Demokratie

FORMALE HERRSCHAFT: NORMIERUNG, KONTROLLE UND SANKTION IM WANDEL DER ZEIT

Was lange währt ...: Die klassischen Formen formaler Macht


1. Einleitung
2. Was lange währt ...: Die klassischen Formen formaler Macht
3. Neue Weltordnung: Modernisierte, formale Herrschaft
4. Erscheinungsformen institutionalisierter Macht
5. Kein ruhiges Leben ohne Verdrängung
6. Links

Herrschaft als Institution: Oben und Unten ganz fühlbar
Die bekannteste Form der Herrschaft ist die der direkten Beherrschung. Direkte Gewaltanwendung ist die auffälligste von ihnen und zielt auf zeitlich begrenzte oder absolute Unterwerfung der Person(en), gegen die Gewalt angewendet wird. Beispiele sind Kinder, die von ihren Eltern geschlagen werden, aber auch jede andere Form der körperlichen Gewalt zum Zweck der Beherrschung in menschlichen Beziehungen, die Verhaftung durch Polizei oder der erzwungene Aufenthalt in Gefängnis, Psychiatrie u.ä. Gewalt reicht vom Alltag z.B. gegen Menschen bestimmter Hautfarbe, Geschlechter oder sozialem Status bis zum Krieg. Die Androhung der Anwendung von Gewalt diszipliniert ähnlich der tatsächlichen Anwendung, sie kann daher gleichgesetzt werden. Das gilt auch für das als Drohung wirkende Potential der Gewaltanwendung, selbst wenn keine Drohung ausgesprochen wird. Die unterschiedlichen Möglichkeiten direkter Gewaltanwendung schaffen schon dann eine Dominanz, wenn eine Anwendung von Gewalt im Bereich des Möglichen und Vorstellbaren liegt. Diese Form ist zwischen Menschen verschiedenen Geschlechts, Nationalität, Alters, Bildungsgrades usw. sowie zwischen Institutionen und von ihnen abhängigen Menschen häufiger als die tatsächliche Anwendung oder Androhung von Gewalt. Eine konkrete Handlung ist in der Regel nicht nötig, das Herrschaftsverhältnis entsteht dennoch. Geschieht sie gelegentlich doch, erhöht sie zugleich auch die Glaubwürdigkeit der latenten Drohung.

Zur direkten Herrschaft gehört neben der Androhung von Gewalt in Beziehungen zwischen Personen oder Personengruppen auch die Herrschaft der Institutionen, also der Polizei, Justiz, der Ämter (Ausländeramt, Finanzamt, Baubehörde usw.), Schulen und Hochschulen, des Militärs (zur Zeit noch vor allem gegenüber Menschen und Institutionen im Ausland) usw. Sie verfügen über das Recht, Denken und Handeln von Menschen zu beeinflussen und diese Beeinflussung auch mit der Androhung von Gewalt durchzusetzen.

Direkte Gewaltanwendung bzw. ihre Androhung sind zwar nach wie vor stark verbreitet, werden aber in modernen Herrschaftssysteme Stück für Stück durch die Mittel der manipulativen Beeinflussung sowie die Schaffung von Verhältnissen ersetzt, deren Zwang nicht auf direkter Gewalt besteht. Zumindest ist das das Ziel moderner Herrschaftssysteme, da direkte Gewaltanwendung die dahinterstehenden Herrschaftsformen offensichtlicher werden lässt als Formen der Verhaltenssteuerung ohne direkte Gewaltwendung. In den modernen “Demokratien” dehnen sich daher die weniger offensichtlichen Herrschaftsformen immer mehr aus, die in den folgenden Punkten beschrieben werden.

Gefühl von Legitimation verlängert die Haltbarkeit
Jede institutionelle Macht braucht, will sie länger bzw. ohne widerstrebende Strömungen bestehen, einer scheinbaren Legitimation. Im Laufe der Geschichte sind dafür abenteuerliche Konstruktionen erdacht worden, die - unglaublicherweise - tatsächlich auf viel Resonanz stießen. Etliche Könige, Kaiser oder andere Despoten behaupteten, von einer göttlichen Autorität entsandt zu sein. Dazu mussten Götter oder ein Gott erfunden und Angst vor ihnen gestreut werden. Außerdem brauchte es eines Narrativs, dass dieses Gotteswesen konkrete Menschen beauftragen konnte. Nachweise verlangte niemensch. Wer nicht glaubte, wurde vernichtet.

Aus Andreas Anter (2007), „Die Macht der Ordnung“ (S. 22 und 30)
»Die Probleme menschlicher Ordnung in Gesellschaft und Geschichte entspringen der Ordnung des Bewußtseins. Die Philosophie des Bewußtseins ist daher das Kernstück einer Philosophie der Politik.« …
Wenn man glaubt, die politische Ordnung entspreche einer göttlichen Ordnung, findet nicht nur die politische Herrschaft, sondern auch überhaupt jedes menschliche Handeln eine Selbstrechtfertigung Das Ordnungsbedürfnis der Menschen, die transzendentale Verankerung und das Interesse der Herrschaft stehen damit in einem wechselseitigen Zusammenhang. Wenn ich daran glaube, daß die weltliche Ordnung das Ergebnis eines höheren Ordnungsplans ist, dann habe ich selbst nicht die letzte Verantwortung für meine Entscheidungen zu übernehmen. Insofern ist der Glaube an eine transzendente Ordnung nicht nur entlastend, sondern vermag auch eine zusätzliche Ordnungssicherheit, ein zusätzliches Ordnungsvertrauen zu schaffen.

Heute werden Wahlen durchgeführt, um ähnliche Effekte zu erreichen. Dann leitet sich die Macht nicht mehr von Gott, sondern vom Volk ab - ebenso ein Konstrukt ohne realen Hintergrund.

Ökonomische Klassen und soziale Schichtungen
Große Bedeutung für die Machtverteilung in der Gesellschaft hatten früher soziale Schichtungen und Klassen. Diese waren durch ihre Beteiligung an gesellschaftlichem Reichtum und Aufstiegsmöglichkeiten (soziale Schichten) oder durch ihre Stellung zu den Produktionsmitteln definiert. Aus dieser angenommenen Einheitlichkeit erwuchs die Hoffnung auf eine klassenspezifische Revolte, verbunden bei vielen mit der Hoffnung auf eine Machtübernahme durch diejenigen, die keinen eigenen Zugriff auf Produktionsmittel hatten: Die ArbeiterInnenklasse. Sie war von den Produktionsmitteln getrennt und musste, mangels Alternative, ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben. Die BesitzerInnen der Produktionsmittel und des Kapitals hingegen konnten dieses einsetzen, um - als kritischer Vorwurf formuliert: leistungslos - zu Reichtum zu kommen und diesen sogar anzuhäufen, z.B. in Form weiterer Produktionsmittel.

Diese Gesellschaftsbetrachtung wies bereits zu den Hochzeiten der Industriearbeit beträchlichte Lücken auf, wenn auch früher immerhin die Besitzverhältnisse noch personalisierbar waren. Doch die Übergänge zwischen KapitelbesitzerInnen und ArbeiterInnen waren fließender und mit vielen Grauzonen garniert als es in den der Dualität zwischen Arbeit und Kapital meist formuliert wurde. Diese Vereinfachung schuf klare Feindbilder und war daher zur politischen Agitation nützlich. Aber es war immer mit dem Problem behaftet, den Status vieler Menschen nicht hinreichend beschreiben zu können, die z.B. gleichzeitig oder nacheinander ihre Arbeitskraft verkauften und selbständig tätig waren - oder die als Führungspersonal einer Firma als KapitalistInnen handelten, aber denen das Kapital nicht gehörte. Mit der zunehmenden Bedeutung der Banken und Aktiengesellschaften geriet die Eindeutigkeit ebenfalls immer mehr ins Wanken, waren die KapitalbesitzerInnen so doch immer weniger auszumachen als konkrete Personen.
Diese Entpersonalisierung der Kapitalbesitzverhältnisse hat sich deutlich verschärft. Heute ist die Einteilung in Klassen schon von daher gar nicht mehr möglich, befindet sich doch das meiste Kapital nicht mehr in der Hand konkreter Personen, sondern ist - wenn auch ungleich verteilt - breit gestreut. So sind viele, die ihre Arbeitskraft verkaufen, KleinanlegerInnen. Als AktienbesitzerInnen wären sie aber formal auf der Seite des Kapitals. Dummerweise verhilft das jedoch nicht automatisch zu mehr Gestaltungsmacht in der Gesellschaft. Währenddessen sind die Top-ManagerInnen aus Banken und Firmen aus Kapitalbesitzsicht nichts als Angestellte dieser entpersonalisierten Gebilde. Immer häufiger sind sie beliebig austauschbar. Stattdessen treiben Impulse, die von den konkreten VollstreckerInnen der sogenannten Kapitalinteressen unabhängig sind, den ständigen Kreislauf von Produktion und Verwertung, Ausbeutung und Profit an.
Die aus dem Festhalten an der schon immer ungenauen, heute aber gänzlich unsinnigen Behauptung einer Dualität zwischen ArbeiterInnen und KapitalistInnen abgeleiteten Theorien, Konzepte und Forderungen stehen denn auch in einem seltsamen Gegensatz zu - auch vereinfachenden - Behauptungen, die Finanzmärkte oder die Großbanken würden die Welt regieren. Denn diese vermeintlichen StrippenzieherInnen per Telefon oder Krakeelen auf dem Börsenparkett haben mit personalisierbarem Kapitalbesitz wirklich nichts mehr zu tun.

Hinzu kommt, dass menschliches Leben (glücklicherweise!) immer aus mehr als Arbeit bestand und besteht. In Kaninchenzüchtervereinen, Feuerwehr, Gemeinderäte, Kirchenvorständen oder Familien herrschten aber ebenfalls derbe Hierarchien einschließlich des unterschiedlichen Zugriffs auf Eigentum - und zwar auch innerhalb der Angehörigen der ArbeiterInnenklasse bzw. der KapitalbesitzerInnen. Insofern erweist sich die Behauptung einer ArbeiterInnenklasse als früher schon deutliche, heute aber sehr starke Vereinfachung der ökonomischen Verhältnisse, ohne dass das dahinterstehende Unterscheidungskriterium (Besitz oder Nichtbesitz von Produktionsmitteln) gänzlich unsinnig wäre. Eine Analyse führt nur zu anderen Ergebnissen.

Schwerwiegender aber war der Irrtum, aus der - wie zu sehen war: lückenhaften - Beschreibung sozialer und Besitzverhältnisse eine Gruppe von Betroffenen zu formieren, die plötzlich auch als Einheit handlungsfähig, ja sogar das revolutionäre Subjekt der Geschichte sein sollte. Das nun hatte überhaupt gar keine Bezugspunkte mehr und bedurfte der herrschaftsförmigen Vereinnahmung durch Einzelne oder Wenige, die sich zum Sprachrohr der ArbeiterInnenklasse aufschwangen und diese dadurch erst als Subjekt ins Leben riefen.
So waren die ArbeiterInnen untereinander weder politisch einig noch stellten sie inner- und außerhalb der Produktionsprozesse eine Einheit hinsichtlich ihrer Machtpotentiale dar. Schon im Betrieb gab es klare Hierarchien, ohne dass Vorgesetzte deshalb schon zu den KapitalbesitzerInnen gehört hätten. Dennoch traten sie als VollstreckerInnen von Kapitalinteressen auf.
Erst recht ergaben sich aus dem sonstigen Leben, aus unterschiedlichen Biografien, familiären Verhältnissen, Wohnort usw. Abweichungen bei den Interessen, die schnell zu Gegensätzen werden konnten und wurden.
Wer eine solche heterogene Menge von Menschen zur einheitlichen Klasse erklärt, ihr ein gemeinsames Interesse zudiktiert und sogar von der "Diktatur des Proletariats" träumt, verwandelt die Vielfalt in eine Einheit mit Gesamtwillen, also ein handelndes Subjekt. Wie in vergleichbaren Fällen, z.B. der Konstruktion von "Volk", kann dieser Akt nicht selbstbestimmt erfolgen, weil das tatsächliche Subjekt der Klasse nicht existiert, sondern höchstens eine beschreibende Kategorie ökonomischer Verhältnisse ist. Schon das ist zweifelhaft, wie gezeigt - aber eine einheitliche Persönlichkeit entspringt daraus nicht. Diese erfolgt aus der Vereinnahmung, d.h. sie bildet wie das "Volk" den durch die SprecherInnen selbst erschaffenen Legitimationshintergrund für den Machtanspruch von Wenigen.

Nichtsdestotrotz gibt es soziale Schichtungen und Unterschiede im Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen. Wer Eigentum an Produktionsmittel, ja schon wer ein eigenes Haus oder eine Menge Geld besitzt, verfügt über beständig bessere Handlungsmöglichkeiten als die Nicht- oder Wenigbesitzenden. Diese Unterschiede sind messbar und verlangen zu ihrer Überwindung nach konkreten, materiell wirksamen Veränderungen. Sie gehören zu den institutionellen Formen der Herrschaft.

Aus P.M., 2001: Subcoma, Paranoia City Verlag in Zürich, (S. 25)
Auch die Frauenziehen logischerweise ihre Verwandlung in Waren (=Lohnarbeiterinnen) der direkten alten Unterwerfung unter die Männer vor. All das legt nahe, dass ein Ausbruch aus der Arbeitsmaschine ohne gleichzeitige Überwindung des Patriarchats nicht möglich ist.

Patriarchat, Alterspyramiden und Rassismen: Schubladen und Privilegien
Eine Mischform mit diskursiver Herrschaft bilden soziale Kategorien, bei denen vermeintliche Merkmale von Menschen mit bestimmten Deutungen verbunden werden. Hierzu zählen das Geschlecht, das Alter und die Hautfarbe als Zuordnungskriterium zu sogenannten Rassen. Sie alle entbehren nicht völlig einer Grundlage. Diese wird allerdings - diskursiv oder ganz praktisch - in ihrer Eindeutigkeit und Wertung gesellschaftlich hergestellt. Denn die Trennungslinien zwischen Geschlechtern, Kind, Jugend und Erwachsenendasein sowie zwischen verschiedenen Hautfarben sind bei näherem Hinsehen verschwommen bis kaum existent. Statt dessen dominieren willkürliche Grenzziehungen plus brutaler Eingriffe (z.B. geschlechtsvereinheitlichende Operationen nach der Geburt), um eine - dann diskursive - Grundlage für die Einteilungen zu schaffen, die dann als Legitimation für Hierarchien und als Zuordnung zu bestimmten sozialen Rollen dienen. Frauen können besser mit Kindern umgehen, Männer weinen nicht, AfrikanerInnen haben den Blues im Blut, AsiatInnen sind arbeitswilliger, ein Indianer kennt keinen Schmerz, die Frau soll beim Geschlechtsverkehr unten liegen, weil sie weniger wert ist (Martin Luther) und all solcher Blödsinn kann sich plötzlich als ernstgenommene Position durchsetzen. Ein barbarischer Mensch wie Martin Luther, der nicht nur über Frauen solche Sprüche abgelassen hat, gilt bis heute als große Persönlichkeit. Offenbar ist das Denken in Schubladen und das Sortieren von Menschen in gut und schlecht(er) nichts Anstößiges.

Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (mehr Auszüge)
Schließlich entschied noch ein dritter biologischer Umstand, nämlich das Alter, über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Wie wir noch sehen werden, sind die frühesten wahrhaft gesellschaftlichen Beispiele für Statusunterschiede durch die Altersgruppen verkörpert und durch die Zeremonien, die den jeweiligen Altersstatus legitimierten. Blutsverwandtschaft machte die einfache Tatsache bewußt, dass man dieselben Vorfahren hatte wie die anderen Gruppenmitglieder. Sie definierte die Rechte und Verantwortlichkeiten gegenüber anderen aus derselben Blutlinie - Rechte und Verantwortlichkeiten, die auch darüber bestimmten, wer wen innerhalb einer Abstammungsgruppe heiraten durfte, wer mit Hilfe und Unterstützung in seinem Alltag rechnen konnte und an wen sich ein Hilfesuchender bei irgendwelchen Problemen wenden konnte. Die Blutlinie definierte ganz buchstäblich den Einzelnen oder eine Gruppe, etwa in der Art, wie unsere Haut eine Grenzschicht formt, die uns von anderen Menschen unterscheidet. (S. 41) ...
Die Erniedrigung des Menschen durch den Menschen begann schon sehr frühzeitig in der "Männerhütte", wo die auf der Erde kauernden Jungen den Hohn für ihre Unerfahrenheit aus dem Munde erwachsener Männer ernteten und den "kleinen Leuten" Verachtung entgegenschlug, da doch ihre Verdienste um so vieles geringer waren als die der "Großen". Hierarchie, die zum ersten Mal und zögernd mit der Gerontokratie ihr Haupt erhob, ist nicht schlagartig in die Frühgeschichte hineingeplatzt. Sie breitete sich langsam aus, vorsichtig und oft unmerklich, durch eine fast metabolische Art von Wachstum, als "Große Männer" über "Kleine Männer“ zu herrschen begannen, Krieger und ihre "Gefolgschaft" über ihre Landsleute, Häuptlinge über ihre Gemeinschaft und schließlich der Adel über Bauern und Leibeigene. (S. 47) ...
Gerontokratie, die für mich die früheste Form von Hierarchie darstellt, wurde möglich, weil die Jungen die Alten wegen ihres Wissens konsultieren mussten. Keine Schriften oder Bücher ersetzten das Wissen, das allein in den Hirnen der Alten festgehalten war. Die Ältesten nutzten - mit sichtbarer Wirkung - ihr Wissensmonopol, um die früheste Form von Herrschaft in der Vorgeschichte zu etablieren. Das Patriarchat selbst schuldet einen guten Teil seiner Macht dem Wissen, über das der männliche Älteste eines Clans dank der Erfahrungen seines Alters gebot. (S. 70)


Für all diese Kategorien gilt: Ihre Diskriminierung beginnt nicht erst bei der Unterdrückung aufgrund zugeordneter Eigenschaften, sozialer Rollen und gesellschaftlicher Aufgaben, sondern bereits bei der Bildung der vermeintlich einheitlichen Kategorie. Denn diese negiert die innere Vielfalt und Unterschiedlichkeit ebenso wie die unklaren Abgrenzungen und vielfachen Übergänge. Es gibt also weder ein einheitliches "Innen" noch eine klare Grenze zum "Außen". Die Kategorie ist eine begriffliche Erfindung, deren Existenzberechtigung als beschreibende Vereinfachung noch nachvollziehbar sein könnte, die als Mittel der Zuordnung zu sozialen Einheiten aber zur Waffe gegen die Individuen wird.
Dieser Fehler wiederholt sich erneut, wenn die Kategorie angerufen, d.h. rekonstruiert wird, um sie als revolutionäres Subjekt oder zumindest einheitliche gesellschaftsgestaltende Kraft zu wecken. Wo immer das geschieht, herrscht Vereinnahmung der Vielen durch Wenige, die sich als Sprachrohr inszenieren und damit die Einheitlichkeit der Vielen erst selbst erscheinen lässt.

Im Original: Kritik des Kollektiven
Theodor W. Adorno: sur l'eau. In: Minima Moralia, Suhrkamp Verlag
Die Vorstellung vom fessellosen Tun, dem ununterbrochenen Zeugen, der pausbäckigen Unersättlichkeit, der Freiheit als Hochbetrieb zehrt von jenem bürgerlichen Naturbegriff, der von je einzig dazu getaugt hat, die gesellschaftliche Gewalt als unabänderliche, als ein Stück gesunder Ewigkeit zu proklamieren. Darin und nicht in der vorgeblichen Gleichmacherei verharrten die positiven Entwürfe des Sozialismus, gegen die Marx sich sträubte, in der Barbarei. Nicht das Erschlaffen der Menschheit in Wohlleben ist zu fürchten, sondern die wüste Erweiterung des in Allnatur vermummten Gesellschaftlichen, Kollektivität als blinde Wut des Machens.

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