Demokratie

MARTIN LUTHER: ANTISEMIT, FRAUENHASSER, SOZIALRASSIST, REAKTIONÄR

Buchvorstellungen zum Themenbereich


1. Einleitung
2. Grundsätzliches zu Martin Luther
3. Die unbekannten Seiten des Martin Luther
4. Martin Luther - ein Vorbild?
5. Luther - deutschnationales Vorbild auch und gerade heute
6. Lob für den Hetzer
7. Aktion gegen Lutherverehrung
8. Links zu Martin Luther
9. Buchvorstellungen zum Themenbereich

„Über keine Persönlichkeit der Weltgeschichte (außer vielleicht Jesus Christus) existiert eine umfangreichere Literatur. Die in Leipzig erarbeitete Lutherbibliografie verzeichnet weltweit um die 1000 neue Luthertitel jährlich“. So schildert Armin Köhnle in seinem großformativen, reich bebilderten Band „Martin Luther“ (2015, SCM in Holzgerlingen, 224 S., 29,95 €) den Blätterwald zum Reformator. Wenig sagt die Zahl darüber aus, welche Schwerpunkte solche Veröffentlichungen haben, denn wahrscheinlich deutlich mehr als Jesus wird Martin Luther in den Veröffentlichungen sehr unterschiedlich bewertet: Als Erneuerer einer eingestaubt-zentralistischen Kirche, als Wegbereiter der Neuzeit und als nationaler Begründer des Deutschtums einerseits, als Hetzer, Juden- und Frauenfeind, Antirevolutionär und Hexenjäger andererseits. Köhnles Buch gehört zu denen, die Luther überwiegend einseitig positiv darstellen. Texte und Bilder sind durchaus informativ – und ganz am Ende fügt der Autor auch ein Kapitel mit Hinweisen aus die problematischen Gedanken Luthers an, spricht ihn aber explizit von jedem Antisemitismus frei. Adolf Hitler, Julius Streicher und andere Haupttäter des Holocaust lasen Luther da genauer, während für einen Kirchenverlag vielleicht auch nichts Besseres zu erwarten war. Ähnlich unkritisch sind Martin Dreyers „Martin reloadet“ (2015, 203 S., 14,95 €) und Andreas Malessas „Hier stehe ich, es war ganz anders“ (2015, 188 S., 14,95 €) aus dem gleichen Verlag. Ersterer versucht sich als moderner Nachfolger Luthers, in dem er dessen Texte in eine vermeintlich zeitgemäße Sprache übersetzt – einschließlich populärere Anglizismen und Computerfachsprache. Das könnte Luthers Gedanken mehr Menschen zugänglich machen – schade nur, dass in der Sammlung Luthers Hasstexte z.B. gegen Juden, Frauen und sog. Behinderte fehlen. Gerade das wäre aufklärerisch gewesen, steht aber in der Tradition vieler Werke wie auch dem SCM-Hörspielbuch „Martin Luther“, in dem wechseln eine Sprecher- und eine Lutherperson recht oberflächlich und unkritisch den Lebenslauf des Reformators nachzeichnen. Malessa informiert in oben benannten Buch über falsches Wissen bezüglich Luthers Wirken, was in der Tat oftmals ganz spannende Informationen bietet. Wie beim Kirchen-Verlag SCM üblich, fehlen auch hier viele Hinweise auf die Vernichtungsideen von Luther gegen alle, die von ihm als ungläubig eingestuft wurden. Zum Teil wird sogar das Gegenteil behauptet.
Sehr neutral gehalten ist die Darstellung im Buch gleichen Titels von Ulrich Köpf (2015, Reclam in Stuttgart, 254 S., 22,95 €). Hier werden die Lebensetappen und Themen Luther in sehr informativen Texten beschrieben. Die Kritik wird nicht verschwiegen, aber auch nicht in den Vordergrund gestellt. Luthers Ausfälle gegen Frauen, Gebrechliche und „Zaubererinnen“ hätten deutlich mehr herausgehoben werden müssen, um das machtförmige, mit eliminatorischen Ideen gegenüber vielem Abweichenden und damit dem Faschismus nahestehende Denken Luthers zu dokumentieren. Etwas deutlicher wird das in „Martin Luther“ von Veit-Jakobus Dieterich (2008, dtv in München, 239 S., 15,90 €) und ist deshalb die empfehlenswerteste Lektüre für einen allgemeinen Überblick zur umstrittenen Person des Reformators. Neben den textlichen Darstellungen finden sich zudem viele nützliche Illustrationen.
Eher selten sind spezielle Kritiken an Martin Luther. Ein eher schmales, für seinen geringen Umfang bedauerlich teure Buch ist „Die geschönte Reformation“ von Bernd Rebe an (2012, Tectum in Marburg, 109 S., 19,90 €). Es lässt verschiedene Lutherkritiker_innen zu Wort kommen, bietet aber originär nur sehr wenig Informationen und Originalquellen. Da ist längst viel mehr Material z.B. im Internet verfügbar. Ein Buch, das speziell die Kritik an Luther zusammenstellt, muss mehr bieten. Ganze Themenfelder, z.B. Luthers Gedanken zur Vernichtung unwerten Lebens und seine antirevolutionäre Ausrichtung, fehlen. Anders in Hubert Mynareks „Luther ohne Mythos“ (2012, Ahriman-Verlag in Freiburg, 137 S., 12,80 €). Der Autor kann zwar von seiner typischen Polemik nicht lassen, reiht aber viele kritische Aspekte im Leben und Wirken Luthers aneinander, so dass sich ein guter Überblick ergibt. Da auch reichlich Quellenangaben vorhanden sind einschließlich etlicher Zitate im Originalton, kann das Buch allen empfohlen werden, die sich von der Verehrung des Frauen-, Juden-, Behindertenhassers und Anti-Revolutionärs nicht bleiben lassen wollen.
Zwei Bücher dehnen typische Themen von Lutherhandlungen auf längere Zeiträume aus. Viel zitiert auch in anderen Werken ist Thomas Kaufmanns „Luthers Juden“ (2014, Reclam in Stuttgart, 203 S., 22,95 €). Dieser bettet den zu seinem Lebensende in reinen Vernichtungshass gewandelten Antisemitismus Luther in die lange Geschichte der Judendiskriminierung ein. So zeigt sich Luther einerseits als Kind seiner Zeit, andererseits aber auch als prägende Person eines religiös abgeleiteten Judenhasses. Ebenso über Jahrhunderte reicht „Der deutsche Glaubenskrieg“ von Tillmann Bendikowski (2016, C. Bertelsmann/Random House in München, 380 S., 24,99 €). Ihm geht es um die vielen Grabenkämpfe zwischen verschiedenen Sektionen des Glaubens. Es zeigt sich schnell, dass die Verbindung religiösen Denkens mit höheren Wahrheiten und vermeintlichen Offenbarungen ein fataler Nährboden für Streit bis hin zu Vernichtungsfeldzügen ist.
Ebenfalls längere Zeiträume betrachten zwei Werke über die Reformation. Luther steht dort zwar im Mittelpunkt, aber beide Werke bemühen sich, den Blickwinkel zu erweitern. „Die Reformation“ von Helge Schnabel-Schüle (2. Auflage 2013, Reclam in Stuttgart, 314 S., 7,80 €) konzentriert sich dabei auf die „heiße Phase“ von 1495 bis 1555, beschreibt die Vorbedingungen und geschichtliche Lage, dann die Kernphase und schließlich die aus der Auseinandersetzung folgenden Kriege, Debatten, Machtverschiebungen und schließlich Vereinbarungen, die die entstandene Vielfalt unterschiedlicher christlicher Ausrichtungen manifestiert. Den interpretierenden Abschluss bildet ein Blick auf Akteure und Aspekte der Reformation. Wesentlich länger zieht der englischsprachige Kirchenhistoriker Diarmaid MacCulloch „Die Reformation“. Im Untertitel steht: 1490-1700 (2010, dtv in München, 1056 S., 29,90 €). Damit beginnt auch dieses Buch bei den Vorbedingungen des entstehenden Streits, betrachtet aber die Folgen bis in die Neuzeit. Spannend ist der internationale Blickwinkel, denn MacCulloch schaut von den britischen Inseln auf die gesamte Lage vor allem in Europa, die durch Luthers Intervention ausgelöst wurde und sich dann in alle Ecken ausbreitete, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Einen speziellen Blickwinkel hat Sebastian von Birgelen mit seinem Buch „Die Reformation auf dem Lande“ (2011, Tectum in Marburg, 149 S. plus gefalteter, historischer Plan, 29,90 €), denn er versucht mit Hilfe damaliger Rechnungsvorgänge das Geschehen in und um Wittenberg nachzuzeichnen.

Das System Luther: Wahrheit definieren, Andersgläubige ausgrenzen oder vernichten
Untrennbarer Baustein des Heldenimages von Martin Luther war seine Haltung zum Papst und dem ganzen dekadenten Kirchenapparat rundherum. Luther kritisierte das praktische Gebaren ebenso wie die Theologie und den Alleinvertretungsanspruch des Papstes. Zwar sind von Luther keine finanziellen Eskapaden ähnlich den Ablassbriefen bekannt, doch ansonsten zeigt sich der Wittenberger Reformator eher ähnlich. Er setzte seine theologischen Überlegungen ebenso absolut, hielt sich für unfehlbar und phantasierte immer wieder, dass seine privaten Ergüsse und Hasstiraden direkt von Gott kämen. Anfangs leitete er daraus „nur“ das Recht ab, andere belehren oder bekehren zu dürfen. Später entstand ein eliminatorischer Hass auf alle Andersgläubigen und Abtrünnigen. Diese waren durchgehend eine Erscheinung des Teufels. Luthers Bann, verbunden mit ständigen Aufforderungen zum Mord, traf nicht nur Juden, vermeintliche Hexen oder aufständige Bauern, sondern auch viele ehemalige Weggefährten, die zum Teil nur in theologischen Details von ihm abwichen, aber trotzdem von ihm für vogelfrei erklärt wurden. Was Luther selbst drohte und zu seinem sicheren Tod geführt hätte, wenn er nicht die Allianz mit den Mächtigen gesucht und gefunden hätte, geschah nun vielen Anderen. Luther rief selbst dazu auf oder lieferte den legitimatorischen Hintergrund.
Einer seiner Ex-Weggefährten, dann aber von Luther als vom Teufel besessen ausgestoßen, war Thomas Müntzer. Ihn beflügelte die Denkfreiheit, die aus den neuen Formen religiöser Betätigung folgte, und entwickelte diese zu einer revolutionären Perspektive weiter. Manch spätere politische Strömung hat Müntzer zur Gallionsfigur von Befreiungskämpfen erhoben. Doch war er wirklich der revolutionäre Gegenspieler, der auf das „Volk“ setzte statt auf die Fürchten, der also eine Befreiung statt eine modernisierte Herrschaft wollte? Armin Gebhardt tritt dem in seinem Buch „Thomas Müntzer“ (2004, Tectum in Marburg, 80 S.) vehement entgegen. Er beschreibt den Werdegang und die Meinungsverschiedenheiten zwischen Martin Luther und Thomas Müntzer als theologische Auseinandersetzung. Müntzer agiert auch zunächst nicht in der Sphäre der Bauern, als deren Anführer er erst spät, dann aber heftig und mit grausamen Ende für Zigtausende auftritt. Die Überhöhung, die Müntzer später insbesondere in der DDR erfuhr, basierte auf zahlreichen Ausblendungen, insbesondere der religiösen Ausrichtung von Müntzers Aufständen.

Luthers Antisemitismus in aktuellen Büchern
In Bezug auf Luther unterscheiden manche Autor_innen zwischen Antijudaismus und Antisemitismus. Ersteres meint die Abneigung gegenüber der Religion. Ein Jude müsste dann nach Übertritt z.B. zum Christentum akzeptiert werden und die Diskriminierung aufhören. Luther schien zunächst die Hoffnung zu haben, dass sich Menschen jüdischen Glaubens für seine Versionen des Christentums gewinnen lassen. Da Luther insgesamt davon erfüllt war, dass seine Auffassung der christlichen Religion die allein richtige und direkt von Gott ihm eingegeben war, verlangte er von fast allen anderen Menschen, dass sie gefälligst seine Auffassung von Gott und der Welt zu teilen haben. Eine freiheitliche und emanzipatorische Auffassung war das von Anfang an nicht. Im Laufe seiner Schaffenszeit bemerkte Luther dann, dass seine Hoffnungen sich nicht erfüllten – und entwickelte dann einen eliminatorischen Hass auf alle Andersgläubigen. Ob Juden, Täufer, Türken oder andere – Luther hat zu allen Gedanken geäußert, die als Aufruf zum Massenmord verstanden werden können und im Kontext seiner Hasspredigten auch müssen. Seine Aufrufe zu Progromen gegen Juden waren am Ende unabhängig davon, ob die Opfer noch für einen Übertriff zum Christentum zu gewinnen waren. Luther wollte das gar nicht mehr, sondern das Jüdische ausrotten. Das aber ist reiner Antisemitismus, weil er eben die Menschen als solches brandmarkt unabhängig von ihrer Gesinnung.
Dass Luther damit in bester Gesellschaft vieler Antisemiten war, ändert daran nichts – zumal spätere Judenfeinde einschließlich derer, die dann mit dem Holocaust den schrecklichen Höhepunkt aller antisemitischen Verfolgungen setzten, sich immer wieder auf Luther als Legitimation bezogen. Schriften wie das Buch „Judenklischees und jüdische Wirklichkeit“ (1985, Freie Akademie in Wiesbaden, 235 S.) versuchen, die vielfältigen Vorurteile gegenüber Juden zu beleuchten und mit ihnen aufzuräumen. Das genannte Buch dokumentiert eine Tagung mit etlichen Beiträgen über jüdisches Leben und seine Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte. Doch das, was dort an antisemitischen Projektionen benannt wird, lebt auch heute noch weiter und dringt bis in die Mitte der Gesellschaft vor. Erst vor wenigen Monaten geriet der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon für judenfeindliche Formulierungen in die Kritik, die er in seinem dreibändigen Werk „Christlich-europäische Leitkultur“ (2009, R.G. Fischer in Frankfurt, je ca. 600 S. und 29,80 €) unter dem Pseudonym W.G. Meister verbreitete. Alle drei Bände sind in Interviewform geschrieben. Gedeon zeigt sich dabei zu verschiedenen Glaubensthemen als christlicher Fundamentalist, der nicht nur vor dem Zionismus warnt und ihm z.B. eine Komplizenschaft mit dem Nationalsozialismus unterstellt, sondern für Deutschland bzw. die EU einen christlichen Glaubensstaat erträumt. Entlarvend für seine Gedankenwelt sind der Hass gegen USA, deren Politik die Schwächung des Konkurrenten Europa zum Ziel habe, und seine Verteidigungsrede für das Dritte Reich. Polen hätten, im Einvernehmen mit Frankreich und England, den zweiten Weltkrieg begonnen und Hitler sei bis dahin eher als Friedenskämpfer agiert.

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