Demokratie

GEWALTFREIHEIT: STRATEGIE, UTOPIE ODER DOGMA?

Offene Fragen und blinde Flecken der dogmatischen Gewaltfreiheit


1. Die Argumente pro Gewaltfreiheit - und was davon zu halten ist
2. Offene Fragen und blinde Flecken der dogmatischen Gewaltfreiheit
3. Gut und Böse: Identitätsstiftende Kraft der Gewaltfreiheit
4. Der Machtanspruch gewaltfreier Dogmatik
5. G8-Gipfel 2007 Heiligendamm: Dogma und Kontrolle
6. Staat und Gewalt
7. Kritik an dogmatischer Gewaltfreiheit
8. Links

Die Ohrfeige von Beate Klarsfeld gegen Kurt-Georg Kiesinger war für diesen vermutlich nur kurz phyisch schmerzhaft, und ein Problem mehr in der symbolischen Bedeutung. Eine Anklebeblockade der Letzten Generation kann für eine konkrete Person im Auto, die zum Beispiel einen Arzttermin nicht erreicht oder eine wichtige Begegnung versäumt, praktisch und sogar physisch wesentlich bedeutungsvoller sein. Die dogmatische Einteilung in gewaltsam und gewaltlos macht also auch vom Standpunkt ihrer Wirkung auf den Adressaten keinen Sinn.

Dogma statt Denken
Mit fast allen Menschen, die strikte Gewaltfreiheit bei politischen Aktionen für richtig halten oder der Parole anhängen, dass eine gewaltfreie Gesellschaft nur unter Gewaltverzicht entstehen kann, lässt sich das folgende, immer ähnlich verlaufende Gespräch führen: "Was haben Sie gegen Beate Klarsfeld und Georg Elser?" Wahrscheinliche Reaktion: Schweigen. Je nach Mut vergeht mehr oder weniger Zeit bis zur zweiten Antwort: "Kenne ich nicht." Nun zeigt das schon ein Desaster an, nämlich dass die Entscheidung für eine dogmatische Gewaltfreiheit offensichtlich ohne eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgte. Kennen Gewaltfreie nur die militanten Aktionen der Bildzeitungs-Schlagzeilen? Aber lassen wir etwaige Unhöflichkeiten mal beiseite und berichten freundlich, um wenn es sich handelt.

Im Original: Beate Klarsfeld, Georg Elser, Kathrine Switzer
Wikipedia zu Beate Klarsfeld
1960 ging Beate Künzel für ein Jahr als Au-pair-Mädchen nach Paris. Dort wurde sie mit den Folgen des Holocaust konfrontiert. Nach wechselnden Anstellungen wurde sie Sekretärin beim Deutsch-Französischen Jugendwerk, dort aber entlassen, weil sie Artikel gegen den Politiker Kurt Georg Kiesinger veröffentlichte.
1963 heiratete sie Serge Klarsfeld, dessen Vater in Auschwitz der Judenverfolgung zum Opfer gefallen war. Zwei Kinder sind aus der Ehe hervorgegangen: Arno-David (* 1965) und Lida (* 1973).
Um auf die Vergangenheit des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger als NSDAP-Mitglied (PG 2633930) hinzuweisen, initiierte Beate Klarsfeld verschiedene öffentliche Aktionen. So rief sie ihm 1968 im Bonner Bundestag „Nazi, tritt zurück!“ zu und wurde abgeführt, aber alsbald freigelassen. Während des CDU-Parteitags in Berlin am 7. November 1968 bestieg sie das Podium, ohrfeigte Kiesinger und rief: „Nazi, Nazi!“ Sie wurde daraufhin noch an demselben Tag in einem beschleunigten Verfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ihre Gefängnisstrafe wurde 1969 zu vier Monaten auf Bewährung umgewandelt. Ihr Anwalt war Horst Mahler.
1969 trat sie im Wahlkreis Waldshut zum Bundestagswahlkampf als Direktkandidatin der Partei Aktion Demokratischer Fortschritt gegen den Direktkandidaten der CDU, Bundeskanzler Kiesinger an.
1971 versuchte sie gemeinsam mit ihrem Mann, den für die Deportation von 76.000 Menschen aus Frankreich verantwortlichen Kurt Lischka aus Deutschland zu entführen und der Justiz in Paris auszuliefern, da eine frühere Verurteilung Lischkas weitere juristische Schritte blockierte. Beate Klarsfeld wurde dafür 1974 zu zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die Strafe aber nach internationalen Interventionen und Protesten zur Bewährung ausgesetzt. Der Kriegsverbrecher Lischka dagegen blieb zunächst auf freiem Fuß, erst 1980 wurde er verurteilt.
In den 1970er Jahren wies Beate Klarsfeld wiederholt auf die Verstrickung des FDP-Politikers Ernst Achenbach in die Deportationen jüdischer Opfer aus Frankreich hin. 1976 gelang es ihr, seine politische Tätigkeit u. a. als Lobbyist von NS-Tätern kurz vor seiner geplanten Entsendung als bundesdeutscher Vertreter bei der Europäischen Gemeinschaft nach Brüssel zu stoppen.
1984 und 1985 bereiste sie die Militärdiktaturen Chile und Paraguay, um auf die Suche nach den dort vermuteten NS-Kriegsverbrecher Walter Rauff und Josef Mengele aufmerksam zu machen.
1986 hielt sich Beate Klarsfeld einen Monat lang im libanesischen West-Beirut auf und bot an, im Austausch für israelische Geiseln in Haft zu gehen.
Am 4. Juli 1987 wurde der auf ihre Initiative gefasste Klaus Barbie verurteilt. Diesen Erfolg bewertete Klarsfeld als das „wichtigste Ergebnis“ ihrer Aktionen. Bereits 1972 hatte sie seinen Aufenthaltsort in Bolivien aufgedeckt. Ihrem Engagement ist auch die Gründung der Gedenkstätte Maison d'Izieu (Kinder von Izieu) zu verdanken, in der an die Opfer der von Barbie begangenen Verbrechen erinnert wird.
1991 kämpfte sie um die Auslieferung des in Syrien lebenden Eichmann-Stellvertreters Alois Brunner, dem die Ermordung von 130.000 Juden in deutschen Konzentrationslagern angelastet wird. Im Jahr 2001 wurde Brunner durch die Bemühungen der Klarsfelds von einem französischen Gericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt.
Beate und Serge Klarsfeld gaben ein Gedenkbuch heraus, in dem die Namen von über 80.000 Opfern der Judenverfolgung in Frankreich während der Zeit des Nationalsozialismus verzeichnet sind. Sie bemühten sich erfolgreich um Fotos von über 11.400 in den Jahren 1942-44 deportierten jüdischen Kindern. Die französische Bahn SNCF begrüßte das Projekt und zeigte drei Jahre lang auf 18 Bahnhöfen eine Wanderausstellung (Enfants juifs déportés de France). Die Deutsche Bahn (DB), Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn, lehnte eine entsprechende Ausstellung in den DB-Bahnhöfen „aus Sicherheitsgründen“ ab und verwies sie ins DB-Museum nach Nürnberg. Der damalige DB-Chef Hartmut Mehdorn argumentierte, das Thema sei „viel zu ernst, als dass man sich brötchenkauend“ auf Bahnhöfen mit ihm beschäftigen dürfe. Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee machte sich für die Position der Klarsfelds stark. Ende 2006 verständigten sich Tiefensee und Mehdorn darauf, eine neue, DB-eigene Ausstellung über die Rolle der Reichsbahn im Zweiten Weltkrieg zu unterstützen.
Im Rahmen der von der Deutschen Bahn konzipierten Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod“ ist ein Teil der Dokumente seit dem 23. Januar 2008 auch auf zahlreichen deutschen Bahnhöfen gezeigt worden. Seit ihrer Eröffnung haben diese Ausstellung über 150.000 Menschen gesehen. Die Jagd auf Klaus Barbie wurde 2008 in dem Film „La Traque“ („Die Hetzjagd“) verfilmt.
Im Jahr 2009 wurde Beate Klarsfeld von der Bundestagsfraktion Die Linke für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Das von Bundesaußenminister Guido Westerwelle geleitete Auswärtige Amt, das für die Verleihung an im Ausland lebende deutsche Staatsangehörige zuständig ist, lehnte dies ab. In der Amtszeit von Joschka Fischer als Außenminister (1998 bis 2005) war die Verleihung schon einmal abgelehnt worden.


Wikipedia zu Georg Elser
Johann Georg Elser (* 4. Januar 1903 in Hermaringen, Württemberg; † 9. April 1945 im KZ Dachau) war ein deutscher Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er verübte am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Adolf Hitler und weitere Mitglieder der NS-Führung, für das er kurz vor Kriegsende auf Hitlers Befehl hin ermordet wurde. ...
Elser war früh entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Er verweigerte nach 1933 den Hitlergruß und beachtete Hitlers Auftritte und zahlreiche Reden über den Volksempfänger nicht. In der frühen Phase war der Hauptgrund seiner Abneigung, wie er in einem späteren Gestapo-Verhör angab, die Verschlechterung der Lebensbedingungen nach 1933: „So z. B. habe ich festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. […] Der Stundenlohn eines Schreiners hat im Jahr 1929 eine Reichsmark betragen, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfennigen bezahlt. […] Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will; er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder.“
Etwa ab 1937 prägte ein anderes Motiv seine Abneigung. Elser erkannte die Kriegsvorbereitungen und das Nachgeben der Westmächte bezüglich territorialer Forderungen des Deutschen Reichs: „Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die ‚Obersten‘, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser 3 Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen ‚die kein fremdes Land einbeziehen wollen‘ und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.“

Gestapo-Protokoll vom November 1939
Nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938 war Elser endgültig davon überzeugt, dass Hitler auf einen neuen Krieg zusteuerte und nur noch sein Tod größeres Unheil von Deutschland abwenden könne.

Bürgerbräukeller nach dem Anschlag
Nun begann er, einen Bombenanschlag zu planen. Da Hitler bekanntlich abends vor jedem Jahrestag seines gescheiterten Putschversuchs vom 9. November 1923 im Münchner Bürgerbräukeller eine Rede hielt, beschloss Elser, in die Säule direkt hinter dem Rednerpult eine Zeitbombe einzubauen. Er heuerte zunächst als Arbeiter in einem Steinbruch an, um sich auf diese Weise Sprengstoff zu besorgen. Im Sommer 1939 zog er nach München und mietete dort eine kleine Werkstatt. Den Nachbarn gegenüber gab er sich als Erfinder aus und konnte so unauffällig einen Zeitzünder konstruieren.
Ab Ende August 1939 suchte Elser den Bürgerbräukeller jeden Abend auf, nahm dort zunächst eine einfache Arbeitermahlzeit für 60 Pfennig zu sich und wartete eine günstige Gelegenheit ab, um sich unbemerkt in der Besenkammer zu verstecken. Dort verharrte er noch mehrere Stunden, bis das Gasthaus abgeschlossen wurde. Insgesamt 30 Nächte lang höhlte er dann in mühevoller, riskanter Kleinarbeit eine Säule aus, um die Bombe mit Zeitzünder darin zu deponieren. Die anfallenden Späne versteckte er in einem zusammengerollten Teppich.
Am 8. November 1939 explodierte die Bombe exakt zu der von Elser vorgesehenen Zeit um 21:20 Uhr. Das Attentat misslang jedoch, da Hitler wegen schlechten Wetters nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Reichsbahn zurück nach Berlin fahren musste. Er redete deshalb viel kürzer als sonst und verließ den Saal 13 Minuten vor der Explosion des Sprengsatzes. Dieser verwüstete den Saal, tötete acht und verletzte 63 Besucher, davon 16 schwer. Unter den Toten waren sieben Mitglieder der NSDAP.

Kathrine Switzer
Kathrine Switzer lief trotz Verbots des Marathon-Laufens für Frauen (heimlich) beim Boston-Marathon 1967 mit. Als sie entdeckt wurde, verhinderten Mitlaufende (mit Gewalt!), dass die Rennleitung Switzer aus dem Lauf nehmen konnte. Wikipedia dazu:
Nach einigen Meilen entdeckte der Renndirektor Jock Semple, dass eine Frau eine offizielle Startnummer trug, und versuchte, Switzer die Nummer abzureißen. Jedoch kam Miller seiner Freundin zu Hilfe und stieß Semple zur Seite, so dass Switzer das Rennen fortsetzen konnte und nach vier Stunden und 20 Minuten das Ziel erreichte. Die Rangelei hatte sich direkt vor dem Pressebus abgespielt, und so gingen die Fotos von diesem Vorfall um die Welt und lösten heftige Diskussionen um den Frauensport aus. ... 50 Jahre nach ihrem Marathon-Debüt lief Switzer im Alter von 70 Jahren am 17. April 2017 erneut beim Boston Marathon mit. Sie absolvierte die Strecke in 4 Stunden, 44 Minuten und 31 Sekunden. „Über das Jubiläum bin ich total begeistert. 50 Jahre später machen Frauen fast die Hälfte des Feldes in Boston aus.“ Kathrine Switzer
switzer
Video zur Geschichte von Kathrine Switzer

Ab diesem Punkt ist nicht mehr ganz einheitlich, wie die Reaktionen im Gespräch ausfallen. Was so gut wie nie vorkommt ist, dass jemand die Aktionen für falsch erklärt. Aber sie stellen beide Gewalt gegen Menschen dar. Vielfach folgt wieder Schweigen - und dann eine Reaktion ähnlich wie bei Menschen, deren religiöses Bekenntnis in Frage gestellt wird. Argumente fehlen. Das von den Fakten (Beispielen) irritierte Innere wird zur Ordnung gerufen. Das geht zum Beispiel mit dem Satz: "Naja, das ist ja was Anderes" oder "Das sind aber jetzt Ausnahmen" oder "Extremsituationen". So formuliert, schwingt bereits eine Anerkennung mit, dass es ganz dogmatisch wohl nicht sinnvoll ist. Beeindruckender ist schon eine andere, ziemlich häufige Antwort: "Naja, eine Ohrfeige ist ja noch keine Gewalt!" Wer das hört, reibt sich vielleicht ungläubig die Augen. Bitte was? Der ohnehin vorhandenen Inhaltsleere des Gewaltfreiheitsbegriffs wird innerhalb von Sekunden, durch eine einzige harmlose Frage, vollends der Boden heraushauen. Eben noch gegen jede Gewalt sind plötzlich tätliche Angriffe auf Menschen keine Gewalt mehr. Dieses völlig absurde Ausweichmanöver dient weiterhin dazu, das Dogma zu bestätigen, für das es keine Bestätigung gibt. Im Grunde genommen folgt das Gespräch dem Schema, welches die Satire auf alle Dogmen ist:

§ 1: Gewaltfreiheit ist immer richtig
§ 2: Ist Gewaltfreiheit mal nicht passend, tritt automatisch § 1 in Kraft.

Dabei hätte die Intervention gegen Gewalt ja noch etwas, wenn sie zum analytischen Ringen um sinnvolle, wirksame und angemessene Aktionsformen beitragen könnte. Das aber tut sie regelmäßig nicht. Stattdessen wird sie dogmatisch geführt, d.h. es geht um Grenzziehung und Bekenntnis: Dafür oder dagegen, ohne Wissen um die Situation, ohne Graustufen und vor allem ohne Begründung.

Ist Gewalt gleich Gewalt?
Ein politisch inakzeptabler Fehler vieler gewaltfreier Gruppen ist ihre völlige Undifferenziertheit gegenüber verschiedenen Ausgangspunkten von Gewalt. Hier führt die Fixierung auf diesen für sie wichtigsten Punkt zu einer Betriebsblindheit. Sie liegt ähnlich bei vielen anderen Zusammenhängen vor, wenn z.B. Ökos, Eine-Welt-Gruppen, Fraueninitiativen u.a. alles nur an ihrem Thema festmachen und dabei andere politische Ziele ausblenden. Von Seiten gewaltfreier Gruppen ist die Losung oft: Gewaltfrei = gut, militant = schlecht (bei vielen Militanten ist es umgekehrt, was genauso plump ist). Die Ziele, die mit gewaltfreier oder militanter Aktion verfolgt werden, geraten in den Hintergrund.
Zudem wird nicht zwischen struktureller Gewalt bzw. Gewalt „von oben“ und der Gewalt, die befreiende Ziele hat und sich gegen strukturelle Gewalt richtet (soziale Notwehr), unterschieden. Die Positionen mitteleuropäischer gewaltfreier Ideologien wären z.B. in Diktaturen oder im Fall von Krieg oder ähnlich krasser, direkter Unterdrückung völlig abwegig. Schon im Kleinen haben sie keinen Bestand, wenn es z.B. um das Abwehren sexistischer oder rassistischer Gewalt geht. Viele gewaltfreie Gruppen verteufeln Gewalt als solches. Damit machen sie sich zu ideologischen Hilfstruppen des Staates, der nicht um die Legitimation seiner Gewalt kämpfen muss - er hat das Gewaltmonopol. Wenn Gewalt in jeder Form gleich bewertet wird, gibt es auch keine Grundlage mehr zwischen Angriff und Verteidigung, Aggression und Notwehr, Übergriff und Selbstverteidigung, Unterdrückung und Aufstand.

Im Original: Gewalt = Gewalt
Rundbrief der Kurve Wustrow, eingegangen 4.10.2001
Die Terroranschläge auf das World Trade Center und andere Einrichtungen in den USA haben vielen Menschen auf schreckliche Weise bewußt gemacht, dass Gewalt keine Antwort auf Gewalt und Ungerechtigkeit sein darf.

Aus: Pressemitteilung von Greenpeace am 10.4.2001
Greenpeace weist die heutige Darstellung ..., wonach Greenpeace-Aktivisten in Göttingen einen ICE-Zug an der Ausfahrt gehindert hätten, entschieden zurück. ... Zu dieser Aktion hatte offenbar ein "Anti-Atom-Plenum" in Göttingen aufgerufen. Möglicherweise haben die Demonstranten behauptet, sie seien Greenpeace-Aktivisten oder Sympathisanten. Greenpeace hat mit diesen Demonstranten nichts zu tun. Greenpeace protestiert nur gezielt gewaltfrei gegen Atommüll-Transporte. Aktionen dieser Art, die gezielt Behinderungen im Personen-Verkehr verursachen, sind sinnlos und schaden den friedlichen Protesten ... Der Bundesgrenzschutz hatte heute nachmittag in Hannover mitgeteilt, dass sich rund 30 Greenpeace-Aktivisten an einen haltenden ICE gelehnt und den Zug rund 10 Minuten lang an der Ausfahrt gehindert hätten.

Aus Wolfgang Sternstein (1981): „Gewaltfreiheit als revolutionäres Prinzip – 12 Thesen“
5. Physische (verletzende) Gewalt, wie sie sich in Kriegen und Revolutionen manifestiert, und die "Gewalt des Systems" (institutionalisierte Gewalt) sind nur verschiedene Erscheinungsformen der Gewalt, die leicht ineinander übergehen. Die eine (ungerechte Macht- und Besitzverhältnisse) kann deshalb nicht durch die andere (revolutionäre Gewalt) beseitigt werden. ...
Die gewaltsamen Revolutionäre definieren revolutionäre Gewalt als befreiende Gewalt oder Gegengewalt und meinen damit eine Gewalt, die die Abschaffung der Gewalt zum Ziele hat. Der Strategie der gewaltfreien Revolution liegt dagegen die Vorstellung zugrunde, revolutionäre und militärische Gewalt sei nicht nur Folge, sondern auch Ursache ungerechter Macht- und Besitzverhältnisse. Unter dieser Voraussetzung ist der Versuch, ungerechte Verhältnisse durch revolutionäre Gewalt beseitigen zu wollen, nicht etwa "unmoralisch", er ist einfach unsinnig. ...
Die Theorie der Gegengewalt, einschliesslich der verwandten Begriffe Gegenmanipulation und Gegenterror, ist nicht nur vom Standpunkt der Gewaltfreiheit aus ein Widerspruch, sie ist es auch in sich selbst, d.h. unter dem Aspekt einer systemimmanenten Kritik. Gegengewalt, sofern ihr grundsätzlich eine andere Qualität zugesprochen wird als der Gewalt, ist ein logischer Widerspruch. ...
Der Begriff Gegengewalt ist aber nicht nur ein logischer, er ist zugleich ein psychologischer Widerspruch. Kennzeichnend für ihn ist seine angebliche Rationalität. Gewalt soll von seiten der Revolutionäre nur angewandt werden, wenn feststeht, dass sie keinen anderen Zweck hat als den, Gewalt zu beseitigen. jedes darüber hinausgehende Mass an Gewalt wird abgelehnt. Diese saubere Trennung zwischen revolutionärer und reaktionärer, befreiender und unterdrückender Gewalt geht an der Wirklichkeit des gewalt8amen Konfliktes vorbei. Es gehört zum Wesen gewaltsamer Auseinandersetzungen, dass in ihnen der Verstand durch das Gefühl, das Rationale durch das Irrationale und Emotionale überwältigt werden. Im Kampf auf Leben und Tod regiert nicht der klare Verstand, es regieren vielmehr Angst, Hass, Wut, Erbitterung, Vergeltungsdrang und Rachsucht. Sie werden nicht durch den Verstand beherrscht, sondern beherrschen ihrerseits den Verstand. Der gewaltsame Konflikt unterliegt einer Eigengesetzlichkeit, entfaltet eine Eigendynamik, die sich mit zunehmender Verschärfung des Konflikts der Kontrolle durch den Verstand entzieht. Im Kampf ums eigene Ueberleben und die Vernichtung des Gegners ist schliess1ich jedes Mittel recht. Die Mechanik dieses Vorganges ist uns allen als Eskalation der Drohungen und Gewaltmassnahmen bekannt. Die Unterscheidung von emanzipierender und unterdrückender Gewalt erweist sich angesichts der militärischen, politischen und psychologischen Wirklichkeit des bewaffneten revolutionären Kampfes als unhaltbar. Gewalt, von welcher Seite sie auch kommen mag, neigt letzten Endes immer dazu, reaktionär zu sein: "Alle Gewalt", so stellt der amerikanische Politologe M.Q. Sibley fest, "tendiert dazu, 'reaktlonär' zu sein, was auch immer die Ziele derjenigen sein mögen, die sie anwenden. Während auf lange Sicht den Nachwirkungen der Gewaltanwendung zweifellos in gewissem Grad entgegengewirkt werden kann, so lässt diese doch immer ihre Narben zurück; werden in Richtung auf eine egalitäre Gesellschaft Fortschritte erzielt, so geschieht dies in erster Linie trotz der Gewaltanwendung und nicht auf Grund von ihr."


Das lässt sich steigern: Plötzlich unterscheiden einige Gewaltfreie doch - nämlich in der Frage von Legalität oder Akzeptanz der herrschenden Ordnung geht. Gewalt, die den Herrschenden dient, hat mitunter mehr Legitimität als die, die sich im Protest zeigt. Wer so tickt, könnte sogar - als Gewaltfreier! - eine Waffe zum schützenswerten Gut erklären.

Bitte nichts kaputtmachen, auch Kriegsgerät nicht ... ein schießwütiger Befehlsempfänger ist auch ein Mensch ...
Aus der Einleitung zum Schwerpunkt "Gewaltfreie Kommunikation" von Heinz Weinhausen, in: Contraste Nov. 2008 (S. 1)
Gewaltfreie Kommunikation steht in der politischen Tradition der Gewaltfreiheit im Sinne von Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Diese Tradition meint mehr, als keine Gewalt gegen Menschen anzuwenden, und seien es auch Besatzungssoldaten. Diese meint auch mehr, als keine Gewalt gegen Sachen anzuwenden, und seien es auch Polizeiautos, mit denen der Weg des Castors nach Gorleben gesichert wird. Gewaltfreiheit geht vielmehr im Kern davon aus, dass der Mensch in der Uniform beispielweise in Offizier, auch ein Mensch ohne Uniform ist, dass er ansprechbar ist, dass er bereit ist, Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.

Aus dem Flyer "Sie sind nicht unser Gegner", verteilt und gerichtet "An die Menschen bei Militär, Poilizei und Wachschutz bei einer Aktion gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in 2014

Wir werden keinen Menschen bedrohen oder verletzen. Wir zeigen Gesicht und begegnen allen Menschen mit Aufrichtigkeit, Respekt und Gesprächsbereitschaft. SoldatInnen, Wachdienst und Polizei sind als Menschen nicht unsere Gegner_innen, auch wenn wir ihr Handeln und ihre Rolle kritisieren. Durch unser Verhalten werden wir dies zum Ausdruck bringen.
Wir werden gewaltfrei und entschlossen das Gelände des GÜZ belegen. ...
Wir werden exekutiven Maßnahmen durch Polizei, Bundeswehr oder Wachschutz ausschließlich gewaltfrei begegnen.
Wir werden auf AktivistInnen einwirken, die sich in unserer gewaltfreien Aktion unangemessen verhalten - sei es aus Übermüdung, Ungeduld/Voreiligkeit oder momentaner Überforderung.
... darauf können Sie sich verlassen!


Liegt diese seltsame, herrschaftsstützende Akzeptanz der Ordnungsgewalt daran, dass politischer Protest und selbst große Teile anarchistischer Bewegung im deutschsprachigen Raum zutiefst bürgerlich sind und den Staat im Normalfall als Garanten ihrer Privilegien wahrnehmen? Dann wäre weniger überraschend, dass das Schwert des Staates mehr Rechtfertigung erfährt als das Aufbegehren der Unterprivilegierten.

Im Original: Staat und Gewalt
Erich Fried
Die Gewalt herrscht dort, wo der Staat sagt:
Um die Gewalt zu bekämpfen darf es keine
Gewalt mehr geben außer meiner Gewalt.


Georg Orwell, zitiert nach „Freitag Nr. 41“, 5.10.2001
Leute, die durch Geld und Kanonen geschützt sind, hassen die Gewalt zu Recht und wollen nicht einsehen, dass sie Bestandteil der modernen Gesellschaft ist und ihre eigenen zarten Gefühle und edlen Ansichten nur das Ergebnis sind von Ungerechtigkeit, gestützt durch Macht.

Ein Blick in die Geschichte ist bei allem auch erhellend. Denn vor einigen Jahrzehnten galt bei den dogmatisch Gewaltfreien auch die Beschädigung von Sachen als Gewalt - und war verpönt (siehe Flyer bei einer Castoraktion rechts). Dass solches heute nur noch wenige so sehen, liegt sich an einer theoretischen Weiterentwicklung - mit Theorie haben es die Gewaltfreien in der Regel nicht so. Gewaltfreiheit ist eine Dogma, keine Theorie. Sondern es liegt daran, dass viele Sachbeschädigungen (Castorgleise, Genversuchsfelder, Militärmaterial) ein recht gutes öffentliches Image haben. Was medial gut läuft, ist für die Apparate der Gewaltfreien aber begehrenswert. So wurde die Sachbeschädigung in die Reihe gewaltfreier Aktionsformen aufgenommen. Und wer Tortenwürfe oder die Ohrfeige von Beate Klarsfeld anspricht, wird erfahren, dass es auch damit sehr schnell so läuft ...

PR ist alles: Gewalt ist nur Gewalt, wenn die Aktion negative Schlagzeilen macht
Irritierend ist eine seltsame Unschärfe in der Definition von Gewalt, abhängig vom Erfolg einer Aktion. Was in die eigene Selbstdarstellung passt, wird als gewaltfrei vereinnahmt. Was schief geht oder schlecht ankommt, gilt schnell als gewalttätig. Offenbar geht es mehr um plumpe Werbung, Mitglieder- und Spendensammeln als um eine analytische Position.

Auszug aus "Die Revolte hat den Diktator vertrieben", in: GWR, 2/2011 (S. 1)
Am 14.01.2011 ist der u.a. von den EU-Staaten gepäppelte tunesische Diktator Ben Ali nach 23jähriger Alleinherrschaft durch eine überwiegend gewaltfreie Massenbewegung von Frauen und Männern aus dem Land getrieben worden.

Ein absurdes Beispiel lieferte der September 2009: In einer Phase mit mehreren Prozessen und Verurteilungen gegen Feldbefreier_innen auf Genmais-Feldern (Aktion von Gendreck-weg 2008 bei Kitzingen) wurde das zuständige Amtsgericht mit Parolen besprüht. Vorher waren bei mehreren Prozessen krasse Rechtsbrüche von Seiten des Richters erfolgt, z.B. die härtere Bestrafung wegen fehlender Unterwürfigkeit im Prozess oder sogar die Aussperrung zweier Angeklagter von deren eigenem Prozess. Bemerkenswert war schon, dass etliche der Rechtsstaatstreuen unter den Feldbefreier_innen den so Ausgegrenzten kaum bis keine Solidarität entgegenbrachten. Das ähnelt der klassisch bürgerlichen Meinung: Wer angreift, muss sich nicht wundern ...
Unbekannte besprühten dann die Gerichtswand. Was von solchen Aktionen zu halten ist, ist eine Frage. Hier interessiert die Gewaltfrage. Das Unglaubliche geschah: Diese Farbveränderung einer Wand titulierten einige Feldbefreier_innen nun als Gewalt, die das Image der gewaltfreien Feldbefreier_innen kaputt mache. Moment mal ... Pflanzen ausreißen ist gewaltfrei, gewaltsame Rauswürfe sind egal, aber das Übermalen einer toten Mauer Gewalt?

Gewalt und Berechenbarkeit
Der Verzicht auf Gewalt ist ein Verzicht auf eine bestimmte Form der Gegenwehr. Ihn dogmatisch zu verkünden, macht berechenbarer und vermittelt den Inhaber_innen des Gewaltmonopols, Gewalt ausüben zu können, ohne Auflehnung in Form von Gegengewalt befürchten zu müssen. Das erleichtert Unterdrückungsstrategien, weil bestimmte Szenarios von Vornherein ausscheiden. Das spitzt sich zu, wenn die Gewaltfreiheits-Ideologie bis in die verbale Ebene hinein reicht, d.h. Gewaltverzicht bereits auf der verbalen Ebene gilt.

Im Original: Gewaltfreie Kommunikation (GFK)
Aus Johann Bauer, "Von der Konfrontation zurück zum Bitten?", in: GWR Januar 2010 (S. 20 f.)
Was "Gewaltlosigkeit" oder "Gewaltfreiheit" jeweils bedeuten, ist eine Frage der sozialen Praxis, des Handelns sozialer Bewegungen und Einzelner. In der langen Geschichte des Ungehorsams waren der sprachliche Ausdruck und die tatsächlichen Handlungsdimensionen des Widerstehens vielen Veränderungen unterworfen, ...
Dabei wurden oft bestimmte Probleme der Praxis begrifflich zu "lösen" versucht, etwa indem erwünschte Aspekte besonders ausgezeichnet ("GewaltFREIHEIT" oder jüngst "Gütekraft"), weniger erwünschte begrifflich ausgegrenzt wurden ("bloß" passiver Widerstand).
Allerdings sind dies oft Konstruktionen im Nachhinein oder des Wünschbaren, während gleichzeitig reale soziale Bewegungen ein ganz anderes Bild bieten - ...
Da das Bitten in der Strategie der "Gewaltfreien Kommunikation" einen hohen Stellenwert hat, will ich meine Einwände auch an dieser Stelle konzentrieren.
Für Max Weber ließ sich Herrschaft noch so definieren, dass der Begriff die Chance (!) bedeutet "für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden." Zu seiner Zeit war also die Befehlsform typisch, nicht nur beim Militär, ebenso in der industriellen Bürokratie, auch in der Familie. Befehl und Gehorsam waren Grundformen sozialer Beziehungen. Inzwischen könnte für "Befehl" auch "Bitte" eingesetzt werden. Die öffentliche wie private Bürokratie drückt ihre Anordnungen als Bitte aus. Sogar in der Armee, wo selbstverständlich noch befohlen wird, haben sich die Umgangsformen gemildert; in vielen anderen Bereichen ist der Befehl geradezu verpönt - weil er auch Widersetzlichkeit provoziert (man mag darin einen zivilisatorischen Fortschritt sehen, den Abbau fragloser Autorität, es ist aber auch eine Verschleierung von Herrschaft).
Die Bitten werden aber durchaus so verstanden wie sie auch gemeint sind und wirken mit der gleichen mechanischen Sicherheit des alten Befehls. "Würden Sie das bitte hier wegräumen" richtet sich an diejenigen, deren Aufgabe das ist, es wird auch nicht einmal eine Antwort erwartet, aber die sprachliche Form ist - eben eine Bitte. ...
"Die Wechselwirkung zwischen einer Führungskraft, die gemeinsame Entscheidungen herbeiführt, die dem Leben dienen, und einem Mitarbeiter, der diese Autorität respektiert und ihr aus freien Stücken folgt, kann tatsächlich ein Gespräch auf Augenhöhe ermöglichen.
Dabei sind es weniger die Handlungsanweisungen selbst, die Probleme schaffen oder verstärken, sondern die Art und Weise, wie diese Anweisungen ausgesprochen werden. ..." ...
Die GFK sucht Lösungen, die allen gerecht werden. Das kann nur bedeuten: Den Rahmen anerkennen, die Grundstrukturen nicht in Frage stellen, in diesem Rahmen Kompromisse und Verständnis füreinander fördern.


Bestandteil des Konzeptes gewaltfreier Aktion: Polizei vorher alles sagen!
Aus Wolfgang Sternstein (2013): „Atomkraft – nein danke!“ (S. 166)
Bekanntmachen des Widerstandskonzepts in der Öffentlichkeit und gegenüber den Behörden und der Polizei, um Missverständnisse zu vermeiden und Misstrauen abzubauen, ...

Denken ausschalten?
Aus Marshall B. Rosenberg (9. Auflage 2007): "Konflikte lösen durch Gewalfreie Kommunikation", Herder in Freiburg (S. 44)
Wenn ich merke, dass sich mein Verstand einschaltet, dann sage ich freundlich zu mir: "Geh zurück" ... So ist das mit der Empathie. ... Wir denken nicht darüber nach, wie wir das finden, was der andere sagt.

Das kann bizarre Formen annehmen: Ein Projekt zur gewaltfreien Kommunikation im Gefängnis wird vom Verein Achtsamkeit und Verständigung mit der Kommune Niederkaufungen vorangetrieben. Strukturelle Herrschafts- und Gewaltverhältnisse werden ausgeblendet. Es geht immer nur um den Menschen, die Kommunikation zwischen den Menschen. Gefangene und Vollzugs-Abteilungsleiter_in zu Freund_innen. Das Gefälle zwischen ihnen findet sich in den Texten gar nicht mehr (Quellen unter www.gewaltfrei-niederkaufungen.de). In Feedbacks schildern so "behandelte" Gefangene: "so hab ich vorher noch nie über mich nachgedacht" und "ich konnte meinen Vollzugs-Abteilungsleiter das erste Mal als Mensch sehen. Das Gespräch lief ganz anders und es gab Ergebnisse, die nicht im Traum erwarte habe." Das Gefängnisregime wirds freuen (und die gewaltfreien Kommunikationskünstler_innen bezahlen).

Aus der Selbstdarstellung der Veranstalter_innen:
Wir sehen eine Strafanstalt als ein System, in der alles aufeinander einwirkt. Wir möchten mehr und mehr dazu beitragen, dass dort, wo Menschen zusammen wirken, zufriedenstellende Verbindungen zu sich und untereinander entstehen. ...
Wir werden die Justizministerien aller Länder sowie alle Justizvollzugsanstalten in Niedersachen und Hessen über diese Veranstaltung informieren. Damit wollen wir unsere Arbeit den entscheidungsbefugten Organen bekannt machen und Kontakte knüpfen.


Verfälschte Leitfiguren: Gandhi, Jesus & Co.
Gewaltfreie beziehen sich vielfach auf Vorbilder und Vordenker. Ganz vorn als Leuchttürme: Gandhi und Jesus. Wehren können die sich nicht. Vielleicht würden sie das aber gerne. Denn ihre Worte und Taten zeigen, dass Gewaltfreiheit für sie kein Dogma war, sondern in der konkreten Situation das passende Mittel - wenn sie es wählten. Jesus, zumindest als Figur der Bibel, wusste da schon zu unterscheiden und griff, wenn es nötig war, auch zur blanken Gewalt. Und Gandhi wusste immer, dass Gewaltfreiheit Grenzen hatte und er auch Mut zur Gewalt haben müsste, wenn andere Mittel versagen würden. Damit nicht genug. Gandhi trat als Provokateur gegen politischen Protest auf - also doppelt als Diener bewaffneter Mächtiger.

Im Original: Gandhi und Jesus zur Gewalt
Zitate von Mahatma Gandhi
Satz 15 der Satyagraha-Normen
Wähle Gewalt vor Feigheit !
Du sollst immer bestrebt sein, Ahimsa zu folgen in der Bedeutung 1 – 14, aber in einer Lage, wo du es nicht fertig bringst, ist ein gewaltsames Verhalten mit einem von Ahimsa erfüllten Sinn einem nichtgewaltsamen, aber aus Feigheit entstandenen Verhalten vorzuziehen.


"Gandhi heute – aktuell oder unzeitgemäß?" in: HFSK-Standpunkte 4/2006
Bei einer Wahl nur zwischen Feigheit und Gewalt riet Gandhi zur Gewalt.

Seine erste Kampagne der Satyagraha (wörtl. Festhalten an der Wahrheit ) im Sept. 1920 begründete Mahatma Gandhi unter anderem so (Quelle):
Ich glaube Folgendes: Wo nur eine Wahl besteht zwischen Feigheit und Gewalt, da rate ich zur Gewalt. Als mein ältester Sohn mich einmal fragte, was er hätte tun sollen, wenn er dabei gewesen wäre, als ich im Jahre 1908 beinahe umgebracht worden wäre: ob er hätte weglaufen und es ruhig mit ansehen sollen, wie ich getötet würde, oder ob er hätte Brachialgewalt anwenden sollen, um mich zu verteidigen, da habe ich ihm geantwortet: es wäre dann seine Pflicht gewesen, mich auch unter Anwendung von Gewalt zu schützen... Ich würde lieber Indien zu den Waffen greifen sehen, um seine Ehre zu verteidigen, als dass es in Feigheit der Zeuge seiner eigenen Entehrung werden würde.

Mahatma Gandhi am 11.10.1928 (Quelle: "Für Pazifisten", übersetzt von Wolfgang Sternstein)
Wer sich selbst, seine Angehörigen und deren Ehre nicht zu schützen vermag, indem er bereit ist gewaltfrei zu sterben, kann und soll es dadurch tun, dass er dem Unterdrücker gewaltsam begegnet. Wer weder das eine noch das andere tun kann, fällt anderen zur Last.

"Gandhi und der Kampf gegen den Imperialismus" auf: www.lebenshaus-alb.de/magazin/004677.html
Für Gandhi bedeutete Konflikt eine Herausforderung: sich kennenlernen, Gemeinsamkeiten finden, füreinander Bedeutung haben. Lasst uns darüber reden! Ihm war die Gewalt lieber als die Feigheit, der Konflikt, die Disharmonie lieber als gar keine Beziehung zueinander.

"Der Mythos Gandhi", auf: www.sozialismus.net/zeitung/mr15/ghandi.html
Als Hindu lehnte Gandhi Gewalt sogar gegen Tiere ab und war darum Vegetarier. Gewaltlosigkeit war für ihn dennoch nur Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck. "Wenn nur die Wahl zwischen Feigheit und Gewalt besteht, dann bin ich für Gewalt".

"Für Pazifisten", Lit-Verlag (S. 42)
Ich glaube, dass ich da, wo es nur die Wahl zwischen Feigheit und Gewalt gibt, zur Gewalt raten würde.

Noch schlimmer: War Gandhi ein Unterstützer militärischer Gewalt?
Aus "Der Weg in die Freiheit", in: Junge Welt, 3.1.2015 (S. 12f.)
Scheinheiliger Patron der Gewaltlosigkeit: Mahatma Gandhi strebte während des Ersten Weltkriegs eine Beteiligung der indischen Befreiungsbewegung im englischen Heer an, um die Autonomie seines Landes zu erlangen.

Zitate von und Aussagen über Mahatma Gandhi in: Domenico Losurdo (2015), „Gewaltlosigkeit“, Argument Verlag in Hamburg (S. 33-47, kursiv: dort zitierte Originalaussagen von Gandhi mit Quellenangabe)
Als die tüchtigen japanischen Helden Russland gezwungen hatten, ins Gras des Schlachtfeldes zu beißen, ging die Sonne im Osten auf Sie leuchtet nunmehr über allen Nationen Asiens. Nie, nie mehr werden die Völker des Ostens die Beleidigungen durch die arroganten Weißen unbeantwortet lassen (CW, 8; 405). …
Konzentrieren wir uns jetzt auf die Konflikte, mit denen sich Gandhi unmittelbarer messen musste. Es handelt sich um drei Kriege (die zwei Weltkriege inbegriffen) und einen bewaffneten Aufstand. Der erste Krieg fand in Südafrika statt, wo von 1899 bis 1902 die Soldaten des Britischen Empires mit den holländischen Siedlern, den Buren, zusammenstießen. Selbst wenn sie sich auf die Rettung und den Transport der verletzten englischen Soldaten beschränkten, beteiligten sich Gandhi und die von ihm beeinflussten Inder am Krieg. Diese Beteiligung geschah freiwillig, und sie erhielten dafür auch militärische Auszeichnungen. Wurde in diesem Fall das Prinzip der Gewaltlosigkeit respektiert? Später wird der indische Führer in seiner Autobiographie schreiben:
Wer sich freiwillig in den Dienst einer Bande von Räubern stellt, indem er als deren Fahrer fungiert oder Schmiere steht, während sie am Werk sind, oder sie pflegt, wenn sie verwundet sind, ist ebenso der Räuberei schuldig wie die Räuber selbst. Gleichermaßen können jene, die sich darauf beschränken, die Verwundeten in einer Schlacht zu pflegen, von der Kriegsschuld nicht freigesprochen werden (A, 352/296). …
Nachdem Gandhi sich im Burenkrieg an die Seite des Britischen Empires gestellt hatte, unterstützte er wenige Jahre später die Buren und das Britische Empire, die im Begriff waren, in Natal den Aufstand eines vom Kolonialismus grausam unterdrückten Volkes, der Zulus, niederzuschlagen. "Äußerst brutal und unmenschlich" war die Antwort der Machthaber: "Die Zulus werden mit Maschinengewehrfeuer niedergemäht, ausgepeitscht und erhängt, bzw. verwundet und man lässt sie [ohne Hilfeleistung] sterben". Für Verbreitung des Terrors sorgt auch das "öffentliche Erhängen" (Herman 2008, 137; Chadha 1997, 111). Gandhi selbst berichtet, dass auch die "Verdächtigen" betroffen sind: "Der General hatte sie zur Auspeitschung verurteilt, die schwere Wunden verursacht hatte. Da diese nicht gepflegt wurden, eiterten sie" (A, 325/267). Und dennoch kommen dem indischen Führer keine Zweifel. Folgendermaßen beschreibt er seine Position:
Ich hegte keinen Groll gegen die Zulus, denn sie hatten keinem Inder etwas zuleide getan. Ich hegte Zweifel an dem "Aufstand" selber. Doch ich glaubte damals, das britische Empire bestehe zum Besten der Welt. Ein eingeborener Sinn für Loyalität hinderte mich sogar, dem Empire Schlechtes zu wünschen. Ob es mit dem "Aufstand" seine Richtigkeit hatte oder nicht, war daher nicht geeignet, meine Entscheidung zu beeinflussen (A, 323f/265f).
In der Tat vermögen nicht einmal traumatische Erlebnisse Gandhis oben genannte Entscheidung zu revidieren: "Als wir den Schauplatz des 'Aufstands' erreichten, sah ich, dass es da nichts gab, was die Bezeichnung 'Aufstand' rechtfertigen konnte. Es gab keinen sichtbaren Widerstand" (A, 324/266). Es handelte sich in Wahrheit um "eine Strafexpedition" bzw. um "einen eigenartigen kleinen Krieg gegen eine wehrlose Bevölkerung" (Chadha 1997, 117). Wie zu Zeiten des Burenkrieges hielt Gandhi es für eine Desertion von seinen bürgerlichen und moralischen Pflichten, sich abseits zu halten: "Ich hatte das Gefühl [ ... ] der Regierung von Natal meine Dienste anbieten zu müssen" (A, 244/180). Das völlig in das Kolonialheer eingegliederte "indische Ambulanzkorps" griff ein: "Der Chief Medical Officer [ernannte] mich zeitweilig zum Feldwebel, drei von mir ausgewählte Männer zu Sergeanten und einen zum Korporal. Auch erhielten wir unsere Uniformen von der Regierung" (A, 324f./265f.). Zwar pflegte das Korps unter den gegebenen Umständen am Ende vor allem die Zulus. Man darf aber nicht aus dem Blick verlieren, dass Gandhi bei dieser Gelegenheit an einen direkten kriegerischen Einsatz dachte: Wir werden sehen, wie Gandhi seine Landsleute auffordert, sich als Freiwillige zu melden, und er wird (vergebens) versuchen, die Militärbehörde zu überzeugen, die indischen Freiwilligen zu bewaffnen.
Hieraus lässt sich eine Schlussfolgerung ziehen. Während der junge Gandhi den Krieg Japans gegen Russland als Wiedererwachen der Kolonialvölker mit einem positiven Werturteil deutet, verdrängt er seine antikolonialistischen Sympathien, wenn das Britische Empire ins Spiel kommt. Fest steht, dass in beiden Fällen keine Verurteilung der Gewalt schlechthin vorliegt. Was sich durch die Haltung bestätigt, die er im Ersten Weltkrieg einnahm. …
In jedem Fall, schreibt Gandhi kurz und bündig in einem Brief vom 6. Juli 1918, kann "unter außergewöhnlichen Umständen der Krieg ein notwendiges Übel (necessary evil) sein, so wie es der Körper ist" (CW, 17; 124). …
Wenn wir unsere Stellung durch die Hilfe und Mitwirkung der Briten verbessern wollten, war es unsere Pflicht, ihre Hilfe dadurch zu gewinnen, dass wir ihnen in der Stunde der Not beistanden [ ... ]. Die mir opponierenden Freunde hatten das Gefühl, die Stunde sei gekommen, eine kühne Erklärung der indischen Forderungen abzugeben und die Stellung der Inder zu verbessern.
Meiner Meinung nach sollte Englands Not nicht als unsere Gelegenheit ausgenutzt werden, und es wäre besser und weitsichtiger, nicht unsere Forderungen zu betonen, solange der Krieg andauert. Ich blieb daher bei meinem Rat und forderte jene, die dazu bereit waren, auf, sich als Freiwillige anwerben zu lassen. Die Aufforderung fand ein gutes Echo, wobei praktisch alle Provinzen und alle Religionsgemeinschaften unter den Freiwilligen vertreten waren (A, 349f/293f). …
Gandhi blieb nicht lange in London. Doch seine Rückkehr nach Indien bedeutete keineswegs, dass die Unterstützung der Kriegs-anstrengungen der imperialen Regierung endete oder nachließ. Im Gegenteil. Er verpflichtete sich, 500000 Männer für das britische Heer zu rekrutieren, und er tat dies mit einem solchen Eifer, dass er dem persönlichen Sekretär des Vizekönigs schrieb: "Ich habe den Eindruck, dass ich Euch mit Männern überschwemmen könnte, wenn ich Euer Hauptrekrutierer würde" (CW, 17; 12). Und sowohl an seine Landsleute als auch an den Vizekönig gewandt, bestand er sogar obsessiv auf der Opferbereitschaft, die ein ganzes Volk beweisen müsse: Es gehe darum, "willige und unzweideutige Hilfe dem Empire [zu] leisten"; Indien müsse dazu bereit sein, "alle körperlich dazu fähigen Söhne dem Empire in seiner kritischen Stunde als Opfer", "alle tauglichen Söhne als Opfer für das Empire in diesem seinem kritischen Augenblick" anzubieten; "Wir [müssen] dem Empire jeden verfügbaren Mann zu seiner Verteidigung geben" (A, 424f./375f.; CW, 17; 8). Mit eiserner (kriegerischer) Konsequenz hoffte Gandhi, dass sich auch seine Söhne meldeten und am Krieg teilnahmen (Herman 2008, 236). …
Für die indische Gemeinschaft sollte es eine leichte Aufgabe sein, aufs Schlachtfeld zu eilen, denn wir sind, ob Muslime oder Hindus, Männer mit einem tiefen Glauben an Gott. Wir haben ein tieferes Pflichtbewusstsein [als die Atheisten], und deshalb sollte es für uns leichter sein, uns als Freiwillige zu melden. Wir werden nicht von Angst überwältigt, wenn Hunderttausende den Hunger oder Pesttod erleiden. [ ... ] Warum sollten wir den Tod fürchten, der uns möglicherweise auf dem Schlachtfeld ereilen kann? (CW, 5; 273). …
Ähnlich verhält sich Gandhi, wenn er seine Landsleute auffordert, an der bewaffneten Expedition gegen ein Volk, die Zulus, teilzunehmen, für das er Sympathie hegt. Es gehe nicht darum zu ergründen, ob die Expedition "gerechtfertigt ist oder nicht", die Inder müssten vielmehr ihre kriegerische "Tapferkeit" und ihren "Willen und ihre Fähigkeit, zu kämpfen" und "jede Arbeit mit dem Gewehr" zu verrichten, unter Beweis stellen (CW, 5; 179,192,202, 211). …
Die Glorifizierung der Männlichkeit des Kriegers erschallt anlässlich des Ersten Weltkriegs lauter denn je. Gandhi bekräftigt seine Verachtung für die, die Zweifel hegen, ob eine Bewegung, die sich zur Gewaltlosigkeit bekennt, an einem Massaker teilnehmen kann: Man dürfe sich nicht mit den "gänzlich Unmännlichen" (utterly unmanly) gemein machen. Bevor man eventuell darauf verzichte, müsse man "die höchste Fähigkeit zuzuschlagen" erreichen. Oder noch derber ausgedrückt: "Man kann einen Mann, der nicht in der Lage ist zu töten, nicht die Ahisma [die Gewaltlosigkeit] lehren" (CW, 17; 159 u. 88). Wenn wir an dem gigantischen Konflikt teilnehmen, fährt Gandhi fort, "helfen wir dem Empire", und gleichzeitig "lernen wir, Indien zu verteidigen und in einem gewissen Maß unsere verlorene Männlichkeit" (manhood) wiederzugewinnen (CW, 17; 85f.). Seinen Anhängern, die sich weiterhin vom Pazifismus leiten lassen und ihn, Gandhi, der Inkonsequenz bezichtigen, antwortet er, indem er ihnen ihre "Feigheit" vorwirft: Man dürfe Satyagraha nicht mit dem "einfachen passiven Widerstand" derer verwechseln, die "zu schwach [sind], um die Methoden der Gewalt anzuwenden" (CW, 17; 88 u. 122).
Man müsse vielmehr ein für alle Mal den "Vorwurf der Verweichlichung" abschütteln. Und dieses Resultat sei nur zu erreichen, wenn der Opfergeist nicht nur die unmittelbar Kämpfenden, sondern die ganze Gemeinschaft inspiriert: "Für mutige Männer sollte es kein Grund zum Leiden, sondern zur Freude (pleasure) sein, ihre Kinder im Krieg zu opfern". An diese Anschauung sollten sich auch die Frauen halten und gegenüber ihren Söhnen folgendermaßen auftreten: "Wenn sie auf dem Schlachtfeld fallen, werden sie sich selbst, ihr Dorf und ihr Land unsterblich machen" und andere junge Männer anregen, ihrem Beispiel zu folgen (CW, 17; 86f.). …
Diese Einstellung wird im Ersten Weltkrieg bekräftigt: "Es kann keine Freundschaft zwischen dem Mutigen und dem Verweichlichten geben. Wir werden als ein Volk der Ängstlichen betrachtet. Wenn wir uns von diesem Verdacht befreien wollen, müssen wir lernen, die Waffen zu gebrauchen" (CW, 17; 83). …
Gandhi ... Er gibt zu, dass er unter der "Manie der Einberufung" leide, doch er lässt keineswegs davon ab: "Ich mache nichts anderes, ich denke an nichts anderes, ich spreche von nichts anderem, und deshalb halte ich mich für keine politische Aufgabe geeignet außer der Rekrutierung" (CW, 17; 190).


Aus Marshall B. Rosenberg (9. Auflage 2007): "Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation", Herder in Freiburg (S. 60f.)
Sollte ich jemals nur zwei Alternativen sehen: Passivität oder Gewalt, dann würde ich Gewalt wählen. ...
Gandhi sah es ungern, wenn man ihm nachsagte, er predige die absolute Gewaltfreiheit.


Kritischer Text des ISF (Freiburg) zum vermeintlich "gewaltfreien" Mahatma Gandhi.

Jesus mit der Peitsche
Aus dem Evangelium nach Johannes 2,13-16 in der Einheitsübersetzung:
13 Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf.
14 Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen.
15 Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus und ihre Tische stieß er um.
16 Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle
!

Jesusworte laut Bibel (Matthäus 10)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein.
Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.


Aus der Bibel (Lukas 12)
Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! Aber ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet ist!
Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage euch: Nein, sondern Zwietracht.


Trotzdem brachte der Verlag der Graswurzelrevolution ein wohlwollendes Buch über den "Christlichen Anarchismus" heraus. Dort werden christliche Urgemeinden in die Nähe der Anarchie gerückt, Jesus mutiert zum "Vorbild für radikale politische Aktion" und "wahren Begründer der Anarchie". Auch das Gewaltfreiheitsklischee wird bedient: "Jesus strebte eine völlige Umwälzung der herrschenden Verhältnisse und eine egalitäre Gesellschaftsordnung an und versuchte, dies ausschließlich mit dem Mittel radikaler und konsequenter Gewaltfreiheit zu erreichen." (Quelle: Auszüge in "Junge Welt" am 7.9.2013)

Im Text "Für Jobs und Freiheit" wird der Inhalt eines Buches über den großen Marsch mit der berühmten Rede von Martin Luther King (I have a dream) wiedergegeben. Danach vertritt der Autor die Ansicht, dass Marsch und Reden deutlich radikaler waren als es in der Geschichtsschreibung behauptet wird.
Aus "Für Jobs und Freiheit", in: Junge Welt am 26.8.2023 (S. 15)
Der Legende nach war King mit seiner Rede am Ende der Kundgebung bestimmend für den Erfolg des Marsches. Es war indes Randolphs Eröffnungsrede, die den sozialen und Klassencharakter des Marsches und den Kampf gegen rassistische Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung miteinander verband. Für den Gewerkschafter konnte nur die organisierte Klasse und nicht die gnädige Billigung neuer Gesetze durch die Herrschenden in Washington soziales und politisches Unrecht beseitigen. ...
Die in den 1980/90er Jahren verbreitete Auffassung, »dass der Marsch erfolgreich war, weil er gemäßigt war«, sei falsch und »einfach nur Unsinn«, so Jones. Genau das Gegenteil sei der Fall gewesen: »Er war erfolgreich, weil er in seinen Forderungen weitreichend war, radikal und militant.« Im darauffolgenden Frühjahr habe sich das noch einmal sehr deutlich gezeigt, als die Bürgerrechtsgesetzgebung im US-Kongress auf Eis lag. Als Randolphs NALC mit einem Generalstreik drohte, wurde der Civil Rights Act im Sommer unverzüglich verabschiedet.

Im Original: Gewaltfreiheit, Abgrenzung und Hegemonie
Gandhi als Feind von Protestbewegungen, in: Domenico Losurdo (2015), „Gewaltlosigkeit“, Argument Verlag in Hamburg (S. 59, kursiv: dort zitierte Originalaussagen von Gandhi mit Quellenangabe)
Tolstoi führte uns mit seiner leidenschaftlichen Polemik gegen den Militarismus und den Kolonialismus in die Nähe der sozialistischen Bewegung marxistischer Ausrichtung. Doch in welchem Verhältnis stand Gandhi zu dieser Bewegung? Während innerhalb der von ihm angeführten Unabhängigkeitsfront die vom Marxismus ausgeübte Anziehungskraft wuchs, verspürte Gandhi in seinen letzten Lebensjahren das Bedürfnis, eine deutliche Demarkationslinie zu ziehen: "Die sozialistische Auffassung des Westens entstand in einem übelriechenden Milieu der Gewalt. Ich glaube, dass der gewaltsame Zugang des Proletariats zur Macht dazu bestimmt ist, am Ende zu scheitern. Was mit der Gewalt erreicht wird, ist dazu bestimmt, vor einer noch größeren Gewalt unterzugehen" (LG, 5; 225). Ist hiermit jedoch das zentrale Element des Unterschieds zwischen Gandhi und der sozialistischen Bewegung korrekt erkannt? Angesichts der wiederholten, mit verschiedenen Mitteln durchgeführten Teilnahme des indischen Führers an zeitweilig extrem blutigen bewaffneten Konflikten und vor allem mit Blick auf seine Rolle als "Hauptrekrutierer" im Dienste des britischen Heeres im Ersten Weltkrieg wird es problematisch, diese Frage mit ja zu antworten. In Gandhis Augen griff nicht nur der marxistische Sozialismus, sondern bekanntlich auch die chartistische Bewegung zur Gewalt (vgl. oben, Kap. 2, §6). Nicht einmal die Suffragetten konnten sich vor dem Urteil retten, gewalttätig zu sein (CW, 11; 97). Diese Anklage lässt sich nur belächeln, wenn sie im Ersten Weltkrieg noch bekräftigt wird (CW, 16; 10), als der Ankläger selbst damit beschäftigt war, eine weit ausgedehntere Gewalt in Gang zu setzen und zu unterstützen. Sogar ein Streik, der von Arbeitern ausgerufen wurde, die keinen direkten Tarifkonflikt mit ihrem Arbeitgeber hatten, sondern nur anderen Arbeitern, die einen "Hungerlohn" erhielten, ihre Solidarität ausdrücken wollten, ist für Gandhi "eine Art Gewalt" (CW, 37; 38f.).

Ist die Gewaltfrage wichtiger als andere?
Doch selbst wenn, was mit obigen Ausführungen widerlegt werden sollte, die Gewaltfrage eine besonders große Bedeutung hätte, wäre noch ein weiterer Punkt zu untersuchen - nämlich der, ob sie denn wichtiger ist als alle oder zumindest die meisten anderen Fragen. Solche anderen Punkte innerhalb von Aktionsstrategien könnten sein:
  • Dominanzverhalten, u.a. die Männer- oder Erwachsenendominanz innerhalb von Aktionsstrategien oder Bündnissen.
  • Radikalität von Zielen, Verbindung von Ein-Punkt-Aussagen mit grundlegenden gesellschaftspolitischen Zielen, utopischer Gehalt der Forderungen.
  • Taktische bzw. strategische Überlegungen wie Durchführungsformen, die zu den Zielen der Aktion passen, und Vermittlung nach außen.
  • Und vieles mehr.

Die Motivation des Staates, die Gewaltfrage zur zentralen Frage zu machen, ist einfach zu erklären. Er will seinen eigenen Vorteil (Gewaltmonopol) aufrechterhalten, auch die Spaltung politischer Bewegungen ist in seinem Interesse. Was aber treibt gewaltfreie Gruppen an, den Begriff der Gewaltfreiheit im Titel zu führen und zur Hauptsache zu erklären? Was legitimiert sie, daraus den Anspruch ziehen, alle Anderen auf ihr Hauptthema einzuschwören? Viele bringen diese Position mit dogmatischem Anspruch in Bündnisaktionen ein - ein klarer Fall von Hegemonialstreben.
Letztlich bieten gewaltfreie Gruppen damit aber die gesteigerte Variante dessen, was die meisten anderen politischen Gruppen auch tun: Sie konzentrieren sich im Kern auf eine, nämlich ihre eigene Fragestellung. Das wäre zwar schade bis politisch dumm, aber akzeptabel, wenn daraus kein Machtanspruch erwächst. Auch Öko-, Frauen-, Eine-Welt-Gruppen oder Gewerkschaften fordern in Bündnissen manchmal, dass ihr Thema für alle das Wichtigste sein soll. Vielleicht hätten ihre Positionen sogar mehr Berechtigung als die Gewaltfrage, z.B. die feministische Kritik an den patriarchalen Strukturen in politischen Zusammenhängen oder die Forderung nach umweltgerechter Durchführung von Aktionen. Doch wenn jede Gruppe ihr Hauptanliegen zum Knackpunkt über Sein und Nichtsein von Kooperationen machen würde, wären Bündnis-Aktionen nicht mehr möglich.

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