Demokratie

STRAFE

Kritisches zu Strafe


1. Einleitung
2. Welchen Sinn macht Strafe?
3. Wem dienen die Strafgesetze?
4. Strafe und Soziales
5. Schöner Schein: Behaupteten und verborgene Motive des Strafens
6. Satire: Vorschlag für ein ehrliches Strafgesetzbuch ...
7. Strafe überwinden!
8. Doch trotzdem heißt es überall: Mehr Strafe!
9. Kritisches zu Strafe
10. Verlautbarungen gegen Strafe und Knast
11. Religiöser Fundamentalismus und Strafe
12. Links und Materialien

Erfundene und gefühlte Kriminalität
  • Gefühlte Kriminalität steigt ständig ... angeheizt von Medien und Politik: Extra-Seite

Strafe macht alles schlimmer
Aus Komitee für Grundrechte und Demokratie (1998), "Strafrechtliche Gewalt überwinden!"
Obwohl überzeugend nachgewiesen ist, daß staatliches Strafen nichts nützt und nur schadet, nimmt der Trend, strafrechtliche Gewalt zu verstärken, gegenwärtig wieder einmal zu. Dieser Entwicklung lehnen wir uns mit unseren Argumenten entgegen. Um der Opfer, auch um der Täter, um unser aller willen.


Zitat von Proudhon, Jean Pierre, zitiert in: Grosche, Monika (2003): "Anarchismus und Revolution", Syndikat A in Moers (S. 25)
Der Mensch allein hat das Recht, über sich zu urteilen, und wenn er sich schuldig fühlt, wenn er glaubt, daß ihm eine Sühne zusteht, hat er das Recht, für sich eine Strafe zu verlangen. Die Gerechitgkeit ist ein in seinem innersten Wesen freiwilliger Gewissensakt, und das Gewissen kann nicht anders gerichtet, verurteilt oder freigesprochen werden, als von sich selbst; alles andere ist Krieg, Herrschaft der Autorität und der Barbarei, Mißbrauch der Gewalt.

Bernd-Rüdeger Sonnen (2006), Strafrechtsprofessor, in: Frankfurter Rundschau, 6. Dezember 2006 (S. 34)
Das höchste Rückfallrisiko entsteht gerade dann, wenn ein Gefangener nach langer Freiheitsstrafe abrupt aus der künstlichen Welt der Anstalt in die Realität draußen geschleudert wird. Der Übergang muss abgemildert, vorbereitet und begleitet werden. Dazu dienen die Vollzugslockerungen. Man erfährt natürlich nur von den spektakulären Fällen, wo Vollzugslockerungen missbraucht worden sind zu erneuten einschlägigen Taten (...). Dass die Missbrauchsquote unter einem Prozent liegt, weiß kaum noch jemand. Und noch weniger Menschen ist bewusst, dass die Lockerungen dazu beitragen, die Rückfallgefahr zu mindern und damit potentielle Opfer zu schützen.


Im Original: Die Augenbinde der Justicia
Aus einem Text von Günther Anders, dokumentiert in "Über die Versuche, ein Kamel die Zähne zu putzen" (S. 100 f.)
Fünf philosophische Überlegungen anläßlich des Prozesses gegen Robert Jungk von Günther Anders:

II.
"Nun könnte man man mir vorschlagen oder es mir sogar als meine Freundespflicht nahelegen, mich zusammen mit ihm oder an seiner statt dem Tribunal zu stellen. Das kommt für mich aber nicht in Frage. Und nicht etwa nur deshalb nicht, weil ich als Fünfundachtzigjähriger bewegungsunfähig geworden bin; sondern auch deshalb nicht, weil ich mich weigere, Gerichte als für solche Fälle kompetent anzuerkennen, also mit Juristen über Moralprobleme, die wie indirekt auch immer, etwas mit der Möglichkeit des nuklearen Unterganges zu tun haben, zu diskutieren, gardiesbezügliche Entscheidungen von Juristen ernst zu nehmen. Das schiene mir der Inbegriff des philosophischen Unernstes. Seit Sokrates wissen wir schließlich: Nicht mit jedermann kann oder soll oder darf man über alles sprechen.
Begründung: Juristisches Denken besteht ausnahmslos, wenn nicht sogar grundsätzlich, darin, aktuelle Handlungen daraufhin zu prüfen, welcher (bereits bekannten) Gattung oder welchem Typ von vergangenen Handlungen sie angehören; und dann, die Entscheidungen über die Individualfälle beziehungsweise über das angemessene Strafmaß von ihrer Angehörigkeit zum Tat Typus, also von einer Subsumption* abhängig zu machen.
Da dem so ist, da die Tätigkeit der Juristen nun einmal im Vergleichen, Klassifizieren und Subsumieren besteht oder auf solchem beruht, dürfen sie Taten oder Geschehnisse, die total neuartig sind, das heißt unsubsumierbar, nicht anerkennen. Und was sie nicht dürfen, das können sie dann bald auch nicht mehr.
Es ist gewiß kein Zufall, daß sich unter den Wortführern der Anti-Atom-Bewegung kaum Juristen finden. Denn Heutiges messen Juristen oben stets am Gestrigen. Aus diesem Grunde sind oder werden so viele von ihnen - wofür sie persönlich kaum etwas können - konservativ. Das trifft auch auf diejenigen unter ihnen zu, die als Privatpersonen menschenfreundlich oder tolerant oder, wie man so sagt: "Neuem aufgeschlossen" sein mögen. "Als Privatpersonen" - wenn ich dieses Wörtchen als nur höre!
Nun, mit dieser ihrer, von ihnen selbstverständlich anerkannten Regel, Heutiges mit Gestrigem zu vergleichen und Heutiges mit Maßstäben von gestern abzumessen - mit dieser Regel ist es nun aus, mit der hat es nun jedenfalls aus zu sein. Und das, wie gesagt, nicht aufgrund eines Verschuldens der Juristen, sondern aufgrund der monströsen Entwicklung, der monströsen Neuartigkeit, derTechnik, deren unabsehbare Konsequenzen vorauszusehen und zu durchschauen sie ebenso unfähig sind wie 99 Prozent aller Mitmenschen, der Schuldigen wie der Unschuldigen.
In anderen Worten: Die Juristenregel der Subsumption ist deshalb sinnlos und unbefolgbar geworden, weil die entscheidenden heutigen Tatsachen, Handlungen und Leiden nie zuvor dagewesen, damit unvergleichbar und unsubsumierbar sind. Die Möglichkeit der totalen Menschheitsauflösung, die sowohl durch die militärische wie durch die zivile Nukleartechnik eingetreten ist, die hatte in den guten alten Zeiten, das heißt vor 1945, niemals existiert.
Und ebensowenig hatte es damals natürlich - damit komme ich zu unserem aktuellen Fall Robert Jungk - Versuche oder Geräte gegeben, die darauf abgezielt hätten, dieser Totalzerstörung unserer Weit zuvorzukommen, mindestens dabei zu helfen. Die Protestierenden, die Gegenaktionen und Gegengeräte - und dabei denke ich wahrhaft nicht nur an Jungk oder an mich, wir stellen nur zufällige Fälle unter tausenden dar -, die sind ebenfalls absolute Novitäten, womit kein Selbstlob gemeint ist, sondern nur ein Echo auf die absolute Novität der Gefahr.
Diese Novitäten können nicht in alte Fächer gesteckt werden, nicht mit den Begriffen gestriger Jurisprudenz verstanden, beurteilt oder verurteilt werden - kurz: sie sind "Juristisches Sperrgut". Sie liegen - diese Wiederholung ist von mir beabsichtigt -, da sie total neu sind, außerhalb aller Schemata, nein: geradezu jenseits aller möglichen juristischen Zuständigkeit. Weiches Urteil immer die Justiz, weil sie ihre Unzuständigkeit nicht nur nicht versteht, sondern nicht verstehen darf, fällt – ihr Urteil muß ein Fehlurteil sein. Robert Jungk steht zu Unrecht als ein eines Unrechtes Angeklagter vor dem Richter.

III.
Zur Metaphysik des Juristen: Letzten Endes ist dieser tief gekränkt durch die Tatsache, daß es Veränderungen in aller Welt gibt, daß diese sich verändert. Er Ist der Todfeind aller Geschichte, er verabscheut die Zeit. Er verlangt von aller Welt, daß sie so sei, wie sie war; und so bleibe wie sie ist: also sistiert**, damit sie der starren Geltung der Rechtsgesetze und der Geltung der durch diese sanktionierten "pacta servanda"*** entspreche. Charakteristisch und repräsentativ die Antwort, die vor kurzem ein geradezu grandios-kontrarevolutionärer Jurist gegeben hat, nachdem man seine "pflichtgetreue" Tätigkeit während der Nazizeit erwähnt hatte: "Was gestern gültiges Rechtgewesen war", so meinte er nämlich, "das kann ja schließlich nicht deshalb, nur deshalb, weil heute nicht gestern ist, plötzlich ungültig geworden sein." Diesen Anspruch auf Ewigkeit könnte man "Platonismus**** der ldioten" nennen. Mit diesem hat erden Massenmord von gestern und heute verteidigt. Sein Ausspruch ist nicht etwa nur aus seinem Munde, aus dem Munde dieses einen Juristen gekommen. Vielmehr war er nachgeplappert. Denn er kommt täglich von den Lippen der Göttin Justitia höchstselbst, die aus einem ganz anderen Grunde ihre Augenbinde trägt, als man gewöhnlich annimmt, nämlich deshalb, weil sie sich mit deren Hilfe täglich blind machen kann gegen die täglich neuartigen "Forderungen des Tages".

IV.
Wenn Juristen, abgesehen von Theologen, die einzigen sind, die auch heute noch ohne Vokabelskepsis und ohne Gewissensbisse, also ganz ungeniert, das Wort "ewig" in den Mund nehmen, so weil sie sich dadurch eine feierliche Metaphysik sichern, das Bild einer Welt, die der von ihnen beanspruchten Unveränderbarkeit der Gesetze und der Gültigkeit ihrer Praxis zu entsprechen scheint.

  • *Subsumption (lat.)
    In der Rechtsanwendung: die Unterordnung eines konkreten Lebenssachverhalts unter den Tatbestand einer Rechtsnorm
  • **sistere (lat.) "zum Stehen bringen"
  • ***pacta servanda (lat.) Rechlich wie völkerrechtlich: einzuhaltende Verträge
  • ****Platonismus = Weiterentwicklung der Lehre

Fragen zur und Wirkung von Strafe und Haft
Stigmatisierung durch Verurteilung
Aus Ludger Schwerte (2012), „Vom Urteilen“ (S. 181)
Nicht nur Vorurteile diskriminieren, stigmatisieren, vereiteln Lebenschancen. Auch ganz alltägliche Urteile (Schulnoten. ökonomische Prognosen) können Existenzen (sozial) vernichten. Man kann Sachlagen oder Dinge beurteilen, aber nur Personen verurteilen, sozial vernichten, was bedeutet, ihnen die Praxis des Urteilenkönnens prinzipiell zu unterstellen. praktisch aber abzuschneiden. Während das Urteilen eine offene Geselligkeit schaffen kann, bricht das Verurteilen die Kommunikation ab.


Strafverfahren greifen Opfer zum zweiten Mal an
Vergewaltigungen anzeigen: Viel Stress und Demütigung, wenig "Erfolg"
Aus "Nur jede 12. Anzeige führt zu Verurteilung", auf: Stern.de am 17.4.2014
Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung in einem Vergewaltigungsprozess ist in Deutschland laut einer Studie stark gesunken. Vor 20 Jahren hätten 21,6 Prozent der Frauen, die eine Anzeige erstattet hatten, die Verurteilung des Täters erlebt - 2012 seien es nur noch 8,4 Prozent gewesen, sagte Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Ein Grund sei die Arbeitsüberlastung bei Polizei und Staatsanwaltschaft. ...
Laut Studie nahm der Anteil der Tatverdächtigen aus dem familiären Umfeld zu. ... In der Europäischen Union hat jede dritte Frau nach Erkenntnissen der EU-Grundrechte-Agentur seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt.


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