Laienverteidigung

BESTRAFEN DES "SCHWARZFAHRENS": RECHTSWIDRIG, UNSINNIG, AUFWÄNDIG

Medientexte und -kommentare gegen Strafen für "Schwarzfahren"


1. Wer fährt "schwarz"? Wieviele werden dafür bestraft?
2. Richter*innen, Staatsanwält*innen und Polizei gegen § 265a StGB
3. Jura-Wissenschaft zum § 265a
4. Parteien und Politiker*innen fordern Entkriminalisierung des "Schwarzfahrens"
5. Medientexte und -kommentare gegen Strafen für "Schwarzfahren"


Kommentare und Plädoyers in den Medien
Im Original
Aus "Glanzstücke", Editorial in: Kontext am 13.6.2018
Der Rechtsstaat obsiegt und spricht Schwarzfahrer frei. Im März 2015 schlüpfte eine Gruppe von Aktivisten geschickt durch eine Gesetzeslücke, um beim Fahren ohne Fahrschein straffrei zu bleiben. Damit sie sich dabei nicht der Erschleichung einer Leistung schuldig machten, verwiesen sie mit auffälligem Gebaren, Hinweisschildern, Ansteckbuttons, Transparenten und einem Megaphon darauf, auf den Ticketerwerb verzichtet zu haben (Kontext berichtete).
Für das Landgericht München war damit offensichtlich genug, dass die Beschuldigten ohne gültigen Fahrschein verkehrten. "Das offene Bekenntnis zum 'Schwarzfahren' verhindert den Anschein [eine Leistung zu erschleichen, d. Red], den die Rechtsprechung bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals Erschleichen fordert", heißt es dazu in der Urteilsbegründung, die seit vergangener Woche vorliegt.
So weit, so offensichtlich. Könnte man meinen. Anders sieht es indessen die Staatsanwaltschaft München, die bereits einen Tag nach der Urteilsverkündung Revision einlegte und sich auch drei Jahre nach der Aktionsschwarzfahrt entschlossen zeigt, die Aktivisten abzustrafen. Öko-Anarchist Jörg Bergstedt, der Schwarzfahrtrainings organisiert und bei der Münchener Verhandlung als Verteidiger auftrat, findet das "albern und verbissen". Schwarzfahren zu entkriminalisieren und von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, ist nicht nur seit Jahren das Ziel von Schwarzfahraktivisten, sondern neuerdings auch des Deutschen Richterbundes. Während dieser sich vergrämt zeigt, sich mit einer lästigen Anzahl an unsinnigen Schwarzfahr-Verfahren befassen zu müssen (allein in Berlin 40 000 im Jahr), ist den Münchner Strafverfolgern offenbar ein wichtiges Anliegen, auch dann entschieden nach unten zu treten, wenn sich die Rechtsgrundlage dafür als porös erweist.


Film "Knast statt Knöllchen - Warum Menschen Geldstrafen im Gefängnis absitzen" (hr defacto, 10.08.2014) ... aus der Beschreibung:
Freiheitsentzug ist die härteste Sanktion, die unser Recht kennt. Doch immer öfter passiert es, dass Menschen auch wegen kleiner Vergehen wie Schwarzfahren oder geklauter Lebensmittel ins Gefängnis gehen. Denn weil sie ihre Geldstrafen nicht bezahlen, werden sie zu Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt. In Hessen betrugen die Haftkosten bei den Ersatzfreiheitsstrafen im vergangenen Jahr weit über 12 Millionen Euro.
Aus dem Film:
Im Justizvollzug gibt es eigentlich nichts Unsinnigeres als die Ersatzfreiheitsstrafe ... kostet pro Tag 110 Euro ...
bezahlen hessisches Bürger jedes Jahr über 12 Mio. Euro ...
Der Strafvollzug ist die Sackgasse unserer ungelösen sozialen Probleme in der Gesellschaft.


Aus dem ND-Kommentar "Die Schande nach Auschwitz", 16.7.2015
Es ist eine Schande für die deutsche Justiz, dass Schwarzfahrer jahrzehntelang härter bestraft wurden als KZ-Aufseher.

Aus "Schwarzfahrer" sind Straftäter - das muss geändert werden", in: SIGNAL 1/2017 (März 2017, S. 29)
Riskiert Oma Gisela, die aus Schusseligkeit ihren Fahrschein zuhause liegen lässt, beim dritten derartigen Vergehen innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren eine Strafanzeige wegen „Erschleichens von Beförderungsleistungen“? Soll der Schüler Jakob, weil er im Schuljahr dreimal ohne Fahrschein angetroffen wurde, demnächst einer Jugendstrafe unterzogen werden? Mit welchem Ziel eigentlich?
Für Law-and-Order-Politiker aller Couloeur ist die Sache klar: Auch Vergesslichkeit verdient Strafe, ebenso wie Vorsatz und schlichte Unkenntnis der hyperkomplexen Tarifbestimmungen im öffentlichen Verkehr mit zahllosen Ausnahme-, Übergangs-, Mitnahme- und Fristenregelungen. Alles keine Entschuldigung! Schwarzfahren muss mit den Mitteln des Strafgesetzbuchs geahndet werden! Und dieses sieht für derartige Untaten gemäß § 265a Geldstrafen und auch Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr vor.
„Schwarzfahrer“ füllen die Haftanstalten
Die Berliner Justizvollzugsanstalten sind voll – nicht mit Dieben, Betrügern oder Mördern, sondern mit Menschen, die Haftstrafen wegen Schwarzfahrens absitzen. Meist sind dies Menschen, die verhängte Geldstrafen nicht zahlen können und deshalb in Ersatzhaft landen. Gerade für sozial Schwache sind die Tarifsteigerungen der letzten Jahre existenzbedrohend geworden. Wer von den „Segnungen“ der Hartz IV-Gesetze betroffen ist, hat oft keine 2,80 Euro für eine Einzelfahrt übrig.


Kommentar von Christine Dankbar, in: Berliner Zeitung, 20.4.2018
Strafbar ist am Schwarzfahren die Tatsache, dass sich der Täter die Beförderung durch ein Verkehrsmittel „erschleicht“. Kriminalwissenschaftler bezweifeln mittlerweile, dass eine derartige Erschleichung schon vorliegt, wenn man einfach ohne Ticket in die Bahn steigt – der Tatbestand setze zumindest voraus, dass man einen Fahrer oder Kontrolleur bewusst täuscht oder eine Schranke überwindet. Drehkreuze aber gibt es nicht in deutschen Bussen und Bahnen. Höchste Zeit also für eine Entkriminalisierung. Schwarzfahren sollte maximal als Ordnungswidrigkeit geahndet werden dürfen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Aus "Haftstrafen für Schwarzfahren - Wer zu arm ist, kommt in den Knast", in: taz am 7.9.2018
Über 7.000 Menschen sitzen wegen Schwarzfahrens im Gefängnis. Sie verbüßen eine Ersatzfreiheitsstrafe.


Zwischenlösungen: Vorschläge für Alternativen zu Haftstrafen
Im Original
Überlegungen in Hamburg, durch Monatstickets vom Staat das Schwarzfahren zu unterbinden
Aus "Ticket statt Knast. Justizbehörde plant HVV-Ticket als Bewährungsauflage für Schwarzfahrer", in: taz, 22.5.1999 (S. 33)
Nach Angaben von Justizsprecherin Annette Pflaum können zehn Prozent der zu einer Geldstrafe verurteilten Schwarzfahrer diese nicht bezahlen und müßten deshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Pro Tag koste ein Gefangener den Steuerzahler rund 180 Mark.

Aus "Tickets statt Knast", in: taz, 5.1.2013
Fahren Obdachlose in Hamburg schwarz, landen sie häufig im Gefängnis - das ist teuer für die Stadt. Bedürftige sollten kostenlos fahren dürfen, fordert eine Initiative.
60 Menschen sitzen derzeit in Hamburger Gefängnissen, weil sie wegen „Beförderungserschleichung“ verurteilt wurden – sie wurden beim Schwarzfahren in Bus oder Bahn erwischt. Ohne gültiges Ticket fahren insbesondere Arme und Obdachlose, weiß Cordula Koning von der Schuldnerberatung der Diakonie. Obdachlose „müssen schwarz fahren, weil sie nicht anders können“, sagt auch Dieter Kröger von der Initiative für ein kostenloses Nahverkehrs-Ticket. ...
Wer drei mal ohne Fahrschein erwischt wird, bekommt eine Strafanzeige. Damit fallen nicht mehr nur die Gebühren für das Schwarzfahren selbst an, sondern – je nach Höhe der jeweiligen Tagessätze – auch zusätzliche Kosten von mehreren hundert Euro für den Strafbefehl.
Für diejenigen, die das nicht bezahlen können, folgt dann eine Haftstrafe – laut dem Straßenmagazin Hinz&Kunzt im Schnitt zwei Monate lang. Pro Tag kostet jeder Häftling die Stadt 150 Euro – weil das entschieden mehr ist, als ein Gratis-Ticket für Bedürftige kosten würde, fordert die Initiative nun, Obdachlose gleich umsonst fahren zu lassen. ...
Schwarzfahren in Hamburg: Rund 3,5 Prozent der kontollierten Fahrgäste haben nach HVV-Angaben keine gültige Fahrkarte.


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