Keine A49

VERNETZUNG IM KREATIVEN WIDERSTAND: VERSUCH, GELINGEN UND SCHEITERN

Bericht vom Seminar "Wo steht der Widerstand?"


1. Das sogenannte "Januartreffen"
2. Standorte zu Kuschelecken!!!?
3. Bericht vom Seminar "Wo steht der Widerstand?"

I. PHASE, Freitag-Abend
Nur zu sechst haben wir die Arbeit mit etwas gemischten Gefühlen aufgenommen. In einem ersten Schritt haben wir überlegt, was unsere Ziele/Erwartungen und die von anderen beim Expo-Widerstand waren.
Dabei kam heraus:
  • Öffentlichkeitsarbeit, auch in den herrschenden Medien
  • Öffentlichkeitsarbeit, die das Weltbild der Expo angreift, nicht nur Expo als Großprojekt, z.B. Nachhaltigkeitskritik - den Themenpark demaskieren
  • die Verstrickung von Zukunftsvisionen und Unternehmenspräsentation aufzeigen
  • das dezentrale Aktionskonzept ausprobieren
  • ein 2. Battle of Seattle
  • ein Bündnis sozialer Bewegungen schaffen
  • neuen Schwung in die Linke bringen
  • NGOs und soziale Bewegungen zusammenbringen bzw. NGOs zum Ausstieg aus der Expo bewegen
  • eine feste Gruppe auf lokaler Ebene, die sich mit Expo-Thema befaßt
  • Utopien d.h. Gegenbilder zur Expo entwickeln
  •  individuell positive Ziele finden (wofür kämpfe ich?)
  • selbständig an Quellen arbeiten, nicht nur Vorgekautes lesen

Wir stellten fest, daß die Punkte sich in drei Kategorien aufteilen lassen: in 1. die Öffentlichkeit, 2. die Bewegung und 3. die einzelnen Menschen betreffende Punkte.
Dabei kamen ab und zu Erfahrungen zur Sprache, die wir in der Anti-Expo-Arbeit gemacht haben, bzw. Fragen, die sie aufgeworfen hat:
  • inwieweit kann legale politische Arbeit offen gemacht werden, ohne Repression befürchten zu müssen?
  • mal was neues bei der Expo war, daß die Präsentationsform Ausdruck von Manipulation und Herrschaft war

II. PHASE Samstag
Im Lauf des Vormittags trudelten zwei weitere Personen ein, dabei sollte es endgültig bleiben. Wenigstens waren wir aus unterschiedlichen Städten: Freiburg, Stuttgart, Überlingen, München und Tübingen. Mit Überlingen kam auch die Ausstellung ?Gegenbilder zur Expo? an. Später am Tag wurde sie noch im großen Saal des Umweltzentrums aufgebaut.
Der zweite Schritt war nun, festzustellen, inwieweit die ermittelten Ziele angemessen waren, inwiefern sie erreicht wurden und was daraus gelernt werden kann:
Bereich Öffentlichkeitsarbeit:
  • eine überzogene Erwartung ist es, in den herrschenden Medien eine gute (überhaupt eine?) Berichterstattung zu bekommen, trotzdem ist es sinnvoll, Öffentlichkeitsarbeit zu machen, nicht zuletzt, um es zu üben
  • die Kritik am Weltbild der Expo kam nicht richtig rüber, dazu hätte es viel mehr Aktionen wie z.B. Straßentheater, Plakatierungen, Flugis, Transpis... geben müssen
  • erst mal klären, welche Öffentlichkeit erreicht werden soll: Leute, die auf der Straße an uns vorbeigehen, Leute, die die Zeitung lesen...

Bereich Bewegung:
  • die Erwartung eines 2. Seattle war überzogen, weil viele potentiellen GegnerInnen in die Expo integriert waren und noch nicht einmal für die eigene Szene die Expo-Kritik verständlich und klar war; wir wollen grundsätzlich von keiner Mobilisierung mehr erwarten, sie sei das ?Non plus ultra?, sondern sie lediglich als einen Schritt in Richtung unserer Ziele sehen - zur Kooperation mit NGOs: zunächst wurde ?typische NGO-Politik? damit beschrieben, daß sie eine gute Taktik darstellt, um konkrete Schritte zu erreichen, aber nicht visionär ist. NGOs arbeiten sich an einzelnen Auswüchsen ab (z.B. tobin tax von ATTAC), hinterfragen oft Machtverhältnisse nicht (z.T. Taktik?) und wollen an ?Runden Tischen? mit Wirtschaft und Politik ernstgenommen werden. Sie erfüllen eine bestimmte Funktion: sie übernehmen soziale und ökologische Belange, die der neoliberal orientierte Staat abstößt. Dabei sollte aber beachtet werden, daß der Übergang zwischen NGO und sozialer Bewegung fließend ist (Bsp. BUKO, medico...). NGOs sind oft das ?professionalisierte? Ergebnis aus der Schwäche von Bewegungen. Im Fall der Expo war Kooperation kaum möglich, weil fast alle NGOs dabei waren. In Zukunft müßte wieder viel mehr laufen in Richtung NGO radikalisieren, ihre Basis mobilisieren etc.
  • um soziale Bewegungen zu verbinden, müssen mehr Strukturen geschaffen werden, die für die einzelnen Bewegungen keine Zusatzarbeit bedeuten, sondern die ohnehin bestehende Arbeit in einen gemeinsamen Zusammenhang stellen

Bereich Individuum:
  • für die Beschäftigung mit Gegenbildern müssen Foren geschaffen werden: Gegengipfel, Ausstellungen, Kongresse etc. Zum Teil gab es das (Buch, Ausstellung), allerdings in Formen, die zwar zur Diskussion anregen, aber sie nicht führen.
  • zum Auffinden von individuellen Zielen sich kontinuierlich (in Kleingruppen) damit beschäftigen

III. PHASE
Das ursprüngliche Konzept des Seminars, Kleingruppen zu einzelnen Themen zu bilden, wurde verworfen. Stattdessen wurden wichtige Punkte gesammelt, die wir noch genauer diskutieren wollten:
  • Kriminalisierung
  • der "humanitäre Deckmantel"
  • Gentechnik und Weltbilder
  • Visionen
  • Kontinuität in politischer Arbeit

Aus Zeitmangel konnten nicht alle genannten Punkte diskutiert werden. Die erste Diskussion betraf den "humanitären Deckmantel". Wir sammelten und diskutierten erstmal die Situationen, in denen der "humanitäre Deckmantel" auftaucht:
  • "humanitäre" Kriege und Maßnahmen zur Migrationsverhinderung
  • "humanitäre" Kriege im Sinne einer imperialistischen Geostrategie oder bei Rohstoffinteressen
  • naive Beihilfe (z.T. Rotes Kreuz) zur Migrationsverhinderung, Stichwort "Abenteuer Menschlichkeit" - "Tag des ausländischen Mitbürgers"
  • staatlicher Antifaschismus (seit den rechten Übergriffen auf AusländerInnen im Sommer), der eigentlich nur zur Imagepflege und "Standortsicherung" dient
  • Verschärfung von Lebensbedingungen wird überdeckt durch positives Neusprech (Wörter wie ?Freiheit? und ?Flexibilität?)
  • Greencard
  • Multikulti-Getue überdeckt Unterscheidung nach "nützlichen und unnützen" AusländerInnen
  • grüne Gentechnik heißt "Food Design", eine Müllkippe heißt "Entsorgungspark"
  • Bevölkerungskontrollmechanismen zur angeblichen Verbesserung der Lebenslage
  • Sterbehilfe aktiv (durch den Arzt) und passiv (durch eigenen Wunsch keine lebensverlängernden Maßnahmen) als "selbstbestimmtes" Ableben ist leicht mißbräuchlich (Bsp. alte/kranke Leute werden unter Druck gesetzt, weil sie Angehörigen nicht zur Last fallen wollen)
  • "Armutsbekämpfung" als Legitimation für wirtschaftsfördernde Maßnahmen
  • Entmündigung durch neokoloniale Kontrollansprüche als ?Bürde des weißen Mannes?
  • Überwachungstechnologien unter dem Deckmantel ?Service? und ?Leben erleichtern?
Zumindest im Fall der Kriege, überlegten wir, sind Menschenrechte die neue Rechtfertigungsstrategie nach dem Wegfall des Ostblocks. Damals wurden Kriege damit rechtfertigt, gegen den realexistierenden Sozialismus vorgehen zu müssen.
Wir haben weiter überlegt, wie wir dieser neuen Strategie begegnen können, welche Konsequenzen wir für unsere politische Arbeit ziehen:
  • Neusprech demaskieren und veröffentlichen
  • Überspitzung und Kommunikationsguerilla
  • wirkliche Gründe offenlegen, Verknüpfungen herstellen, Gegenöffentlichkeit
  • Selbstbestimmung einfordern
  • Bsp. Migration: offene Grenzen und das Recht auf selbstbestimmtes Fluten fordern. Es gibt auch Möglichkeiten, nicht nur zu fordern, sondern zu handeln, Fluchthilfe zu praktizieren Bsp. Selbsthilfegruppen, "Krüppelinitiative" Bsp. "autonome pränatale Diagnostik" - dieser Punkt war heftig umstritten. Die einen waren der Meinung, daß bei unabhängiger und guter Beratung pränatale Diagnostik angewendet werden könne, die anderen fanden allein schon die Existenz einer solchen Technologie problematisch, da dadurch die Möglichkeit der vorgeburtlichen Selektion angelegt ist.
  • Bsp. positiver Begriff von selbstbestimmter Sexualität und Kinderkriegen
  • ExpertInnenmacht hinterfragen und selbst entscheiden
  • Wissen selbstbestimmt aneignen, Wissen weitergeben, Wissen einfacher erklären
  • Imageverschmutzungen (Bsp. Demo "Für ein Verbot der SPD", Lufthansa-Aktion ?deportation class?)

Abends gabs dann noch eine nichtprotokollierte Diskussion über die Kontinuität in der politischen Arbeit. An folgende Punkte kann ich mich noch erinnern:
  • als wichtigste Voraussetzung sahen wir eine feste Gruppe an, die sich schwerpunktmäßig mit einem oder mehreren Themen beschäftigt, aber eine gesamtgesellschaftliche Perspektive hat - im Gegensatz dazu ist eine Gruppe, die sich nur für die Zeit der Expo oder eines anderen Großereignisses gründet, eine schlechte Voraussetzung für Kontinuität
  • wir berichteten von den Schwierigkeiten, die wir in den Städten mit festen oder nicht vorhandenen festen Gruppen haben - die Mobilisierung auf Großereignisse nur als kleine Schritte zur Verwirklichung unserer Ziele ansehen
  • zu Kontinuität gehörte für uns auch die Verankerung in der Gesellschaft, d.h. Zusammenarbeit in bestimmten Fällen mit Betroffenen, Gewerkschaften, StudentInnen usw.
  • ???

Sonntag
Am Sonntag-Vormittag beschäftigten wir uns noch mit dem Thema Humangenetik. Eine Person hatte dazu ein Referat vorbereitet:
  • der Themenpark Mensch auf der Expo einschließlich Film, der dort gezeigt wird
  • wie weit ist die Forschung wirklich

Daran schloß sich noch eine Diskussion über pränataldiagnostische Methoden an.

Schlußbewertung
Die geringe TeilnehmerInnenzahl spiegelt die geringe Verankerung in lokalen Gruppen wider. Auch aus verschiedenen Teilbewegungen war niemand da (z.T. trotz fester Zusage, als ReferentIn zu kommen). Wir möchten in Zukunft keine Vernetzungsstruktur mehr aufrecht erhalten, ohne funktionierende lokale Gruppen zu haben. Obwohl das ursprüngliche Konzept nicht durchgeführt werden konnte, war das Seminar nicht umsonst. Diskussionen, wie sie dort geführt wurden, kommen in den Städten selbst in vorhandenen funktionierenden Gruppen oft zu kurz.
Das Seminar hat nicht dazu beigetragen, konkrete Schritte der weiteren Zusammenarbeit zu klären. Wie oben schon erwähnt, wollen wir die Zusammenarbeit ohne lokale Verankerung auch nicht weiter aufrecht erhalten.
Stattdessen war das Seminar für einige von uns dazu gut, zu klären, mit welchen Themen wir uns in Zukunft beschäftigen wollen, wie wir die Verknüpfung zwischen den einzelnen Teilbereichen herstellen und wie wir persönlich demnächst weitermachen.

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