Offener Raum

HAFTFORMEN UND -VORSCHRIFTEN

Sicherungsverwahrung


1. Europäische Strafvollzugsgrundsätze von 2006
2. CPT-Standards für Polizeigewahrsam
3. CPT-Standards für Gefängnisse
4. CPT-Standards für die Psychiatrie
5. Sicherungsverwahrung
6. Weitere Links

Aus Bender, Solebad (2007): "Die nachträgliche Sicherheitsverwahrung", P. Lang Frankfurt (S. 183)
Die nachträgliche Sicherheitsverwahrung ist ein verfassungs- und menschenrechtlich höchst bedenkliches Instrument, das den damit verbundenen Erwartungen auf eine Verbesserung des Schutzes der Allgemeinheit nicht gerecht wird.

Aus Thomas Fischer, "Was hat das Böse mit dem Strafrecht zu tun?", in: Zeit am 24.11.2015
Heute gilt Sicherungsverwahrung wieder als Wundermittel der Beruhigung. Gerichte verhängen sie – unbedingt, bedingt, nachträglich oder vorläufig –, als sei nichts geschehen; die Medien feiern sie – eine neue Generation von Daherschwätzern an der Tastatur – als den ultimativen Schutz "unserer Kinder".
Es befinden sich wenige Untreue- und Betrugstäter im Vollzug dieser Maßregel. Auch Völkermörder, Geldwäscher, Umweltvernichter trifft man dort nicht, auch keine Finanzjongleure von Hochrisikobanken. Hauptsache Sicherheit!, jubelt die Qualitätspresse. Hauptsache die Zäune sind hoch genug.

In zwei Entscheidungen beurteilte das Bundesverfassungsgericht (BverfG) die von den Nationalsozialisten 1933 ins Strafgesetzbuch aufgenommene Sicherungsverwahrung für mit der Menschenwürde vereinbar und somit verfassungsgemäß.

Im Original: Berichte von Urteilen
Verfasst von Thomas Meyer-Falk, JVA Bruchsal
A. Urteil vom 5.2.2004:
Hier ging es um die Frage ob der Gesetzgeber 1998 rückwirkend für schon Verurteilte die Befristung der Unterbringung in der ersten Sicherungsverwahrung (SV) auf 10 Jahre, streichen durfte. Bislang war es so, daß ein Gefangener im Anschluß an die Freiheitsstrafe, so das Tatgericht die SV angeordnet hatte, maximal 10 Jahre in der SV verbringen mußte und danach zu entlassen war.
Diese 10 - Jahres - Grenze strich noch die Regierung von Helmut Kohl (CDU-CSU-FDP) gegen die Stimmen von SPD/GRÜNE und wurde nun vom BverfG bestätigt. Zwar forderte das Gericht die "Eigenständigkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu achten und zu schützen", jedoch verstoße der Wegfall der 10-Jahres-Obergrenze auch für vor der Reform von1998 Verurteilte nicht gegen das Rückwirkungsverbot oder die Menschenwürde.


B. Urteil vom 10.2.2004
Das BverfG entschied in diesem Urteil, daß zwar die nachträgliche Anordnung der SV aufgrund eines Landesgesetzes verfassungswidrig, das entsprechende Gesetz jedoch nicht nichtig sei. Was bedeutet dies? Die oben erwähnte SV die Gegenstand des Urteils vom 5.2.04 war, wird nach Bundesrecht (§66 Strafgesetzbuch) verhängt und zwar in jener Hauptverhandlung in der ein Strafgericht auch über Schuld und Unschuld eines Angeklagten zu urteilen hat.
Wie aber, so dachten sich die CDU geführten Landesregierungen (z.B. Bayern, Baden-Württemberg), verfahren wir mit Häftlingen bei denen das Tatgericht keine SV anordnete, wir aber der Meinung sind der Gefangene stelle eine Gefahr für die Menschen dar!?
Und so war die Idee der "nachträglichen SV" geboren. Analog dem Polizeirecht, bzw. dem Länderrecht über die zwangsweise Unterbringung "psychisch Kranker" sollten fürderhin -angeblich- gefährliche Gefangene trotz vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe und obwohl da Tatgericht keine SV verhängt hatte, dennoch im Gefängnis festgehalten werden dürfen.
In Eilverfahren (in Baden-Württemberg lagen keine zwei Monate zwischen Einbringung des Gesetzentwurfes in den Landtag und dessen Verabschiedung und Verkündung im Gesetzblatt) wurde die SV von vier Länderparlamenten beschlossen;
Diese Ländergesetze sind verfassungswidrig, wie nun das BverfG feststellte.
Dennoch werden die Betroffenen nicht freigelassen, sondern bis zum 30.9.2004 hat nun der Bundestag Gelegenheit die Thematik auf Bundesebene zu regeln und solch eine Regelung wäre dann wohl auch verfassungsgemäß.


C. Resümee
Das BverfG verpaßte nur knapp das 70jährige "Jubiläum", denn am 24.11.1933 wurde von den Nazis die SV zum Gesetz erhoben. Das Gericht forderte eine Privilegierung der Verwahrten gegenüber den Strafgefangenen. Wie sieht dies bspw. In Baden-Württemberg aus? Wer im Anschluß an die Strafe SV zu verbüßen hat, muß die Freiheitsstrafe in Bruchsal erst einmal absitzen. Er baut sich dort ein soziales Umfeld auf, findet vielleicht ehrenamtliche Vollzugsbetreuer, darf -sofern er als "zuverlässig" gilt- seine Ehefrau und Familie zu unüberwachten "Langzeitbesuchen" empfangen (diese Besuche finden in einem Container ohne irgendeine Überwachung statt, so daß auch Sexualität möglich wird). Pünktlich zum Antritt der SV wird er jedoch nach Süddeutschland in die JVA Freiburg verlegt, denn diese ist für baden-württembergs Sicherungsverwahrte zuständig. Dort gibt es keinen Langzeitbesuch, sondern ein-oder zweimal pro Monat überwachten (!!) Besuch, seine Bezugspersonen gehen verloren, begonnene Therapien werden abgebrochen. Daß er dann in der SV-Abteilung etwas länger als in Bruchsal seine Zellentüre offen hat und eine Kochgelegenheit vorfindet, dürften die Wenigsten als tröstlich oder "privilegierend" erleben.
Dies nur zur Seite des Vollzuges. Aus politischer Sicht ist die SV
abzulehnen, sie ist und bleibt eine Nazivorschrift, sie geht aus von dem
damaligen Menschenbild, daran ändern auch noch so viele Verschleierungsversuche nichts.
Renommierte Psychiater machten 2003 das Gericht in der mündlichen Verhandlung darauf aufmerksam, daß angesichts der Schwierigkeit menschliches Verhalten zu prognostizieren 40 und mehr Prozent der Verwahrten fälschlich als "gefährlich" eingestuft werden.
Die SV soll die Bevölkerung darüber hinwegtäuschen, daß die wirklichen Gefahren für die Menschen nicht etwa von einigen wenigen Insassen ausgehen, sondern von den gesellschaftlichen Strukturen und deren Vertreter in Politik und Wirtschaft. Kein noch so "gefährlicher" Insasse hat bspw. So viele Tote verursacht wie ein Herr George W. Bush im Irak mit seinem Einmarsch und den Bombardements. Kein wegen Einbruchdiebstahls in lebenslanger SV sitzender Verwahrter hat auch nur annähernd solch einen Schaden verursacht wie z.B. Deutsche Bank Chef Ackermann.


Zitate

Aus "Wegsperren und vergessen", in: Junge Welt, 20.7.2007 (S. 4)
Die Zahl der Sicherungsverwahrten in deutschen Gefängnissen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Zur Zeit bleiben 400 Menschen auf unbestimmte Dauer eingesperrt, obwohl sie ihre Strafe längst verbüßt haben. Die populistische Stammtischparole des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) vom "Wegsperren für immer" wird für immer mehr Betroffene bittere Realität – bis hin zu lebenslanger Inhaftierung nach der eigentlichen Strafe. ...

Populismus und Panikmache am Beispiel Sicherheitsverwahrung

Fr, 30.8.2006 (S. 31)


Fr, 6.2.2007 (S. 4)



Neu geplant: Sicherungsverwahrung für Jugendliche

Aus einem Bericht in FR, 19.7.2005 (S. 5)
Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass gegen junge Leute, die zu einer Mindeststrafe von sieben Jahren verurteilt worden sind, unter besonderen Umständen nachträglich Sicherungsverwahrung verhängt werden kann. Eine Voraussetzung ist, dass der Täter wegen Mordes, Totschlags oder eines anderen Kapitalverbrechens in Haft sitzt.

Aus "Wegsperren und vergessen", in: Junge Welt, 20.7.2007 (S. 4)
Sogar der konservative FDP-Abgeordnete Jörg van Essen wies darauf hin, wie schwierig "Prognoseentscheidungen über die Gefährlichkeit Jugendlicher" seien. Ein Versagen des Strafvollzugs dürfe sich nicht einseitig zu Lasten von Jugendlichen und Heranwachsenden auswirken.

Im Original: Aus dem Grundrechtereport 1999
Art. 103. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Text von: Hartmut-Michael Weber
Die Wiederauferstehung der Sicherungsverwahrung Gefährlichkeitsvermutungen versus Grundrechte
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 wurde die Sicherungsverwahrung ausgeweitet. Betroffen davon sind Personen mit Verurteilungen wegen sexuellen Mißbrauchs, Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, gefährlicher Körperverletzung, Mißhandlung von Schutzbefohlenen oder wegen Vollrausch. Nunmehr kann das Gericht Sicherungsverwahrung schon anordnen, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren für zwei dieser Straftaten verhängt wurde. Vorverurteilungen und Vorvollzug sind nicht mehr erforderlich.
Ferner muß wie bisher die "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten" durch das Gericht ergeben, daß dieser " infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist". Neben dieser Ausweitung der Anordnungskriterien bestimmt die Reform, daß die Dauer der Sicherungsverwahrung bei ihrer erstmaligen Anordnung nicht mehr auf zehn Jahre begrenzt, sondern unbefristet ist. Letzteres gilt auch rückwirkend für "Altfälle" (enthält also einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG). Zusätzlich wurde die Aussetzung der Maßregel erschwert und der Stellenwert der Gefährlichkeitsprognose angehoben: Es gibt keine Aussetzungsentscheidung mehr ohne Sachverständigengutachten.

Kontext der "Reform"
Das neue Gesetz sieht ferner vor, daß Gefangene, die wegen sexuellen Mißbrauchs oder der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger verurteilt wurden, zwangsweise in eine Sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden können. Bisher war dies nur mit ihrem Einverständnis möglich. Ferner kann nunmehr eine ambulante psychotherapeutische Behandlung auch gegen den Willen des Verurteilten angeordnet und durch eine unbefristete Führungsaufsicht erzwungen werden. Für die vorzeitige Entlassung aus einer Freiheitsstrafe ist jetzt das nur normativ zu bestimmende "Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit" entscheidend. Für Gefangene, die wegen derselben Delikte wie die Adressaten der reformierten Sicherungsverwahrung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt sind, müssen die Vollstreckungsgerichte zusätzlich Gefährlichkeitsprognosen von Sachverständigen einholen, wenn "nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit" der Strafrestaussetzung entgegenstehen.
Die gesamte Reform ist ein Gefahrenabwehrgesetz. Es unterstellt größere Gefahren, die vor allem von wegen Sexualdelikten Verurteilten ausgehen. Das läßt sich mit dem gleichfalls vom 26. Januar 1998 stammenden Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts belegen, sofern es Sexual- und Gewaltstraftaten betrifft. Hier wurden alte Straftatbestände neu, meistens weiter gefaßt, neue Straftatbestände eingeführt sowie Mindeststrafen und Strafrahmenobergrenzen erhöht. Teilweise wurden Obergrenzen durch die wahlweise Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafen aufgehoben. Auch hier fallen der häufige Gebrauch des Begriffs der Gefahr und die Nennung von Gefährlichkeitsmerkmalen auf.
Den Hintergrund dieser neuen Gefahrenabwehrversuche bildet die Diskussion um sexuellen Mißbrauch, die Print- und TV-Medien mit immer stärkerer Dramatisierung für sich reklamierten. Der Begriff des "Kinderschänders", einer von ihrer Menschenwürde entblößten, dämonisierten (Un-)Person, hat sich etabliert; Differenzierungen gehen ob solcher Monsterbegriffe verloren. Im Anschluß an den Fall Dutroux in Belgien und den sexuellen Mißbrauch sowie die anschließende Tötung eines siebenjährigen Mädchens aus Epfach war das Maß voll: Drei Monate nach dem Tod des Mädchens übergaben mehrere Bürgerinitiativen der damaligen Bundestagspräsidentin Süssmuth über eine Million Unterschriften mit der Forderung nach härteren Strafbestimmungen für Sexualstraftäter - die Bundesrepublik durchlebt so etwas wie eine "Moralpanik".
In solchen Situationen sind Empirie und Rationalität nicht gefragt: So wurde im Anhörungsverfahren vor dem Rechtsausschuß des Bundestages auf eine deutlich rückläufige Entwicklung der Sexualstraftaten zwischen 1975 und 1995 hingewiesen. Eine breitangelegte Studie belegte, daß die Rückfallquoten bei schwerem sexuellen Mißbrauch von Kindern und bei Vergewaltigung unerwartet niedrig ausfielen. Auch die Verfassungswidrigkeit der Sicherungsverwahrung wurde thematisiert.
Moralpaniken sind meistens eng mit ökonomischen Krisen liiert: Nie zuvor gab es eine so hohe Arbeitslosigkeit und so leere öffentliche Kassen - die typischen Symptome einer Politik, die die Gesellschaft ökonomisch und sozial spaltet. Derartige Entwicklungen wecken gleichzeitig ein Sicherheitsbedürfnis das sich wiederum von populistischen Politikern für den " starken Staat" instrumentalisieren läßt.

Willkür und Vermutungen im Rechtsstaat
Entscheidend für die Anordnung und Aussetzung der Sicherungsverwahrung sind rein normative Urteile der Gerichte. Gleiches gilt für die Gefährlichkeitsprognosen der Sachverständigen. Solche Normativität verletzt allerdings mehrfach die Grundrechte.
Nach dem Rechtsstaatsprinzip muß alle strafende Staatsgewalt voraussehbar sein. Darin und in der Würde des Menschen wurzelt das Gebot der Strafrechtsbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) als Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Das Kreuz der Sicherungsverwahrung ist aber ihre nicht überprüfbare Normativität "Gesamtwürdigung", "Hang", personallsierte "Gefährlichkeit"), die sie offen für willkürliche Bewertungen macht. Vermutete Straftaten können als Anordnungskriterien niemals das Gebot der Strafrechtsbestimmtheit erfüllen. Die Rechte fälschlich als "gefährlich" Prognostizierter werden permanent verletzt - in mehrerlei Hinsicht:

  • Sicherungsverwahrung wird als Maßregel zusätzlich zur Strafe angeordnet, obwohl sie sich de facto nicht vom Strafvollzug unterscheidet. Damit verletzt sie das Verbot der Mehrfachbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG). Aber auch wenn sie eine vom Strafvollzug unterscheidbare Form hätte, verstieße sie als zusätzliche präventive Verwahrung gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung. Deshalb gilt zum Beispiel in Spanien jeglicher zusätzliche präventive Freiheitsentzug als verfassungswidrig.
  • Sicherungsverwahrung verstößt gegen das Verbot seelischer und körperlicher Mißhandlung (Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG). Der Sicherungsverwahrte wird einer totalisierend eingreifenden physischen, psychischen, sozialen und ökonomischen Schädigung ausgesetzt. Sicherungsverwahrung bedeutet im Kern eine demoralisierende Ungewißheit der Lebensgestaltung und steht daher im Widerspruch zur Menschenwürde sowie der freiheitlichen Selbstbestimmung unter Anerkennung der Subjektqualität des Menschen.
  • Sicherungsverwahrung ist mit dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar. Ihre für Willkür offene Unbestimmtheit macht sie ungeeignet, den Schutz der Allgemeinheit zu sichern.
Summa summarum: Sicherungsverwahrung wird in keiner Hinsicht den Anforderungen eines Rechtsstaates gerecht, sie ist ein bürgerrechtlich sehr gefährliches Konzept. Sie gehört abgeschafft, nicht ausgeweitet.

Literatur
:
Jörg Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand. Ergebnisse einer theoretischen und empirischen Bestandsaufnahme des Zustandes einer Maßregel, Freiburg i. Br. 1996.
Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Protokoll der 93. Sitzung des Rechtsausschusses (Montag, 8. September 1997). Öffentliche Anhörung zu den Gesetzentwürfen Drs 13/163, Drs 13/4462, Drs 13/2859 und zum Antrag Drs 13/7087.


Kritik an Bundesverfassungsgerichts-Ja zu Sicherungsverwahrung
Texte aus der FR:


FR, 20.11.2004 (S. 5)


Und wieder Propaganda eines Richters für Einsperren ohne Urteil, verbreitet über die FR (30.12.2005, S. 33), Auszüge:
Bei fast jedem fünften Gefangenen, der in Hessen als Gewalt- und Sexualtäter in den Strafanstalten der Sicherheitsstufe 1 einsitzt, stellt sich wegen deutlich erhöhten Rückfallrisikos die Frage nach einer nachträglichen Sicherheitsverwahrung. Zu diesem Ergebnis kommt der frühere Frankfurter Schwurgerichtsvorsitzende Ulrich Baltzer in einer breit angelegten Untersuchung zur akuten Gefährlichkeit von 399 Inhaftierten in den Gefängnissen Butzbach, Schwalmstadt sowie Kassel I und Kassel II. ...
Sein Vorschlag zur Neuregelung: Gefangene, die zum Zeitpunkt der anstehenden Entlassung aus dem Knast immer noch gefährlich sind, kommen erneut vor Gericht - im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens.


Wer wird verwahrt?
Die Propaganda erfolgt mit Mördern und Kindesmisshandlern - aber das läuft ja insgesamt in Sachen Knast und Strafe so. Aber selbst bei den Sicherheitsverwahrten gibt es Leute, die nichts anderes als Diebstahl oder Betrug begangen haben ... und nicht zu wenige. Im Jahr 2004 verurteilte z.B. das Landgericht Bonn einen ehemaligen Juristen, der Doktorarbeiten abgeschrieben und als eigene Texte (Plagiate - also sowas, wie es deutsche Minister auch machen) veröffentlich hatte. Er kassierte dafür sechs Jahre Haft und anschließende Sicherungsverwahrung - noch doppelt absurd, da er seine sogenannten Straftaten im Gefängnis begang!

Links zu Sicherheitsverwahrung

Aus einem Interview mit Klaus Jünschke in: Junge Welt, 21.7.2007 (S. 8)
Der Gesetzentwurf ist völlig ignorant. Darin heißt es unter anderem: "Beispiele der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, daß auch junge Straftäter trotz Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe wegen schwerer Verbrechen weiterhin in hohem Maße für andere Menschen gefährlich werden können." Das muß man wirklich genau lesen: "trotz Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe". Dabei weiß man seit 100 Jahren, daß die Rückfallquote im Jugendstrafvollzug bei 80 Prozent liegt. Daher forderte der sozialdemokratische Justizminister Radbruch bereits in der Weimarer Zeit, daß wir "keine besseren Gefängnisse brauchen, sondern etwas Besseres als das Gefängnis". ...
Diese elenden Verhältnisse endlich abzuschaffen, würde tatsächlich etwas für den im Regierungsentwurf behaupteten Schutz potentieller Opfer bringen. ...
Wir müssen diejenigen offensiv kritisieren, die jugendliche Kriminelle brauchen und mit dem Ruf nach immer mehr Härte die nötige Gesellschaftsveränderung verhindern wollen.


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