Demokratie

WELTGIPFEL IN JOHANNESBURG (“RIO+10“)

NGOs: Schwach, anbiedernd, inhaltsleer:  Umwelt-NGOs als Akzeptanzbeschafferinnen von Staat und Wirtschaft


1. Nachhaltigkeit: Argument für die Modernisierung der Demokratie
2. Was ist Nachhaltigkeit?
3. Die Inhalte von Nachhaltigkeit und Agenda 21: Mehr Atomtechnik, mehr Gentechnik, universelle Lebensentwürfe
4. Nachhaltig marktfetischistisch
5. Nachhaltige Umweltbildung
6. Governance, Runde Tische, Zivilgesellschaft: Hilfe, noch mehr Demokratie droht!
7. NGOs: Schwach, anbiedernd, inhaltsleer:  Umwelt-NGOs als Akzeptanzbeschafferinnen von Staat und Wirtschaft
8. Aufruf zu Aktionen gegen Rio+10

Wenn die Mächtigen dieser Welt, von den Regierenden der weltbeherrschenden NATO-Staaten bis zu den korrupten Diktaturen in den ausgebeuteten Peripherieräumen, zusammen ein neues Weltzukunftsprogramm beschließen, ist nichts zu erwarten, was die Menschen in ihrer Selbstbestimmung stärkt. Immerhin könnte der Gipfel aber die Chance bieten, klare Positionen vorzubringen. Doch davon ist weit und breit nicht zu sehen. Stattdessen bereiten sich die NGOs auf ihr Randdasein in Johannesburg vor. An den Tischen der Mächtigen zu sitzen, ist für sie gut geübter Selbstzweck. Kaum ein Umweltverband hat ein klares Positionspapier entwickelt, artiges Beifallklatschen für Entwürfe der Bundesregierung sowie Detailkritik stehen im Mittelpunkt. Wo sich die NGOs zu eigenen Aktivitäten hinreißen lassen, wir es noch düsterer – fast immer bleiben sie hinter den Positionen der Regierenden zurück. So hat der BUND zusammen mit NGOs und Gruppen aus anderen Ländern einen Vorschlag für ein Beschlußpapier vorgelegt, die Erd-Charta.
Nach einigen Einführungskapiteln finden sich im Kern der Texten etliche herrschaftsstützende Positionen sowie, hier zu Beginn zitiert, die Forderung nach einer neuen Spiritualität: „Die Lebensfähigkeit, Vielfalt und Schönheit der Erde zu schützen, ist eine heilige Pflicht. ...
Unsere ökologischen, sozialen und spirituellen Herausforderungen sind miteinander verknüpft, und nur zusammen können wir umfassende Lösungen entwickeln. ...
Der Geist menschlicher Solidarität und die Einsicht in die Verwandtschaft alles Lebendigen werden gestärkt, wenn wir in Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Seins, in Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens und in Bescheidenheit hinsichtlich des Platzes der Menschen in der Natur leben.“ (Präambel)
„Die Bedeutung der moralischen und spirituellen Bildung für einen nachhaltigen Lebensstil anerkennen.“ (Punkt 14.d)
„Anerkennen, dass Frieden die Gesamtheit dessen ist, das geschaffen wird durch rechte Beziehungen zu sich selbst, zu anderen Personen, anderen Kulturen, anderen Lebewesen, der Erde und dem größeren Ganzen, zu dem alles gehört.“ (Punkt 16.f)
Die Erdcharta blendet Herrschaftsverhältnisse komplett aus und bezieht sich positiv auf den Nationalstaat und ihr Handeln, Völker statt Menschen stehen im Mittelpunkt: „Die Erd-Charta ... soll ein verbindlicher Vertrag der Völker auf der ganzen Welt werden.“ (Einführung in der deutschen Broschüre)
„Das Entstehen einer weltweiten Zivilgesellschaft schafft neue Möglichkeiten, eine demokratische und humane Weltordnung aufzubauen.“ (Präambel)
„Alle militärischen Aktivitäten, die die Umwelt schädigen, vermeiden.“ (Punkt 6.e)
„Gegenseitiges Verstehen, Solidarität und Zusammenarbeit unter allen Völkern und innerhalb und zwischen den Nationen ermutigen und unterstützen.“ (Punkt 16.a)
„Nationale Sicherheitssysteme auf ein nicht bedrohliches Verteidigungsniveau abrüsten ...“ (Punkt 16.c)
Der nachhaltige Lebensstil wird zur neuen weltweiten Leitkultur: „Für das ethische Fundament der entstehenden Weltgemeinschaft brauchen wir dringend eine gemeinsame Vision von Grundwerten. Darum formulieren wir in gemeinsamer Hoffnung die folgenden eng zusammenhängenden Grundsätze für einen nachhaltigen Lebensstil. Es sind Leitlinien für das Verhalten jedes Einzelnen, von Organisationen, Unternehmen, Regierungen und übernationalen Einrichtungen.“ (Präambel)
„Wie üblich in der Umweltdebatte wird den nachfolgenden Generationen die Aufgabe übergeben, die Welt zu retten. Bildung wird zum Nachhaltigkeits-Zwang, Erwartungshaltung gegenüber Jüngeren entstehen: Künftigen Generationen Werte, Traditionen und Institutionen weitergeben, die ein langfristiges Gedeihen der Erde und der Menschheit fördern.“ (Punkt 4.b)
„Die jungen Menschen in unseren Gemeinschaften achten und unterstützen, damit sie ihre unverzichtbare Rolle beim Aufbau nachhaltiger Gesellschaften erfüllen können. (Punkt 12.c)
Für alle, insbesondere für Kinder und Jugendliche, Bildungsmöglichkeiten bereitstellen, die sie zur Mitarbeit an nachhaltiger Entwicklung befähigen.“ (Punkt 14.a)
Auch die klassische und alte, längst tausendfach widerlegte, antiemanzipatorische Position vom umweltgefährdenden Bevölkerungswachstum findet sich neu aufgewärmt in der Erdcharta: „Ein beispielloses Bevölkerungswachstum hat die ökologischen und sozialen Systeme überlastet.“ (Präambel, Quelle für alles: www.earthcharter.org/earthcharter/charter_ger.htm)

Moderne Umwelt-NGOs sehen sich als UnterstützerInnen ihrer Regierung. Wie weit das geht, zeigte sich bei den Beratungen um das neoliberale Kyoto-Protokoll. Statt eigener Vorschläge, klarer Kritik an den viel zu geringen Zielen und der Ablehnung des marktförmigen Mechanismus der handelbaren Verschmutzungsrechte unterstützten die NGOs die europäischen Regierungen gegen die vermeintlich böse US-Regierung. Eine klare Umweltposition wurde gar nicht mehr sichtbar, z.T. kritische Gruppen offensiv ausgegrenzt. Auch die sonst eher regierungskritischen Tageszeitungen (Junge Welt, Neues Deutschland) sowie die PDS standen auf Seiten der Bundesregierung und griffen die KritikerInnen an. Die regierungstreuen Blätter taz, FR usw. zeigten ohnehin nur ihre bedingungslose Orientierung an den reformerischen Teilen rotgrüner Regierungspolitik. Die Diskussion um Kyoto schuf eine Einheitspolitik von PDS bis NPD, vom BUND bis zur Großindustrie.

Zum Weltgipfel in Johannesburg planen viele Verbände und Gruppen, alles voran die lokalen Agenda-21-Runden Feste, Jubiläumsfeiern und ökosoziale Folklore. Politische Positionen und klare Forderungen wird es dagegen kaum oder gar nicht geben. Einen Höhepunkt an Anbiederung bietet die BUNDjugend zusammen mit anderen Jugendverbänden. Sie planen Sternradtouren mit Zielpunkt Göttingen. Ihre Bitte an die Regierenden: „Gebt uns Hoffnung!“ Zitate von Henrike Wegener aus dem Bike+10-Office (aus „Gimme Hope, Jo'anna“, punkt.um 3/2002 S. 14): „Auf einer zehntägigen Sternradtour werden sie zahlreiche Nachhaltigkeitsprojekte besichtigen, sich mit Eine-Welt- und Umweltgruppen treffen sowie den Stand der lokalen Agenda-21-Aktivitäten in verschiedenen Kommunen begutachten. ... "Gimme Hope, Jo'anna" ist ein Appell an die Mächtigen, aus eigener Einsicht zusteuern und sichtbare Veränderungen einzuleiten. ... Während wir unseren Regierungen 'Gimme Hope' zurufen, sehen wir ein, dass unser eigener Lebensstil noch weit davon entfernt ist, nachhaltig zu sein.“

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