nicht festgestellt werden. Ihrer Einlassung nach will sie nach der 3. Räumungsaufforderung versucht haben, die S-Straße in Richtung Süden zu verlassen.

Durch Bußgeldbescheid vom 26. 10. 1983 setzte der Polizeipräsident in K. gegen die Betroffene eine Geldbuße von 200 DM fest. Auf ihren Einspruch hin hat das AG die Betroffene von dem gegen sie erhobenen Vorwurf freigesprochen. Die Rechtsbeschwerde der StA hatte Erfolg. ...

I. Im Ergebnis mit Recht hat das AG zunächst einen Verstoß der Betroffenen gegen § 113 OWiG aus Rechtsgründen verneint. Ein solcher scheidet aber nicht deshalb aus, weil es sich, wie das AG meint, bei der Veranstaltung auf der S-Straße nicht um eine Ansammlung i.S. von § 113 OWiG gehandelt hat. Eine Ansammlung liegt vor, wenn sich eine größere Anzahl von Personen - die Menge" - zusammenfindet, bei der es nicht mehr darauf ankommt, ob ein einzelner hinzukommt oder fortgeht. Wie die Ansammlung entstanden ist (organisiert oder zufällig), welchen Zweck oder welche gemeinsamen Interessen die Menschenmenge verbindet (Demonstration, Neugier) und welcher Art die Ansammlung ist, ist unerheblich (Göhler, OWiG, 7. Aufl., § 113 Rdnr. 4). Auch eine Versammlung ist eine Ansammlung. Während indes eine Ansammlung, die keine Versammlung ist, jederzeit zerstreut werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1974, 2144, 2146 f.), steht die Versammlung unter der Rechtsgarantie des Art. 8 GG. Eine Versammlung darf nur unter den gem. Art. 8 II GG, §§ 14, 15 VersG bestimmten Voraussetzungen aufgelöst werden. Wer sich trotz rechtmäßiger Auflösung einer öffentlichen Versammlung durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt, verhält sich nach § 29 I Nr. 2 VersG ordnungswidrig. Diese Bestimmung ist gegenüber § 113 OWiG die speziellere Vorschrift, so daß letztere, soweit es wie hier das Verhalten eines Teilnehmers einer Versammlung nach deren Auflösung anlangt, zurückzutreten hat (vgl. Göhler, aaO, Rdnr. 14).

II. 1. Zutreffend ist die Auffassung des AG, daß es sich bei der Kundgebung auf der S-Straße um eine öffentliche Versammlung i.S. von § 1 VersG unter freien Himmel gehandelt hat. ...

2. Soweit das AG aus Rechtsgründen die Verwirklichung des Tatbestands einer Ordnungswidrigkeit nach § 29 I Nr. 2 VersG verneint hat, lassen die Urteilsausführungen besorgen, daß das AG die Voraussetzungen verkannt hat, unter denen eine nicht angemeldete Versammlung unter freiem Himmel aufgelöst werden darf. Seine Annahme, allein der in der Nichtanmeldung liegende Ungehorsam rechtfertige noch nicht die Auflösung, vielmehr müsse es infolge der Nichtanmeldung der Versammlung zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gekommen sein, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu.

a) aa) Nach § 15 II VersG kann eine unter freiem Himmel stattfindende Versammlung u.a. dann aufgelöst werden, wenn sie nicht spätestens 48 Stunden vorher angemeldet worden ist.

Die Entscheidung darüber, ob in einem solchen Fall die Auflösung auch tatsächlich angeordnet werden soll, ist in das pflichtgemäße Ermessen des zuständigen Hoheitsträgers gestellt. Die Befugnis zur Auflösung einer Versammlung wegen fehlender Anmeldung gilt (entgegen einer in der Literatur weit verbreiteten Ansicht) nach der Rechtsprechung uneingeschränkt in den Fällen, in denen die rechtzeitige Anmeldung aus Nachlässigkeit oder gar Böswilligkeit unterlassen worden ist, obwohl sie ohne Gefährdung des Versammlungszwecks möglich gewesen wäre (BVerwGE 26, 1356 [BVerwGE 138] = NJW 1967, 1191; BayObLG, NJW 1969, 63, 65; OLG Düsseldorf - 3. Senat für Bußgeldsachen, JMBlNW 1981, 284, 285; a. M. Meyer, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 15 VersG Anm. 3a bb; Ott, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 4. Aufl., § 15 Rdnr. 14, und Dietel-Gintzel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 7. Aufl., § 15 Rdnr. 20). In einem solchen Fall hält der Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des 3. Senats für Bußgeldsachen des OLG Düsseldorf vom 9. 3. 1977 (3 Ss [Owi] 1407/76) die Auflösung der Versammlung bereits für zulässig, wenn sie als bloßes Mittel zur Durchsetzung der Einhaltung der Anmeldungsregelung angewandt wird.

bb) Eine Einschränkung der Auflösungsbefugnis wegen fehlender Anmeldung der Versammlung ist lediglich bei Eilversammlungen und bei Spontanversammlungen unter freiem Himmel angezeigt und geboten.

Unter Eilversammlungen sind dabei kurzfristig geplante und durchgeführte Versammlungen aus aktuellem Anlaß zu verstehen (vgl. OLG Karlsruhe, VRS 390, 391; Ott, aaO, § 14 Anm. 2, und Meyer, aaO, § 1 Anm. 6b), während die Spontanversammlung sich aus aktuellem Anlaß ohne vorherige Planung, Einladung oder Bekanntmachung oder sonstige Absprache augenblicklich bildet (Ott, aaO, § 1 Rdnr. 2, und Meyer, aaO, Anm. 6b). Bei letzterer läßt bereits das spontane Entstehen einer solchen Versammlung naturgemäß eine Anmeldung nicht zu, so daß das bloße Fehlen der Anmeldung nicht die Auflösung rechtfertigt. Bei Eilversammlungen hingegen hängt die Frage, ob eine Auflösung allein wegen fehlender Anmeldung erfolgen kann, davon ab, ob die Versammlung den ihr zugedachten Sinn und Zweck verlieren würde, wenn sie verschoben und erst nach Ablauf der 48stündigen Anmeldungsfrist abgehalten werden würde (OLG Karlsruhe, aaO). Verträgt die Versammlung keinen Aufschub, rechtfertigt auch hier allein die unterbliebene oder verspätete, Anmeldung die Auflösung nicht.

b) Nach den Urteilsfeststellungen ist vorliegend lediglich auszuschließen, daß es sich um eine Spontanversammlung gehandelt hat ... Nicht zu entnehmen ist jedoch den Urteilsausführungen, ob es sich bei Kundgebung auf der S-Straße um eine von langer Hand geplante Versammlung, deren Anmeldung unschwer möglich war, oder aber um eine Eilversammlung gehandelt hat, deren Verschiebung nach Sinn und Zweck nicht in Betracht kam. ...

c) Für die neue Verhandlung weist der Senat für den Fall, daß das AG zu der Feststellung gelangt, es habe sich bei der Kundgebung auf der S-Straße um eine nicht aufschiebbare und deshalb zulässigerweise nicht angemeldete Eilversammlung gehandelt, auf folgendes hin:

Ob eine solche Versammlung aufgelöst werden darf, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Hoheitsträgers. Die Ermessenserwägungen haben sich dabei am Zweck der gesetzlichen Regelung zu orientieren. Während die Anmeldung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel der Polizei Zeit zur Vorbereitung auf die damit verbundenen besonderen Gefahren durch Bereitstellung von ausreichenden Polizeikräften gibt, ist sie an dieser Vorbereitung gehindert, wenn die Versammlung nicht angemeldet ist. Deshalb genügt im Gegensatz zur angemeldeten Versammlung, die nach § 15 II VersG (letzte Alternative) i.V. mit § 15 I VersG nur bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgelöst werden kann, für die Auflösung einer solchen Versammlung bereits das Bestehen von Anhaltspunkten für den Eintritt der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, wenn der Polizei wegen der unterbliebenen Anmeldung ein für das Einschreiten im Falle von Störungen ausreichendes Kräfteaufgebot nicht zur Verfügung steht. Allerdings kommt auch hier angesichts des hohen Ranges des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit die Auflösung nur in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen als nicht ausreichend erscheinen.

Die von dem zuständigen Polizeibeamten getroffene Ermessensentscheidung, die Versammlung aufzulösen, ist nicht schon dann rechtswidrig, wenn sich bei nachträglicher Betrachtung ergibt, daß eine andere Entscheidung möglich und vertretbar gewesen wäre. Rechtswidrig ist die Ermessensentscheidung und damit die Auflösung der Versammlung nur, wenn der Beamte sein Ermessen mißbraucht, insb. wenn sein Handeln willkürlich, unverhältnismäßig oder ungeeignet ist. Ermessensfehler beseitigen die Wirksamkeit und damit die Rechtmäßigkeit der Auflösungsverfügung nicht (BGHSt 5 245 [250]; BayObLG, NJW 1969, 63, 64; OLG Düsseldorf - 3. Senat für Bußgeldsachen, JMBlNW 1981, 284, 285). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der ergangenen Auflösungsverfügung wird deshalb das AG davon auszugehen haben, wie sich die Situation aus der Sicht des zuständigen Polizeibeamten vor der Auflösungsverfügung darstellte. Angesichts der bei der Philadelphiade in K. erfolgten Krawalle wird dabei das AG auch prüfen müssen, ob von der hier in Rede stehenden Versammlung, deren Teilnehmer für die Freilassung eines anläßlich dieser Krawalle Inhaftierten demonstrierten, bei Fortdauer der Versammlung eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung drohte, der anders als durch die Auflösung nicht hinreichend wirksam begegnet werden konnte. ..."

§ 29a

(1) Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 16 Abs. 1 an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder an einem Aufzug teilnimmt oder zu einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder zu einem Aufzug auffordert.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Deutsche Mark geahndet werden.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 30

Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach § 27 oder § 28 oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a oder 3 bezieht, können eingezogen werden. § 74a des Strafgesetzbuches und § 23 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind anzuwenden.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 31

(Aufhebungsvorschriften)

§ 32

Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 des Dritten Überleitungsgesetzes auch im Land Berlin. Rechtsverordnungen, die auf Grund der in diesem Gesetz enthaltenen Ermächtigung erlassen werden, gelten im Land Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes.

Leitsätze/Entscheidungen:

§ 33

(Inkrafttreten)

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