Demokratie

WAS IST DER STAAT?

Ein Staat ist ... (Definitionen)


1. Ein Staat ist ... (Definitionen)
2. Entstehung der Staaten
3. Rechtsstaat, Republik
4. Macht und Staat
5. Demokratie und Rechtsstaat forever
6. Staatskritik
7. Weitere Links zu Demokratie und Rechtsstaat

Vom SPD-Politiker Eppler, Erhard (2005): "Auslaufmodell Staat?", Suhrkamp Verlag in Frankfurt (S. 229)
Er ist eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte.

Aus "Der Arbeiter darf wählen", einem Text des späteren SPD-Bundestagsfraktionschefs Herbert Wehner zur politische Lage 1918/19, in: Junge Welt, 25.9.2021 (S. 3)
Der Staat selbst, der, gleichviel welche Form und welchen Namen er innehat, immer Unterdrückung der Freiheit und Vergewaltigung des wirklichen Lebens bedeutet, blieb unangetastet. Fortab wurden die Gesetze erlassen »im Namen des Volkes«, während es vorher »im Namen Seiner Majestät des Kaisers« geschah.

... eine Familie, ohne die es Zusammenleben gar nicht gäbe
Aus Hilde Kammer/Elisabet Bartsch,1993, "Jugendlexikon Politik", Rowohlt Taschenbuch Verlag in Reinbek (S. 179 f.)
Eine Familie ist eine Gemeinschaft. Sie soll jedem Mitglied ermöglichen, geschützt durch die Gemeinschaft zu leben und sich zu entwickeln. Dafür erwartet sie, daß der einzelne etwas für die Gemeinschaft der Familie tut, je nach Alter und Kraft.
Auch die Mitglieder eines Staates, die Staatsbürger, sollen geschützt durch die Gemeinschaft leben. Auch sie müssen je nach ihrer Kraft etwas für die Gemeinschaft, für die Gesellschaft leisten. Sie haben Rechte und Pflichten.
Ein Staat wird von Menschen eingerichtet und hat die Aufgabe, das Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen. ...
Zu einem Staat gehören ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und die Staatsgewalt.


Höhere Idee
Aus Herder-Lexikon Politik, Ausgabe für die Hess. Landeszentrale für politische Bildung, 1991 (S. 200 f.)
Bei Hegel die Institution, in der der "objektive Geist" die "sittl. Idee" als Wirklichkeit hat, in der älteren dt. konstitutionellen Staatsrechtslehre eine vorausgesetzte objektive, geistig-sittl. u. rechtl. Ordnung, die nicht im Willen der Menschen begr. ist, sondern über ihnen steht, sie als "Idee", "Reich", "Organismus" durchdringt u. umschließt. ...
2) in der gegenwärtigen polit. Wiss., in Staats- und Verfassungslehre sowie im polt. Sprachgebrauch ... i.e.S. die oberste Regulierungs-, Leistungs-, Führungs-, Lenkungs-, Koordinierungsinstitution des soz. Zusammenlebens ...

Wodurch entsteht ein Staat? Was macht ihn aus? Was legitimiert ihn? Wer nach formalen und ideellen Gründen sucht, ist auf dem Holzweg. Es gibt nur ein Merkmal, was alle Staaten eint: Das Gewaltmonopol. Wer Polizei, Justiz, Armee usw. befehligt, ist der Staat - egal welche Rechtsform er hat.

Unterwerfungsstruktur
Aus Manfred G. Schmidt, 1995, "Wörterbuch zur Politik", Alfred Kröner Verlag (S. 896 f.)
Mehrdeutig ... 2) Eine politisch-rechtliche Ordnung, die eine Personengemeinschaft auf der Grundlage eines Staatsvolkes innerhalb eines räumlich abgegrenzten Gebietes (Staatsgebiet) zur Sicherstellung bestimmter Zwecke (Staatszwecke) auf Dauer bindet und einer souveränen Herrschaftsgewalt (Staatsgewalt) unterwirft.

Aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1.7.1987 (BVerfGE 76, 143 ff. und BVerfGE 80, 315)
Staaten stellen in sich befriedete Einheiten dar, die nach innen alle Gegensätze, Konflikte und Auseinandersetzungen druch eine übergreifende Ordnung in der Weise relativieren, daß diese unterhalb der Stufe der Gewaltsamkeit verbleiben und die Existenzmöglichkeit des Einzelnen nicht in Frage stellen.

... ein Synonym für Ordnung
Aus Andreas Anter (2007), „Die Macht der Ordnung“ (S. 209f)
Wir sind kaum noch in der Lage, Ordnung ohne Staat zu denken, da unsere grundlegenden Ordnungsvorstellungen duch ihn konditioniert sind. Seit über zeihundert Jahren ist insbesondere das deutsche politische Denken von Ordnungsideen geprägt, in deren Zentrum der Staat steht. ... nicht weniger ausschlaggebend ist ein anderer Gesichtspunkt: daß er namlich selbst das Produkt bestimmter Ordnungsvorstellungen ist, die ihn überhaupt erst hervorgebracht haben.

... schlicht notwendig
Aus Joachim Detjen, Interpretation zu Thomas von Aquin, in: Massing, Peter/Breit, Gotthard (2002): „Demokratie-Theorien“, Wochenschau Verlag Schwalbach, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn (S. 69)*
Es spricht für den nüchternen Realismus Thomas von Aquins, dass er dem Gemeinwohl nur dann eine Chance einräumt, wenn jemand dafür Sorge trägt. es muss also etwas geben, durch das die "Vielen gelenkt werden", das also "regiert".

Aus Marti, Urs (2006), "Demokratie - das uneingelöste Versprechen", Rotpunkt in Zürich (S. 122)
Menschenrechte bedürfen des Schutzes, und diesen Schutz können in der Regel nur politische Institutionen gewähren, daher müssen Menschen, um in den Genuss solcher Rechte zu kommen, in ein politischen Gemeinwesen integriert sein.

Aus Machiavelli, Niccoló: Politische Schriften, Discorsi, 3. Buch, S. 234 f.) zitiert in: Massing, Peter/Breit, Gotthard (2002): „Demokratie-Theorien“, Wochenschau Verlag Schwalbach, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn (S. 91)
Es ist also erforderlich, daß die Menschen, gleichviel unter welchen Formen sie miteinander leben, häufig entweder durch solche äußeren oder durch innere Ereignisse zu Selbsterkenntnis gebracht werden. Letzteres muß entweder durch ein Gesetz bewirkt werden, das die Menschen, die Glieder des politischen Körpers sind, kontrolliert, oder durch einen vorzüglichen Mann, der durch sein Beispiel und seine tugendhaften Handlungen dieselben Wirkungen hervorbringt wie das Gesetz.

Im Original: Aus Werken der Klassiker
Aus Immanuel Kant (1795): Schriften zur Anthropologie, zitiert in: Massing, Peter/Breit, Gotthard (2002): „Demokratie-Theorien“, Wochenschau Verlag Schwalbach, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn (S. 125 f., mehr Auszüge ...)*
Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens ( ... ) sein kann, ...
Man kann daher sagen: je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch allmähliche Reformen sich endlich dann zu erheben. ... Zu jener aber, wenn sie dem Rechtsbegriffe gemäß sein soll, gehört das repräsentative System, in welchem allein eine republikanische Regierungsart möglich, ohne welches sie (die Verfassung mag sein welche sie wolle) despotisch und gewalttätig ist.

Aus Thomas von Aquin: Über die Herrschaft der Fürsten (De regimine principum), Stuttgart 1975, übersetzt von Friedrich Schreyvogl, 1 (1), 1 (15), 1 (14), zitiert in: Massing, Peter/Breit, Gotthard (2002): „Demokratie-Theorien“, Wochenschau Verlag Schwalbach, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn (S. 65 f., mehr Auszüge ...)
Auf sich allein gestellt, wäre kein Mensch imstande, das Leben so zu führen, daß er seinen Zweck erreicht. So ist es also der Natur entsprechend, mit vielen gesellig zu leben. (...) Wenn es also der natürlichen Bestimmung des Menschen entspricht, in Gesellschaft mit vielen zu leben, so muss unter den Menschen etwas sein, wodurch die vielen gelenkt werden. Wären nämlich viele Menschen beisammen und jeder nur auf das bedacht, was ihm selbst angemessen erscheint, so würde die Gesellschaft nach entgegengesetzten Richtungen auseinandergeraten, falls nicht eben jemand da wäre, der für das Sorge trägt, was das Wohl der Gesellschaft betrifft. ( ... ) Denn das Eigene und das Gemeinsame ist nicht dasselbe. Durch das Eigene entstehen die Unterschiede, durch das Gemeinsame wird alles zur Einheit verbunden. Verschiedene Vorgänge haben aber auch verschiedene Ursachen. Es muss also außer dem, was jeden antreibt, sein Wohl im Auge zu haben, noch etwas anderes geben, das ihn bewegt, das Gemeinwohl der Gesellschaft zu beachten. (...) Es muß also in jeder Vielheit etwas geben, das regiert. (...) Hiermit ist deutlich gezeigt, was zu dein Begriff des Königs gehört: einer zu sein, der anderen als Herr vorangesetzt ist und doch wie ein Hirte wirkt, indem er das Gemeinwohl der Gesellschaft, nicht aber seinen eigenen Vorteil im Auge hat. (...)
Im Menschen wird die Einheit durch die Natur bewirkt, die Einheit der Gesellschaft aber, die Friede heißt, muss erst durch die Bemühung des Führers bewirkt werden. ...


Aus Mühsam, Erich: "Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat", zitiert in: Grosche, Monika (2003): "Anarchismus und Revolution", Syndikat A in Moers (S. 19)
Er ist zentraler Ausführungsdienst einer vom Volk gelösten Klasse zur Beherrschung des entrechteten und zur beherrschten Klasse erniedrigten Volkes.

Aus Eppler, Erhard (2005): "Auslaufmodell Staat?", Suhrkamp Verlag in Frankfurt (S. 77)
Der Staat, der Recht setzt, trägt und durchsetzt, ist eben gerade kein Unternehmen. Auch wenn der Staat sein Budget - und der föderale Staat seine Budgets - in Ordnung zu halten hat, ist seine Aufgabe eben nicht die Erzielung von Gewinn, sondern die Ordnung der Beziehungen zwischen den Menschen durch gesetztes und durchgesetztes Recht. Der Staat darf daher Menschen, die seine Gesetze übertreten, bestrafen, einsperren, der Manager eines Unternehmens darf dies nicht.

Marx, Kritik d. Hegelschen Staatsrechts, 1843, MEW 1/247
Die ‚Bürokratie’ ist der ‚Staatsformalismus’ der bürgerlichen Gesellschaft. Die ist das ‚Staatsbewußtsein’, der ‚Staatswille’, die ‚Staatsmacht’ ... Die Autorität ist daher das Prinzip ihres Wissens, und die Vergötterung der Autorität ist ihre Gesinnung ... Der Staats existiert nur mehr als verschiedene fixe Bürogeister, deren Zusammenhang die Subordination und der passive Gehorsam ist.

Marx, Karl/Engels, Friedrich (1890), „Manifest der Kommunistischen Partei“, zitiert nach: „Gegen die Strömung“, Dez. 2005
Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.

Definition bei Max Weber, zitiert bei Sack, Fritz, "Staatliches Gewaltmonopol - Garant des Lebensschutzes?", in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (1994): "Staatliches Gewaltmonopol, bürgerliche Sicherheit, lebenslange und zeitige Freiheitsstrafe" (S. 179)
Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart, [also der modernen Staatlichkeit spezifische, F.S.] ist, daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt. Er, der Staat, gilt als allei nige Quelle des Rechts auf Gewaltsamkeit.

Aus Bruns, Paul, "Das Dorf bin ich" (Quelle)
Wer eine Hausfrau im Westfälischen fragt, was denn für sie der Staat ist, der kriegt schon mal zur Antwort: "Ein Haufen nichtsnutziger Verbrecher!", darin vollkommen einig mit dem Kirchenvater Aurelius Augustinus, für den Staaten nichts weiter waren als "große Räuberbanden", oder auch Nietzsche, für den Staat "das kälteste aller Ungeheuer" hieß. Zugegeben, dies steht nicht notwendigerweise im Widerspruch zur Annahme, der Staat sei "der politische Status eines in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes" (Carl Schmitt), aber vielleicht schon eher zu der, der Staat sei die "Wirklichkeit der sittlichen Idee" bzw. das "wirklich sittliche Leben" und "das Bild und die Wirklichkeit der Vernunft" (Hegel).

Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (mehr Auszüge)
Der institutionelle Gipfel männlicher Zivilisation war der Staat. (S. 56) ...
Als Mindestdefinition ist der Staat ein professionelles System gesellschaftlicher Zwänge -nicht bloß ein System gesellschaftlicher Verwaltung, wie es naiverweise immer noch von der Öffentlichkeit und vielen politischen Theoretikern gesehen wird. Das Wort "professionell" sollte dabei genauso herausgehoben werden wie das Wort "Zwang". Zwang findet sich auch in der Natur, in persönlichen Beziehungen, in staatenlosen, nichthierarchischen Gemeinschaften. Wenn allein Zwang den Staat definiert, dann müssten wir ihn wider Willen zu einem bereits in der Natur vorhandenen Phänomen erklären - was er sicherlich nicht ist. Nur wenn Zwang in einer professionellen, systematischen und organisierten Form sozialer Kontrolle institutionalisiert wird, - das heißt, wenn Menschen aus ihrem alltäglichen Leben herausgerissen werden und von ihnen erwartet wird, eine Gemeinschaft nicht nur zu "verwalten", sondern dies auch mit Unterstützung eines Gewaltmonopols zu tun -erst dann können wir mit Fug und Recht von einem Staat sprechen. (S. 57)


Aus der Betrachtung, dass Anarchie das Ideal sein würde, wäre ein aufkommender Staat nichts anderes als eine kriminelle Organisation, die anarchistische Menschen unterjocht und deren Eigentum entwendet. Insofern unterscheidet sich ein Staat nicht von einer Mafia oder anderen Kriminellen, welche es auch in einer Anarchie geben würde. Der Unterschied ist nur, was man dabei unter einem "Staat" versteht. Die übliche Vorstellung von Staat ist, dass es sich um eine legitime Einrichtung handle. Dies ist aber aus der Sicht von Anarchisten eben nicht der Fall. Die historische Definition von Franz Oppenheimer in "Der Staat" ist dazu: "die Organisation legitiJochen Hörisch in einem Kommentar in: FR, 7.2.2011 (S. 10)
mierter Plünderei". Wenn man also einen Staat gedanklich gar nicht anerkennt - und das tun Anarchisten ja auch nicht, dann lebten wir bereits in "Anarchie" - nur, dass sich diese Vorstellung wiederum aus der reinen Definition von Herrschaftlosigkeit verbieten würde. (Quelle dieses Absatzes einschl. der Links)

Aus Diefenbacher, Hans (Hrsg., 1996): "Anarchismus", Primus Verlag in Darmstadt (S. 28)
In der Rechtsphilosophie begegnet der absolute Geist tatsächlich als sittliche Idee, deren Wirklichkeit der Staat selbst ist. Es ist dieser Staat, von dem Hegels Rechtsphilosophie explizit erklärt, was Stirner dem liberalistischen Staatsverständnis unentwegt unterstellt: nämlich "keine Rücksicht auf meine Person" zu nehmen, und der Hegel-Schüler Stirner weiß, wovon er spricht, heißt es doch bei Hegel mit traditionsstiftender Eindeutigkeit:
"... indem er [seil.: der Staat] objektiver Geist ist, so hat das Individuum selbst nur Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit, als es ein Glied desselben ist ... denn der Mensch mag es wissen oder nicht [daß der Staat sich als sittliches Ganzes weiß; E.R.], dieß Wesen realisiert sich als selbständige Gewalt, in der die einzelnen Individuen nur Momente sind: es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist ..."


Demokratischer Staat = guter Staat
Aus dem Programmentwurf der Jungen Liberalen "Auf dem Weg zum 'Humanistischen Liberalismus 2.0'"
Der Staat ist ein Werkzeug der freien Gesellschaft, um Menschen Freiheit zu ermöglichen. Er sichert die Chancen, um ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Ein legitimer Staat kann nur ein demokratischer Staat sein, da nur so die Kontrolle der Staatstätigkeit durch die freie Gesellschaft gewährleistet ist. Nur demokratische Institutionen ebnen jedem einzelnen Bürger den Weg, um sich aktiv in die Geschicke des Staates einzubringen, und machen sich das Problemlösungspotential der offenen Gesellschaft zu Nutze.

Jochen Hörisch in einem Kommentar in: FR, 7.2.2011 (S. 10)
Der ehemals strenge Vater Staat ist durch und durch antiautoritär geworden.

Aus dem Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17.8.1956 (1 BvB 2/51) zum Verbot der KPD, Rdnr. 523-528
Das Recht auf Freiheit und Gleichbehandlung durch den Staat schließt jede wirkliche Unterdrückung des Bürgers durch den Staat aus, weil alle staatliche Entscheidung den Eigenwert der Person achten und die Spannung zwischen Person und Gemeinschaft im Rahmen des auch dem Einzelnen zumutbaren ausgleichen soll. Der kommunistische Begriff von "Unterdrückung", die in jeder staatlichen Machtausübung überhaupt gesehen wird, ist dem System der freiheitlichen Demokratie von Grund aus fremd; "Unterdrückung" entspringt einer auch den Staat erniedrigenden, im Grunde inhumanen Vorstellungswelt. Der Staat ist ein Instrument der ausgleichenden sozialen Gestaltung, nicht der Unterdrückung durch die Ausbeuter zur Aufrechterhaltung ihrer Ausbeuterstellung. Es wird zwischen notwendiger Ordnung und Unterdrückung unterschieden. Unterdrückung wäre in der freiheitlichen Demokratie nur in Staatsmaßnahmen zu erblicken, die nach vernünftigen - freilich nicht unwandelbaren - Maßstäben eine Vergewaltigung des Einzelnen darstellen, also seine Freiheit oder sein Recht auf Gleichbehandlung mit den anderen in einer unzumutbaren Weise verletzen würden.

Im Original: Staaten sind notwendig
Aus Heinrichs, Johannes (2003), „Revolution der Demokratie“, Maas Verlag in Berlin (S. 18, mehr Auszüge ...)
Wohl könnten wir uns in leere Sozialromantik flüchten und jede "Regierung" - von "Herrschaft" zu schweigen - als überflüssig erklären, angesichts einer "Selbstorganisation" oder "Autopoiesis" der vergesellschafteten Menschen: Ihr Zusammensein organisiere sich -so meinen Sozialromantiker - angeblich von allein, wachsend aus der puren, mehr oder weniger verstandesfreien Spontanität der Beteiligten gänzlich von unten her - anarchisch, das bedeutet ohne Regierung und ohne Repräsentanten der Gemeinschaft. Dergleichen Verhältnisse hat es in größeren Gemeinschaften wohl nie in der Geschichte gegeben. Aus dem Tierreich ist das auch nicht bekannt, gleich ob es sich um Rudel oder "Staaten" handelt: Überall finden wir Rang, Hierarchie, Ordnung als Evolutionsprodukt der Selbstorganisation.
Die Freiheitsfähigkeit des Menschen erfordert Ordnungsstrukturen. Eine selbst in Freiheit erdachte und mit der Freiheit des Einzelnen kompatible Ordnung. Sobald eine Gemeinschaft von Menschenwesen eine Schwelle von Größe erlangt hat, tritt sie als eine eigene Entität, als ein eigenes Wesen, ja "Lebewesen", den einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft gegenüber. Das ist unvermeidlich und macht die Würde und Ranghöhe eines Gemeinwesens aus.


Aus Franz Müntefering, "Was links ist", in: FR, 6.2.2008 (S. 12 f.)
Linke wollen einen demokratischen Staat. Ohne einen Staat ist Demokratie nicht zu haben. Erst wenn der Staat errichtet und die dazugehörigen Bürgerrechte gesichert sind, kann Demokratie lebendig werden. ...
Demokratie ohne Parteien funktioniert nicht. Sie bündeln die Interessen und wirken an der Willensbildung mit, wie das Grundgesetz es vorsieht. Kein Alleinvertretungsanspruch, aber Verantwortung für das Ganze. Keine Parteiendemokratie. Aber wer etwas bewegen will, der geht in der Demokratie in eine Partei. ...


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