Demokratie

NICHT VERRÜCKT MACHEN LASSEN: SELBSTSCHUTZ FÜR ALLE UND TIPPS FÜR BETROFFENE

Tipps gegen Zwangsbehandlung


1. Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
2. Tipps gegen Zwangsbehandlung
3. Wie kommt mensch wieder raus?
4. Akteneinsicht
5. Adressen, Beratung, Anlaufstellen
6. Repressionsschutz allgemein
7. Gesetze, Urteile, Kommentare
8. Alternativen

Einsperren
Die zwangsweise Unterbringung ist auf verschiedener Rechtsgrundlage möglich - und weit verbreitet.
  • Per Strafrecht (forensiche Psychiatrie): Immer der schwierigste Fall und meist auch die Haft mit den wenigstens Perspektiven. Eine gute Strafverteidigung ist daher wichtig.
  • Über eine Betreuung: Dier Betreuer*in ordnet die Unterbringung an, wenn sie über das Recht der Aufenthaltsbestimmung verfügt. Dagegen kann mensch sich beschweren, jedoch ist sicherer, eine Fremdbetreuung von Vornherein abzuwehren über eine Patient*innenverfügung mit Vorsorgevollmacht.
  • Vorläufige Unterbringung: Hier gibt es klare Vorgaben des Bundesverfassungsgericht, die allerdings immer wieder von den Anstalten und den unteren Gerichten missachtet werden. Auch hier ist hilfreich, rechtzeitig eine Patient*innenverfügung mit Vorsorgevollmacht abzufassen. Dem BVerfG-Beschluss ist zudem zu entnehmen, dass die Verweigerung des Mitmachens bei der psychiatrischen Untersuchung hilft.

Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.5.2023 (Az. 2 BvR 637/23)
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Unterbringung jedoch nicht verhältnismäßig, wenn sich der Betroffene weigert, die erforderlichen Untersuchungen zuzulassen beziehungsweise an ihnen mitzuwirken. Insbesondere dann, wenn eine Exploration erforderlich wäre, die Mitwirkung hieran aber verweigert wird und ein Erkenntnisgewinn daher nur bei Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden oder einer anderen Einflussnahme auf die Aussagefreiheit des Betroffenen zu erwarten ist, ist die Anordnung der Unterbringung nicht verhältnismäßig (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2001 - 2 BvR 1523/01 -, Rn. 20). Zielt das Untersuchungskonzept darauf ab, den Betroffenen in seinem Alltagsverhalten und seiner Interaktion mit anderen Personen zu beobachten, so steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer derartigen „Totalbeobachtung“ unüberwindbar entgegen. In einem solchen Fall wäre der Betroffene nur noch Objekt staatlicher Erkenntnisgewinnung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2001 - 2 BvR 1523/01 -, Rn. 22).

Medikamente

Gutachter_innen, Ärzt_innen usw.
Keine freie Ärzt_innen-/Therapeut_innenwahl
Aus dem Urteil des BVerfG, 2 BvR 443/02 vom 9.1.2006
Der Untergebrachte kann seinen Arzt und andere Therapeuten nicht frei wählen. Er kann selbst dann nicht nach eigenem Wunsch in ein anderes Behandlungsverhältnis wechseln, wenn ihm jedes Vertrauen zum Therapeuten fehlt und nach seiner Wahrnehmung die Beziehung zerrüttet ist. Auch wo solche Einschätzungen rein subjektiven Charakter haben, ist unter diesen Bedingungen das Selbstbestimmungsrecht des Behandelten durch Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Teilen der eigenen Krankenunterlagen wesentlich intensiver berührt als in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis, in dem der Betroffene - wie auch der Bundesgerichtshof hervorgehoben hat (BGHZ 85, 327 (329)) - sein Selbstbestimmungsrecht dadurch ausüben kann, dass er sich aus dem Behandlungsverhältnis zurückzieht.

Begutachtungen
Betroffene dürfen Zeug_innen zu Begutachtung mitbringen
Aus dem Beschluss des OLG Hamm vom 3.2.2015 (Az. 14 UF 135/14)
Soweit ersichtlich, ist bisher erst durch zwei obergerichtliche Entscheidungen, die auch vom Antragsgegner zitiert worden sind (OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 1441; LSG Rheinland-Pfalz NJW 2006, 1547), ein Anspruch auf Anwesenheit einer Begleitperson anerkannt worden. ...
In der Sache schließt sich der Senat allerdings den beiden oben zitierten Entscheidungen an. Ausschlaggebend ist dabei vor allem der Gesichtspunkt, dass ein medizinisch oder psychologisch zu begutachtender Beteiligter ansonsten keine Möglichkeit hätte, gegenüber abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Behauptet er nach Vorliegen des Gutachtens, der dort wiedergegebene Hergang einer Untersuchung oder eines Explorationsgesprächs sei in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, so wird sich der Sachverständige in der Regel darauf berufen, den Hergang nach seiner Überzeugung und Erinnerung richtig aufgezeichnet zu haben. Wenn die Unrichtigkeit der Wiedergabe dann nicht ausnahmsweise durch objektive Anhaltspunkte gestützt wird, hat der Beteiligte keine Möglichkeit, sie zu belegen und sich damit erfolgreich gegen ein ihm nachteiliges Gutachtenergebnis zu wenden. Die Hinzuziehung einer Begleitperson hingegen erlaubt es ihm in diesem Fall, mit Aussicht auf Erfolg einen Zeugenbeweis anzutreten. Gegenüber diesem wesentlichen Verfahrensgesichtspunkt muss die Besorgnis einer etwaigen Beeinflussung des Untersuchungsganges – speziell im psychiatrischen und psychologischen Bereich – durch die bloße Anwesenheit der Begleitperson in einer angemessenen Hörweite hingenommen werden. Falls der Sachverständige nach der Untersuchung zu der begründbaren Auffassung gelangen sollte, dass eine Beeinflussung erfolgt sei und das Untersuchungsergebnis deshalb eine geringere Aussagekraft habe als wenn es ohne Begleitperson gewonnen worden wäre, kann er dies in seinem Gutachten darlegen, ebenso wie er es tun müsste, wenn die Aussagekraft durch eine gänzliche Weigerung, sich begutachten zu lassen, oder durch sonstige fehlende Tatsachengrundlagen herabgesetzt wäre. Die Würdigung hätte dann letztlich das Gericht vorzunehmen.
Nicht zu gestatten ist hingegen einer mitgebrachten Begleitperson, sei es dem anwaltlichen Bevollmächtigten oder einem Privatgutachter, eine Beteiligung an dem Untersuchungsgespräch durch Fragen, Vorhalte oder sonstige Äußerungen. Hierdurch wäre bei einer medizinischen oder psychologischen Untersuchung, anders als z. B. bei einem baurechtlichen Ortstermin, eine erhebliche Störung der Untersuchung und auch Beeinflussung ihres Ergebnisses zu befürchten, wohingegen die Rechte des zu Begutachtenden in diesem Punkt durch die Möglichkeit nachträglicher schriftlicher Stellungnahmen und/oder einer mündlichen Befragung des Sachverständigen im Gerichtstermin hinreichend gewahrt sind.


Diagnose, Untersuchung, Begutachtung usw.
Mindestanforderungen an die Qualität psychiatrischer Gutachten
Kriterien und Mindestanforderungen laut Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen (21 K 1220/09.GI.B):
  • Erst-Gutachten werden durch methodenkritische Gegengutachten außer Kraft gesetzt, für welche die persönliche Begutachtung des Probanden nicht notwendig ist, sondern welche durch methodisch-wissenschaftliche Prüfung der Erst-Gutachten auf deren Mängel und Unstimmigkeiten entstehen
    (gegenteilig die niedersächsische Praxis der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte und aller anderen Gerichte in Lüneburg / Celle, wozu immer eine persönliche Begutachtung als Gegen-Gutachten stattfinden muß, aber - weil diese ein Privat-Gutachten ist - nicht anerkannt werden darf, ... (Absatz 112)
  • Einhaltung internationaler Kriterien ist notwendig (Absatz 116, 117)
    Inbezugsetzung ist unerläßlich (Absatz 120)
  • Dder Gutachter muss Beweis für die angebliche Wahnhaftigkeit der Aussagen des Probanden erbringen, also den Beweis, daß die Aussage des Probanden nicht der Wahrheit entspricht (Absatz 121)
  • Vorerkenntnisse sind zwingend einzubeziehen. (Absatz 125,126)
  • Zwingende Auseinandersetzung mit Vorergebnissen (Absatz 141, 142)
  • Die Grundsätze der Neutralität sind verletzt, wenn ein Gutachter nicht zumindest annimmt, daß die Aussagen des Probanden der Wahrheit entsprechen könnten (Absatz 127)
  • Das Fehlen von Testuntersuchungen oder sonstige mangelnde Nutzung des wissenschaftlichen Instrumentariums führt zur Ungültigkeit des Gutachtens. (Absatz 130, 131, 132, 134, 141)
  • Mindestens zwei Stunden Begutachtungsdauer sind zwingend. Selbst eine Stunde ist völlig unangemessen (Absatz 135)
  • Die Berufspflicht gilt uneingeschränkt, es darf nicht zu Gepflogenheiten / Usancen kommen (Absatz 147)

Fehlerhafte Gutachten
Aus dem Urteil des BVerfG, 2 BvR 443/02 vom 9.1.2006
In der Praxis weisen Gutachten aber gerade hinsichtlich der Auswertung der Akten häufig Mängel auf (vgl. Kröber, NStZ 1999, S. 593 (594, 598)).

Zeug_innen bei Begutachtung und Untersuchungen
Vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 4 B 33/06 vom 23.02.2006
Eine körperliche Untersuchung durch einen ärztlichen Sachverständigen ist generell ein starker Eingriff in die persönlichkeitsgebundene Intimsphäre, in den die zu untersuchende Partei stillschweigend oder ausdrücklich einwilligt. Will sie nicht untersucht werden, so sieht das Prozessrecht keinen Zwang vor, vielmehr beurteilen sich die Folgen –auch im sozialgerichtlichen Verfahren– gegebenenfalls nach der Beweislast oder den Regeln über eine Beweisvereitelung. Bei einer solchen Untersuchung muss der zu Untersuchende, wenn er eingewilligt hat, zudem dulden, dass die für den Beweisgegenstand maßgeblichen Umstände vom untersuchenden Gutachter und Arzt entgegen dem sonst geltenden Arztgeheimnis im Gutachten oder bei der Anhörung des Gutachters offenbart werden. Diese Duldungspflicht geht aufgrund des Schutzes der Intimsphäre und der Menschenwürde des zu Untersuchenden nicht so weit, dass während und bei der Untersuchung außer dem ärztlichen Sachverständigen und eventuell dessen Hilfspersonal Dritte anwesend sind und dadurch die Intimsphäre des zu Untersuchenden berührt wird. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Ausschluss der Parteiöffentlichkeit von der ärztlichen Untersuchung durch den Sachverständigen als Schutzmaßnahme zugunsten des zu Untersuchenden, und nicht als prozessuales Instrument des Sachverständigen, Dritte hiervon auszuschließen. Der Grundsatz des Anspruchs auf ein faires Verfahren verpflichtet den Richter, wie den Sachverständigen, vielmehr zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation (vgl. BSG, Beschluss vom 9. April 2003, Az.: B 5 RJ 140/02 B). Deshalb dürfte ein genereller Ausschluss von Vertrauenspersonen des zu Untersuchenden, seien es der Ehepartner oder auch der Anwalt, weder dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit noch gar dem des fairen Verfahrens entsprechen. Denn angesichts der tief in die Persönlichkeit und Menschenwürde des zu Untersuchenden eingreifende Beweisaufnahme durch einen ärztlichen Sachverständigen kann –selbst aus unsachlichen Gründen– seine Begleitung durch eine Vertrauensperson bei der Untersuchung gerechtfertigt sein. Dann mag zwar der Sachverständige die Untersuchung ablehnen, wenn er hierfür sachliche Argumente hat. Wenn er sie aber nicht durchführen will, weil in Anwesenheit einer Vertrauensperson des zu Untersuchenden nicht das "notwendige Vertrauensverhältnis" hergestellt werden könne und eine "ordnungsgemäße Begutachtung" so nicht möglich sei, wie der vom Sozialgericht bestellte Sachverständige ohne weitere überzeugende sachliche Begründung in den Telefaxen vom 01.12.2005 mitgeteilt hat, dürfte das Misstrauens des zu Untersuchenden in die Objektivität des Sachverständigen nachvollziehbar und der Sachverständige damit ausgeschlossen sein.

Tenor im Beschluss des OLG Hamm vom 3.2.2015 (Az. 14 UF 135/14)
Die Sachverständige wird gemäß § 404a Abs. 1 ZPO angewiesen, bei den mit dem Antragsgegner durchzuführenden Explorationsgesprächen die Anwesenheit einer von ihm mitgebrachten, sich an den Gesprächen nicht beteiligenden Begleitperson in angemessener Hörweite zuzulassen.

Betreuung
Eine gefährliche Sache - und einer der häufigsten Gründe für Einweisungen - ist die aufgezwungene Betreuung.

Was hilft?
Die Patient*innenverfügung ist wichtig und Grundlage aller Versuche, sich zu wehren.
  • Gericht entscheidet: Zwangsbehandlung nur unter Beteiligung des Pflichtverteidigers
    Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.1.2023, Az 3 Ws 488/22 ++ Pressemitteilung des Gerichts

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