Demokratie

IM NAMEN DES VOLKES: KONSTRUIERUNG EINES KOLLEKTIVSUBJEKTES

Wer ist das Volk?


1. Was ist das Volk?
2. Wer ist das Volk?
3. Gute und böse Klassen: Volk als Kampfbegriff
4. Volk als Kollektivsubjekt (z.B. der Souverän)
5. Wie entsteht ein Volk und wie kommt mensch da rein?
6. Kollektive Identität ... das "Wir"
7. Internationales
8. Die Teile des Ganzes
9. Links

Volks-Herrschaft ist der Kampf um die Definitionsmacht
Wir sind das Volk ... der Spruch aus der Auflösungszeit der DDR. Er wandelte sich (unter tatkräftiger Propagandahilfe aus der BRD) in "Wir sind ein Volk". Aber auch die erste Version hatte es in sich: Hier definierten sich Menschen als Einheit und als das "echte Volk", während andere das nicht sind. Innen und außen werden nicht überwunden, sondern die Grenzen anders gezogen. Das Prinzip bleibt.

Wir sind das Volk (sprechen für das Volk), die anderen nicht!
Aus Lafontaine, Oskar, "Für Sozialaufbau", dokumentiert in: Junge Welt, 21.10.2006 (S. 10 f.)
Die große Koalition regiert am Volk vorbei. "Das Volk, welches die Macht ausübt, ist nicht immer dasselbe Volk wie das, über welches sie ausgeübt wird." Diese Erkenntnis des liberalen Philosophen und Ökonomen John Stuart Mill ist über 150 Jahre alt. Seine kritische Einsicht ist in Deutschland längst Wirklichkeit geworden.


Nochmal Lafontaine - im Interview des Deutschlandradios, zitiert in: Junge Welt, 4.11.2006 (S. 4)
Der Bundestag entscheidet mit Mehrheit immer gegen das Volk ...

Ganz ähnlich Willi von Ooyen, ständig als selbsternannter Sprecher irgendeiner Friedensbewegung auftretend, in: Junge Welt, 28.3.2007 (S. 2)
Das Problem ist nicht so sehr Frau Merkel, sondern die fatale Mehrheit im Bundestag, die dem Streben des Volkes nach Frieden und Abrüstung keine Beachtung schenkt, geschweige denn nachkommen will.



Aus Karl Albrecht Schachtschneider (2012), "Die Souveränität Deutschland" (S. 38)
Volk ist ein Begriff der Ethik, also des Rechts, genauer: des Staatsrechts. Volk ist nur eine Ethnie, wenn das Staatsrecht das Volk ethnisch definiert. Wenn der Volksbegriff menschheitlich verfasst sein soll, muss er dem weltrechtlichen Prinzip der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit genügen. Zum Volk gehören danach grundsätzlich alle Menschen, die dauerhaft auf einem Gebiet wohnen. ... Die territoriale Rechtsgemeinschaft muss prinzipiell alle Menschen erfassen, die ein Gebiet bewohnen, um mit dem Recht den Frieden zu gewährleisten. Neben dem Volk kann eine Bevölkerung von Menschen ohne Staatsangehörigkeit dauerhaft nicht geduldet werden.
Um der allgemeinen Freiheit, die sich demokratisch in der Republik verwirklicht, eine Chance zu geben, muss das Volk hinreichend homogen sein (Rprp, s. 1177 ff).



Kein Volk, nur Propaganda
Aus: David Van Reybrouck (2016), "Gegen Wahlen", Wallstein Verlag in Göttingen (S. 28)
Dass diese Geschichte hinten und vorne nicht stimmt, ist hinlänglich bekannt. Es gibt nicht ein monolithisches Volk (jede Gesellschaft setzt sich aus diversen Teilen zusammen), es gibt nicht so etwas wie „Volksempfinden“. Und common sense ist das Ideologischste, was man sich vorstellen kann. Common sense ist Ideologie, die sich weigert, ihre eigene Ideologie zu sehen, ein Zoo, der aufrichtig glaubt, unberührte Natur zu sein. Dass jemand organisch mit der Masse verschmolzen sein kann, durchdrungen von ihren Werten und mit einem untrüglichen Bewusstsein für ihre veränderlichen Sehnsüchte, tendiert denn auch eher zu Mystik als zu Politik. Es gibt keine Grundströmung, nur Marketing.

Das Volk handelt ...
Aus "Es geht nur um ihn" von Markus Deggerich und Gunther Latsch, in: Spiegel 37/2005 (S. 48)*
Dort nämlich hat Oskar, mit "französischen Freunden", am Abend des Referendums die Ablehnung der Europäischen Verfassung gefeiert und "gespürt", dass "das Volk die Dinge wieder selbst in die Hand genommen hat"


Aus Joseph A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, zitiert in: Massing, Peter/Breit, Gotthard (2002): „Demokratie-Theorien“, Wochenschau Verlag Schwalbach, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn (S. 184, mehr Auszüge ...)*
Kollektive handeln jedoch beinahe ausschließlich dadurch, daß sie eine Führung akzeptieren - es ist dies der beherrschende Mechanismus praktisch jedes kollektiven Handelns, das mehr ist als bloßer Reflex.


Aus Locke, John, "Zwei Abhandlungen über die Regierung" (II § 198), zitiert in: Gebhardt, Jürgen/Münkler, Herfried (1993), "Bürgerschaft und Herrschaft", Nomos in Baden-Baden (S. 165)
Denn wo die Majorität nicht auch die übrigen verpflichten kann, kann die Gesellschaft nicht als ein einziger Körper handeln und wird folglich sofort wieder aufgelöst werden.

William Penn,1644 - 1718 (aus einer Zitatesammlung)
Macht das Volk glauben, daß es regiert, und es wird sich regieren lassen.


Im Namen des Volkes
Aus dem Endplädoyer von Hermann Göring im Nürnberger Prozess 1946, zitiert nach Junge Welt, 14.3.2006 (S. 11)
Das einzigste Motiv, da mich leitete, war heiße Liebe zu meinem Volk, sein Glück, seine Freiheit und sein Leben.


Text von Werner Braeuner, JVA Oldenburg, Jan. 2005
"Augenblick der Wahrheit" heißt der Moment, in dem Stier und Torero sich in der Arna gegenüberstehen und der Kampf zur tödlichen Entscheidung kommt. Beinahe immer zieht der Stier dabei den kürzeren. Das Vieh ist zwar stark aber dumm und verwechselt den Angreifer mit dem roten Lappen, den dieser vor sich hält.
Angenommen, der rote Lappen sei ein Gesetzbuch, der Stier stünde für "das Volk" und der Torero für eine Große Strafkammer - mach ein solcher Vergleich Sinn? Sicherlich nicht für Menschen, die glauben, Recht habe etwas mit Gerechtigkeit zu tun, weil Gerichtsurteile "im Namen des Volkes" gesprochen werden. Zudem werden Rechtgläubige nicht zustimmen, jenes "Volk" sei - so wie ein Stief - zwar stark aber dumm. Über allem die Schwierigkeit, ein Volk nicht einmal befragen zu können, denn es besteht aus lauter verschiedenen Personen mit verschiedenen Einzelmeinungen.
Im weiteren zu sehen, wie ein ehemaliger französischer Justizminister solche Fragen umgeht; anstatt von Volk, spricht er einfach von "Gesellschaft". Die ist offenbar ein höheres Einzelwesen mit höherer Einzelmeinung, nämlich jener berüchtigten herrschenden Meinung, welche bekannt die der Herrschenden ist. Ganz in diesem Sinne sagte Robert Badinter, Justizminister der Regierung von Francois Mitterand, kürzlich anläßlich einer Rede in Paris folgenden bemerkenswerten Satz: "Keine Gesellschaft ist bereit, ihren Gefangenen bessere Existenzbedingungen zu bieten als ihren jeweils ärmsten Bevölkerungsschichten." (F.A.Z. vom 7.12.2005, Seite N3).
Es sei dem französischen Ex-Justizminister verziehen, Gesellschaft und Justizministerium zu verwechseln ...


Peinlich: Linksparteioberer zu Wahlen
Aus einem Interview mit dem hessischen Fraktionschef Willi van Ooyen, in: FR, 4.12.2008 (S. D8 Hessen)*
Einen Ackermann können die Menschen nicht wählen. Den Ministerpräsidenten und das Parlament als Kontrollinstanz schon.
*Peinlich deshalb, weil erstens hier "die Menschen" suggeriert, als wenn auch individuelle Meinungen zur Geltung kommen und nicht nur das Wahlergebnis als Kollektivausdruck. Und zweitens, weil der Ministerpräsident gar nicht in Wahlen bestimmt wird.


Titelschlagzeile der Jungen Welt (hier als Online-Screenshot): Russland, China usw. sind die Stimme der Menschen in Afrika!

Der Kampf der Eliten: Wer spricht für das Volk?
Aus "Fusion abgesegnet" in: Junge Welt, 26.3.2007 (S. 1) aus einer Rede Oskar Lafontaines:
Es habe sich gezeigt, daß der Bundestag in schöner Regelmäßigkeit mit Zweidrittelmehrheit Entscheidungen fälle, die von mindestens zwei Dritteln des Volkes abgelehnt würden.


Aus "Kurzlebige Beschlüsse", in: Junge Welt, 26.3.3007 (S. 3) aus einer Rede von Klaus Ernst:
Wir brauchen eine starke Linke, damit das Volk überhaupt noch eine politische Vertretung hat, Kolleginnen und Kollegen.


Aus "Demokratie" (Informationen zur politischen Bildung 1/2017, S. 10)
Stimmungen, und es gab Redner, die diese Stimmungen für eigene Interessen ausnutzten (Demagogen). So waren vor allem die Volksversammlung und-die Demagogen, die Stimmführer in ihr, für die innenpolitischen Krisen von 411/10 und 404/403 v. Chr. verantwortlich gemacht worden, in denen die Demokratie für kurze Zeit aufgehoben und durdch eine Oligarchie, die Herrschaft von einigen wenigen, ersetzt worden war.

Im Original: Eliten
Aus Martin H.W. Möllers (2014): „Volkssouveränität und Sicherheitspolitik“ (S. 23)
Vor allem aber ist festzustellen, dass in den heutigen politisch gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sich öffentliche und private Bürokratien verflechten und zum Teil auch neue Korporationen bilden, die weitere Interdependenzen begründen. Diese Verflechtungen unterlaufen dann das politische Entscheidungsmonopol. Zusätzlich vernetzen sich in fast allen wichtigen Regelungsbereichen die Handlungen von Politikern, Wissenschaftlern und Unternehmern und geraten in unübersehbare Abhängigkeiten von gesellschaftlichen Kreisläufen. Damit muss in Frage gestellt werden, ob tatsächlich überhaupt noch politische Entscheidungen von einem politischen System getroffen und verantwortet werden. So scheint auch das Souveränitätskonzept der Systemtheorie am Ende zu sein.


Das Volk entsteht durch die Vertretung des Volkes
Hobbes, Thomas, "Leviathan", Chapter XVI: Of Persons, Authors, and Things Personated, zitiert in: Altvater, Elmar (2005), "Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen", Westf. Dampfboot in Münster (S. 201)
A multitude of men are made one person when they are by one man, or one person, represented.


Kollektive Identität im Kampf der Kulturen
Aus Gröhe, Hermann, „Karikaturenstreit mit Folgen“, in: chrismon 4/2006 (S. 10)
Wir im Westen sollten für unser Verständnis einer freiheitlichen Gesellschaft selbstbewusst eintreten, ...
*Der Autor ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Herausgaben des christlichen Magazins „Chrismon“


Aus einer Rede von Raul Castro, amtierender Präsident von Cuba (von seinem Bruder dazu ernannt - wie sich das gehört in einem Führerstaat) auf der Konferenz der Blockfreien, dokumentiert in: Junge Welt, 18.9.2006 (S. 3)
Die hier Versammelten repräsentieren die gewaltige Mehrheit der Völker der Erde.


Aus der Rede von Hugo Chavez Frias nach dem Verfassungsreferendum am 15.2.2009, in: Junge Welt, 25.2.2009 (S. 10 f.)
Volk, befiehl, ich werde zu gehorchen wissen! Ich bin ein Soldat, ihr seid mein Chef. Ich bin ein Soldat des Volkes, verfügt über diesen Soldaten, entscheidet ihr, und ich werde dem Befehl des Volkes gehorchen. ...
Dieser heutige Sieg ist ein Sieg von ganz Venezuela, es ist auch ein Sieg derjenigen, die nicht abgestimmt haben, es ist sogar ein Sieg derjenigen, die mit "Nein" gestimmt haben, auch wenn sie das nicht akzeptieren und nicht verstehen. Das ist ein Sieg Venezuelas, und sie sind Teil dieses Landes. ...
Ich sage dies mit den Worten des heiligen Paulus, diesem Kämpfer für die Völker. Von heute an, erkläre ich, verzehre ich mich mein ganzes Leben lang im vollen Dienst für das venezolanische Volk, und ich werde mich gerne verzehren, wie es der heilige Paulus sagt. ...
Das Volk muß der Hauptakteur bei der Bewältigung dieser Aufgaben sein, denn diese Demokratie muß jeden Tag mehr authentischer, revolutionärer, protagonistischer und eine Volksdemokratie sein. ... Euch ist es gelungen, die Lüge zu besiegen und die Wahrheit durchzusetzen. ... von heute an ist ein großes Potential erwacht, daß geschlafen hatte, und dieses Potential heißt Heimatland, das ewige Heimatland, das bleibende Heimatland, das dauerhafte Heimatland, das große Heimatland, das, und ich wiederhole mich, niemals wieder diesen Banden in die Hände fallen wird, die das Volk und das venezolanische Heimatland ausplündern wollen.
Denn alle, die heute für das "Ja" gestimmt haben, haben für den Sozialismus gestimmt, für die Revolution; und alle, die heute für das "Ja" gestimmt haben, haben für Chávez gestimmt. Für Chávez zu stimmen bedeutet für euch selbst zu stimmen, für unsere Kinder, für unsere Zukunft. ...
Dieser Tag war lang, es war ein langer Tag voller Anstrengung und der Tag eines großen Sieges. Von hier aus wiederhole ich den Aufruf an alle, daß wir die nationale Einheit verstärken, die Einheit des Volkes, damit ganz Venezuela niemals wieder zurückfällt, damit die Zukunft des sozialistischen Heimatlandes jeden Tag größer wird. Was für ein großer Kampf, Vater! Was für ein großer Sieg, Mutter! Was für ein großer Sieg! Das heutige Beispiel ist ein weiteres Beispiel dafür, daß das venezolanische Volk wie ein großer kollektiver Lazarus von den Toten auferstanden ist und hier erneut sein neues Heimatland aufbaut, unser gutes Heimatland, unser schönes Heimatland. Gott segne euch, Jugendliche, Gott segne ganz Venezuela.
Immer bis zum Sieg! Heimatland, Sozialismus oder Tod! Wir werden siegen! Es lebe Venezuela! Es lebe das Volk!


Aus Alex Demirovic, "Wirtschaftsdemokratie, Rätedemokratie und freie Kooperationen", in: Widerspruch 55 (2/2008, S. 58 f.)
Die liberalen Demokratien der OECD-Staaten legen mehr oder weniger explizit fest, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Daraus ergibt sich das unlösbare Problem aller modernen Demokratien und Demokratietheorien, daß sie sich auf eine Grundlage stützen, die sie selbst nicht begründen können: das Volk. Den Verfassungen oder demokratietheoretischen Unterstellungen zufolge gibt sich das Volk eine Verfassung und bestimmt die Ausübung staatlicher Gewaltausübung. Doch wer gehört zum Volk zu dem Zeitpunkt, da es sich die Verfassung erst noch geben wird? Als politisch verfasstes Volk existiert das Volk erst, nachdem es sich bereits die Verfassung gegeben hat, erst ab diesem Moment kann es definieren, wer dazu gehört und wer nicht. Es konstituiert sich also durch den Akt der Verfassungsgebung, der es als solches aber bereits voraussetzt. "Volk" ist ein irrationeller Ausdruck. Er kann nicht begründet werden. Das Volk gibt es vor der Verfassung nicht. Wird aber der Volkssouverän durch die Verfassung als politische Körperschaft konstituiert, muss er einen einheitlichen Willen haben, der die Gestalt von allgemeinverbindlichen Gesetzen annimmt. Doch die Einheitlichkeit des Willens des Volkes ist nicht möglich. Entsprechend gibt es ständige Auseinandersetzungen darum, was als allgemeiner Wille des Volkes verstanden werden kann und was seinem Wohl dient. Wird der Wille des Volks also nicht substanzialistisch unterstellt, insofern er im einmaligen Gründungsakt des Gemeinwesens selbst schon immer enthalten ist, so kann und muss pluralismustheoretisch angenommen werden, daß sich der Wille des Volks im Durchschnitt aller Entscheidungen durchsetzt.
Doch dieses Volk und sein Wille gelangen niemals zu einer letzten und authentischen Entscheidung. Soweit das Bürgertum glauben mochte, daß dies möglich sei, wurde es eines Besseren belehrt. Denn es erwies sich, daß der Bezug auf einen letzten Willen des Volkes letztlich zur Usurpation des allgemeinen Wohls zugunsten einer partikularen Gruppe führen musste. Die Politik und die Demokratie der bürgerlichen Gesellschaft basieren demnach auf der Instanz des Volkssouveräns, den es nicht gibt. Dennoch vollzieht sich in der Wirklichkeit alles so, als gäbe es ihn. Damit haben Volk und Volkssouveränität einen ähnlichen begrifflichen Status wie Gott: es gibt ihn nicht, dennoch bauen die Menschen Kirchen, Klöster und soziale Einrichtungen, sie beten und knien nieder, singen Lieder, töten andere im Namen Gottes und geben ihm damit Existenz ...


Ernst Robert Curtius
Je mehr die Nation Masse wird, um so nötiger sind ihr Eliten.


Variante "die deutsche Gesellschaft"

Recht konstitutiert Volk
Aus Ludger Schwerte (2012), „Vom Urteilen“ (S. 41)
Das Gesetzeswerk, das Programm, geht der Zustimmung und Befolgung voraus: es hat den Einzelnen als solchen (als zählbares Individuum mit unverwechselbaren Eigenschaften) überhaupt erst hervorgebracht. Vom Standpunkt der Hypernomie aus betrachtet, ist der Gedanke, dass ein Volk sich Regeln gibt, abwegig, denn nach welchen Regeln sollte sich das Volk denn Regeln geben? Das Volk wird, aus dieser Sicht, von den Gesetzen konstituiert, nicht andersherum.

Legitimation: Das Volk sind die Besseren des Volkes
Götz Aly in einem Kommentar in der FR, 18.9.2012 (S. 10)
Unsere Politiker sind im Schnitt weit besser als wir, das von ihnen repräsentierte Volk; wir brauchen sie, weil sie für uns Konflikte lösen, die wir ohne sie niemals beherrschen könnten, weil sie sich - vergleichsweise dürftig bezahlt - für eine Gesellschaft abrackern, die sonst im Sumpf partieller Obsessionen und Egoismen versinken würde.

Der Souverän als Grundlogik aller Staatsformen
Aus Erich Fromm, "Anatomie der ..." (S. 56)
Kein Diktator bezeichnet sich selbst als Diktator, und jedes System nimmt für sich in Anspruch, den Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen. Andererseits sind in Ländern der "freien Welt" die "anonyme Autorität" und die Manipulation an die Stelle der offenen Autorität in Erziehung, Arbeit und Politik getreten.

Souverän im Mittelpunkt und die Gesellschaft als sozialer Organismus
Aus Hardt, Michael/Negri, Antonio (2004): „Multitude“, Campus Verlag in Frankfurt (S. 361, mehr Auszüge ...)
Die gesamte Tradition der politischen Theorie scheint in einem grundlegenden Prinzip übereinzustimmen: Es kann nur "der Eine" herrschen, ganz gleich, ob man unter diesem Einen den Monarchen, den Staat, die Nation, das Volk oder die Partei versteht. Die drei traditionellen Regierungsformen, welche die Basis des antiken wie des modernen politischen Denkens in Europa bilden - Monarchie, Aristokratie und Demokratie -, reduzieren sich so betrachtet auf eine einzige Form. Bei der Aristokratie mag es sich um die Herrschaft der Wenigen handeln, aber dies auch nur insofern, als diese wenigen in einem einzigen Körper oder in einer einzigen Stimme vereint sind. Ähnlich lässt sich die Demokratie als die Herrschaft vieler oder aller auffassen, aber eben nur insofern, als sie zum Volk oder einem anderen Einzelsubjekt vereint sind. Dabei sollte jedoch klar sein, dass dieses Grundprinzip des politischen Denkens, wonach nur der eine herrschen kann, den Begriff der Demokratie unterhöhlt und negiert. Die Demokratie ist - in diesem Falle gemeinsam mit der Aristokratie - nur Fassade, denn de facto ist die Macht monarchisch.
Der Begriff der Souveränität bestimmt die Tradition der politischen Philosophie und dient gerade deshalb als Grundlage alles Politischen, weil ihm zufolge stets ein Einziger herrschen und entscheiden muss. Nur der eine kann souverän sein, so will uns die Tradition glauben machen, und ohne Souveränität gibt es keine Politik. Diese Ansicht wird von den Theorien der Diktatur wie etwa dem Jakobinismus ebenso vertreten wie von allen Spielarten des Liberalismus und dient jeweils als eine Art unvermeidliches erpresserisches Druckmittel. Die Wahl ist eine absolute: entweder Souveränität oder Anarchie! So sehr etwa der Liberalismus - und das sei hier besonders betont - für Pluralität und Gewaltenteilung eintritt, so sehr beugt er sich in letzter Instanz doch immer wieder den Notwendigkeiten der Souveränität. Irgendjemand muss herrschen, irgendjemand muss entscheiden. Das wird uns ständig als eine Art Binsenweisheit präsentiert, die sogar in sprichwörtlichen Wendungen Rückhalt findet: Viele Köche verderben den Brei. Um zu herrschen, um zu entscheiden, um Verantwortung und Kontrolle zu übernehmen, muss es einen Einzigen geben, alles andere endet in der Katastrophe. ...
Die Notwendigkeit des Souveräns ist die fundamentale Idee, die in der traditionellen Analogie zwischen dem gesellschaftlichen und dem menschlichen Körper ihren Ausdruck findet. Die Illustration, die das Frontispiz der Originalausgabe von Thomas Hobbes' Leviathan ziert und die von Hobbes selbst entworfen wurde, zeigt diese Idee auf ganz wundervolle Weise (vgl. dazu Schmitt 1938). Aus der Entfernung betrachtet, zeigt die Illustration den Körper des Königs, der die Erde überragt, aber bei näherem Hinsehen kann man erkennen, dass sich der Körper unterhalb des königlichen Kopfes aus Hunderten von winzigen Körpern der Bürger zusammensetzt, die seine Arme und seinen Oberkörper bilden. Der Körper des Souveräns ist hier im Wortsinne der soziale Körper als Ganzes. Diese Analogie dient nicht nur dazu, die organische Einheit hervorzuheben, sie soll auch die Teilung der sozialen Funktionen bekräftigen und als ganz natürlich erscheinen lassen. Es gibt nur einen Kopf, und die verschiedenen Gliedmaßen und Organe müssen dessen Entscheidungen und Befehlen gehorchen. Physiologie und Psychologie beglaubigen somit die offensichtliche Wahrheit der Souveränitätstheorie noch einmal. In jedem Körper gibt es eine einzige Subjektivität und einen rationalen Geist, der über die Leidenschaften des Körpers herrschen muss.
Wir haben weiter oben darauf hingewiesen, dass die Multitude aus genau diesem Grund kein sozialer Körper ist: Sie lässt sich nicht auf eine Einheit reduzieren und unterwirft sich nicht der Herrschaft des einen. Die Multitude kann nicht Souverän sein. Aus dem gleichen Grund lässt sich die Demokratie, die Spinoza als absolut bzw. "vollständig unumschränkt" bezeichnet, nicht als Regierungsform im traditionellen Sinne verstehen, denn sie reduziert die Pluralität jedes Einzelnen nicht auf die einheitliche Gestalt der Souveränität. Unter streng praktischen, funktionalen Gesichtspunkten, so erklärt uns die Tradition, kann die multiple Menge keine Entscheidungen für die Gesellschaft treffen und deshalb ist sie für die eigentliche Politik irrelevant.


Auch kommunistische bis anarchistische Ideen vom Leitgedanken der Souveränität geprägt
Aus Hardt, Michael/Negri, Antonio (2004): „Multitude“, Campus Verlag in Frankfurt (S. 389, mehr Auszüge ...)
Möglichkeit einer vollständigen und absoluten Demokratie. Das Projekt der Demokratie muss deshalb heute als Voraussetzung für die Einführung von Demokratie alle bestehenden Souveränitätsformen in Frage stellen. In der Vergangenheit war die Zerstörung von Souveränität Kernbestandteil des kommunistischen und anarchistischen Vorhabens von der Abschaffung des Staates. Lenin erneuerte diese Vorstellung in seiner Schrift Staat und Revolution theoretisch, und die Sowjets waren darauf ausgerichtet, sie während der Revolution in der Praxis neu zu erfinden. Als vorrangiger Ort der Souveränität, die über der Gesellschaft stehe, transzendent sei und demokratische Artikulation verhindere, galt der Staat.

Der Staat als Abstraktion des imaginierten Allgemeinwillens
Aus Bakunin, Michail: "Marxismus - Freiheit - Staat"
Außerdem ist der Staat ähnlich wie die Kirche schon von Natur aus ein großer Opferer lebendiger Wesen. Er ist ein Willkürwesen, in dessen Herzen alle positiven, lebendigen, individuellen und lokalen Interessen der Bevölkerung sich begegnen, zusammenstoßen, einander wechselseitig zerstören und absorbiert werden in jener Abstraktion, die man das Allgemeininteresse, das Allgemeinwohl, die allgemeine Sicherheit zu nennen pflegt, und wo alle realen Einzelwillen einander aufheben in jener anderen Abstraktion, die den Namen Wille des Volkes trägt. Daraus folgt, daß dieser sog. Wille des Volkes niemals etwas anderes ist als die Opferung und die Negation aller realen Einzelwillen der Bevölkerung; gerade so wie das sogenannte Allgemeinwohl nichts anderes ist als die Opferung ihrer Interessen. Aber damit diese alles verschlingende Abstraktion sich Millionen von Menschen aufzwingen konnte, mußte sie von irgendeinem wirklichen Wesen, irgendeiner lebendigen Kraft getragen und repräsentiert werden. Nun, dieses Wesen, diese Kraft hat immer existiert. In der Kirche ist es die Geistlichkeit und im Staat – die herrschende Klasse.


Aus Prantl, Heribert: "Apfelbaum-Demokratie", in: SZ, 18.10.2010 (S. 4)
Auch im Grundgesetz gibt es keine Schlichtung; es gibt dort nicht einmal Bürger. Es gibt dorf nur das "Volk", die "Deutschen" oder Subjekte namens "Jeder" oder "Jedermann". Die Staatsgewalt geht laut Grundgesetz "vom Volke aus" und nicht vom Bürger, und sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt - und wenn sie dann ausgeübt ist, ist man ihr unterworfen, nach Maßgabe der Gesetze des öffentlichen Rechts.


  • Passend dazu auch: Aristokratie als demokratische Struktur

NGOs = Zivilgesellschaft = Volk?
Eine bemerkenswerte Variante des Verständnisses von "Volk" präsentieren selbsternannte VertreterInnen von sozialen Bewegungen und NGOs: Sie selbst seien die Keimzellen neuartiger Zivilgesellschaft und die VorreiterInnen für moderne Volksidentität. Deshalb müssten sie an den politischen Entscheidungen beteiligt werden ... womit das Motiv für diese Theorien deutlich wird: Eigene Machtfülle!

Aus Franco Russo, "Wer gibt die Verfassung?" in: Sozialistische Zeitung SoZ 12/2005 (S. 14, Russo war Koordinator der "Versammlung für die Charta der Grundsätze eines anderen Europa" in Florenz)
In diesem Prozess müssen das Europaparlament und die nationalen Parlamente, vor allem aber die sozialen Akteure eine Rolle spielen - die Migranten, die Gewerkschaften, die NGOs, die Parteien, die Bewegungen. Das "Volk auf der Straße" wird keine Verfassung ausarbeiten, aber es braucht einen öffentlichen Raum, in dem demokratisch gewählte Vertreter und Zivilbürger diskutieren und entscheiden können. ...
Ein europäisches Volk kann sich durch einen "verfassungsbildenden Gesellschaftsvertrag" herausbilden, an dem alle beteiligt werden müssen.


Aus Christian Meier, "Die Parlamentarische Demokratie", dtv in München (S. 7, 268)
Es ist gut, wenn eine rechtschaffene demokratische Verfassung selbstverständlich und zur Routine wird; wenn ein Volk seine Ordnung unaufgeregt und vielleicht gar mit jener Gelassenheit lebt, die auch einmal fünf gerade sein läßt. ..
Europäische Gesellschaften wollen nicht von undurchschaubaren Mächten, welcher Art sie auch sein mögen, gelenkt werden. Sie wollen nicht irgendwo treiben, ohne zumindest zu wissen, warum, wozu und wohin. Sie wollen wenigstens verstehen, was mit ihnen vorgeht, wenn sie es schon - jedenfalls zuweilen - nicht ändern können.


Guido Westerwelle, FDP-Boss, nach den Anschlägen auf das WTC und Pentagon am 11.9.2001
In dieser Zeit kann es keine Regierungs- und keine Oppositionsparteien mehr geben, sondern nur noch Deutsche.

Das Volk ist gar nicht da ... der "wahre" Volkswille als "mutmaßlich allgemeines Bestes" ...
Aus Besson, W./Jasper, G. (1966), "Das Leitbild der modernen Demokratie", Paul List Verlag München (herausgegeben von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, S. 35 ff)
Repräsentation bedeutet in erster Linie Darstellung und, Vergegenwärtigung eines nicht ohne weiteres oder überhaupt nicht sichtbaren, Verkörperung eines gar nicht körperhaft bestehenden Gebildes. Wenn das Parlament das Volk repräsentiert, dann stellt es das gesamte Volk dar, handelt und beschließt für das Volk. Volk selbst aber umschließt nicht nur die augenblickliche Wählerschaft, sondern auch die Wahlunmündigen und Wahlunfähigen. Zum Volk gehören die Großväter ebenso wie die Enkel, es umfaßt die ganze Kette der Generationen. Unter diesem Blickpunkt handeln auch die Wähler nur stellvertretend für das Volk, tragen also selbst einen repräsentativen Charakter. ...
Doch enthält die Idee der Repräsentation noch mehr. Die Wahl’ soll in den parlamentarischen Vertretungskörperschaften sozu sagen das bessere Ich der Wählerschaft hervorbringen. Wählen schließt den Versuch nüt ein, eine demokratische Aristokratie, eine politische Elite hervorzubringen, nachdem die Herrschaft einer ständisch abgehobenen, vererbbaren Aristokratie in der industriellen Zivilisation ebenso widersinnig und unmöglich geworden ist wie die Erbmonarchie. Die Mitglieder der gewählten Elite der Demokratie können freilich abberufen werden. ...
Diese Funktion im Prozeß der politischen Willensbildung besteht nach der repräsentativen Theorie darin, den „wahren“ Volkswillen zu erkennen, der sich am mutmaßlichen allgemeinen Besten orientiert und keineswegs identisch sein muß mit der augenblicklichen Summe der Meinungen eines Volkes. ...
Wahl bedeutet also nicht Delegation von Volksboten, die im ,Parlament lediglich die Wünsche ihrer Wähler vortragen, sondern enthält eine Vertrauenserklärung an die Gewählten und ihre Fähigkeit, die wahren Interessen des Volkes richtig zu erkennen.


Aus: Historisches Lexikon der Schweiz
Staatsform, in welcher das "Volk" (griech. demos), d.h. die Gesamtheit der vollberechtigten Bürger, nicht ein Einzelner oder eine kleine Gruppe Mächtiger, die Staatsgewalt innehat.

Aus dem Heidelberger Online-Lexikon der Politik
Der Volkswille ist fiktiv ...

Die Völker handeln als Subjekte
Aus der Präambel der Charta der Vereinten Nationen
Wir, die Völker der Vereinten Nationen, ... haben beschlossen ...

Aus Fichte, Johann Gottlieb, "Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre" (1796). PhB 256, Nachdruck 1991, zitiert in: Weber-Fas, Rudolf (2003): Staatsdenker der Moderne, UTB Mohr Siebeck in Tübingen (S. 200, mehr Auszüge ...)
Wo ist denn die Gemeine, und was ist sie? Ist sie denn etwas mehr, als ein bloßer Begriff: oder, wenn sie etwas mehr sein soll, wie ist sie denn zu realisieren?
Hinweis: Fichte setzt den Begriff "Gemeine" für Volk ein.

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