Demokratie

SPIEL ZUR SELBSTORGANISIERUNG IM ALLTAG

Ein Tag in der Großstadt - möglichst ohne Geldausgeben


1. Möglichkeiten und Grenzen im Gratisleben
2. Aktion statt Rückzug
3. Ein Tag in der Großstadt - möglichst ohne Geldausgeben
4. Planung, Strategie, organisiertes Vorgehen
5. Generation Wurfzelt? Selbstorganisierung ist "out"
6. Mehr Quellen, Links und Materialien

Der Lektor dieses Buches empfand die folgende Geschichte als ziemlich caivinistisch und wenig propagierenswert. In der Tat soll es hier nicht darum gehen, wirklich Bedürftigen ihre Pfründe abzugraben, sondern es geht um gelebte Selbsterfahrung. Wie kann man sich im Großstadtdschungel allein durchschlagen? Welche Probleme hat man mit dem Betteln? Ich habe solche Erfahrungen selber auch gemacht und möchte sie nicht missen. Aber wir wissen ja: Geben ist seliger denn nehmen.

Spielidee: Ausgangslage
Du lebst in einer. Und du tust es aus Not, ich komme als Touristin und tue es aus steinböckischer Mark- und Pfennigfuchserei. Eine sehr ungleiche Ausgangslage - aber das Widerstandsmotiv bildet die Brücke: Geld dürfe nicht so übermächtig sein, soll nicht alles bestimmen. Bisheriges Spiel: Silbergeld horten und verlegen - dann die Überraschung, wenn du es wiederfindest, Material kaufen kannst - für deine Arbeit. Neues Spiel: Tauschen, finden, handeln, schlauchen, klauen.

Tabelle der Punkte:
  • Klauen, übervorteilen 1 Punkt
  • schlauchen, (aus)nutzen 3 Punkte
  • handeln (ver-, runter-, nett be-) 3 Punkte
  • finden, selbermachen, entdecken, sparen 5 Punkte
  • tauschen 10 Punkte
  • 1 Tag ohne Geld 100 Punkte
  • nicht einzuordnendes: bes. Punkte

Beispiele
Schwarzfahren zum Beispiel, in Kaufhäusern beiläufig, bei Gelegenheit, etwas mitgehen lassen - das ist weder neu noch originell - aber ökonomisch und befriedigend; als kleiner Racheakt an schlecht gemachten öffentlichen Systemen.
Für das "Schlauchen" - von der Zigarette bis zur freien Benutzung von jemandes Automobil - gebe ich mir 3 Punkte gut, das gleiche wie für "Handeln" (ver-, be-, runter-). Weil das Bitten, Betteln, Schnorren mir besonders schwerfällt. Eigentlich müßte Handeln mehr bringen, finde ich, weil dabei mindestens zwei profitieren - aber auch das ist kapitalistisch verseuchtes Denken bei mir, deswegen: auch für das Erbitten von Geschenken drei Punkte. Heute morgen habe ich mir zehn Punkte gutgeschrieben, weil ich im Bioladen die "recycelten" Brötchen gegen ein neues getauscht habe und mittags drei Punkte, als mich eine nette Frau, die ich nach der Kantstraße gefragt hatte, eingeladen hat zum Essen am Wurststand.
Das könntest du nicht, sagst du, als Frau dich einladen lassen von Männern - ich bin da unsensibler. Du gehst manchmal kurz vor Schluß zu Märkten, um die Schleuderpreise zu nutzen und nach Schluß Lebensmittel im Rinnstein zu finden. Ich finde im Container an der Goethestraße ein schönes altes Waschbecken und bringe es meinen Gastgebern (denn selbstverständlich wohne ich so gut wie nie in Pensionen): macht (nur) fünf Punkte, obwohl ich weiß, die suchen grad so eins, Bügeleisen ist in ihres geknallt.
Während du, Chris, das Essen in Behördenkantinen empfiehlst - da gab es mal einen Leitfaden, wo überall man 'in Westberlin sich für unter zehn Mark satt essen konnte - Casinos, Mensen, Werkskantinen - verbringe ich einen Tag in Frankfurt - ganz ohne Geld - und habe dabei warm gesessen, gut gegessen und mich prächtig "unterhalten".
Das ergibt schon hundert Punkte, ein Tag in der Großstadt ohne den "Vol kskraftstoff". Dazu kommen die ganzen Einzelpunkte, also - dreimal ÖPNV (Öffentlicher PersonenNahverkehr), davon zweimal schwarz gefahren, einmal mit gefundenem Ticket, macht zweimal einen, einmal fünf, also sieben Punkte. Viel zu Fuß gegangen echtes Sparen, nochmal 10 Punkte.

  • Fünf Punkte für die Zeit in der Hessischen Staatsbibliothek, in der ich den ganzen Nachmittag ein hochinteressantes Buch über die Ursprünge der Graphoiogie studiere (kostenlos, denn in die Lesesäle kann jeder).
  • Drei Punkte für den alten Trick, mit Dazugehörigkeitsmiene in den Pulk, der den Referenten umgibt, in einen Vortrag über "Geburt, Tod und Transzendenz" hineingekommen zu sein (Uni Frankfurt), ohne die acht Mark Eintritt zu löhnen. Ich definiere das als )schlauchen(, eher denn übervorteilen. Universitäten sind groß zum Überleben.
  • Drei Punkte für das Mitgenommenwerden im Auto von einem Geschlechtsgenossen, obwohl ich nur an der Ampel Gutleutstraße stand und nicht gewinkt hatte (ich könnte mir für diese Meisterleistung in Vibrations auch 30 Punkte gutschreiben).
  • Fünf Punkte für die Forsythienzweige, die ich beim Gang durch den WestendPark aus den Schubkarren der ABM-Kräfte geklaubt und meiner gastgeben den WG mitgenommen habe.

Und: Nichts getauscht an dem Tag? Ich könnte die bei EDEKA mitgenomme nen Spankisten zum Anheizen der WG Öfen als Tauschobjekte für mein Frühstück und Abendbrot bei den Freunden betrachten. Aber da hört das Punktieren einfach auf. Ich zähle meine Punkte meist nicht am Abend des Tages zusammen, erst jetzt, wo ich dies schreibe: In Frankfurt damals waren's 133 bis 161 Punkte. Auf alle Fälle ein Rekordtag. Gionia Ventura

Verändert nach: Pieper, Werner: "Widersteh' Dich!", W. Piepers Medienexperimente in Lörrach (S. 235 ff.)


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