Demokratie

MASSE ... IN FORM GEGOSSEN
WIRD AUS DEN VIELEN AUCH VIELFALT?

Plädoyer für Vielfalt ohne Hierarchie


1. Soziale Organisierung als Teil des Menschseins
2. Eine Menge von Menschen kann sehr unterschiedlich aussehen
3. In welcher Form leben wir?
4. Biologie und Kultur des Menschen bieten mehr
5. Plädoyer für Vielfalt ohne Hierarchie
6. Links und Leseempfehlungen

Die wichtigsten Argumente und Grundlegungen für eine Gesellschaft freier Menschen in freien Vereinbarungen werden in den Texten zur Entstehung und Substanz der Welt und des Lebens, zum Menschsein und seiner Selbstentfaltung, zum Verhältnis von Eigennutz und Gemeinnutz sowie von Mensch und Natur zu finden sein. Doch schon jetzt lassen sich erste Schlussfolgerungen treffen für eine herrschaftsfreie, selbstorganisierte Welt ... piep - Ihre Route wird neu berechnet!

Je weniger Differenz, desto einfacher beherrschbar
Hierarchie ist Kontrolle und Beherrschung. Masse ohne Differenz neigt zur Ausschaltung von Individualität und Eigenheit der Einzelnen und Teile. Das ändert sich auch nicht, wenn die Masse als Gesamtwille scheinbar selbst zu agieren beginnt. Das Volk als handelndes Subjekt ist nicht der Gegenpol zur Führung, sondern dessen Entsprechung. Denn die Einheitlichkeit einer Masse, die Idee des Volkskörpers als Subjekt mit Gemeinwillen bedarf einer Führung, um sich artikulieren zu können. Andersherum nützt der Führung die Inszenierung des Volkswillen als Legitimation - die Inthronierung als Sprachrohr des Volkes ist die modernste solcher Formen. Die einheitliche Masse ist leicht führbar, wenn ihre Fähigkeit zur kritischen Reflexion durch Abwesenheit von Binnenstruktur minimiert und die Fremdbestimmung als eigener Wille verkauft wird.

Auszug aus Len Fisher (2010): "Schwarmintelligenz", Eichborn in Frankfurt
Mit anderen Worten braucht es nur einige wenige anonyme Anführer mit einem klaren Ziel vor Augen und einer klaren Vorstellung davon, wie dieses zu erreichen ist, um den Rest des Schwarms in eine bestimmte Richtung zu lenken -und zwar ohne dass dieser es bemerkt. Einzige Voraussetzung ist, dass die anderen das bewusste oder unbewusste Bedürfnis haben, bei der Gruppe zu bleiben, und dass sie keine eigenen Ziele verfolgen. ... (S. 45)
Aber im Ernst - die Anwesenheit einiger weniger informierter Individuen in einem Schwarm hat erheblichen Einfluss auf dessen Leistung. Ohne sie reagiert die Gruppe nur auf die Umwelt, genau wie ein Fischschwarm, der einem Hai ausweicht, oder Heuschrecken, die mit dem Wind fliegen. Ohne das Wissen und die Ziele einiger Individuen hält die Schwarmintelligenz eine Gruppe zwar zusammen und ermöglicht ihr, auf die äußeren Umstände zu reagieren, doch es ist dem Schwarm beinahe unmöglich, Eigeninitiative zu entwickeln. ... (S. 47)

Aus Schönberger, Klaus: "Protest! Von der Koordination zum Projekt", in: ak 15.10.2010 (S. 31)
Die Assoziation freier und gleicher Menschen bedarf weniger einer identitären Gemeinschaft als vielmehr der Verknüpfung der Vielen. Es stehen zur Wahl: Mannigfaltigkeit gegen Gemeinschaft, da "jeglicher Versuch einer Totalisierung oder homogenisierenden Verallgemeinerung, jeglicher Versuch der Konstituierung eines ausschließlich der Repräsentation zugewandten Kräfteverhältnisses sowie der Einrichtung hierarchischer Organisationsmodalitäten" (Lazzarato 2004) ein Koordination und ein Projekt zum Scheitern verurteilt.

Aus Abdullah Öcalan (2011), "Demokratische Nation" (S. 29)
Während die Staatsnation hinter einer homogenen Gesellschaft her ist, besteht die demokratische Nation im Wesentlichen aus verschiedenen Kollektiven. Sie betrachtet Verschiedenheit als Reichtum. Das Leben selbst ist sowieso nur durch Verschiedenheit möglich.

Moderne Herrschaftsformen finden sich in politischer Bewegung - sie sind seit jeher ein Impuls zur Erneuerung und damit auch zur Stabilisierung von Herrschaft, solange ihnen eine herrschaftskritische, emanzipatorische Ausrichtung fehlt. Auf ihre Selbstbekenntnisse kommt es dabei nicht an, denn im deutschsprachigen Raum sind z.B. explizit anarchistische Kreise genau diejenigen, die moderne Herrschaftsformen anwenden. Die "Tipps" zur Beherrschung von Massen ohne innere Differenz im Buch "Schwarmilligenz" lesen sich wie eine Bedienungsanleitung für FunktionärInnen von .ausgestrahlt, Campact oder anderen. Umso erstaunlicher ist, dass selbst die sich als radikal links definierende "Jungle World" (25.11.2010) die Schwarmintelligenz lobt, und zwar ausgerechnet als "anderes Wort für die ewiges Diskussion im freundlichen Streit".


Geschichte ist die Geschichte der Organisierung
Ist Krieg ein Kampf von Völkern gegeneinander? Gibt es Klassenkämpfe? Die provokante These lautet: Nein! Das sind Erfindungen derer, die mit solchen Begriffen Menschen vereinnahmen wollen. Damit soll nicht die Existenz unterschiedlicher, mitunter gegenläufiger Interessen geleugnet werden. Doch die Einheitlichkeit, die mit der Behauptung von Völkern, Klassen, Geschlechtern oder anderen Kategorien einhergeht, existiert nicht. Sie werden zur Einheit geformt, in dem sie als Kategorien gedacht werden, über Führungsstrukturen als Subjekt erwachen und dann scheinbar als Gesamtheit handeln, wenn ihre VereinnahmerInnen und VertreterInnen agieren.
Es gibt den "demos", also die Völker, Klassen usw. in der Idee von "Demo"kratie nicht. Sie sind deshalb auch nicht Subjekte der Geschichte. Wohl aber als Matrix, d.h. hegemonial geprägte und deshalb gleichartige Vorstellung der Einzelnen (Diskurs).

Tatsächlich ist Geschichte ein Ringen um die Form der Organisierung und damit verbunden aller Fragen von Verteilung von Produktions- und Kontrollmitteln, von Diskurssteuerung und Stellvertretung, aber auch bereits der Bildung von Kategorien und Gesamtheiten.

Dezentralisierung gesellschaftlicher Organisierung
Aus Niklas Luhmann "Einführung in die Systemtheorie" (S. 165)
Diese Stufenfunktionsidee hingegen bedeutet Interdependenzunterbrechung oder "loose coupling" in einer anderen Terminologie, die aber nichts Neues bringt. Lose gekoppelte Systeme sind stabiler als fest gekoppelte Systeme. "Tight coupling" ist eine sehr unwahrscheinliche Einrichtung. In der Natur findet man sie nicht. Organismen sind auf loose coupling aufgebaut, ebenso soziale Organisationen. Wir können es ertragen, dass die Personen in den Ämtern wechseln; deswegen wird das Gehalt nicht geändert, und deswegen werden die Programme nicht neu formuliert; beziehungsweise wenn, dann hat man es bereits mit spezifischen Anpassungen zu tun. Je mehr ein System zu strikten Kopplungen übergeht, desto riskanter wird es, oder desto stärker ist es gefährdet. Das ist im Übrigen ein Gedanke, der bei Problemen, die eine Hochtechnologie aufwirft, eine Rolle spielt. Wenn technische Systeme so stark gekoppelt sind, dass ein Störereignis das ganze System explodieren lässt und überall Schaden stiftet, dann ist das eine Art unnatürliches Arrangement, dessen Gefahren man aus der Systemtheorie heraus kennt. Man müsste einen Sicherheitsring, eine Ummantelung, ein Containment darum herumbauen, das auf loose coupling beruhen müsste, das heißt, diejenigen, die im Störfall eingreifen, dürfen durch diesen Störfall nicht wieder selbst komplett gestört sein, sondern müssen mit Bedacht das eine nach dem anderen tun, wenn etwas ausfallt, etwas Bestimmtes tun, aber nicht die Nerven verlieren und durchdrehen.

Zum nächsten Text im Kapitel über die Geschichte sozialer Organisierung: Geschichte formaler Herrschaft

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