Demokratie

"LINKE" MEDIEN: PSEUDO-RADIKAL, GEGEN UNABHÄNGIGE BEWEGUNG, PRO-STAATLICH

Medien und Macht


1. Medien machen (Bewegungs-)Eliten
2. Beispiele
3. Pro Normalität und Anbiederung - Zensur
4. Medien als Bewegungsmacher und -lenker
5. Medien und Macht
6. Medien und Elite
7. Es geht um ... Geld
8. Links

Pseudoradikaler Flair als Eigenwerbung
Abb.: Werbeflyer der taz, Juni 2005

FR-Titel zu einer eher langweiligen Latschdemo von (laut Artikel) 3000 bis 5000 Menschen bei bundesweiter Mobilisierung (1.10.2012):
Ein Hauch von Revolution

Regierungswerbung

Aus der Frankfurter Rundschau 24.11.02
FR: Herr Trittin, Sie waren in der ersten rot-grünen Regierung einer der erfolgreichsten Minister - mit Atomausstieg, Ökosteuer, Naturschutzgesetz.

Aus der Frankfurter Rundschau 24.11.02
FR: Herr Trittin, Sie waren in der ersten rot-grünen Regierung einer der erfolgreichsten Minister - mit Atomausstieg, Ökosteuer, Naturschutzgesetz.

Fischerchor
Aus "Ein Glücksfall der deutschen Geschichte" in: FR, 12.4.2008 (S. 7)
"Brecht dem Staat die Gräten, alle Macht den Räten" hatte er Ende der 60er Jahre skandiert, später ersetzte er die Gräten dieses Staates durch Stahlträger. Man kann das - ja man muss das - als Verrat betrachten. Aber man kann - ja man muss wohl - diesen Verrat als Glücksfall der bundesrepublikanischen Geschichte ansehen.
Man stelle sich vor, der Straßenkämpfer Joschka Fischer hätte Erfolg gehabt und der kaum zwanzigjährigen Bundesrepublik das Rückgrat gebrochen. So katastrophal die Politik von Rot-Grün in den Augen ihrer linkesten Kritiker auch gewesen sein mag, ein Sieg der APO im Jahre 1968 oder gar in den 70er Jahren wäre die viel, viel größere Katastrophe gewesen.


Pro staatliche Kontrolle

Rechts: Werbung für mehr staatliche Kontrolle der Medien in Venezuela
Interview mit Gregory Wilpert in Junge Welt, 11.4.2005 (S. 3)

Pro Asozialisierung und neoliberaler Umgestaltung

Aus "Rotgrüner Schlendrian", in: FR, 29.8.2011 (S. 11)
Die Einführung von Studiengebühren für Landzeitstudenten brachte Bewegung in manch junges Leben. Sie zwang jene Bummelanten, die die Universität als Wärmestube sahen, zur Entscheidung. Die Gebühren wogen die sozialen Vorzüge eines als dauerhafte Lebensform begriffenen Studentendaseins auf. Nebenher wurden überfüllte Hochschulen entlastet; die Zahl der Studienabbracher und jender, die die Uni-Verweildauer über Gebühr ausweiten, sank - zum allgemeinen Vorteil und im wohlverstandenen Interesse jener, die dabei waren, ihre Lebenschancen zu ruinieren.
Nun schafft die rot-grüne Landesregierung in Rheinland-Pfalz die Strafgebühr für Bummelstudenten wieder ab, in Nordrhein-Westfalen udn Baden-Württemberg planen rot-grüne Regierungen gleiches. Was treibt sie dazu, den Weg zum Schlendrian neu zu ebnen? ...


Autoritäre Phantasien

Aus dem Kommentar "Gier frisst Werte auf" von Sabine Rennefanz, in: FR, 10.8.2011 (S. 11) und in Berliner Zeitung
Die Bilder, die man aus London sieht, wirken wie eine außer Kontrolle geratene Shopping-Tour: Jugendliche mit Kapuzen tief im Gesicht rennen in die Läden und schleppen Waren heraus. In Clapham, einem Stadtteil im Süden, haben sie gezielt die Einkaufsstraße angesteuert. Man könnte sagen, die Plünderer und Randalierer haben die britische Besitz-Obsession ins Extrem getrieben. ... Doch anders als bei früheren Straßenunruhen, die ja in London und anderen englischen Großstädten alle zehn Jahre wieder aufbrechen, geht es diesmal nicht um einzelne soziale Probleme, Rassismus, ungerechte Steuerpolitik oder die Schließung von Jugendhäusern. Es geht um Markenturnschuhe, Flachbildschirme und Mobiltelefone. ... Soll man wütend auf diese Jugendlichen sein, diese wild gewordenen Kapuzen, diese andere Art von homegrown terrorists? ... Das Land hat das Vertrauen in sämtliche Autoritäten verloren: die Banken, die Politik, die Medien, die Polizei. Die Zersetzung reicht bis in die kleinste Einheit, in die Familien. Es wächst eine Generation heran, der jegliche Werte fehlen. Wem sollen die Briten noch glauben, an wem sich orientieren, nach all den Skandalen? Es scheint doch, als habe die Elite, das Establishment, alle Regeln von Anstand, Pflichtbewusstsein und Ehrlichkeit außer Kraft gesetzt. ... Großbritannien müsste sich einer Debatte über seine Werte stellen. Sie bräuchten eigentlich einen Thilo Sarrazin, der unangenehme Wahrheiten ausspricht.

Digitale Macht
Im Original: Angst schüren ...
Kapitel „DAS DIGITALE MENSCHENRECHT“ in: Stefan Aust/Thomas Ammann, „Digitale Diktatur“ (2014, Econ bei Ullstein, S. 329ff.) "Er blickte zu dem gewaltigen Gesicht empor. Vierzig Jahre
hatte er gebraucht, um herauszufinden, was für ein Lächeln sich
unter dem dunklen Schnurrbart verbarg. 0 grausames, unnötiges
Mißverständnis! [ ... 1 Aber jetzt war es gut, es war alles in Ord
nung, der Kampf war zu Ende. Er hatte sich selbst überwunden.
Er liebte den Großen Bruder."
George Orwell, 1984

Vermutlich sind wir alle längst Mitglieder der weltweiten "NSA Community" allerdings ohne jemals einen Mitgliedsantrag gestellt zu haben. Den Beitrag leisten wir freiwillig an Google, Apple, Microsoft, Facebook oder Amazon, die technischen und juristischen Verbündeten des Großen Bruders. Rund 1,3 Milliarden Internetnutzer sind derzeit bei Facebook angemeldet. Die Datenspuren, die jedes einzelne Mitglied mit der Zeit hinterlässt, sind gewaltig: Chats, E Mails, Kurznachrichten, Fotos, Videos Gigabyte um Gigabyte, und alles bleibt gespeichert, auch die Daten, die ein Benutzer vermeintlich gelöscht hat. Wenn ein privates Unternehmen mit rund sechstausend Mitarbeitern solche Datenmengen verwalten und verarbeiten kann, sollte das dem mächtigsten Geheimdienst der Welt mit rund vierzigtausend Beschäftigten und einem ganzen Heer von Vertragsfirmen allemal möglich sein.
Der Gedanke ist deshalb nicht abwegig, dass die NSA für jeden Internetnutzer auf der Welt eine Art eigenen Account eingerichtet hat. Das wären dann zurzeit etwa drei Milliarden Benutzerkonten eine Möglichkeit, auf die der Jurist und Datenschutzexperte Jan Schallaböck hingewiesen hat .61 Mit ihren gewaltigen Analyse und Speichermöglichkeiten wäre es für die NSA ein Leichtes, das gesamte Computernutzungs und Kommunikationsverhalten im Internet aufzuzeichnen. Sämtliche Daten von Apple, Facebook, Google, Microsoft und Yahoo bekommt sie ohnehin, die Informationen aus den Smartphones und anderen mobilen Geräten ebenso allein fünf Milliarden Ortungsdaten am Tag. Und seit Edward Snowden weiß man, dass die NSA mit XKeyscore über ein Programm verfügt, das jegliche Aktivitäten einer bestimmten Person zuordnen kann. Das Schnüffelprogramm sammelt "praktisch alles, was ein User im Internet tut", rühmte sich die NSA selbst in einer Präsentation. XKeyscore kann das "Ziel" auch in Echtzeit beobachten, also während der Dateneingabe, und speichert auch, welche Dateien oder Webseiten sich jemand im Internet angeschaut hat.
Leider, meint Schallaböck, könne man sich nicht so einfach das Passwort für diesen Account zuschicken lassen, um nachzusehen, was die NSA alles gespeichert hat. Auch die Bitte um Auskunft oder Löschung unter Berufung auf deutsche oder europäische Datenschutzregeln dürfte sich nicht so einfach durchsetzen lassen. Und was die privaten Konzerne mit den ihrerseits gehorteten Benutzerdaten anstellen, kann man ohnehin nur erahnen. Moderne Algorithmen der Datenanalyse, berichtet der Informatiker und Kryptografiespezialist Jörn Müller Quade, beförderten aus den "scheinbar flüchtigen Momenten und vielen partiellen Einsichten, die man der Öffentlichkeit des Internets gewährt", Erkenntnisse, die "zu umfassenden Benutzerprofilen angelegt" würden. Die neuesten Analyseverfahren können auch bisher schwer fassbare Informationsquellen wie frei gestaltete Texte oder Bildund Tonmaterialien sinnvoll verarbeiten. Durch die Kombination von "Bilderkennungsverfahren, statistischen Verfahren, Verfahren der Textanalyse sowie Prognoseverfahren, um fehlende oder noch unbekannte Attributswerte zu schätzen", so Müller Quade, würden "Datenspuren systematisch auf Korrelationen geprüft und unbemerkt von den Benutzern zu einem 'schlüssigen' Bild gefügt". Wie es unter diesen Umständen mit unserem vom Grundgesetz geschützten Recht auf Privatsphäre bestellt ist, lässt sich kurz so zusammenfassen: Es existiert nicht. Solange wir es uns nicht zurückholen.
Es ist mehr als dreißig Jahre her, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Volkszählung das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" entwickelt hat. Vorausgegangen waren jahrelange, erbittert geführte Diskussionen über das Vorhaben der Bundesregierung, sechshunderttausend "Zähler" durch das Land zu schicken und die Bürger über ihren Wohn und Berufsalltag zu befragen. Die "Persönlichkeitsprofile", die sich daraus hätten erstellen lassen, hätten einen Bruchteil von dem preisgegeben, was heute jedes durchschnittliche Facebook Profil verrät. Aber angesichts der Reaktionen auf den geplanten Zensus sprach die taz damals von einem "Flächenbrand". Rund fünfhundert Verfassungsbeschwerden wurden eingereicht, ein Viertel der Bundesbürger kündigte laut Umfragen an, sie würden die Volkszähler nicht in die Wohnungen lassen, und überall im Land gründeten sich Initiativen von Boykotteuren. "Meine Daten gehören mir" lautete die Parole. An vielen Wohnungstüren klebten Hinweisschilder: "Betteln, hausieren und volkszählen verboten!"
Das Vorhaben der Regierung löste sofort Assoziationen an die Nazizeit aus. Eine Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule fürchtete laut Spiegel das Entstehen von Rosa Listen, wie sie zur NS Zeit der Verfolgung Homosexueller dienten. Dreihundert Mitarbeiter des Landeskrankenhauses Gütersloh protestierten gegen die Frage: "Sind Sie Insasse einer Anstalt?" Schließlich seien "hier schon einmal Listen erstellt worden, die den Tod von 950 Patienten unserer Einrichtung zur Folge hatten". Und wenn nicht 1933, dann zumindest 1984: Orwells schlimmste Vision schien unmittelbar Wirklichkeit zu werden. Selbst der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, nicht gerade ein Freund der direkten Demokratie, plädierte angesichts der Protestwelle für eine Verschiebung der Volkszählung.
Doch die fiel zunächst aus. Die Karlsruher Richter erklärten die Volkszählung in der geplanten Form im Dezember 1983 für verfassungswidrig und stellten in ihrem Grundsatzurteil fest: Jeder Einzelne habe das Recht, selbst zu bestimmen, wann und in welchem Umfang er persönliche Daten preisgeben möchte. Dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so das Urteil, gehöre zur freien Entfaltung der Persönlichkeit (Grundgesetz Artikel 2) und genieße Verfassungsrang. Es wurde damit zu einem unveräußerlichen Grundrecht. Es lohnt sich, die Urteilsbegründung von 1983 etwas näher zu betrachten, denn sie gewinnt durch die Entwicklung der letzten Zeit an Brisanz.
"Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung", schrieben die Richter, sei eine Gesellschaftsordnung "nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß". Denn wer unsicher sei, "ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden", der werde auch versuchen, sein Verhalten entsprechend anzupassen. Im Klartext: Wer Angst haben muss, permanent überwacht zu werden, traut sich nicht mehr aufzufallen. Weiter im Urteilstext: "Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl." Denn Selbstbestimmung der Bürger sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie, so das Verfassungsgericht.
Diese Anpassung aus Angst vor Überwachung, die nach Ansicht der Karlsruher Richter die Demokratie bedroht, ist vielfach beschrieben worden. Der französische Philosoph Michel Foucault hat dafür in der 1970er Jahren den Begriff "Panoptismus" gefunden, in Anlehnung an Jeremy Benthams Entwurf eines perfekten Gefängnisses, genannt "Panopticon". Der britische Jurist und Sozialreformer Bentham stellte sich im 18. Jahrhundert einen Rundbau mit nach innen ge-richteten Zellen vor, in dessen Mitte ein einziger Wachturm stand. Die Fenster des Turms sollten von außen nicht einsehbar sein. Dieser Aufbau sollte die perfekte Überwachung der Häftlinge mit geringstem Aufwand ermöglichen. Er wurde später tatsächlich in abgewandelter Form für den Bau von Gefängnissen und anderen geschlossenen Anstalten, zum Beispiel Psychiatrien, übernommen: Das sogenannte Pennsylvania Modell ist als Kreuzbau angelegt, in der Mitte sitzt das Wachpersonal und kann in allen Richtungen die Korridore mit den Zellentüren überwachen. Bentham sprach von der "scheinbaren Allgegenwart des Aufsehers" und beschrieb, welche Auswirkungen diese auf die Insassen haben würde: Sie sollten "stets das Gefühl haben, als würden sie überwacht, zumindest als wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass dies der Fall sei" wie in Orwells fiktivem Ozeanien, in dem auch nie klar ist, wann sich die Gedankenpolizei in die Teleschirme einschaltet.
Der französische Philosoph Foucault sah in Benthams Panopticon den "Spiegel der Moderne", ein Symbol für die Mechanismen, mit denen ein moderner Staat funktioniert. In einem solchen Konstrukt, so Foucault, "werde die Macht über den Einzelnen in Form einer ständigen individuellen Überwachung ausgeübt, in Form von Kontrolle, Strafe und Belohnung, in Form von Besserung, das heißt der Formung und Veränderung des Einzelnen im Sinne bestimmter Normen". Foucault erkannte, dass die Disziplinierung in diesem Panopticon das Entscheidende ist, die Beherrschung der "Seele", mit der Absicht, auf das Verhalten der Menschen einzuwirken. "Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß", schrieb Foucault, "übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung."
Sind wir also alle Gefangene eines modernen Panopticons, indem wir uns diesem "Totalitarismus der Transparenz" unterwerfen, den die NSA mithilfe von Google und Co. anstrebt, und den Dave Eggers in seinem Roman Der Circle konsequent zu Ende gedacht hat? Geheimdienste und Konzerne arbeiten Hand in Hand, gemeinsam erschaffen sie einen neuen digitalen militärisch industriellen Komplex, der im Verborgenen agiert und uns bis in die letzten Winkel ausspioniert. Jede Seite verfolgt ihre eigenen Interessen, aber die Methoden zur Bespitzelung gleichen und ergänzen sich.
"Die modernen Algorithmen der Datenanalyse", berichtet Informatiker Müller Quade, "gehen weit über das hinaus, was wir als Rasterfahndung kennen." Denn für die Rasterfahndung müsse man wissen, was man überhaupt sucht. Um mit dem ehemaligen amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu sprechen: das "known unknown". Aber inzwischen geht es um das "unknown unknown" alles, was im Netz der Suchmaschinen hängen bleibt. Die NSA schnüffelt in den Facebook Accounts von Zahnspangenträgerinnen herum, speichert und analysiert jede Nebensächlichkeit, stellt daraus Profile von Millionen Terrorverdächtiger her und übersieht dabei das Wesentliche. Nämlich dass in Syrien und im Irak eine Terrormiliz namens Islamischer Staat (IS) entstand, brutaler, gemeiner und mörderischer als jemals zuvor. Diese schien man erst auf den Bildschirm bekommen zu haben, als sie ihre Menschenschlächtereien selbst filmten und ins Internet stellten. In einer der am dichtesten überwachten Regionen der Welt kamen Zehntausende äußerst gewalttätige Dschihadisten wie aus dem Nichts. Um den is-lamistischen Terror im Blick zu behalten, hätte man nicht die ganze Welt bespitzeln müssen.
Aber es geht nicht mehr darum, die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden. Sondern es geht darum, das "Volk zu managen", wie uns der frühere NSA Direktor William Binney kurz und bündig auf die Frage erklärte, wozu die Totalüberwachung eigentlich diene. Es geht um Abweichungen von der Norm, verdächtiges Verhalten, das sich mithilfe der modernen Analysen leicht identifizieren lässt. Und seit das US Heimatschutzministerium herausgefunden hat, dass die jugendlichen Amokläufer von Denver und Newport weder bei Facebook noch bei Twitter angemeldet waren, zählt inzwischen sogar die Verweigerungshaltung zu den Kriterien für "verdächtiges" Verhalten. "Irgend etwas zu tun, das auf einen Hang zur Einsamkeit schließen ließ, bereits alleine spazierenzugehen konnte schon gefährlich sein", schrieb George Orwell in 1984, denn das konnte auf "Individualismus und Exzentrität" hindeuten.
Dass in Houston im August 2014 ein Mann wegen des Verdachts auf Kinderpornografie verhaftet wurde, weil Google in seinem Postfach entsprechende Fotos fand, passt in diesen Zusammenhang. Die Verbreitung von Kinderpornografie ist zweifellos verabscheuenswürdig und kriminell, die Frage aber ist, ob jede Mail ohne Anfangsverdacht, ohne richterlichen Beschluss, ohne konkreten Anlass hinsichtlich potenzieller Abweichungen untersucht werden darf. Ob Google als globaler Großer Bruder Inhalte zensieren, sich als moralische oder juristische Instanz aufspielen und die Regeln setzen darf. Damit gehen die demokratische Kontrolle, die Le-gislative, die Exekutive und dazu gleich noch die Judikative an einen Konzern über, der völlig nach eigenem Gutdünken beziehungsweise dem seiner Aktionäre tun und lassen kann, was er will. Was "unnormal" oder "verdächtig" ist, setzt ein von irgendwelchen Programmierern entwickelter Algorithmus fest. Abweichungen werden den Sicherheitsbehörden gemeldet wenn die sie nicht schon in Echtzeit selbst entdeckt haben.
Die permanente Überwachung muss aber nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben. Sie kann und wird mit Sicherheit dazu führen, dass man künftig bei der Krankenkasse einen höheren Beitrag bezahlen muss, weil man die falschen Lebensmittel kauft und sich ungesund ernährt. Wenn das Auto zum fahrenden Datenspeicher wird, dürften Geschwindigkeitsüberschreitungen live gemeldet oder später aus der Black Box rekonstruierbar sein. Wenn die Wohnung mit dem Überwachungssystem der Google Firma Nest ausgestattet ist, wird irgendwann nicht nur die Raumtemperatur gemessen, sondern auch, ob geraucht, getrunken oder laut gefeiert wird. Das Zählen der Bewohner dürfte ein Kinderspiel sein, das Messen und Auswerten des Fernsehverhaltens ebenfalls. Wenn alle Haushaltsgeräte angeschlossen sind, meldet sich der neue Staubsauger, der den alten, defekten oder auch nur stromfressenden ersetzen soll, per Amazon an der Haustür. Big Brother muss kein politischer Diktator sein: Er kommt im Gewand des freundlichen Helfers für den Alltag. Die Diktatur folgt dann leise ganz von selbst. Früher hieß es, "die Freiheit stirbt millimeterweise", heute stirbt sie in Bits und Bytes.
Werden wir durch diesen subtilen Regelmechanismus künftig so berechenbar, dass sich mit den Big Data Techniken der alte Traum verwirklichen lässt, wie Müller Quade schreibt, "die Zukunft vorherzusagen, um aus einer Menge von Handlungsmöglichkeiten die auszuwählen, die die beste Zukunft verspricht"? Legt sich ein "Netz der Vorausberechnung, des Determinismus über die Handlungen der Menschen", wie Frank Schirrmacher schon 2009 fragte?
Amazon experimentiert bereits mit der Technologie des "Anticipatory Shippings", bei dem die Waren an Kunden versendet werden, bevor die sie überhaupt bestellt haben. Im Spielfilm Minority Report versucht man durch Einsatz von Totalüberwachung und "Analytics" vorherzusehen, welche Verbrechen demnächst geschehen werden, um sie im Vorwege zu verhindern. Es ist das System der Katze, die nicht dorthin springt, wo sie die Maus sieht, sondern dorthin, wo die Maus im nächsten Moment sein wird. Auch solche Verfahren sind kein Science Fiction mehr. "Predictive Policing", vorausschauende Polizeiarbeit, wird in den USA schon in mehreren Städten eingesetzt: Die Polizisten patrouillieren verstärkt dort, wo ihnen der Computer die höchste Wahrscheinlichkeit für ein Verbrechen vorhersagt mit Erfolg, wie es heißt. Eine mögliche Konsequenz zeigt der Minority Report, in dem übrigens der Scientologe Tom Cruise die Hauptrolle spielt: Täter werden für Verbrechen festgenommen, die sie noch gar nicht begangen haben. Wie lange dauert es, bis die Täter das mitkriegen und besser in "untypischen" Gegenden zuschlagen? Wer entscheidet, welche Algorithmen zur Anwendung kommen? Und wer entscheidet künftig, was "abweichendes Verhalten" ist?
Der polnisch britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman beobachtet die gesellschaftlichen Auswirkungen der digitalen Überwachung seit einigen Jahren und hat sie in vielen Publikationen beschrieben. Eines der wesentlichen Kennzeichen der "flüchtigen Moderne" sei, sagt Bauman, dass die Macht nur noch schwer greifbar sei, weil sie "sich in einen globalen, exterritorialen Raum verzogen" habe, "während die Politik, die einst zwischen den Interessen des Einzelnen und der Gemeinschaft vermittelte, an feste Orte gebunden bleibt und nicht auf globaler Ebene zu agieren vermag". Das ist einer der Gründe, weshalb es um unser Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung derzeit so schlecht bestellt ist: Die wachsende Macht des militärisch-industriellen Komplexes entzieht sich unserer Kontrolle, die Kräfteverhältnisse verschieben sich, demokratische Spielregeln gelten nur noch bedingt. "Die neuen Formen der Überwachung", analysiert Bauman, "bewirken, kurz gesagt, eine neue Transparenz, durch die nicht nur der Staatsbürger als solcher, sondern jeder Mensch in allen Bereichen des Alltagslebens pausenlos überprüft, beobachtet, getestet, bewertet, beurteilt und in Kategorien eingeordnet werden kann. Und zwar völlig einseitig. Während unser Alltag für die uns beobachtenden Organisationen in allen Details transparenter wird, entziehen sich deren Aktivitäten zunehmend unserer Einsichtsmöglichkeiten. Weil die Macht in der flüchtigen Moderne mit der Geschwindigkeit elektronischer Signale strömt, erhöht sich die Transparenz auf der einen Seite, während sie auf der anderen schwindet."
Die Folgen sind entweder Ausgrenzung für diejenigen, die sich verweigern, oder Bestärkung und Belohnung für diejenigen, die solche Verhältnisse für ganz natürlich halten. Das dürften vermutlich alle Menschen sein, die mit Facebook, Google und Twitter groß geworden sind, also vor allem diejenigen, die seit dem Ende der 1990er Jahre geboren wurden. Das Bemerkenswerte daran ist, dass die Überwachung erst durch den Enthusiasmus der Überwachten ihre ganze Wirkung entfalten kann. Bauman hält deshalb die Verweise auf Benthams Panopticon für nicht mehr zeitgemäß: "Es gab im panoptischen Werkzeugkasten kein Zuckerbrot, nur die Peitsche", denn Bentham wäre es "nie in den Sinn gekommen, die Insassen des Panoptikums mithilfe von Verlockung und Verführung zum erwünschten Verhalten zu bringen".
Die Konzerne, die mit unseren Daten ihre Gewinne machten, hätten Baumans Meinung nach entdeckt, dass "die Manipulation von Entscheidungen in die gewünschte Richtung am besten durch Verführung, nicht durch Zwang zu bewerkstelligen" sei. Der Albtraum des Panoptikums du bist nie allein sei heute als "hoffnungsvolle" Botschaft wiedergekehrt: "Du musst nie wieder allein (verlassen, übersehen, vernachlässigt, überstimmt und ausgeschlossen) sein." Die Marketingstrategen hätten es geschafft, die "Konsumenten" zur freiwilligen Versklavung zu erziehen und dazu, ihre Knechtschaft als einen Zugewinn an Freiheit und als Zeugnis ihrer Autonomie zu erfahren. Bauman fasst es mit drastischen Worten zusammen: "Wir verzichten auf unser Recht auf Privatsphäre und lassen uns freiwillig zur Schlachtbank führen. Möglicherweise stimmen wir dem Verlust der Privatsphäre aber auch zu, weil er ein akzeptabler Preis für das tolle Zeug ist, das wir im Tausch dafür erhalten."
Sich diesem System zu entziehen ist praktisch unmöglich. Verweigerung ist als abweichendes Verhalten verdächtig. Die Nutzung privater Verschlüsselungsverfahren gilt für NSA und andere jetzt schon als Indiz dafür, dass es etwas zu verheimlichen gibt. Benutzer des Tor Netzwerks oder von VPN Pro-grammen 67 stehen im "Überwachungsranking" der NSA ganz weit oben: Sie sind als Heimlichtuer leicht zu identifizieren, und natürlich hinterlässt jeder, der Spuren verschleiert, immer noch Spuren. Auch der deutsche BND setzt XKeyscore gezielt gegen mutmaßliche Anonymous Mitglieder ein, die sich im Deep Weh bewegen. Der Rat, vollständig offline zu gehen, sich also zu "entnetzen", statt zu vernetzen, um der Überwachung entgegenzuwirken, ist für die meisten etwa so hilfreich wie der Rat, nicht mehr am Straßenverkehr teilzunehmen, weil dort jeden Tag Menschen sterben. Aber genauso, wie man seine Überlebenschancen im Straßenverkehr drastisch erhöhen kann, indem man elementare Grundregeln beachtet zum Beispiel nicht bei Rot über eine Ampel gehen oder nicht im betrunkenen Zustand Auto fahren , gilt das im übertragenen Sinn auch für die Benutzung der Datenautobahnen.
Wir brauchen für den Umgang mit dem Internet neue Regeln, individuelle wie gesellschaftliche. Neue Kommunikationstechniken haben den Alltag, das Arbeitsleben und das Freizeitverhalten, radikal verändert, doch die Normen dafür müssen erst noch gefunden werden. Das zeigt der sorglose Umgang mit den sozialen Netzwerken am deutlichsten: Wenn man weiß, dass da draußen ein Monster lauert, muss man es ja nicht noch füttern. "Profile" zu erstellen war früher "Profilern" beim FBI oder dem BKA vorbehalten, die mit solchen mühsam zusammengesetzten Persönlichkeitsbildern versuchten, Serientätern auf die Spur zu kommen. Heute machen das Milliarden Menschen freiwillig und wundern sich, wenn sie zu Fahndungsobjekten werden. Wo aber die Grenzen zwischen privat und öffentlich immer mehr verschwimmen, fällt es zunehmend schwer, sich noch auf eine Privatsphäre zu berufen. "Heute fürchten wir nicht so sehr, dass jemand in unsere Privatsphäre eindringt und uns verrät", stellt Kritiker Zygmunt Bauman erstaunt fest, "sondern das Gegenteil: dass ihre Ausgänge versperrt werden." Die permanente Beobachtung wie in Benthams Panopticon habe sich "aus einer Bedrohung in eine Verheißung verwandelt". Da ist einiges durcheinandergeraten.
Wenn es keine Geheimnisse mehr gibt, so die Vision von Dave Eggers' Heldin Mae Holland in Der Circle, "dann gibt es keine Verbrechen mehr. Keine Morde, keine Entführungen und keine Vergewaltigungen." Alles und jeder soll gesehen werden. "Und um gesehen zu werden, müssen wir beobachtet werden. Beides geht Hand in Hand." Es geht auch darum, Spuren zu hinterlassen. "Jeder kann ein Star sein", sagte einst Andy Warhol. Eggers' Romanheldin drückt es so aus: "Wir wissen alle, dass wir in dieser großen Welt nicht von Bedeutung sind. Deshalb bleibt uns bloß die Hoffnung, gesehen oder gehört zu werden, wenn auch nur für einen Au-genblick."
Jeder, der sich weiterhin an dieser globalen Casting-Show beteiligen will, soll das tun. Die dahinter stehenden Sehnsüchte lassen sich nicht per Gesetz verbieten. Aber der Preis ist hoch, auch wenn alles kostenlos zu sein scheint. Es ist das Verdienst Edward Snowdens und anderer Whistleblower, dass sie uns sensibler gemacht haben hinsichtlich der Frage, was mit unseren Daten geschieht. Wir haben die Kontrolle darüber fremden Mächten übertragen, die sich selbst jeder Kontrolle entziehen. Und während für manche Politiker und Politikerinnen das Internet noch "Neuland" ist, sind die Claims längst abgesteckt. "Während Staaten mit dem Internet verschmelzen und die Zukunft unserer Zivilisation zur Zukunft des Internets wird, müssen wir die Machtverhältnisse neu definieren", sagt Wikileaks Gründer Julian Assange. "Tun wir dies nicht, wird die Universalität des Internets die ganze Menschheit in ein einziges gigantisches Geflecht von Überwachung und massenhafter Kontrolle verstricken."
Ein erster Schritt wäre, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung endlich europaweit festzuschreiben, sodass keine nationalen Schlupflöcher mehr bleiben wie bisher, die von den US Konzernen für ihre Zwecke ausgenutzt wurden. Die noch immer gültige europäische Datenschutzrichtlinie von 1995 ist hoffnungslos veraltet. Facebook und andere sitzen unter anderem deshalb in Irland, weil die dortigen Datenschutzgesetze zu den schwächsten in Europa gehören. Ein starker europäischer Datenschutz könnte eines der besten Argumente für den selbstbewussten Aufbau einer eigenen Infrastruktur werden, so wie heute schon grüne Tech-nologien für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft ein Wachstumsfaktor sind. Ein wirksamer Datenschutz würde auch die stillschweigende Weiterleitung unserer Daten an die US Geheimdienste erschweren. Amerikanische Cloud Dienste bekommen das neue Misstrauen im Übrigen schon zu spüren: Dropbox und andere Anbieter müssen als Folge der NSA Affäre bis zum Jahr 2019 mit bis zu 180 Milliarden Dollar an Einbußen rechnen, prognostizierte die New America Foundation.
Schockstarre ist nicht angebracht. Wo Monopole und Kartelle entstehen, müssen diese wie anderswo in der Wirtschaft wirksam kontrolliert werden. Wenn die Internetgiganten mit unseren Daten Milliardengeschäfte machen, sollte die Frage sein, was sie dafür zu zahlen bereit sind. Schließlich sind wir die Rohstofflieferanten, vielleicht sogar der Rohstoff selbst für den "Treibstoff des 21. Jahrhunderts". Wenn das "Internet der Dinge" Realität wird, könnten uns die Konzerne beispielsweise dadurch entlohnen, dass sie die Geräte kostenlos zur Verfügung stellen, mit denen wir Daten liefern, schlägt Evgeny Morozov vor:' "Sie bekommen beispielsweise eine kostenlose intelligente Zahnbürste, erklären sich im Gegenzug aber damit einverstanden, dass sie Daten über ihre Verwendung sammelt. Und mit diesen Daten werden letztendlich die Produktionskosten finanziert." Das könnte ein fairer Deal unter Geschäftspartnern sein, wenn Transparenz auf beiden Seiten herrscht. Die Internetbenutzer sollten zu "Datenagenten in eigener Sache werden".
Die NSA könnte sich dann zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden, meint Morozov: Entweder sie bittet die Unternehmen, "die diese ganzen intelligenten Apparate entwickeln, um Bereitstellung von Daten, oder sie kauft sie auf dem freien Markt (wo sie letztlich landen), also von uns, den Bürgern". Und vielleicht kommt man dann zur Erkenntnis, dass man manchmal besser mit Geld bezahlt statt mit den eigenen Daten. Wenn sich dieses Bewusstsein durchsetzt, könnte auch eine Art neuer "Bio Bewegung" entstehen. Vielleicht sind Firmen irgendwann einfach nicht mehr "cool", die mit den Daten der Nutzer machen, was sie wollen, die mit diesen Schindluder treiben. Vielleicht möchte der Konsument irgendwann nicht nur wissen, ob Rinder , Schweine oder Pferdefleisch in seiner Lasagne ist, sondern auch, was Google oder Facebook mit seinen Daten anstellen.
In Eggers' Roman Der Circle heißen die drei Grundsätze der Firma: Geheimnisse sind Lügen, teilen ist heilen, alles Private ist Diebstahl. Es sind die Prinzipien des Totalitarismus, subtiler noch als die drei Parolen von George Orwells Big Brother: Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke.
Gegen "Big Data" ist "Big Brother" ein Zwerg.
In dem Maße' in dem sich unser Leben und unsere Persönlichkeit mehr und mehr im Internet abbilden, müssen die digitalen Persönlichkeitsrechte Schritt halten. in naher Zukunft werden nicht nur alle Kommunikations , Bewegungs- und Finanzdaten online verfügbar sein, sondern auch alle genetischen und medizinischen Informationen. Spätestens dann muss das "digitale Ich" vergleichbare Rechte genießen wie das "reale Ich". Die vollständige Kontrolle über möglichst alle gespeicherten Daten gehört dazu, ebenso das Recht auf Vergessenwerden. Die Wiederherstellung der Verfügungsgewalt über die Daten wäre der erste Schritt zu einem neuen Menschenrecht im digitalen Zeitalter. Ohne diese Selbstbestimmung wird es auf Dauer keine Demokratie geben weder in der virtuellen noch in der realen Welt. Nur die Illusion davon.


Web 2.0 bringt wenig für politische Bewegungen
Aus "Überschätzte Debattenkultur: Soziale Medien in Protestbewegungen", auf: Heise online, 26.1.2016
Kneuer untersuchte in ihrer Studie, wie etwa während der weltweiten Finanzkrise seit 2011 unter anderem in Deutschland, Großbritannien, den USA, Spanien und Portugal in sozialen Medien kommuniziert wurde. Sie meint, dass die Occupy-Protestbewegungen 2011 vorschnell als "neues Phänomen" globaler Aktivismen betrachtet wurden.
Hoffnungen darauf, eine globale Bürgerschaft entstehen zu lassen, schienen durch das Internet umsetzbar, allerdings zeigte sich in der Analyse, dass deutlich weniger Beiträge im Netz "transnational" ausgerichtet waren als vermutet. Die transportierten Botschaften – ob Wort, Bild oder Link – bezogen sich überwiegend auf nationale Belange. Globale Akteure wie IWF und Weltbank oder internationale Themen wurden dagegen kaum adressiert. "Eine transnationalisierte Kommunikation als Weg, um sozusagen eine globale Antwort auf die globale Banken-, Finanzkrise und ihre Folgen zu formulieren" sei somit "nicht zu erkennen" gewesen, erläutert Kneuer.
Besonders ernüchternd erscheint durch die Studie, wie es um inhaltliche Debatten in sozialen Netzwerken bestellt ist. Es zeige sich, dass "breite inhaltliche Debatten" eher nicht geführt werden. Von Kommentaren wurde auf Plattformen wie Facebook und Twitter wenig Gebrauch gemacht. In den Protestbewegungen wurden eher "Likes" gesetzt oder Beiträge auf Twitter retweeted. Ein virtueller Raum öffentlicher Beratschlagung (Deliberation) entstand so nicht, erläutert Kneuer. Wenn viel geschrieben wurde, dann eher, um Organisatorisches zu klären – und das wiederum meist im lokalen Bezug.
Wichtiger als die inhaltliche Debatte sei die "Verbreitung von Emotionen oder Symbolen und die Mobilisierung von Aktivisten" gewesen, stellt die Wissenschaftlerin fest. Zwar müsse das nicht heißen, dass keine programmatischen und inhaltlichen Diskurse in den Protestbewegungen existierten, diese würden nur nicht in sozialen Netzwerken geführt.
eshalb ruft Kneuer dazu auf, das Bild, "das wir von der Nutzung sozialer Medien in Protestbewegungen haben", der Realität anzupassen. Soziale Medien dienten zwar dazu, organisatorische Hinweise zu geben, auf Diskurse hinzuweisen oder kombiniert mit affektiven Botschaften Emotionen zu verbreiten. Die jeweiligen Reaktionen auf die einzelnen Posts bildeten jedoch nur die Teilnahme einiger weniger sehr aktiver Nutzer ab. Der Großteil der "Follower" nutze die Plattformen lediglich als Rezipienten.
Kneuer nennt diese Nutzer "Wohlfühlaktivisten", die das Gefühl hätten, Einfluss auszuüben, ohne mehr tun zu müssen, als einer Facebook-Gruppe beizutreten. Auf diese Weise könnten sich Sympathisanten und Aktivisten die Illusion politischer Partizipation erschaffen. Kneuer macht deutlich, dass der Like-Button auf Facebook dazu einlade, sich vom Sofa oder Schreibtisch aus mit einem Klick an einer sozialen Bewegung zu beteiligen. So entstehe aber nur eine gefühlte und symbolische Partizipation, "die gleichwohl keine oder kaum Wirkung entfaltet".
Kneuer kommt zu dem Schluss, dass einige Protestbewegungen im Netz zu optimistisch eingeschätzt und sie zu Unrecht in den Himmel gelobt wurden. Während der Proteste zur weltweiten Finanzkrise im Jahr 2011 wurde im Netz vor allem Organisatorisches geteilt, 2012 wurde dann mehr Programmatisches diskutiert. Von richtigen inhaltlichen Debatten in sozialen Netzwerken kann in diesem Zusammenhang aber kaum die Rede sein. Diese fänden eher offline statt.


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