Demokratie

WAS IST DER STAAT?

Staatskritik


1. Ein Staat ist ... (Definitionen)
2. Entstehung der Staaten
3. Rechtsstaat, Republik
4. Macht und Staat
5. Demokratie und Rechtsstaat forever
6. Staatskritik
7. Weitere Links zu Demokratie und Rechtsstaat

Erich Mühsam, zitiert nach: Wilk, Michael (1999): "Macht, Herrschaft, Emanzipation", Trotzdem Verlag in Grafenau (S. 12)
Die Macht des Staates ist aber gefährlicher wie jede andere Macht, weil sie mit dem Anspruch auftritt, Ausdruck des allgemeinen Willens zu sein und die von ihr der Arbeit abgenommenen Reichtümer dem allgemeinen Nutzen zuzuführen. In Wahrheit dienen diese Reichtümer ausschließlich der Erhaltung des Staates selbst, das heißt der Macht der Obrigkeit, die die Ohnmacht der Regierten braucht.

Aus Fromm, Erich (1985): "Über den Ungehorsam", dtv München
Die Funktionen des zentralisierten Staates müssen auf ein Minimum reduziert werden; der zentrale Mechanismus des Gesellschaftslebens muß die freiwillige Tätigkeit aktiv zusammenarbeitender Bürger sein. ... (S. 90)
Aber widersprüchlich ... Bedürfnisse der Gesellschaft, nicht der Menschen:
Die Autonomie eines Unternehmens wird durch die zentrale Planung soweit eingeschränkt, als sich die Produktion an den Bedürfnissen der Gesellschaft zu orientieren hat. (S. 92)

Aus Friedrichs Engels (1886), "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie"
Im Staate stellt sich uns die erste ideologische Macht über den Menschen dar. Die Gesellschaft schafft sich ein Organ zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen gegenüber inneren und äußeren Angriffen. Dies Organ ist die Staatsgewalt. Kaum entstanden, verselbständigt sich dies Organ gegenüber der Gesellschaft ...

Aus Abdullah Öcalan (2011), "Demokratische Nation" (S. 14ff.)
Der Nationalstaat als einer der kompliziertesten Gegenstände der Sozialwissenschaft wird uns als Zauberstab für die Lösung aller Probleme präsentiert, denen sich die Moderne gegenübersieht. In der Realität vertausendfacht er allerdings die gesellschaftlichen Probleme. Der Grund dafür ist, dass er seinen Herrschaftsapparat bis in die Kapillaren der Gesellschaft hinein verbreitet. Die Herrschaft produziert selbst Probleme; sie schafft Unterdrückung und Ausbeutung als gesellschaftliche Probleme wegen des potentiellen Charakters des Kapitals, Gewalt zu organisieren. Der Nationalstaat strebt eine homogene Nationalgesellschaft an, erzeugt jedoch durch die Herrschaft in einem gewaltgeladenen Angleichungsprozess lediglich pseudo-gleiche (angeblich rechtlich gleiche) Bürger, indem er gleichsam alle überstehenden Gliedmaßen absägt. Dieser Bürger ist dann vor dem Gesetz gleich, doch in allen Lebensbereichen erlebt er als individuelles und kollektives Wesen höchste Ungleichheit.
Wenn wir nun eine Theorie der Nation entwickeln, so müssen wir ernsthaft auch die Sakralisierung und Vergöttlichung der Nation kritisieren. Die kapitalistische Moderne hat anstelle der traditionellen Götter und Religionen die Göttlichkeit des Nationalstaates selbst gesetzt. Wenn wir den Nationalismus als die Religion des Nationalstaates interpretieren, so können wir den Nationalstaat als den Gott dieser Religion begreifen. In der Moderne wurde der Staat auf eine Weise konstruiert, dass er die Essenz aller Begriffe von Göttlichkeit des Mittelalters und sogar des Altertums beinhaltet. Das Phänomen des sogenannten ›laizistischen Staates‹ bedeutet, die Gottheiten aus Altertum und Mittelalter in ihrer Gesamtheit oder ihrer Essenz im Aufbau des Staates zu konkretisieren. Lassen wir uns nicht täuschen: Wenn wir ein wenig am Lack des laizistischen oder modernen Nationalstaates kratzen, so erscheint darunter sofort der Gottesstaat des Altertums und des Mittelalters. Staat und Göttlichkeit sind eng miteinander verwoben. In gleicher Weise sind der aufstrebende Monarch der Antike und des Mittelalters und der Gottesbegriff miteinander eng verwoben. Als der Monarch nach dem Mittelalter seinen Einfluss als Person einbüßte, sich die Monarchie etablierte und in den Nationalstaat umwandelte, wurde der Gott-Monarch durch den Nationalstaat ersetzt. Deshalb stellen das als heilig erklärte Heimatland gemeinsam mit den Begrifflichkeiten der Nation und des Marktes, die auf ähnliche Weise sakralisiert werden, die Grundlage für eine ideologische Hegemonie dar, die der kapitalistischen Moderne die Erzielung eines Maximalprofits ermöglicht. Je stärker die ideologische Hegemonie diese Begriffe, die im Zusammenhang mit der Nation stehen, zur Religion erhebt, desto stärker gelingt es ihr, das Gesetz des Maximalprofits zu legitimieren und ihm so Geltung zu verschaffen. Die gegenwärtigen Symbole und Parolen des Nationalstaats wie »eine Fahne«, »eine Sprache«, »ein Vaterland« oder »unitärer Staat« sollten wir ebenso wie den immer wiederkehrenden nationalen Chauvinismus, der vor allem bei Sport- und Kulturveranstaltungen zur Schau getragen wird, als Rituale dieser nationalistischen Religion interpretieren. Eigentlich erfüllten die religiösen Rituale in der Vergangenheit dieselbe Funktion. Das Ziel ist jeweils, die Interessen der Herrschafts- und Ausbeutungsmonopole entweder zu verschleiern oder zu segnen und legitimieren und sie so durchzusetzen.

  • Extra-Seite zu anarchistischer Staatsakzeptanz und -kritik

Kritik an marxistischer Theorie der Übernahme staatlicher Macht
Der zentrale Unterschied zwischen Marxist*innen und Anarchist*innen, soweit sie das nicht nur parolenhaft sind, sondern sich mit der jeweiligen Gesellschaftstheorie auch befasst haben, besteht in strategischen Überlegungen über den richtigen Weg hin zu einer befreiten Gesellschaft. Das gilt zumindest für die Marxist*innen, die einen voll entwickelten Kommunismus anstreben, in dem ja der Staat abgestorben sein soll. Sozialist*innen nennen sich hingegen oft die Strömungen, die daran nicht recht glauben oder ein solches Stadium zumindest in eine sehr ferne Zukunft verschieben. Sie sehen eine staatsgeführte Gesellschaft als erstrebenswert an, wenn dieser Staat mit seiner Macht dem Kapital Zügel anlegt oder es zwecks staatlicher Führung enteignet.
Anarchist*innen kritisieren sowohl die Idee einer staatsgeführten Gesellschaft als auch die Hoffnung, mittels der Eroberung und zwischenzeitlich sogar Stärkung von Herrschaftsinstitutionen diese am Ende abschaffen zu können. Herrschaft würde sich stets selbst zu festigen und auszubauen versuchen - die realsozialistischen Versuche hätten das eindrucksvoll bewiesen.

Aus Wilk, Michael (1999): "Macht, Herrschaft, Emanzipation", Trotzdem Verlag in Grafenau (S. 43 f.)
So sehr die Verfügungsmacht über die Produktionsmittel Kriterium des sozial-ökonomischen Zustands einer Gesellschaft ist und bleibt, sowenig kann die zentrale, alleinige Antwort auf Ausbeutung und Entfremdung darin bestehen, lediglich die Verstaatlichung dieser Produktionsmittel zu fordern. "Verstaatlichung" hebt eben nicht den Interessenswiderspruch zwischen Produzenten und Besitzern auf, auch darin nicht, wenn der „neue" Staat ein "vom Proletariat eroberter" sein sollte. Die Geschichte bleibt Beispiele für einen solchen positiven Aneignungsprozess schuldig. Sei es, weil die Aneignung, des Staatsapparates in direkter Linie zur Etablierung einer neuen Führungsschicht führte, die nichts weniger im Sinn hatte als ihre neue Position, legitimiert durch den Führungsanspruch der Partei, gegen andere zu verteidigen; sei es weil die zentralistische Führung des "neuen" Staates am "besten wußte was gut für die Massen sei", und die kapitalistische Form der Ausbeutung, durch die eines "sozialistischen" Staatssystems ersetzte. Die zweifelhafte Logik, daß ein durchs "Proletariat" eroberter Staat mit (verstaatlichten) Ländereien und Fabriken besser und menschlicher umzugehen verstünde, weil nun der Interessenswiderspruch von Besitzer und ProduzentInnen aufgehoben sei, entpuppte sich als Trugschluß. "Die Aufhebung der Entfremdung, zwischen Individuum und Staat hat sich so ausgewirkt, daß der Staat das Individuum geschluckt hat. Der Staat hat die Gesellschaft mit Partei, Bürokratie und Militär so durchsetzt, daß für das Individuum kein Schlupfloch bleibt. Vor dem Staat gibt es keine Flucht als nur zu ihm, zu ihm aber heißt: zum Gulag.

Aus Abdullah Öcalan (2011), "Demokratische Nation" (S. 10f. und 16)
Ich habe dargelegt, dass die Verwandlung der Herrschaft in die Form des Nationalstaates die Grundlage des Kapitalismus darstellt. Das ist eine wichtige These. Denn ich habe versucht zu zeigen, dass ohne die Organisierung der Herrschaft in Form des Nationalstaates der Kapitalismus nicht zum hegemonialen System hätte aufsteigen können. Der Nationalstaat war also das wichtigste Instrument, um die kapitalistische Hegemonie zu ermöglichen. Deshalb habe ich versucht zu beweisen, dass der Sozialismus als antikapitalistisches System, welcher sich als historische Gesellschaftsform präsentiert, nicht auf dem gleichen Staatsmodell fußen, also nicht als realsozialistischer Nationalstaat errichtet werden kann. Außerdem habe ich versucht zu zeigen, dass die von Marx und Engels herrührende Ansicht, der Sozialismus könne nur auf Grundlage zentralistischer Nationalstaaten errichtet werden, einen systemischen Fehler des wissenschaftlichen Sozialismus darstellt. Ich habe die These vertreten, dass der Sozialismus nicht allgemein auf Grundlage des Staates, insbesondere auf Grundlage des Nationalstaates errichtet werden kann und ein Beharren hierauf in vielen Beispielen, allen voran im Realsozialismus von Russland und von China, gezeigt hat, dass hieraus lediglich die primitivste Form des Kapitalismus resultiert. Ich vertrete dagegen die These, dass der Sozialismus nicht auf Grundlage des Staates allgemein, insbesondere aber nicht des Nationalstaates erbaut werden kann, und dass das Beharren darauf in einem besonders degenerierten Kapitalismus enden muss, wie viele Beispiele einschließlich des Realsozialismus russischer und chinesischer Prägung gezeigt haben. ...
Der Marxismus und die Soziologie im Allgemeinen haben die Verbindung von Unterdrückung und Ausbeutung mit dem Nationalstaat entweder übersehen oder den Nationalstaat als eine einfache Institution des Überbaus definiert. Das war ein grundlegender Fehler und eine Verzerrung. Eine Analyse der Klassen und des materiellen Kapitals unabhängig vom Nationalstaat ist eine platte und abstrakte Verallgemeinerung, die keine gesellschaftlich relevanten Ergebnisse hervorbringen kann. Die Konsequenzen aus dieser Abstraktion haben zum Misserfolg des Realsozialismus beigetragen.


Über Kuba (S. 31)
Doch auch diese Art der Nation ist nur die realsozialistische Form des Nationalstaats; es handelt sich um die Ersetzung des Nationalstaats, in welchem der Privatkapitalismus dominiert, durch einen Nationalstaat, in dem der Staatskapitalismus überwiegt.

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