Demokratie

JOHANNES HEINRICHS

Revolution der Demokratie


1. Aus dem Buch "Demokratie" (SeitenHieb-Verlag)
1. Texte aus Klassikern und aktuellen Theoriewerken (Übersicht)
3. Das Grundlagenprogramm
4. Staat ohne Herrscher
5. Input-orientierte und output-orientierte Demokratie
6. Von den natürlichen Bedingungen der Menschheit im Hinblick auf ihr Glück und Unglück
7. Hamilton/Madison/Jay: Verfassungskommentar
8. Revolution der Demokratie
9. Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein
10. Niklas Luhmann: Die Zukunft der Demokratie
11. Vom Gesellschaftsvertrag
12. Joseph Schumpeter: Elitetheorie
13. Max Weber: Politik als Beruf
14. Die bürgerliche Elite zu ihrem Liebling "Demokratie"
15. Der Staat
16. Thomas von Aquin: Über die Herrschaft des Fürsten
17. Input-orientierte und output-orientierte Demokratie
18. Führungsschicht und einzelner Bürger
19. Die Machtfrage bei Hobbes und Spinoza
20. Vom Staatsrechte, oder dem Rechte in einem gemeinen Wesen
21. Hardt/Negri: Multitude

Aus Heinrichs, Johannes (2003), „Revolution der Demokratie“, Maas Verlag in Berlin

(S. 12)
Dass der Parteienstaat nicht die Antwort auf die grosse Frage der Aufklärung, ja der Menschheit, nach dem guten Leben aller sein kann, bewegt Johannes Heinrichs. Sein Entwurf differenziert anspruchsvoll, gibt aber der Demokratie die erste wirkliche Chance. Heinrichs konzipiert vier Parlamente mit eigenständigen Aufgaben' eigenständiger Verantwortung und eigenständiger Besetzung, nämlich ein Grundwerteparlament, ein Kulturparlament, ein Politikparlament und ein Wirtschaftsparlament. Die Gesetze dieser Parlamente sind alle verbindlich. Das erfordert Kompetenzgrenzen oder Vorrangregelungen. Legitimation verschaffen die Entscheidungen des Grundwerteparlaments. Diese Entscheidungen können nicht diskursiv ermittelt werden, sondern müssen, den Zeitläufen gemäß, von Abgeordneten getroffen werden, die in das Vertrauen des Volkes eingebettet sind. Die Entscheidungen der anderen Parlamente müssen sich in die Grundentscheidungen einfügen.

(S. 15)
Als 1793 die erste republikanische Verfassung beschlossen wurde, definierte Robespierre seine Vorstellung von Demokratie:

"Die Demokratie ist ein Staat, in dein das souveräne Volk, von Gesetzen geleitet, die sein Werk sind, tut, was es tun kann, und durch Delegierte tun lässt, was es selbst nicht verrichten kann."

(S. 18)
Warum sich mit etwas derart Abgestandenem und Unglaubwürdigern wie Demokratie beschäftigen, in der Hoffnung, einen Leserkreis dafür zu interessieren und diesen womöglich zum Handeln zu bewegen? Zu welchem sinnvollen Handeln?
Um im Politikerjargon zu reden und mit rascher Antwort über diesen schmerzlichen Punkt, das Thema interessiere nicht, hinweghuschen zu können: Weil es zu Demokratie keine Alternative geben dürfte. Das ist diesmal sehr ernst zu nehmen und nicht die übliche, bloß rhetorische Verteidigung einer einmal eingenommenen fixen Position wie meist, wo es "keine Alternative" zu irgendeiner Fixierung gibt. Diesmal stimmt es: Wir können nicht zurück. Die wunderbare Idee einer Selbstregierung des Volkes existiert und fordert ihre Verwirklichung ein.
Wohl könnten wir uns in leere Sozialromantik flüchten und jede "Regierung" - von "Herrschaft" zu schweigen - als überflüssig erklären, angesichts einer "Selbstorganisation" oder "Autopoiesis" der vergesellschafteten Menschen: Ihr Zusammensein organisiere sich -so meinen Sozialromantiker - angeblich von allein, wachsend aus der puren, mehr oder weniger verstandesfreien Spontanität der Beteiligten gänzlich von unten her - anarchisch, das bedeutet ohne Regierung und ohne Repräsentanten der Gemeinschaft. Dergleichen Verhältnisse hat es in größeren Gemeinschaften wohl nie in der Geschichte gegeben. Aus dem Tierreich ist das auch nicht bekannt, gleich ob es sich um Rudel oder "Staaten" handelt: Überall finden wir Rang, Hierarchie, Ordnung als Evolutionsprodukt der Selbstorganisation.
Die Freiheitsfähigkeit des Menschen erfordert Ordnungsstrukturen. Eine selbst in Freiheit erdachte und mit der Freiheit des Einzelnen kompatible Ordnung. Sobald eine Gemeinschaft von Menschenwesen eine Schwelle von Größe erlangt hat, tritt sie als eine eigene Entität, als ein eigenes Wesen, ja "Lebewesen", den einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft gegenüber. Das ist unvermeidlich und macht die Würde und Ranghöhe eines Gemeinwesens aus.

Qualität als die Summe der Einzelnen, auch ein anderes als ein im Individuum liegendes Instinktprogramm, wie wir es im Bienenstaat finden. Deshalb muss dieses Mehr nach modernem Freiheitsverständnis "herrschaftsfrei" an den Einzelnen rückgekoppelt sein. Das heißt, er rnuss sich selbst in diesem Mehr der Gesamtheit wieder erkennen und es selbst gestalten können.
Der Ausdruck "Herrschaft" gehörte ursprünglich einer patriarchalischen Epoche der Menschheit an, in der es Herren als "Herr"schende gab und auf der anderen Seite Beherrschte. Im Wort Demokratie stecken die griechischen Worte demos (Volk) und kratein, was mit herrschen übersetzt werden kann, aber nicht unbedingt muss. Kratein kann auch mit Macht ausüben oder einfach regieren ins Deutsche übertragen werden.

Wir können demnach Demokratie statt mit „Volksherrschaft" weniger patriarchalisch mit "Volksregierung" oder "Selbstregierung" des Volkes übersetzen und an dem weltweit eingeführten, großen Wort ruhig für dieses Jahrhundert festhalten, um uns der Sache selbst zuzuwenden.

Es macht wenig Sinn, um alteingeführte Worte als solche zu streiten. Wer Worte und Begriffe zu unterscheiden vermag und um die Brüchigkeit ihrer Verbindung weiß, streitet nicht gern um Worte.
Die Idee der "Selbstbeherrschung", oder besser Selbstregierung, des Volkes enthält die der Selbstorganisation, wohl durchdacht und wohl durchgeführt. Aber eben nicht im an-archischen Sinn von Regierungslosigkeit oder gar Prinzipienlosigkeit (griechisch arche meint Anfang, Ursache, Ursprung, Prinzip). Die verbreitete Ansicht, das Wort Demokratie selbst beinhalte einen Widerspruch in sich, weil Subjekt und Objekt des Herrschens oder vielmehr Regierens zusammenfallen, ist seltsam oberflächlich.
Die dynamische Identität von Regierten und Regierenden und darin die Selbstbezüglichkeit der Gemeinschaft machen gerade die Pointe von Demokratie oder Selbstregierung aus.

(S. 21)
Demokratie braucht die emotionale Bindung, das Glück eines sich selbst aus Freiheit, in Freiheit und zur Freiheit organisierenden Volkes.

Demokratie hat entweder etwas mit dem Glück der Vergemeinschaftung, auch als staatliche Rechtsgemeinschaft, zu tun - oder ihre Sache ist vertan. Vielleicht ist das die eigentliche Alternative: Untätigkeit oder Mitgestaltung von Gemeinschaft?

(S. 22)
Demokratie ist, der Idee nach, eine wunderbare Staatsform. Sie bleibt jedoch bisher eine wenig durchdachte Utopie. Bezüglich ihrer Verwirklichung verharrt sie noch im Embryonalzustand.

(S. 25)
Die meisten Bürger können ebenso wenig positive Entwürfe vorlegen, Jedenfalls keine seriösen in Bezug auf Grundsatzfragen. Das ist -im Unterschied zu Fachwissenschaftlern oder politischen Experten -auch nicht ihre Aufgabe.

(S. 26)
Kurzum: Was die Hauptströmung der politischen Wissenschaft an "Angepasstem" über Demokratie produziert, bat mit der sozialen Realität des weit verbreiteten Unmuts und der, bisher noch stillen, Resignation des angeblichen Souveräns, des Volkes, kaum etwas zu tun. Eher mit egoistischer Selbstgenügsamkeit einer profitierenden Klasse.

(S. 37)
Die Menschheit bildet seit einer Weile einen kollektiven Organismus - und zwar einen solchen in voller Evolution: Die Defekte verstärken sich gegenseitig, ebenso wie die positiven Entwicklungen in jedem Land der Welt.

(S. 39)
Die wichtigsten ökologischen Initiativen (z.B. das CO2-Abkommen) scheitern am Eigeninteresse der Nationalstaaten bzw. der in ihnen dominierenden Wirtschaftsmächte: ein nationales wie internationales Demokratieproblem also!

(S. 40)
Es gibt in der Tat keine bessere Staatsform als Demokratie (im Sinne einer tendenziellen Identität von Regierenden und Regierten).

(S. 51)
"Das gründliche Deutschland kann nicht revolutionieren, ohne von Grund aus zu revolutionieren. Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat."

(S. 55 f.)
Nein, das spezifisch deutsche Durchdenken und Praktizieren von Demokratie steht bis heute noch aus! Damit soll nicht geleugnet werden, dass die Bonner Republik positive pragmatische Beiträge für beides geliefert hat. Sie tat das allerdings als eifrige Konvertitin und Novizin im Rahmen der unglaublich anspruchsvollen Aufschrift der Dollarscheine, des bestehenden novus ordo saeclorum, der neuen Weltordnung.
Es soll zwar nicht impliziert sein, dass jede Nation ihre eigene Demokratie entwickeln müsste, wohl allerdings ihre je eigene Demokratiepraxis. Wer aber eine Ahnung davon hat, eine wie essentielle Rolle das philosophische Denken der Deutschen spielte und dass dieses besonders von Kant bis Marx eine "wichtige, das ganze Menschengeschlecht betreffende Angelegenheit" war (Heinrich Heine), der wird nicht annehmen können, dass dieses Land in der Mitte Europas auf Dauer mit einer Import-Demokratie angelsächsischer Prägung zufrieden sein könnte. Nicht alles, was Heine vor wie nach der 1848er Revolution zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland von Paris aus schrieb, kann hundertfünfzig Jahre später noch gültig sein.

(S. 56)
Sind jene Hoffnungen also ersatzlos zu streichen? Man müsste dann davon ausgehen, dass das Eigentümliche der deutschen Kultur durch Hitler einerseits, durch den Amerikanismus anderseits ein für allemal erledigt sei.

(S. 125)
Als spezifisches Interaktionsmedium der Handlungs- und Systemebene Politik gibt es das Recht. Politik ist Handeln aus Macht bzw. in Bezug auf Macht. Die Willkür der Macht wird durch das Recht eingeschränkt, im Rechtsstaat ausdrücklich allein auf Grund von Rechtsregeln.
Recht ist die Kanalisierung von Macht nach Regeln, eine "Währung" der Macht, die scheinbare oder wirkliche Gewaltfreiheit bezweckt. Wo es kein gemeinsames Recht gibt, gilt nur das „Faustrecht" oder das „Recht" des Stärkeren. ...
Das Recht ist damit ähnlich das formelle Interaktionsmedium der politischen Sphäre wie das Geld dasjenige des Wirtschaftslebens.

(S 126)
Schon lange vor der formellen Fundierung des Staates im Prinzip Recht waren die Staaten "Rechtsverbände": Es galt ein Recht nach innen und außen. Kaiser, Könige und Fürsten "von Gottes Gnaden" sprachen Recht. Wieviel dies mit heutigen Rechtsvorstellungen oder auch damaliger Gerechtigkeit zu tun hatte, das sind ganz andere Fragen. Aber die staatlich-obrigkeitliche Organisation sollte einen Rechtsschutz nach innen und außen und klare Verhaltensregeln, eben das Recht, gewährleisten.

(S. 179)
Die Transformation der jeweiligen Letztwerte in allgemein anerkannte Grundwerte (Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde,
Liebe ...) kann und muss sich auf einen humanistischen und darin spirituellen Grundkonsens aller Menschen guten Willens stützen. Diese humanistische Grundlage gibt es, zumindest in den westlichen Ländern.

(S. 303)
Das Verständnis der vereinigten Individuen als des ersten und alleinigen Souveräns ist ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie.

(S. 391
Sogar das erforderliche Welt-Grundwerteparlament wird die Kontrolle und Überwachung der Menschenrechte allein nicht gewährleisten können, selbst wenn es einmal durch demokratische Wahlen unter paritätischer Beteiligung aller Weltanschauungen und Religionen ' also auch von spirituellen Philosophen und Ethikern, zustande kommt. Für die wirksame Kontrolle bedarf es exekutiver Organe und des Ausbaus eines Appellationsgerichtes für Menschenrechtsverletzungen, das nicht erst bei Kriegsverbrechen großen Ausmaßes tätig wird, sondern auch bei Menschenrechtsverletzungen, besonders struktureller Art, durch religiöse Gruppen und Institutionen. Der Internationale Strafgerichtshof der UNO mit Sitz in Den Haag dürfte dazu in seiner jetzigen Gestalt nicht ausreichen.

(S. 392 f.)
Ähnlich wie dies von Europa gesagt wurde, jedoch wiederum ganz anders, ermöglicht die Ebenendifferenzierung aber die Vieldimensionalität eines Menschheitsorganismus, eine mehrfache, vieldimensionale Einheit. Zum Teil rnuss diese dem schrittweisen geschichtlichen Werden überlassen werden, sofern sie nämlich nicht allein gedanklich vorweg bestimmt werden kann.
Zuletzt wurde nochmals auf die Wichtigkeit der. gesamtmenschlichen, integralen oder spirituellen Energien hingewiesen, die von den
großen Religionen sowohl gehandelt wie gebunden, geordnet wie kontrolliert und unterjocht werden. Wer an diesen Energien pragmatisch vorbeigehen will, versteht unmöglich die Ganzheit und Tiefe der menschlichen Vergesellschaftung, zumal der Menschheitsgemeinschaft.
Was angezielt ist mit den unentbehrlichen "integralen Energien" im Bereich der Demokratie kommt in einem alten, abgründigen Wort bündig zum Ausdruck:

Vox populi, vox Dei.
Volkes Stimme, Gottes Stimme.

Was immer man unter "Gott" verstehen mag - unübertrefflich bringt dieser Spruch die humane wie zugleich die transpersonale, spirituelle Grundlage der Demokratie als Selbstbestimmung und Selbstregierung eines kollektiven Organismus aus dem Fundus einer allgemeinen Wertekommunikation heraus zum Ausdruck.


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