Demokratie

TIPPS BEI FESTNAHMEN

Was bei jeder Festnahme, Vorladung und Polizeikontakt gilt ...


1. Einleitung
2. Festnahme und Inhaftierung (Gewahrsam) nach Polizeirecht
3. Festnahme und Haft nach Strafrecht
4. Vorläufige Festnahme bei Verdacht einer Straftat
5. Was bei jeder Festnahme, Vorladung und Polizeikontakt gilt ...
6. Beschwerdemöglichkeiten
7. Links und Materialien

Es gibt keinen einzigen positiven Punkt, bei der Polizei eine Aussage zu machen, aber einige negative.
Zum Zeitpunkt der ersten Kontakte mit den Repressionsbehörden weißt du in der Regel wenig oder nichts über das Wissen der Polizei. Haben sie Beweise, Fotos, Zeug*innenaussagen? Oder haben sie eigentlich gar nichts in der Hand und hoffen nur, du würdest gestehen oder was ausplaudern? Vielleicht sind sie sich gar nicht sicher, ob du die betreffende Person bist. Und selbst, wenn du denkst, sie wüssten es genau - vielleicht haben sie total ungenaue Berichte verfasst, eigenes Material verschludert oder einfach einen Fehler gemacht, eine Verwechselung.
Alles das kannst du erst wissen, wenn du in die Akte geschaut hast. Dann wäre es dir auch immer noch möglich, eine Aussage zu verfassen und dem Gericht zu schicken - was aber auch dann in der Regel nicht empfehlenswert ist. Es fällt dir aber so oder so nicht mal eine Handlungsoption weg.

Ein Erfahrungsbericht
Ich hätte mir wahrscheinlich eine Verurteilung erspart, wenn ich mal nicht hingegangen wäre (auch wenn ich da auch nicht vorgehabt hatte eine Aussage zu machen). Der Vorwurf war Vermummung, das Bildmaterial war mittelmäßig, und weil ich aber dort saß, schrieb der Polizist in seinen Bericht an die Staatsanwaltschaft, dass ich zwar keine Aussage mache, aber ich würde der Person auf dem Foto ähnlich sehen. Gut möglich, dass es ohne mein Erscheinen eingestellt worden wäre.

Du kannst aber auch noch andere Sachen versuchen. Zum Beispiel ganz oft anrufen und den Termin immer wieder verschieben und mal gucken, wie oft du einen neuen Termin bekommst.
Oder aber die Vorladung als Eintrittskarte ins Polizeigebäude nutzen, um dort diverse Sachen (natürlich nichts Verbotenes wie Stickern, oder mit dem Edding irgendwas vollmalen, oder eigene Broschüren in die Ständer zu legen, oder sowas, nene) zu machen, nur halt nicht im vorgesehenen Büro ankommen (geht natürlich nur, wenn sie einen nicht an der Tür abholen).
Wenn du nichts ausrichten kannst, geh halt wieder nach Hause. Festhalten dürfen sie dich nicht, wenn du deinen Willen, mit ihnen zu reden, plötzlich kurz vor einem Termin änderst.

Vernehmung
Der Versuch, eine festgenommene oder sonst beschuldigte Person zu vernehmen, findet in der Regel nur bei Verdacht auf eine Straftat statt. Da ist sie sogar vorgeschrieben, allerdings ohne festen Zeitpunkt. Allerdings dürfen Aussagen nicht erzwungen werden.

§ 136 StPO Erste Vernehmung
(1) Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 Absatz 1 und 2 die Bestellung eines Verteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und 3 beanspruchen kann. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.
(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.
(3) Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.


§ 136a StPO
(1) Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zuläßt. Die Drohung mit einer nach seinen Vorschriften unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils sind verboten.
(2) Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind nicht gestattet.
(3) Das Verbot der Absätze 1 und 2 gilt ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten. Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.


§ 163a StPO Vernehmung des Beschuldigten
(1) Der Beschuldigte ist spätestens vor dem Abschluß der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, daß das Verfahren zur Einstellung führt. 2§ 58a Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 und 3 sowie § 58b gelten entsprechend. 3In einfachen Sachen genügt es, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern.
(2) Beantragt der Beschuldigte zu seiner Entlastung die Aufnahme von Beweisen, so sind sie zu erheben, wenn sie von Bedeutung sind.
(3) Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen. Die §§ 133 bis 136a und 168c Abs. 1 und 5 gelten entsprechend. 3Über die Rechtmäßigkeit der Vorführung entscheidet auf Antrag des Beschuldigten das nach § 162 zuständige Gericht. 4Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. 5Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar.
(4) Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. 2Im übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 4, Abs. 2, 3 und § 136a anzuwenden.
(5) § 187 Absatz 1 bis 3 und § 189 Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.


Aussagen – zur Sache nie. Aber nerven, vermitteln ...
Auf keinen Fall irgendwelche Angaben zur Sache, zu tatsächlichen Geschehnissen, zu Personen oder Strukturen machen. Das alles hilft den Repressionsbehörden. Was Euch entlastet, kann andere belasten oder zumindest die Fahndung fokussieren. Gerade die, die ein gutes Alibi haben (also nachweislich mit einer etwaigen Straftat nichts zu tun hatten), sollten darüber schweigen, damit die Polizei weiter im Dunkeln tappt. Außerdem kann nie garantiert werden, ob die Polizei nicht einfach auch einen Tatverdacht erfindet – trotz gutem Alibi. Die Uniformierten sind keine Freunde und Helfer, auch wenn sie sich noch so nett verhalten. Sie sind willige Vollstrecker herrschender Interessen, also zählen wohl eher nicht Eure Bedürfnisse.
Keine Aussagen zu machen, heißt aber nicht, zu schweigen. Das ist nur eine Möglichkeit, es gibt aber viele andere: Wann immer Ihr etwas macht, besteht die Gefahr einer Aussage. Je nach Situation kann auch Schweigen Informationen für die Bullen bedeuten. Daher lohnt es sich, darüber nachzudenken, was Aussagen enthält und was nicht. Trainiert die Situationen am besten vorher, das hilft.
Vermittlung und Kommunikation sind eine politische Aktion, daher ist der reine Hinweis vieler Rechtshilfegruppen, bei Polizeikontakten nichts zu sagen, arg unpolitisch und vor allem für die ÜberwacherInnen kalkulierbar und wenig anstregend. Aktionen aber sollen nicht die Gefahr für die AkteurInnen erhöhen - abgesehen von dem Risiko, dass Bullen ab und zu austicken, wenn sie merken, nicht mehr allmächtig zu sein. Was eine Aussage ist, muss genau überlegt werden - auch ein „Nein“ auf die Frage „Haben Sie das und das gemacht?“ oder ein „Zuhause“ auf die Frage „Wo waren Sie gestern Nacht?“ sind jeweils Aussagen. Gerade dann, wenn ein gutes Alibi für irgendwas besteht, sollte auch geschwiegen werden, um den Bullen die Arbeit nicht zu erleichtern und andere reinzureiten. Wer aber auf die Frage „Wo waren Sie gestern nacht?“ mit einem Brecht-Gedicht antwortet, die Frage singend wiederholt und dann philosophische Erörterungen über den Sinn der Frage beginnt oder platt einen Gag versucht wie „Hey, wir hatten vereinbart, eine offene Beziehung zu führen. Bitte frag deshalb nicht ständig nach, wo ich gestern nacht war!“, der/die sagt nichts aus - mit Ausnahme der Erkenntnis bei den Bullen, dass hier wohl das übliche Ohnmachtsgefühl ihnen gegenüber nicht eintritt.

Sonderfall Vernehmung nach Polizeirecht
Zur Abwehr von Gefahren kann die Polizei präventiv tätig werden. Rechtsgrundlage ist dann das jeweilige Landespolizeigesetz (wie das heißt, ist von Land zu Land unterschiedlich). In diesen ist geregelt, wer wie mithelfen muss - und dabei gibt es Regelungen, nach denen Menschen auch über die Daten in den Personalausweisen hinaus plaudern muss. Das kann zwar nicht mit Haft bestraft werden, wenn mensch es nicht macht, aber schon mit Geldstrafen oder die Polizei kann einen dafür eine Weile festhalten. Allerdings geht es immer nur um Wissen über Gefahren, nie über vergangene, d.h. gelaufene Sachen. Wer Beschuldigungen hört, muss nichts mehr sagen. Und ansonsten reicht auch ein bischen Kreativität, warum mensch nichts weiß ...

Körperliche Durchsuchung bei Haftbeginn
Aus einem Urteil des BVerfG, 2 BvR 455/08 vom 4.2.2009
Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (BVerfGK 2, 102 (105)). Dies gilt in besonderem Maß für Durchsuchungen, die mit einer Inspizierung von normalerweise bedeckten Körperöffnungen verbunden sind.
In Grundrechte darf nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden. Dieser allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz gilt auch für den Vollzug der Untersuchungshaft. § 119 Abs. 3 StPO bildet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine zureichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten des Untersuchungsgefangenen (vgl. BVerfGE 34, 369 (379); 34, 384 (395); 35, 307 (309); 35, 311 (316); 57, 170 (177) ). Dies gilt jedoch nur im Hinblick darauf, dass es sich um eine strikt auf die Abwehr von Gefahren für die Haftzwecke oder die Ordnung der Anstalt beschränkte Ermächtigung handelt, deren Anwendung in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 34, 369 (380); 35, 5 (9); 35, 307 (309) ). Für darüber hinausgehende Eingriffe nach Maßgabe vollzugspolitischer Zweckmäßigkeiten und nicht gefahrenabwehrrechtlich begründeter Abwägungen bietet § 119 Abs. 3 StPO keine ausreichende Grundlage (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 1229/07 - www.bverfg.de). ...
Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, lassen sich im Haftvollzug nicht prinzipiell vermeiden. Sie sind aber von besonderem Gewicht. Der Gefangene hat insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2007 - 2 BvR 939/07 -, EuGRZ 2008, S. 83 (84)). Der bloße Umstand, dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtnahmen einfacher gestalten, ist hier noch weniger als in anderen, weniger sensiblen Bereichen geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu rechtfertigen. ...
Auch wenn nach den Erfahrungen der Vollzugspraxis mit dem Versuch, Drogen oder andere verbotene Gegenstände in die Haftanstalten einzuschmuggeln, in weitem Umfang auch über den Kreis derer hinaus gerechnet werden muss, die drogenabhängig oder wegen einschlägiger Straftaten oder entsprechenden Verdachts inhaftiert sind, ist im Übrigen ein Eingriff, der auf die Abwehr dieser Gefahr zielt, jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn konkrete Umstände des Einzelfalles ein solches Vorkommnis aus dem Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken (vgl.BVerfGE 15, 288 (295)).



Hilfe „draußen“: Ermittlungsausschüsse und Selbsthilfe
Bei den meisten größeren Aktionen gibt es einen Ermittlungsausschuss. Das sind Leute, die am Telefon sitzen und Meldungen darüber entgegennehmen, wer wann wo festgenommen oder verhaftet wurde, wer in Gewahrsam ist, wer wieder freigelassen wurde etc. Sie kümmern sich darum, dass die, die es brauchen, einen Anwalt / eine Anwältin bekommen. Und dass die draußen wissen, wer noch drinnen ist. Wenn ihr eine Festnahme beobachtet, dann fragt die Festgenommene Person nach ihrem Namen und gebt die Informationen an den EA weiter. Bei Festnahmen größerer Gruppen bietet es sich an, dass die Festgenommenen selber Listen anfertigen und an den EA weitergeben; so muss nicht jedeR selber um das Telefonat zum EA streiten. Wenn du nach einer Festnahme vermutest, dass der EA noch nicht von dir weiß, dann rufe selber dort an; du hast ein Recht darauf. Du solltest dazu Kleingeld zum telefonieren dabei haben. Wenn du freigelassen wirst, informiere bitte ungehend den EA, auch wenn du dich nicht selber als festgenommen gemeldet hast.

Angabe des Grundes und die Möglichkeit, ein Telefonat zu führen (und nach einer richterlichen Entscheidung noch eines!). Das alles im § 33 HSOG
(1) Wird eine Person auf Grund des § 18 Abs. 4, § 25 Abs. 1 Satz 4 oder § 32 festgehalten, ist ihr unverzüglich der Grund bekanntzugeben.
(2) Der festgehaltenen Person ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Angehörige oder einen Angehörigen oder eine Person ihres Vertrauens zu benachrichtigen, soweit dadurch der Zweck der Freiheitsentziehung nicht gefährdet wird. Unberührt bleibt die Benachrichtigungspflicht bei einer richterlichen Freiheitsentziehung.


Recht auf Telefonanruf?
Der folgende Absatz stammt aus: Höcker, Ralf (2004), "Lexikon der Rechtsirrtümer", Ullstein Buchverlage in Berlin
Irrtum: Wer festgenommen wird, hat bei der Polizei einen Anruf frei.
Richtig ist: Es gibt keinen Anspruch darauf, nach einer Festnahme genau ein Mal ein Telefon der Polizei für einen eigenen Anruf bei einer beliebigen Person zu nutzen.

Polizisten erleben mitunter, dass festgenommene Tatverdächtige sich selbstbewusst vor ihnen aufbauen und ihnen im Brustton der Überzeugung verkünden, dass sie über ihre Rechte ganz genau informiert seien. Sehr gerne behaupten sie zum Beispiel, dass sie auf der Polizeiwache nun genau einen Anruf bei einer Person ihrer Wahl frei hätten. Der Beamte möge ihnen daher jetzt auf der Stelle ein Telefon zur Verfügung stellen.
Beschuldigte mit solch profunden Kenntnissen des deutschen Strafprozessrechts werden statt eines Telefons wohl zunächst einmal eine Belehrung darüber erhalten, welche Rechte sie in Wirklichkeit haben - und welche Rechte sie vor allem nicht haben. Ein Beschuldigter kann nämlich keineswegs verlangen, ohne triftigen Grund irgendeine beliebige Person seiner Wahl anzurufen. Das leuchtet ein. Warum sollte man einem Straftatverdächtigen das Privileg gewähren, sich auf Staatskosten bei seiner Tante in Australien zu erkundigen, ob sie ihm Geld leihen könnte oder wie das Wetter in Melbourne ist? Hinzu kommt, dass die Polizei nach Möglichkeit verhindern muss, dass der Beschuldigte irgendwelche Komplizen anruft, um sie zu warnen. Ein Festgenommener hat daher lediglich das gesetzlich verbriefte Recht, jederzeit einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen. Ein dringender Grund, die Telefone der Polizei für Anrufe bei irgendwelchen anderen Personen zu benutzen, wird dagegen meist nicht bestehen.
Ein weiteres ebenso unsinniges Gerücht ist die angebliche Regel, nach der der Beschuldigte nur ein einziges Telefonat führen darf. Welchen Sinn sollte es auch machen, einem Beschuldigten nur genau einen Kontaktaufnahmeversuch und auf gar keinen Fall einen zweiten zuzugestehen? Wenn es einen gewichtigen Grund dafür gibt, einem Beschuldigten ein Telefongespräch zu gestatten, dann verliert dieser Grund nicht pauschal dadurch an Wichtigkeit, dass der Verdächtige schon einen Anruf "verbraucht" hat. Wenn also zum Beispiel der langjährige Hausanwalt nicht erreichbar ist, spricht nichts dagegen, dass der Beschuldigte in einem zweiten Telefonat versucht, mit einem anderen Verteidiger Kontakt aufzunehmen.
Schließlich und endlich hat der Beschuldigte nicht unbedingt das Recht, selbst zum Telefonhörer zu greifen. Der Polizeibeamte kann für ihn die angegebene Nummer wählen und das Telefon anschließend herüberreichen. Denn so kann er zum Beispiel kontrollieren, ob der Beschuldigte tatsächlich seinen Anwalt anruft oder nicht doch einen Komplizen.
Wie so viele Irrtümer ist wohl auch der Irrglaube von dem "einen freien Anruf" durch den Konsum amerikanischer Filme und Fernsehserien zustande gekommen. Denn dort ist dieses dramatische Element bei der Darstellung von Festnahmesituationen sehr beliebt.
Die Praxis sieht jedoch auch in den USA zum Teil anders aus. Beim New York Police Department (NY-PD) zum Beispiel hat ein Beschuldigter das Recht auf nicht nur einen, sondern immerhin drei Anrufe. Kostenlos sind allerdings nur Ortsgespräche. Ferngespräche außerhalb von New York muss der Festgenommene selbst bezahlen. Außerdem sollen die Telefonate auf Englisch geführt werden. Spricht der Festgenommene kein Englisch, so wird ein Übersetzer hinzugezogen, damit der Polizeibeamte versteht, was der Festgenommene sagt.

Bei Interesse siehe hierzu:
  • § 136 StPO (Strafprozessordnung), „Erste Vernehmung“
  • § 137 StPO, „Wahl eines Verteidigers“

Vorführung vor ein Gericht
Die Vorführung muss "unverzüglich" geschehen. Sonst wird die Inhaftierung illegal. Treten Komplikationen auf, weil z.B. einE RichterIn nicht erreichbar ist, so muss die Freilassung vor Ablauf des Folgetages (nach der Verhaftung) erfolgen. Praxis: Die Polizei hält sich an die unverzügliche Einschaltung eines Gerichts sehr selten ...

StPO § 128
(1) Der Festgenommene ist, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen. Der Richter vernimmt den Vorgeführten gemäß § 115 Abs. 3.


HSOG § 33, Abs. 1 (Auszug)
Wird eine Person auf Grund des § 18 Abs. 4, § 25 Abs. 1 Satz 4 oder § 32 Abs. 1 oder 2 festgehalten, haben die Polizeibehörden unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, daß die richterliche Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde.


HSOG § 35, Abs. 1 (Auszug)
Die festgehaltene Person ist zu entlassen
1. sobald der Grund für die Maßnahme der Gefahrenabwehroder der Polizeibehörde weggefallen ist,
2. spätestens vierundzwanzig Stunden nach dem Ergreifen, wenn sie nicht vorher der Richterin oder dem Richter zugeführt worden ist, ...


Gerichte müssen Erreichbarkeit sicherstellen
Aus den Leitsätzen des BVerfG-Beschlusses vom 12. März (Az. 2 BvR 675/14)
Zu den Anforderungen an einen dem Gebot der praktischen Wirksamkeit des Richtervorbehalts entsprechenden richterlichen Bereitschaftsdienst gehört die uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, auch außerhalb der üblichen Dienststunden. Die Tageszeit umfasst dabei ganzjährig die Zeit zwischen 6 Uhr und 21 Uhr. Während der Nachtzeit ist ein ermittlungsrichterlicher Bereitschaftsdienst jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der über den Ausnahmefall hinausgeht.

Im Original: Zur nachfolgenden Vorführung vor dem Gericht
Aus Kleinknecht/Meyer-Goßner: "Strafprozeßordnung", C.H. Beck (Auszüge zum § 128)
1) Das Verfahren nach der vorläufigen Festnahme nach § 127 1, 11 (nicht zur Feststellung der Identität nach § 127 1) regelt § 128 für den Fall, daß die öffentliche Klage noch nicht erhoben worden ist. Die Vorschrift wird durch § 129 ergänzt. In beiden Vorschriften wird vorausgesetzt, daß noch kein Haftbefehl erlassen ist oder daß sein Erlaß der Polizei bei der Festnahme nach § 127 Il unbekannt war (LR-Hilger 4); andernfalls gelten die §§ 115, 115 a. (Rdnr. 1)
2) Freizulassen ist der vorläufig Festgenommene, wenn er nicht innerhalb der Frist des 1 S. 1 dem Richter vorgeführt werden kann oder wenn sich schon vorher ergibt, daß die Festnahmegründe nicht oder nicht mehr bestehen. Die Frist des I S. 1 darf dann nicht abgewartet werden (vgl Frankfurt SJZ 50, 53). Die Anordnung der Freilassung steht vor der Vorführung nur der StA oder Polizei zu ' nicht etwa dem Richter nach telefonischer Unterrichtung über den Fall; er ist erst zuständig, nachdem ihm der Festgenommene vorgeführt worden ist (KK-Boujong 2). Selbst dann kann aber die StA noch die Freilassung anordnen, solange kein Haft- oder Unterbringungsbefehl erlassen -,vorden ist (KK-Boujong 10). (Rdnr. 2)
3) Vorführung vor den Richter (I):
A. Die Vorführung ist erforderlich, wenn der Festgenommene weder freigelassen noch nach § 127 a mit: der Festnahme verschont wird. IdR führt die Polizei den Festgenommenen vor, nachdem sie ihn vernommen hat (§ 163 a IV). ausnahmsweise eine Privatperson nach § 127 I S. 1. Sie braucht den Festgenommenen nicht unmlittelbar zu einem Richter zu bringen, sondern kann ihn auch bei dem nächsten Polizeirevier abliefern, dessen Beamte ihn dann entweder freilassen oder dem Richter vorführen (RG 29, 136). Wird der Festgenommene zunächst einer JVA zugeführt, so sorgt deren Leiter für die Vorführung vor den Richter (UVOllzO 86). (Rdnr. 4)
Die Vorführung erfolgt nach I S. 1 vor das AG des Festnahmeortes. Die Vorführung vor das nach § 125 I zuständige Gericht wird dadurch aber nicht ausgeschlossen (Celle JZ 56, 125). In Staatsschutzsachen nach § 120 I, II GVG ist der Festgenommene nach Möglichkeit dem Ermittlungsrichter nach § 169 vorzuführen. Jugendliche und Heranwachsende können dem zuständigen Jugendrichter vorgeführt werden (§ 34 1 JGG). Ist der Festgenommene erkrankt, so muß er mindestens symbolisch, dh durch Vorlegung der Akten, vorgeführt werden (RiStBV 51). (Rdnr. 5)
Unverzüglich (8 zu § 25) muß die Vorführung erfolgen, spätestens am Tage nach der Festnahme, dh mit Ablauf dieses Tages, auch wenn er ein Sonnabend, Sonn- oder Feiertag ist. Diese Frist des I S. 1, die rint der des Art 104 III S. 1 GG übereinstimmt, ist die äußerste Frist (BGH NStE Nr 3); sie darf nicht zur Regel gemacht werden (Dvorak StV 83, 514). Landesverfassungen können nicht wirksam kürzere Fristen bestimmen (Koblenz OLGSt Nr 1; aM SK-Paeffgen 5). Die Dauer einer anderweitigen Freiheitsentziehung ohne richterliche Entscheidung ist nach Art 104 II GG in die Vorführungsfrist einzurechnen (BGH 34, 365 = NStZ 88, 233 nur Anm R. Hamm). Die Ermittlungsbehörde ist - anders als bei § 115 (dort 4) - nicht gehindert, vor der (fristgerechten) Vorführung notwendige Ermittlungen vorzunehmen (BGH NStZ 90, 195; JR 91, 84 nur Anm Fezer; krit Deckers NJW 91, 1155; Nelles StV 92, 389; Paeffgen NStZ 92, 533; Rüping Hirsch-FS 970). (Rdnr. 6)
B. Die richterliche Vernehmung (II S. 2) richtet sich nach § 115 III (dort 6f). Sie ist entbehrlich, wenn schon der Festnahmebericht das Fehlen von Haftgründen ergibt oder wenn ein Antrag der StA nach § 120 III S. 1 vorliegt. Sonst muß sie frühzeitig vorbereitet werden, da StA und Verteidiger nach § 168 c I, V vom Termin benachrichtigt werden müssen (9 zu § 115). Die Vernehmung muß so rechtzeitig stattfinden, daß die Entscheidung spätestens am Tage nach der Festnahme erfolgen kann (unten 13). (Rdnr. 7)
4) Entscheidung des Gerichts (II):
A. Beteiligung der StA: Wie im Fall des § 125 1 ist grundsätzlich die StA zu beteiligen (Kaiser NJW 69, 1097); denn nach II S. 2 hängt der Erlaß eines Haftbefehls icIR von einem Antrag der StA ab. Der Richter muß die StA aber nach § 33 11 auch anhören, wenn er den Festgenommenen freilassen will (KK-Boujong 11; Kaiser aa0). Sie muß daher von jeder Vorführung unterrichtet werden. Das besorgt zweckmäßiger-weise schon die Polizei durch Aktenvorlage, fernschriftlich oder telefonisch. Liegen dem StA die Akten nicht vor, so kann er die Polizeibehörde beauftragen, seinen Antrag in den Akten zu vermerken, die dem AG vorzulegen sind. Ist erkennbar, daß das Ermittlungsverfahren schon von einer StA betrieben wird, so ist möglichst diese StA zu beteiligen, sonst die für den Bezirk der Festnahme zuständige StA. In Staatsschutzsachen wird die für die Sache zuständige StA beteiligt (§§ 74a, 120, 142a GVG). Bei Nichterreichbarkeit der StA ist der Richter berechtigt und verpflichtet, von Amts wegen einen Haft- oder Unterbringungsbefehl zu erlassen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Unerreichbar ist die StA, wenn sie nicht rechtzeitig vor Ablauf der Vorftihrungsffist, auch nicht telefonisch oder durch Fernschreiben, gehört werden kann (LRHilger 16: erg 3 zu § 165), aber auch, wenn sie infolge ungenügender Unterrichtung nicht in der Lage ist, zu der Frage der Verhaftung oder einstweiligen ngung Stellung zu nehmen (KK-Boujong 12). Ist der StA erreichbar, so steht die fehlende Antragsteflung dem Erlaß eines Haft- oder Unterbringungsbefehls entgegen. Wird er gleichwohl erlassen, so ist er zwar nicht unwirksam; die StA kann aber nach § 120 III S. 1 seine Aufhebung verlangen. (Rdnr. 9)


In dem Beschluss BVerfG 2 BvL 1/15 (Zweiter Senat) - Beschluss vom 21. September 2016 (LG Berlin) betont das Gericht einmal mehr Anforderungen an die Fortdauer der Untersuchungshaft (Quelle: HRRS):
1. Die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist zur Wahrung der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung nur dann zulässig, wenn die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung den Freiheitsanspruch des Beschuldigten überwiegen. Bei der Abwägung ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen.
2. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse. Damit steigen die Anforderungen sowohl an die Zügigkeit der Bearbeitung der Haftsache als auch an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund.
3. Im Rahmen der Abwägung zwischen Freiheitsanspruch und Strafverfolgungsinteresse sind in erster Linie die Komplexität der Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung. Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein.
4. Allein die Schwere der Straftat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag jedenfalls bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen die Fortdauer einer ohnehin bereits lang andauernden Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen.
5. Eine Haftfortdauerentscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht, wenn sie, nachdem der zuständige Spruchkörper mehrfach fehlerhaft besetzt war und deshalb mit der Hauptverhandlung erneut begonnen werden musste, bereits die angewendeten Maßstäbe nicht klar erkennen lässt und widersprüchliche Ausführungen dazu enthält, ob und inwieweit jeweils von einer für das Beschleunigungsgebot in Haftsachen relevanten Verfahrensverzögerung ausgegangen wird.


Die Polizei kann eineN nur bis zum Ende des auf die Festnahme folgenden Tages festhalten. Sonst muss eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Allerdings hat jetzt ein Verfassungsgerichtsurteil geklärt, dass das die äußerste Länge ist. Die Polizei muss sich sofort bemühen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Sie kann nicht einfach diese Zeitphase ausreizen, ohne etwas zu tun. Auch die Gerichte müssen vorsorgen, möglichst schnell eine Inhaftierung zu überprüfen.

Im Original: Verfassungsgerichtsurteil
Aus der Presseinformation des BVerfG zu dem Urteil
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Eine Freiheitsentziehung erfordert grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur in Ausnahmefällen. In einem solchen Fall ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Gebot der Unverzüglichkeit verpflichtet zum einen die Polizei, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Zum anderen muss auch die weitere Sachbehandlung durch den Richter dem Gebot der Unverzüglichkeit entsprechen. Darüber hinaus ist es unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen. Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht. Zum einen haben die Gerichte den zeitlichen Ablauf des polizeilichen Vorgehens im Rahmen der Gewahrsamsnahme nicht analysiert. Hierzu hätte Veranlassung bestanden, weil Zeiträume von mehreren Stunden im Ablauf der Gewahrsamnahme ungeklärt sind. Die Beschwerdeführerin wurde um 10.20 Uhr in Gewahrsam genommen, um 13.19 Uhr traf das Transportfahrzeug in der Gefangenensammelstelle ein. Ein – erst um 21:01 Uhr erstellter – Datenerfassungsbogen nennt als Aufnahmezeit hinsichtlich der Beschwerdeführerin 16:25 Uhr. Der Antrag der Bezirksregierung auf richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahme datiert zwar noch vom selben Tag. Aus einer Mitteilung des Amtsgerichts ergibt sich aber, dass dieser erst am nächsten Tag bei Gericht eingegangen ist, ohne dass die genaue Uhrzeit ermittelt werden konnte. Die Ausführungen der Fachgerichte zu diesem zeitlichen Ablauf innerhalb der Gefangenensammelstelle beschränken sich auf allgemeine blankettartige Begründungen, die nicht auf den konkreten Fall eingehen. Um der hohen Bedeutung des Richtervorbehalts als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehungen gerecht zu werden, hätte das Amtsgericht die konkreten Umstände der eingetretenen Verzögerungen, die das unverzügliche Anhängigmachen des Antrags auf Zulässigkeit und Fortdauer der Gewahrsamnahme verhindert haben, aufklären müssen.
Ferner gibt die Art und Weise der Durchführung des richterlichen Bereitschaftsdienstes Anlass zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen. Der richterliche Bereitschaftsdienst konnte sich nicht auf die Tageszeit beschränken, sondern musste auch eine Regelung für die Nachtzeit beinhalten, da aufgrund der zu erwartenden Massendemonstrationen mit einer Vielzahl von Ingewahrsamnahmen gerechnet werden musste, die nicht sämtlich zur Tageszeit sachgerecht bewältigt werden konnten.


Aus dem dazugehörigen Urteil (2 BvR 447/05)
Für den schwersten Eingriff in das Recht der Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 (323) ). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird ( BVerfGE 105, 239 (248) ; vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG: BVerfGE 103, 142 (151 ff.) ). Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 103, 142 (156); 105, 239 (248) ). Die Erreichbarkeit des zuständigen Richters ist dabei zur Tageszeit (vgl. § 188 Abs. 1 ZPO a.F., § 104 Abs. 3 StPO) stets zu gewährleisten. Ein richterlicher Bereitschaftsdienst zur Nachtzeit ist demgegenüber von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 2003 – 2 BvR 1481/02 -, NJW 2004, S. 1442).
Die Freiheitsentziehung erfordert nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste (vgl. BVerfGE 22, 311 (317) ). Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (vgl. BVerfGE 10, 302 (321) ). "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239 (249) ). Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (vgl. BVerfGE 103, 142 (156); 105, 239 (249) ).
Das Gebot der Unverzüglichkeit des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG entfaltet in zweierlei Hinsicht Wirkungen. Zum einen verpflichtet es die Polizei, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Hat sie eine Person in Gewahrsam genommen, so hat sie alle unter den Umständen des Einzelfalls gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um die nachträgliche richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme unverzüglich nachzuholen. Zum anderen muss auch die weitere Sachbehandlung durch den Richter dem Gebot der Unverzüglichkeit entsprechen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. September 2004 – 1 S 2206/03 -, DÖV 2005, S. 165 (167 ff.)).
Das Bundesverfassungsgericht hat zudem ausgeführt, dass das Verfahren bei Entscheidungen über die Zulässigkeit oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung in besonderer Weise dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entsprechen muss. In Bezug auf das gerichtliche Verfahren hat es ausgeführt, dass dieses darauf angelegt sein muss, den Betroffenen vor dem Freiheitsentzug alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen zu gewähren, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Die Eilbedürftigkeit einer solchen Entscheidung könne eine Vereinfachung und Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigen, dürfe aber die unabhängige, auf Grund der Justizförmigkeit des Verfahrens besonders verlässliche Entscheidungsfindung nicht gefährden (vgl. BVerfGE 83, 24 (32) ). Der Gesichtspunkt der auf die Effektivität des Grundrechtsschutzes gerichteten Flexibilität des Verfahrens gilt jedoch in gleichem Maße für das Verwaltungsverfahren im Vorfeld der Anrufung des Gerichts. Demgemäß ist in der fachgerichtlichen Judikatur etwa anerkannt, dass das Anhängigmachen der freiheitsentziehenden Maßnahme bei Gericht im Falle einer besonderen Eilbedürftigkeit eines formellen schriftlichen Antrages nicht bedarf, sofern das Begehren in den Akten in verlässlicher Weise dokumentiert ist und die Identität der in Gewahrsam Genommenen jedenfalls anhand der Akten festgestellt werden kann, zumal unter der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes das Gericht die für seine Entscheidung erheblichen Tatsachen zu ermitteln hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. September 2004 – 1 S 2206/03 -, DÖV 2005, S. 165 (168)).
Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt weiterhin Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 (308) ; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1998 - 2 BvR 2270/96 -, NJW 1998, S. 1774 (1775)). Angesichts des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts gilt dies in gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht.


Richterliche Vorführung muss unverzüglich sein
Fehler durch Verzögerung und Verschleppung sind nicht heilbar, d.h. der Gewahrsam ist dann rechtswidrig und kann auch nicht bei der verpäteten Vorführung für anschließend wieder rechtmäßig erklärt werden.

Das Landgericht Rostock hat am 3. Juni 2006 in einem Urteil festgestellt, dass ein Gewahrsam, bei dem nicht sofort eine richterliche Vorführung erfolgt ist, auch nicht durch eine spätere hinterher rechtmäßig werden kann. Das heißt, wenn die Vorführung verschleppt wurde (meist durch die Polizei), so ist die Inhaftierung während der Verschleppung und auch danach rechtswidrig. Ein rechtmäßiger Gewahrsam kann nicht aus einem unrechtmäßigen entstehen.

Im Original: Zitate aus dem Urteil
Leitsatz:
1."Unverzügliche Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung" bedeutet, dass nach Ankunft der betroffenen Person in der Gefangenensammelstelle die Zuführung zum Richter oberste Priorität hat. Nicht zulässig ist, erst andere polizeiliche Maßnahmen (mit Ausnahme der Personalienfeststellung und der Durchsuchung) durchzuführen.
2. Ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot ist nicht heilbar, so dass die betroffene Person sofort zu entlassen ist.
Mit dem Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot ist die polizeiliche Ingewahrsamnahme rechtswidrig geworden mit der Folge, dass die Ingewahrsamnahme aufzuheben und der Betroffene freizulassen ist.
Die Freiheitsentziehung erfordert nach Artikel 104 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträg1iche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Artikel 104 Abs. 2 S. 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtliche Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. “Unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Das Gebot der Unverzüglichkeit des Artikel 104 Abs. 2 S.2 GG entfaltet in zweierlei Hinsicht Wirkungen. Zum einen verpflichtet es die Polizei, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Hat sie eine Person in Gewahrsam genommen, so hat sie alle unter den Umständen des Einzelfalles gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um die nachträgliche richterliche Entscheidung über die Gewahrsamnahme unverzüglich nachzuholen. Zum anderen muss auch die weitere Sachbehandlung durch den Richter dem Gebot der Unverzüg1ichkeit entsprechen (Bundesverfassungsgericht, B. v. 13. v. 13.12.2005, 2 BvR 447/05).
Die Polizei darf die von ihr in Verwahrung genommene Person in keinem fall länger als bis zum Ende des Folgetages festhalten, Artikel 104 Abs. 2 S. 2 GG. Die in der vorgenannten Vorschrift bestimmte Frist gilt nur subsidiär. Da sie nur eine spezielle, die Vorschrift des Artikel 104 Abs. 2. S. 2 GG ergänzende Bestimmung enthält, ist die Polizei auch an die Frist des Artikel 104 Abs. 2 S. 2 GG gebunden. Auch die Polizei hat unverzüglich eine richterliche Entscheidung zu veranlassen (Satz 2); gelingt ihr das innerhalb der Frist des Satz 3 nicht, dann ist der Festgenommene freizulassen (Satz 3). Der Festgenommene muss freigelassen werden, wenn die Frist des Satz 3 abgelaufen ist, oder schon vorher, wenn nicht der Richter die Freiheitsentziehung ablehnt. Ferner verliert die Polizei vor Ablauf der Frist des Artikel 104 Abs. 2 S. 3 GG ihr Recht, eine Person festzuhalten, wenn sie es versäumt hat, die richterliche Entscheidung unverzüglich zu beantragen, oder wenn der Richter es versäumt hat, die Entscheidung unverzüglich zu erlassen. Das gilt auch dann, wenn trotz dieser Säumnis die richterliche Entscheidung noch innerhalb der Frist des Artikel 104 Abs. 2 5. 3 GG getroffen werden könnte (Dürig in Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Artikel 104 GG Rn. 41). Der Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot hat die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zur Folge. Die Ingewahrsamnahme ist aufzuheben und der Betroffene freizulassen (Rachow in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage 2007, Anmerkung F 595/596) ...
Im vorliegenden Fall ist nach der Dokumentation die Festnahme am 02.06.2007 um 19.05 Uhr erfolgt und die Zuführung zur Gefangenensammelstelle um 20.50 Uhr (die Kammer geht davon aus, dass die entsprechende Angabe auf dem Kurzbericht Bl. 7 d. A. neben der GESA-Nr. die Aufnahmezeit in der GESA dokumentieren soll). Die Durchsuchung des Betroffenen ist ausweislich des Durchsuchungsprotokolls vom 02.06.2007 (BI. 12 d. A.) um 21.11 Uhr durchgeführt worden. Nach der Aufnahme in der GESA und der Durchführung der Durchsuchung hätte anschließend die Vorführung des Betroffenen vor den zuständigen Richter zur Herbeiführung einer Fortdauerentscheidung veranlasst werden müssen. Tatsächlich ist der Betroffene jedoch Stunden später, nämlich am Folgetage, dem 03.06.2007 um 04.39 Uhr dem Richter vorgeführt worden, ohne dass sich den Akten entnehmen ließe, dass diese Verzögerung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Da somit nach der Dokumentation nicht festgestellt werden kann, dass die Vorführung des Betroffenen vor den Richter unverzüglich erfolgt ist, konnte die Ingewahrsamnahme nicht aufrecht erhalten beleiben.


Fortdauer eines ursprünglich rechtswidrigen Gewahrsams

Leitsatz zum Urteil des OLG Rostock vom 16.4.2007 (Az. 3 W 119/06)
Die richterliche Entscheidung gemäß § 56 Abs. 5 SOG M-V darf sich nicht auf eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des vorangegangenen polizeilichen Zugriffs beschränken. Vielmehr hat der Richter auch und insbesondere über die Fortdauer des Gewahrsams zu befinden. Dies erfordert die Prüfung, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Abwehr der fortbestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten ist. Hierbei hat sich der Richter zunächst damit auseinanderzusetzen, ob die Polizeibeamten den Betroffenen zu Recht in Gewahrsam genommen haben. War die Ingewahrsamnahme bereits rechtswidrig, so lässt sich ihre Fortdauer allenfalls dann rechtfertigen, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen.


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